Anders sein ist normal

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SCHUTZGEBÜHR 5,00 €
Obere Bahnhofstraße 18
88662 Überlingen
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GPZ Überlingen gGmbH
Sichtweisen
Wir bieten Beschäftigung
in den Bereichen
▪ Digital Service
(ebaY-Agentur, Letter-Shop,
Druckstudio)
▪ Garten- und Landschaftspflege
▪ Wäscherei mit Hauswirtschaft
▪ Küche
▪ Montage und Verpackung
▪ Metall
Impressum
Die Werkstatt der GPZ Überlingen gGmbH ist eine
Einrichtung der beruflich-sozialen Rehabilitation
und bietet Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen die Möglichkeit in verschiedenen Bereichen (wieder) am Arbeitsleben teilzunehmen.
Die zentralen Ziele sind die Erhaltung bzw. Erhöhung der Leistungsfähigkeit, die psychische
Stabilisierung, die berufliche und soziale Integration sowie eine sinnvolle Tagesstrukturierung
durch Beschäftigung. Durch das kontinuierliche
Angebot soll ein Umfeld geschaffen werden, in
dem die Beschäftigten befähigt werden Krisensituationen zunehmend souveräner zu bewältigen
und mit den Anforderungen des Arbeitslebens
besser zurechtzukommen.
GePetZt Sonderausgabe
Oktober 2010
Layout & Satz
Digital Service - GpZ Überlingen gGmbH
1. Auflage 2010
1000 Stück
Fotos
Alle Fotos sind mit Bezugsquelle und Namen
der Fotografen gekennzeichnet, nicht gekennzeichnete
Fotos sind im GpZ Überlingen entstanden.
Herausgeber
GpZ Überlingen gGmbH
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GePetZt
Geschäftsführung
Ingo Kanngießer
Autoren
GePetZt-Redaktion; anonym
Redaktionsleitung
Yvonne Kauf
Redaktionsanschrift
GePetZt-Redaktion - GpZ Überlingen gGmbH
Zum Degenhardt 12
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hergestellt und gedruckt in Deutschland
SPENDE
Wenn Sie unsere zahlreichen Bemühungen mit
ihrem Engagement unterstützen wollen, sind Sie
herzlich willkommen. Sie können uns durch Ihren
persönlichen Einsatz helfen oder indem Sie uns
eine Geldspende zukommen lassen.
Spendenkonto
Volksbank Überlingen e.G.
BLZ 690 618 00
Kontonummer 14 67 204
Möchten Sie Ihre Spende einem
bestimmten
Zweck
zuordnen,
dann geben Sie es bei der Überweisung im Verwendungszweck an.
Die gemeinnützige Gesellschaft
»Gemeindepsychiatrisches Zentrum
Überlingen« ist als gemeinnützig im
Sinne der steuerlichen Vorschriften
anerkannt und deshalb berechtigt,
Spendenbescheingungen auszustellen.
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Foto: pixelio - Stephanie Hofschläger
2
Foto: pixelio - Stephanie Hofschläger
|
Inhalt
Inhalt
Inhalt
4
Einleitung
38 Depression
92
ICF
126
Psychiatrie
5
Vorwort
46
Doppeldiagnose
94
Inklusion
130
Qualitätsmanagement
6
Angst
50
Entstigmatisierung
96
Medikamente
132 Rehaeinrichtung
10
Arbeitswelt
54
Ergotherapie
101 Gedicht - Die Gedanken
136
Suizid
15
Gedicht - Verbundenheit
57
Gedicht - Die Blume
102
Opfer
140
Selbsthilfe
16
Ausgleichsabgabe
58 Essstörung
106
Psychose
142
Sucht
18 Borderline
63
Gedicht - Die Liebe und das Leben
110
Posttraumatische Belastungsstörung
146
Schicksal
26
Betreutes Wohnen
64
Gesundheit
116
Prävention
147 Tagesstätte
29
Gedicht - Die Armada und der Krieg
70
GpV
119 Psychiatrische Institutsambulanz
150
Zwang
30
Bipolare Störung
74 GpZ Überlingen gGmbH
120
Profiling
34
Burnout
88
Integration
125
Gedicht - Endlos weite, weite Welt
wie
Vorwort
Foto: pixelio - Manfred Walker
Seit etwa 3 Jahren erscheint im GpZ Überlingen regelmäßig ¼-jährlich unsere „GePetZt“-Zeitschrift.
Ursprünglich als Hauszeitschrift mit wichtigen Termin-Ankündigungen und rückblickenden Berichten
gedacht, entwickelte sich die „GePetZt“ zu einem
umfassenden Allerlei verschiedenster Beiträge, Interviews und Berichte über Themen die Menschen
beschäftigen und bewegen, aktuelle Geschehen,
lyrische und philosophische Beiträge, Darstellungen
verschiedener Krankheitsbilder, Reportagen über
Menschen & Institutionen und vieles mehr.
Das Redaktionsteam besteht aus vielen kreativen
und journalistisch-interessierten Köpfen – alles Menschen, die in den Werkstattbereichen des GpZ tätig
sind, oder „freien Hobby- Journalisten“.
In einer unserer wöchentlichen Redaktions-Sitzungen entstand die Idee, diese und weitere Beiträge
einmal gesammelt in einem Sonderheft herauszugeben. Herausgekommen ist die Ihnen nun vorliegende
160-Seiten-starke GePetZt-Sonderausgabe.
Dabei stellte sich uns die Frage „Wie sollen die
vielen verschiedenen Themenbereiche und Beiträge
sinnvoll strukturiert und gebündelt werden?“. Da
jedes Thema meist von mehreren Seiten beleuchtet
wird, haben wir die Beiträge nach den wesentlichen
Schlagwörtern geordnet. Häufig von Seiten der Betroffenen – den eigentlichen Fachleuten („Betroffene berichten“ - rot gekennzeichnet), aber auch
von Angehörigen und Freunden („Nichtbetroffene
berichten“ - blau gekennzeichnet). Das Ganze wurde durch fachliche Aspekte ergänzt („Fachleute
berichten“ - orange gekennzeichnet). Bei den entstandenen Artikeln erheben wir selbstverständlich
nicht den Anspruch auf Vollständigkeit und Rich-
tigkeit der Aussagen, gleichfalls haben wir Namen
entfernt oder ggf. geändert und die individuellen
Meinungen nicht bewertet oder zensiert.
„Warum macht ihr eigentlich dieses Heft?“ –
wurde in den vergangenen Wochen oft gefragt.
Mit diesem Heft (wie auch mit unserer ¼-jährlich
erscheinenden GePetZt-Zeitschrift) verfolgen wir
an oberster Stelle das Thema Entstigmatisierung.
Wir haben den Wunsch nach einer aufgeklärten
und inklusiven Gesellschaft und dem Verstehen
und Respektieren der Menschen mit psychischen
Erkrankungen. Denn „Sie lassen sich nicht uniformieren. Sie erlauben sich verrückte Gedanken.
Sie sprengen starre Konventionen. Damit erweisen sie uns allen einen großen Dienst, denn sie
halten die humane Temperatur einer Gesellschaft
über dem Gefrierpunkt, indem sie ihr nicht nur ein
menschliches Gesicht, sondern ganz viele unterschiedliche menschliche Gesichter geben.“ (Zitat:
Dr. med. Manfred Lütz – Facharzt für Psychiatrie
und Psychotherapie, Theologe und Bestseller-Autor - Irre! Wir behandeln die Falschen)
Abschließend gilt ein besonderer Dank all jenen, die ihre fleißige Arbeit, ihre Gedanken und
Gefühle, ihre offenen Meinungen und SICHTWEISEN in dieses Heft eingebracht haben – und den
unzähligen Autoren und Interviewern, den Fachleuten und Gedichte-Schreibern, den Fotografen
und Malern die ihre Bilder beigesteuert haben,
wie auch dem restlichen Redaktions-Team für die
begeisterte Unterstützung an diesem Projekt.
Wir, das GePetZt-Team, freuen uns über neue
Besucher auf www.gepetzt.de und über viele
interessierte GePetZt –Leser.
Das Thema psychische Gesundheit in der öffentlichen Diskussion und in der politischen Debatte
gewinnt seit einigen Jahren nachhaltig an Bedeutung. In der Öffentlichkeit haben verschiedene Erklärungen, Studien und Reporte zu einer
stärkeren Aufmerksamkeit gegenüber psychisch
kranken Menschen beigetragen. Sie zeigen auch
weiterhin Handlungsbedarfe auf. Die psychische
Gesundheit der Bevölkerung ist inzwischen eine
Zielsetzung vielfältiger gesundheitspolitischer
Aktivitäten auf europäischer Ebene, des Bundes,
der Länder und Kommunen, von Verbänden und
Fachgesellschaften, Selbsthilfegruppen, Krankenkassen und anderen Akteuren im Gesundheitswesen.
Mit den folgenden zusammenfassenden Ausführungen soll verdeutlicht werden, dass die weltweit durchgeführten Aktivitäten zur nachhaltigen Verbesserung der psychischen Gesundheit
der Bürger strukturell miteinander vernetzt sind.
Wir wollen nicht nur über den fachlichen Stand
der Aktionen und Diskussionen informieren.
Erste Erfahrungen der Antistigmabewegung
zeigen, dass es die persönlichen Kontakte und
Berichte sind, die menschliche Begegnung ist,
die Vorurteile abbaut und einer Stigmatisierung
entgegenwirkt. Daher wollen wir insbesondere
die Betroffenen, die Psychiatrieerfahrenen „zu
Worte“ kommen lassen. In der Hoffnung dass
die fachlichen Inhalte durch diese Anreicherung
mit „Menschlichkeit“ ihre besondere Wirkung
entfalten können.
Die hier vorliegende GepetZt-Sonderausgabe ist
ein Teil einer mittel- bis langfristig angelegten
weltweiten Kampagne und soll den Prozess in
Deutschland gegen Diskriminierung und Stigmatisierung psychisch kranker Menschen weiter
voran bringen.
Wir erhoffen, uns mit dieser Sonderausgabe
möglichst viele Bürger aus dem Bodenseekreis
zu erreichen und bedanken uns bereits an dieser
Stelle bei allen Menschen, die hierbei mitgeholfen haben, bei allen Menschen, die Interesse an
diesem Thema haben, und bei allen Menschen,
deren Haltung sich gegenüber psychisch kranken
und seelisch behinderten Menschen positiv verändert hat.
Betroffene berichten
Einleitung
v
Fachleute berichten
wie
|5
Nichtbetroffene berichten
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
4|
6|
|7
Fotograf: Esther Marggraff
Hab´ keine Angst!
wie
Angst
„Der kleine Drache Jonathan lebte, schon seit
er denken konnte, einsam in einem Steinbruch.
Dort gab es nichts außer Jonathans Felsenhöhle
und einem kleinen Teich.
Jonathan kannte nur Tag und Nacht. Sonne und
Mond waren seine beiden einzigen Freunde. Ihnen hörte er begeistert zu, wenn sie ihm von ihren Reisen um die Welt erzählten.
Eines Morgens kitzelten die Strahlen seiner
Freundin der Sonne seine Nase, und der kleine
Drache musste laut niesen.
Er gähnte und rieb sich den Schlaf aus den
Augen. Dann begrüßte er lachend seine liebe
Freundin ...
Diesen Text hatte ich niedergeschrieben, nachdem ich bereits Tage zuvor krampfhaft versucht
hatte, mir eine neue Geschichte aus den Fingern
zu saugen.
Sie ist bei einem Gespräch mit meiner Freundin
entstanden, kurz nachdem ich aus der betreuten
Frauen-Wohngemeinschaft in eine völlig „freie“
umgezogen war.
Wenn ich ihn mir jetzt ,im Nachhinein, durchlese, wird mir gewahr, dass meine Betreuerinnen,
Ärzte, Psychologen und Therapeuten bei mir die
Diagnose „Borderline“ doch nicht ganz zu Unrecht gestellt haben.
Die Panik, den Wunsch, dein Gegenüber kontrollieren zu können, ein Wechselbad der Gefühle, den Missbrauch der unterschiedlichsten
Suchtmittel, das nahtlose Switchen von einem
Extrem ins nächste, die Unzufriedenheit mit sich
selbst, zugleich der (Irr-) Glaube an die eigene
Überlegenheit, dabei das Chaos im Innern, die
Narben auf der Haut – kannst du treffender
beschreiben, was mich als „Borderlinerin“ auszeichnet?
„Wer die Mitte findet, sieht das Ganze?“ (aus
China)
Dieses Zitat, das ich neulich auf einer Karte entdeckte, mmmhhh…
Wie wäre es mit:
Betroffene berichten
schwestern haben ihre Approbation bei Ikea erstanden und könnten zu ihrer Verteidigung den
Vorwand bringen, dass Ikea mit einem Slogan
wirbt, der einem die Freiheit gibt, zu tun und zu
lassen, was man will.
Die Tatsache, dass andere dabei zu Schaden
kommen könnten, wäre ein, von ihrem Standpunkt aus gesehen, durchaus vertretbarer Faktor.
In diesem Sinne: Sie müssen lernen, Konflikte zu
benennen, mit ihnen umzugehen, sie schlichtweg zu Handhaben. Macht dann alles in allem
320.-€!“
Seitdem hat Aldi nicht nur inTräumen bis 20:00H
geöffnet.
Schweißgeschuppt erwachte unser kleiner
Drache aus diesem persönlichkeitsfördernden
Traum und lugte aus seiner Felsenhöhle, um erfreut festzustellen, dass er nicht gefangen war
durch Zäune und fühlte sich nun mutig und
emotional stabil für die unbekannte Welt da
draußen.
|9
„Wer seine Mitte findet, sieht das Ganze“?
Fachleute berichten
... Doch diese hatte heute keine Geschichte für
ihn. Stattdessen fragte sie ihn : „He, kleiner Drache, möchtest du mich nicht einmal auf eine
meiner Reisen begleiten ?
Jonathan wurde verlegen und antwortete: „Liebend gern würde ich das… Aber ich habe Angst
vor der Welt da draußen. Und Angst, meine kleine Heimat zu verlassen.
„Jonathan denkst du nicht, dass das weniger
deine Heimat als dein Gefängnis ist?“
Der Mond schien silbern.... Doch Jonathan konnte in dieser Nacht einfach nicht einschlafen. Die
Worte der Sonne schwirrten pausenlos durch seine Gedanken. Schließlich fielen ihm doch die
Augen zu. Allerdings hatte er keinen ruhigen
Schlaf, wie sonst immer in solch sternenklaren
Nächten.
Er träumte.
In seinem Traum war der Eingang seiner kleinen Höhle von Gitterstäben umgrenzt. Er wollte
laut um Hilfe rufen. Also schrie er: „Was soll der
Mist? So kann ich doch nicht zu Aldi, und die haben nur bis 18h geöffnet, da kann ich gar nicht
Head and Shoulder für meine Schuppen kaufen.
Außerdem wollte ich mir morgen zu Mittag endlich mal wieder einen Tomaten-Mozzarella-Salat
machen!“
Er schrieb einen Beschwerdebrief an sämtliche
Geschäftsstellen und Ämter im Umkreis von
30km, den seine Freundin, die Sonne überbringen musste. Da diese mit einem neuartigen Navigationssystem namens Gabi K. ausgestattet war,
erreichte sie auch in Blitzesschnelle ihr Ziel.
Der Geschäftsführer der Aw..., ich meine natürlich des Aldi-Konzerns war erschüttert.
Der Drache drohte ihm, die Sache vor Gericht
und an die Öffentlichkeit zu bringen. Wie
sollte er nunmehr mit der Situation umgehen?
Schließlich war nicht er für das missglückte Mittagessen und die Gitterstäbe vor der Höhle des
Drachen verantwortlich; sondern der berühmt
berüchtigte Clan der beiden Psychopathenschwestern:
Dennoch schrieb er Jonathan einen rührseligen
Entschuldigungsbrief, der mit den Worten endete, die da lauten:
„Das ist eine Form von subtiler Gewalt, Machtmissbrauch. An diesem Thema sollten wir dran
bleiben... Können wir das für´s Erste so stehen
lassen? Wie fühlen sie sich dabei?
Ich denke, wir werden die entscheidenden
Schritte einleiten, doch die beiden Psychopathen-
Angst
Und er lebte psychosenfrei bis ans Ende seiner
schuppigen Tage.“
Mondflamme
Nichtbetroffene berichten
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
8|
Die Angststörung
Viele Menschen in Deutschland leiden
an einer Angststörung. Dabei wird
zwischen verschiedenen Angststörungen
unterschieden. Die häufigsten sind zum
Beispiel die Panikstörung, die generalisierte
Angststörung, die soziale Phobie und die
Agoraphobie (Platzangst). Von den Menschen
in Deutschland leiden circa 2-3% an der
Panikstörung. Circa 4-6% der Menschen
leiden unter der generalisierten Angststörung
und sogar circa 13% der Menschen leiden
an einer sozialen Phobie. Von Platzangst
(Agoraphobie) sind circa 5% der Menschen
betroffen.
Quelle: www.neurologen-und-psychiater-im-netz.de
Fotograf:Bastian
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
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| 11
wie
Arbeitswelt
Uns geht die Arbeit aus!
In unserem neuen Jahrhundert, so die These,
würden 20 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung ausreichen, um die Wirtschaft auf dem
heutigen Stand in Schwung zu halten. 80 Prozent der so genannten erwerbsfähigen Bevölkerung blieben demzufolge ohne Job. Rationalisierung, Automatisierung und Flexibilisierung von
Arbeitsabläufen führen also dazu, dass uns die
Arbeit ausgeht.
„Geht uns die Arbeit aus?“: Die Frage ist
falsch gestellt.
Wenn befürchtet wird, uns gehe die Arbeit aus,
ist damit allein die bezahlte Arbeit gemeint; die
Betrachtung erfolgt ausschließlich vor dem Hintergrund der Erwerbsgesellschaft industriell geprägten Typs. Denn zu arbeiten gibt es mehr als
genug: in Erziehung und Ausbildung, in Haus
und Garten, im öffentlichen Raum oder für gesellschaftliche und gemeinschaftliche Belange.
Das Problem besteht also nicht darin, dass uns
die Arbeit ausgeht, sondern wie sie organisiert
und bezahlt werden kann.
Anders als in vergangenen Zeiten ist Arbeit heute für fast alle Menschen mehr als der Zwang zur
Existenzsicherung. Arbeit ermöglicht Selbstbestimmung und sie vermittelt soziale Anerkennung. So
wollen selbst jene arbeiten, die es finanziell nicht
nötig hätten. Die meiste Ehre erfährt, wer ein Lebenswerk geschaffen, also Lebenszeit mit Arbeit
verbracht und etwas hinterlassen hat.
Das Gegenteil von Arbeit heißt nicht länger Muße,
sondern: andere Arten der Beschäftigung.
Arbeitsplatzabbau wird durch wachsenden
Dienstleistungssektor wettgemacht
Die gegenläufige Annahme lautet: Die Beschäftigung wächst aufgrund der massiven Ausweitung
des Dienstleistungssektors in der Informationsgesellschaft an, was den Verlust von Arbeitsplätzen weitgehend ausgleichen kann.
Allerdings lassen sich die Muster der Schaffung
von Arbeitsplätzen in der Informationsgesellschaft
nur schwer abbilden und quantifizieren. Arbeitsplätze, die mit den neuen Informationstechnologien geschaffen werden, sind durch diese immer
auch gefährdet. Sind die Mitarbeiter der CallCenter von heute die Arbeitslosen von morgen?
Qualifikations- und Kompetenzlücken im
Umgestaltungsprozess
Jedes Jahr verschwinden durchschnittlich über
10 Prozent aller Arbeitsplätze. Sie werden durch
andere Arbeitsplätze in Verbindung mit neuen
Arbeitsprozessen in neuen Unternehmen ersetzt,
die neue, bessere oder umfassendere Qualifikationen voraussetzen. Ein wesentlich geringeres
Tempo wird auf der Angebotsseite, bei der Vermittlung neuer Kompetenzen eingeschlagen.
Dies führt zu einem „Arbeitsmarkt mit zwei Geschwindigkeiten“, mit einem Überangebot an
überholten Fertigkeiten einerseits und Engpässen bei den neuen Kompetenzen andererseits.
Die Herausforderung liegt in der Schließung dieser Qualifikationslücke.
Globalisierung führt zu Lohnspreizung und
Arbeitsmarktdifferenzierung
Globalisierung ist die Umschreibung für eine
neue, höhere Form der internationalen Arbeitsteiligkeit und für eine international grenzenlos
mobile Wirtschaft. Damit setzt sie Einfacharbeitsplätze einem starken Anpassungsdruck aus
und erfordert Investitionen in Innovationsbereichen.
Wenn auch künftig alle Arbeitsfähigen beschäftigt sein wollen, führt diese Entwicklung der
Erwerbsarbeit also zu einer weiteren Spreizung
zwischen qualitativ höheren und besser bezahlten sowie qualitativ niedrigeren und schlechter
bezahlten Arbeitsplätzen.
Konflikt zwischen Technologieentwicklung
und Beschäftigung
Es besteht ein unauflöslicher Konflikt zwischen
technologischer Modernisierung, die Arbeitskräfte freisetzt, und Arbeitsmarktpolitik, die
Vollbeschäftigung (bei Vermeidung von größerer
Ungleichheit) anstrebt.
Vom Arbeitnehmer zur Ich-AG
Internationaler Wettbewerb, Globalisierung der
Märkte und die dynamischen Veränderungen in
den Bereichen Wissen und Information erfordern
ein grundlegend neues Verständnis der Rolle und
des Selbstverständnisses der Beschäftigten im
Arbeits- und Produktionsprozess. Mit steigenden
Kompetenz-, Flexibilitäts- und Mobilitätsanforderungen wird der moderne Mitarbeiter stärkere
Eigenverantwortung übernehmen müssen. Er
muss stets und überall für neue Aufgaben zur
Disposition stehen. Alle, nicht nur die hochquali-
fizierten Wissensarbeiter, sind aufgefordert, sich
als „Ich-AG“ zu verstehen.
Flexibilität im Berufsprofil, in der Erwerbsbiografie, im Arbeitsrhythmus und in den Unternehmen
Arbeitsplatz und -ort, möglicherweise sogar das
Berufsprofil mehrfach im Lauf des Lebens zu
wechseln, wird für die meisten Beschäftigten
künftig eher die Regel sein. Phasen von Erwerbstätigkeit werden von solchen der zeitweisen Erwerbslosigkeit - ggf. für Fortbildung, Erholung,
Rehabilitation, … - unterbrochen. Know-how
und Qualifikationsniveau erneuern sich rasch.
Lebenslanges Lernen wird zur Notwendigkeit.
Um flexibel zu bleiben, beschäftigen Unternehmen immer kleinere Kernbelegschaften; projektbezogen werden diese um Randbelegschaften
und Spezialisten ergänzt. Die neue Flexibilität
schließt den Einsatz von Teilzeitarbeit, Zeitarbeit,
befristeten Arbeitsverträgen, Telearbeit und generell neuen Formen der Arbeitsbeziehungen
ein.
Die künftige Arbeitswelt wird in einer Weise organisiert sein, in der die Grenzen zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit,
zwischen Arbeit und Lernen sowie Arbeit und
Freizeit nicht mehr so klar sind wie bisher. Die
Freizeit des einen wird die Arbeitszeit des anderen in Anspruch nehmen.
Zeit ist Geld - die sozialen Muster in der neuen Arbeitswelt
• Viel Arbeit, viel Geld und wenig Zeit
Meistens fehlt einfach der Mut
darüber zu sprechen
Eine Betroffene spricht über Ausgleichsabgaben, ihre Behinderung und ihre Erfahrung in der Arbeitswelt
Auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz
habe ich immer wieder nach Möglichkeiten gesucht, wie ich meine 50% Behinderung gut verkaufen kann. Dabei bin ich auf das Gesetz des
neunten Sozialgesetzbuch SGB IX Teil 2 Kapitel 2
gestoßen. Darin geht es um die Beschäftigungspflicht von schwerbehinderten Menschen. Genau
bedeutet dies, dass ein Betrieb ab einer Größe
von 20 Mitarbeitern, 5% der Arbeitsplätze mit
schwerbehinderten Mitarbeitern besetzen sollte.
Ansonsten ist der Betrieb dazu verpflichtet, eine
Ausgleichsabgabe zu zahlen. Diese ist:
105 Euro, wenn die Beschäftigungsquote ab
3% bis unter 5% liegt. Ab 2% bis unter 3%
sind dies 180 € pro Monat und bei unter 2%
sogar 260 €.
Es gibt noch eine Alternative um der Zahlungspflicht zu entgehen. Nämlich, indem die Firmen
Aufträge an Werkstätten für behinderte Menschen oder deren Zusammenschlüsse erteilen.
Beim Herumfragen im Freundeskreis, habe ich
immer mal wieder gehört, dass lieber die Ausgleichsabgabe gezahlt wird, anstatt ein Risiko
einzugehen. Ich verstehe das, doch was bedeutet das für mich?
Es ist also an der Zeit, einige Arbeitgeber davon
zu überzeugen, dass es sich sehr wohl lohnt:
Ein Argument ist der unabhängige Integrationsfachdienst, der meine Rechte und die des
Arbeitgebers berücksichtigt. Sollten irgendwelche Schwierigkeiten entstehen, versucht dieser
zu vermitteln. Dadurch habe ich mich getraut,
zu sagen, dass sechs Arbeitsstunden für mich
ideal sind. Eine Stabilität meiner psychischen
Erkrankung ist dadurch auch eher gewährleistet.
Durch unterschiedliche Praktika ist mir außerdem
klar geworden, dass der Arbeitgeber nichts über
meine Erkrankung wissen muss, welche Diagnose und Symptome ich hatte oder habe. Es ist
völlig ausreichend zu erzählen, dass ich soweit
wieder belastbar bin.
Im Endeffekt gibt es natürlich viele Vorurteile
über psychische Erkrankungen und die Betroffenen sind die Einzigen, die dies verändern können. Es verlangt bestimmt niemand von mir,
dass ich die privatesten Dinge erzähle. Doch
wenn ich die Bereitschaft zeige über die Symptome zu sprechen und Fragen beantworte,
kann ich viel bewegen. Meine Erfahrung ist
auch, dass doch fast jeder mit psychischen Erkrankungen in Kontakt kam oder etwas gehört
hat. Am Ende fehlt meistens einfach der Mut
darüber zu sprechen.
... und das sagt der Arbeitgeber!
Wir haben Überlinger Arbeitgeber nach ihrer Meinung über die Einstellung von psychisch
Erkrankten Menschen gefragt
Bildquelle: www.pixelio.de
„Wir haben mit Strom zu tun und das ist eine
gefährliche Sache. Uns ist das Risiko zu groß,
wenn derjenige nicht voll konzentriert ist und
einen Stromschlag bekommt, tragen wir die Folgeschäden. Im kaufmännischen Bereich wäre
das möglich, wenn wir genügend Arbeit hätten.“
„Es ist sehr schwierig. Auf der einen Seite ist es
wichtig Schwerbehinderte einzustellen, auf der
anderen Seite ist es ungerecht den nicht behinderten Angestellten gegenüber. Denn man wird
Schwerbehinderte schwer wieder los. Außerdem
muss man immer Angst vor Ausfällen und Krankheit haben, zum Beispiel eine Heulsuse kann ich
nicht brauchen. Es ist immer ein Abenteuer jemand einzustellen, den man nicht kennt. Wenn
das im Allgemeinen überhaupt mal vorkommt,
dann kennt man denjenigen über jemand Bekannten.“
Betroffene berichten
bedürfnissen Vorschub leisten. Die traditionelle
Trennung von Berufs- und Privatleben ist ihnen
unbekannt; mit der umfassenden Ausbreitung
des Internets und der Telekommunikationsmedien können sie jederzeit an jedem Ort arbeiten.
Fachleute berichten
fenbar nicht brauchten.“ Offensichtlich wussten
sie etwas mit dem Rest des Tages anzufangen,
was sie zufriedenstellte, oder sie wussten nicht,
was sie mit mehr Geld tun sollten.
Das ist heute anders. Für höhere Löhne wird
schnellere und effektivere Arbeit verlangt. Für
mehr Lohn wird länger gearbeitet. „...die immens gewachsene Arbeitsproduktivität (hat) unser ganzes Leben unwiderruflich durchdrungen.
(...) In dem Glauben, dass Geld Zeit überwiegt,
folgen wir längst dem Ticken eines inneren Zeitmaßes, das sich im Tempo unserer Produktivität
beschleunigt und aus dessen Gehäuse wir nicht
mehr entkommen können.“
Im Erwerbsleben gilt: damit sich der Einsatz
teurer Maschinen und teurer, hochqualifizierter
Arbeitskräfte lohnt, muss der Produktionsprozess
beschleunigt, die Produktivität erhöht werden.
Der Takt der Arbeit strukturiert auch die Freizeit
mit ihren Angeboten für Fitness, Wellness, Kultur
etc. Als fester Glaube gilt, nur wer daran teilnehme, könne auch im Arbeitsleben bestehen.
Der Rohstoff der Zukunft heißt Information. Ihn
verarbeiten die so genannten Wissensarbeiter,
die als Ausführende oder Kreative einem neuen Arbeitsstil, neuen Zeitmustern und Lebens-
| 13
Nichtbetroffene berichten
• wenig Arbeit, wenig Geld und viel Zeit
• keine Arbeit aber Zeit im Überfluss
Den Takt für Arbeits- und Freizeit, ja für die gesamte Lebenszeit, gibt heute ausschließlich die
Erwerbsarbeit vor. Unsere früheren Zeitrhythmen
z.B. in der Landwirtschaft oder im Handwerk,
auch die Zeitrhythmen des kirchlichen Kalendariums, die andere Rhythmen als die gleichförmige
Erwerbsarbeit vorgeben, sind verloren gegangen.
In dem Artikel „Von der Sehnsucht, die Uhr zu
besiegen“ (FAZ vom 2.1.1999) berichtet Dirk
Schümer von einem Problem, vor dem Mitte des
18. Jh. britische Großgrundbesitzer standen, die
in neue Techniken für Aussaat und Ernte investiert
hatten: „Um die wachsenden Großstadtmärkte
der keimenden Industriekultur mit Nahrungsmitteln beliefern zu können, führte man für Landarbeiter einen erhöhten Rekordlohn während der
Erntezeit ein. Doch der Effekt war anders als erhofft. Anstatt nun mit modernsten Sensen und
Garbenbindern bis in die Nacht zu ernten, machten die Tagelöhner schon am Mittag Feierabend.
Sie hatten ihren hergebrachten Tagesverdienst
beisammen und ließen darum die Ernte liegen,
anstatt sich für Geld krummzulegen, das sie of-
Arbeitswelt
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
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Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
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Verbundenheit
„Bei uns im Job muss man gesund und fit sein,
manchmal bis zu 14 Stunden am Tag. Sonntags
wird gearbeitet, also man muss sehr belastbar sein.
Wenn man ständig oder kaum kann, das geht einfach nicht. Also ich tendiere dazu „nein“ zu sagen.“
„Bei uns im Unternehmen ist das etwas schwierig. Wenn derjenige rehabilitiert ist, würde ich
ihn einstellen. Das ist allerdings in den letzten 40
Jahren noch nicht vorgekommen.“
„Generell ist das kein Problem, wenn die fachliche Kompetenz stimmt. Also wenn jemand für
den Beruf qualifiziert ist und der ständige Kundenkontakt ihm Freude bereitet, dann ist das
kein Problem.“
„Ich würde allgemein niemand einstellen, egal
ob psychisch krank oder gesund. Denn man
muss Ahnung vom Geschäft haben und bis ich
jemand eingelernt habe, vergeht zu viel Zeit.“
„Auf dem Dach ist es, egal ob psychische oder
körperliche Behinderung, unmöglich so jemanden einzustellen. Wenn die Person etwas
neben sich steht, braucht man einen anderen,
der auf ihn aufpasst.“
Dein innerstes Band
knüpft mit meinem
einen Bund der
Freundschaft
Mein Leben nach und ohne GpZ
Mit einem lachenden und auch einem weinenden
Auge habe ich Ende Juni das GpZ verlassen –
nach 3 Jahren. In dieser Zeit konnte ich mich gut
stabilisieren, habe viele neue Freunde gewonnen
und auch viele neue Sachen gelernt. Es war eine
tolle Erfahrung. Es gab zwar so manch kleineren
Rückschlag, aber durch die 2 Praktika, die ich
während meiner GpZ-Zeit gemacht hatte, habe
ich Mut gefasst.
Ich habe es im Juli gewagt... ich habe den
Schritt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt „da
draußen“ gemacht. Um langsam wieder anzufangen habe ich mit einem 400-Euro-Job angefangen.
„Aller Anfang ist schwer“ – diese Weisheit hat
sich auch bewahrheitet. Ich hatte bereits in der
Einarbeitungszeit Schwierigkeiten mit der Konzentration. Das Gefühl, überhaupt kein Gedächtnis zu haben und mit allem überfordert zu sein,
war stark. Doch schon nach 2 Wochen ging die
Arbeit leicht von der Hand, ich konnte meine
Schichten ganz alleine bewältigen – und es fing
an, richtig Spaß zu machen.
Inzwischen sind schon 2 Monate rum. Und ich
fühle mich ein wenig wie ein „alter Hase“ bei
meiner Arbeit. Es läuft gut und ich glaube die
Chefin ist auch zufrieden mit mir. Nie hätte ich
geglaubt, dass ich noch mal so gut Fuß fassen
kann. Ich war sehr pessimistisch, traute mir
nichts zu und hatte Angst. Aber all diese Gefühle sind inzwischen ins Gegenteil umgekehrt.
Ich weiß, dass ich es schaffe, ich weiß, dass ich
es kann und ich bin mir sicher, dass ich durchhalten kann.
Es ist ein großer Schritt gewesen und ich wünsche allen GpZ-lern, dass sie irgendwann mal
genauso erfolgreich wie ich das Leben „da draußen“ meistern werden.
Goldene Fäden
blitzen hindurch
Es trägt uns beide
ein Stücken unseres
Weges voran
Lass sie weiter
sich Umwinden
wie
in einem luftigen
Tänzchen
Kasandra Febr. 96
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
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wie
Ausgleichsabgabe
Solange Arbeitgeber die vorgeschriebene Zahl von
schwerbehinderten Menschen nicht beschäftigen
(Beschäftigungspflicht, § 71 SGB IX), haben sie für
jeden unbesetzten Pflichtplatz eine Ausgleichsabgabe zu entrichten (§ 77 Abs. 1 Satz 1 SGB IX).
Die Höhe der Ausgleichsabgabe beträgt je Monat und unbesetztem Pflichtplatz:
• 105 Euro bei einer Beschäftigungsquote von
3% bis weniger als 5%
• 180 Euro bei einer Beschäftigungsquote von
2% bis weniger als 3%
• 260 Euro bei einer Beschäftigungsquote von
weniger als 2%
Erleichterungen für kleinere Betriebe und Dienststellen:
Arbeitgeber mit
• jahresdurchschnittlich weniger als 40 Arbeitsplätzen müssen einen schwerbehinderten Menschen beschäftigen; sie zahlen je
Monat 105 Euro, wenn sie diesen Pflichtplatz
nicht besetzen;
• jahresdurchschnittlich weniger als 60 Arbeitsplätzen müssen 2 Pflichtplätze besetzen; sie zahlen 105 Euro, wenn sie weniger
als 2 Pflichtarbeitsplätze besetzen, und 180
Euro, wenn weniger als 1 Pflichtarbeitsplatz
besetzt ist.
Erhebung der Ausgleichsabgabe: Zuständig ist
das Integrationsamt (§ 102 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX),
ebenso für die Verwendung. Ausgenommen davon sind bestimmte Verwendungen
• im Rahmen des Ausgleichsfonds, für den das
Bundesministerium für Arbeit und Soziales
zuständig ist, und
• zur Förderung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen, die von den Agenturen für Arbeit wahrgenommen wird (§ 104 Abs. 1 Nr.
3 SGB IX i.V. m. SGB III).
Die Verpflichtung zur Zahlung einer Ausgleichsabgabe gilt sowohl für die privaten Arbeitgeber
als auch für die Arbeitgeber der öffentlichen
Hand. Das Gesetz berücksichtigt nicht, aus welchen Gründen der Arbeitgeber seiner Beschäftigungspflicht nicht nachgekommen ist, ob er
daran ein Verschulden trägt oder nicht. Dieser
kann sich also z. B. nicht darauf berufen, dass
ihm die Agentur für Arbeit keinen schwerbehinderten Mitarbeiter vermitteln konnte. Folglich
gibt es auch nach dem Gesetz keine Möglichkeit
zum Erlass oder zur Ermäßigung der Ausgleichs-
Foto: pixelio - duxschulz
abgabe. Das gesetzgeberische Motiv für diese
Regelung ist, dass jeder Arbeitgeber verpflichtet
sein soll, einen Beitrag zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben zu leisten.
Primär soll er dies dadurch tun, dass er einen bestimmten Prozentsatz seiner Arbeitsplätze für die
Beschäftigung schwerbehinderter Menschen zur
Verfügung stellt, in zweiter Linie dadurch, dass
er als Ausgleich einen bestimmten Geldbetrag
zur Förderung der Teilhabe schwerbehinderter
Menschen leistet. Die Zahlung der Ausgleichsabgabe ist dabei jedoch kein Ersatz für die Erfüllung
der Beschäftigungspflicht, worauf in § 77 Abs.
1 Satz 2 SGB IX ausdrücklich hingewiesen wird.
Die Ausgleichsabgabe soll in erster Linie einen
kostenmäßigen Ausgleich gegenüber den Arbeitgebern schaffen, die ihre Beschäftigungspflicht
erfüllen und denen daraus, z. B. durch den gesetzlichen Zusatzurlaub und die behinderungsgerechte
Ausstattung des Arbeitsplatzes mit technischen
Arbeitshilfen, erhöhte Kosten entstehen (sog.
Ausgleichsfunktion).Darüber hinaus soll die Ausgleichsabgabe Arbeitgeber anhalten, ihre Beschäftigungspflicht zu erfüllen (sog. Antriebsfunktion).
Die vom Arbeitgeber selbst zu errechnende Ausgleichsabgabe ist in einer Summe bis spätestens
31.03. für das vorangegangene Jahr an das Integrationsamt zu entrichten.
Foto: pixelio - M. Gro-mann
Die Ausgleichsabgabe ist aufgrund einer jahresdurchschnittlichen Beschäftigungsquote zu ermitteln (§ 77 Abs. 1 Satz 3 SGB IX).
Anrechnung von Aufträgen
an Werkstätten für behinderte
Menschen
Arbeitgeber, die zur Ausgleichsabgabe verpflichtet sind, können ihre Zahlungspflicht ganz
oder teilweise auch dadurch erfüllen, dass sie
anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen oder Blindenwerkstätten Aufträge erteilen. 50% der in den Aufträgen enthaltenen
Arbeitsleistung kann an der zu zahlenden Ausgleichsabgabe abgesetzt werden (§ 140 SGB
IX). Die Höhe der Arbeitsleistung und das Vorliegen der Anrechnungsvoraussetzungen werden auf jeder Rechnung von der Werkstatt ausgewiesen. Die Anrechnung kann nur innerhalb
des Jahres erfolgen, in dem die Verpflichtung
zur Zahlung der Ausgleichsabgabe entsteht.
Da Aufträge zum Teil erst im Folgejahr in Rechnung gestellt und bezahlt werden, werden
auch noch die bis zum 31.03. des Folgejahres
beglichenen Beträge berücksichtigt. Nicht vorsteuerabzugsberechtigte Arbeitgeber können
die Arbeitsleistung um den Mehrwertsteuersatz erhöhen.
Das aktuelle Werkstättenverzeichnis der anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen
mit ihrem Fertigungsprogramm sowie der Blindenwerkstätten findet sich im Internet unter
www.arbeitsagentur.de (Suchbegriff: Werkstättenverzeichnis) oder unter www.rehadat.de (Datenbank: Werkstätten).
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wie
Borderline
Wenn Grenzen verschwimmen
Borderline - Persönlichkeitsstörung (abgekürzt
BPS) oder emotional instabile Persönlichkeitsstörung ist die Bezeichnung für eine Persönlichkeitsstörung, die durch Impulsivität, schwarz-weißDenken und Instabilität in zwischenmenschlichen
Beziehungen, Stimmung und Selbstbild gekennzeichnet ist.
Bei einer solchen Störung sind bestimmte Bereiche von Gefühlen, des Denkens und des Handelns beeinträchtigt, was sich durch negatives
und teilweise widersprüchliches wirkendes Verhalten in zwischenmenschlichen Beziehungen sowie im gestörten Verhältnis zu sich selbst äußert.
Fotograf: Ralf Stockmann
Verlauf
Über den Langzeitverlauf und die Folgen der BPS
konnte bisher nur wenig in Erfahrung gebracht
werden. Ein möglicher Grund dafür könnte sein,
dass die aktuelle Definition der BPS erst seit 1980
gibt. Ein besonderes Problem stellen außerdem
die häufigen und verschiedenen Komorbiditäten
(zur Grunderkrankung zusätzliche Erkrankungen)
dar, welche die Verläufe negativ beeinflussen.
Weibliche BPS-Patienten zeigten im mittelfristigen Verlauf eine geringere Symptomatik, dabei aber wesentlich stärkere kurzfristige Durchbrüche. Langfristig, so um die 20 Jahre, war der
Zustand schlechter als bei Beginn der Aufzeich-
Klassifizierung nach DSM-IV
Im DSM-IV, dem Klassifikationssystem der
American Psychiatric Association, wird die
Borderline - Persönlichkeitsstörung definiert:
Ein tiefgreifendes Muster von Instabilität in den zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten
sowie deutliche Impulsivität. Der Beginn
liegt oftmals im frühen Erwachsenenalter
bzw. in der Pubertät und manifestiert sich
in verschiedenen Lebensbereichen.
bis ins hohe Alter verfolgen. Daher gibt es kein
gesichertes Wissen zu diesem Punkt.
Ursachen
Es gibt viele verschiedene Theorien wie BPS entsteht. Und es gibt genauso viele Faktoren die in
Betracht gezogen werden. Die meisten Wissenschaftler gehen davon aus, dass mehrere Faktoren zur Entstehung beitragen. Mögliche Faktoren wären z. B. die genetische Veranlagung,
inwieweit aber Persöhnlichkeitsmerkmale vererbt werden bleibt offen.
Weiter zählen Umwelteinflüsse zu den möglichen
Faktoren. Man ist sich sicher, dass wesentliche
Grundsteine der BPS schon in der frühen Kindheit gelegt werden. Ungünstige Umweltbedingungen im Kindesalter wie sexueller Missbrauch,
Vernachlässigung und Gewalterfahrungen tragen zur Entwicklung der Borderline-Persönlichkeitsstörung bei.
Als besonders typisch für das Entstehen einer
BPS werden zwei Typen von Familien gesehen,
wobei es auch Mischformen gibt: Zum einen
so genannte „chaotisch-instabile Familien“ und
zum anderen „vernachlässigende und emotional
missbrauchende Familien“.
Chaotisch-instabile Familien sind geprägt durch
ständige Ehekrisen und Streite innerhalb der Familie, impulsive Szenarios, Alkohol oder Sucht
und Kinder als Sündenbock. Der andere Familientyp ist geprägt durch Gefühlskälte gegenüber
dem Kind, Demoralisierung, Vernachlässigung,
frühe Trennung der Eltern, lange Phasen des
Alleinseins und depressive Erkrankungen der Eltern. Einige Psychologen halten es für möglich,
dass sich unberechenbare Elternteile ähnlich
auswirken können wie emotionale Vernachlässigungen und Misshandlungen und so eine BPS in
der Entstehung fördern können.
Ein weiterer Punkt ist, dass BPS innerhalb von
Familien gehäuft vorkommen, weshalb manche
Forscher vermuten, dass sich die Symptomatiken
durch das Verhalten übertragen könnten. Demnach können sich die Impulse von Eltern mit BPS
negativ auf ihre Kinder auswirken, die dadurch
ähnliche Schäden erleiden. Allerdings kann man
dabei nicht alle Eltern mit BPS in dieselbe Kategorie ordnen, da das Verhalten ihren Kindern
gegenüber von Familie zu Familie unterschiedlich ist. Und genau wie bei der Frage von genetischen Komponenten gibt es auch hierzu keine
soliden Erkenntnisse.
Betroffene berichten
nungen. Dies wird oft in Verbindung mit dem
Verlust von Angehörigen gebracht.
