Forschungsschwerpunkte – Dr. Christian Groß

Werbung
Forschungsschwerpunkte – Dr. Christian Groß
Obwohl die Grundlagen der Quantenmechanik heutzutage im Detail verstanden sind, ergeben sich bei Quanten-Vielteilchensystemen, in denen viele quantenmechanische Teilchen
zusammenspielen, immer noch bedeutende Herausforderungen. So finden sich hier selbst
auf grundlegender Ebene immer wieder interessante Fragestellungen und Phänomene, die
nicht im Detail erklärbar sind. Darüber hinaus bildet die Kontrolle von QuantenVielteilchensystemen die Grundlage für vielversprechende Zukunftstechnologien, wie beispielsweise hochpräzise Uhren oder Quantencomputer. Unsere Forschung setzt genau hier
an, und unser Ziel ist es, die perfekte experimentelle Kontrolle über atomare Vielteilchensysteme zu erlangen und diese dazu zu nutzen, neue grundlegende Erkenntnisse über die
Quanten-Vielteilchenphysik zu gewinnen.
Ein Aspekt ist hierbei, die Beobachtungsmethode zu optimieren. Vor diesem Hintergrund
wurden in den letzten Jahren, unter anderem in unserem Labor, neuartige Mikroskope für
Quantengase entwickelt. Diese Mikroskope ermöglichen die Beobachtung einzelner Atome
im optischen Gitter mit einer Auflösung von einzelnen Gitterplätzen. Dabei liegt die Herausforderung dieser Beobachtungsmethode nicht so sehr in der hohen optischen Auflösung.
Vielmehr müssen die Atome an ihrem Platz gehalten werden, während sie zur Detektion
durch Licht zum Leuchten angeregt werden. Allerdings überträgt die kontinuierliche Absorption und Emission von Licht einen beträchtlichen Impuls auf die Atome, sodass sich diese
aufheizen und zu bewegen beginnen. Hier haben wir Laserkühlmethoden weiterentwickelt,
mit denen die Atome bei der Beleuchtung gleichzeitig gekühlt werden und damit lokalisiert
bleiben. Des Weiteren können wir den Quantenzustand einzelner der mehreren Hundert
Atome im Gitter mittels Laserlicht beeinflussen. Dies geschieht gewissermaßen rückwärts
durch das Mikroskopobjektiv, sodass eine sehr präzise und räumlich lokalisierte optische
Manipulation möglich wird. Dieses Zusammenspiel von Detektion und Kontrolle ist derzeit
nur im System ultrakalter Atome möglich und bietet einmalige Möglichkeiten zur Untersuchung von in Vielteilchensystemen auftretenden Quanteneffekten.
Das im Labor realisierte künstliche Quantensystem hat starke Analogien zu realen Festkörpern, in denen die Ionen ein Kristallgitter bilden, auf dem sich die Elektronen bewegen. Diese
Rolle übernimmt das optische Gitter, ein Kristall aus Licht, der entsteht, wenn Laserstrahlen
überlagert werden. Je nach Geometrie der Strahlen können so ein-, zwei- oder drei-
Forschungsschwerpunkte – Heinz Maier-Leibnitz-Preis 2017
Dr. Christian Groß
Stand: April 2017
DFG
Seite 2 von 3
dimensionale Gitter realisiert werden. Das eigentliche Vielteilchensystem bilden die ultrakalten Atome, die sich im Lichtgitter bewegen. Diese ersetzen die Elektronen im Festkörper und
bieten den Vorteil der direkten Beobachtbarkeit, da die Dynamik aufgrund der sehr viel größeren Masse deutlich langsamer abläuft. Allerdings bedeutet dies auch, dass relevante
Energieskalen, wie zum Beispiel die Fermi-Temperatur, ab der Quanteneffekte dominieren,
deutlich kleiner sind. Dies stellt oft eine große Herausforderung dar und es müssen typischerweise Temperaturen von einigen Milliardstel Kelvin erreicht werden, um mit diesen Systemen im Quantenregime zu arbeiten.