Die männlichen Patienten unterschieden sich
in zwei Dingen von den weiblichen. Die männlichen Teilnehmer verweigerten oft, gegen den
Ärztlichen Rat, weitere Behandlungen, und zweitens war ihr langfristiger Verlauf erstaunlich gut.
Insbesondere betraf das berufliche Karriere, Beziehungen, Ehe und gesellschaftliche Aktivität,
darüber hinaus entwickelten sie individuelle Unterstützungssysteme für sich.
Allerdings sind diese Ergebnisse nicht allgemeingültig. Als Faktoren, die das Ergebnis beeinflussen, wird angegeben, dass die BPS bei den
männlichen Patienten zwar gleich schwer waren,
aber vermutlich nur bestimmte Typen männlicher
Patienten in die Studie aufgenommen wurden,
da männliche Betroffene z. B. eher im Gefängnis, aber seltener, in Kliniken landen. Außerdem
war die damalige gesellschaftliche Situation der
Frauen genau in solchen Punkten erschwert, die
sich auf die Kernproblematik der BPS auswirken,
wie z. B. gesellschaftlicher Zwang zur Heirat und
eine untergeordnete Rolle in Beziehungen.
Negativen Einfluss auf den Verlauf haben auch
inkonsequent behandelte Sucht, magische
Denkweise, schlechte Aggressionskontrolle,
schwere Komorbiditäten aber auch Armut und
körperliche Krankheit. Es gibt aber auch positive Faktoren wie z. B. starke Selbstdisziplin und
künstlerisches Talent.
Bei älteren Menschen sehen einige Psychologen
ähnliche Raten wie bei Jungen, wobei sich die
typischen Symptomatiken im Alter abschwächen
und sich zu unscheinbareren Problemen hin verlagern, bis hin zu schweren Depressionen. Bisher
liegen aber noch keine Langzeituntersuchungen
vor, welche die Entwicklung von BPS-Patienten
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Eine sichere Erkenntnis ist aber, dass es auch viele
Borderline-Betroffene gibt, die aus völlig intakten
Familien kommen und deren Eltern fürsorglich
und vorbildlich handeln.
Verhaltensmuster bei Borderline
BPS-Patienten weisen Denkmuster auf die man
als „schwarz-weiß“-Denken bezeichnet. Es fällt
Ihnen schwer, von emotional bedeutenden Menschen eine konstante Vorstellung zu behalten.
Auch das Selbstbild wechselt zwischen Minderwertigkeit und „Größenwahn“. BPS-Betroffene
sind aber auch in der Lage „normal“ zu denken.
In ganz schweren Fällen tritt das sogenannte
„magische Denken“ auf. Hier glaubt die Person dass durch Ihre Gedanken, Handlungen und
Worte bestimmte Ereignisse hervorrufen oder
verhindern können.
Im Umgang mit anderen Menschen fällt es den
Betroffenen schwer Nähe und Distanz zu kontrollieren. So kann es dann auch passieren dass
der Betroffene unbewusst jemanden kränkt, was
dann auch als eine Form von Autoaggression angesehen werden kann.
Betroffene leiden aber auch allgemein unter
stark ausgeprägten Ängsten, die sich auf jeden
Inhalt beziehen können. Die Ängste sind nicht
immer durchgängig vorhanden. Und es gibt verschiedenste Arten dieser Gefühle. Es können
generalisierte Ängste sein, aber auch isolierte
Fachleute berichten
Die BPS wird sehr häufig von weiteren Belastungen begleitet, darunter die sog. „Unterbrechung der normalen Funktionen des Bewusstseins“, z.B. Verlust an wichtige Erinnerungen.
Begleitend hinzu kommen Depressionen sowie
verschiedene Formen von selbstverletzendem
Verhalten (SVV). Die Störung tritt häufig zusammen mit anderen Persönlichkeitsstörungen auf.
Die Bezeichnung Borderline bedeutet so viel
wie „Grenzlinie“ bzw. grenzwertig. Ein Grund
könnte in der Ansiedlung der Störung, nämlich
im Grenzbereich zwischen den neurotischen
Störungen (z.B. unbewusste Konflikte) und den
psychotischen Störungen (z.B. zeitweiliger Verlust des Realitätsbezugs) sein. Es lassen sich Symptome aus beiden Bereichen identifizieren. Seit
den Arbeiten von Otto F. Kernberg ist der Begriff keine „Verlegenheitsdiagnose“ mehr, sondern als ein eigenes Krankheitsbild anerkannt.
Manche Wissenschaftler fordern dennoch die
Aufgabe des Begriffs, da er eigentlich keine Persönlichkeitsstörung, sondern in der Gesamtheit
der Diagnosen nur die Probleme bezeichne. Die
Frage der Einordnung ist ein zentrales Thema, zu
dem es, ebenso wie zur Frage der Ursachen, bisher keine gemeinsame Meinung gibt.
Nach verschiedenen Angaben sind ein bis zwei
Prozent der Menschen betroffen, manche Autoren und Psychologen schätzen die Zahlen geringfügig höher. Dabei variieren die Schweregrade,
was eine genaue Angabe der Häufigkeit unscharf macht.
Die BPS wird zu 70 bis 75 Prozent bei weiblichen
Patienten diagnostiziert. Die hohe Zahl der weiblichen Patienten könnte daran liegen das männliche Patienten gegen den Ärztlichen Rat weitere
Behandlungen ablehnen.
Borderline
Nichtbetroffene berichten
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
20 |
Borderline
Nichtbetroffene berichten
bestimmten Fällen werden die Herkunftsfamilie
und/oder die aktuelle Kernfamilie des Patienten
einbezogen. Darüber hinaus kann auch eine begleitende Familientherapie die Einzeltherapie unterstützen, gleiches gilt für Paartherapien.
Medikation
Pharmakologische Behandlungen bei der BPS
orientieren sich vorrangig an den einzelnen Symptomen, die für Beschwerden sorgen. Dabei gibt
es eine relativ große Bandbreite an Mitteln, die
zur Verfügung stehen, wobei Antidepressiva am
häufigsten eingesetzt werden.
BPS-Patienten mit scheinbar gleichen oder ähnlichen
Beschwerden reagieren sehr unterschiedlich auf die
einzelnen Medikamente. Eine häufige Nebenwirkung von Neuroleptika ist Gewichtszunahme.
Zum Schluss lässt sich sagen, es ist ein junges
Thema, eine junge Krankheit. Viele Fragen sind
noch offen und ungeklärt. Sicher ist aber, dass
Borderline nichts ist, wogegen man nichts tun
kann. Das Schlimmste ist nichts tun.
Interview mit dem Psychologischen Dienst zum Thema Borderline
Angstanfälle (z. B. Panikattacken) sowie diverse
phobische Störungen.
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung wird oft
begleitet von selbstverletzendem Verhalten
(SVV) Es gibt verschiedene Arten von selbstverletzendem Verhalten, z.B. Ritzen, Blutabnehmen,
Quetschen, Brennen (Feuerzeug).
Gründe für körperliche Selbstverletzungen können sein, eine innere Spannung zu lösen, um
sich wieder spüren zu können (Betroffene verlieren manchmal ein normales Körpergefühl) oder
um Aufmerksamkeit zu erlangen. Die Gründe
können vielseitig sein. Da SVV nicht mit Selbstmordabsicht betrieben wird kann man sie von
der Suizidalität abgrenzen.
Suizide oder Suizidversuche können durch
schwere Depressionen, oder durch Verzweiflung
hervorgerufen werden, in bestimmten Situationen auch durch Kontrollverlust, wenn unkontrollierbare Gefühle ausgelöst wurden. Selbstmordgedanken können dazu dienen, um z. B. als
Rachephantasien starke Gefühle von Ohnmacht
oder Wut auszugleichen. Ein besorgtes Umfeld
kann dabei als Verstärker wirken und dieses Verhalten fördern.
Selbstmordraten lassen sich für Betroffene nicht
pauschal angeben, weil BPS häufig zusammen
mit anderen Persönlichkeitsstörungen auftritt.
Maßgeblich sind die individuellen Faktoren, mit
denen ein Betroffener konfrontiert ist. Eine besondere Rolle spielen dabei die schweren Depressionen, welche bei der BPS meist irgendwann
auftauchen, ferner auch schwere Suchterkrankungen.
Aus einer groß angelegten Langzeitstudie wurde
eine Suizidrate von 16 Prozent für BPS-Patienten
mit gleichzeitigen endogenen Depressionen ermittelt. Die Rate bei Patienten ohne endogene
Depressionen (ein relativ geringer Anteil der Betroffenen) liege nur bei etwa zwei Prozent.
Behandlung
Weit verbreitet und auch erfolgreich angewandt
wird die Dialektisch-behaviorale Therapie. Das
DBT basiert auf verhaltenstherapeutischen
Grundlagen, wobei hier auch viele Teile von anderen Therapiemöglichkeiten einfließen. Es ist
ein Programm speziell für Borderline-Patienten.
Die Therapie setzt darauf, dass der Betroffene
lernt seine Emotionen, Gefühle in Griff zu be-
Für unser Sonderheft haben wir 5 Fragen zum
Thema Borderline.
erfolgreichen Therapie gemildert werden. Vertreten Sie auch die Meinung?
Frage: Die bekannteste Therapieform bei Borderlinern ist die DBT (Dialektisch behavoriale
Therapie). Sie haben sich ja umfassend mir der
jüngsten Therapieform „Stepps“ befasst. Einige
Module ähneln sich, haben nur andere Bezeichnungen. Können Sie eine Aussage treffen, welche dieser Therapieformen Sie für die beste bei
der Behandlung der emotional instabilen Persönlichkeit vom Borderline-Typ halten?
Antwort: Nach der neueren Borderliner-Literatur
ist auch diese Persönlichkeitsstörung heilbar.
Antwort: Das Programm „Stepps“ ist „lediglich“ eine Ergänzung zu bestehenden Therapieformen. Mit der DBT hatte ich bisher nur am
Rande zu tun, so dass mir ein Vergleich schwer
fällt. Grundsätzlich ist zu erwähnen, dass eine
aktive inhaltliche Auseinandersetzung bei einer
psychischen Krankheit wichtig und gesundheitsfördernd ist.
Frage: Einige „Experten“ vertreten ja die Meinung, dass Borderliner nicht geheilt werden können, lediglich die Symptome können nach einer
Frage: Es wird gesagt, dass das Borderline-Syndrom sich im Alter „auswächst“, sich also die
Symptome von allein auflösen. Was ist Ihrer Meinung nach an dieser Aussage dran?
Antwort: Das kann ich schlecht beurteilen, so
viel Erfahrung habe ich noch nicht; beispielsweise eine Jahrzehnte währende Entwicklung einer
Borderline-Störung zu beobachten und die Veränderungen wahrzunehmen. Richtig ist, dass
bei guter therapeutischer Begleitung die Betroffenen zu einem annähernd normalem Leben finden können.
Frage: Zur Diagnose existiert so ein Fragebogen,
wie finden Sie es, dass viele Psychiater und Psychotherapeuten einfach diesen Fragebogen abarbeiten und dann ohne weitere Untersuchung dem Patienten den „Stempel“ „Borderline“ aufdrücken?
Betroffene berichten
kommen. Man versucht, eine Balance zu finden
zwischen „Akzeptanz der Störung„ und dem
„Drängen auf Veränderung“, aber auch zwischen dem strikten Einhalten von Grenzen und
Strukturen und auf anderer Seite dem flexiblen
Reagieren auf die jeweilige Situation. Darüber
hinaus nimmt man teil an weiteren therapeutischen Angeboten. So bekommt der Patient in
einem Angebot aufgezeigt, wie er bestimmte
Krisen besser überstehen kann, ohne auf alte
Verhaltensweisen zurückzugreifen müssen.
Weitere Ziele des DBT sind z.B. die innere Achtsamkeit, also der Umgang mit mir selbst, die
Stress-Toleranz, also wie man mit der inneren
Anspannung umgeht, die Emotionsregulation,
also der Umgang mit den Gefühlen, und die zwischenmenschlichen Beziehungen, also die Balance zwischen Nähe und Distanz.
Persönlichkeitsstörungen stellen sich in der Interaktion dar und greifen in die Familiendynamik.
Innere Konflikte eines Patienten können stark
mit den familiären Prozessen wechselwirken. In
Fachleute berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
Fotograf: Uwe Appelberg
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Nichtbetroffene berichten
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Antwort: Beides Verhalten ist aggressiv, einmal
gegen sich selbst, das andere Mal gegen andere. Was aus der Forschung belegt ist, ist, dass
einer Aggression mit hoher Wahrscheinlichkeit
eine Frustration vorausgegangen ist. Also werden beide Verhaltenstypen von ihrer Aggression
frustriert. Das Erforschen, was einen frustriert
bzw. was für eine Frustrationstoleranz man besitzt, können zielführende Schritte zu weniger
Aggression sein. Meist ärgert man sich über sich
selber und sein Unvermögen. Eine Schwäche
sollte man aber immer als Beginn einer Veränderung zum Besseren hin sehen. Das geht nur
durch Übung.
Die Borderline Persönlichkeitsstörung tritt
zumeist bei Mädchen und Frauen auf.
Überwiegend schon in jungen Jahren sind
bei den Betroffenen erste Anzeichen dieser
Erkrankung zu bemerken.
Der prozentuale Anteil der an der Borderline
Störung Erkrankter im Verhältnis zur
Gesamtbevölkerung Deutschlands liegt bei
circa 1,5%.
Quelle: www.neurologen-und-psychiater-im-netz.de
Ich wurde gebeten etwas über mein Leben mit
der Borderline-Störung auf Papier zu bringen. Ich
habe lange um einen Anfang gehadert und dann
beschlossen normal anzufangen.
Ich wurde geboren und wuchs in einer schwäbischen Kleinstadt auf. Ich lernte schon früh
dass man der Gesellschaft nicht vertrauen kann.
Seitdem ich denken kann, war es mir nicht
möglich mich zu integrieren. Und irgendwann
habe ich es aufgegeben. Ich war ein ziemlicher
Einzelgänger. Dann passierte etwas Schlimmes
für mich. Als ich zwölf Jahre alt war, starb mein
Vater nach kurzer schwerer Krankheit. Ich hatte
in der Familie keinen der für mich da war. Wir
sprachen nicht darüber. Ich erlebte irgendwann
den Alltag wieder, ohne dass der Schmerz richtig aufhörte. Ich versuchte diesen Schmerz zu
bekämpfen, indem ich mir selber Schmerzen
zufügte. Das half dann auch kurzzeitig, doch
nie auf Dauer. Ich begann später eine Ausbildung. Es war nicht das, was ich wollte, aber
man erwartet von mir, dass ich einem Pflegeberuf nachgehe. Die Ausbildung verlief schwierig, inzwischen war ich nicht mehr in der Lage
meine Fehler zu sehen oder irgendetwas zu reflektieren. Während der Arbeit führte das Verhalten dazu, dass ich meine Stelle wieder verlor.
Gleichzeitig versuchte ich mein Abitur nachzuholen. Dort lernte ich meinen späteren Lebensgefährten kennen.
Das erste Mal seit Langem fühlte ich mich etwas
geborgen. Als ich erfuhr, dass er weiter weg ziehen wollte, brach für mich eine Welt zusammen.
Gleichzeitig merkte ich, dass es so nicht weiter
gehen kann. Ich wollte um jeden Preis die Beziehung aufrechterhalten. Ich nahm eine Stelle in
der Nähe meines Mannes an und begann eine
Therapie. Bis heute hat die Beziehung gehalten.
Sie ist die Schönste, aber auch die Schwierigste
in meinem Leben. Wir haben inzwischen zwei
Kinder und unser Leben ist nicht immer einfach.
Ich handle immer noch zeitweise sehr impulsiv.
Die Welt ist immer noch schwarz-weiß. Doch ich
weiß, dass es auch etwas Anderes gibt. Die Arbeit an mir ist sehr schwierig und manche Dinge
sind auch nicht leicht zu ertragen. Ich habe immer noch Phasen, in denen ich mir selber schade.
Doch es ist weniger geworden. Ich versuche eine
Zukunft zu sehen für mich und meine Familie.
Sicht eines Lebensgefährten
Borderliner“ können schwierig sein und sind
nicht immer leicht zu handhaben. Auf und ab in
den Launen, Wutausbrüche wegen Kleinigkeiten.
Als Lebensgefährte, Freund oder Bekannter steht
man oft hilflos daneben und weiß nicht was man
tun soll. Doch mit einigen Hilfestellungen und
Tipps, die nicht immer einfach sind, kann man
das Zusammenleben einfacher gestalten.
Bei der Kommunikation gilt es, feste Grenzen zu
ziehen, also sich nicht mit den Gefühlen mitreissen zu lassen. Es ist in diesem Moment besser,
denjenigen dahin zu ermutigen, die eigenen Interessen zu verfolgen. Wichtig ist auch, dass man
keine Verantwortung übernimmt. Ein Verantwortlich-Fühlen oder den Versuch, den „Borderliner“ zu beschützen, oder gar zu verändern, hilft
Niemandem, kann sogar einen negativen Einfluss
haben. Man sollte auch für Sicherheit sorgen,
droht sich die Lebensgefährtin zu verletzen. Man
sollte ruhig und sachlich erklären, das so ein Verhalten, also das Verletzen, Konsequenzen hat,
also z.B. die Polizei rufen. Widersprüchliches Verhalten sollte man gleich klären. Der „Borderliner“
soll die „Verantwortung“ übernehmen und die
Situation klären. Hilfreich kann auch sein, sich auf
die bestimmte Situation vorzubereiten. Um es zu
verbildlichen, man liest das Drehbuch vor, bevor
der eigentliche Auftritt stattfindet.
Dies ist ein möglicher Weg, jedoch sind „Borderliner“ in ihrem Verhalten unterschiedlich. Deshalb ist es wichtig sich zu informieren.
Hilfreiche Links und Quellen zum Nachlesen
www.borderline.at, www.borderline-angehoerige.de
www.borderline-selbsthilfe.de
Erfahrungsbericht Borderline
In dem Buch „Ich hasse dich, verlass mich nicht“
von Jerold Kreismann und Hal Straus steht im Vorwort, dass zur Borderline-Störung eine Verbindung
mit den psychischen Störungen: Bulimie, Anorexie, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Depression
oder Suizidgefahr hergestellt werden kann.
Ich weiß nicht mehr so genau, wann bei mir die
ersten Symptome einer Borderline-Störung auffällig wurden, auf jeden Fall kann ich sagen, dass
bei mir schon früh magersüchtiges Verhalten zu
erkennen war, es aber von meiner Familie nicht
wahrgenommen wurde. Sie wollten sich damit
nicht befassen, da sie sonst einsehen mussten,
dass in unserer Familie etwas nicht stimmt.
Selbstverletzungen gab es ebenfalls schon in der
frühen Jugend, aber nicht so mit Ritzen und so
wie jetzt, sondern es waren mehr Unfälle, wie
Fahrradstürze, Finger einklemmen, auf die Finger beißen, Verbrennungen und Aufkratzen der
Handrücken.
Das Ritzen entwickelte sich erst, als ich allein
wohnte. Ich brauchte dann keine Angst mehr
vor Entdeckung haben. Ich zog auch immer
langärmlige T-Shirts an. Wenn jemand fragte,
ob ich denn nicht schwitzen würde, sagte ich
nein. Es stimmt ja auch, denn meine Magersucht
führte auch dazu, dass ich immer fror, also auch
im Sommer.
Weiters auffälliges Verhalten war, dass ich fast
keine Freundschaften längere Zeit aufrechterhalten konnte. Bevor ich verlassen werden konnte,
was manchmal meine größte Befürchtung war,
verließ ich die Personen. So konnte mir keiner
wehtun. Das führte aber zu einer gewissen Isolation und meine „Wahrheit“ bestätigte sich, dass
ich ja ein so schlechter Mensch bin, dass es keiner lange bei mir aushält. Es gibt aber dennoch
Freundschaften, die all das ausgehalten haben,
und die aus dem „Sandkasten“ heraus bis heute
bestehen. Durch diese Menschen wird mir signalisiert, dass, wenn ich mal down bin, ich trotzdem ein wertvoller Mensch bin, den man auch
gern haben kann.
Eine Freundin berichtet
Frage an eine Freundin: „Weißt du noch, wie das
für dich war, als du erkennen musstest, dass ich
mich selbst verletze?“
„Ja, ich weiß noch genau, wie das für mich war,
als ich doch mal deine Narben sah, obwohl du
immer versucht hast, die zu verstecken. Bei mir
tauchte eine große Verunsicherung auf, ob ich
dich darauf ansprechen soll oder lieber doch
nicht. Erst dachte ich an eine normale Verletzung,
kann ja mal passieren, aber wenn das immer wieder mal sichtbar wird, und sei es auch nur durch
einen Verband, ist das doch schon merkwürdig.
Was würdest du als Betroffene machen, wenn
du so etwas bei Anderen sehen würdest?
„………………….mmmmmhhhh, gar nicht so
einfach die Frage, echt. Aber es bleibt immer
noch die Hoffnung, dass die Wunden heilen und
keine neuen wieder auftauchen.“
Betroffene berichten
Frage: Es gibt ja Borderliner, die sich selbst
verletzen – SVV (selbstverletzendes Verhalten)
nennt man das, und dann welche, die andere angreifen. Gibt es da auch eine andere Bezeichnung dafür, und ähneln sich die Therapien?
Mein Leben mit der BoderlineStörung
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Fachleute berichten
Antwort: Im DSM-IV sowie im ICD-10 (Das sind
beides Diagnoseschlüssel) sind die Kriterien zur
Stellung einer Diagnose verzeichnet. Im DSM-IV
müssen 5 von 9 Aussagen treffend sein, um die
Diagnose zu stellen. Weiterhin muss festgestellt
werden, ob die Störung das ganze Leben schon
besteht - die Bedingung für jede Persönlichkeitsstörung. Erfahrene Kliniken werden sich nicht
nur auf den Fragebogen verlassen, sondern biografische Daten aufnehmen, die die Diagnose
bestätigen.
Borderline
Nichtbetroffene berichten
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
24 |
Fachleute berichten
Betroffene berichten
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Bipolare Störung
wie
Betreutes Wohnen
Bildquelle: www.pixelio.de
Betreutes Wohnen
Betreutes Wohnen und betreute Wohngemeinschaft gibt es im Bereich alter Menschen,
Behinderter, psychisch Kranker und Jugendliche.
Voraussetzung:
man muss einen Betreuungsbedarf haben.
Nichtbetroffene berichten
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Procedere:
Man sucht sich einen Träger für betreutes
Wohnen. In Überlingen sind das für psychisch
Kranke u.a. die Pauline 13 e.V., die VianneyGesellschaft e.V. als Träger des Vianney-Hospitals und die Diakonie. Gemeinsam wird ein
Hilfeplan, der so genannte IBRP (Integrierter
Behandlungs- und Rehabilitationsplan) erstellt.
Dieser wird beim Landratsamt eingereicht. Es
gibt dann eine Hilfeplankonferenz, die einmal
im Monat stattfindet. In der Hilfeplankonferenz, an der sämtliche Leistungserbringer und
der Landkreis als Leistungsträger der Eingliederungshilfe teilnehmen, werden die bestimmten
Hilfen festgelegt. Niemand darf Leistungen
erbringen ohne Beschluss der Hilfeplankonferenz.
Rechtsgrundlage:
Rechtsgrundlage ist das Sozialgesetzbuch IX
(SGB IX) (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen) § 55 Abs.2 Nr. 6. Dort werden
im Rahmen der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (Eingliederungshilfe) für Menschen
mit Behinderung und psychisch Kranke „Hilfen
zum Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten“
als Leistungen genannt. Es können sich daraus Ansprüche auf Sozialleistung im Rahmen
der Eingliederungshilfe (SGB XII) ergeben, das
wird betreutes Wohnen genannt. Darunter
fallen ambulante Beratungsleistungen und
soziale Dienstleistungen. Betreutes Wohnen
bzw. die betreute Wohngemeinschaft sind
Wohnformen, in denen die Bedürftigen von
Sozialarbeitern, Psychologen, Erziehern, Heilerziehungspflegern, Therapeuten oder besonders psychologisch geschulten Pflegekräften
bei der Unterstützung zur Bewältigung der
individuellen Probleme betreut werden. Es soll
die größtmögliche Autonomie angestrebt werden.
Ambulant Betreutes Wohnen
Ziele des betreuten Wohnens in der Einzelwohnung oder WG:
Selbstbestimmtheit und die freie Wahl der
Wohnmöglichkeit. Besonderes Ziel ist es, den
Betroffenen so wenig Verantwortung wie nötig
abzunehmen und sie dahingehend zu fördern,
ihr Leben selbstständig zu führen. Bei psychisch
Kranken wird angestrebt, ihnen ein Leben außerhalb der Betreuung zu ermöglichen und Hilfestellung zu gewähren, sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern und den häuslichen Alltag
zu bewältigen, auch einen Beruf zu finden, bzw.
sie in einer beruflichen Eingliederung zu unterstützen.
Meine persönlichen Erfahrungen in einer Betreuten WG
Quelle: Wikipedia.de ; Pflege-Deutschland.de,; ABW
Interview
Sie kommen ja aus der Pflege. Warum haben Sie sich dann für etwas ganz anderes
entschieden, nämlich die Arbeit mit überwiegend psychisch Kranken?
Ich finde nicht, dass die Arbeit mit psychisch
Kranken im betreuten Wohnen so sehr anders
ist, als die Arbeit in der Pflege. Es ist aber doch
ein erweiterter Bereich.
Das genau hat mich auch daran gereizt. Im
Pflegealltag läuft vieles routinemäßig ab. Der
Mensch steht nicht immer im Mittelpunkt.
Ich wohne seit über einem Jahr in einer betreuten Wohngemeinschaft. Meine Betreuerin,
eine Sozialarbeiterin, kommt einmal in der Woche für mindestens eine Stunde zu mir und bespricht mit mir Probleme des täglichen Lebens.
Sie unterstützt mich darin, wieder beruflich Fuß
zu fassen, redet mit mir über meine Krankheit
oder geht einfach auch mal nur mit mir zum
Kaffeetrinken.
Bevor sie kommt, werde ich aktiv, räume mein
Zimmer gründlich auf und putze intensiv, denn
die Treffen finden in meinem Zimmer statt, da die
Betreuerin auch sehen will, wie die Alltagsbewältigung geschafft wird. Sie schimpft aber nicht,
Haben sich Ihre Vorstellungen erfüllt?
Über zu viel Routine im Arbeitsalltag kann ich
mich nicht mehr beschweren. Manches ist komplizierter, als von mir erwartet.
Sie haben es doch auch mit schwer psychisch
und auch seelisch behinderten Menschen zu
tun, manche sind doch bestimmt auch in beiden Bereichen betroffen. Frage: Machen Sie
auch so Supervision, so wie es die Psychotherapeuten zum Beispiel tun?
Zur Zeit ja. Dort finde ich z.B. heraus, wo noch
mehr Distanz nötig ist, oder was alles gut ist,
was ich mache, um es noch bewusster anzuwenden.
wenn es doch ein wenig durcheinander ist, dann
sieht sie gleich den Hilfebedarf. Ich habe sie aber
auch schon in unserem ehemaligen „Wohnzimmer“ empfangen, wenn das Zimmer mein inneres Chaos widerspiegelte.
Einmal in der Woche findet das so genannte
„Haustreffen“ mit allen Bewohnern statt. Es ist
nicht immer leicht, alle WG-Bewohner unter einen Hut zu bringen und daher kann es auch sein,
dass ein Bewohner fehlt, dafür wird jedes Mal
über die besprochenen Themen ein Protokoll angefertigt.
Anfangs fiel es mir schwer, mich anzupassen
und eine Gemeinschaft mit den anderen zu bil-
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
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den. Dazu kam, dass ich, bevor ich einzog, nicht
wusste, auf wen ich mich einlassen musste, da
ich von Hessen direkt das Betreute Wohnen in
dieser WG angestrebt habe. Erst kurz vor dem
Einzug in die WG wurde das Betreute Wohnen
weiter genehmigt.
Ich war die Erste, die in das Haus in Überlingen
einzog, gleich eine Woche später zog die nächste
„Bewohnerin“ auf meiner Etage ein. Ich hatte
Glück und wir verstanden uns. Die gemeinsame
Benutzung der Gemeinschaftsräume machte keine Probleme. Weitere Berührungspunkte gab es
allerdings nicht. Wir respektieren uns und gehen
höflich miteinander um.
Das Erdgeschoss war noch frei. Dort zogen
etwas später zwei weitere Frauen zur Probe
ein. Sie verstanden sich allerdings nicht, und
ein gemeinsames Miteinander zwischen den
beiden war nicht möglich. Also zog eine Frau
wieder aus, die andere blieb. Es gab zwischen
uns dreien so etwas wie ein freundschaftliches
Verhältnis, was allerdings nicht lange hielt. Es
gab Konflikte, und das Zusammenleben wurde
sehr problematisch. Ich zog mich immer mehr
zurück und versuchte, zu der Bewohnerin im
Erdgeschoss keine Berührungspunkte herzustellen. Es gab viele Konfliktgespräche mit
meiner Betreuerin, aber keine gemeinsamen
klärenden Gespräche zwischen uns Kontrahenten, weil wir beide es nicht wollten oder
nicht in der Lage waren, uns gegenüberzustehen. Dies war auch der Zeitpunkt, wo ich wie-
| 29
der mit einer Therapie angefangen habe. Ein
weiterer Versuch, im Erdgeschoss eine neue
Mitbewohnerin einzugliedern, ging schon
nach einer Woche schief.
Dafür zog bei uns oben eine neue Mitbewohnerin ein. Meine Angst, es würde zu eng, war
unbegründet. Erstens, weil diese am Wochenende nicht da war und zweitens, diese nicht viel
„Raum“ in Anspruch nahm. Ich kann sagen,
wir sind befreundet. Wir kochten zusammen,
spielten auch mal und eine war für die andere
da. Leider blieb sie nicht lange, was aber nichts
mit der WG zu tun hatte.
Was ich nicht so gut finde, dass in meinem Mietvertrag steht, dass ich ausziehen muss, wenn ich
keine Betreuung mehr in Anspruch nehme. Egal
aus welchem Grund. Ob nun der Kostenträger
beurteilt, dass ich keine Betreuung mehr benötige oder ich sage, ich komme jetzt ohne diese
Hilfe aus.
Fazit: Das Leben in einer betreuten Wohngemeinschaft ist nicht immer einfach, man muss
sich einlassen können. Konflikte auszutragen
und auszuhalten, ist nicht immer leicht. Man
kann sich nicht so leicht aus dem Weg gehen.
Manchmal muss man sich auch zusammenraufen. Es kann aber auch eine Bereicherung sein.
So habe ich gelernt, soziale Kontakte zu pflegen,
zu teilen und Rücksicht aufeinander zu nehmen.
Auch mal auf mein Recht zu verzichten. Und ich
habe wieder gelernt, wie es ist, Freundschaft auf
engem Raum auszuhalten.
Bildquelle: www.pixelio.de
Betroffene berichten
30 |
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wie
Bipolare Störung
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Bildquelle: Anonym
Wenn das Gehirn Achterbahn
fährt
Das Leben zwischen Manie und Depression
Jeder Mensch kennt es: Schwankungen der
Gefühle. Manchmal ist die Stimmung gut,
manchmal eher schlecht. Menschen mit bipolaren Störungen leben jedoch mit extremen
Emotionen. Zwischen Manie und Depression
ist ein geregeltes Leben kaum möglich. Für den
Erkrankten besteht ein zwanzigfach erhöhtes
Suizidrisiko im Vergleich zur Normalbevölkerung.
Auch wenn einem bei diesem Thema als erstes
„himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt“
einfällt, so spiegelt dies zwar dramatische Höhepunkte, aber nicht den typischen Verlauf
der Erkrankung wider. Diese ist in der Mehrzahl der Patienten eher durch sich oft lang hinziehende Depressionen oder eine beständige
Unausgeglichenheit der Stimmungslage charakterisiert.
Die typischen Symptome einer Manie sind Episoden unangemessen gehobener Stimmung,
Antriebssteigerung, beschleunigtes Denken,
Ideenflucht und Selbstüberschätzung. In der
Manie kommt es oft z.B. zu exzessivem Kaufrausch. Statt einer gehobenen Stimmung kann
auch ein impulsives, gereiztes und aggressives
Verhalten dominieren.
Eine weitere Form dieser Erkrankung ist die
Hypomanie. Dabei finden sich Symptome einer
Manie in geringerer Ausprägung.
Therapie:
Bei der Behandlung von Manien und bipolaren
Störungen kommen medikamentöse und psychotherapeutische Methoden zum Einsatz.
Im akuten manischen Schub sind derartige Behandlungsmethoden nicht indiziert. Zur „Krisenintervention“ gehört hier neben einer guten
Patientenführung die rasche Applikation eines
antimanisch wirksamen Medikamentes. Nach
Abklingen der Manie ist eine psychotherapeutische Begleitung des Patienten zur Aufarbeitung
des möglicherweise traumatisierenden Krankheitsverlaufes, zur Psychoedukation sowie zur
Erstellung eines Krisenplanes dringend indiziert.
Die Therapie einer Manie ist häufig schwierig, da
den betroffenen Patienten oftmals die Einsicht in
die Notwendigkeit der Therapie fehlt. Besonders
belastend für die erkrankten Patienten ist der
Umstand, dass sie sich wegen ihrer manischen
Entgleisungen sehr oft auch im Freundeskreis
und im familiären Umfeld Unverständnis und
Ablehnung gegenüber sehen. Im Gegensatz zur
nach außen gezeigten Überheblichkeit, Selbstsicherheit und (verbalen) Angriffslustigkeit sind
manische Patienten sehr kränkbar und ertragen
kaum Vorschriften oder Begrenzungen anderer
Art.
Medikamentöse Behandlung:
Zur Behandlung der akuten Manie werden folgende Substanzen eingesetzt:
• Lithium
• typische (klassische) Antipsychotika (Neuroleptika)
• Olanzapin als atypisches Neuroleptikum
Mein Leben als Verrückter
Stellungnahme eines Betroffenen
Zu beschreiben, wann eine Verrücktheit, eine klinisch wahrnehmbare Krankheit beginnt, ist gar
nicht so einfach. Wo fängt die Normalität an und
wo hört die Verrücktheit auf? Wer definiert, was
krank, was gesund ist? Sind wir nicht alle ein
bisschen „bluna“???
Bei mir wurde im Alter von ca. 26 Jahren von
meinem Bruder die Krankheitsdiagnose: Manisch-Depressiv, gestellt. Diese Diagnose wurde
von den Ärzten übernommen und seitdem befinde ich mich in dieser Schublade, zusammen
mit sehr interessanten Drogen, die mir kostenlos von der Krankenkasse zur Verfügung gestellt
werden. Seltsamerweise folgte bei mir die einzige Depression NACH der Manie. Ich gehöre zu
der kleinen Gruppe der Reinmaniker und sicherlich auch zu den Borderlinern. Den Ärzten ist das
egal, Hauptsache ne Diagnose und Pillen in den
Hals! Wer heilt...ist heute dumm (weniger Geld)
oder ein GUTER, ehrbarer Arzt!!!
Während meiner ganzen Kindheit und Jugend
war ich ein sehr zurückgezogenes Kerlchen,
kleinwüchsig und schüchtern, ganz besonders
gegenüber Frauen. Ich habe mich bemüht,
Freunde zu finden, doch die Aufnahmekriterien für einen „Freundeskreis“ in der Eifel sind:
Zäh wie Leder,… usw. Diesen Kriterien habe ich
nicht entsprochen, denn ich „war“ das typische
Weichei! Mensch kann sich natürlich vorstellen,
dass die so empfangenen negativen Energien,
Demütigungen und Schmerzen irgendwo „gespeichert“ werden. Die blauen Flecken, waren
nach einiger Zeit weg; doch in meiner Seele haben sich Dinge angesammelt, die über die Jahre
gesehen, sehr „groß“ wurden.
Nun kommt angeblich die genetische Veranlagung der Krankheit ins Spiel! Das Maß an seelischen Belastungen war und ist bei mir (Weichei!?) mehr als übervoll! Es war eine Frage der
Zeit, wann sich die sog. genetische Veranlagung
und seelische Überlastung vereinen zu einem
Zusammenbruch, der in eine „Krankheit“ mündet. Ich möchte an dieser Stelle erwähnen, dass
ich meine Krankheit als heilendes Fieber sehe,
welches meine Seele reinigen wird, je nachdem,
wie mein Umfeld mit mir agiert, und wie ich selber die Zeichen zu deuten weiß! Kernthema meiner Krankheit ist die gestörte Sexualität! Diese
wird von der Medizin ignoriert! Statt Pillen reinzuzwängen, sollte die Medizin zu einer befreienden Sexualität hinleiten! Das ist der Kern nicht
nur bei Manisch-Depressiven! Vor dieser Lösung
herrscht Angst in der Schulmedizin! Pillen, die
dick und impotent machen, werden leichtfertig
verschrieben. Therapien, die den Mut und das
Selbstwertgefühl stärken, kriegt Mensch nicht
oder nur selten bezahlt! Wer war schon mal bei
einer Sexualmedizinerin von Euch? Fazit: Die
richtige Lösung ist nicht erwünscht, denn dann
versiegt der Geldstrom aus Pharmadeals! Heilsame Sexualität kostet nix und bringt unendlich
Soeben habe ich versucht, mich mit der Thematik „Bipolare Störung“ auseinanderzusetzen.
Soweit ich das verstehe, ist die bipolare Störung
charakterisiert dadurch, dass die Betroffenen
selbst eine innere Grenze sind.
Die Grenzlinie zwischen zwei unterschiedlichen
Stimmungsextremen, nämlich dem „Himmelhoch-Jauchzenden“ und dem „Zu-Tode-Betrübten“.
Wechselhaft - manisch überdrehte und depressive Phasen.
Du lachst und du weinst, doch selten findest du
deine Balance.
Du taumelst zwischen überdrehtem Leichtsinn
und einem Meer von Tränen hin und her.
Riskant wird es, wenn du als Ausweg, in Manie
oder Depression, den Freitod wählst.
Loosing your mind by following shadows of fear.
Deep in your heart you suffer while your heart is
crying thousand of tears.
You are convinced that your sadness will never
end and you should fight against yourself and
your weakness inside.
Einige bedeutende Personen aus Kunst, Literatur und Geschichte waren scheinbar von einer bipolaren Störung betroffen: der niederländische Maler Vincent van Gogh (30.März
1853 bis 29. Juli 1890), bekannt durch seine
„Sonnenblumen“, der Autor Ernest Hemingway (21. Juli 1899 bis 2. Juli 1961) oder die
Schriftstellerin Virginia Woolf (25. Januar 1882
- 28. März 1942).
Indem ich einige Punkte aus der Biografie von
Virginia Woolf aufzähle, versuche ich, den
Begriff „bipolar“ verständlich zu machen:
Virginia wurde am 25. Januar 1882 unter dem
Namen Adeline Virginia Stephen als drittes Kind
des Biographen und Kritikers Leslie Stephen und
dessen Frau Julia (geb. Jackson, geschiedene
Ducksworth) in London geboren.
Beide Elternteile der jungen Virginia waren bereits verheiratet gewesen und im Kreis ihrer 8
Geschwister und Halbgeschwister hatte sie keine behütete Kindheit. Zumal sie als Kind sexuell
missbraucht wurde, wahrscheinlich von einem
ihrer Halbbrüder.
Sie besuchte keine Schule, doch der Zugang zur
großen Bibliothek ihres Vaters blieb ihr nicht verwehrt und früh äußerte sie den Wunsch, Schriftstellerin zu werden.
Der Tod ihrer Mutter am 05. Mai 1895 ließ sie
nervlich und physisch zusammenbrechen. Nachdem ihr Vater neun Jahre später an Krebs starb
brach sie erneut zusammen.
Doch im Laufe der Jahre verwirklicht sie ihren
Traum: sie gewann erhebliches Ansehen als
Autorin.
Betroffene berichten
Eine Manie, das ist der Kick!!!
Wenn ich in einer manischen Phase bin, dann
ist das so als hätte ich mir ‚ne Mehltüte voll
Kokain durch die Nase gezogen, darauf noch
2 Päckchen Speed und 2 Eier! Alles läuft glatt
(scheinbar?!), zig Gedankengangstränge werden gleichzeitig und auf verschiedenen Ebenen
bearbeitet und untereinander verknüpft!!! Die
Wahrnehmung erhöht sich ca. um den Faktor
40, jede Veränderung und sei sie noch so klein,
wird erfasst und in die aktiven, parallel laufenden Gedankenbildungsprozesse mit eingebaut. Ich habe wahrgenommen, dass ich anders
bin und ich bin stolz darauf! In dieser wirren
Welt zu schweigen, das halte ich für irre! Therapie? Gibt es ein Medikament gegen Wut und
Verzweiflung ob des Unrechts in der Welt? Gegen den brennenden Wunsch nach realistischer
Veränderung? Psychiatrie heute: Geldmache
und hilflose Ärzte die Hirne zerschnippeln, aber
den Zusammenhang Körper / Geist / Seele, vergessen mussten!
Zwei Seiten eines Ganzen
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Fachleute berichten
viel! Pharmapillen kosten viel und bringen relativ
wenig zielorientiertes! Mich einer engstirnigen,
klinischen Sicht der „Stoffwechselstörung“ hingeben und ein Leben lang als Schwerbehinderter
von der Gesellschaft „ertragen“ zu werden, bis
sie es sich vielleicht einmal anders überlegt, das
ist nicht meine Vorstellung von einem freien Leben!
Bipolare Störung
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Fachleute berichten
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Mein Fazit: Gute Ärzte und Therapeuten aufsuchen, selbst aktiv werden, Medikamente gut
auswählen als Übergangslösung, Eigenverantwortung, Krisenplan, Selbstdisziplin und viel Humor! Das Leben ist kein Ponyhof!
Auch die biploare Störung ist keine
seltene Krankheit. Es wird geschätzt das
circa 1-3% der Menschen in Deutschland
unter dieser Erkrankung leiden. Bei der
Krankheitshäufigkeit gibt es zwischen
Frauen und Männern keine nennenswerten
Unterschiede. Oft beginnt diese Erkrankung
schon in der Jugendzeit.
Quelle: www.neurologen-und-psychiater-im-netz.de
Foto: pixelio - wrw
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Burnout
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wie
Burnout
Fotograf: Andrè Reinders
Es begann mit einem guten Vorsatz
Das Burnout Symptom
und dessen Verlauf
In den Anfangsphasen ist ein erhöhtes Engagement für die Arbeit erkennbar. Der Betroffene
arbeitet ohne Pause und fühlt sich dadurch
Vollkommener und unersetzbar. Seinem Umfeld gegenüber ist er teilweise abweisend und
macht sich meist unbeliebt. Die eigenen Bedürfnisse sowie Erholungsphasen werden nicht
beachtet. Misserfolge werden verdrängt und
private Kontakte vernachlässigt. Körperliche
Folgen sind chronische Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, Schlafstörung, erhöhte Ablenkung durch Suchtmittel, Angstzustände sowie
Depressionen.
Dauern die Probleme über eine längere Zeit an,
kommt es zu einem Umkippen der Symptome.
Im privaten Bereich zieht sich der Betroffenen immer mehr zurück. Außerdem sind Unsicherheit
und Desorganisation keine Seltenheit. Die Leistungsfähigkeit nimmt ab sowie die Motivation
und Kreativität wird vermindert.
Im Endstadium des Burnouts quälten den Betroffenen vermehrt Existenzängste und die
Einstellung gegenüber seinem Leben und den
Mitmenschen ist oft negativ. Von einem anfänglichen Gefühl der Hilflosigkeit und Niedergeschlagenheit, kann es sich zu einer Depression verdichten. Auch kann darauf der Suizid
folgen, oder anderes selbstverletzendes Verhalten.
So was haben doch nur Versager
und Weicheier, oder?
Und ich!
Jetzt im Rückblick verstehe ich erst, wie es dazu
kommen konnte. Ich habe damals mitten im Leben nicht gemerkt, dass sich etwas aufbaut.
Ich bin jahrelang über meine Grenzen gegangen, vor allem beruflich. Ich wollte den Anforderungen entsprechen. Was ich in die Hand nahm
funktionierte meist schnell und gut. Ich war
emotional auch zu sehr involviert.
Zuhause ging es weiter, ich hatte ja gelernt, dass
man keine Zeit verplempert, weder mit Fernsehen noch mit anderen unnützen Dingen.
Dann führte mich mein Schicksal in Folge zu drei
sehr schwierigen Arbeitsplätzen, in denen Mobbing, also Demoralisierung eines Menschen zum
Tagesgeschehen gehörte. Beim Ersten ging es
hauptsächlich gegen eine andere Kollegin, bei
den anderen um mich. Ich wurde oft beschimpft,
konnte nichts recht machen, beschuldigt (auch
wenn ich nachweislich nicht da war). Sie wollten
mich um jeden Preis fertig machen. Auch ließen
sie Geld herumliegen, in der Hoffnung, dass ich
selbst einen Kündigungsgrund provoziere. So
dumm war ich aber nicht. Ich wehrte mich dagegen, was natürlich sinnlos war, ich war zum
Opfer erwählt.
Ich bekam auch von keiner Seite Unterstützung, nicht privat und auch nicht von meinem
Hausarzt. Sie meinten nur, wenn es mir zu viel
wird, soll ich mir einen anderen Arbeitsplatz
suchen. Es bauten sich bei mir Existenzängste
auf: „Was mache ich, wenn ich gekündigt werde? Wie geht es dann weiter?“ Selbst zu kündigen kam nicht in Frage, wegen der Sperrfrist
vom Arbeitsamt. Es gab keinen Ausweg. Meine Verzweiflung stieg, sie beherrschte mich.
Hinzu kamen nach und nach Schlafstörungen,
Vergesslichkeit, Minderwertigkeitsgefühle, Verspannungen der Muskulatur, verlangsamtes Reaktionsvermögen. Ich konnte mich nicht mehr
wehren, hatte keine Kraft mehr und war endlos
müde. Kurz vor dem Zusammenbruch erlebte
ich mich selbst in Zeitlupe, dann kamen endlose
Tränen. Als erstes reagierte meine Hausärztin.
Ab da aber zügig und konsequent. Ich kam in
Kur und lernte, dass es viele Menschen mit diesen Problemen gab. „So viele haben versagt?
Nein! Es versagt wohl eher die Gesellschaft mit
ihrer Profitgier und Habsucht!
Alle Luft raus! Akku leer und nicht wieder aufladbar! - Burn-Out!
Erfahrungsbericht eines Betroffenen
Seit etwas mehr als einem Jahr kann ich nun
nicht mehr arbeiten. Auf meinen körperlichen
und seelischen Zusammenbruch hin konnte ich
zuerst einmal eine medizinische Rehabilitation
antreten mit Hilfe des Hausarztes und auf Drängen der Familie sowie den eigenen Wunsch endlich wieder leistungsfähiger zu werden.
Die Diagnose lautet Depression. Eine psychosomatische Klinik sollte mir dabei helfen wieder auf die
Füße zu kommen. Insgesamt 6 Wochen standen
mir dazu zur Verfügung. Die Fitness durch sportliche Aktivitäten zu stärken, in Verbindung mit
Wellness- und Arbeitstherapien verschiedenster
Art, standen im Vordergrund. Medizinische Untersuchungen und Angebote waren Mangelware.
Die Gespräche mit den Psychotherapeuten waren sehr aufschlussreich und auch die Gruppengespräche mit anderen Patienten aller Krankheitsbilder waren interessant. Jedoch umso
intensiver die Gedanken sich um mich und meine
Probleme kreisen, umso kaputter und belasteter
fühlte ich mich, was schließlich mein Körper mit
kompletten Zusammenbruch quittierte (Verdacht
auf Herzinfarkt/Hirnschlag). Eine gute Seite hatte
dieser Vorfall jedoch auch. Endlich wurde mein
Bluthochdruck auch nachweislich medizinisch
zur Kenntnis genommen, der bisher nur als Hirngespinst abgetan wurde.
Nach diesem Vorfall wurde quasi von Aktivität
auf Passivität umgeschaltet. Dies wirkte sich daraufhin zwar erholsam für den Körper aus, verstärkte jedoch wieder das Nachdenken und Grübeln, die Zukunftsängste im Allgemeinen und
die Neigung etwas tun zu müssen. Damit schloss
sich für mich diese Art von „Teufelskreis“ und
war wieder am Anfang.
Auch reagierte ich zunehmend ärgerlicher und
aggressiver im Zusammenspiel mit Mitpatienten
lingshobby, der Gartenarbeit, schon nach zirka
1 Stunde absolut kaputt. Dies trifft auch auf alle
anderen als positiv empfundenen Tätigkeiten zu.
Auffallend dabei ist, dass ich bis jetzt immer
noch keine „Warnhinweise“ von Seiten meines
Körpers bekomme oder zumindest nicht erkennen kann, wann ich die „kritische Grenze“ vom
positiven zur negativen Erschöpfung erreicht
habe. So gehe ich ständig über meine nun schon
sehr stark reduzierten Leistungsziele und bin
dann natürlich auch kopfmäßig sehr enttäuscht,
wenn ich nicht einmal diese Ziele erreichen kann,
die manchmal dem Niveau eines Kindes entsprechen. Bei mir äußert sich diese Enttäuschung in
Form von Ablehnung, Rückzug von Familie und
Freunden sowie in agressivem Verhalten, Schreien und in Weinkrämpfen. Man(n), insbesondere ich, möchte diesen Zustand nicht wahrhaben
und schon gar nicht akzeptieren als rational,
wissenschaftlich denkender Mensch. Erst die
fundierten psychologisch weitergehenden Tests
machten mir schockartig klar, auf welchem geringen Leistungsstand ich mich befinde. Dies ist
für mich nun viel leichter zu begreifen als die
theoretischen Gespräche der Psychoanalyse, die
zwar interessant und erkenntnisreich waren, jedoch unmittelbar ergebnislos.
Mein Ziel ist nun, mit Hilfe der Verhaltenstherapie,
Möglichkeiten zu lernen, meine Leistungsgrenzen
rechtzeitig zu erkennen und einzuordnen sowie
barkeit den Ansprüchen von Familie und Beruf
gerecht zu werden
- Ignorieren körperlicher Beschwerden
- Belastende körperliche Umweltfaktoren im Beruf
sowie Schlafstörungen/-Mangel über Jahre hinweg
- Mobbing-Erfahrungen und andere belastende
Ausnahmesituationen
- Trotz ständig steigender Berufserfahrung ständig weitere Gehaltseinbußen, die das Gefühl geringer Wertschätzung vermitteln ohne Ausgleich
durch andere Dinge (Mehr-Urlaub, Möglichkeit
zur Weiterbildung, Verbesserung innerbetrieblicher Vorgänge, Feedback Kunden)
Außer der Sicht des Patienten ist es sehr wichtig
die Situation der Familie und deren Schwierigkeiten zu beleuchten, denn die anderen Familienmitglieder und/oder Freunde sind die unmittelbaren weiteren „Opfer/Leidtragenden“.
Äußerungen und Stichworte der „Mitbetroffenen“:
„Wenn mein Mann anfängt zu schreien, weil er
sich wieder mal kaputt oder überfordert fühlt,
weiß ich nie, ob er nicht doch noch handgreiflich mir oder den Kindern gegenüber wird und
hoffe dass er nur Gegenstände demoliert. Meine ältere Tochter (7) fängt dann auch immer an
zu weinen und flüchtet in ihr Zimmer, lässt sich
nicht mehr beruhigen und fragt immer wieder,
was denn der Papa für eine Krankheit hat. Ihre
jüngere Schwester (5) reagiert mit Sprachlosigkeit, sie kann nicht sprechen und bleibt dabei auf
Kleinkind-Niveau, versteckt sich unter dem Tisch
und hält sich die Ohren zu. Meine mütterliche
Reaktion ist dann zum Beispiel der Satz „Laß uns
in Ruhe und geh raus!“. Dabei fühle ich mich
auch mies, denn das stürzt meinen Mann nur
weiter in die Depression, Schuld- und Niederwertigkeitsgefühle. Die Kinder ahmen nach oder
übernehmen (bewusst/unbewusst) negative Verhaltensweisen-/muster von uns Eltern und multiplizieren damit die Probleme und Auswirkungen
noch. Dies zeigt sich zum Beispiel in Schulsituationen in denen gefragt wird „was arbeitet Papa
genau?“ Lügen, Ausreden, Leugnen etc. bleibt
ihnen nur als Ausweg, um nicht als „Loser“ abgestempelt zu werden.
Die Weinkrämpfe und sein extremes Schlafbedürfnis erschweren das Familienleben ungemein.
Die Kinder fordern oft „nie hast Du Zeit zum
Spielen oder was mit uns zu unternehmen. Im-
mer bist Du zu müde!“ Somit ist auch die Freizeit
oft ein „Belastungsfaktor“ und trägt eher zur Belastung als zur Entlastung bei.
Nicht zu vergessen sind die Konzentrations- und
Merkfähigkeits-Schwierigkeiten meines Mannes,
die zuweilen beängstigende Ausmaße annehmen. Er ruft mich vom Handy aus an und möchte wissen, wohin er eigentlich muss und wie er
dorthin fahren muss. (Er kann sich nicht mehr daran erinnern, dass er zum Arzt sollte). Das macht
mir Angst! Einerseits um ihn, andererseits um die
Kinder, die er ja betreuen soll, während ich arbeiten muss. Was kann da alles geschehen, wenn
er einen „Black-out“ hat.
Zuletzt spielt die finanzielle Situation eine nicht
zu unterschätzende Rolle - durch die Notwendigkeit des Verdienstes durch Frau/Partner - und
damit die weiteren Auswirkungen zeit- und gefühlsmäßig auf die Kinder und auch deren Freizeit/Schulsituation.
Viel alltägliche Arbeit bleibt liegen, d.h. die Wochenenden sind auch voll von Hausarbeit und Büroarbeit um den Formularkrieg mit Rentenversicherungsträger, Arbeitsamt, Krankenkasse halbwegs
geregelt zu bekommen. Folge: keine (wenig) Erholung mehr. So schließt sich der Kreis und wir kommen ebenfalls in die tödliche Spirale, die manchmal
in der Überlegung gipfelt „besser ohne Papa!?“
Damit schließlich sind wir alle (sichere) Kandidaten
für die Psychotherapeuten und Psychologen.“
Betroffene berichten
„Verhaltensweisen“ erlernen, die es mir ermöglichen sollen meine Aggressionen und Zusammenbrüche in geordnete Bahnen zu lenken.
Zusammenfassend sind wohl mehrere Faktoren
ausschlaggebend für meine Erkrankung:
- Jahrelang über die Leistungsgrenzen gegangen,
angefangen in Schule und Internat, besondere
An-/Herausforderungen während der Ausbildung,
hohe psychische, körperliche Anforderungen bei
Ableistung des Zivildienstes, ekzessives Berufsleben / Weiterbildung ohne Stundengrenzen
- Verhaltensmuster, die das „Nein-Sagen“ fast
unmöglich machten, verbunden mit einer ausgeprägten Grundhaltung helfen zu wollen
- Streben nach Perfektionismus und immer höheren Zielen ohne die schwindende Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen
- Schwierigkeiten in Familie und die Unverein-
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Fachleute berichten
Fotograf Daniel Rodriguez
der Gruppentherapie. Wenn sich alle Gespräche
sowohl mit dem Personal als auch mit den anderen Patienten nur um Probleme und Krankheiten
und deren Lösungsmöglichkeiten drehen, kann
einem das aus meiner Sicht mehr schaden als
nützen.
Insgesamt muss ich diese Reha-Maßnahme als
ergebnislos beurteilen, die mir außer einigen
erholsamen Tagen und der Möglichkeit andere
Menschen kennenzulernen, leider nichts gebracht hat. Übrig blieb eine große Leere und
das Gefühl des Unverstanden-Seins sowie eine
Entlass-Beurteilung für meinen Beruf von 3 bis 6
Stunden für die Rentenversicherung.
Damit landete ich wieder beim Hausarzt und bei
der Psychotherapeutin mit einer noch größeren
Perspektivlosigkeit im Gepäck, da es mir nicht
möglich ist länger als 2 bis 3 Stunden in der realen Arbeitswelt durchzuhalten.
Bei weiteren neurologischen Untersuchungen
wurde ich auf das GpZ Überlingen aufmerksam
gemacht und an deren Integrationsfachdienst verwiesen. Beim Erstgespräch und einer SituationsAnalyse wurde mir das Angebot unterbreitet über
die sogenannte niederschwellige Arbeitstherapie
zum ersten Mal meine realen Möglichkeiten und
Grenzen kennenzulernen. Von diesem Angebot
machte ich gerne Gebrauch - im Rahmen einer
nachmittäglichen Beschäftigung im Digital Service des GpZ von 2,5 Stunden täglich.
Nach etwa 3 Monaten lässt sich nun meine Belastbarkeit deutlicher einschätzen und es wurde
mir empfohlen eine berufliche niederschwellige
Rehabilitation zu beantragen. Überhaupt wurden nun zum ersten Mal seit meiner Erkrankung
erste wirkliche medizinisch psychologische Testungen durchgeführt, was meine Konzentrations- und Gedächtnisleistungen betrifft. Diese
übertrafen bei weitem meine sowieso schon negativen Einschätzungen und bestätigten mir und
meiner Familie die absolute Notwendigkeit einer
beruflichen Rehabilitation, welche nun zügig angestrebt wird.
Erkenntnisse und persönlich subjektive Wahrnehmungen: Zu beobachten ist eine Art Jo-Jo-Effekt.
Sobald ich mich wieder leistungsfähiger fühlte,
versuchte ich wieder meinen häuslichen Aufgaben und Hobbies nachzugehen, wenn auch in
weit geringerem Umfang als vorher.
Dies ist einerseits eine gute Motivation bei der
Freude und Zufriedenheit erreicht werden. Andererseits fühle ich mich selbst bei meinem Lieb-
Burnout
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Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
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38 |
| 39
wie
Depression
Vom Pech erdrückt
Depressionen als Krankheitsbild
Bei Depressionen ist der Gehirnstoffwechsel
gestört. Dort ist entweder das serotonale und/
oder das noradrenale System verändert. Das bedeutet der Spiegel dieser Neurotransmitter ist
erhöht oder sehr niedrig. Neurotransmitter sind
die Stoffe, welche die Verbindung von einer Synapse zur anderen herstellen. Auch kann sich
durch verschiedene Ursachen die Reizbarkeit der
Synapsen verändern. Vermutet wird hierbei, dass
der Serotoninhaushalt gestört sein kann. Also
dem Gehirn fehlt der Antrieb weiter Serotonin ...
Fotograf: Wilhelm Harlander
40 |
Die Depression ist in Deutschland schon
lange keine seltene Krankheit mehr. Im
Moment leiden nach Schätzungen circa
4 Millionen Menschen in Deutschland an
einer Depression und jedes Jahr erkranken
Menschen neu.
Quelle: www.neurologen-und-psychiater-im-netz.de
Foto: pixelio - Jutta Rotter
Der 2006 vom Bundesgesundheitsministerium
veröffentlichte Arbeitsbericht zum „Nationalen
Gesundheitsziel - Depressive Erkrankungen: verhindern, früh erkennen, nachhaltig behandeln“
greift Erkenntnisse aus zahlreichen Studien auf
und beschreibt eine weite Verbreitung von depressiven Störungsbildern in der Bevölkerung.
Dabei wird auf einen engen Zusammenhang von
(schwerer) Depression und Suizidalität hingewiesen.
Des Weiteren wird festgestellt, dass suizidales
Verhalten bei Depressionen erhebliche geschlechtsspezifische Unterschiede zeigt: „Vor
dem Hintergrund der Veränderungen der Al-
terspyramide und der sich in den letzten Jahren
geänderten Epidemiologie der Suizidalität zeigt
sich, dass Frauen im fortgeschrittenen Lebensalter zu einer besonderen Risiko- und damit Zielgruppe der Suizidprävention werden.“ Auch für
die Prävention von psychischen Erkrankungen,
vor allem bei berufstätigen Frauen, wird eine
geschlechtsspezifische Betrachtungsweise gefordert.
Im Bericht „Gesundheit in Deutschland“ wird
auf neuere Erhebungen verwiesen, wonach in
Deutschland 15% der Frauen und 8% der Männer innerhalb eines Jahres eine depressive Phase
durchleben.
Krankheit Depression
Interview mit einer Betroffenen
Wie dachten Sie vor Ihrer Erkrankung über
Menschen mit Depressionen oder anderen
psychischen Beschwerden?
Ich dachte, das seien Menschen. die mit ihrem
Leben nicht zu recht kommen; und obwohl ich
Psychologie und Kommunikation studiert hatte,
dachte ich, dass es doch nicht so schwierig sein
könne, da wieder raus zu kommen. Dies war
eine theoretische Ansicht, inzwischen weiß ich,
dass es praktisch sehr schwierig ist, weil die Depression sich einschleicht und als solche oft nicht
erkannt wird.
Wie sehen Sie das heute?
Es ist den Betroffenen peinlich, Depressionen
zu haben. Sie schämen und verstecken sich und
werden zur Randgruppe. Wir müssen aus dieser Position raus (!), Depressionen gibt es und
sie sind weit verbreitet. Das muss benannt und
besprochen werden und in das allgemeine Verständnis von „normal“ integriert werden. Dies
zu erreichen können nur wir Betroffene schaffen.
Wie haben Sie vor Ihrer Erkrankung gelebt?
Und… wie wurden Sie krank?
Ich war erfolgreich als selbständige Unternehmerin tätig, in einigen Initiativen engagiert und
habe mich sehr für Spirituelles interessiert. Als
ich mich verändern wollte und hierher an den
Bodensee zog, musste ich leider feststellen, dass
es hier in meiner Branche nicht genug Aufträge gab. Ich begann finanziell abzusinken und
wollte dies nicht wahrhaben. Ich flüchtete gedanklich zunehmend in die Esoterik, und abgelenkt vom Glauben, dass ich nur mit meinen
Gedanken mein Leben verändern kann, habe
ich lange nicht erkannt, dass meine Probleme im
praktischen Leben immer grösser wurden. Ich
sank weiter ab, wurde arbeitslos und schließlich
Hartz-4-Empfängerin. Nun konnte ich mich nicht
mehr über meinen Beruf identifizieren, was wir
ja alle irgendwie tun, und damit ging mein wichtigster Bezug zum Leben verloren.
Erst als ich wieder begann, mich als irdischer
Mensch zu betrachten, fragte ich mich: „Wie
bist du in diese Situation gekommen, wo ist
denn deine Basis?“ So wurde mir klar, dass meine Lage ernst und ich krank war.
Wie stellen Sie sich Ihr Leben heute vor?
Nun, heute bin ich angewiesen auf Ärzte, Therapeuten und das Sozialamt. Obwohl diese
Abhängigkeiten meinem Wesen zutiefst widersprechen, akzeptiere ich inzwischen, dass ich
„Hartz-4-Empfängerin“ bin, und versuche das
Beste daraus zu machen.
Inzwischen weiß ich, wie wichtig es ist, sich immer wieder selbst anzuschauen, auch wenn es
in schlechten Zeiten sehr schwierig ist. Die Realität zu betrachten ist unerlässlich!
Betroffene berichten
Depression
Fachleute berichten
Häufige psychische Symptome der Depression:
Innere Leere, gedrückte Stimmung, Mangel an
Antrieb und Interesse. Müdigkeit, Energieverlust.
Nachlassen der Aufmerksamkeit, Konzentrations-störungen, Grübelneigung. Innere Unruhe,
Schlaflosigkeit oder vermehrter Schlaf. Nachlassen der Kreativität, Reizbarkeit, Selbstvorwürfe.
Mangelndes Selbstwertgefühl, negative Bewertung der eigenen Person. Fehlende Zukunftsperspektive. Gedanken von Schuld, Zurückbleiben
hinter Anforderungen. Gefühl von Wertlosigkeit,
Versagen. Gedanken von Hoffnungslosigkeit, von
Überflüssig- und Wertlossein. Allgemeiner Pessimismus. Vorwürfe gegen Andere. Gedanken von
Nichtgewolltsein, Nichtgeliebtsein, niemandem
etwas wert zu sein. Gedanken von Nichtkönnen,
Minderwertigkeit. Todes- und Ruhewünsche. Suizidideen-, Pläne- und Absichten.
Häufe körperliche Symptome der Depression:
Appetitverlust, Gewichtsabnahme und/oder –zunahme. Verstopfung oder Durchfall. Verlust an
sexuellem Interesse. Rücken- und Gliederschmerzen, Kopfdruck, Schwindel, Übelkeit. Kloßgefühl
im Hals, Beklemmung in der Brust, Zyklusstörungen. Reduzierte Vitalität, Kraftlosigkeit, rasche Ermüdbarkeit.
Depressionen können Krankheiten wie z.B. Diabetes, Herzinfarkt, Bluthochdruck verschlimmern oder auslösen. Depressionen können auslösend oder verstärkend auf Suchterkrankungen
wirken.
Nichtbetroffene berichten
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
... zu produzieren. Außerdem ist bei Menschen,
welche an Depression erkrankt sind, ein erhöhter
Wert des Stresshormons Cortisol im Blut zu finden.
Als Behandlung kann Psychotherapie wie auch
Antidepressiva eingesetzt werden. Eine Psychiatrische Behandlung ist natürlich auch möglich.
| 41
Was ist denn nun eigentlich eine Depression?
Ein Ausdruck der Depression ist, das „nicht
mehr tun wollen“ des Körpers.
Die Depression umfasst den ganzen Körper,
nicht „nur den Kopf“. Sie nimmt uns nahezu
alle Energie weg, sowohl geistig wie auch körperlich. Man fühlt sich kraftlos und entsetzlich
schlapp, jede Tätigkeit wird zur Anstrengung,
es fällt schwer in Bewegung zu kommen, und
meistens kommen körperliche Beschwerden
wie ein dumpfes Allgemeingefühl, Rückenschmerzen oder Kopfweh zur ohnehin schiefen
Gefühlslage hinzu. Man kann sich an nichts
mehr freuen, verspürt keinerlei Lust auch nur
irgendetwas zu machen, nicht einmal dazu,
sich selbst etwas Gutes zu tun. Man fühlt sich
schlaff, nutzlos und handlungsunfähig.
Im Alltag kostet es uns viel Kraft, dass wir versuchen weiterhin einen Status aufrecht zu erhalten, der vorher selbstverständlich für uns
war, aber inzwischen nicht mehr da ist. Ich meine sowohl unser Selbstbild als auch unsere Wirkung nach außen.
Welche Symptome, also Begleiterscheinungen, haben Sie an sich festgestellt?
Ich war nicht mehr in der Lage, mich mit Freunden und Bekannten auszutauschen, nicht einmal
über das Telefon. Die meisten Kontakte brachen
ab. Ich ging nicht mehr raus und blieb tatenlos
Nachdem ich mir über meine vermeintlich aussichtslose Situation klar geworden bin und erkannt habe, dass ich Hilfe brauche, ging ich zum
Arzt. Ich habe ihm erzählt wie es mir geht, bin in
Tränen ausgebrochen und habe dort eineinhalb
Stunden am Stück geweint. Mein Arzt hat mich
mit tröstenden Worten aufgefangen und während dieser Zeit bereits einen Antrag für einen
Klinikaufenthalt geschrieben. Er hat für mich die
Rolle des Beschützenden und Helfenden übernommen. Ich wollte dann möglichst bald in eine
Klinik und hatte das Gefühl, das sei meine letzte
Hoffnung - dank seiner schnellen Reaktion war
ich etwa 6 Wochen später dort.
Fotograf: Thomas Kaiser
zu Hause. Die meiste Zeit saß ich völlig passiv auf
dem Sofa und habe mich abgelenkt, teils freiwillig, teils wie automatisch. So saß ich oft stundenlang da und habe darauf gewartet, dass um
18.00h etwas Interessantes im Fernsehen läuft.
Außerdem habe ich in dieser Zeit viel Wein getrunken.
Wie hat Ihr Umfeld reagiert – sind Sie auf
Verständnis und Hilfe gestoßen?
Der Satz „Ich brauche Ihre Hilfe!“ hat bei mir
Schleusen geöffnet, so ging ich auf die Menschen
zu und sie haben mir geholfen. Freunde, Bekannte und Nachbarn haben sich während meines Klinikaufenthalts liebevoll um meine Haustiere, die
Wohnung und meine Pflanzen gekümmert, und
auch von Ärzten und Therapeuten habe ich viel
Hilfe erhalten.
Wie konnten Ihnen Bekannte helfen - was
haben Sie als tatsächlich hilfreich empfunden?
Ich war während der Depression kaum noch in der
Lage selbständig kleine und einfache Aufgaben zu
erledigen. Rechnungen, Briefe, sogar ein Überwei-
sungsformular blieben wochenlang liegen und ich
vernachlässigte meine Wohnung fast völlig.
Hierfür mein Tipp: Suchen Sie sich einen Vertragspartner oder -partnerin mit dem bzw. der Sie
Vereinbarungen treffen, welche Aufgaben Sie bis
wann erledigt haben sollten. Diese Person kann
ein Bekannter, ihr Therapeut oder ein anderer
möglichst neutraler Mensch sein, es sollte aber
nicht ihr Lebenspartner sein. Er sollte zuverlässig
sein und sich getrauen gezielt nachzufragen, wie
weit Sie gekommen sind. Außerdem sollten Sie
genug Vertrauen zu ihm haben, um darüber zu
sprechen, wo und warum Sie nicht weitergekommen sind und wie es Ihnen bei ihren Bemühungen
ging. Nehmen Sie sich zu Anfang nicht zu viel vor,
mit kleinen Schritten und immer wieder neuen
Vereinbarungen kommen Sie sicher weiter.
(Anmerkung des Interviewers: Der Einfachheit
wegen wurden männliche Formulierungen verwendet, selbstverständlich sind auch alle weiblichen Personen mit angesprochen.)
Wie wichtig oder hilfreich empfanden Sie
die Rolle des Arztes?
Wie konnte er Ihnen tatsächlich helfen?
Wie sind Sie aus diesem „Sumpf“, ich denke
das ist eine gute Verbildlichung der Depression, wieder herausgekommen?
Der erste Schritt für mich war, dass ich mich der
Realität gestellt habe und den Mut aufgebracht
habe, mich und meine Situation zu betrachten. So
wurde mir klar, dass ich krank bin und Hilfe brauche. Mein Arzt hat mich dann in eine Fachklinik
eingewiesen. Dort habe ich Therapieformen wie
Bonding und Holotropes Atmen gemacht. Nach
dem Klinikaufenthalt habe ich eine Cranio-Sacral-Therapie begonnen, die ich bis heute mache.
Diese körperbezogenen Methoden haben mir am
meisten geholfen, eine reine Gesprächstherapie
fand ich zum Aufarbeiten meiner Beschwerden
nicht umfangreich und tiefgehend genug.
Außerdem – und das war für mich genau so hilfreich wie die medizinische Fürsorge – habe ich
für mich selbst eine Liste erstellt, mit allen meinen Fähigkeiten, die mir nur einfielen.
Darin habe ich alles aufgelistet, was ich seit Kindheitstagen über mein ganzes Leben gelernt und
mir angeeignet habe. Alles was ich mir erarbeitet habe, und die Gaben, die ich mitbekommen
habe. Diese Liste wurde 8 Seiten lang, und am
Ende stand ich da und erkannte für mich: „Das
bist DU! Alles das hast DU gemacht und geleistet.“ An dieser Liste ist mein Selbstwert wieder
gewachsen, es hat sich das Bewusstsein eingestellt „Ich bin wer!“, und ich konnte das Lebendigsein, das Menschsein mit all seinen Gefühlen
wieder erfahren.
(Anmerkung des Interviewers:
Bonding – auch Casriel-Therapie, wird meist in
größeren Gruppen paarweise durchgeführt.
Nach einer Einführung wählen sich die Partner,
Betroffene berichten
Wie haben Sie zu dieser Zeit den Umgang
mit Anderen, in der Familie oder bei der Arbeit, empfunden?
Wenn du depressiv bist, bist du vor vielen Menschen nichts mehr wert. Du hast eine „psychische
Macke“. Ich habe mich selbst so gefühlt und es
kam vor, dass ich von Anderen so behandelt oder
als „ach Du arme“ bemitleidet wurde. Eine psychische Erkrankung ist ein Tabu, keiner traut sich
darüber zu reden, und das ist falsch.
Ich verweise auf den Fall Robert Enkes: Seine
Freundin hat mit viel Mut versucht eben dieses
Tabu aufzubrechen und der Allgemeinheit mitzuteilen was eigentlich los war.
Menschen mit Depressionen haben die gleichen
Probleme und Sorgen wie Gesunde, nur an vielen Stellen eben sehr verstärkt. Dabei werden sie
von der depressiven Gefühlslage zusätzlich eingeengt, was es unheimlich schwer macht, diese
zu bewältigen.
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Fachleute berichten
Depression
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Fachleute berichten
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Wie hat sich Ihr Leben seither verändert?
Können Sie (wieder) glücklich sein?
Obwohl ich zunächst unsanft auf dem Boden gelandet bin, bin ich sehr dankbar für diese Erfahrung und alles was ich auf diesem Weg lernen
durfte – dankbar auch für die lange Erwerbsunfähigkeit: Ich hatte Zeit für mich. Ich bin bei mir
selbst angekommen, habe meine Situation akzeptiert und angenommen.
Während der Krise habe ich den Sinn in meinem
Leben gefunden, und ich konnte daraus meine
Aufgabe im Leben ableiten. Die gemachten Erfahrungen konnte ich verbinden und in mein Leben
integrieren, seither fühle ich mich einfach nur authentisch, ich kann und will nicht anders als jederzeit ein authentischer Mensch sein. Ich bin dabei,
wieder eine Firma aufzubauen, in die ich auch
meine Lebenserfahrung einbringen möchte, und
hoffe, bald wieder unabhängig sein zu können.
Würden Sie sich heute als gesund – oder geheilt – bezeichnen?
Was würden Sie unseren Lesern gern mitteilen?
Ich habe durch Spiritualität meinen Sinn des Lebens erkannt und konnte viel Kraft daraus entwickeln. Ich warne aber davor, sich nur mit Esoterik
zu befassen und die praktischen Aspekte des Lebens zu streichen. Bei solch einem Versuch habe
ich den Kontakt zur Realität verloren und lange
nicht erkannt, dass ich immer kränker werde.
Es ist wichtig sich selbst in der Realität zu betrachten, und es gehört viel Mut dazu. Ich warne
davor das Menschsein abzulehnen, man muss es
annehmen, mit all seinen Gefühlen wie Trauer,
Wut und Verzweiflung. Gefühle lassen uns das
Leben erkennen, und nur so kann man ein ganzer Mensch sein.
Nach solch einer Krise wird Dein Leben nie wieder so sein wie Du es dir wünschtest – aber genau das macht die Qualität daran aus. Ja – jetzt
bin ich wirklich glücklich!
Ich danke Ihnen für dieses Interview.
Depression Betroffene
Eine Depression ist schwer zu beschreiben. Sie
kam bei mir immer phasenweise. Sie wurde bei
mir jahrelang nicht behandelt, weil ich es nicht
wahrhaben wollte, psychisch krank zu sein. Die
Depressionen fingen richtig an, als ich zuerst
meine Arbeit und dann meine Gesundheit verlor.
Als dann die Dinge in meinen Partnerschaften
auch nicht klappten, brach die Krankheit mit
voller Wucht über mich herein. Der seelische
Schmerz in mir war so groß, wie ich keinen körperlichen je erlebt hatte. Ich litt Höllenqualen
über Wochen und Monate. Es wechselten sich
Hunger- mit Fressattacken ab, ich wusch mich
nicht mehr, zog mich nicht mehr an, nahm
das Telefon nicht ab und ließ niemanden mehr
in meine Wohnung. Ich konnte das Haus nur
noch verlassen, wenn es unbedingt sein musste. Wenn ich überhaupt nichts mehr zu essen
im Haus hatte, dann rannte ich zum Einkaufen
und wollte so schnell wie möglich wieder zu
Hause sein. Es gab nichts in meinem Leben,
das mir Freude machte oder auf das ich mich
freute.
Ich lag nur noch im Bett und grübelte und grübelte und kam zu keinem Ergebnis. Außer, dass
ich zu nichts tauge, klein, mies, hässlich, arm,
krank und eine Zumutung für die Gesellschaft
bin, ich hatte kein Selbstbewusstsein mehr.
Ich war echt am Ende. Ich rauchte nur noch.
Foto: pixelio - Ingo Neumann
Meine Gesundheit und mein Leben, alles war mir
scheißegal. Oft dachte ich, mach doch einfach
Schluss mit diesem Scheiß.
Irgendwann musste ich dann wegen Arbeitslosengeld II auf das Amt nach Friedrichshafen. Der
nette Herr dort stellte mich vor die Alternative,
entweder einen Bewerbungskurs in Markdorf zu
besuchen oder mich im GPZ Überlingen vorzustellen. Ich entschied mich für das GPZ. Seit eineinhalb Jahren arbeite ich nun hier im Büro und
es macht mich froh.
Am Anfang konnte ich mich freiwillig hier im
Haus bei einem Psychiater vorstellen. Er fand
ziemlich schnell die passenden Medikamente
für mich, schickte mich wegen meiner täglichen
Kopfschmerzen zu einem Facharzt und heute nehme ich täglich ein Medikament, das die
Schmerzen auf ein erträgliches Maß reduziert.
Auch meine Depressionen sind viel besser geworden. Sie kommen nicht mehr so oft und nicht
mehr so stark.
Ich war auch zehn Wochen stationär in einer Klinik. Dort lernte ich sehr viel über mich. Ich bin
nicht fähig, soziale Bindungen aufzubauen. Ich
habe keine Freunde, sitze am Wochenende alleine zu Hause oder unternehme alleine etwas. Das
macht mich dann traurig und auch depressiv.
Aber ich entwickle mich auch weiter und lerne
neues Verhalten und vielleicht kriege ich dieses
Problem irgendwann in den Griff. Ich arbeite
auch daran.
- Laut Ärzten u. Psychologen hat fast jeder
Mensch im Laufe seines Lebens eine depressive Phase.
- Die Entwicklung unserer Gesellschaft führt
zu mehr depressiven Menschen, wir leben im
„Zeitalter der Depression“. (G. Klermann; M.
Weissman, 1989)
- Nach den Angaben der Weltgesundheitsorganisation wird die Depression im Jahr 2020
weltweit die zweithäufigste Erkrankung sein.
(Dr. Sandker, LWL-PsychiatrieVerbund)
Betroffene berichten
Ich habe immer mal wieder depressive Schübe,
das kommt irgendwann wieder. Aber durch die
gewachsene Erfahrung mit der Krankheit kann
ich nun wie von außen beobachten, wann ich
wieder in die Depression reinzurutschen drohe.
Diese Position ermöglicht es mir „nein“ zu sagen
und meinen Willen dem entgegenzustellen. Das
und die Besinnung auf meine Fähigkeiten geben
mir Kraft innerlich umzudrehen, diesem Abrutschen entgegenzuwirken, dadurch dauern sie
nur noch 1 bis 2 Tage.
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Fachleute berichten
einer arbeitet, der andere begleitet. Der Begleiter
legt sich auf den Arbeitenden, dieser umarmt den
Begleiter und beginnt dann damit, seine Empfindungen und Gefühle wahrzunehmen. Während
des gesamten Bondingprozesses macht der Arbeitende die positive Erfahrung, dass der Bondingpartner im engen Kontakt mit ihm bleibt,
obwohl er sich erlaubt Dinge auszusprechen und
zu erleben, die er bisher als hoch problematisch
und evtl. inakzeptabel vermieden hat.
Holotropes Atmen - ist eine Atemtechnik, durch
die man nach Ansicht ihrer Anwender in Erfahrungsbereiche eintreten kann, die dem Bewusstsein im Allgemeinen nicht zugänglich sind. Das
Ziel dieser Technik ist die Bearbeitung und Integration bislang unzureichend integrierter Persönlichkeitsanteile und eine „Hinbewegung auf
Ganzheit“.
Cranio-Sacral-Therapie - auch Kraniosakraltherapie oder „Schädel-Kreuzbein-Therapie“, ist
eine alternativmedizinische Behandlungsform,
die sich aus der Osteopathie entwickelt hat. Es
ist ein manuelles Verfahren, bei dem Handgriffe
vorwiegend im Bereich des Schädels und des
Kreuzbeins ausgeführt werden. Dieses Vorgehen soll einen angenommenen „Energiefluss“
verbessern und Selbstheilungskräfte aktivieren
sowie Funktionseinschränkungen und seelische
Traumata lösen. - Quelle: www.wikipedia.org)
Depression
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wie
Doppeldiagnose
Fotograf: Andrè Reinders
„Oh hast Du da keine Angst“
Eine Mitarbeiterin einer Fachklink für
Doppeldiagnose berichtet hier
ganz unverblümt
Seit einiger Zeit betreibe ich eine persönliche
“Studie“. Völlig privat, völlig unprofessionell
und völlig unwissenschaftlich. Diese “Studie“
befasst sich mit dem Verhalten meiner Mitmenschen, wenn sie erfahren welcher Tätigkeit
ich nachgehe. Auf die Antwort : „ Ich arbeite
mit suchtkranken Menschen, die zusätzlich eine
psychiatrische Diagnose haben,“ folgen zu 90%
ähnliche Reaktionen. „Oh, hast Du da gar keine Angst?“ „Meine Güte, dass muss schwer
sein“... Oder bedauern mich ganz offen. Aber
wovor denn Angst? Wozu das Bedauern? Ich
arbeite gern in meinen Beruf und fühle mich in
der Einrichtung genau am rechten Fleck. Bei mir
stellt sich nur immer mal wieder die Frage: Was
treibt die Menschen zu solchen Vorurteilen und
unterschwellige Angst? Um das besser verstehen zu können, bedarf es etwas Hintergrundinformation:
Oft fällt der Begriff Doppeldiagnose. Eigentlich
bedeutet es ganz allgemein, daß ein Mensch 2
verschiedene Diagnosen erhalten hat. Zum Beispiel eine Herzmuskelschwäche und Diabetes
oder ein gebrochenes Bein und einen Leberschaden oder, oder...
Bei Suchtkranken spricht man von einer Doppeldiagnostik, wenn zu der Suchtproblematik
zusätzlich eine psychische Erkrankung vorliegt.
Man spricht von einer Psychose / Sucht - Komorbidität.
„Von einer Psychose spricht man, wenn die Fähigkeit, Umweltreize aufzunehmen und zu verarbeiten, so gestört und verzerrt ist, dass die
Anpassung an den Alltag und an die Rollenerwartungen nicht mehr gelingt und die Betroffenen den Bezug zur Realität verlieren.“
Dabei muss man zwischen Drogenkonsum
bei Psychosen und einer drogeninduzierten
Psychose unterscheiden. Bei dem Einen bestand anamnestisch zuerst eine Psychose mit
folgender Suchtproblematik. Dabei versuchen
die Betroffenen durch den Konsum von Alkohol wie auch illegale Drogen, ihr Leiden im
Sinne einer Selbstmedikation zu lindern. Sie
konsumieren psychoaktive Substanzen wie
Alkohol, Haschisch, Heroin... um besser einschlafen zu können, um die psychotischen
Symptome (wie z.B. Stimmen hören) als nicht
mehr so bedrängend zu erleben oder um das
Alleinsein besser auszuhalten. Beim Anderen
wurde die Psychose durch den Drogenkonsum ausgelöst.
Manche Menschen sind aufgrund konstitioneller Faktoren/genetischer Veranlagungen
anfällig für eine drogeninduzierten Psychose.
Durch den Konsum von Suchtmitteln kann eine
Psychose angestoßen oder verursacht werden.
In vielen Fällen ist eine Aussage nur schwer
möglich, ob es ohne Suchtmittelkonsum ebenfalls zum Ausbruch einer Psychose gekommen
wäre.
Nun zurück zu meiner ursprünglichen Frage: Wie
kommt es zu solch einer Ablehnung sucht - und
psychisch kranker Menschen?
Angst!
Angst ist meiner Meinung nach die vorherrschende Triebfeder dieser Ablehnung. Sucht wird
verbunden mit Begriffen wie z.B. Absturz, Kriminalität, starke körperliche Schäden, Kontrollverlust und finanziellem wie sozialem Abstieg. Wir
fühlen uns angewidert von dem Säufer und dem
Junkie unter der Brücke. Bei dem Wort Psychose
kommt ein ganzes Arsenal von Gefühlen auf den
Plan. Man ist nicht mehr „Herr seiner Sinne.“
Kann den eigenen Sinnen nicht mehr trauen.
Die Frage stellt sich: „Wo bin ich gefährdet?“
„Wo ist die Grenze zur Sucht?“ „Kann auch ich
eine Psychose bekommen?“ „Wann bin ich nicht
mehr Herr meiner Sinne?“
Das kann verständlich Angst machen! Und Angst
führt zur Ablehnung. Eines sollte uns allen bewusst sein:
Suchtkranke Menschen mit Psychosen sind keine
„Monster“. Sondern einfach Menschen mit Problemen. Große Probleme zugegebener Maßen,
aber auch nicht mehr. Sie sind genauso nervig,
wertvoll und liebenswert wie wir alle auch.
Mir war alles egal
Endlich hatte ich meine eigene Welt und ich begann ziemlich sofort regelmäßig zu kiffen, und
auch Extasy und Speed probierte ich bereits mit
13 Jahren. Meine Eltern und Geschwister wurden mir egal. Ich genoss es sogar, sie hilflos zu
sehen. Mit 15 Jahren kiffte ich bereits von morgens bis abends. LSD und Heroin waren so ziemlich das Einzige, wovon ich die Finger ließ. In die
Schule ging ich eigentlich nur, weil ich in meinen
Klassenkameraden verliebt war. Meiner großen
Leidenschaft, dem Volleyball spielen, ging ich
auch noch nach. Doch die 9 Stunden wöchentlich erlebte ich meist unter Drogeneinfluss. Mein
Lehrer in der Schule fragte meine Mutter, ob
magersüchtig sei. Mit 16 wog ich ca. 40kg bei
einer Größe von 1,70 cm. Auf der Schule schien
niemand zu merken, in welcher Gefahr ich wirklich war. Doch meine Eltern machten sich große
Ein junge Frau erzählt von Ihrer
Erfahrung mit Drogen und deren Folgen
Einer völlig unbeschwerten Kindheit folgten
die Pubertät und damit auch die Drogen.
Nachdem ich Freunde meiner Schwester beim
Kiffen beobachtete, war der erste Eindruck
gleich der falsche. Einige Wochen später, saß
ich nach der Schule im Bus. Zwei Kindheitsfreunde wollten sich treffen um zu kiffen. Als
ich das hörte fragte ich gleich, ob ich auch
mitmachen dürfte. Also trafen wir uns. Die
Wirkung von Haschisch überzeugte mich. Ich
lehnte mich zurück und murmelte: „Das ist
es“.
„Ich nehme Sie in den Arm“
Der Vater erzählt im Interview von seiner
Situation
Wann ist ihnen aufgefallen, dass Ihre Tochter Drogen konsumiert?
Kann ich mich nicht genau erinnern. Es war für
mich anfangs nichts Schlimmes. Viele Menschen
haben in ihrem Leben Drogen probiert.
Wie lange hat es dann noch gedauert bis Sie
es als gefährlich einstuften?
Ich bin mit Ihr zum Arzt und dabei war Sie sehr
weggetreten und kaum ansprechbar.
Wie hat Ihre Tochter meist auf Sie gewirkt?
Sie war beschäftigt mit anderen Sachen und viel
unterwegs. Sie war wie viele Kinder, die in der
Pubertät sind und einfach viele verrückte Sachen
machen.
Wie sind Sie mit der Hilflosigkeit umgegangen die Sie erfahren haben?
Durch Gespräche mit der Mutter/Partnerin und anderen Betroffenen, meist Eltern. Außerdem hatte
ich mit der Polizei und einem Streetworker Kontakt. Leider konnte niemand helfen. Der Schlüsselsatz war immer bei allen, dass man „die Tür auflassen soll.“ Also dass Sie immer kommen kann.
Was haben Sie versucht, um Ihrer Tochter zu
helfen?
Es war schon eine Ohnmacht die ich erlebt habe.
Es war schon extrem. Es gab kaum einen Weg
einzugreifen.
Glauben Sie das war eine wichtige Erfahrung für Ihre Tochter?
Ja klar. Tiefe Krisen sind eine Ich-Findungs-Möglichkeit. Für mich war es auch eine besondere Erfahrung. Ich musste loslassen und akzeptieren,
dass Sie sich umbringen darf.
Wovor hatten Sie damals Angst?
Vor der gesamten damaligen Situation. Ich hatte
Angst, dass es mir über den Kopf wächst. Die
gesamte Familiensituation ist damals eskaliert. Es
ist eine Herausforderung für jeden gewesen. Ich
kam eher noch leicht damit zurecht.
Was haben Sie durch die Zeit gelernt?