Ultrakalte Atome im optischen Gitter bieten sehr vielfältige Möglichkeiten zur Untersuchung
von Vielteilcheneffekten. In unseren Experimenten konzentrieren wir uns dabei auf drei Aspekte: Zum einen untersuchen wir die Nichtgleichgewichtsdynamik von kontrolliert ungeordneten Systemen, für die ab einem gewissen Grad von Unordnung eine dramatische Änderung ihrer Eigenschaften vorhergesagt wird. Unsere tägliche Erfahrung besagt, dass sich
Vielteilchensysteme nach den Gesetzen der Thermodynamik verhalten, zum Beispiel gleichen sich Temperaturunterschiede mit der Zeit an. Übersteigt die Unordnung in den Quantensystemen nun einen kritischen Wert, ändert sich dieses Verhalten plötzlich und das System geht in einen neuen Zustand über, in dem unsere alltägliche Intuition versagt.
Das theoretische Verständnis dieses neuen Zustands von Quantenmaterie, in dem beispielsweise das gewohnte Konzept einer Temperatur vollständig seine Bedeutung verliert, ist
momentan Gegenstand intensiver Forschung. Um diesen exotischen Zustand von Materie
experimentell zu untersuchen, schreiben wir anfänglich gewissermaßen ein Muster in die
atomare Verteilung und beobachten dann, ob dieses Muster auch nach langer Zeit noch
sichtbar bleibt. In unseren Experimenten haben wir genau dies beobachtet und damit starke
Indizien zur Existenz dieses neuartigen Materiezustands in zweidimensionalen Systemen
geliefert. Hierbei ist die Quantendynamik des Systems so komplex, dass es keine bekannte
Möglichkeit gibt, unser Experiment auf heutigen Supercomputern nachzustellen.
Eine weitere Forschungsrichtung ist der Magnetismus von Atomen im optischen Gitter bei
tiefen Temperaturen. Hier verhält sich jedes einzelne Atom im Gitter wie ein kleiner Quantenmagnet, der mit seinen Nachbarn wechselwirkt. Unsere künstlichen Systeme stellen hier
eine ideale Realisierung des sogenannten Hubbard-Modells dar, das bedeutendste Modell
für die auch nach fast 30 Jahren immer noch in weiten Teilen unverstandene Hochtemperatursupraleitung. Hier erhoffen wir uns neuartige Einblicke, indem die Position und die magnetische Ausrichtung der einzelnen Atome nun erstmals direkt beobachtet werden können.
Nach mehr als vier Jahren intensiver Entwicklungsarbeit bietet unser Quantengasmikroskop
Forschungsschwerpunkte – Heinz Maier-Leibnitz-Preis 2017
Dr. Christian Groß
Stand: April 2017
DFG
Seite 3 von 3
für Lithium-Atome nun genau diese Möglichkeiten. Tatsächlich konnten wir in ersten Experimenten kürzlich die antiferromagnetische, das heißt entgegengesetzte Anordnung einzelner
Quantenmagnete direkt abbilden. Weiterhin konnten wir beobachten, wie Löcher im System,
also auf einigen Gitterplätzen fehlende Atome, die antiferromagnetische Ordnung beeinflussen.
Die dritte Forschungsrichtung behandelt langreichweitig wechselwirkende QuantenVielteilchensysteme. Konventionelle Realisierungen solcher Systeme mit ultrakalten Atomen
wechselwirken über eine Kontaktwechselwirkung, das heißt zwei Atome spüren einander nur
dann, wenn sie sich am gleichen Ort befinden. Dies ändert sich, wenn die Atome mittels Laserlicht in einen hoch angeregten, sogenannten Rydberg-Zustand gebracht werden. Hier ist
ein Elektron nur noch sehr schwach an das Atom gebunden und jegliche kleine Störung führt
zu einem Verschieben der positiven und negativen Ladungen und somit zu einem elektrischen Dipol. Eine solche Störung wird insbesondere auch durch die Anwesenheit eines weiteren Atoms im Rydberg-Zustand gegenseitig ausgelöst und die beiden Atome verhalten sich
ähnlich zu zwei Magneten, die sich auch in großer Entfernung beeinflussen. In unseren Experimenten haben wir diesen Mechanismus ausgenutzt, um zum Beispiel die Kristallisierung
von Rydberg-Anregungen zu untersuchen. In der Zukunft hoffen wir, hiermit nicht nur neuartige Quantensysteme zu realisieren, in denen die Wechselwirkung zur Ausbildung topologisch interessanter Zustände führt. Auch Grundkonzepte von Quantencomputern können
mittels dieser Systeme getestet werden.
Forschungsschwerpunkte – Heinz Maier-Leibnitz-Preis 2017
Dr. Christian Groß
Stand: April 2017
DFG
Herunterladen