Gelassenheit. Ich habe auch gelernt den anderen
mehr zu lassen. Jeder ist eine vollständige eigene
Person mit einer eigenen Geschichte. Die Beurteilung oder was im Leben sinnvoll ist, kann für
jeden anders sein, oder was für mich richtig ist
kann für den anderen falsch sein.
Was ist Ihre dominanteste Erinnerung an diese Zeit?
Dass man es nur geschehen lassen konnte. Dass
ich fast nichts machen konnte, denn sie konnte
Ihr Leben nicht mehr gestalten. Es war ein Kontrollverlust.
Was empfanden Sie, als Sie wussten das Ihre
Tochter krank geworden ist?
Es war eine Erleichterung, eine Lösung war gefunden. Nach 3 Wochen sollte es ja eigentlich
wieder gut sein. Es war ja ein langer Prozess der
sich über 3 Jahre zuspitzte. In dem Sinne war es
eine Erleichterung. Jetzt ist was passiert. Es war
eine Wendung zum Guten.
Gibt es die Möglichkeit eine Drogensucht zu
verhindern?
Jede Gesellschaft hat ihre Drogen. Seit Jahrtausenden. Wir sollten versuchen gut damit umzugehen.
Welchen Rat geben Sie anderen Menschen
in ähnlicher Situation?
Ich nehme sie in den Arm.
Betroffene berichten
Mein neues Zuhause war die Kinder- und Jugendeinrichtung „Krille Haus“ in Karlsruhe. Von
dort aus ging ich auch wieder zur Schule. Mit
2.0 im Durchschnitt machte ich meinen Hauptschulabschluss nach. Drei Jahre später, also mit
19 Jahren, ging es mir dank dem passenden Medikament wieder gut. Also beschlossen meine
Eltern, der Arzt und ich, dass Medikament abzusetzen. Es ging fast gut, erst als ich die niedrigste
Dosierung erreicht hatte begann ich wieder zu
spinnen. Es begann eine Krankheitsphase die ungefähr 5 Jahre anhielt. Damals zog ich für eine
zweite Reha-Maßnahme nach Wuppertal. Dort
ging ich zur Schule und versuchte wieder Boden
unter den Füssen zu bekommen. Doch es besserte sich nur langsam. Ich hatte sehr starke seelische Schmerzen. Vor vier Jahren bin ich dann
zurück nach Überlingen gezogen.
Mittlerweile fühl ich mich wieder gut. Im Rückblick
lag es an den Medikamenten. Bis heute habe ich
ca. 10 Neuroleptika ausprobiert und es gibt eines
das bei mir hilft. Die Nebenwirkungen sind kaum
merklich. Einen leicht erhöhten Appetit habe ich,
doch das kenne ich mittlerweile und mein Gewicht liegt im Normal-Bereich. Derzeit bin ich im
GpZ Überlingen und mache eine berufliche Reha,
mit dem Ziel, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
Fuß zu fassen. Was die Thematik meiner Drogensucht angeht bin ich auf einem guten Weg. Seit
fast einem Jahr lebe ich sogar nikotinfrei. Wenn
ich mit illegalen Drogen konfrontiert werde, bin
ich sehr zurückhaltend. Mein Leben ist mir heute
zu viel wert, als dass ich es mir mit Drogen zerstören will. In allem war es eine Erfahrung durch die
ich viel gelitten, aber auch viel gelernt habe und
das hatte ich wohl nötig.
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Fachleute berichten
Sorgen. Sie mussten jedoch bald merken, dass
sie nichts tun konnten.
Einmal schleppte mich mein Vater ins Krankenhaus. Durch Zufall konnte ich die Reaktionstests
usw. noch gut beantworten. Mein körperlicher
Zustand war jedoch schlecht. Wenn ich etwas
kiffte, übergab ich mich meist. Das empfand ich
dann als erleichternd. Wenn ich alle paar Tage
nach Hause kam, war das meist die einzige Möglichkeit etwas zu essen. Mir war aber völlig unbewusst wie schlecht ich mit mir umging. Meine
Eltern baten auch die Polizei um Hilfe, aber da
ich für niemanden eine Gefahr darstellte und ich
völlig therapieuneinsichtig war, konnte mir niemand helfen. Ein, zweimal ging ich zu einer Drogenberatungsstelle, doch auch das brachte keine
Veränderung.
Doch der massive Drogenkonsum wirkte sich bereits auf meinen Hirnstoffwechsel aus. Ich litt unter
Verfolgungswahn. In den ersten Monaten gelang
es mir noch, die Wahrnehmung von Scheinkameras in meine Persönlichkeit zu integrieren. Niemandem meiner Drogenfreunde fiel etwas auf.
Nachdem ich die 9. Klasse in der Realschule nun
wiederholte brach ich langsam zusammen. Auch
die heftigen Streitigkeiten mit meinen Eltern und
zwei Geschwistern ließen nach. Nach ca. 4 Monaten Verfolgungswahn erzählte ich dann meiner
Mutter, dass ich wegziehen wollte. Meine Mutter
fragte warum. Also erzählte ich ihr von den Kameras. Was mir heute noch unerklärlich ist, meinte ich sogar, dass ich Tabletten wollte, damit das
weg geht. Mir war nämlich damals noch nichts
über psychische Krankheiten bekannt.
Am nächsten Tag beim Arzt bekam ich dann meine Diagnose „Drogeninduzierte paranoide Psychose“. Eine Stunde später fand ich mich in der
Kinder- und Jugendpsychiatrie Weissenau wieder.
Dort brach ich innerlich von Tag zu Tag mehr zusammen. Die Drogen hatten mir noch geholfen,
die lästernden Stimmen und den Verfolgungswahn zu ertragen, doch nun musste ich wieder
in den Spiegel schauen. Drei Monate wurde ich
erfolglos mit einem Medikament behandelt. Unter den folgenden hochpotent wirkenden Mitteln litt ich unter zu großen Nebenwirkungen.
Erst der dritte Medikamentenwechsel brachte
mich wieder in die Realität zurück. Nach 7 Monaten Weissenau hatte man dann auch endlich ein
neues Zuhause gefunden. Damit ich erfolgreich
lernen konnte ohne Drogen zu leben, sollte ich
meine Heimat, den Bodensee, verlassen.
Doppeldiagnose
Nichtbetroffene berichten
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
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wie
Entstigmatisierung
Entstigmatisierung
Die WHO stellt in ihrem Aktionsplan für Europa fest, dass Menschen mit psychischen Gesundheitsproblemen in vielen Fällen aufgrund
von Diskriminierung nicht die gleichen Möglichkeiten geboten werden. „Die Menschenrechte und die Würde dieser Personen müssen
geschützt werden. Eigenverantwortung ist ein
entscheidender Schritt, da sie Integration und
gesellschaftliche Eingliederung fördert. Fehlende
Einflussmöglichkeiten für die Organisationen
von Betroffenen und Betreuenden, sowie unzureichende Vertretung verhindern die Gestaltung
und Einführung von Konzepten und Maßnahmen, die auf die Bedürfnisse und Wünsche...
Fotograf: Brigitte Sanladerer
Modellprojekte haben gezeigt, dass Aufklärung und
gezielte Maßnahmen Vorurteile und Diskriminierung erheblich verringern können. Bereits 1996 hat
der Weltverband für Psychiatrie [www.wpanet.org]
ein Anti-Stigma-Programm konzipiert, das sich in
seinen Zielen und Inhalten an den Bedürfnissen und
Wahrnehmungen von schizophren erkrankten Menschen, ihren Familien und den Menschen orientiert,
die beruflich mit ihnen in Kontakt stehen. Ziel dieses
Bündnisses ist es, das Wissen über psychische Erkrankungen in der Öffentlichkeit zu verbessern und
psychisch kranken Menschen eine gleichberechtigte
Teilhabe in der Gesellschaft zu ermöglichen. Gemeinsam mit Bündnispartnern aus relevanten gesellschaftlichen Feldern wie Politik, Gesundheitswesen, Medien, Arbeitswelt, Bildung, Sport und Kirche
wollen sich die Initiatoren und Beteiligten des Bündnisses dem Abbau von Stigma und Diskriminierung
der Betroffenen annehmen, um eine Verbesserung
der Akzeptanz und Integration von Menschen mit
psychischen Erkrankungen auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens zu erreichen.
Die fachlichen und politischen Entwicklungen
in der Psychiatrie, neue Behandlungsmöglichkeiten und Versorgungsstrukturen sowie das
Engagement von Psychiatrie-Erfahrenen und
Angehörigen haben inzwischen zu einer besseren Versorgung psychisch kranker Menschen in
Deutschland geführt. Dennoch bestehen in der
Bevölkerung weiterhin hartnäckige Vorurteile
gegenüber Menschen mit psychischen Erkrankungen. Kinder und Jugendliche mit psychischen
Beeinträchtigungen unterliegen einem besonderen Risiko, insbesondere in der Schule ausgegrenzt zu werden.
Erwachsene verschweigen psychische Erkrankungen bzw. Aufenthalte in stationären psychiatrischen Einrichtungen gegenüber Arbeitgebern,
Kolleginnen und Kollegen, Bekannten oder Vermietern aus Scham und Furcht vor Diskriminierung.
Psychisch kranken Menschen wird häufig ihre Störung zum Vorwurf gemacht und Eltern von psychisch kranken Kindern [entgegen wissenschaftlichen Erkenntnissen] eine fehlerhafte Erziehung
vorgehalten. Stigmatisierung psychischer Leiden
entsteht unter anderem daraus, dass diese nicht
als Krankheiten wahrgenommen werden. Besonders große Vorbehalte bestehen gegen Menschen,
die an einer schizophrenen Erkrankung leiden.
Stigmatisierung kann bedingen, dass Menschen
aus Furcht eben vor dieser Stigmatisierung sich
nicht oder zu spät behandeln lassen, die Behandlung abbrechen oder ihre Erkrankung durch eine
Stigmatisierung verstärkt wird. Auch Angehörige
von psychisch kranken Menschen werden oft in
diese Vorurteile mit eingeschlossen.
Es braucht Zeit und Geduld, die oft tief verwurzelten negativen Einstellungen bei Menschen zu
verändern. Um auf diese Veränderungsprozesse
hinzuwirken, reichen keine einmaligen Veranstaltungen, dies erfordert einen fortlaufenden Prozess, der auf vielen Ebenen geführt werden muss.
Stigmatisierung und Diskriminierung
Menschen, die an Schizophrenie erkrankt sind,
werden häufig pauschal als gewalttätig und unberechenbar eingestuft. Menschen mit Depressionen oder einer Suchterkrankung hören oft,
ihnen fehle nur die nötige Selbstdisziplin. Dies
sind nur zwei Beispiele für Vorurteile gegenüber
Menschen mit psychischen Erkrankungen.
Die Ausgrenzung und Diskriminierung psychisch
Kranker erfolgt auf unterschiedlichen Ebenen:
Im Rahmen zwischenmenschlicher Beziehungen,
am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft, durch die
Politik, private Versicherungsanbieter oder allein
durch eine diskriminierende Darstellung seelisch
Kranker in den Medien.
Die Betroffenen sehen sich aufgrund ihrer Krankheit mit einem negativen Stereotyp konfrontiert. Sie
müssen häufig erfahren, wie sich Menschen aufgrund ihrer Erkrankung von ihnen abwenden oder
wie ihnen Lebenschancen genommen werden.
Menschen mit psychischen Erkrankungen werden
vielfach aus unserer Gesellschaft ausgegrenzt.
Die Ausgrenzung findet dabei nicht immer in
offener Ablehnung und Benachteiligung statt,
sondern auch verdeckt und schleichend. Betroffen sind dabei nicht nur die Kranken selbst, sondern häufig auch ihre Angehörigen. Sie erfahren
ebenfalls Ablehnung oder müssen die Ausgrenzung der ihnen nahestehenden Menschen miterleben.
Diesen Prozess nennt man in der Fachsprache
Stigmatisierung. Das Stigma, das einer psychischen Erkrankung angelastet wird, erweist
sich für die Betroffenen als schwerwiegende
zusätzliche Belastung. Stigmatisierung gilt daher auch als „zweite Krankheit“. Sie kann nicht
nur den Heilungsprozess behindern, sondern
häufig auch eine frühzeitige Diagnose und
Behandlung. Denn aufgrund der negativen
Attribute, die mit psychischen Erkrankungen
verbunden werden, gehe viele Betroffene nicht
oder erst spät zum Arzt, um die Diagnose „psychisch krank“ zu vermeiden.
Für die Betroffenen bedeuten die negativen Reaktionen auf ihre Erkrankungen nicht zuletzt,
dass ihr soziales Netz – Lebenspartner, Freundesund Bekanntenkreis – stark belastet wird. Stigmatisierung hat noch weitere gesellschaftliche,
wie wirtschaftliche Folgen für die Betroffenen:
Beispielsweise sind Menschen mit psychischen
Erkrankungen im besonderen Maße von Arbeitslosigkeit betroffen. Sie, wie auch ihre Angehörigen, haben ein erhöhtes Armutsrisiko. Auch
Obdachlosigkeit kann zu den Folgen der Stigmatisierung zählen.
Foto: pixelio - Rike
Betroffene berichten
Das Grünbuch der europäischen Kommission greift
die Thematik der Stigmatisierung ebenfalls auf. Es
stellt fest, dass ungeachtet verbesserter Behandlungsmöglichkeiten und positiver Entwicklungen
in der psychiatrischen Versorgung psychisch kranke Personen nach wie vor soziale Ausgrenzung,
Stigmatisierung, Diskriminierung und Verletzungen
ihrer Grundrechte und ihrer Menschenwürde erfahren. Aus Sicht des Grünbuchs bedarf es auch
einer Verhaltensänderung in der Öffentlichkeit, bei
Sozialpartnern, Behörden und Regierungen. Die
Öffentlichkeit sollte stärker für psychische Erkrankungen und Therapiemöglichkeiten sensibilisiert
werden. Die Integration psychisch kranker Menschen ins Arbeitsleben sollte stärker gefördert werden, woraus eine höhere Akzeptanz und ein größeres Verständnis in der Gesellschaft erhofft werden.
Hierfür wird mit langfristigem Engagement ein
breit gefächertes, bundesweites Aufklärungsprogramm durchgeführt. Das Aktionsbündnis ist als
organisatorisches und kommunikatives „Dach“
zu verstehen, unter dem bereits aktive lokale und
überregionale Antistigmaprogramme und Initiativen in einem Verbund auf nationaler Ebene zusammengeführt werden. Weitere Informationen
unter www.openthedoors.de.
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Fachleute berichten
... der Betroffenen zugeschnitten sind.“ Sie hat
daher zur Entwicklung und Umsetzung etlicher
Maßnahmen aufgerufen, die u. a. Information
und Aufklärung der Bevölkerung, aber auch der
Medien, eine entsprechende Gesetzgebung gegen
Stigmatisierung und Diskriminierung, Standards
für die Einbindung Betroffener in Planungs- und
Entscheidungsprozesse der Versorgungsstrukturen
und die Beseitigung von Diskriminierung bei Einstellungen auf dem Arbeitsmarkt bzw. die Schaffung von Zugängen zum Arbeitsmarkt beinhalten.
Enstigmatisierung
Nichtbetroffene berichten
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
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Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
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Fotograf: Christoph Letzner
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wie
Ergotherapie
Ambulante Ergotherapie
Der Begriff Ergotherapie kommt aus den früheren
Bereichen Arbeits- und Beschäftigungstherapie.
Es gibt die klassische Ergotherapie in Deutschland erst seit 1999, da wurden die gesetzlich geschützten Bereiche Arbeits- und Beschäftigungstherapie in die ebenfalls gesetzlich geschützte
Ergotherapie umgewandelt.
Ergotherapie unterstützt u.a. Personen, die eine
psychische Erkrankung haben, Menschen mit Behinderungen – sei es körperlicher oder geistiger
Art, Kinder, Senioren, Menschen, die nach Unfällen/Erkrankungen in ihrer Handlungsfähigkeit
eingeschränkt sind.
Sie unterstützt diese Menschen dabei, wieder
handlungsfähig zu werden, mit dem Ziel, bedeutungsvolle Betätigungen wieder zu erlernen und
den Alltag soweit wie möglich selbstständig zu
bewältigen.
Dies begründet sich nicht nur auf gestalterische
Ausdrucksweise, sondern bezieht die Bereiche
Selbstversorgung Produktivität – also Arbeitsfähigkeit und Freizeitgestaltung mit ein. Die Ergotherapie soll dazu dienen, am Alltag und in der
Gemeinschaft oder Gesellschaft wieder sicherer
zu werden und die Verbesserung der Lebensqualität zu ermöglichen.
Ergotherapie kann sozialwissenschaftlich, medizinisch oder handlungsorientiert begründet sein.
Sie ist ein anerkanntes Heilmittel und wird vom
Hausarzt oder Facharzt (Neurologe/Psychiater)
verordnet.
Es stehen in dieser Therapieform nicht die Beeinträchtigungen, sondern die wieder zu erlernenden Fähigkeiten im Vordergrund.
In der Psychiatrie bietet sie die Möglichkeit u. a.
die jeweils eigenen - kreativen - Fähigkeiten wiederzuentdecken oder neu zu entfalten, oder
durch Hirnleistungstraining am Computer das
Gedächtnis zu schulen und die Konzentrationsfähigkeit zu verbessern.
Ergotherapie sollte ganzheitlich arbeiten, aber
es ist noch schwierig, diese Aufgaben in der Psychiatrie zu bewältigen, da die Ergotherapie hier
noch in den Kinderschuhen steckt.
Ziele der Ergo in der Psychiatrie sind: u.a. Antrieb, Belastbarkeit, Ausdauer, Flexibilität, Selbstständigkeit und Konzentration zu fördern sowie
die Stärkung von Sozialkompetenzen. Vor allem
dient die Therapie auch der Tagesstrukturierung.
Frage:
Gibt es vielleicht so etwas wie einen „Fahrplan“, in dem vorgeschrieben ist, welche
Anwendungen für diese Diagnose anzuwenden sind?
Interview Ergotherapie
Frage:
Und wie ist das mit dem Metakognitiven Training, das Sie auch anbieten? Laut Wikipedia
ist das das Nachdenken über das Denken, aber
so einfach ist das wohl doch nicht. Können Sie
kurz benennen, was wir uns als Nichtbetroffene darunter vorstellen können und für welche Erkrankungen das konzipiert wurde?
Frage:
Sie haben es ja mit vielen verschiedenen psychischen Diagnosen zu tun, aber ich glaube
auch mit physischen, oder liege ich da falsch?
Antwort:
Ja, Sie liegen falsch, da ich hier „nur“ Personen mit
einer psychischen Diagnose behandle, weil u. a.
auch die Ausstattung, Zeit und Räumlichkeit nicht
gegeben ist. Sollten doch mal Patienten mit einer
physischen Erkrankung zu mir kommen, verweise
ich sie an die Ergotherapie-Praxen in der Nähe.
Antwort:
Es gibt keinen konkreten „Fahrplan“, sonst
müsste ja überall eine Depression, Schizophrenie,
Angst- und Essstörung gleich behandelt werden.
Nein, es kommt immer darauf an, was dem Klient wichtig ist, was er wiedererlangen möchte.
Im Vordergrund steht der Klient und nicht die
Diagnose. Man nennt es klientenzentriertes Arbeiten. Aber oftmals gibt die Diagnose schon
Auskunft, wo der Haken liegt. z.B. Menschen
mit Depressionen zeigen einen eher negativen
Beurteilungsstil, woran dann gearbeitet werden
kann.
Antwort:
Metakognitives Training bedeutet so etwas wie
Denken über das Denken, also, sich mal Gedanken zu machen über unsere Denkprozesse. Vieles
läuft ja unbewusst ab und es kann ganz schnell
zu Fehlinterpretationen führen, die besonders bei
Menschen mit Psychosen oder Depressionen in
schwerwiegenden zwischenmenschlichen Problemen enden können. Insgesamt gibt es acht Einheiten zu verschiedenen Themen, die auch für
Nichtbetroffene ganz interessant sind. Schließlich
sind wir alle nicht frei von Fehlern und Schwächen.
Frage:
Ergotherapie wird ja entweder vom Facharzt oder Hausarzt verordnet. Haben Sie
schon Fälle gehabt, wo das mit der Rezeptausstellung Probleme mit der Krankenkasse
gab und Sie intervenieren mussten? Hat jeder ein Recht auf Ergotherapie?
Antwort:
Ich hatte noch nie Probleme mit den Rezepten
bzw. Rezeptausstellungen. Aber es ist bekannt,
dass die Kassen sparen wollen und oftmals Ergotherapie in Frage stellen.
Ergotherapie ist ein ärztlich verordnetes Heilmittel, genauso wie Physiotherapie, Massage, Logopädie etc., aber es obliegt dem behandelnden
Arzt, ob und wie lange er Ergotherapie verordnet. Im Rahmen der Budgetierung der niedergelassenen Ärzte sind aber auch von ihnen Sinn
und Zweck teilweise in Frage gestellt, denn es
muss tatsächlich auch darauf geachtet werden,
ob die Therapie für die Betroffenen ein sinnvolles
Heilmittel ist, oder er/sie nicht von anderen Behandlungsmodellen profitieren könnten. Aber
das muss von Person zu Person individuell betrachtet werden.
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Die Blume
Ergotherapie aus meiner Sicht
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
Ich bin jetzt seit einem Jahr hier in der Ergotherapie und fühle mich dort sehr gut aufgehoben.
Ich mache neben den gestalterischen Elementen
auch Hirnleistungstraining am Computer.
Pflück`, die Knospe, für ein Glück.
Pflück` die Blume, aber zerbrich Sie nicht.
Insgesamt kann ich auf 6 Jahre Ergotherapie
zurückblicken. Ich dachte zwar immer, dass mir
irgendwann die Ideen ausgehen, aber ich hab
doch immer was Interessantes gefunden, oder
wenn mir nichts mehr einfiel, hatten die Therapeuten ganz spannende Ideen.
Pflück´, die Blüte. Pflück sie nicht.
Sie welkt vor Deinem Angesicht.
Besser ist`s Du zeichnest Eine.
Eine grosse, eine kleine
Denn Sie sind lange Zeit die Deine.
Es ist von Woche zu Woche unterschiedlich, was
anliegt, ob ich nun kreativ sein will oder nur am
Computer hocken. Es hängt auch ein wenig von
meinen Innenkindern ab, manchmal wollen die
ganz schnell was gestalten, dann bietet sich ein
Mandala oder Ton an, auch Seidenmalerei ab
und zu, aber dazu braucht es schon etwas mehr
Konzentration: Speckstein eignet sich dazu;
wenn ich mal etwas in Form bringen will, dazu
ist Ton zwar auch geeignet, aber bei Speckstein
muss man schon Kraft anwenden, das geht zum
Beispiel nicht immer: beim Specksteinbearbeiten
schaue ich mir den unbearbeiteten Stein an und
überlege, was der Stein werden will. Es ist mir
auch schon passiert, dass ich unbedingt aus
einem Stein was bestimmtes modellieren wollte,
vom Speckstein aber immer etwas rausbrach, ich
musste dann was anderes daraus machen. Für
mich war es eine kleine Katastrophe, denn ich
konnte mich schwer damit abfinden, dass etwas
nicht nach Plan läuft.
Pflück´, die Blume; Pflück sie nicht.
Wenn Du sie pflückst, zerbrich sie nicht.
Lass die Blume und es wird sich zeigen:
„Ein Jahr später schon ein Blumenreigen“.
Pflück` die Blume,
Für Bekannte und Verwandte.
Auch irgendwann pflückt die Blume
man für dich.
Pflück´ die Blume, pflück Sie schon,
Denn sie sind auch Gottes Lohn.
Monte Christo
5.5.2008
Ich finde die Ergotherapie ist auch ein gutes Mittel, mal meine Grenzen auszutesten und zur Tagesstrukturierung.
In der Ergotherapie vom GpZ gibt es die Möglichkeit mit Ton zu arbeiten oder aus einem Speckstein etwas zu modellieren, auch werden dort
Seidentücher bemalt. Aus Peddigrohr kann man
schöne Körbe flechten, dann gibt es noch verschiedenen Papiermaterialien zum Basteln und
Malen, Malutensilien gibt es in Form von Aquarell- und Acrylfarben. Man kann aber auch Mandalas ausmalen. Weitere Arbeitsutensilien sind
Linoldruck oder auch Pappmaché. Die Therapeutin bietet auch noch das Metakognitive Training
an.
Foto: Pixelio - Martina Brunner
Betroffene berichten
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Eßstörung
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wie
Eßstörung
Fachleute berichten
Wo is(s)t man?
Nichtbetroffene berichten
Foto: pixelio - sassi
Enttäuschter Blick,
innerliches Zusammenzucken
beim Anblick meiner Fülle auf der Waage.
Der Alltag einer Essgestörten.
Im Tagebuch halte ich „meine Sünden“ fest.
Der Blick auf die Waage. Mit jedem Gramm, das
ich verloren habe, steigt mein „Wert“. Bei der
kleinsten Gewichtszunahme würde ich am liebsten sterben.
Die Angst vor`m Essen.
Es gibt verschiedene Arten von Essstörungen. Die
wohl Bekanntesten sind die „Anorexia nervosa“
(zu Deutsch: Magersucht) und die Bulimia Nervosa (Ess-Brech-Sucht).
55 kg? Was jetzt?
Essstörungen, auch „ Eating disorders“ genannt,
sind sehr weit verbreitet, beinahe schon eine
Modeerscheinung. Sie treten in unserer Gesellschaft immer häufiger zu Tage, werden jedoch
von den Betroffenen meist verheimlicht oder/
und verharmlost.
Dabei wird das Essen zum zentralen Thema.
Deine Gedanken und dein Gefühlsleben kreisen
„plötzlich“ nur noch um eins: Mein Körper, mein
Feind!
Du glaubst, dadurch dass du an Gewicht verlierst, gewinnst du in den Augen deines „Publikums“ an Wert.
Auch der Wunsch nach Perfektion spielt dabei
eine große Rolle. Du willst beliebt sein, du willst
„schön“ sein, du willst schlank „werden“ – und
das um jeden Preis.
So beginnst du mit Diätprogrammen, damit
Kochrezepte zu studieren, für andere zu kochen
… jedoch nie für dich selbst und wenn … dann
führt dein nächster oder übernächster Weg ins
Badezimmer.
Du lässt den Wasserhahn laufen und …
Fallende Zahlen auf der Waage haben eine schier
hypnotische Wirkung auf dich.
Ich selbst bin äußerst kreativ darin, „neue Wege“
zu finden...
Verständlich, dass es meine WG-Mitglieder
störte, wenn ich aß und das Gegessene später in
die Toilette wanderte.
Dabei konnte ich am Anfang nicht einmal „kotzen“, doch im Laufe der Jahre wurde es immer
einfacher für mich. Du steckst dir den Finger in
den Hals, möglichst tief und wenn es dir gelingt,
dein Gurgelzäpfchen zu berühren, wunderbar!
Alles bestens!
Und je mehr du deine „Kunst“ perfektionierst,
desto befreiter fühlst du dich.
Doch die Freude über 53 kg wehrt nicht lange,
wären 47kg nicht viel besser?
Doch die Essstörung übernimmt die Kontrolle
über mein Leben.
Ich müsste nur noch ein klein wenig….
Wie bei vielen psychischen Erkrankungen gibt es
zum Thema „Essstörung“ Fachliteratur zu Genüge. Doch wie ich an mir selbst wahrnehmen
konnte, je mehr Bücher ich darüber las, je weiter
ich mich in dieses Thema vertiefte, desto „einfallsreicher“ wurde ich.
Du glaubst, dein Gewicht sei das Einzige, was du
kontrollieren könntest. Dabei hast du die Kontrolle über dein Leben längst verloren.
Du hast nicht deine Essstörung unter Kontrolle.
„Sie“ kontrolliert dich, übernimmt dein Leben ...
Dass Eltern, Geschwister, Freunde/-innen und
Bekannte sich um dich sorgen, wird belanglos
oder es setzt dich zusätzlich unter Druck.
Der ständige Kampf mit dem Essen, gegen sich
selbst und irgendwann hat man keine Lust mehr
zu kämpfen…
Vieles von meinem Leid ist selbstgewählt? Immer wieder zog es mich auf sogenannte „ProAna-Seiten“, die Anorexie und Bulimie geradezu
verherrlichten. Dabei sind dies ernstzunehmende
Krankheiten, eine Essstörung ist ein „Suizid auf
Raten“.
Nur für meine besten Freunde und meine Freundin habe ich überlebt.
Ich gebe mich selbst auf, glaube daran, dass ich
mich fortan lediglich durch Essen, Erbrechen
oder Nichtessen definieren kann.
Dabei bin ich viel mehr…
Doch schon heute Morgen stand ich erneut auf
der Waage.
Thema: Eßstörungen
ger, dann frühstückst Du und hast immer noch
Hunger. Dann gibt es irgendwann Mittagessen.
Du hast es aber nicht ausgehalten zu warten und
hast schon Kekse und Schokolade gefuttert, weil
dieses Hungergefühl einen verrückt macht. Dann,
nach dem Abendessen und etlichen Snacks davor, gehst Du hungrig ins Bett! Und je nachdem,
wachst Du auch vor Hunger auf und musst etwas
Ich habe sehr viel zugenommen, bei meinem
ersten Aufenthalt in der Psychiatrie. Es gibt da
ein Medikament von dem man so hungrig wird,
dass man nur ans Essen denkt. Betroffene wissen, was ich meine. Man kann sich das so vorstellen: Du stehst am Morgen auf und hast Hun-
58kg? Was jetzt?
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Ich habe mich dann erkundigt, wer zuständig ist
und mir helfen könnte. Es war die Caritas. Ich
bin dann dort zur Natalie gekommen. Ich werde
sie nie vergessen. Sie war sehr nett zu mir und
verständnisvoll. Sie hat jede Woche mit mir gesprochen. Sie hat mir klargemacht, dass ich mich
kaputt mache und dass es andere Möglichkeiten
gibt, das Gewicht zu regulieren. Sie hat mich aufschreiben lassen, wann und wie viele Essanfälle ich
Es war sowieso alles extrem in dieser Zeit. Nach
der Klinik, bin ich dann in die Reha gekommen.
Dort war ich zwei Jahre am Limit. Bei mir war es
so: Es gab Mahlzeiten, die ich gegessen habe,
dass es normal aussieht nach außen. Dass es keiner merkt, was für ein Problem ich habe. Denn
es hat mich angewidert… jedes Mal nach den
Essanfällen auf die Toilette und den Finger in den
Hals. Manchmal bis zu fünfmal am Tag! Ich habe
mich selbst so vor mir geekelt, hatte aber keine
Möglichkeit aus diesem Zwang herauszukommen. Denn, wenn ich nicht gespuckt hätte, dann
hätte ich noch mehr zugenommen und wäre
noch fetter geworden, wie ich eigentlich schon
war. Es war ein Teufelskreis! Ich war eigentlich
nie richtig dünn in meinem Leben. Aber sportlich
schlank schon. Ich wollte immer anders sein wie
ich eigentlich war. Und das war der Punkt!
Die Geschichte geht noch weiter: Als ich dann
nach Hause kam, nach der Reha, ging es mir
schlecht, sehr schlecht. Ich habe mich nicht unter Kontrolle gehabt. Ich habe es zwar fast geschafft mich nicht mehr zu erbrechen, aber die
Essanfälle blieben trotzdem. Ich konnte es nicht
kontrollieren. Ich habe noch mal 20 Kilo zugenommen!
Aber ich kann sagen, dass ich mich jetzt mehr
mag, als in der Zeit wo ich noch extrem bulimisch
war. Und da hatte ich 20 Kilo weniger. Es hat also
nichts mit dem Gewicht zu tun, ob man sich mag
oder nicht. Es hat mit der Einstellung zu tun, die
man sich selbst gegenüber hat. Das war auch ein
langer Prozess, den ich durchlaufen musste. Ich
weiß, dass ich abnehmen kann und wieder lernen kann normal zu essen. Ich weiß auch, dass
ich dazu professionelle Hilfe benötige. Aber ich
weiß auch, dass ich es jetzt geschafft habe über
ein Jahr hinweg mein Gewicht zu halten und
nicht noch mehr zuzunehmen. Und darauf bin
ich stolz! Klar, ich bin immer noch zu dick. Aber
mir kommt es nicht darauf an schlank zu werden
oder dünn zu sein. Ich will nur normal leben können. Normal essen können, Sport machen, einfach leben und mit mir zufrieden sein. Ich muss
jetzt auch nicht so und so viele Kilos abnehmen
in der und der Zeit. Darauf kommt es mir nicht
an. Ich will nur normal leben können. Ohne die
Extreme! Ich weiß, ich esse gerne und ich gebe
zu, ich liebe das Essen. Ich will es nur wieder
richtig genießen können! Den Anfang habe ich
schon geschafft!
Ob jetzt Bulimie oder Binge Eating, mit beiden
Essstörungen zerstört man sich selbst und versucht irgendetwas zu entkommen. Aber wenn
man sich mit den Gründen, die tiefer liegen, beschäftigt und die nach und nach (langsam, nicht
zu schnell!) abarbeitet, dann versteht man auch
das Problem und kann es lösen!
Aber zurückblickend muss ich sagen, dass ich in
dieser akuten Bulimie-Zeit eine gute Figur hatte.
Foto: pixelio - Rainer Sturm
Anorexia nervosa (Magersucht)
Erfahrungsbericht
Meine Essstörung begleitet mich schon das ganze Leben. Ich aß schon als Kind sehr wenig, meinen Eltern war das egal, ich war ja nur ein Mädchen. Dass ich ihnen damit etwas signalisieren
wollte, begriffen sie nicht. Damals fingen auch
die Übergriffe meines Vaters an.
Meine Großeltern überredeten meine Eltern,
mich als Kind zur Kur zu schicken, damit ich zunehmen sollte. Ich durfte aber nur mit, weil mein
Bruder auch mitkommen sollte, denn er war als
Kind ebenso dünn wie ich. Es war ein Fiasko,
das Essen fast nicht genießbar, aber mein Bruder
haute richtig rein.
Zu Hause versuchten dann meine Großeltern, mich
aufzupäppeln. Sie kochten meine Lieblingsspeisen
und gaben mir auch öfters mal Süßigkeiten.
Für meine Eltern war nur wichtig, dass ich nicht
auffiel, aber ich hatte früh gelernt, nach außen
eine Maske aufzusetzen. Ich hätte gern geredet,
warum ich nicht mehr essen wollte und gesagt,
dass der Papa mich überall anfasst.
Ich hangelte mich irgendwie so durch. Das Paradoxe daran war, dass ich einerseits immer dazu
angetrieben wurde, Leistung zu bringen, aber
andererseits wurde mir von meinen Eltern signalisiert, ich wäre nichts wert, weil ich eben nur ein
Mädchen war.
Ich sage es so, auch wenn es hart klingt, ich war
froh, als mein Vater starb, als ich 15 Jahre alt war.
Da hatte ich wenigstens vor ihm Ruhe.
Ich schaffte den Absprung aus diesem Elternhaus
erst, als ich schon 22 Jahre alt war. Ich brauchte
mir eigentlich nicht mehr was zu beweisen, auch
hatte ich es aufgegeben, dass ich mit dem Dünnsein auf mich aufmerksam machen wollte.
Jetzt ging es bei mir mehr darum Kontrolle zu
haben und dass ich mir etwas beweisen wollte,
nämlich, dass ich etwas im Leben ganz gut beherrschte. Der Teufelskreis begann erneut, da ich
noch gar keine Berufserfahrung hatte und mir
doch noch Fehler passierten.
Betroffene berichten
Ich habe also über zwei Jahre hinweg übelst
selbstzerstörerisch gelebt. Und zwar extrem!
Dann irgendwann ist mir klargeworden, dass ich
Hilfe brauche, dass ich aus dieser Teufelsspirale
alleine nicht mehr herauskomme. Ich habe auch
schon langsam an meinem Körper bemerkt, dass
es nicht so weitergeht. Ich hatte schrecklich unreine Haut, meine Zähne haben langsam angefangen zu leiden und meine Stimme war öfters
mal weg. Ich hatte auch oft Halsschmerzen und
meine Haare, Nägel etc. waren in keinem guten
Zustand mehr.
habe und in welchen Situationen. Dann konnte
ich selbst nachvollziehen, wann ich immer diesen
Druck hatte und wie ich es vermeiden konnte. Ok,
es war nicht einfach. Aber langsam wurde es besser. Bis heute bin ich noch nicht ganz weg davon
zu spucken, aber es ist fast ganz weg. Nur noch in
extremen Situationen verliere ich manchmal noch
die Kontrolle. Also wenn ich es konkretisiere, dann
passiert es heute noch 1mal in 4 Monaten.
Fachleute berichten
So hat es dann angefangen mit meiner Essstörung. Ich habe schon während dem 1. Klinikaufenthalt angefangen, mich nach dem Essen
zu erbrechen. Das war am Anfang noch nicht
regelmäßig und für mich war es kontrollierbar,
dachte ich zumindest. Doch da habe ich mich total getäuscht. Ich bin dann in einen Teufelskreis
hineingekommen, aus dem es sehr schwer ist,
wieder herauszukommen. Zufrieden mit meinem
Aussehen war ich noch nie wirklich und dann die
Zunahme hat es nicht besser gemacht. Im Gegenteil. Ich habe mich selbst gehasst! Während
der zweiten Psychose habe ich dann aufgehört
zu essen, weil ich dachte ich könnte von Luft
und Liebe leben. Und ich war der Überzeugung,
ich sei nur liebenswert, wenn ich dünn bin. Ich
habe ziemlich abgenommen für meine Verhältnisse. Also ich hatte für eine kurze Zeit Größe 36
und das hatte ich noch nie seit meiner Pubertät.
Ich dachte, ich könnte auch ohne Essen leben
und das Essen ist schuld daran, dass ich so unzufrieden mit mir bin und mich nicht leiden kann
und dass ich deswegen krank geworden bin. Das
ganze Problem war ICH!
Ich war kein Model, aber doch hübsch anzuschauen. Das Problem war einfach, dass ich nicht mit mir
selbst klarkam; also mit meiner Weiblichkeit auf
der einen Seite und auch war ich mit meiner Persönlichkeit noch nicht im Reinen. Ich war unsicher,
bei allem was ich tat und sagte und machte.
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essen. Das kann sich jemand, der es nicht erlebt
hat, nicht vorstellen. Ich hab dann sofort dafür
gesorgt, dass dieses Medikament abgesetzt wird
und ich auf ein anderes umgestellt werde. Aber
die Kilos hatte ich drauf! Leider.
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Als ich mit ca. 37 Jahren mit meinem damaligen
Freund zusammenzog, dachte ich, jetzt brauch
ich die Anorexie nicht mehr, hungerte auch nicht
mehr, stieg aber noch jeden Tag auf die Waage.
So extrem wie es in der Zeit war, als ich noch allein gewohnt habe – ich bin vor jedem Essen auf
die Waage gestiegen – war es jedoch nicht mehr.
Wir machten aber regelmäßig vor unserem Urlaub „Diät“. Für meinen Partner war es frustrierend, denn das Hungern machte mir ja nichts
aus; ich nahm auch sehr schnell ab. Zur Eskalation kam es, als mein Lebensgefährte sich von
mir trennte. Ich bildete mir ein, ich wäre zu fett,
gleichzeitig wollte ich aber ab jetzt mein Leben
mehr kontrollieren, auch musste ich wieder etwas beweisen. Diesmal fand ich nicht mehr den
Absprung. Mein Arzt überredete mich, in eine
psychosomatische Klinik mit dem Schwerpunkt
Essstörung zu gehen. Ich blieb fast ein Jahr da,
aber es gelang mir nicht, zuzunehmen.
Ich ging auch wieder arbeiten, aber ich merkte,
dass ich mich irgendwie nicht mehr konzentrieren konnte, mir passierten Fehler und das Rad
begann wieder von vorn.
Nach wieder einem Jahr war ich auf 43 kg abgemagert, mein Arzt wies mich nach langem Hin
und Her in die Psychiatrie ein. Das war das erste
Mal, dass ich in einer richtigen Psycho-Einrichtung war. Nach 2 Wochen Nichtstun konnte ich
dann gehen, ich hatte 3 kg zugenommen und
außerdem hatte ich die Möglichkeit, eine stationäre Traumatherapie zu machen. Die Ärzte
und Therapeuten waren der Meinung, dass die
Missbrauchserlebnisse aufgearbeitet werden
müssten, dann würde auch die Anorexie weggehen, sie hatten Recht. Hier schaffte ich es, bis auf
50 kg zuzunehmen, da ja die eigentliche Ursache
für meine Magersucht zwar noch nicht weggefallen war, aber jetzt doch irgendwie benannt
werden konnte. In dieser Traumaklinik war ich
mittlerweile das 5. Mal, und immer konnte ich
noch nicht über die Erinnerungen sprechen, es
war erst mal Stabilisierung angesagt.
Zu Hause das Gewicht zu behalten, fiel mir unheimlich schwer, ich hatte auch einen letzten Anlauf genommen, wieder arbeiten zu gehen. Ich
stand nicht mehr, so wie früher, vor jedem Essen
auf der Waage, sondern „nur noch“ einmal täglich.
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Es war eine harte Zeit, denn ich hatte irgendwann nicht mehr die Kontrolle über meinen Körper. Schon nach dem 3. Klinikaufenthalt gab mir
mein Körper Signale, er wollte etwas zu essen,
aber ich nahm das schon gar nicht mehr war,
Ich wusste nicht mehr, wie sich Hunger anfühlt,
deshalb bin ich auch nicht zu einem Arzt gegangen. Erst jetzt nach Jahrzehnten, kann ich wieder
erkennen, ob der Körper Hunger oder Appetit
hat. Das Gefühl des Sattseins habe ich aber noch
nicht wiedergefunden, ich esse jetzt einfach so
viel, wie ich denke, das ist jetzt eine normale Portion. Es gibt aber auch schon Zeiten, wo ich doch
tatsächlich die Kontrolle übers Essen verliere. Das
artet dann in Fressanfällen aus, die auch mal in
die Bulimie-Schiene gehören.
Ich bin aber noch nicht von der Anorexie/Bulimie
geheilt. Vor allem in Zeiten, wo es für mich brenzlich wird, wie bei Konflikten, bei der Arbeitstherapie, bei Kontakt zu meinen Geschwistern oder
bei Flashbacks. Ich finde diesen Teufelskreislauf
ganz schön anstrengend, deshalb habe ich auch
angefangen, nachts Schokolade zu essen, weil
die Nächte eben immer noch schwierig sind. Ich
kann mir noch so oft sagen, hier bist du in Sicherheit, hier kommt so ein Monster nicht mehr
rein und falle wieder in alte Muster rein. Auch
habe ich nicht mehr so oft das Gefühl, ich müsse
mir etwas beweisen. Diese Erkenntnisse sind mir
aber erst nach ein paar Jahren mit der Bewilligung der Erwerbsminderungsrente gekommen.
Ich halte jetzt schon das Gewicht auf einem gesünderen Level, muss aber aufpassen, nicht wieder in die Tretmühle zu geraten.
Die Liebe und das Leben
Die Liebe kann in Deinem Leben,
So manche schöne Stunde geben.
Liebe musst Du lernen zu verstehen,
Dann kannst Du vieles in neuem Licht´ sehen.
In Liebe kannst Du Lieder singen,
Doch Liebe kann auch Schmerzen bringen.
In Liebe empfangen die Eltern schon,
Eine Tochter oder einen Sohn.
Da sagt die Liebe ganz in Ruh`,
Füg` Andern keine Leiden zu.
Liebe sucht nach seinesgleichen,
Damit kannst Du auf Erden ein Stück Himmel erreichen.
In Liebe wirst du hoffen,
Da stehen viele Türen offen.
Liebe wird den Frieden geben,
Für ein sorgenfreies Leben.
Liebe verzeiht Jedermann,
Und klagt nicht den Nächsten an.
Liebe kann uns lehren, an vielen Tagen,
Hier auf Erden, Not und Elend besser zu ertragen.
Mit Liebe kannst Du vieles wagen,
Auch Unglück lässt sich besser ertragen.
Liebe kann stark und mächtig sein,
Sie zieht besser in alle Herzen ein.
Liebe kann viel Freude geben,
Liebe wird nach Großem streben.
Liebe kann den Streit bezwingen,
Mit Liebe wird man Siege erringen.
In Liebe kannst Du viel erwarten:
„Einen schönen Traum, einen schönen Garten“.
Mit Liebe kannst Du viel gestalten.
In Liebe kann sich die Welt entfalten.
Liebe kann schön wie eine Blume sein.
Liebe ist mal groß und dann wieder klein.
Liebe kann die Welt bewegen.
Doch dazu brauchst Du Gottes Segen.
Liebe gibt´s in vielen Dingen,
Große Erkenntnis müssen wir selbst erringen.
Monte Christo - 29.09.2008
Magersucht:
Die Magersucht ist eine Erkrankung die
zumeist bei Mädchen im Teenageralter
auftritt. Die Erkrankungshäufigkeit ist
zwischen einem Alter von 14 und 16 Jahren
am höchsten. Aber auch jüngere und ältere
Mädchen leiden an dieser Krankheit.
Quelle: www.neurologen-und-psychiater-im-netz.de
Foto: Pixelio - Blumenia
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wie
Gesundheit
Funktionale Gesundheit
(bio-psycho-soziale Modell der ICF)
Die ICF ist mit Aspekten der funktionalen Gesundheit befasst. Danach gilt eine Person als
funktional gesund, wenn – vor ihrem gesamten Lebenshintergrund (Konzept der Kontextfaktoren):
1. ihre körperlichen Funktionen (einschließlich
des geistigen und seelischen Bereichs) und ihre
Körperstrukturen allgemein anerkannten (statistischen) Normen entsprechen (Konzept der
Körperfunktionen und -strukturen)
Foto: pixelio - Uschi Dreiucker
Der ICF-Begriff der „Funktionsfähigkeit“ (functioning) umfasst alle Aspekte der funktionalen
Gesundheit. Mit dem Begriff der funktionalen
Gesundheit wird die rein bio-medizinische Betrachtungsweise verlassen. Zusätzlich zu den
bio-medizinischen Aspekten (Körperfunktionen
und -strukturen), die die Ebene des Organismus
betreffen, werden Aspekte des Menschen als
handelndes Subjekt (Aktivitäten) und als selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Subjekt in
Gesellschaft und Umwelt (Teilhabe) einbezogen.
Diese Sichtweise ist für die Rehabilitation von
zentraler Bedeutung. Die genannten Aspekte
gleichsam umhüllend, werden die Kontextfaktoren der betreffenden Person in die Betrachtung einbezogen, d.h. alle externen Gegebenheiten der Welt, in der die betreffende Person
lebt (Umweltfaktoren), sowie ihre persönlichen
Eigenschaften und Attribute (personbezogene
Faktoren). Da sich Kontextfaktoren positiv oder
negativ auf die funktionale Gesundheit auswir-
ken können, sind sie bei der Rehabilitation zu
berücksichtigen.
Im Gegensatz zum bio-medizinischen Modell
(ICD) wird in der ICF der Zustand der funktionalen
Gesundheit einer Person als das Ergebnis der
Wechselwirkung zwischen der Person mit einem
Gesundheitsproblem und ihren Kontextfaktoren
(bio-psycho-soziales Modell der ICF) aufgefasst.
Eine Beeinträchtigung der funktionalen Gesundheit einer Person ist das Ergebnis der negativen
Wechselwirkung zwischen dem Gesundheitsproblem einer Person und ihren Kontextfaktoren.
Jede Beeinträchtigung der funktionalen Gesundheit wird in der ICF Behinderung genannt. Dieser
Behinderungsbegriff ist wesentlich weiter als der
des SGB IX gefasst.
Nach diesem komplexen Interdependenzmodell variiert der Zustand der funktionalen Gesundheit mit dem Gesundheitsproblem und
den Kontextfaktoren, und eine Beeinträchtigung der funktionalen Gesundheit kann neue
Gesundheitsprobleme nach sich ziehen. Jedes
Element des Modells kann als Ausgangpunkt
für mögliche neue Probleme herangezogen
werden. So kann z.B. eine längere Bettlägerigkeit einer Person (Aktivitätseinschränkung) eine
Muskelatrophie (Strukturschaden mit Funktionsstörung) bewirken.
Eine langzeitarbeitslose Person (Beeinträchtigung
der Teilhabe) kann eine reaktive Depression entwi-
Das bio-psycho-soziales Modell der ICF
Gesundheitsproblem
(Gesundheitsstörung oder Krankheit)
Körperfunktion
und- strukturen
Aktivitäten
Umweltfaktoren
Teilhabe
Personenbezogene
Faktoren
ckeln oder alkoholabhängig werden (beides Krankheiten). Derartige Prozesse werden Sekundärprozesse genannt. Mit möglichen Sekundärprozessen
sollte immer gerechnet werden. Neben Sekundärprozessen sind auch induzierte Prozesse bekannt.
Induzierte Prozesse können sich bei Dritten, meist
nächsten Angehörigen, entwickeln. Bekannt sind
induzierte Prozesse z.B. bei Eltern und/oder Geschwistern von schwer krebskranken Kindern.
Mit dem biopsychosozialen Modell wurde ein bedeutender Paradigmenwechsel vollzogen. Funktionale Probleme sind nicht mehr Attribute einer
Person, sondern sie sind das negative Ergebnis
einer Wechselwirkung.
Gesundheitspolitik der Europäischen Union
Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Region haben sich 2005 auf einer Konferenz über
psychische Gesundheit darauf verständigt, der
Zunahme psychischer Erkrankungen in den
Regionen gezielt entgegenzuwirken. Die europäischen Staaten rücken damit psychische
Gesundheit aus dem Schatten von Stigma und
Diskriminierung in den Fokus gesundheitspolitischer Debatten. Durch die Annahme einer
Erklärung und eines Aktionsplans zum Thema
psychische Gesundheit gingen sie eine politische
Selbstverpflichtung für die kommenden fünf bis
zehn Jahre ein. Die Mitgliedsstaaten arbeiten daran, die Prinzipien aus der Erklärung zu verwirklichen und die Ziele der im Aktionsplan genannten
und nachfolgend aufgeführten Arbeitsbereiche
zu erreichen:
•Psychisches Wohlbefinden fördern
•Zentrale Position der psychischen Gesundheit
aufzeigen
•Gegen Stigma und Diskriminierung vorgehen
•Geeignete Angebote für vulnerable Lebensphasen fördern
•Psychische Gesundheitsprobleme und Suizid
verhüten
•Gute Primärversorgung für psychische Gesundheitsprobleme sichern Menschen mit schweren
psychischen Gesundheitsproblemen durch gemeindenahe Dienste wirksam versorgen
•Partnerschaften über Sektoren hinweg errichten
•Ausreichendes und kompetentes Arbeitskräfteangebot schaffen
•Verlässliche Informationen über psychische Gesundheit sichern
•Faire und angemessene Finanzierung bereitstellen
•Wirksamkeit auswerten und neue Erkenntnisse
gewinnen
In einem ersten Schritt zur Umsetzung hat die Europäische Kommission 2005 das Grünbuch„Die
psychische Gesundheit der Bevölkerung verbessern – Entwicklung einer Strategie für die
Förderung der psychischen Gesundheit in der
Europäischen Union“ vorgestellt. Ziele sind die
Schaffung von Rahmenbedingungen für Austausch und Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten, das Zusammenwirken von Aktionen innerhalb und außerhalb des Gesundheitssektors
in den Mitgliedsstaaten und auf Gemeinschaftsebene zu steigern und viele Interessenvertreter in
die Lösungsfindung einzubeziehen.
Hierin wird die psychische Gesundheit der
Bevölkerung als wichtige Ressource für
langfristigen wirtschaftlichen Wohlstand,
Solidarität und soziale Gerechtigkeit in den
Mitgliedsstaaten hervorgehoben. Die gegenwärtige gesundheitliche Situation in der Europäischen Union wird sehr kritisch bewertet. Zur
Dimension psychischer Erkrankungen in der EU
führt das Grünbuch aus, dass Schätzungen zufolge mehr als 27% der erwachsenen Europäerinnen und Europäer mindestens einmal im
Leben unter psychischen Störungen leiden.
Die Kosten psychischer Erkrankungen betragen
schätzungsweise 3 - 4% des Bruttoinlandsprodukts. Zudem zählen psychische Störungen zu
den Hauptursachen für Frühverrentung und
verminderte Erwerbsfähigkeit in den Mitgliedstaaten der EU.
Die am weitesten verbreiteten Störungen in
der EU sind Angst und Depressionen. Es wird
damit gerechnet, dass bis zum Jahr 2020 Depressionen in den Industriestaaten die zweithäufigste Ursache von Erkrankungen sein werden. Zur Zeit sterben in der EU etwa 58.000
Betroffene berichten
2. sie all das tut oder tun kann, was von einem
Menschen ohne Gesundheitsproblem (ICD) erwartet wird (Konzept der Aktivitäten), und
3. sie ihr Dasein in allen Lebensbereichen, die ihr
wichtig sind, in der Weise und dem Umfang entfalten kann, wie es von einem Menschen ohne
Beeinträchtigung der Körperfunktionen oder
-strukturen oder der Aktivitäten erwartet wird
(Konzept der Teilhabe an Lebensbereichen).
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Fachleute berichten
Gesundheit
Nichtbetroffene berichten
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
66 |
Die vom Robert-Koch-Institut von Mai 2003 bis
Mai 2006 durchgeführte bundesweite Studie
hatte zum Ziel, erstmals umfassende und bundesweit repräsentative Informationen zum Gesundheitszustand von Kindern und Jugendlichen
im Alter von 0-17 Jahren zu erheben - darunter
zum Thema „Essstörungen“ und „psychische
Gesundheit“.
„Insgesamt 21,9% der befragten Kinder und Jugendlichen wurden als auffällig bezüglich ihres
Essverhaltens identifiziert (Mädchen: 28,9%,
Jungen: 15,2%). Der Anteil der Auffälligen mit
niedrigem sozioökonomischen Status war mit
27,6% fast doppelt so hoch wie der in der oberen Sozialschicht (15,5%). Die als auffällig Klassifizierten weisen höhere Quoten an psychischen
Auffälligkeiten und Depressivitätsneigung auf.
Sie sind weniger zufrieden mit ihrem Körperselbstbild, rauchen mehr und berichten häufiger
über die Erfahrung sexueller Belästigung.“ Diese
Beobachtungen verdeutlichen, dass Geschlecht,
Alter und soziale Schicht Einflussfaktoren auf
Essstörungen sind. Als Schlussfolgerung wurde
festgehalten: „Die Ergebnisse unterstreichen
die Notwendigkeit, bereits im frühen Jugendalter über die Erkrankung aufzuklären, Betroffene
frühzeitig zu erkennen und Hilfeangebote zielgerichtet zu erweitern.“
Im Rahmen dieser Studie wurde eine zusätzliche
Befragung zum seelischen Wohlbefinden und
Verhalten durchgeführt. Als Ergebnis der Befragung zur psychischen Gesundheit wurde festgestellt: „Bei ca. 22% der untersuchten Kinder
und Jugendlichen liegen Hinweise auf eine psychische Auffälligkeit vor, wobei circa 10% aller
Kinder und Jugendlichen als im engen Sinn psy-
chisch auffällig beurteilt werden müssen. Unter
den spezifischen psychischen Auffälligkeiten
treten Störungen des Sozialverhaltens (10%),
Ängste (7,6%) und Depressionen (5,4%) am
häufigsten auf. Bei den vermuteten Risikofaktoren erweisen sich vor allem ein ungünstiges
Familienklima mit vielen Konflikten sowie ein
niedriger sozioökonomischer Status als negative
Einflussgrößen, die mit einer bis zu 4-fach erhöhten Wahrscheinlichkeit für psychische Auffälligkeit einhergehen.“
Der 109. Deutsche Ärztetag (2006) in Magdeburg hat dem Thema psychische Gesundheit
breiten Raum gegeben. Neben einer Entschließung zur „Aktiven Bekämpfung der Stigmatisierung und Diskriminierung von Menschen mit
psychischen Erkrankungen“ (s. Nr. 2.5) verabschiedete der Ärztetag mit großer Mehrheit eine
weitere Entschließung mit dem Titel: „Stärkung
und Förderung der psychiatrisch-psychosomatischen-psychotherapeutischen Kompetenz im
ärztlichen Handeln“.
Darin wird festgestellt: „Psychische und psychosomatische Erkrankungen gehören zu den häu-
Diese Studie zeigt also, dass es für die Identifikation von Risikogruppen nicht nur von Bedeutung ist, die bekannten Risikofaktoren für die
psychische und subjektive Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu betrachten. Vielmehr
müssen auch die vorhandenen personellen, familiären und sozialen Ressourcen einbezogen
werden. Hier finden sich Ansatzpunkte für eine
wirksame Gestaltung von Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung.
Laut Angaben der Bundeszentrale für
politische Bildung beliefen sich im Jahr 2006
die Ausgaben für Gesundheit auf ingesamt
245 Milliarden Euro. Das waren umgerechnet
10,6 % des BiP oder knapp 3000 Euro je
Einwohner.
Quelle: www.bpb.de
Bundeszentrale für politische Bildung
figsten Gesundheitsstörungen der Bevölkerung.
… Der Stärkung der Prävention, Erkennung,
Behandlung und Rehabilitation psychischer und
psychosomatischer Erkrankungen in allen Sektoren ärztlichen Handelns kommt deshalb eine
herausragende Bedeutung zu.“ In einem Appell
an die Bundesregierung, die Krankenkassen,
aber auch an die für die ärztliche Weiterbildung
zuständige Bundesärztekammer, werden mehr
Möglichkeiten für die praktizierenden Ärzte und
den ärztlichen Nachwuchs in Klinik und Praxis
gefordert, „eine Medizin zu praktizieren, die
wieder bewusst Heilkunst für Körper und Seele
bringt.“
Betroffene berichten
Gesundheitszustand von Kinder- und Jugendlichen
Gesundheit aus Sicht der Ärzte
Fachleute berichten
Deshalb wird ein umfassender Ansatz als erforderlich angesehen, der zum einen die Behandlung und Pflege von Einzelpersonen umfasst,
sich zum anderen aber auch in dem Bestreben
an die Gesamtbevölkerung richtet, die psychische Gesundheit zu fördern, psychische Erkrankungen zu verhüten und gegen Stigmatisierung und Verletzungen der Menschenrechte
anzugehen.
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Nichtbetroffene berichten
Personen jährlich durch Selbsttötung. Das
Grünbuch beschreibt weiterhin eine enge
Wechselwirkung zwischen psychischen und
körperlichen Erkrankungen. Nach allgemeiner
Einschätzung besteht eine der höchsten Prioritäten darin, allen psychisch kranken Menschen
zugängliche wirksame und qualitativ hochwertige psychische Behandlung und Unterstützung bereitzustellen.
Gesundheit
Foto: pixelio - Peter Kirchhoff
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
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Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
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GPV Bodenseekreis
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wie
GpV
Foto: pixelio - by S
Der Gemeindepsychiatrische
Verbund Bodenseekreis
Vorgeschichte
Die psychiatrische Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland stand Ende der sechziger und
Anfang der siebziger Jahre stark in der Kritik. Mit
der Psychiatrie-Enquete von 1971 hat sich die
psychiatrische Versorgung einschneidend geändert.
Doch was die wohnortnahe Versorgung betraf,
so war bis zum Ende der 80er Jahre der Bodenseekreis gemeindepsychiatrisches Niemandsland.
In der Folgezeit wurde jedoch damit begonnen,
ein dichtes Netz von Versorgungs- und Betreuungsangeboten für psychisch kranke und seelisch behinderte Menschen aufzubauen. Der
Landkreis hat sich dabei konzeptionell, planerisch und finanziell stark engagiert. Der 1992
verabschiedete Psychiatrieplan für den Bodenseekreis wurde 1998 fortgeschrieben.
Gemeindepsychiatrische Zentren als Basis des
Gemeindepsychiatrischen Verbund!
Nachdem die psychiatrische Versorgungslandschaft im Jahre 2003 weitgehend vervollständigt war, wurde die Konzentration auf die
Vernetzung innerhalb eines Gemeindepsychiatrischen Verbundes (GpV) gelenkt.
Ein wesentlicher Teil davon war die Errichtung
zweier Gemeindepsychiatrischer Zentren (GpZ)
in Überlingen und Friedrichshafen, in denen die
Bereiche Arbeit, Bildung, Beschäftigung und
Tagesstrukturierung, darüber hinaus aber auch
Beratungs-, Betreuungs- und Behandlungsangebote unterschiedlicher Träger eingebunden
wurden. Damit entstanden Anlaufstellen für
psychisch kranke und behinderte Menschen,
in denen sie unkompliziert und ohne Barrieren
zwischen einzelnen Trägern und Leistungsarten
die unterschiedlichen Hilfsangebote aus den
Bereichen der beruflichen, sozialen und medizinischen Rehabilitation erhalten.
Arbeiten im Verbund
Parallel zu dieser Entwicklung haben sich bereits
2001 unabhängig voneinander ein Wohnverbund und ein Werkstättenverbund gebildet. Im
Werkstättenverbund Bodensee-Oberschwaben
haben sich alle Werkstätten für psychisch behinderte Menschen aus dem Bodenseekreis und
dem Kreis Ravensburg (Nachbarkreis) zusammen
geschlossen um die Versorgung der Region mit
Angeboten der beruflichen Rehabilitation und
Beschäftigung quantitativ und qualitativ sicher zu
stellen, auszubauen und weiter zu entwickeln. In
monatlich stattfindenden Werkstattkonferenzen
wurde die Aufnahme von Personen erörtert und
beschlossen.
Im Wohnverbund haben sich alle Leistungserbringer im Bereich „Wohnen“, also Leistungserbringer der stationären und ambulanten Wohnbetreuung zusammengeschlossen. In monatlich
stattfindenden Hilfeplankonferenzen wurde
die Aufnahme von Personen erörtert und beschlossen. Als eine von wenigen bundesweiten
Modellregionen unter Begleitung der „Aktion
Psychisch Kranke“ wurde seinerzeit der IBRP
(Individueller Behandlungs- und Rehabilitationsplan) eingeführt und mitentwickelt. Diese Doppelstrukturen und die damit einhergehende getrennte Aufnahmesteuerung waren nicht mehr
zeitgemäß.
Unter der Moderation des Bodenseekreises und
dem Engagement der Leistungserbringer bzw.
der vielen engagierten Mitarbeiter ist es dann
2004 gelungen die Kooperationsvereinbarung
zum Gemeindepsychiatrischen Verbund zu verabschieden. Diese Kooperationsvereinbarung
haben ausnahmslos alle Leistungserbringer und
der Landkreis unterschrieben. Ebenso Vertreter
der Betroffenen und der Angehörigen von psychisch kranken Menschen.
Warum ein Gemeindepsychiatrischer Verbund?
Der GpV macht sich zur Aufgabe, den psychisch
beeinträchtigten bzw. erkrankten Menschen eine
am Wohnort orientierte Versorgung vorzuhalten.
Die Betroffenen sollen individuell zugeschnittene
Hilfen in ihrem Lebensfeld in Anspruch nehmen
können und so wenig wie möglich auf einen
Wechsel in ein künstlich geschaffenes Milieu
zurückgreifen müssen. Die Entwicklung einer
bedarfsgerechten Versorgung im Bodenseekreis
wird als gemeinschaftliche Aufgabe von Landkreis, Leistungsträgern, Trägern psychiatrischer
Einrichtungen (Leitungserbringer), Betroffenen,
Angehörigen und BürgerhelferInnen betrachtet.
Die Einrichtung eines solchen Verbundes ergibt
sich aus der Vielfalt der Leistungserbringer und
der Leistungsträger für diesen Personenkreis und
der Notwendigkeit der personenzentrierten Anpassung der jeweiligen Leistung an den häufig
wechselnden Versorgungs- und Betreuungsbedarf der betroffenen Bürger. Ziel ist es den
betroffenen Bürgern des Kreises die von ihnen
benötigten Hilfen zur Führung eines möglichst
selbständigen und eigenverantwortlichen Lebens
bereitzustellen.
Die Mitglieder des GpV verpflichten sich, die
Ressourcen so effizient, effektiv und verantwortungsbewusst wie möglich einzusetzen und niemanden wegen Art und Schwere der Störung
auszuschließen. Allgemeine konzeptionelle Leitlinie des GpV ist der personenzentrierte Ansatz.
Mit Schnittstellen wie z. B. zum Bereich geistig
behinderte Menschen oder Kinder- und Jugendpsychiatrie soll eine Kooperation in geeigneter
Form gepflegt werden.
Die Umsetzung des GpV in
Hilfeplankonferenzen
Die Träger der psychiatrischen Versorgungseinrichtungen übernehmen eine gemeinsame Versorgungsverpflichtung in den von ihnen angebotenen Leistungsbereichen und setzen diesen
Anspruch in den monatlich stattfindenden Hilfeplankonferenzen (HpK) um. Keine Person des
definierten Personenkreises soll gezwungen sein,
Hilfen außerhalb der Versorgungsregion in An-
GpV Bodenseekreis
Die Aufgabe der Hilfeplankonferenz ist die Abstimmung der Leistungserbringung für Betroffene mit komplexem Hilfebedarf. Ausgehend
von dem vorab erstellten IBRP ergibt sich eine
Empfehlung zu Art, Inhalt, Ziel und Umfang der
Hilfeleistung. Das beinhaltet auch die Festlegung
einer koordinierenden Bezugsperson und die
Festlegung eines Überprüfungszeitraumes.
Arkade
Pauline 13 gGmbH
Landratsamt
Bodenseekreis
GpZ
Überlingen gGmbH
Arkade e.V.
GpZ
Friedrichshafen gGmbH
Pauline 13 e.V.
Gemeindepsychiatrischer
Verbund Bodenseekreis
Südwürttembergische
Zentren
für Psychiatrie
BetroffenenVertretung
Sprungbrett
Werkstätten
gGmbH
Angehörigenvertretung
Innerhalb von ca. 16 Jahren hat sich aus einer
Region ohne gemeindenahe Versorgungsstruktur
eine bundesweit anerkannte Modellregion mit
Vorbildcharakter entwickelt. Wie war das möglich? Der Bodenseekreis hat sich von Beginn an als
die koordinierende Schaltstelle in diesem Prozess
verstanden. Dabei sind die Leistungserbringer
immer als Partner definiert worden und nicht als
Gegenspieler. Auch finanziell hat sich der Landkreis stark eingebracht und somit den Aufbau der
neuen Angebote und Strukturen erst ermöglicht.
Das Zentrum für Psychiatrie Südwürttemberg als
zuständiger Pflichtversorger für den Bodenseekreis hat durch den Umbau der inneren Strukturen und durch die offene Zusammenarbeit mit
den „kleinen“ komplementären Einrichtungen
einen aktiven Beitrag zur Entwicklung „gemeindenaher“ Versorgungsstrukturen geleistet.
Auf dieser Grundlage haben sich engagierte
Menschen in den verschiedensten Funktionen
aufgemacht die vorgegebenen Ziele zu realisieren. Alle Institutionen der psychiatrischen Versorgungslandschaft wollten und wollen miteinander kooperieren und zum Wohle der Betroffenen
das Angebotsspektrum erweitern bzw. die bestehenden Angebote qualitativ verbessern. Diese
positive Einstellung zur Netzwerkarbeit war und
ist Grundlage für jedes Verbunds.
Foto: pixelio - Xenia
Vianney
Gesellschaft e.V.
Bruderhaus
Diakonie
Die Koordinierung der Hilfeplankonferenzen
wird durch die beteiligten Leistungserbringer finanziert und hat insbesondere folgende Aufgaben
• die Entgegennahme der Anmeldungen und
die Erstellung einer zeitlich gestaffelten Beratungsfolge
• die Protokollierung
• die Führung einer Wiedervorlageliste
• die Auswertung des Beratungsgeschehens
hinsichtlich der Aspekte, die für die Weiterentwicklung der psychiatrischen Versorgung
in der Region sozialplanerisch von Bedeutung sein können
• die Erstellung eines Jahresberichtes
Die Moderation der Hilfeplankonferenz wird
durch einen Mitarbeiter des Bodenseekreises erbracht.
Betroffene berichten
Betroffene berichten
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Im Rahmen der Hilfeplankonferenzen wird mit
einer einheitlichen Hilfeplanung auf der Grundlage des Integrierten Behandlungs- und Rehabilitationsplanes (IBRP) gearbeitet. Die dabei
zu berücksichtigenden datenschutzrechtlichen
Vorschriften werden selbstverständlich eingehalten. Die Einrichtungen und Dienste der Träger,
die sich in der Trägergemeinschaft zusammengeschlossen haben, nehmen einen Klienten nur
Für die Hilfeplanung gibt es folgende Grundsätze
• Die Hilfeplanung wird nicht über, sondern
mit dem Betroffenen und den wichtigen Bezugspersonen seines sozialen Umfeldes erstellt
• Vorrang hat der Verbleib des Betroffenen in
der gewohnten Umgebung seiner Gemeinde
• Die vorhandenen Ressourcen der Person
selbst und die ihres Umfeldes sollen systematisch einbezogen werden
• Die Hilfeplanung soll regelmäßig überprüft
werden
• Die im Einzelfall erforderlichen Hilfen sollen
über alle relevanten Lebensbereiche hinweg
im Sinne einer integrierten Gesamtplanung
abgestimmt werden
Fachleute berichten
dann auf, wenn die individuelle Hilfeplanung in
der Hilfeplankonferenz erörtert wurde und die
Hilfeerbringung bestimmten Diensten und/oder
Einrichtungen zugewiesen hat.
spruch zu nehmen. Dies kann selbstverständlich
nur vorbehaltlich einer angemessenen Finanzierung der Hilfen gelten.
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Nichtbetroffene berichten
72 |
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
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GpZ Überlingen gGmbH
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wie
GpZ Überlingen
GpZ Überlingen gGmbH
Auszug aus dem QualitätsmanagementHandbuch
Die GpZ Überlingen gGmbH (Gemeindepsychiatrisches Zentrum) ist ein Dienstleistungsunternehmen der beruflichen und sozialen Rehabilitation mit dem Auftrag, psychisch beeinträchtigte
Menschen durch geeignete Angebote die Teilhabe an und die Integration in die Gesellschaft zu
ermöglichen bzw. zu verbessern.
Neben dem Versorgungsauftrag der einzelnen
Leistungsträger hat sich das GpZ Überlingen als
ein Gründungsmitglied des GpV Bodenseekreis
(Gemeindepsychiatrischer Verbund) einer freiwilligen Versorgungsverpflichtung für betroffene
Bürger des Bodenseekreises verschrieben. Ebenso ist die personenzentrierte Hilfeerbringung
Grundlage professionellen Handelns.
Qualitätsentwicklung ist kein statisches Prinzip
sondern wird als steter Prozess verstanden. Sie
wird auch nicht allein durch die Festschreibung
einzelner Prozesse oder Verfahren gewährleistet. Qualität wird durch die Verantwortlichkeit
jeder Mitarbeiterin, jedes Mitarbeiters erzeugt
und aufrechterhalten. In der verlässlichen Umsetzung und Entwicklung von Prozessstrukturen verknüpft mit einer persönlichen Hilfeerbringung „von Mensch zu Mensch“ entsteht
erlebbare Qualität. Damit werden die Haltung
und das Handeln der Mitarbeiterin und des
Mitarbeiters zum Schlüsselelement des Lei-
stungsversprechens und verdient besondere
Aufmerksamkeit. Unser Qualitätsmanagement
dient der Vereinfachung und Unterstützung
der persönlichen Hilfeerbringung. QM soll
demnach den organisatorischen Rahmen vorgeben um eine möglichst große Freiheit für
wirksames therapeutisches Handeln zu ermöglichen.
Kurzportrait
Gemeindepsychiatrisches Zentrum Überlingen
gemeinnützige GmbH
Stadtgebiet:
Obere Bahnhofstraße 18
88662 Überlingen
Fon 07551-30118-0
Fax 07551-30118-99
[email protected]
www.g-p-z.de Gewerbegebiet:
Gewerbegebiet:
Zum Degenhardt 12
88662 Überlingen
Rechtsform
gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter
Haftung
Gesellschafter
Vianney-Gesellschaft e.V., Stadt Überlingen, Bodenseekreis, Pauline 13 e.V., Sprungbrett Werkstätten gGmbH, Südwürttembergische Zentren
für Psychiatrie
Gründungsjahr2001
Anzahl der Mitarbeiter (2009)
Anzahl der Beschäftigten (2009)
Stammkapital 2009
Bilanzsumme 2009
22
92
25.000,-€
~2.900.000,- €
Branchen und Dienstleistungen
Metallbearbeitung, Wäscherei, Küche und Catering, Garten- und Landschaftspflege, Montage
und Verpackung, Digital Service mit ebaY-Agentur, Letter-Shop und Druckstudio
Soziale Dienstleistungen
Freiwillige Versorgungsverpflichtung aller Menschen, die aufgrund einer psychischen Beeinträchtigung einen Hilfebedarf haben und deren
Lebensmittelpunkt im Bodenseekreis liegt.
Geschichte des GpZ Überlingen
Das GpZ Überlingen ist als erste Versorgungseinrichtung dieser Art in Baden-Württemberg
im Juni 2003 in die neuen Räume in der Oberen
Bahnhofstraße eingezogen und hat damit auch
einen neuen Versorgungsstandard mitbegründet. In der Nachfolge der Vianney-Tagesstätte,
die am 1. Juli 1997 in der Friedhofstraße 18 eröffnet wurde, fungiert die GpZ Überlingen gGmbH
als Träger und Betreiber der zum 1. Juli 2003 neu
eröffneten WfbM und der weiter geführten Tagesstätte für psychisch kranke und seelisch behinderte Menschen. Inzwischen hat sich das GpZ
Überlingen zum Sozialgesetzbuch [SGB] übergreifenden Systemanbieter entwickelt.
Mit der Eröffnung der Tagesstätte am 1.5.1997
waren zwei Mitarbeiter angestellt, die sich um
psychisch kranke Menschen als Besucher der
Tagesstätte kümmerten. Aufgaben waren ein
geregeltes Mittagessen anzubieten, Freizeitgestaltung und Beschäftigung. Beschäftigung war
zunächst auf die Zubereitung des Mittagessens
beschränkt. Im Zuge der Weiterentwicklung
haben sich Beschäftigungsmöglichkeiten am
Computer [einen PC] und in der Hauswirtschaft
[eine Waschmaschine und ein Trockner] ergeben.
Ebenso war der kleine Garten mit einem Kräuterbeet für die Küche zu pflegen. Später wurden
dann sogenannte Regelteller für die Firma ABIG
vormontiert.
Im Jahr 1999 wurde bekannt, dass die Kostenträgerschaft für die Tagesstätte vom Landratsamt Bodenseekreis zum 31.12.2000 zum
Landeswohlfahrtsverband
Württemberg-Hohenzollern wechselt. Dieser wollte die bisher
freiwillige Finanzierung der Tagesstätten für alle
Landkreise zur Verfügung stellen. Dabei stand
für die einzelnen Landkreise nicht mehr annähernd so viel Geld zu Verfügung als bisher. Zügig wurde dann an einer Lösung zum Erhalt der
Versorgungsstruktur gearbeitet. Die von allen
Beteiligten favorisierte Variante hieß „Gemeindepsychiatrische Zentren“ zu gründen. Ein von
der Landesregierung gewollte Veränderung der
Versorgungslandschaft konnte und wurde nun
umgesetzt. Aus dem „Rettungsversuch“ für die
Tagesstätten wurde ein Modellprojekt für BadenWürttemberg.
Ab Februar 2004 wurde mit der Bahn bezüglich
des Nachbargrundstückes in der „Oberen Bahnhofstraße 22“ verhandelt. Der Kauf wurde dann
im Mai durch die Vianney-Gesellschaft getätigt.
Das Grundstück ist seither an uns vermietet.
Am 1.10.2004 trat die Kooperationsvereinbarung Gemeindepsychiatrischer Verbund Bodensee [GpV] in Kraft.
Zum 1.1.2005 ist die Verwaltungsstrukturreform
in Baden-Württemberg in Kraft getreten. Damit
ist wieder der Landkreis für die Finanzierung zuständig. Ebenso übernimmt der Landkreis viele
neue Aufgaben, unter anderem die des „überregionalen“ Sozialhilfeträgers und damit auch die
Eingliederungshilfe bzw. Behindertenhilfe. Erste
Erweiterungsplanungen auf dem Nachbargrundstück werden mit den Gesellschaftern und Kostenträgern diskutiert.
Die Strategie zur Deckung des zukünftigen
Platzbedarfes hat zwei Achsen. Zum Einen soll
das GpZ Überlingen räumlich erweitert werden.
Um den zukünftigen Platzbedarf decken zu können soll die WfbM von bisher 30 genehmigten
Plätzen auf 60 Plätze aufgestockt werden. Zum
Anderen soll ein Integrationsunternehmen ge-
gründet werden um damit die Vermittlung zu
verbessern.
Im November 2005 wird ein durch den Europäischen Sozialfond finanziertes Projekt TrAnsit auf
den Weg gebracht. Dabei soll die Flexibilisierung
der Teilhabemöglichkeiten verbessert werden
und der Strukturaufbau im Bodenseekreis beschleunigt werden.
Betroffene berichten
Die am 15.Juli 2003 neue anerkannte WfbM
Überlingen hatte 5 Arbeitsbereiche [Wäscherei,
Küche, Montage und Verpackung, Bürodienstleitungen, Garten- und Landschaftspflege]. Ebenso
sind in diesen Monaten die Räume der neu hinzu
gekommen Bereiche der Ergotherapie, Psychiatrische Institutsambulanz und die bereits bestehenden Dienste Sozialpsychiatrischer Dienst,
Ambulant betreutes Wohnen und Psychiatrische
Pflege bezogen worden.
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Am 21.2.2006 wird die ARKuS gGmbH [Arbeit Rehabilitation - Kultur - Soziales] gegründet. Anteilseigner soll das GpZ Überlingen mit 60% und
die SKID gGmbH mit 40% sein. Ab Mai 2006
wird das Ostbad Überlingen als Integrationsunternehmen betrieben. Ziel ist es auf dem Gelände ein Hotel mit Gastronomie und Strandbad zu
bauen und zu betreiben.
Ab Oktober 2006 werden im Bodenseekreis 18
Plätze im Zuverdienstbereich finanziert. 6 davon
sind im GpZ Überlingen verortet.
Bereits im Oktober 2006 ist die Realisierung
des Hotelbetriebs auf dem Gelände des Ostbad
Überlingen in Frage gestellt. Ab Dezember werden alle Planungsaktivitäten seitens der ARKuS
gGmbH eingefroren.
Im Ostbad verrichten mehrere Werkstattbeschäftigte ein Praktikum. Für die seit 2004 geplante
räumliche Vergrößerung des GpZ Überlingen
zeichnen sich Realisierungschancen am Horizont
ab. Es zeigt sich trotz stärkster Anstrengungen
und sehr guten Vermittlungszahlen kein Rückgang des Bedarfes.
Ab März 2007 gibt es Arbeitsgelegenheiten
[1-Euro-Jobber] für psychisch kranke Langzeitarbeitslose im GpZ Überlingen.
Seit Juli 2007 arbeiten wir mit dem Linzgau
Kinder- und Jugendheim und der Janusz-Korczak-Schule [JKS] zusammen. Vereinzelt werden
Schüler aus der JKS in den Abteilungen des GpZ
Überlingen beschäftigt.
In 2007 betreibt die ARKuS gGmbH das Ostbad
Überlingen nochmals. Ab 2008 stellt die ARKuS
gGmbH nun jeglichen Geschäftsbetrieb ein.
Damit ist die geplante verbesserte Vermittlung
durch den Betrieb eines Integrationsunternehmens nicht mehr zu erreichen.
Seit Juli 2009 hat das GpZ gemeinsam mit der
Janusz-Korczak-Schule einen zweiten Standort
im Überlinger Gewerbegebiet. Hier hin werden
die Abteilungen Bürodienstleistung, Montage
und Verpackung verlegt. Neu hinzu kommt die
Abteilung Metallbearbeitung.
Am bisherigen Standort verbessert sich dadurch
die räumlich angespannte Situation der Wäscherei und der Verwaltung.
Mit der räumlichen Ausdehnung und der Erweiterung der Abteilungen sind die Qualität und die
Bandbreite der rehabilitativen Möglichkeiten erreicht worden.
Leistungsangebot
Die GpZ Überlingen gGmbH hat sich als einer
der Anbieter im Rahmen der Vereinbarung des
GpV Bodenseekreis dazu verpflichtet, allen Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt im Bodenseekreis haben die Hilfestellung zu geben, die
aufgrund einer psychischen Beeinträchtigung
notwendig ist.
Im Wesentlichen geht es hierbei um die beruflich-soziale Rehabilitation und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben von psychisch kranken
und seelisch behinderten Menschen. Unabhängig vom noch bestehenden individuellen Leistungsvermögen und der damit einhergehenden
Klassifizierung durch die Sozialgesetzbücher soll
den Betroffenen eine möglichst selbstständige
Teilhabe ermöglicht bzw. erhalten werden. Förderung soweit nötig. Eigeninitiative fordern so-
weit möglich. Kurz: „Hilfe zur Selbsthilfe“. Mit
dieser Grundhaltung bietet die GpZ Überlingen
gGmbH die dafür erforderlichen Leistungsbausteine als Sozialgesetzbuch [SGB] übergreifenden Dienstleistungen an.
Um den vielfältigen Lebensperspektiven und
Bedürfnissen der Betroffenen so weit als möglich entsprechen zu können, werden Teilhabeleistungen in 6 Abteilungen angeboten.
1. Metallbearbeitung
2. Wäscherei / Hauswirtschaft
3. Küche / Catering
4. Garten- und Landschaftspflege
5. Montage und Verpackung
6. Digital Service mit ebaY-Agentur, Letter-Shop
und Druckstudio
Jede einzelne Abteilung muss dabei den Spagat leisten, die sich gegenüberliegenden Pole
der Arbeitsmarktnähe und der Versorgungsverpflichtung zu vereinen. Die größtmögliche
Arbeitsmarktnähe als Voraussetzung zur Qualifizierung und Testung der Vermittlungs- und Leistungsfähigkeit der Betroffenen, d.h. leistungsund kundenorientiertes Arbeiten, Service- und
Produktqualität, Termintreue usw. konkurriert
dabei mit Aufgabe der personenzentrierten
Hilfeerbringung. Die Berücksichtigung individueller Bedarfe und Möglichkeiten, insbesondere
bei stärker leistungseingeschränkten Personen,
im Hinblick auf Arbeitsmarktnähe und Vermittlung bzw. Integration fordert Höchstleistungen
aller MitarbeiterInnen der GpZ Überlingen
gGmbH.
Fachleute berichten
Von Januar 2002 an waren wir vorübergehend
eine Tagesstätte und eine WfbM-Außenstelle der
Sprungbrett-Werkstatt in Bermatingen. Unsere
Beschäftigungsbereiche waren wie bisher auch.
Küche, Wäscherei, Gartenpflege, Montage und
einen PC-Arbeitsplatz. Um sich als eigenständige
und anerkannte WfbM zu etablieren mussten
auch die nach DIN geforderten Räumlichkeiten
vorhanden sein. Außerdem galt es die WfbM in
ein noch nie realisiertes GpZ-Konzept zu integrieren. Im Sommer 2002 wurde das Objekt in
der Oberen Bahnhofstraße 18 in Überlingen gekauft und dann umfangreich umgebaut.
GpZ Überlingen
Nichtbetroffene berichten
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
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Nichtbetroffene berichten
Aufgaben und Ziele
Das GpZ Überlingen dient als sozial beschützter
Lebensraum mit offenen Grenzen der Integration
in die Gemeinde. Die Betroffenen werden dabei
unterstützt mit den Anforderungen des Lebens
zurechtzukommen.
Durch das Angebot wird ein Umfeld geschaffen,
in dem die Betroffenen befähigt werden Krisensituationen zunehmend souveräner zu bewältigen. Das „Hadern mit dem Schicksal“ verhindert
oft eine positive Grundeinstellung zum Leben
und blockiert dadurch die Hoffnung auf Besserung. Die Vermittlung einer solchen positiven
Einstellung zum Leben und die Anleitung zum
Krankheits- und Krisenmanagement als Hilfe zur
Selbsthilfe betrachten wir als eine unserer wesentlichen Aufgaben.
Das GpZ Überlingen ist soziales Lernfeld. Es
fördert soziale Kompetenz, insbesondere Kritik- und Teamfähigkeit. Das Angebot des GpZ
Überlingen soll das Selbstwertgefühl und die
Lebensqualität der Betroffenen steigern, ausreichend Anregung zu sozialen Kontakten bieten
und damit Rückzug und Isolation entgegenwirken. Gleichzeitig soll Überforderung und
Rehabilitationsdruck vermieden werden. Durch
sinnvolle Vernetzung und Kooperation werden
Strukturen geschaffen, die ein individuelles Angebot ermöglichen.
Freiheit des Einen, der Freiheit des Anderen und
allgemeiner Normen und Regeln. Wir unterstützen dabei die Suche nach einer ausgewogenen
und für alle tragbaren Lösung.
Arbeitsfelder
Das GpZ Überlingen ist eine Anlaufstelle für
Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen,
die Unterstützung zur Führung eines selbständigen und eigenverantwortlichen Lebens brauchen. Aufgrund der engen Vernetzung und intensiven Zusammenarbeit der verschiedensten
Dienste bieten wir ein breites Spektrum an Hilfestellungen und Leistungen unter einem Dach
an. Unsere Leistungsbausteine gliedern sich in
individuell nutzbare Angebote.
Des Weiteren unterstützt das GpZ Überlingen
Selbsthilfeaktivitäten von Angehörigen und Betroffenen. So weit möglich sollen ehrenamtlich
tätige Bürger in die Hilfeerbringung mit einbezogen werden.
Fachliche Standards
Allgemeines: Die Einhaltung der gesetzlichen
Vorgaben, der Richtlinien der Zuschussgeber und
der Vorgaben der Fach- und Berufsverbände sind
uns eine Selbstverständlichkeit.
Personal: Wichtige Voraussetzung für eine qualitativ anspruchsvolle Leistung ist die Ausstattung mit qualifiziertem Personal. Wir fordern
und fördern dessen fachliche Kompetenz durch
Supervision, Intervision und Weiterbildungsangebote.
Hilfeplanung: Anhand einer individuellen Hilfeplanung unter maßgeblicher Teilnahme des
Betroffenen wird der persönliche Hilfebedarf
ermittelt. In trägerübergreifenden Hilfe-plankonferenzen werden dann die Maßnahmen zur
Erbringung der individuellen Hilfen beschlossen
und regelmäßig überprüft. Dabei wird jedem
Betroffenen eine koordinierende Bezugsperson
zugewiesen. Den Richtlinien des Datenschutzes
wird jederzeit entsprochen.
Hilfeerbringung: Es wird ein durchgängiges
und durchlässiges Netzwerk verschiedenster
Leistungsbausteine angeboten. Durch die individuelle Auswahl beziehungsweise Kombination der Leistungsbausteine kann jede Person
mit ihren Ressourcen und Möglichkeiten optimal gefördert werden. Die Betreuungsintensität wird am individuellen Bedarf ausgerichtet,
so dass eine größtmögliche Eigenständigkeit
erhalten bleibt.
Menschenbild
Wir haben Achtung vor dem Leben in seinem
Werden, Sein und Vergehen. Jeder Mensch gilt
uns als einmalig und unverwechselbar.
Im Annehmen von Schwächen und Stärken,
in gegenseitiger Zuwendung und Hilfe kann
Menschlichkeit gelebt und erfahrbar werden.
Wir begegnen dem Nächsten mit Aufmerksamkeit und Respekt und versuchen, ihm mit seiner
Herkunft, seiner Situation, seinen Beziehungen,
seiner Weltanschauung und seinem Glauben gerecht zu werden.
Die Begegnung und das gemeinschaftliche Zusammenleben der Menschen untereinander vollzieht sich im Beziehungsdreieck der persönlichen
Kommunikation
Soziale Dienstleistung ist immer auch ein kommunikativer Akt in einem sozialen Kontext.
Unser Kommunikationsstil orientiert sich an den
Fähigkeiten und Bedürfnissen unserer Klienten.
Im ständigen Dialog versuchen wir, die Bedürfnisse unserer Klienten zu verstehen, Fähigkeiten
zu erkennen und zu fördern. Dadurch soll die
Entscheidungs-, Handlungs- und Fachkompetenz
der Klienten kontinuierlich erweitert werden.
Wir bemühen uns im Rahmen unserer interdisziplinären Zusammenarbeit durch die konstruktive
und selbstreflektierte Auswertung und Umsetzung unserer Erfahrungen um eine stete Entwicklung unserer Fähigkeiten.
Betroffene berichten
Hauptkunde der GpZ Überlingen gGmbH ist der
betroffene Bürger. Auftraggeber für diese Leistung ist der Leistungsträger. Um diese Aufgabe
ausführen zu können benötigt die GpZ Überlingen gGmbH auch Produktions- bzw. Dienstleistungskunden.
Leitbild des GpZ
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Fachleute berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
Wir stehen folglich im Beziehungsdreieck zwischen
1. Produktions- und Dienstleistungskunden
2. Betroffenen
3. Leistungsträgern
GpZ Überlingen
Nichtbetroffene berichten
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Angebote
Der Kern unseres Selbstverständnisses als Kompetenzzentrum für Menschen mit psychischer
Beeinträchtigung bildet sich durch folgende
Handlungsfelder.
•Begegnung
•Beschäftigung
•Begleitung
•Beratung
•Bildung
•
Im Mittelpunkt dieser sogenannten fünf B’s steht
die Begegnung. Lediglich durch eine aufrichtige
nügend Ressourcen bereitzustellen, die für das
Erreichen weiterer Unternehmensziele notwendig sind.
daher nicht nur der komplementären Finanzierung sondern geben auch die [Re]Integrationsrichtung vor.
Nachhaltigkeit und Markt
Wir möchten unsere Angebote und unsere
Marktposition durch Prozesse der kontinuierlichen Verbesserung und Weiterentwicklung
unseres Angebotes stabilisieren und ausbauen.
Produktions- und Dienstleistungskunden gewährleisten uns Arbeitsmarktnähe und dienen
Entwicklung und Vernetzung
Wir möchten, im Rahmen der Versorgungsverantwortung, durch Kooperation und Vernetzung
die Angebote und Übergänge möglichst zielführend und breit gefächert gestalten. Bedarfen begegnen wir zeit- und gemeindenah als Anbieter
gegenüber Betroffenen und Leitungsträgern.
Betroffene berichten
Führung und Verantwortung
Zweck der Führungstätigkeit ist es, ein betriebliches Umfeld zu schaffen, das eine effektive
Erledigung der Aufgaben ermöglicht. Die zur
Erreichung der Ziele notwendige Motivationsarbeit und Orientierungsvorgaben sind ebenso
Bestandteil der Führungstätigkeit wie die Gestaltung einer strukturellen Vorgabe, so dass die
Vielzahl der beteiligten MitarbeiterInnen sich mit
den angestrebten Zielen identifizieren können
und eine effiziente Verwirklichung möglich ist.
Die mit Leitungsaufgaben betrauten MitarbeiterInnen entwickeln hierfür Strategien, gestalten
Organisationsstrukturen und sichern Ressourcen.
Im Vordergrund stehen Klientenorientierung,
Qualität, Kostenbewusstsein und soziale Verantwortung.
Wir erwarten von Führungsverantwortlichen soziale Kompetenz, Innovationsfreude und Leistungsbereitschaft. Der Führungsstil ist einfühlend, dialogorientiert und verbindlich. Damit besitzen sie
Vorbildcharakter. Die ständige Weiterentwicklung der persönlichen und fachlichen Kompetenz
der MitarbeiterInnen bildet die Grundlage für die
Delegation von Verantwortung.
und offene Begegnung von Mensch zu Mensch
kann eine hilfreiche und wünschenswerte soziale
Interaktion entstehen - und zwar für beide bzw.
alle Akteure. Die vier weiteren B’s bezeichnen
die Handlungsfelder, in denen diese Begegnung
stattfinden soll.
Aus den Handlungsfeldern ergeben sich dann
Angebotsmodule, die das GpZ Überlingen für
die Betroffenen bereithält. Die Module sind individualisiert. Das bedeutet nicht nur, das Informationen, Interventionen, … personenzentriert,
bedarfs- und situationsbezogen sind. Es bedeutet auch, dass mache Module nicht, wenig oder
stark in Anspruch genommen werden können.
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Unternehmensziele
Personenzentrierung und Versorgungsverantwortung
Wir möchten allen Menschen im Bodenseekreis,
die aufgrund einer psychischen Beeinträchtigung
die professionelle Unterstützung zur Führung
eines selbständigen und eigenverantwortlichen
Lebens brauchen, die notwendige individuelle
Hilfestellung anbieten. Wir möchten diese Leistung zeitnah und gemeindenah anbieten.
Fachleute berichten
Ziel ist es, alle wesentlichen Informations- und
Entscheidungswege zu standardisieren.
Um eine möglichst breite Mitwirkungschance bei
der Gestaltung unserer Einrichtung zu ermöglichen, streben wir eine transparente und offene
Informationsgestaltung an.
Die zugewandte dialogische Haltung unserer
Kommunikation gilt in gleicher Weise für den
Umgang mit unseren Klienten, Mitarbeitern,
Kunden, Kooperationspartnern, Kostenträgern,
Behörden, Förderern und Freunden.
GpZ Überlingen
Engagierte MitarbeiterInnen
Wir möchten unseren MitarbeiterInnen einen sicheren und zufriedenstellenden Arbeitsplatz bieten. Die Individualität des Einzelnen und damit
die Vielseitigkeit Aller werden als gewinnbringend betrachtet und tragen zum Ideenreichtum,
zur Leistungsbereitschaft, zum Verantwortungsbewusstsein und damit zur Erreichung der Unternehmensziele bei. Mitarbeiterführung ist
verbindlich und dialogorientiert und richtet sich
nach den vereinbarten Zielen.
Nichtbetroffene berichten
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
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Gesellschaftliche Verantwortung
Wir möchten für die Umsetzung der gemeinnützigen Aufgaben die zur Verfügung stehenden
Ressourcen so effizient, effektiv und verantwortungsbewusst wie möglich einsetzen. Je mehr
Geld aus dem Profit-Bereich [Wirtschaftskreislauf] in den Non-Profit- Bereich [Sozialwirtschaft]
transferiert wird, desto ressourcenschonender
arbeiten wir.
Gewinn
Wir möchten ausreichend Gewinn erwirtschaften um die zukünftigen Entwicklungen des Unternehmens finanzieren zu können und um ge-
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Beschäftigung
Begegnung
Beratung, Betreuung
Behandlung
1. Beschäftigung Die Arbeitsbereiche im GpZ Überlingen
Metall
Als kompetenter Partner in Sachen Metall fertigen wir für regionale Industriebetriebe kleine
sowie mittelgroße Serien. Modernste technische
Anlagen und die qualifizierte Ausbildung unserer
Klienten garantieren ein hohes Qualitätsniveau.
Wenn Sie Hilfe bei der Entwicklung und Konstruktion individuellen Vorrichtungen brauchen,
stehen wir Ihnen gerne mit Rat und Tat zur Seite.
Unser Angebot umfasst:
CNC-Drehen
CNC-Fräsen
Bohren (konventionell und CNC)
Anfertigung von Drehteilen nach Zeichnung
Bearbeitung von Metall und Kunststoff
Konstruktion und Fertigung von Vorrichtungen
Individuelle Beratung
Abholung und Anlieferung
Unsere Leistungen:
Alten- und Pflegeheimwäsche
Hotel- und Gastronomiewäsche
Berufsbekleidung
Lieferservice
Küche /Catering
In unserer ca. 120qm großen Cafeteria mit Seeblick (etwa 50 Plätze plus Nebenzimmer) richten
wir Feste und Veranstaltungen aus. Auf Wunsch
können kleine Bufetts, Menüs und Stehempfänge zusammengestellt, Tisch- und Raumdekorationen arrangiert, sowie die übliche Medientechnik zur Verfügung gestellt werden. Bei Bedarf
unterstützt Sie ein freundlicher und umsichtiger
Service bei der Durchführung.
Für externe Familien- und Vereinsfeiern oder für
Familienevents bieten wir Ihnen einen Geschirrund Spülmobil- Service auf Mietbasis an. (Bitte
buchen Sie rechtzeitig, wenn Sie im Sommer
eine Veranstaltung planen.)
Wir bieten Ihnen ein umfangreiches Dienstleistungsprogramm als Einzelauftrag, Dauerauftrag
oder als Auftrag während Ihrer Ferien- und Urlaubszeit.
Im Auftrag von Städten, Gemeinden, Firmen und
Privathaushalten erledigen wir
Betroffene berichten
1.
2.
3.
4.
Garten-und Landschaftspflege
Pflanzen und Blumen leben! Deshalb müssen sie
regelmäßig fachgerecht gepflegt werden. Unser
GPZ Gartenteam kann Ihnen das ganze Jahr mit
Rat und Tat beistehen.
Rasen- und Beetpflegearbeiten
Wiesen- und Rasenschnitt
Fräs- und Umgrabearbeiten
Heckenschnitt, Baum- und Gehölzschnitt
Staudenpflege
Pflanzungen
Pflege und Wartung von Grünanlagen
Baumfällungen
Wegepflege
Fachleute berichten
Anlaufstelle für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen, die Unterstützung zur Führung eines selbständigen und eigenverantwortlichen Lebens brauchen. Aufgrund der engen
Vernetzung und intensiven Zusammenarbeit der
verschiedensten Dienste bieten wir ein breites
Spektrum an Hilfestellungen und Leistungen unter einem Dach an. Die Leistungsbausteine gliedern sich in individuell nutzbare Angebote:
Wäscherei / Hauswirtschaft
Weil wir keine Großwäscherei sind, können wir
Ihre Wäsche individuell bearbeiten. So wie Sie
es aus Ihrem eigenen Haushalt kennen. Die Wäscherei des GPZ Überlingen arbeitet mit dem
neuesten Stand der Technik. Die räumliche Trennung von Schmutz- und Reinwäsche, sowie die
gewissenhafte und regelmäßige Desinfektion
aller Einrichtungsgegenstände und Transportbehälter sichern den hygienisch einwandfreien
Zustand Ihrer Wäsche. Mit unserem Dienstleistungsangebot, den hohen Qualitätsstandards,
Flexibilität und einem Lieferservice sind wir ein
zuverlässiger Partner für unsere Kunden.
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Montage und Verpackung
Immer dort wo die Automatisierung an Ihre
Grenzen stößt ergibt sich ein personal- und somit kostenintensiver Produktionsbereich.
Als Partner bieten wir Ihnen ein breites Spektrum
von Arbeitsleistungen an. Dabei garantieren wir
Qualität, ein ausgezeichnetes Preis-LeistungsVerhältnis und absolute Termintreue.
Wir verfügen über einen eigenen Fahrdienst, der
die Ware bei Ihnen abholt und dort auch wieder
anliefert.
Sollten Sie eine langfristige Zusammenarbeit
suchen oder zur Einhaltung von Lieferterminen
eine kurzfristige Unterstützung brauchen – wir
sind die richtigen Ansprechpartner.
Abisolieren, Ablängen, Demontage, Entgraten,
Entsorgen, Etikettieren, Falten / Falzen, Füllen,
Konfektionieren, Montage, Prüfen, Schrumpfen,
Sortieren, Tackern, Verpacken, Versenden, Wickeln, Wiegen, Zählen
Nichtbetroffene berichten
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
GpZ Überlingen ist …
GpZ Überlingen
GpZ Überlingen
Tagesstätte
Die Tagesstätte Überlingen ist ein offener Treffpunkt für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen, der ohne jegliche Vorbedingung
aufgesucht werden kann. Wir bieten Ihnen eine
ungezwungene Umgebung und ein breites Angebot alltagsnaher und alltagspraktischer Hilfestellungen, z.B. Ausfüllen von Anträgen und
Formularen, Beratung und Weitervermittlung an
kooperierende Dienste wie Sozialpsychiatrischer
Dienst (SPDI), Psychiatrische Institutsambulanz
(PIA) oder Integrationsfachdienst (IFD).
• ein günstiges und vollwertiges Mittagsmenü
• ein Caféteria- und Bistroangebot
• unterschiedliche Freizeitaktivitäten
• verschiedene Beschäftigungsmöglichkeiten
• eine Anlaufstelle (frühzeitiges Erkennen von Krisen und Weitervermittlung an die zuständigen
und beratenden bzw. behandelnden Dienste)
Letter-Shop
Als zuverlässiger und qualitätsbewusster Partner für
Direktmarketing bearbeiten wir Ihre personalisierten
Serienbriefe von Ausdruck bis zur Posteinlieferung,
also: Drucken (sw-farbig) – falzen – kuvertieren –
frankieren inklusive dem Ausfüllen aller nötigen
Formulare und der Einlieferung bei der Post.Unser
Spektrum reicht vom Standard-Werbe-Brief, Fax,
E-mails, Einladungen, Info-Schreiben – als Kopie
oder Digitaldruck – bis zur Konfektionierung von
Sonder-Sendungen wie das Versenden von Weihnachtsgeschenken. Selbstverständlich werden alle
Inhalte der Mailings streng vertraulich behandelt.
Freizeitaktivitäten
Bei unseren Freizeitaktivitäten steht neben dem
Spaß - und Erholungsfaktor, ein Lerneffekt im Vordergrund. Die Ausflüge und Wanderungen in der
Bodenseeregion und des Linzgau (z.B. Mindelsee
oder Illmensee; Haldenhof und Churfüsten etc.)
bringen den Menschen die Natur und die Umgebung näher. Meistens sind diese mit Besichtigungen regionaler Sehenswürdigkeiten, Museen,
Ausstellungen oder Theaterbesuchen verbunden.
Druck/Druckvorstufe
Vom Design bis zum Produkt erfüllen wir Ihren
Druckauftrag im Digitaldruck vor Ort oder bei größeren Auflagen in unseren Partner-Druckereien.
Wir entwickeln und produzieren für Sie und mit
Ihnen Broschüren und Hefte, Einladungen, Flyer,
Anzeigengestaltung, Briefbögen, Visitenkarten,
Plakate oder Ihren Web-Auftritt-ganz individuell.
Auch die verschiedensten der Papierweiterverarbeitung bieten wir an: Schneiden, Falzen, Perforieren, Stanzen, Binden, Laminieren, Kleben, Zusammentragen, Lochen - all das wird bei uns im
Haus erledigt.
Außerdem gehört zu unseren Aufgaben das
Scannen, Digitalisieren und Archivieren jeglicher
Bild- und Text-Daten.
Essen und Begegnung
Wir sind die zentrale Versorgungseinrichtung
für unsere Einrichtung. Wir sorgen für unsere
Beschäftigten, Mitarbeiter, Gäste und bieten ein
abwechslungsreiches und preiswertes Essensangebot sowie ein reichhaltiges Getränkesortiment
an. Eine schöne Umgebung und nette Kollegen
laden zum Verweilen ein. Gute Voraussetzungen
für Begegnung, Gemeinschaft und individueller
Pausengestaltung
Betroffene berichten
EBAY Agentur
Über unsere EBAY-Agentur können sowohl Privatpersonen als auch gewerbliche Betriebe im
größten Kaufhaus der Welt ihre Waren anbieten.
Die Vorteile Liegen auf der Hand: kein lästiges
Inserieren oder aufwändiges Erstellen von Auktionsangeboten, keine Mails oder Anrufe von Kaufinserenten, kein Ärger mit der finanziellen Abwicklung, kein umständliches Verpacken und zur
Post bringen - sondern einfach die Ware beim GPZ
Überlingen vorbeibringen. Auf Provisionsbasis
versteigern wir Antiquares und Neues, Restposten
und Retouren, Kurioses und Seltenes, Schweres
und Leichtes, Ladenhüter und Verkaufsschlager,
Gebrauchte Güter, Anlagen, Serien, Einzelstücke,
Fahrzeuge aller Art,… Sollten Sie größere Mengen z.B. aus einer Lagerräumung oder einer Wohnungsauflösung zu versteigern haben, erstellen
wir Ihnen gerne ein individuelles Angebot.
Ein weiterer Aspekt ist das gestalterische Arbeiten oder die Vermittlung haushaltsnaher Aktivitäten sowie das jahreszeitliche Dekorieren.
Wir bieten in unserer Cafeteria (Mo-Fr):
• Vollwertige Mittagsmenus mit und ohne
Fleisch
• Salatteller
• Kl. Frühstücksangebot mit Butterbrezeln und
belegten Brötchen
• Große Auswahl an Kaltgetränken (kein Alkohol)
• Große Auswahl an Kaffeespezialitäten und
Teesorten
• Wechselndes Kuchenangebot
• Eiskaffee und verschiedene Eissorten (im
Sommer)
• Süßigkeiten
• Bestückung mit Getränken, Kleingebäck für
Besprechungen
Fachleute berichten
2. Begegnung
Nichtbetroffene berichten
Digital Service mit:
| 85
Foto: pixelio - Rainer Sturm
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
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Sozialpsychiatrischer Dienst
Der Sozialpsychiatrische Dienst der Pauline 13
e.V. bietet Beratung für chronisch psychisch
kranke Menschen und deren Angehörige. Seine
Arbeit konzentriert sich auf Hausbesuche, Vermittlung von alltagsentlastenden Hilfen, Einzel-,
Gruppen- und Familiengesprächen, sowie die
Betreuung nach stationärer Behandlung. Des
Weiteren bieten wir Problembewältigung im
Umgang mit Ämtern und Behörden, Freizeitgestaltung und vieles mehr.
Sozialdienst
Der Sozialdienst des GPZ Überlingen bietet individuelle Beratung, Unterstützung und Begleitung
für psychisch kranke und seelisch behinderte
Menschen auf dem Weg zurück ins Arbeitsleben.
Es gibt eine Vielfalt von Möglichkeiten der Teilhabe am Arbeitsleben im GPZ Überlingen – entsprechend werden vom Sozialdienst Menschen
betreut, die unterschiedlichen Sozialgesetzbüchern zugehörig sind. Exemplarisch sollen drei
Möglichkeiten der Teilhabe am Arbeitsleben kurz
umrissen werden:
So werden vom Sozialdienst Menschen betreut,
die in der WfbM (Werkstatt für behinderte Men-
Integrationsassistenz
Mit der Integrationsassistenz unterstreicht das
GpZ Überlingen den Auftrag und die Zielsetzung
psychisch kranke und seelisch behinderte Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren.
Unser primäres Ziel ist es, einen Arbeitsplatz zu
finden, der möglichst weitgehend auf die individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Betroffenen zugeschnitten ist. Hier können die Betroffenen zielgerichtet auf die allgemeinen und
speziellen Anforderungen vorbereitet werden.
So soll eine maximale Selbständigkeit und Teilhabe an der Gesellschaft gewährleistet werden.
Die Schaffung und Pflege eines Firmennetzwerkes, aus dem dann Arbeitserprobungen,
Außenarbeitsplätze oder sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstehen,
sowie die Unterstützung und Begleitung von Arbeitgebern und Betroffenen am Arbeitsplatz, ist
die Kernaufgabe der Integrationsassistenz.
Dabei sind wir auf Kooperation und Unterstützung von Arbeitgebern angewiesen. Wer sich
dafür entscheiden kann, Menschen wieder eine
Perspektive ins Arbeitsleben zu ermöglichen, erhält zugleich:
• Die Möglichkeit den Menschen mit seinen
Fähigkeiten und Fertigkeiten kennenzulernen und zu erproben [auch längerfristig]
• Fachliche Begleitung und Unterstützung
durch unsere Integrationsassistenz
Psychologischer Dienst
Der psychologische Dienst ist zuständig für die
psychologische Betreuung im GPZ Überlingen.
Wir betreuen und beraten, führen testpsychologische Untersuchungen durch und sind Ansprechpartner in Krisen und Notlagen.
Wir entlehnen unsere Orientierungen und Handlungen verschiedener Schulen wie die Lerntheorien, systemische Ansätze oder Psychoanalytik.
4. Behandlung
Soziotherapie
Schwer psychisch Kranke sind häufig nicht in der
Lage, Leistungen, auf die sie Anspruch haben,
selbständig in Anspruch zu nehmen. Soziotherapie soll ihnen die Inanspruchnahme ärztlicher
und ärztlich verordneter Leistungen ermöglichen.
Sie soll dem Patienten durch Motivierungsarbeit
und strukturierte Trainingsmaßnahmen helfen,
psychosoziale Defizite abzubauen; der Patient
soll in die Lage versetzt werden, die erforderlichen Leistungen zu akzeptieren und selbständig
in Anspruch zu nehmen.
Sie bietet koordinierende und begleitende Unterstützung und Handlungsanleitung für schwer
psychisch Kranke auf der Grundlage von defi-
nierten Therapiezielen. Dabei kann es sich auch
um Teilziele handeln, die schrittweise erreicht
werden sollen..
Ambulante Ergotherapie
Ergotherapie leitet sich vom griechischen Wort
»ergon« ab und heißt übersetzt Werk, Handeln,
Tun. Zum Einsatz kommen handwerkliche als
auch kreativ-künstlerische Techniken.
Ziel der Ergotherapie ist die Wiedererlangung
bzw. der Erhalt der Handlungskompetenz und
eine größtmögliche Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Betroffenen im Alltags - und Berufsleben.
Handwerkliche Techniken (mit den entsprechenden Materialien) sind z. B. Flechten mit Peddigrohr; Töpfer-Arbeiten mit Ton; Skulpturen aus
Speckstein; Holzbearbeitung; Mosaikarbeiten;
Arbeiten mit Papier und Pappe (u.a. Pappmachéarbeiten, Papier schöpfen); Farben; Wolle; Filz
Psychiatrische Institutsambulanz
Das wohnortnahe Angebot der psychiatrischen
Institutsambulanzen (PIA) umfasst ambulante
psychiatrisch-psychotherapeutische
Behandlungen bei folgenden Erkrankungen: Schizophrenie und schizoaffektive Störungen, schwere
Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen.
Die PIA arbeitet in enger Kooperation mit den
sozialpsychiatrischen Dienst.
Die Behandlungen werden durch die gesetzlichen Krankenkassen finanziert. Patienten können sich entweder selbst bei uns melden oder
sich von ihrem Hausarzt an die Psychiatrische Institutsambulanz überweisen lassen.
Das Angebot richtet sich insbesondere an psychisch Kranke, bei denen eine langfristige, kontinuierliche Behandlung medizinisch notwendig
ist bzw. die ambulante Leistung eines psychiatrischen Krankenhauses hilfreich ist.
Psychiatrische Pflege
Der psychiatrische Pflegedienst der Pauline 13
e.V. bietet Hilfe in der eigenen Wohnung an.
Dies kann Anleitung und Hilfe bei der Grundpflege wie Körperhygiene, Ernährung oder Medikamenteneinnahme sein oder auch bei der Arbeit
im Haushalt, bei Einkauf oder Arztbesuchen.
Das fachlich qualifizierte Personal bietet auch Beratung der Klienten und ihrer Angehörigen über
den Umgang mit der Erkrankung und Hilfen bei
der Tagesplanung an.
Betroffene berichten
• Eine tägliche und bedingungslose Rückkehroption des Beschäftigten
• Beim Übergang in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis die Möglichkeit,
finanzielle Unterstützungsleistungen zu beantragen (unter Einbeziehung des Integrationsfachdienstes)
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Fachleute berichten
Ambulant betreutes Wohnen
Das Betreute Wohnen in Wohngemeinschaften
bietet Hilfe zur Selbsthilfe, Begleitung und Unterstützung auf dem Weg in ein eigenverantwortliches Lernen. Die Hilfe konzentriert sich auf
praktische Alltagsbewältigung. Von der Hilfe zur
Ausübung einer praktischen Tätigkeit, über tägliche lebenspraktische Hilfen bis hin zur Unterstützung bei der Freizeitgestaltung.
schen) des GpZ im Eingangsverfahren (3 Monate), dem Berufsbildungsbereich (12-24 Monate), oder die dauerhaft im Arbeitsbereich der
WfbM arbeiten.
Hinzu kommt die Möglichkeit einer niederschwelligen therapeutischen Beschäftigung. Dies
betrifft erwerbsunfähige psychisch kranke und
seelisch behinderte Menschen, die nicht oder
noch nicht in der Lage sind eine Arbeit auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt oder in einer Werkstatt für behinderte Menschen aufzunehmen.
Für erwerbsfähige Menschen, die aufgrund psychischer Belastungen und Einschränkungen nicht
bzw. noch nicht (wieder) auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt tätig sein können, bieten wir ein
Training von Ausdauer und individueller Belastbarkeit sowie beruflicher Fähigkeiten an. Ziel ist
eine strukturierte und sinnvolle Tätigkeit, welche
die Teilhabe und die Integration am Leben in der
Gesellschaft fördert.
Foto: pixelio
Fachleute berichten
Integrationsfachdienst
Der Integrationsfachdienst – »IFD« – ist zuständig für die berufliche Eingliederung von Menschen mit Behinderung in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Wir beraten behinderte Menschen,
die arbeitssuchend sind oder sich in Sonderschulen und Werkstätten für behinderte Menschen
befinden.
Der »IFD« berät und begleitet außerdem Menschen mit Behinderung in einem bestehenden
Arbeitsverhältnis und ist auch für alle Arbeitgeber, die diesen Personenkreis beschäftigen ein
kompetenter Ansprechpartner.
Nichtbetroffene berichten
Betroffene berichten
3. Beratung, Betreuung
GpZ Überlingen
Nichtbetroffene berichten
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Integration
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wie
Integration
Der Integrationsfachdienst
Ein Dienst der bei der Wiedereingliederung
von psychisch Kranken unterstützend wirkt
Der Integrationsfachdienst (IFD) ist ein Fachdienst für die berufliche Eingliederung von
Menschen mit Behinderungen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt.
Der IFD berät in allen Fragen der betrieblichen
Wiedereingliederung, die sich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ergeben. Er berät auch
behinderte Menschen, die Arbeit suchen, oder
die sich in Sonderschulen und Werkstätten ...
Foto: pixelio - Stephanie Hofschläger
Nichtbetroffene berichten
Konkret erklärt der Integrationsfachdienst den
Arbeitgebern die finanzielle Fördermöglichkeit
bei leistungsgeminderten, schwerbehinderten
Arbeitssuchenden, die zusätzliche Anleitungen
benötigen. In der Folgezeit hält der Integrationsfachdienst Kontakt zur vermittelnden Person und
dem Betrieb, um die Situation weiterhin zu stabilisieren und bei auftretenden Problemen bzw.
Fragen ein Ansprechpartner zu sein.
„Wer wagt, der kann auch gewinnen.“
Wir befragten ein Mitarbeiterin des Integrationsfachdienstes über ihre Arbeit
Welche berufliche Grundbildung haben
Sie?
Ich bin Dipl. Sozialarbeiterin und habe eine sozialpsychiatrische Zusatzausbildung.
Welche Grundlagen und besonderen Eigenschaften braucht man Ihrer Meinung nach
als Vermittlerin des IFD?
Grundlagen/Wissen über Auswirkungen und
Unterschiedlichkeiten einer psychischen Erkrankung halte ich genauso wichtig wie Kenntnisse
und Zusammenhänge in der Sozialgesetzgebung. Dann natürlch gutes Einfühlungsvermögen, Freude an der Kommunikation, Interesse
und Neugier generell an der Arbeit und zielgerichtetes Handeln.
Fällt Ihnen an den Klienten, die Sie betreuen, ein Unterschied zu völlig „gesunden“
Menschen auf?
Generell gibt es keine großen Unterschiede,
denn für mich ist jede psychische Erkrankung
Ausdruck einer Persönlichkeit die auch ich, als
sog. „normal Behinderte“ habe, allerdings in
anderer, viel schwächerer Ausprägung. Den
Unterschied den ich bemerke, hat mit der
Phase zu tun in der sich der Klient befindet,
wenn ich den ersten Kontakt habe. Große Unterschiede sehe ich dann wenn jemand seine
Erkrankung und die damit verbundenen Auswirkungen nicht sehen möchte, oder nicht sehen kann.
Wie verhalten sich die Arbeitgeber häufig
gegenüber Ihrer Tätigkeiten als unabhängige Arbeitsvermittlerin?
Arbeitgeber sind häufig erst mal kritisch wenn
sie psychisch „krank“ oder „behindert“ hören.
Und Arbeitgeber wollen sich nicht gleich festlegen. Sie brauchen Informationen (Was kommt
da auf mich zu?). Wenn es gelingt, den Arbeitgeber neugierig zu machen, und es gelingt ihn
zu überzeugen, dass er sich nicht gleich festlegen muss, sondern gemeinsam ausprobiert werden kann in Form eines betrieblichen Praktikums,
dann ist das ein super Anfang.
Was sind die besonders schönen Momente
bei Ihrer Arbeit?
Foto: pixelio - Rainer Sturm
Wenn eine Eingliederung tatsächlich funktioniert.
Ich denke da an einen jungen Mann den ich kennengelernt habe als es ihm noch sehr schlecht ging
und er sich aufgrund seiner Erkrankung im Praktikum nicht über 3 Stunden konzentrieren konnte.
Im Laufe von 2 Jahren hat sich seine Leistungsfähigkeit stetig verbessert und er konnte jetzt sogar eine
Ausbildung beginnen. Er geht mit sich und seiner
Erkrankung sehr wachsam um. Diese Momente sind
besonders schön, weil sich der lange Atem oder das
geduldige „Schritt für Schritt gehen“ gelohnt hat.
In welchem Bereich kann noch viel verbessert werden?
Am meisten Verbesserungswünsche hätte ich für
die Sozialgesetzgebung, die mehr und flüssiger
zusammenarbeiten könnte.
Gibt es etwas das Sie oft stört?
Ja wenn behauptet wird, dass etwas so oder so
ist/sei - als feste Behauptung - und damit keiner
Veränderung die Chance gegeben wird. Dabei
sind wir doch alle ständig in der Veränderung.
Warum lohnt es sich als psychisch Erkrankte/r
den Schritt (zurück) auf den 1. Arbeitsmarkt
zu wagen?
Weil wir an Aufgaben wachsen und lernen können, weil alles klappen kann und niemand das im
Vorfeld wissen kann. Jede/r muss das selber wollen
und damit das (manchmal sehr entfernte) Ziel verfolgen. Natürlich läuft man dann auch Gefahr, dass
man scheitert, aber wer die absolute Sicherheit
will der hat es grundsätzlich schwer. Eine Garantie
gibt es im Leben nicht generell und wie heißt es so
schön „wer wagt, der kann auch gewinnen.“
…und dann hat es doch geklappt!
Eine junge Frau erzählt von Ihrer Zusammenarbeit mit dem Integrationsfachdienst
Gegen Ende meiner 2-jährigen beruflichen Reha,
begann ich mit dem Integrationsfachdienst zusammen zu arbeiten. Diese Arbeit bestand zunächst
aus Gesprächen. Bald kamen Praktika hinzu, durch
diese sich mein Berufswunsch herauskristallisierte. Außerdem schrieb ich diverse Bewerbungen,
natürlich mit deren Unterstützung. Auch bei den
Praktika bekam ich rege Unterstützung von IFD.
Von der Vermittlung bis hin zum Vorstellungsgespräch wie auch das Abschlussgespräch war Frau
K. vom IFD steht dabei. Dennoch habe ich meinen Ausbildungsplatz quasi ohne die Hilfe des IFD
gefunden. Als das 5. Praktikum ohne Erfolg zu
Ende ging, quatschte ich mit einem Sportkollegen
über meine beruflichen Wünsche. Dieser bot mir
daraufhin ein Praktikum im Elternhaus im Büro
seines Vaters an. Es gab danach ein Gespräch mit
Frau K., mir und meinem zukünftigen Chef, indem
alles Wichtige geklärt wurde.
Ich fühle mich sehr wohl bei dem Gedanke, dass
falls bei der Ausbildung Probleme auftreten, der
IFD den Arbeitgeber und mich unterstützt. Schade fand ich an der bisherigen Zusammenarbeit,
dass ein ziemlicher Erfolgsdruck geherrscht hat.
Ich glaube diesen Druck kennen viele und es ist
normal auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Also
sollte ich mich an den etwas rauheren Ton der
Welt gewöhnen. Außerdem kann ich mich dadurch jetzt ein bisschen besser um mein Wohlergehen kümmern, und das ist, glaub ich, auch für
den IFD ein gutes Endergebnis.
Betroffene berichten
Der Integrationsfachdienst koordiniert die notwendigen Formalitäten und Abläufe mit Personen wie den behandelnden Ärzten, mit Betrieben und Krankenkassen. In der Zeit der
stufenweisen Wiedereingliederung hält der IFD
zu allen Beteiligten Kontakt, um Auswertung,
Weiterführung und Abschluss der Maßnahme zu
gewährleisten. Bei allen Fragen und Problemstellungen, die sich während dieser Maßnahme oder
danach ergeben, ist dieser Dienst kompetenter
Ansprechpartner für alle Beteiligten.
Fachleute berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
... für behinderte Menschen (WfBM) befinden.
Private und öffentliche Arbeitgeber, Betriebsräte,
Schwerbehinderten-Vertrauensleute und andere
betriebliche Helfergruppen holen sich bei ihm
Rat. Er arbeitet auf der Grundlage des SGB IX.
Die Beratung ist kostenlos.
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Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
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Foto: pixelio - Brigitte Sanladerer
wie
ICF
Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit
Die Internationale Klassifikation der Krankheiten
(ICD) kann vor dem Hintergrund ihres biomedizinischen Modells als eine international anerkannte und einheitliche Sprache aufgefasst werden,
mit der Krankheitsphänomene in einer für alle
professionellen Gruppen im Gesundheitswesen
gleichen Weise benannt und verstanden werden.
Erst hierdurch wird eine eindeutige Kommunikation über Krankheiten innerhalb und
zwischen Professionen und Institutionen
möglich.
Die Kommunikation mit Hilfe der ICD findet dort
ihre Grenzen, wo nicht über Krankheiten selbst,
sondern über die mit ihnen einhergehenden
funktionalen Probleme, d. h. über die negativen
Auswirkungen von Krankheiten auf das Leben
eines Betroffenen gesprochen wird. Funktionale
Probleme sind z. B. Beeinträchtigungen in den
Bereichen der Mobilität, der Kommunikation,
der Selbstversorgung, des häuslichen Lebens,
der Interaktionen mit anderen Menschen oder
des Erwerbslebens.
Die Notwendigkeit, auch für funktionale Probleme eine international anerkannte und einheitliche Sprache zu verwenden, die von allen
professionellen Gruppen im sozialen Sicherungssystem in gleicher Weise verstanden wird, ergibt
sich insbesondere aus der zunehmenden Bedeutung funktionaler Probleme, dem Management
dieser Probleme im sozialen Sicherungssystem
und der Intervention gegen diese Probleme.
Eine einheitliche Sprache dient in diesen Fällen der eindeutigen Beschreibung krankheitsbedingter funktionaler Probleme als Voraussetzung für eine gezielte Prävention und
Intervention. Eine solche Sprache stellt die
Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) zur
Verfügung. Sie wurde im Jahr 2001 von der
Vollversammlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verabschiedet. Die ICF ergänzt
die ICD. Die ICF befindet sich in Deutschland
in der Implementierungsphase. Im Neunten
Buch des Sozialgesetzbuches (SGB IX) – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen
– wurden wesentliche Aspekte der ICF unter
Berücksichtigung der in Deutschland historisch
gewachsenen und anerkannten Besonderheiten aufgenommen.
Die ICF ist eine Klassifikation, mit welcher der Zustand der funktionalen Gesundheit einer Person
beschrieben werden kann. Insbesondere ermöglicht sie es,
• das positive und negative Funktions-/Strukturbild,
• das positive und negative Aktivitätsbild im
Sinne von Leistungsfähigkeit bzw. Leistung
• und das positive und negative Teilhabebild
an Lebensbereichen
einer Person vor dem Hintergrund möglicher Förderfaktoren und Barrieren standardisiert zu dokumentieren.
Ziele und Grenzen der ICF
Das wichtigste Ziel der ICF ist, eine gemeinsame
Sprache für die Beschreibung der funktionalen
Gesundheit zur Verfügung zu stellen, um die
Kommunikation zwischen Fachleuten im Gesundheits- und Sozialwesen, insbesondere in
der Rehabilitation, sowie den Menschen mit
Beeinträchtigungen ihrer Funktionsfähigkeit zu
verbessern. Darüber hinaus stellt sie ein systematisches Verschlüsselungssystem für Gesundheitsinformationssysteme bereit und sie ermöglicht
Datenvergleiche zwischen Ländern, Disziplinen
im Gesundheitswesen, Gesundheitsdiensten sowie im Zeitverlauf.
Die Bedeutung der ICF für Rehabilitation lässt
sich wie folgt skizzieren:
- Die Wiederherstellung oder wesentliche Besserung der Funktionsfähigkeit insbesondere auf
der Ebene der Aktivitäten (Leistungsfähigkeit,
Leistung) bei bedrohter oder eingeschränkter
Teilhabe an Lebensbereichen einer Person ist
eine zentrale Aufgabe der Rehabilitation. Daher
ist die ICF für die Rehabilitation bei der Feststellung des Reha-Bedarfs, bei der funktionalen Diagnostik, dem Reha-Management, der Interventionsplanung und der Evaluation rehabilitativer
Leistungen nutzbar.
- Die ICF ermöglicht es, Kontextfaktoren (Umweltfaktoren, personbezogene Faktoren) in den
Rehabilitationsprozess des Rehabilitanden einzubeziehen: Barrieren, welche die Leistung oder
Teilhabe erschweren oder unmöglich machen,
sind abzubauen, und Förderfaktoren, welche die
Leistung oder Teilhabe trotz erheblicher gesund-
heitlicher Beeinträchtigungen wiederherstellen
oder unterstützen, sind auszubauen oder zu
stärken.
Die Grenzen der ICF werden insbesondere durch
zwei Aspekte gekennzeichnet:
- Die ICF ist keine Klassifikation funktionaler Diagnosen, sondern mit ihr können funktionale Befunde und Symptome angegeben werden.
- Die ICF ist kein Assessmentinstrument (standardisierte Methoden und Instrumente zur Beschreibung und Beurteilung der Körperfunktionen/strukturen, der Aktivitäten und der Teilhabe).
Auf ihrer Grundlage können jedoch solche Instrumente entwickelt bzw. weiterentwickelt
werden.
Die wichtigsten Begriffe der ICF
Aktivitäten bezeichnen die Durchführung von
Aufgaben oder Handlungen durch eine Person.
Siehe auch Leistungsfähigkeit, Leistung.
Barrieren sind Kontextfaktoren (insbesondere
Umweltfaktoren), die sich negativ auf die funktionale Gesundheit (insbesondere auf die Teilhabe)
auswirken.
Beeinträchtigungen der Aktivität sind
Schwierigkeiten, die eine Person bei der Durchführung einer Aktivität haben kann.
Beeinträchtigungen der Teilhabe sind Probleme,
die eine Person beim Einbezogensein in eine Lebenssituation oder einen Lebensbereich erlebt.
Behinderung ist jede Beeinträchtigung der
funktionalen Gesundheit einer Person. Der Behinderungsbegriff der ICF ist wesentlich weiter
als der des SGB IX.
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
94 |
Förderfaktoren sind Kontextfaktoren (insbesondere Umweltfaktoren), die sich positiv auf die
funktionale Gesundheit (insbesondere auf die
Teilhabe) auswirken.
Funktionale Gesundheit umfasst die Aspekte
der Körperfunktionen und -strukturen des Or
ganismus einer Person sowie die Aspekte der
Aktivitäten und Teilhabe der Person an Lebensbereichen vor dem Hintergrund ihrer Kontextfaktoren. Funktionale Gesundheit ist kein expliziter
Begriff der ICF.
Funktionsfähigkeit umfasst alle Aspekte der
funktionalen Gesundheit.
Komponente ist der zu klassifizierende Gegenstand, also (1) Körperfunktionen und -strukturen,
(2) Aktivitäten und Teilhabe, (3) Umweltfaktoren
und (4) personbezogene Faktoren (in der ICF
nicht klassifiziert).
Kontextfaktoren sind alle Gegebenheiten des
Lebenshintergrundes einer Person. Sie sind in
Umweltfaktoren und personbezogene Faktoren
gegliedert.
Körperfunktionen sind die physiologischen
Funktionen von Körpersystemen (einschließlich
psychologische Funktionen). Siehe auch Schädigungen.
Körperstrukturen sind anatomische Teile des
Körpers, wie Organe, Gliedmaßen und ihre Bestandteile. Siehe auch Schädigungen.
Lebensbereiche sind Domänen der Klassifikation der Aktivitäten und Teilhabe.
Leistung ist die tatsächliche Durchführung einer
Aufgabe oder Handlung einer Person in ihrem
gegenwärtigen Kontext. Leistung ist ein Aspekt
des Aktivitätskonzeptes.
Leistungsfähigkeit ist das maximale Leistungsniveau einer Person bezüglich einer
Aufgabe oder Handlung unter Test-, Standard , oder hypothetischen Bedingungen. Leistungsfähigkeit ist ein Aspekt des Aktivitätskonzeptes.
Partizipation siehe Teilhabe.
Schädigungen sind Beeinträchtigungen einer
Körperfunktion oder -struktur wie z.B. eine wesentliche Abweichung oder ein Verlust.
Teilhabe ist das Einbezogensein einer Person
in eine Lebenssituation oder einen Lebensbereich.
Umweltfaktoren bilden die materielle, soziale und einstellungsbezogene Umwelt ab, in
der Menschen leben und ihr Dasein entfalten.
Umweltfaktoren sind in der ICF klassifiziert.
| 95
wie
Inklusion
Foto: www.pixelio.de
Inklusion
(UN-Behindertenrechtskonvention)
Inklusion ist ein kontinuierlicher Prozess,
der Menschen mit Behinderungen die
Chance gibt, in vollem Umfang an allen
gesellschaftlichen Aktivitäten teilzunehmen, die auch Menschen ohne Behinderungen offen stehen. Jedem Menschen
inhärent ist das „Recht auf volle gesellschaftliche Zugehörigkeit“. Wirksam
wird dieses Konzept erst dann, wenn
Menschen mit Behinderungen in ihrer
vertrauten Lebenswelt das notwendige
Maß an Unterstützung für ihre gesellschaftliche Teilhabe erhalten.
Inklusion will die bestehenden Strukturen, Einstellungen und Auffassungen
dahingehend verändern, dass die Unterschiedlichkeit der einzelnen Menschen
die Normalität wird (diversity mainstreaming). Jeder Mensch soll die Unterstützung und Hilfe erhalten, die er oder sie
für die Teilhabe am gesellschaftlichen
Leben benötigt.
Der Inklusionsgedanke der UN-Behindertenrechtskonvention impliziert nicht
nur Schutz vor Diskriminierung, sondern
darüber hinausgehend die aktive Unterstützung von Menschen mit Behin-
derungen bei der Wahrnehmung ihrer Rechte
durch das Treffen angemessener Vorkehrungen.
Unter der Leitidee der Inklusion kann es also
künftig nicht mehr um (Wieder)Eingliederung in
die Gesellschaft gehen, sondern um die Umgestaltung der Umwelt, die die Bürgerrechte aller
Bürgerinnen und Bürger respektiert und zu realisieren hilft. Dies impliziert den Einbezug aller
Politik- und Gesellschaftsbereiche, um die Voraussetzungen für Teilhabe von Menschen mit
Behinderungen in allen gesellschaftlichen Bereichen zu schaffen. Dazu gehört z.B. auch eine
aktive Einbeziehung in Gesetzgebungsverfahren
und eine breite Öffentlichkeitsarbeit, die Menschen mit Behinderungen über ihre Teilhabeund Teilnahmemöglichkeiten informiert.
Gleichwohl muss die Barrierefreiheit in einem
umfänglicheren Sinne von Mobilität und Zugang
zu Informationen verstanden werden und somit
über ein bloßes technisches oder bauliches Verständnis hinausgehen. Hierin muss sich auch ein
verändertes Grundverständnis von Behinderung
widerspiegeln, das dem dynamischen Behinderungsbegriff der Konventionspräambel folgt.
Die aktuell geltende Unterscheidung von körperlicher, geistiger und seelischer Gesundheit
entspricht nicht den Kategorien des neuen ganzheitlichen Verständnisses vom Menschen wie es
in der ICF (International Classification of Functioning) dargestellt wird. Auch die Einteilung nach
der für das Lebensalter typischen Gesundheits-
störung oder die Voraussetzung der Dauer einer
Behinderung von sechs Monaten sind nicht ICFfundiert.
Die z.Zt. angewandten ICD-10-basierten medizinisch-diagnostischen Verfahren zur Feststellung
einer Behinderung als Zugangsvoraussetzung
zur Inanspruchnahme von Gesundheits-, Rehabilitations- und anderen Sozialleistungen im gegliederten Sozialleistungssystem müssen somit
folgerichtig hinterfragt und entsprechend weiterentwickelt werden.
Menschen mit Behinderungen müssen als Rechtssubjekt anerkannt werden und in allen Lebensbereichen ihre vollumfängliche Rechts- und
Handlungsfreiheit wahrnehmen können. Hierfür müssen Menschen mit Behinderungen eine
entsprechende Unterstützung erhalten, um ihre
Rechte ausüben zu können.
96 |
| 97
wie
Medikamente
Ein Gespräch über Medikamente
Interview mit einer Psychiaterin
Wie wirken sich Antidepressiva auf den
Gehirnstoffwechsel aus?
Pharmakologische Hauptangriffspunkte fast
aller Antidepressiva sind die Synapsen im zentralen Nervensystem, wo die Neurotransmitter
Serotonin und Noradrenalin eine Rolle spielen.
Über verschiedene Mechanismen kommt es zu
einer vermehrten Verfügbarkeit von Serotonin und Noradrenalin am synaptischen Spalt.
Einige Antidepressiva erhöhen auch die Freisetzung von Dopamin...
Welche Faktoren sind für Sie ausschlaggebend, einen Patienten mit Medikamenten
zu behandeln?
Jeder medizinischen Behandlung geht eine Diagnostik voraus. Es hängt also sehr stark vom
Beschwerdebild, vom Leidensdruck, vom Krankheitsverlauf und natürlich von der Diagnose, die
ich stelle ab, ob ich einem Patienten eine medikamentöse Behandlung vorschlage.
Der aktuelle Stand der Forschung ist, dass beispielsweise bei Schizophrenien meist eine Behandlung mit Antipsychotika sinnvoll ist. Nach der
Ersterkrankung sollte die Rezidivprophylaxe mindestens 1 Jahr weiterlaufen, bei mehrfachen Rezidiven sollte die Behandlung über längere Zeiträume fortgeführt werden (mindestens 5 Jahre).
In welchem Fall würden Sie sich dafür entscheiden, die Medikamente zu wechseln?
Ein Medikamentenwechsel ist dann sinnvoll,
wenn ein Medikament nicht den gewünschten
Erfolg bringt bzw. wenn die Nebenwirkungen
nicht mehr akzeptabel sind. Es ist aber leider so,
dass es das „Wunschmedikament“ nicht gibt.
Man wird immer Kompromisse eingehen müssen. Nebenwirkungen müssen manchmal auch
in Kauf genommen werden. Hier ist natürlich immer abzuwägen zwischen Nutzen und Schaden
eines Medikaments.
Umfrage: Medikamente ein unlösbares Problem?
Die medikamentöse Behandlung bei psychischer
Störung bildet mit unterstützenden Gesprächen
die Basis einer Therapie. Es gilt hierbei herauszufinden, ob das vom Arzt vorgeschlagene Medikament die erwünschte Wirkung zeigt. Außerdem
sollten Medikamente erst dann verschrieben
werden, wenn der erkrankte Mensch kein ihm
würdigen Alltag mehr erleben und gestalten
kann. Wichtiger als die medikamentöse Behandlung ist es jedoch, die Ursache(n) zu finden und
das Leben soweit umzugestalten das der Boden
für eine Genesung gelegt werden kann. Die
Grundlage hierfür bilden oft die Medikamente,
da bei vielen Betroffenen die Symptome so stark
sind, dass keine positive Veränderung des psychischen Zustandes mehr möglich ist. Natürlich
gibt es auch Menschen die selbst bei einer gesunden Lebensweise und einem gesunden Um-
feld erkranken und bei denen ohne eine medikamentöse Behandlung ein normales Leben kaum
möglich wäre. Um die Vielfalt in diesem Bereich
weiter zu erläutern haben wir Betroffene zu dem
Thema Psychopharmaka befragt:
Medikamente: Seit 3 Monaten auf pflanzliche
Heilmittel umgestellt:
Mein Körper wurde gegen viele pharmazeutische
Mittel resistent. Jetzt, mit den pflanzlichen Mitteln, fühle ich mich wohler und es ist günstiger.
Es ist für mich der beste Lösungsweg.
Medikamente: Pflanzliche Mittel
In meinem Fall hat mir der Arzt abgeraten, weil
die Medikamente die ich bräuchte extreme Nebenwirkung haben. Gegen die Muskelspannung
nehme ich jetzt illegale pflanzliche Mittel.
Betroffene berichten
Welche Unterschiede gibt es bei der Wirkungsweise der Neuroleptika (Antipsychotika)?
Zunächst kann man vielleicht umgekehrt sagen,
allen Antipsychotika ist gemeinsam die Blockade postsynaptischer dopaminerger D2-Rezeptoren. Die Unterschiede ergeben sich dadurch,
dass verschiedene Antipsychotika noch andere
Rezeptoren ansprechen. So blockieren beispielsweise die dämpfenden Antipsychotika gleichzeitig die H1-Rezeptoren, was dann gleichzeitig unerwünscht zur Gewichtszunahme führen kann.
Wirkungs- und Nebenwirkungsspektrum richtet
sich also danach, welche Rezeptoren im ZNS angesprochen werden.
Wann würden Sie entscheiden, mit dem Patienten eine Reduzierung der Tablette anzugehen oder ganz abzusetzen?
Wenn ein Patient während einer akuten Erkrankung mit einem Medikament hoch eingestellt
war und sich zunehmend stabilisiert, kann man
natürlich etwas reduzieren.
Wenn ein Patient lange psychisch stabil war,
die Kooperation sehr gut ist und in der Therapie gute Voraussetzungen dafür geschaffen
wurden, auf Krisen zu reagieren (Frühwarnsymptome), könnte ich mir auch vorstellen,
den Schritt zu wagen, Medikamente abzusetzen.
Eine wichtige Voraussetzung ist hier auch, dass
ein gutes beiderseitiges Vertrauen zwischen Patient und Therapeut vorhanden ist.
Ich muss allerdings auch sagen, dass ich selbst bei
Medikamentenreduktion schon oft Verschlechterung oder Rückfälle erlebt habe.
| 99
Fachleute berichten
... Die Feinwirkung der Antidepressiva z.B. ob
die Modulation von Rezeptoren eine Rolle spielt
oder in wie weit ein synaptisches Wachstum
angestoßen wird und sich dadurch bessere Lebensbedingungen für die Nervenzellen ergeben,
ist bis ins Detail noch nicht genau bekannt und
Gegenstand der Forschung.
Medikamente
Nichtbetroffene berichten
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
98 |
Medikamente: Ja
Ich habe Medikamente genommen die abhängig machen. Diese haben mich abgeschirmt von
meinen traurigen Gefühlen und Erinnerungen.
Nach fünf Jahren habe ich eine Traumatherapie
gefunden die es mir möglich macht ohne diese
Benzodiazepine zu leben.
Medikamente: Ja
Meine Medizin hilft mir ruhiger zu werden. Allerdings macht sie mich etwas benommen. Allgemein finde ich jedoch eine Gesprächstherapie
genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger.
Medikamente: Nein
In erster Linie sollte jeder, der Medikamente verordnet bekommen soll, bei dieser Entscheidung,
auf sich hören. Von meiner Erfahrung heraus, kann
die Gesprächstherapie einen größeren Einfluss auf
die Genesung haben, als die Medikamente.
Medikamente. Ja
Ohne Medikamente wär ich vielleicht nicht mehr
da. Ohne Medikamente wär mein Leben nicht
annähernd ertragbar. Medikamente ermöglichen
mir ein nahezu “normales“ Leben.
Medikamente: Ja
Ohne die Medikamente würde es mir schlecht
gehen. Nachdem ich sie einmal abgesetzt habe,
hatte ich einen schweren Rückfall. Auch sind sie
für die Verhaltenstherapie, die ich gerade mache,
eine große Unterstützung.
Medikamente: Ja
Vor wenigen Tagen habe ich meine Medikamentendosis erst erhöht, weil es mir etwas schlechter ging. Psychopharmaka helfen mir auf jeden
Fall. Voraussetzung ist allerdings das richtige
Medikament. Ein Arzt, der so lange ausprobiert
bis keine oder kaum Nebenwirkungen eintreten
und der Zustand stabilisiert sich, ist dazu allerdings Voraussetzung.
Medikamente: Ja
Seitdem ich das richtige Medikament nehme bin
ich nicht mehr so down. Es hat allerdings vier
Jahre gedauert. In dieser Zeit haben wir vier unterschiedliche Pillen ausprobiert, erst dann war
das richtige Medikament dabei. Jetzt würde ich
eher auf meine eigene Intuition hören, als die
vom Arzt, also mehr aktiv mitwirken.
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Sucht Beruhigungsmittel
Durch eine posttraumatische Belastungsstörung schlitterte ich in die Abhängigkeit von
Tavor und Diazepam. Anfangs waren es nur
Tranquilizer, damit ich meine Arbeit machen
konnte.
Die Gedanken
Monte Christo
29.08.2008
Es ging weiter, mit dem Tavor, damit ich meine Flashbacks und Panikanfälle unter Kontrolle
bekam. Anfangs sagte man mir noch, dass diese Mittel abhängig machen können, aber ich
diese im Moment brauchte um meine Arbeit
und die Therapie machen zu können. Es war
auch nicht so, dass ich immer höhere Dosen
brauchte, aber es kamen auch noch Schlafmittel dazu.
Ich glaubte auch lange nicht, dass ich schon
süchtig war, da auch die Ärzte, die mir dieseMittel verordneten meinten, dass es einfach ist
von einem Beruhigungsmittel auf ein anderes zu
wechseln. Ich nahm diese Mittel 5 Jahre lang.
Aufgrund einer neuen Bewerbung für eine Trauma-Intervalltherapie wurde mir angeraten, erst
mal einen Entzug von Tavor und den Schlafmitteln zu machen. Ich hatte unheimliche Angst davor, aber wegen dem Wunsch nach Bearbeitung
meiner Missbrauchserlebnisse aus der Kindheit,
begab ich mich in die Psychiatrie. Ich war dort
auf einer Station, auf der auch die Alkoholiker
waren. Es demotivierte mich, als ich sah, dass
sie bereits nach 4 Tagen entgiftet waren, bei mir
sollte das 12 Tage dauern. Aber ich habe es geschafft und lebe seit 3 Monaten ohne Benzodiazepin und Schlafmittel.
Du kannst sie nicht Alle erraten
Oft musst Du auf einen warten.
Du kannst Dir über vieles Gedanken machen,
Über große oder kleine Sachen.
Der Gedanke ist gut, mal laut, mal leise.
Wir Alle denken auf die gleiche Weise.
Es können Zwei auch einen Gedanken sagen.
Welch großen Verstand muss ein Mensch haben?
Den einen Gedanken errät`s Du beim Mienenspiel.
Der Eine oder andere Gedanke bringt Dir viel.
Einer denkt dies, ein Nächster wieder das,
Und schon entsteht wieder etwas.
Gedanken gibt`s wie Sand am Meer.
Alle auf einmal, das wäre ein Malheur.
Der eine Gedanke kommt, ein anderer geht.
Den nächsten suchst Du, wo er wohl geschrieben steht.
Und wenn Du einmal nicht weiter denkst,
Jemand dann doch Deine Schritte lenkt.
Kannst Du nicht denken, auf die eine Art,
Ist der Gedanke wohl im Traum gepaart.
Laut Angaben des Arneimittelreportes
2009 sind die Ausgaben der gesetzlichen
Krankenversicherung
für
Medikamente
im Zeitraum von 1998 bis 2008 um 12,21
Milliarden Euro von 17,72 Milliarden auf
29,93 Milliarden Euro gestiegen.
Quelle:
Gedanken sind mal groß, mal klein,
Doch bringen Sie oft sehr viele Ideen ein.
Sie sind oft Alt, mal Jung und wieder Neu.
Mach mir doch keiner meine Gedanken scheu!
Du hast mal viele Gedanken, mal hast Du wenig.
Kann man nicht alle erkennen, freuen wir uns darüber, wie ein König.
Du kannst den einen oder anderen Gedanken übertragen.
Doch bei vielen Gedanken müssen wir nachfragen.
www.zes.uni-bremen.de/GAZESse/200902/
GEK-Arzneimittel-Report-2009.pdf
Foto: Pixelio - Ingo Neumann
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
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Sieh` einmal hin, sieh` einmal her.
Dann fällt Dir ein Lernen nicht mehr schwer.
Den einen Gedanken, kannst Du dir schenken,
Doch für den Nächsten, wird sich so mancher, den Kopf verrenken.
102 |
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wie
Opfer
Geschlagen, gestalkt, traumatisiert
Ich wurde vom Vater meiner Kinder jahrelang
geschlagen, dann brutal misshandelt und später noch jahrelang verfolgt und gestalkt, bis ich
nachts aufwachte und des öfteren wiederholt
die Polizei alarmierte, „es kommt einer, der mich
umbringen will, obwohl keiner da war.“ Dies
über Monate hinweg. Erst ein Besuch der Polizei
in meinem Wohnzimmer an einem der darauffolgenden Tage aufgrund einer Panikattacke und
die Androhung, dass ich in Zukunft die Kosten
der Aufwände der Polizei zu tragen hätte, liessen
mich wach werden und ich nahm deren Rat an,
meinen Arzt aufzusuchen.
Die verordneten Tabletten liessen mich in eine Lethargie verfallen. Ich nahm stark zu und bekam
davon sogar Suizidgedanken, liess mich freiwillig
in die Psychiatrie einweisen, wo mindestens 7
Medikamente getestet wurden, um wenigstens
die Suizidgedanken wieder los zu werden. Als ich
wieder stabil wurde, durfte ich heim zu meinen
Kindern und wagte den ersten Schritt ins GpZ
Überlingen. Ich habe heute noch ab und zu flash
backs (ein Wiedererleben früherer Gefühlszustände) und bin traumatisiert.
licher oder seelischer Art – ein Anrecht auf Opferentschädigung hat. Es war in der Fibel auch eine
Karte, mit der man die entsprechenden Unterlagen anfordern kann.
Es gab dann noch den Hinweis, dass man sich
an den Weißen Ring wenden kann, um zu erfahren, welche weiteren Möglichkeiten es gibt, um
Opfern für das Gerichtsverfahren oder dem OEGAntrag beizustehen und sie über seine Rechte,
die nicht in dem Heftchen stehen, zu informieren.
Ich will hier nicht die ganze Broschüre zitieren,
aber doch noch erzählen, was der Weisse Ring
noch als Sofortmaßnahme empfohlen hat. Ich
kann z. B. zum Amtsgericht gehen und mir einen Beratungsscheck ausstellen lassen, mit dem
ich dann zu einem Anwalt meines Vertrauens
gehen kann um mich weiter beraten bzw. auch
vertreten zu lassen. Die Erteilung dieses Berechtigungsscheines ist aber von dem jeweiligen
Einkommen abhängig. Sollte mein Einkommen
oberhalb dieser Bemessungsgrenze liegen, tritt
der Weisse Ring für die Kosten ein.
Ich habe auch vom Weissen Ring erfahren, dass
der Rechtsanwalt bei Gericht dahingehend intervenieren kann, dass das Verfahren nicht eingestellt wird und Anklage erhoben wird. Ich, bzw.
der Rechtsanwalt, kann dann auch als Nebenkläger auftreten.
Wenn man nicht nur körperliche Schäden, sondern auch seelisch in Mitleidenschaft gezogen
wurde (ich wurde bei diesen Angriffen re-traumatisiert) hat man die Möglichkeit zu einer Beratung zu einem Taumatherapeuten zu gehen.
Diese Kosten werden dann auf Antrag auch vom
Weissen Ring übernommen.
Erklärungen:
OEG - Opferentschädigungsgesetz
Antrag hierzu kann man beim zuständigen Versorgungsamt stellen
Weisser Ring - Organisation, die den Opfern
von Straftaten hilft, zu ihrem Recht zu kommen
Betroffene berichten
Ich wurde Opfer einer Körperverletzung im häuslichen Umfeld.
Ich wohne in einer betreuten WG und habe eine
Mitbewohnerin, die mich jetzt schon zweimal
körperlich verletzt hat. In der Zeit vor diesen Körperverletzungen hat sie mich schon mehrfach
verbal angegriffen.
Nach dem ersten Angriff habe ich noch gedacht
„Das kann ja mal passieren, die ist eben krank“.
Ich habe mich aber bei meiner Betreuerin beschwert.
Die Angreiferin hat sich aber bei diesem Überfall
selbst verletzt. Als ich erfuhr, dass sie bei der Polizei, bei der sie mich angezeigt hat, gesagt hat,
dass ich sie, und nicht sie mich angegriffen hätte,
habe ich ebenfalls Anzeige wegen Körperverletzung erstattet.
Erstaunt war ich dann aber doch, dass sie noch
eine Anzeige wegen Sachbeschädigung, die ich
an ihrem Auto begangen hätte, zu Protokoll
gegeben hat. Die Angreiferin wusste aber noch
nicht mal mehr, zu welcher Tageszeit sie mich
angegriffen hat, oder wie sie sagt, ich sie. Sie
hat angegeben, dass es kurz nach Mittags gewesen sei, ich kann aber beweisen, dass es am
Abend war.
Nach zwei Wochen traf ich die Angreiferin im
Hausflur, sie beschimpfte mich und als ich nicht
reagierte, schlug sie wieder zu. Sie schubste
mich gegen den Türrahmen der offenen Haustür. Als ich mich umdrehte, um wieder ins Haus
zu gelangen, boxte sie mich zweimal gegen
den Kopf. Als ich beim letzten Angriff von der
Wucht fast die Treppe herunterfiel und versuchte, mein Gleichgewicht zu halten, dass ich
da nicht stolperte, fiel mir mein Schlüsselbund
aus der Hand. Die Angreiferin schnappte sich
den Schlüssel und schlug die Tür zu. Vom Badezimmerfenster bespritze sie mich auch noch
mit Wasser.
Ich flüchtete dann zu einem Nachbarn und bat
ihn, die Polizei zu verständigen. Er wollte aber
erst mit der Bewohnerin sprechen. Wir gelangten
dann ins Haus, aber meinen Schlüssel bekam ich
nicht zurück. Erst als mir schlecht wurde und ich
fast umgekippt wäre, gab sie mir den Schlüssel
zurück.
Ich rief dann erst meine Betreuerin an, konnte
sie aber nicht gleich erreichen. Daraufhin hab ich
dann die Polizei gerufen. Die konnten aber nicht
gleich kommen, da alle Beamten unterwegs waren. Zwischenzeitlich rief auch meine Betreuerin
zurück und konnte mir aber auch keinen weiteren Rat geben.
Die Polizisten, die kamen, waren sehr nett und
nahmen die Anzeige auf und fotografierten die
Verletzungen. Sie rieten mir, die Wunden ärztlich versorgen zu lassen und diese mir auch vom
Arzt attestieren zu lassen. Das hätte aber auch
bis Montag Zeit. Ich könne dann ja zu meinem
Hausarzt gehen. Wenn mir aber wieder schlecht
werden würde, solle ich den Notarzt rufen.
Mein Hausarzt attestierte Hämatome im Ellenbogengelenk, an den Unterarmen und am Unterkiefer sowie eine Schwellung im Schläfenbereich.
Der nette Polizist gab mir später, als ich das Attest vorbeibrachte, noch eine Opferfibel. Darin
steht unter anderem, was für Rechte man hat,
wenn man Opfer einer Straftat geworden ist.
In diesem Heftchen steht geschrieben, dass
die Polizei alles tut, um die Mitbürgerinnen vor
Straftaten zu schützen, man sich aber nicht
scheuen soll, eine Straftat bei der Polizei anzuzeigen. Nur so bestehe die Möglichkeit, dem
Täter nicht wieder zu ermöglichen, neue Straftaten zu begehen. Ich musste aber feststellen,
dass die Polizisten mich nicht vor erneuten Angriffen beschützen kann, da sie im Moment leider nichts gegen die Täterin unternehmen können, es sei denn sie hätte mich mit dem Leben
bedroht.
Leider konnten mir die Betreuer und auch der
Vorgesetzte nicht zusagen, dass so etwas nicht
mehr vorkommt. Im Nachhinein musste ich aber
einsehen, dass sie schon alles Mögliche gegen
die Schlägerin unternommen hatten, auch Maßnahmen um mich zu schützen, ihnen aber auch
in manchen Beziehungen die Hände gebunden
waren.
Erstaunt hat mich aber auch, dass die Polizisten
sagten, dass die Staatsanwaltschaft auch entscheiden könne, dass keine Klage erhoben wird,
da das öffentliche Interesse fehlt. Ich könne aber
auf dem Zivilprozessweg versuchen, wenigstens
Schmerzengeld zu bekommen. Das Verfahren
müsste ich aber erst selbst bezahlen. Wenn ein
Urteil gefällt sei, könne ich die Kosten ja von der
Gegenseite zurückverlangen.
Aber wieder zurück zu der Broschüre. Was ich
noch nicht wusste, dass man für jede Straftat,
deren Opfer man geworden ist – sei es körper-
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Foto: pixelio - Guido
Nichtbetroffene berichten
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
Opfer einer Gewalttat
Opfer
Fachleute berichten
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wie
Psychose
Psychose
Eine Psychose ist eine psychische Störung. Sie
bedeutet den zeitweisen Verlust der Realität.
Die Ursachen sind weitgehend unbekannt.
Man geht davon aus, dass psychodynamische
Stressfaktoren wie familiäre oder zwischenmenschliche Probleme zum Ausbruch der
Krankheit führen können. Auch Alkohol
sowie Drogen oder Körperliches wie eine
Hirnerkrankung können zur Psychose führen.
Eine Psychose ist eine ernste seelische Krise, bei der das Erleben und Verhalten
sich verändern und somit der Kontakt zur
Fotograf: Doris Bloch
Psychosen sind vorübergehende Zustände und
können durch Medikamente und Fachärzte gut
behandelt werden und oft auch rasch wieder abklingen. Psychisch Kranke sind im Durchschnitt
nicht gewalttätiger als „normale“ Menschen.
Manche werden nur einmal im Leben krank,
manche mehrmals mit größeren Abständen
und nur bei einem Teil der Patienten überwiegen Rückfälle und Symptomatik. Eine geringere
Stressbelastbarkeit und soziale Defizite sind oft
bleibend. Die Krankheit be- oder verhindert öfters die Ausbildung und verringert stark die
Chancen auf dem Arbeitsmarkt. So werden Patienten oft zum Sozialfall. Psychisch Kranke sind
oft sehr begabt und haben meist sehr viel Verständnis für andere, vor allem für Schwache. Das
erlebte Leid schafft Tiefe.
Anlaufstellen nach einer Psychose und dem Klinikaufenthalt sind Fachärzte, wenn möglich
kombiniert mit einer psychotherapeutischen
Ausbildung, die Psychiatrische Institutsambulanz
(PIA) oder Spdi (sozialpsychiatrischer Dienst ) im
GpZ Überlingen, Selbsthilfegruppen und bei Krisen auch die Tagesklinik in Friedrichshafen oder
Weissenau.
Quelle: http://psywifo.klinikum.uni-muenchen.
de/fetz/1.htm
http://home.arcor.de/pahaschi/wissen.htm
http://de.wikipedia.org/wiki/Psychose
Fotograf: Esther Margraff
Wie ich krank wurde…
Es fing an als ich damals in Krefeld wohnte und
gerade dabei war mein Abitur nachzuholen.
Ich nahm damals Geräusche und Farben intensiver wahr und ich konnte mich auch nicht so
gut konzentrieren. Ich habe dies aber nicht als
Krankheit wahrgenommen. Trotzdem habe ich
das Abitur geschafft und bin schließlich nach
Berlin gezogen um Volkswirtschaftslehre zu studieren.
Ich bin in eine 6er Studentenwohngemeinschaft
gezogen in einer alten Kaserne in Zehlendorf. In
der WG wohnten ein Peruaner, eine etwas ältere
Russin, ein Medizinstudent, eine Auszubildende,
eine junge Studentin und eben ich. Kaum war
ich eingezogen, kam mir die Russin verdächtig
vor. Ich dachte mit der stimmt doch etwas nicht
und vor der musst du dich in Acht nehmen.
Ich habe mich dann recht schnell mit dem Peruaner und den anderen angefreundet, die Russin
war mir aber immer noch nicht geheuer. Eines
Tages fing die Russin plötzlich an meine Bewegungen zu kommentieren (wie ich meinte). Ich
habe sie mehrfach zur Rede gestellt aber sie
hat immer so getan als wüsste sie nicht wovon
ich rede. Ich fing an ihre Stimme auch zu hören
wenn ich alleine im Raum war, also dachte ich,
dass sie eine Hexe sei, die ihre Zauberformeln
durch den Raum hallen ließ und versuchte mich
zu vergiften. Ich habe dann mein Heil im Sport
gesucht und war praktisch nur noch zum Schlafen in der WG. Durch den vielen Sport nahm ich
30 kg ab und war zum ersten Mal in meinem
Leben schlank.
Ich fing dann an Fernseh- und Radiosendungen
auf mich zu beziehen. Ich dachte, dass ganze
Talkshows nur über mich gingen und zwar darüber, dass ich der nächste Bundeskanzler sei
und dass ich bald der Öffentlichkeit vorgestellt
würde. Zu dieser Zeit bin ich auch oft stundenlang durch Berlin gelaufen, ohne anhalten zu
können. Ich habe es aber immer wieder geschafft rechtzeitig zu den Tagesthemen zu Hause zu sein um die neuesten Nachrichten über
mich zu sehen.
Ich saß damals immer bei mir zu Hause und habe
mich gewundert wo die ganzen Politiker und
die Presse bleiben. Ich dachte sie möchten mich
doch kennen lernen, wenn sie schon die ganze
Zeit über mich berichten und über mich diskutieren.
Zu dieser Zeit wandelte sich das Bild der Russin
von dem einer Hexe zu dem einer russischen
Spionin die meinen Weg an die Macht verhindern wollte. Ich war damals sehr verstritten mit
der Russin. Ich habe ihr immer Vorwürfe gemacht, weil ich dachte sie sei eine Spionin und
ich ihre Stimme immer hörte. Mit der Zeit kamen
noch andere Stimmen dazu. Stimmen die mich
beschimpften, Stimmen die mich lobten, und
eine Stimme, sie war nur da wenn der Fernseher an war, war eigentlich nur ein Wimmern. Mit
der Zeit zog ich mich immer mehr in mein Zimmer zurück und lag tagelang nur da und hörte
mir beim Atmen zu. Irgendwann dachte ich mir
endlich, so kann es nicht mehr weiter gehen
und ging zu einem Arzt und erzählte ihm, dass
ich nur noch im Bett liege und mir beim Atmen
zuhöre. Der Arzt untersuchte mich, fand aber
nichts und machte mir den Vorschlag ich solle
zu einem Neurologen und Psychiater im selben
Haus gehen. Noch am selben Tag stellte ich mich
dort vor. Ich erzählte dem Psychiater von der Russin und davon dass sie mich nicht in Ruhe lässt.
Der Psychiater schrieb mir Tabletten auf die ich
nehmen sollte. Ich holte die Tabletten in der Apotheke und ging heim. Ich machte den Fernseher
an und sah dass in einer Talkshow genau über
das gesprochen wurde, was ich dem Psychiater
gerade erzählt hatte. Für mich war sofort klar,
der Psychiater gehört zu der Verschwörung und
nahm die Tabletten nicht, die er mir verschrieben
hatte. Die nächsten Male wenn ich bei dem Psychiater war, habe ich ihm nur das erzählt, was
meiner Meinung nach die Öffentlichkeit etwas
anging.
Mir ging es aber immer schlechter und irgendwann war der Leidensdruck so groß, dass ich den
Psychiater gefragt habe ob wir uns nicht täglich
sehen können. Dieses verneinte dieser, bot mir
aber an, dass ich mich in eine Klinik legen könnte.
Ich stimmte zu und stellte mich noch am selben
Tag in der Klinik vor. In der Klinik nahm ich dann
die Medikamente die man mir gab und innerhalb
weniger Tage hatte ich wieder einen klaren Kopf
und mir wurde klar, dass ich die letzten 2 Jahre in
einer Wahnwelt gelebt hatte.
Betroffene berichten
Wie geht man als Angehöriger aber mit einem
psychisch Kranken um? Gut ist ein natürlicher
Umgang. Es ist wichtig, Sicherheit zu geben,
immer wieder zu signalisieren, dass zwischenmenschlich alles o. k. ist, dass man denjenigen
mag. Es ist gut, immer wieder auch Lob auszusprechen. Ganz wichtig ist es, dass man Negatives der Person nicht übel nimmt. Das meiste
ist gar keine Absicht, sondern nur Ausdruck der
inneren Unsicherheit und dem oft schlechten eigenen Zustand. Es ist wichtig, den- bzw. diejenige ernst zu nehmen trotz oder gerade wegen
seiner/ihrer eigenen Unsicherheit. Es ist gut, bei
Bedarf über alles zu sprechen, was ihn beschäftigt, egal was es ist. Positive Zuwendung und Zuhören sind ganz wichtig. Ansonsten sollte man
das Therapeutische wirklich den Therapeuten
überlassen. Also nicht therapieren wollen! Wichtig: Keine Rat-Schläge! Man sollte keinen Druck
ausüben und akzeptieren, dass der Patient nicht
so leistungsfähig ist. Der psychische Stress fordert bereits jede Menge Kraft. Und nicht extra
lieb sein wollen, lieber ganz normal sprechen.
(eigene Erfahrung).
| 109
Fachleute berichten
Wirklichkeit verloren geht. Für die Umwelt wird
es schwer, den Betroffenen noch zu verstehen.
So fühlt sich ein Patient z.B. von Strahlen bedroht
oder von magnetischen Einflüssen. Er hört vielleicht innere Stimmen oder sieht Dinge, die nicht
wirklich da sind (Halluzination) und sucht sich
eine Erklärung dafür. Von CIA und Stasi hat man
ja schon oft Schlimmes gehört. „Aha“, denkt
sich der Betroffene, „ich werde überwacht und
verfolgt“. Oder der Patient denkt, andere können seine Gedanken lesen oder er glaubt, dass
alles was er hört, sieht und liest von ihm selbst
handelt. Das führt zum Wahrnehmungsstress.
Alles „prasselt“ auf ihn ein. Der Verstand arbeitet normal, doch durch die verzerrte Wahrnehmung sieht sich der Patient zu bizarrem Verhalten gezwungen. Die Stimme wird oft tonlos, es
fehlt die Kraft, etwas zu unternehmen und die
Lust, mit anderen Menschen zusammen zu sein.
Es kommt zum sozialen Rückzug.
Psychose
Nichtbetroffene berichten
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
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Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
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wie
Posttraumatische
Belastungsstörung
Die posttraumatische Belastungsstörung bekommt einen immer größer werdenden Bekanntheitsgrad. Viele haben das Wort schon
gehört, wissen aber nicht wirklich was es eigentlich bedeutet.
Im Laufe unseres Lebens sind wir verschiedenen
Gefahrensituationen ausgesetzt. Im günstigsten Falle mobilisiert der Betroffene unglaubliche
Energien um zu fliehen oder um sich zu verteidigen. Ein Trauma entsteht nur dann, wenn der
Betroffene nicht in der Lage ist angemessen darauf zu reagieren. Die mobilisierte Energie wird
sozusagen „eingefroren“ und der Mensch wirkt
äußerlich wie erstarrt. Innerlich bleibt die Energie
als Stress gespeichert.
Die PTBS wird z.B. im Zusammenhang mit Katastrophen, Kriegsgeschehnissen, Gewalt oder sexuellem Missbrauch genannt. Im Grunde handelt
es sich dabei um einen Schutzmechanismus des
Körpers. Erlebnisse, die ein Mensch gefühlsmäßig nicht aushalten kann, werden in einem besonderen Teil des Gehirns (Amygdala) abgespeichert. Hinzu kommt, dass das Erleben in viele
Einzelteile zerrissen wird und diese dann auch
losgelöst voneinander abgespeichert werden.
Das macht es besonders schwer, solche Erlebnisse zu verarbeiten. Der Betroffene kann nicht,
wie bei anderen Erfahrungen (z.B. Einschulung,
Verliebtsein, gewonnener sportlicher Wettkampf
u.a.) auf eine Erinnerung zurückgreifen, die ganz
klar zeitlich, räumlich, gefühlsmäßig u.s.w. eingeordnet werden kann.
Das Erlebnis, bzw. die damit verbundenen Gefühle, sind quasi aus dem Bewusstsein ver-
schwunden (Abspaltung) und werden plötzlich
durch andere Sinneseindrücke, die mit dem
eigentlichen Geschehen nichts zu tun haben,
wachgerufen (getriggert). Zum Beispiel ein Geruch, Bilder, Aussehen oder Sprache eines anderen Menschen. Der Betroffene wird quasi
unvermittelt in das schreckliche Erlebnis wieder
zurückversetzt. Plötzlich erlebt er sich wieder im
Krieg oder er erlebt den schrecklichen Unfall von
vor 10 Jahren, oder erlebt die Vergewaltigung
wieder. Dieses Nacherleben hört nur auf, wenn
durch eine entsprechende Therapie die abgespaltenen Gefühle kontrolliert nacherlebt werden können und somit, wie andere Erlebnisse
auch, an der richtigen Stelle im Gehirn chronologisch abgespeichert wurden.
Es gibt verschiedene Therapiemöglichkeiten. Ob
Heilung möglich ist, hängt von sehr vielen Faktoren ab. Vor allem spielt es eine wichtige Rolle
in welchem Alter der Mensch traumatisiert wurde und ob es sich „nur“ um ein einmaliges Erlebnis handelt.
Wenn zum Beispiel ein Feuerwehrmann bei
einem Einsatz selbst in Lebensgefahr gerät oder
sehr schwer verletzte Menschen geborgen hat
und dies nicht verarbeiten konnte, gibt es die
sog. EMDR Methode, die hilfreich sein kann.
Der Therapeut bewegt in Augenhöhe des Patienten einen Finger hin und her, wie bei der Pendelbewegung einer Uhr. Der Patient folgt dieser
Bewegung mit den Augen. Durch diese Augenbewegungen, durchlebt er das Trauma noch einmal wie in einem Film. Das Gehirn kann dann
die Erlebnisse und die abgespalteten Gefühle zu-
sammenhängend abspeichern. Der in jeder Zelle
des Körpers angestaute Stress kann so abgebaut
werden. Die unzähligen körperlichen Symptome
werden immer weniger.
Ganz anders ist die Situation, wenn ein kleines
Kind in der Familie jahrelang misshandelt und
missbraucht wird. Das Kind ist von seinen Eltern
grundlegend abhängig. Es könnte nicht überleben, wenn es keine Nahrung und körperliche
Fürsorge erfährt. Seine Persönlichkeit ist zerrissen. Auf der einen Seite ist es auf die Zuwendung der Eltern angewiesen, auf der anderen
Seite wird es verletzt und gedemütigt. In solchen
Fällen ist eine Heilung schwieriger, weil nie Vertrauen zu anderen Menschen aufgebaut werden
konnte. Bei sexuellem Missbrauch von Kindern
sind die Folgen verheerend. Das Kind konnte
noch keine Persönlichkeit aufbauen. Seine Grenzen werden massiv überschritten. Es ist innerlich
verwirrt, kann das Geschehen nicht einordnen.
Es kann mit niemandem darüber sprechen oder
es wird ihm nicht geglaubt. Dadurch fühlt es sich
isoliert.
Typische Symptome, die auf eine PTBS hinweisen können, sind:
•Schlafstörungen
•Alpträume
•Erhöhte Nervenanspannung
•Schreckhaftigkeit
•Man fühlt sich nirgendwo sicher
•Großes Misstrauen
•Isolation
•Man fühlt sich immer außer sich
•Völlige Gefühllosigkeit, Apathie
•Man fühlt sich immer von sich selbst abgetrennt
•Angstzustände, Panikattacken
•Depressionen
•Suizidgedanken
•Selbstmordversuche
Literaturvorschläge:
Peter A. Levine: Trauma-Heilung „Das Erwachen
des Tigers“ Somatic Experience, Synthesis Verlag, ISBN 3-922026-91-5
Peter Levine, Maggie Kline: Verwundete Kinderseelen heilen Wie Kinder und Jugendliche
traumatische Erlebnisse überwinden können,
Kösel Verlag, ISBN-10: 3-466-30684-1
Michaela Huber: Wege der Traumabehandlung
(2 Bde.)
Luise Reddemann: Buch und CD, Eine Reise
von 1000 Meilen beginnt mit dem 1. Schritt,
Seelische Kräfte entwickeln und fördern, Herder
Verlag
Prof. Franz Ruppert: Seelische Spaltung und
innere Heilung, Traumatische Erfahrungen integrieren, Klett-Cotta Verlag/Leben Lernen, ISBN
978-3-608-89051-8
Im Internet:
www.franz-ruppert.de; www. Wuestenstrom.de
Wo gibt es Hilfen
Therapeuten mit Zusatzausbildung in Traumatherapie; Klinik, die auf die Behandlung von
Traumapatienten spezialisiert sind; Selbsthilfegruppen
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Ich kann gar nicht so richtig sagen, wann die Erkrankung das erste Mal ausbrach. Es gab schon
immer Schwierigkeiten in Beziehungen zu anderen Männern, Flashbacks traten auch schon auf,
bevor ich wirklich merkte, dass ich krank war.
Genauere Verdachtsmomente gab es erst, als ich
wegen meiner Magersucht in einer psychosomatischen Klinik war.
Ich konnte jetzt die Augen vor der Wahrheit,
dass ich bereits als Kind missbraucht wurde,
nicht mehr verschließen. Das musste ich erstmal
verarbeiten. Ich „funktionierte“ noch ein Jahr
und ging unregelmäßig zur Arbeit. Nach 2 Jahren legte mir mein Psychotherapeut eine Traumaklinik im Taunus, das war gleich um die Ecke,
ans Herz. In der ambulanten Therapie, es war
keine spezielle Traumatherapie, kamen wir einfach nicht weiter. Ich ging das erste Mal in eine
Traumaklinik. Wieder dachte ich, dass in den 8
– 10 Wochen alles wieder gut werden würde. In
der Klinik gingen sie auch auf meine Anorexie
ein. Es gab Körperwahrnehmung, Malgruppe,
Ergotherapie, Sport und Imaginationsgruppe,
die sehr wichtig war, um sich schöne Bilder gegen die Horrorbilder, die im Kopf sind, hervorzuholen. Dann gab es noch Einzelgespräche.
Hier arbeitete ich mit der Arbeit am inneren Kind.
– Jeder von uns hat ein inneres Kind –, aber traumatisierte Menschen haben ein verängstigtes inneres Kind, das so alt ist, wie das missbrauchte
Kind in der Kindheit war. Hier hatte ich zum ersten
Mal Kontakt mit meinem inneren Kind. Erst hatte
es noch keinen Namen, aber es stellte sich heraus,
dass es 4 Jahre alt war. Mit der Zeit gewann dieses
innere Kind Vertrauen und sagte mir auch, wie es
hieß, KIM. Ich kaufte ein Kuscheltier für die Kleine
und versuchte Vertrauen zu ihr aufzubauen. Wieder zu Hause, begann ich wieder zu arbeiten und
machte auch mit der Psychotherapie weiter. Aber
es war nicht so wie ich gedacht hatte, ich war
nicht gesund entlassen, das einzige was gut war,
dass ich an Gewicht zugenommen hatte, das gab
mir auch den Mut, weiterzumachen.
In dem Unternehmen, in dem ich arbeitete,
glaubten alle, da ich an Gewicht zugenommen
hatte, dass ich jetzt geheilt sei. Ich ließ sie in dem
Glauben. Aber es ging nicht lange gut, dann kam
wieder eine lange Krankschreibung, weil ich mit
den Flashbacks, Angst- und Panikattacken und
Depressionen nicht arbeiten konnte.
Ich ging erneut in die Traumaklinik zur Intervalltherapie, meine ambulante Therapie lief aus. In
der Klinik gab es wieder keine aufdeckende Traumaarbeit, nur Stabilisierung mit den alten Therapien. Der Focus wurde darauf gelegt, mich wieder arbeitsfähig zu machen und die verbesserte
Kommunikation mit KIM: Nach den 8 Wochen
ging ich also wieder zur Arbeit, aber ich konnte
mein Pensum, das ich mir vorgab nicht mehr leisten und brach erneut zusammen. Diesmal hatte
ich nicht so viel Glück, ich verlor meinen Arbeitsplatz. Es wurde ein Aufhebungsvertrag gemacht
und ich bekam eine Abfindung. Das gab mir den
Rest, keine Struktur mehr, meine sozialen Kontakte hatte ich vor Jahren schon einschlafen lassen, da ich dafür keine Energie mehr hatte. Ich
ging also wieder in die bekannte Traumaklinik,
dort legten sie mir nahe, einen Rentenantrag zu
stellen, was ich auch tat. In der Klinik wurde ich
nur stabilisiert, es kam ein weiteres inneres Kind
ans Tageslicht, Trixie, 14 Jahre und voll in der Pubertät. Wie sollte ich mit ihr umgehen, ich hatte
doch selbst mit mir und KIM zu tun.
Es zeigte sich, dass es doch ging, mit viel Unterstützung der Therapeutin und des Pflegeteams.
Es folgte ein Jahr voller Höhen und Tiefen. Ich
suchte mir eine Traumatherapeutin, konnte aber
auch bei ihr keine Traumaarbeit machen, weil
die Angst- und Panikattacken, Depressionen und
dissoziativen Symptome es nicht zuließen. Inzwischen nahm ich auch eine Menge Medikamente
darunter auch ein Benzodiazepin. Auch war meine Therapeutin nicht zu der Arbeit mit meinen
inneren Kindern bereit, so dass ich damit alleine
umgehen musste, ich hatte nur Unterstützung
von meiner Psychiaterin.
Die Rente wurde bewilligt, alle meinten, jetzt
kannst du doch deine Genesung vorantreiben
und dich um deine 2 Kleinen kümmern. Ich musste aber erstmal meine Wohnung auf die Reihe
bringen, denn ich erwickelte auch Messiesymptome. Nach einem Jahr ging ich wieder in die Klinik und diesmal konnte ich Traumaarbeit machen.
Ich wählte die EMDR-Methode (Eye Movement
Desensitiziation and Reprocessing), da bewegt die
Therapeutin den Finger vor deinen Augen hin und
her und du folgst ihr mit den Augen. Dadurch soll
das Ereignis, das man bearbeiten will, wieder im
Gehirn zusammengebracht werden. Nach dieser
Methode bearbeitete ich 3 schlimme Ereignisse
aus meiner Kindheit. Alles lief gut bis die Krankenkasse keine Verlängerung mehr bewilligte. Die
EMDR-Methode ist sehr gefühlsaufwühlend und
man braucht Zeit, sich nach den Sitzungen zu
erholen. Diese Zeit hatte ich nun nicht mehr. Ich
wurde als nicht sehr stabil entlassen.
Nach 2 Monaten zu Hause brach ich zusammen
und kam in die Psychiatrie. Nach einem Monat
wurde ich entlassen. Dann kümmerte ich mich
um das ambulant betreute Wohnen, das ich aber
selbst bezahlen musste, weil ich ja noch Geld von
der Abfindung hatte. Auch holte ich mir professionelle Hilfe, um meine Wohnung aufzuräumen.
Ein Jahr später ging ich zum letzten Mal in diese Traumaklink. Wieder nur Stabilisierung, die
hatten Angst vor einer Dekompensierung. Ein
neues, sehr schüchternes, traumatisiertes und
magersüchtiges inneres Kind kam heraus. In
der nächsten Therapiestunde bestätigte es sich,
dass ein 3. inneres Kind zum Vorschein kam. Die
Therapie ging zu Ende und es wurde mir gesagt,
dass ich mit der Arbeit der inneren Kinder unbedingt weitermachen solle, aber meine ambu-
lante Therapeutin weigerte sich. So war ich mit
den Dreien auf mich allein gestellt. Jetzt war ich
stark genug, um mich wieder um mein Leben zu
kümmern.
Meine Abfindung war inzwischen aufgebraucht,
das Sozialamt sagte, dass ich in 6 Monaten umziehen müsste. Ich hatte eine Freundin, die ich in
der Traumaklinik kennengelernt hatte. Der Kontakt ist nie abgebrochen. Sie wohnt in Überlingen. Sie meinte eines Tages „Warum ziehst du
nicht nach Überlingen?“ Ich brauchte nicht lange
zu überlegen. Die Wohnungssuche war schwierig. Ich wollte ja auch ins Betreute Wohnen, meine Freundin vermittelte mir ein Gespräch mit einer entsprechenden Einrichtung. Das nutzte ich,
um eine Woche Ferien bei meiner Freundin zu
machen und meine neue Heimat zu erkunden.
Ich wurde zu einem Kennenlerngespräch eingeladen, der zuständige Leiter des ABW zeigte mir
3 Zimmer, aber keine Wohnungen. Eins davon
war ein Zimmer in einer noch einzurichtenden
WG in der Seehaldenstaße. Ich war begeistert,
das Zimmer hatte Seesicht und einen kleinen Balkon. Das Haus besaß einen großen Garten mit
Teich, sogar einen kleinen Brunnen gab es. Ich
verliebte mich gleich in das Haus. Was mir Angst
machte, ich hatte noch nie so eng mit anderen
zusammengelebt und dann auch noch Gemeinschaftsräume teilen. Ich wusste nicht, ob das gut
geht aber ich ließ es auf einen Versuch ankommen. Letztes Jahr im März bin ich eingezogen
und fühle mich inzwischen sehr wohl.
Ich bin, seitdem ich hier hergezogen bin, ans
GpZ angebunden, ich arbeitete ein Jahr in der
Gartengruppe, aber auch nur stundenweise für
einen Euro die Stunde. Im Moment mache einmal in der Woche Ergotherapie und seit einem
Jahr habe ich meinen Wunscharbeitsplatz bekommen – eine Arbeitsmöglichkeit im Digital
Service -, wieder nur stundenweise, aber mehr
kann ich im Moment noch nicht leisten.
In all den Klinikaufenthalten und auch bei verschiedene Therapeuten mit anderen Therapieformen konnte ich bisher nicht über meine
Erinnerungen an den Missbrauch sprechen. Ich
werde dieses Jahr noch mal in die Traumaklinik nach Oberursel gehen und hoffe, dass ich
diesmal mit der EMDR-Methode einige meiner Erinnerungen verarbeiten kann. Ich habe
große Hoffnung, dass ich diesmal nicht nur
Stabilisierung machen brauche, da ich ja bei
meinem jetzigen Therapeuten sehr viel weiter
Betroffene berichten
Betroffene berichten
Posttraumatische Belastungsstörung – Erfahrungsbericht
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Fachleute berichten
Posttraumatische Belastungsstörung
Nichtbetroffene berichten
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Betroffene berichten
Die posttraumatische Belastungsstörung ist
keine seltene Erkrankung. Man geht davon
aus das circa 80 % aller Menschen mindestens
einmal im Leben ein relevantes Trauma erleben.
Von diesen Menschen erkranken aber nur circa
25% tatsächlich an einer posttraumatischen
Belastungsstörung. Das bedeutet, dass
nicht jeder der ein Trauma durchlebt auch
automatisch an einer posttraumatischen
Belastungsstörung erkrankt.
Quelle : www.psychiatriegespraech.de
Posttraumatische Belastungsstörung - Betroffene
Unter einer Belastungsstörung versteht man ein
Erlebnis, dass so schlimm war, dass das Gehirn
das Ereignis nicht verarbeiten konnte. Entweder
erinnert man sich nur noch bruchstückhaft oder
gar nicht daran. Man entwickelt aber Ängste, die
mit dem Erlebten in Zusammenhang stehen oder
daraus resultieren.
Ich bekomme z.B. Panikattacken:
Vor fremden Menschen, die höher gestellt oder
Respektpersonen darstellen, auch beim Telefonieren.
Wenn ich bei jemandem im Auto oder im Bus
mitfahre.
Vor Karussell- oder Achterbahnfahrten.
Vor Fröschen, Eidechsen, Spinnen, Käfern, Heuschrecken.
Oft auch ohne Grund, auch wenn ich am Einschlafen bin, dann bin ich wieder hellwach und
kann nicht mehr schlafen.
Im Folgenden möchte ich drei Vorfälle in meinem
Leben schildern, die die Belastungsstörung bei
mir ausgelöst haben könnten:
Mit vier Jahren wäre ich bei einem Brand fast
ums Leben gekommen. Es war Muttertag, wir
durften fernsehen. Mein vier Jahre älterer Bruder wollte mir unbedingt seine Hütte zeigen, die
er in unserem Heuboden gebaut hatte. Ich hatte
keine Lust mitzugehen, weil so schöne Filme kamen. Irgendwann kam ich doch mit. Wir gingen
in den Stall, schoben den Riegel zu und stiegen
die Leiter hoch. Als er mir seine Hütte zeigte,
konnte ich jedoch nichts sehen. Ich sagte ihm, es
sei zu dunkel.
| 115
Er wollte eine Laterne holen. Weil er keine fand,
nahm er eine große Scherbe einer Laterne, leerte
Petroleum hinein und zündete es an. Als es
brannte, wurde das Glas in seiner Hand sofort
heiß, er ließ es fallen und das Heu brannte. Er
stand auf der Seite wo die Leiter hinunterführte,
auf meiner Seite war nur ein kleines Fenster
und zwischen uns das Feuer. Er schrie: „Spring,
spring, schnell, spring zu mir herüber“! Aber ich
hatte solche Angst, ich drehte mich um und rief
in Panik aus dem Fenster nach Hilfe.
Als ich mich wieder umdrehte war das Feuer noch
höher. Mein Bruder rief wieder ich soll springen
und ich hatte noch größere Angst, Todesangst.
Da kam er über das Feuer gesprungen und holte
mich. Wir stiegen zusammen durch den Rauch
die Leiter hinunter. Vor der Tür standen die Nachbarn mit Wassereimern und stemmten sich gegen die Tür, dadurch bekam mein Bruder den
Riegel eine ganze Weile lang nicht auf. Die Feuerwehr kam dann auch noch, der Stall brannte
total aus, aber ein Übergreifen der Flammen auf
das Wohnhaus konnte verhindert werden. Uns
war Gott sei Dank nichts passiert.
Mit neun oder zehn Jahren wurde ich von zwei
älteren Jungen im nahen Umfeld meiner Familie
sexuell missbraucht. Ich kann mich an fast nichts
mehr erinnern und kann auch bis heute mit niemandem über Details, die ich noch weiß, reden.
Da wir sehr religiös erzogen wurden hatte ich
sehr große Scham- und Schuldgefühle. Ich traute
mich nicht mehr, zur Beichte zu gehen, ging aber
trotzdem zur heiligen Kommunion. Beim ersten
Mal dachte ich, der liebe Gott wird mich mit der
Fotograf: Simone Vanzo
Hostie im Mund in der Kirche in tausend Stücke
reißen. Meine ältere Schwester hatte etwas
von dem, was da geschah mitbekommen und
machte dem mit rigorosen Worten ein Ende. Sie
war damals etwa dreizehn Jahre alt. Wir redeten
nie wieder darüber, bis vor ein paar Monaten. Ihr
tat es leid, dass sie mich nicht davor bewahrt hatte. Sie wusste nicht, dass der Missbrauch schon
stattgefunden hatte. Sie sagte, dass sie es auch
bei ihr versucht hätten aber sie war reifer und
konnte sich wehren. Seither habe ich immer eine
Distanz zu anderen Menschen bin immer vorsichtig, fühle mich nie sicher und niemals geborgen.
Als ich zehn oder elf Jahre alt war hatte ich noch
mal ein schlimmes Erlebnis. Ich ging für meine Familie immer abends um sieben Uhr zum Bauernhof um frische Milch zu holen. Obwohl ich Angst
hatte, denn um zum Hof zu gelangen, musste ich
mindestens zwei Kilometer aus dem Dorf gehen.
Es gab keine Straßenbeleuchtung, nur Obstbäume,
ein leer stehender alter Bauernhof und Wald.
Ich versuchte immer alle möglichen Kinder aus
dem Dorf mitzunehmen, um nicht alleine gehen
zu müssen. Eines Abends hatte ich besonders
viele Kinder dabei, als wir auf dem Heimweg
plötzlich laut und klar Hilferufe aus dem Wald
hörten. Wir blieben alle vor Schreck wie angewurzelt stehen und hörten. Die Hilferufe klangen
jetzt gepresst und leise und wurden immer leiser.
Dann plötzlich wurden sie wieder laut und klar.
Es hörte sich an, als ob jemand umgebracht würde, wieder seinem Mörder entkäme und wieder
von ihm eingeholt würde. In wilder Panik rannten wir schreiend zum Dorf.
Meine Mutter kam uns schon entgegen, als ob sie
eine Ahnung gehabt hätte. Im Dorf gab es einen
großen Tumult. Die Polizei wurde gerufen. Und
weil niemand von den anderen Kindern es wagte,
fragte der Polizist mich, ob ich bereit wäre, mitzukommen und die Stelle im Wald zu zeigen von wo
die Rufe gekommen waren. Ich fuhr mit, obwohl
ich mir vor Angst beinahe in die Hose machte.
Dort angekommen war der ganze Wald taghell
erleuchtet und wurde durchsucht. Ich zeigte die
Stelle und der Polizist fuhr mich wieder nach Hause. In der Nacht und noch Wochen danach hatte
ich furchtbare Angst. Ich schlief nur bei Licht mit
meiner Mutter im Bett.
Ich dachte, der Mörder hätte mich gesehen, und
würde nun kommen und mich auch umbringen.
Selbst als nach einiger Zeit herauskam, dass es
ein Obdachloser gewesen war, der weil er betrunken war, beinahe im Bach ertrunken wäre,
beruhigte mich das nicht wirklich.
Als Kind habe ich die Ängste weitgehend verdrängt oder eben so gut es ging ausgehalten. Ich
hatte Angst vor Dunkelheit, in den Keller zu gehen, vor meinen Lehrern, vor Ärzten und vor vielen anderen Dingen. Ich mied diese Situationen
aber die Angst war mein ständiger Begleiter.
Als Erwachsene habe ich sie jahrelang auch verdrängt. Jetzt habe ich der Angst den Kampf angesagt, indem ich über die Erlebnisse rede und
schreibe, sie nicht mehr verheimliche. Ich sehe
der Angst ins Gesicht. Wenn ich nicht schlafen
kann, setze ich mich mit der Angst auseinander
und lasse sie zu. Ich versuche sie zu verarbeiten
und verleugne sie nicht mehr vor mir selbst.
Fachleute berichten
gekommen bin, auch was die Vertrauensbildung zu ihm betrifft. Ich habe das Schweigegebot insofern gebrochen, dass alle inneren
Kinder, die sich an irgendwas erinnern, in ein
Buch diese Erlebnisse reinschreiben oder auch
etwas dazu malen dürfen. Das zeige ich dann
in der nächsten Therapiestunde meinem Therapeuten, auch habe ich das erste Mal in der
letzten Stunde mich getraut, doch mal eine Erinnerung zu erzählen. Das war aber mit sehr
viel Alpträumen verbunden, da ich nicht mehr
geschwiegen habe.
Posttraumatische Belastungsstörung
Nichtbetroffene berichten
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
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Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
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wie
Prävention
Fotograf: Jörg Zimmermann
Betriebliches Eingliederungsmanagement
Das Betriebliche Eingliederungsmanagement
ist eine Aufgabe des Arbeitgebers. Ziel des
Betrieblichen Eingliederungsmanagements ist
es, Arbeitsunfähigkeit möglichst zu überwinden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und den Arbeitsplatz des betroffenen Beschäftigten zu erhalten. Im weiten Sinne geht
es um ein betriebliches Gesundheitsmanagement zum Schutz der Gesundheit der Belegschaft.
Gesetzliche Vorschriften
Mit dem Gesetz zur Förderung der Ausbildung
und Beschäftigung behinderter Menschen vom
23.04.2004 hat der Gesetzgeber das Erfordernis
der betrieblichen Prävention im Rahmen des SGB
IX weiter gestärkt. Prävention umfasst alle Maßnahmen, die der Wiederherstellung der Gesundheit der Beschäftigten dienen. Das Betriebliche
Eingliederungsmanagement bezieht sich auf die
gezielte Steuerung des Einsatzes dieser Maßnahmen nach einem festgelegten Vorgehenskonzept.
§ 84 Abs. 2 SGB IX verpflichtet den Arbeitgeber, für Beschäftigte, die innerhalb eines Jahres
länger als 6 Wochen arbeitsunfähig sind, ein Betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen. Ob die Arbeitsunfähigkeit in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz
steht, spielt dabei keine Rolle. Das Betriebliche
Eingliederungsmanagement setzt alle Maßnahmen ein, die geeignet sind, die Arbeitsunfähigkeit zu beenden und den Beschäftigten mit
gesundheitlichen Problemen oder Behinderung
möglichst dauerhaft auf einem geeigneten Arbeitsplatz einzusetzen.
Das Betriebliche Eingliederungsmanagement
gilt nicht nur für die schwerbehinderten und
gleichgestellten Beschäftigten – die Regelung
findet auf alle Mitarbeiter des Betriebes Anwendung und gilt grundsätzlich für alle Arbeitgeber.
Vorgehensweise und Beteiligte
Das Betriebliche Eingliederungsmanagement
ist eine Teamaufgabe. Der Arbeitgeber nimmt
zunächst Kontakt mit dem Betroffenen auf,
klärt mit ihm die Situation, holt seine Zustimmung zur Durchführung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements ein und bespricht mit
ihm die Ziele. Mit Zustimmung des Betroffenen
schaltet der Arbeitgeber den Betriebsrat oder
den Personalrat und bei schwerbehinderten
und gleichgestellten behinderten Menschen
die Schwerbehindertenvertretung sowie bei Bedarf den Betriebsarzt ein und klärt mit ihnen,
mit welchen Hilfen eine schnelle Rückkehr in
den Betrieb oder die Dienststelle möglich ist.
An externen Partnern kann der Arbeitgeber die
Rentenversicherungsträger, die Berufsgenossenschaften, die Krankenkassen, den Unfallversicherungsträger, die Agentur für Arbeit und bei
schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten
Menschen das Integrationsamt und den Integrationsfachdienst hinzuziehen. Je nach Bedarf
kann auch die Gemeinsame Servicestelle eingeschaltet werden.
Einführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements
Das in §84 Abs. 2 SGB IX normierte Betriebliche
Eingliederungsmanagement ist ein spezielles Verfahren, mit dem die Ziele der Prävention wirksam
gefördert werden sollen.
Bei der Einführung geht es um eine für die Beteiligten verbindliche Vorgehensweise, die sich
an den betrieblichen Gegebenheiten orientiert
und die dann im Einzelfall Anwendung findet.
Das Konzept für ein Betriebliches Eingliederungsmanagement wird in einem Großbetrieb anders
aussehen als in einem mittelständischen Betrieb
und als in einem kleinen Handwerksbetrieb. In
keinem Fall erfüllen Krankenrückkehrgespräche
diese Anforderungen.
Es gibt Mindestanforderungen an ein Betriebliches Eingliederungsmanagement. Zur inhaltlichen Orientierung eignet sich das 5-PhasenSystem. Danach wird Folgendes benötigt:
•ein System für das Erkennen von Problemen
(Frühwarnsystem)
•Instrumente der Erfassung und Spezifizierung
von Daten
•eine Schaltstelle im Unternehmen für die Verarbeitung, Entscheidung und Umsetzung
•die Umsetzung konkreter Maßnahmen
•eine Dokumentation und Evaluierung
Um die Situation zu bestimmen, sollte die Prüfliste für das Integrationsteam z. B. folgende Fragen beinhalten:
•Seit wann ist der Mitarbeiter erkrankt?
•In welcher Form treten die Fehlzeiten auf?
(langandauernd, häufige Kurzerkrankungen)
•Liegt eine Schwerbehinderung oder eine
Gleichstellung vor?
•Findet eine kontinuierliche ärztliche Betreuung
statt?
•Besteht ein Zusammenhang zwischen der Erkrankung und dem Arbeitsplatz?
•Sind medizinische Rehabilitationsmaßnahmen
durchgeführt worden oder geplant?
•Liegen bezogen auf den Arbeitsplatz ein Anforderungs- und ein Fähigkeitsprofil vor?
•Kann die technische Ausstattung des Arbeitsplatzes optimiert werden?
•Können die Arbeitsbelastungen minimiert
werden, z. B. durch organisatorische Veränderungen oder durch technische Verbesserungen?
•Gibt es geeignetere Einsatzmöglichkeiten für
den Betroffenen?
•Gibt es Qualifizierungsbedarf?
Es empfiehlt sich, die getroffenen Regelungen in
einer Integrationsvereinbarung festzuhalten.
Zwar sieht das Gesetz keine unmittelbaren Konsequenzen bei Nichteinhaltung der Vorschrift
vor, allerdings wurden mit der Vorschrift die Anforderungen an eine krankheitsbedingte Kündigung verschärft. Die Ziele des Betrieblichen
Eingliederungsmanagements bringen zum Ausdruck, dass eine Kündigung das letzte Mittel, die
ultima ratio, sein soll. Die Durchführung eines
Betrieblichen Eingliederungsmanagements ist
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
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keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für
den Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung. Hat der Arbeitgeber kein Betriebliches
Eingliederungsmanagement durchgeführt, erhöht sich jedoch die Darlegungs- und Beweislast
des Arbeitgebers bezüglich einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers auf demselben oder einem anderen Arbeitsplatz.
wie
Prämie für die Einführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements
Für die Einführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements können Arbeitgeber von
den Rehabilitationsträgern oder dem Integrationsamt eine Prämie oder einen Bonus erhalten.
Psychiatrische
Institutsambulanz
PIA
Pauline 13 e.V.
Vor 15 Jahren begann die Pauline 13 mit ihren Diensten. Seither wurde
eine flächendeckende, Versorgung für chronisch psychisch kranke Menschen im
Kreisgebiet aufgebaut. Ein Meilenstein war dabei im Jahr 2002 die Gründung der
Gemeindepsychiatrischen Zentren (GPZ) in Überlingen und Friedrichshafen. Als
Gesellschafter ist die Pauline 13 ein wesentlicher Motor dieser Entwicklung gewesen.
Pauline 13 hat alle seine ambulanten Dienste in das Versorgungsangebot der GPZ
für den östlichen Kreisteil in Friedrichshafen sowie für den westlichen in Überlingen
und Bermatingen integriert.
Der Sozialpsychiatrische Dienst (SpDi) übernimmt zentrale Zuweisungsfunktionen
und bietet als erste Anlaufstelle Begleitung, Betreuung, Beratung und soziotherapeutische Behandlung an. Bei Bedarf erfolgt die Vermittlung an andere Fachdienste und
Unterstützung bei der Integration in die Tagesstätte oder in die Werkstatt für behinderte Menschen.
Das Ambulant betreute Wohnen (ABW) bietet in Wohngruppen und Einzelwohnen eine Begleitung auf dem
Weg zu einem eigenverantwortlichen Leben.
Der Psychiatrische Pflegedienst Pauline (PPP) bietet alle Formen der psychiatrischen Grund- und Behandlungspflege
im häuslichen Umfeld an. Dabei handelt es sich um Leistungen der Krankenkasse und der Pflegekasse.
Darüber hinaus ...
Der Integrationsfachdienst (IFD) unterstützt Menschen mit Behinderung und Personen mit einer seelischen
Erkrankung bei der beruflichen Eingliederung und im Arbeitsleben.
Alle Dienste der Pauline 13 stehen als Partner des Gemeindepsychiatrischen Verbundes (GPV) in engem
Kontakt mit allen qualifizierten Leistungsträgern.
Alle weiteren Informationen erhalten Sie unter:
Pauline 13 e.V.
Im Gemeindepsychiatrischen Zentrum Friedrichshafen
Paulinenstraße 12
88046 Friedrichshafen
Telefon: 07 541 - 40 94 - 210
FREUNDE UND FÖRDERER DER PAULINE 13 IM BODENSEEKREIS E.V.
DR. MED. ALOIS RAUBER · HAUPTSTRASSE 28 · 88677 MARKDORF
BANKVERBINDUNG: COMMERZBANK FRIEDRICHSHAFEN · KONTO-NR. 1 758 200 · BLZ 651 400 72
Psychiatrische Institutsambulanzen gibt es im Bodenseekreis in Überlingen und Friedrichshafen.
Sie sind jeweils den Gemeindepsychiatrischen
Zentren (GPZ) angegliedert und gehören zum ZfP
Südwürttemberg Standort Weissenau.
In der PIA können Patienten mit schweren psychischen Krankheiten (als Kriterien spielen hier
Art, Dauer und Schwere der Erkrankung eine
Rolle) ambulant psychiatrisch-psychotherapeutisch behandelt werden.
wird die Behandlung auch durch die Klinikärzte
angebahnt. Die Anmeldung kann natürlich auch
direkt erfolgen.
„Leichtere psychische Erkrankungen“ wie leichte
depressive Verstimmungen oder Angststörungen
dürfen nicht durch die PIA behandelt werden.
Hier sind niedergelassene Psychiater oder Psychotherapeuten zuständig.
Kontakt:
Das Diagnosespektrum umfasst folgende Erkrankungen:
PIA Überlingen
•Schizophrenie und schizoaffektive Störungen
•Bipolare Störungen
•Schwere Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
•Schwere depressive Erkrankungen
•Schwere Belastungs- und Anpassungsstöungen
Sekretariat:
Sabine Hummelsberger
Tel: 07551-30118-40
[email protected]
Obere Bahnhofstr. 18
88662 Überlingen
Für Suchtkranke gibt es Spezialambulanzen in
Ravensburg und Friedrichshafen, ebenso für
gerontopsychiatrische Patienten in Ravensburg. Vorteil der PIA ist, dass durch enge Zusammenarbeit mit dem SPDI und dem GPZ
Therapie durch ein multiprofessionelles Team
möglich ist.
PIA Friedrichshafen
Der Zugangsweg geht per Überweisung über
den Hausarzt. Nach stationären Aufenthalten
Sekretariat:
Carola Nüssle
Tel: 07541-4094-310
[email protected]
Paulinenstr.12
88046 Friedrichshafen
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wie
Profiling
Foto: pixelio - Rainer Sturm
Jeder Mensch hat verschiedene, realistische
und unrealistische Berufswünsche oder Vorstellungen, wie seine Zukunft in der Arbeitswelt aussieht bzw. aussehen könnte. Das GpZ ist eine Einrichtung mit integrativen Aufgaben in Bezug auf
Wiedereingliederung auf den Arbeitsmarkt von
Menschen mit psychischen Einschränkungen.
Dieser Personenkreis hat es besonders schwer im
beruflichen Leben Orientierung zu finden. Zum
Einen, weil die Selbsteinschätzung schwerer fällt,
zum Anderen, weil verstärkt Orientierungshilfen
von Außen notwendig sind.
Dabei sollte berücksichtigt werden, dass der
Mensch täglich mindestens acht Stunden am
Arbeitsplatz verbringt. Das einmal hochgerechnet macht ca. ein Drittel seines Lebens aus. Doch
wie zufrieden ist er? Wie kann der Mensch seine Arbeitssituation wesentlich verbessern oder
verändern? Für welchen Beruf ist ein Mensch
überhaupt geeignet? Können die erlernten Tätigkeiten weiterhin ausgeführt werden, oder
sollte ein anderer beruflicher Weg eingeschlagen
werden?
Neben solchen und ähnlichen Fragen spielt auch
der Grad der Einschränkung eine Rolle. Zusätzlich
sind die daraus sich ergebenden betrieblichen
Hilfestellungen den Arbeitgebern nur schwer begreiflich zu machen (ein Rollstuhl oder eine Prothese sind sichtbare Erkennungsmerkmale einer
Einschränkung), während bei einer psychischen
Beeinträchtigung derartige Äußerlichkeiten faktisch nicht vorhanden sind.
Als Hilfe sich selbst kennen zu lernen und zur
Anregung der beruflichen Navigation führt der
psychologische Dienst des GpZ den Berufseignungstest „ProfIL“ und „ProfIL +“, basierend
auf „hamet 2“, durch. „ProfIL“ ist die Testung
mittels Aufgabenstellungen, bei denen es auf
Motorik sowie handwerkliche Geschicklichkeit ankommt. Das ganze läuft über ein Vorprogramm ab, bei dem die Probandinnen und
Probanden so lange üben können, bis sie sich
der jeweiligen Tätigkeit gewachsen fühlen,
um diese in bestmöglichster Qualität mit dem
geringstem Zeitaufwand bewältigen zu können.
„ProfIL +“ sieht zusätzlich eine sozial- und arbeitsmedizinische Untersuchung vor.
„hamet2“ wurde von den Mitarbeitern des
psychologischen und des sozialpädagogischen
Dienstes des Berufsbildungswerks Waiblingen
entwickelt. Somit handelt es sich um Aufgabenstellungen, welche nicht wie sonst üblich von
psychologischen Instituten oder Universitäten,
sondern direkt aus dem Praxisbereich stammen.
Die Testreihe „berufliches Profiling“ am GpZ wird
von einem Facharzt für Psychiatrie und einem Dipl.
Psychologen geleitet. Einigen Teilnehmern steht
eine sozialmedizinische Untersuchung bevor. Dies
ist eine Feststellung des Gesundheitszustandes in
Bezug auf den in Frage kommenden Arbeitsplatz
(der Beruf des Postboten ist nicht für jemanden
geeignet, der Probleme mit dem Bein hat). Dieser
Gesundheitscheck findet im Vorfeld des Tests statt.
Wie von den Entwicklern dieses Tests empfohlen,
verteilt sich die diagnostische Durchführung auf
5 Werktage. Die Teilnehmer, eine Kleingruppe
von maximal 8 Personen, sind von ihren jewei-
ligen Kostenträgern dazu gesondert eingeladen.
Der Test beinhaltet insgesamt vier Module, zwei
davon werden im GpZ durchgeführt:
Modul 1:
erfasst die beruflichen Basiskompetenzen und
umfasst einfache Routinetätigkeiten (handlungsmotorische Fertigkeiten, PC-Kompetenz) mit
geringen kognitiven Anforderungen, wie sortieren, Schrauben und Muttern passend zusammen
bringen, Einfädeln oder Servietten falten
Modul 4:
überprüft einen Aspekt des vernetzten Denkens, also die Fehlersuche und Problemerkennung, und beinhaltet Aufgabenstellungen bei
denen das vernetzte Denken, die Fehlersuche
sowie deren Behebung im Vordergrund steht.
Dabei hängen stets mehrere komplex voneinander abhängige Komponenten zusammen. Diese
Zusammenhänge gilt es zu begreifen, zu analysieren und auf dem möglichst einfachsten Wege
zu entflechten.
Interviews
Fragen an den Dipl. Psychologen. - Er leitet das Profiling.
Gab es vor „hamet2“ bereits einen ähnlichen
Test und wie hieß dieser?
Das GPZ hat mit „hamet 2“ angefangen.
Worin liegen die Vorteile von „hamet2“, im
Vergleich zu den bisherigen Testverfahren?
Das Konzept wurde in Kooperation mit dem Berufsbildungswerk Adolf Aich / Ravensburg entwickelt. Ein Bestandteil dieses Tests ist der ISTTest (…). Es handelt sich um eine vereinfachte
Form der Testung.
Wie konkret können die Ergebnisse von „hamet2“ den Probandinnen / Probanden bei
der beruflichen Orientierung helfen?
Die Stärken und Schwächen, bzw. deren Anhaltspunkte, werden sichtbar.
An ihnen kann die berufliche Orientierung ausgerichtet werden.
Was geschieht mit den Ergebnissen, wem
werden sie mitgeteilt?
Am Ende findet ein kurzes Gespräch über das
Testergebnis statt.
Der endgültige/komplette Bericht geht an den
Auftraggeber und die Probandinnen/Probanden
können ihn von dort anfordern.
5. Wie viel Zeit haben Sie gebraucht, um die
Inhalte der Testreihe zu verstehen, um diese
leicht verständlich umsetzen zu können?
Hierfür habe ich insgesamt eineinhalb Jahre gebraucht. In dieser Zeit habe ich das Wissen erlangt und einen Lehrgang besucht. Dieser ist die
Nichtbetroffene berichten
Fragen an den Facharzt für Psychiatrie.
Er ist Stationsarzt für Psychiatrie und Psychotherapie in der Klinik Weissenau.
Welches Aufgabengebiet umfasst ihre Tätigkeit im Rahmen des Profiling?
Meine Aufgabe ist die so genannte sozialmedizinische und arbeitsmedizinische Begutachtung
der ProfiL-Probanden. Dazu werden die zum Pro-
Können Sie den Begriff „sozialmedizinische
Untersuchung“ verständlich für den Laien
definieren?
Sozialmedizin ist ein Begriff, der auf den Zusammenhang zwischen dem Gesundheitszustand
eines einzelnen Menschen und seinen Beziehungen zu Anderen in Arbeit, Freizeit und Familienleben hindeutet. Ich muss also darauf achten,
wie der Gesundheitszustand auf die sozialen Fähigkeiten des Probanden einwirkt, und welchen
Einfluss die soziale Umgebung andererseits auf
die Gesundheit und die Prognose (die zukünftige
Gesundheit) des Menschen hat. Daher befrage
ich die Probanden genau zu ihren Familien, zur
Arbeit und zur Partnerschaft, um zu verstehen,
wie sie als Mit-Mensch in der Gesellschaft aufgehoben oder belastet sind.
Wie umfassend ist die sozial-arbeitsmedizinische Untersuchung?
Die Untersuchung ist so detailliert, dass wir gemeinsam eine gute Stunde zu tun haben. Die
Behörde, welche die Untersuchung von den Probanden verlangt, geht danach für Jahre von diesem Gutachten aus und verlässt sich auf die dort
gewonnenen Erkenntnisse. Es ist daher wichtig,
dass alle körperlichen, seelischen und geistigen
Eigenschaften, Stärken und Schwächen klar erkennbar werden. Also wird die Sehfähigkeit geprüft, das Gehör, die Nerventätigkeit, die großen
Organe wie Herz, Lunge, Niere und Leber. Die
Intelligenz und das zwischenmenschliche Verhalten werden untersucht und die psychische
Gesundheit einschließlich Suchtverhalten wird
beurteilt. Es ist also ein recht umfassender allgemeinmedizinischer und psychiatrischer Befund,
aber noch ohne apparative Diagnostik und meistens ohne Laboruntersuchung.
Inwieweit spielt die sozialmedizinische Untersuchung auch beim Profiling eine Rolle?
Das Profiling ist ohne eine klare Stellungnahme eines Arztes mit Erfahrung auf dem Gebiet
der Psychiatrie nicht vollständig. Deshalb wurde
auch das GPZ mit dessen Durchführung beauftragt. Wenn ein Proband erst vor kurzer Zeit ein
Gutachten eines Psychiaters in anderer Angelegenheit erhalten hat, so wird im Profiling keine
zusätzliche sozialmedizinische Begutachtung
verlangt. Der Arzt soll aber immer in Gemeinschaft mit dem Psychologen und der Ergotherapeutin die Aussage über die Arbeitsfähigkeit und
die nächsten Schritte zum Wiedereinstieg begründen. Die Gesundheitsstörungen sind dabei
für die meisten ProfIL-Klienten ein zentraler Bereich, der sie von einer produktiven, dauerhaften
Erwerbstätigkeit abhält.
Welchen Einfluss hat die Untersuchung auf
den Abschlussbericht?
Der Abschlussbericht wird vom GPZ verantwortet, er wird daher gemeinsam vom Psychologen
und vom Arzt unterschrieben. Das Ergebnis der
sozialmedizinischen Untersuchung bestätigt und
vertieft häufig die in der ProfIL-Woche gewonnen
psychologischen und praktischen Testergebnisse.
Der Arzt kann und soll dabei die eigentlichen
medizinischen Diagnosen erkennen und in dem
Bericht nennen. In diesem Sinne ist die Untersuchung ein wichtiger Teil des Abschlussberichts,
Betroffene berichten
Haben Sie diesen Test im Selbstversuch bereits nachvollzogen und was kam dabei ggf.
heraus?
Wie bereits erwähnt musste ich den Test innerhalb des Lehrgangs machen. Das Ergebnis war
besser, als ich Anfang gedacht hatte.
fILing eingeladenen Personen befragt, es wird
eine ausführliche körperliche und psychiatrische
Untersuchung durchgeführt und die Krankheitsund Arbeitsbiographie erfragt.
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Fachleute berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
Voraussetzung dafür, das Profiling durchführen
zu dürfen, und darüber hinaus ist es mir erlaubt
Kollegen zu schulen.
Profiling
aber er hat nicht die überragende Bedeutung.
Das heißt, wenn ein Proband recht stark erkrankt
ist und dennoch gute Ergebnisse in den Tests erreicht, so ist die Untersuchung nie ein Hinderungsgrund, die nächsten Entwicklungsschritte zu
machen und dafür auch die Unterstützung der
Behörde zu bekommen.
Inwieweit ist das Ergebnis verlässlich und objektiv, oder können sich die Probandinnen
und Probanden „verstellen“, also Schauspielern, um den Arzt in Bezug auf das Ergebnis
zu blenden?
Die Untersuchung ist Alles in Allem doch mit einer
Stunde eher kurz. Eine wirklich tiefe und weitgehend objektive Beurteilung bei schwereren psychischen Störungen erreicht man wohl erst in der
stationären Beobachtung. Dennoch kann gerade
durch den Vergleich der Eindrücke und Befunde
von Arzt und Psychologe in den allermeisten Fällen
eine Dissimulation, also ein Vorspielen von Gesundheit, wo in Wirklichkeit das Problem liegt, aufgedeckt werden. Schlussendlich ist es im Interesse der
ProfIL-Klienten, dem Arzt möglichst ehrlich alles
Notwendige mitzuteilen, damit sie nicht fälschlich
in zu anspruchsvolle oder zu schwere Programme
eingeteilt werden, die sie nicht bewältigen können.
Nichtbetroffene berichten
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Fachleute berichten
Betroffene berichten
Erfahrungsbericht eines Probanden
Als es fest stand, dass ich zum Profiling soll, wurde mir ein bisschen mulmig. Ich habe mich ein
bisschen über diesen „hamet 2“ informiert, und
das was ich da gelesen habe, hat mich in keinster
Weise beruhigt, eher nur noch mehr beunruhigt.
Aber auch die „sozial- und arbeitsmedizinische
Untersuchung“ ließ mir keine Ruhe. Als Mann
ist man ja eh vorbelastet, also man geht nicht
wegen jedem Pochen und Ziehen zum Arzt. So
hatte ich nun zwei Punkte die mich schlecht
schlafen ließen.
Nun war es Montagmorgen und die Anspannung
in mir stieg mit jeder Minute an, obwohl ich ungefähr wusste, was auf mich zukommt. Die lockere, angenehme Atmosphäre hat es aber mit
der Zeit geschafft, dass ich meine innere Ruhe
wiedergefunden habe. Dafür kamen die ersten
Ergebnisse, die mich runtergezogen haben. Mit
jedem Test und jedem Ergebnis wuchs der Gedanke, dass ich unter dem Durchschnitt liege. Ich
fing auch an, mich über jeden Fehler zu ärgern,
immer mit dem Gedanke im Hinterkopf, dass
dies ja dann in die Bewertung einfließt. Am Ende
kommt sowieso das raus, was ich schon immer
wusste, „wie mies und schlecht ich doch eigentlich bin und ich bekomme ja sowieso nichts auf
die Reihe…“ Dennoch habe ich die Tests so gut
gemacht wie ich konnte.
Nach diesen mehr oder weniger anstrengenden
4 Tagen im Profiling kam am fünften Tag das
Abschlussgespräch, das der „Leiter“ mit Jedem
unter vier Augen führte. Hier wurden auch die
Ergebnisse besprochen. In meinem Fall war das
Resultat, für mich zumindest, überraschend. Mir
wurden auch die Schwächen aufgezeigt und was
ich dagegen tun kann.
Alles in Allem hat das Profiling für mich viel gebracht, allein schon weil ich für mich gezeigt
habe, dass ich nicht so schlecht oder mies bin
wie ich mir immer einrede.
Endlos weite,
weite Welt.
Sag´ mir wo endet die Welt,
Wo endet der Ozean,
Wann endet das Himmelszelt,
Oder eines Menschen Plan?
Weite, weite Welt.
Wann kannst Du auf Bergeshöhn stehen?
Um über Täler zu sehen
Wolken, die weiterziehen,
Wildnis, wann hört sie auf?
Winde, die endlos wehen.
Weite, weite Welt.
Wir wissen, die Tiefe des Meeres
Und kennen des Wassers Kreislauf.
Wir haben die Schönheit des Licht´s.
Viele Dinge die lang´ schon bestehen.
Doch die eigenen Wege, wir kennen Sie nicht.
Weite, weite Welt.
Wir sehen in weiter Ferne
Der Sonne Ihren Lauf.
Und das Glitzern von tausender Sterne
Aber alle Weisheit, wann hört Sie auf?
Denn wer kennt alle Tiere beim Namen,
Die Pflanzen, die Arten, die Samen?
Wir kennen nur einen Anfang der Zeit.
Endlos weite weite Welt.
Nichtbetroffene berichten
Monte Christo 17.09.2009
Fotograf: Thorben Wengert, www.pixelio.de
Foto: Pixelio - Rudis Fotoseite
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
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Psychiatrie
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wie
Psychiatrie
Fotograf: Ralf Stockmann
Psychiatrie
Ein Erfahrungsbericht
Früher konnte ich mir unter Psychiatrie nicht viel
vorstellen. Die einzigen Informationen hatte ich
aus Filmen wie „Einer flog über das Kuckucksnest“ oder anderen überzogenen Filmen.
Als ich bei meiner ersten Psychose zum ersten Mal
in die Psychiatrie kam war ich total überrascht,
dass nicht jedes zweite Zimmer eine Gummizelle
ist und dass niemand eine Zwangsjacke anhatte. Ganz im Gegenteil. Ich war in einem hellen
geräumigen Zweibettzimmer untergebracht und
das Personal war auch nett zu mir.
Der Tagesablauf bestand aus Einzel- und Gruppengesprächen, sowie Bewegungs-, Musik- und
Ergotherapie. Einmal die Woche haben wir einen
Ausflug in die Stadt oder an den Wannsee gemacht.
Nach drei Monaten war mein erster stationärer
Aufenthalt zu Ende und ich kam zur Nachsorge
in eine Tagesklinik. Auch die Tagesklinik war ein
schönes helles Gebäude mit Tischtennisplatte
und eigener Küche. Das Essen wurde zwar geliefert, aber ein bis zweimal pro Woche gab es
eine Kochgruppe, die für alle gekocht hat. Auch
in der Tagesklinik gab es Einzel- und Gruppengespräche, Ergotherapie, Entspannungstherapie, Ausflüge und immer genug Zeit Tischtennis
zu spielen. Ich muss dazu sagen, ich habe auch
Glück gehabt mit der Klinik bei meinem ersten
Aufenthalt, dort war ich von Anfang an auf einer
offenen Station und konnte jederzeit die Station
und die Klinik verlassen.
Bei meinem zweiten Aufenthalt, dann in einer
viel größeren Psychiatrie, kam ich am Anfang
auf eine Aufnahmestation. Dort kommen alle
akuten Neuaufnahmen des Krankenhauses hin.
Da sich dort auch Patienten aufhielten, die noch
nicht so gefestigt waren oder die einfach noch
zu verwirrt waren, war auf der Aufnahmestation die Tür nach draußen verschlossen und ich
und die Anderen durften nur mit Zustimmung
des Arztes die Station verlassen. Außerdem durfte ich in den ersten Wochen das Klinikgelände
nicht verlassen. Das war in manchen Situationen
meiner Meinung nach nicht so schön. Auf dieser
geschlossenen Station habe ich auch mitbekommen wie Patienten, die sich oder andere gefährdet haben, fixiert, d.h. auf eine Liege gefesselt
wurden. Einer dieser Patienten schrie fast die
ganze Nacht um Hilfe, an schlafen war da nicht
zu denken.
Aber so eine geschlossene Station ist in den meisten Fällen nur eine Übergangsstation solange
bis man sich stabilisiert hat und man auf die einzelnen Krankheitsbilder spezialisierten Stationen
verlegt wird.
Ich für meinen Teil kann sagen, das ist aber eine
ganz persönliche Meinung, dass ich immer fair
behandelt worden bin und ich in der Psychiatrie
den Weg aus so mancher Krise gefunden habe.
Psychiatriereform
Die heutigen Versorgungsstrukturen in der Psychiatrie gehen auf die Psychiatriereform in den
70er Jahren des 20. Jahrhunderts zurück.
1975 legte eine von der Bundesregierung eingesetzte, unabhängige Sachverständigen-Kommission ihren Bericht vor. Der Weg führte weg
von der Anstaltspsychiatrie und es wurde die
Rehabilitation in den Vordergrund gesetzt. Die
in der „Psychiatrie-Enquete“ enthaltenen Empfehlungen wurden als Leitziele in die badenwürttembergische Psychiatriepolitik übernommen:
•psychisch und somatisch Kranke in rechtlicher
und tatsächlicher Hinsicht gleichzustellen,
•Niemanden wegen einer psychischen Erkrankung dauerhaft aus dem gewohnten Lebensraum auszugliedern,
•wohnortnahe Dienste und Einrichtungen zu
schaffen, die den Betroffenen die Integration
im Heimatkreis erhalten (Gemeindepsychiatrie).
Das Umsetzen der Psychiatriereform ist im Wesentlichen engagierten Fachleuten und bürgerschaftlichen Initiativen zu verdanken. Es wurden
vor Ort neue Trägervereine für gemeindepsychiatrische Einrichtungen gegründet. Bis heute hat
sich eine Trägervielfalt erhalten.
Im „Psychiatrieplan 2000 Baden-Württemberg“,
der von der Landesregierung als Richtschnur der
Psychiatriepolitik beschlossen wurde, sind daher
eine Vernetzung der Angebote und der personenzentrierte Ansatz der Versorgung verankert.
Die Person des Patienten soll im Mittelpunkt stehen, und an ihr die individuelle Hilfeplanung ausgerichtet werden.
Seit 1986 gibt es beim Ministerium für Arbeit
und Soziales den Landesarbeitskreis Psychiatrie.
Darin sind die kommunalen Landesverbände,
Leistungsträger, Leistungserbringer und Betroffenenverbände vertreten.
Kriterien guter Versorgung
Auf dieser Grundlage wurde ein eigenes „Landesprogramm zur Weiterentwicklung der außerstationären psychiatrischen Versorgung BadenWürttemberg“ (1982-1986) aufgelegt.
Wohnortnähe
Für die Patienten ist es wichtig, trotz Erkrankung
Kontakt zu vertrauten Menschen zu halten und
in der gewohnten Umgebung zu sein.
Damit begann der Aufbau der Gemeindepsychiatrie. Damals wurden z.B. die ersten Sozialpsychiatrischen Dienste gegründet. Heute gibt es
sie landesweit als Anlaufstelle für Menschen mit
psychiatrischen Erkrankungen.
Ambulant vor stationär
Stationäre Unterbringung soll auf die erforderliche Dauer beschränkt werden. Ambulante oder
teilstationäre Maßnahmen sollen den Vorrang
haben, wenn diese ausreichend sind.
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
geworden mit dem psychotischen Erleben. Aber
nur weil ich Haldol bekommen habe. Dieses alte
Medikament mit sehr vielen Nebenwirkungen hat
mich wieder in die Realität zurückgeholt. Ohne
die Klinik hätte ich nicht überlebt! Und es war
auch gut, dass ich auf der geschlossenen Station
war. Ich habe mehrmals versucht mich durch das
Fenster zu quetschen. Ich wollte fliegen! Ich habe
zwar enorm viel abgenommen, weil ich nichts
mehr gegessen habe; aber für das Fenster war
ich zu meinem Glück immer noch zu dick!! Nur
Personenzentrierung
Jeder psychisch Erkrankte soll die Hilfe bekommen, die er in seiner Situation benötigt, auch
wenn unterschiedliche Leistungserbringer und
Kostenträger berührt sind.
Teilhabe
Psychisch erkrankte und seelisch behinderte
Menschen sollen gleichberechtigt wie alle anderen Bürger in die Gesellschaft einbezogen sein
und an ihr teilhaben können.
Selbstbestimmung
Psychisch erkrankte und seelisch behinderte
Menschen sollen selbstbestimmt mitwirken können bei der Planung und Bewertung der für sie
bestimmten Einrichtungen und Angebote.
Entstigmatisierung
Vorurteile gegenüber psychisch Erkrankten sind
leider weit verbreitet. Sie führen zu einer Diskriminierung der Betroffenen (Stigmatisierung). Oft
verhindert die Angst vor Stigmatisierung, dass
Betroffene rechtzeitig professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Aufklärung in der Öffentlichkeit
über psychische Erkrankungen ist daher eine
wichtige Aufgabe.
Quelle: Auszug aus der Broschüre: Landes-Qualitäts-Bericht Gesundheit Baden-Württemberg,
Spezialheft „Versorgung psychisch kranker Menschen“.Ministerium für Arbeit und Sozialordnung,
Familien und Senioren Baden-Württemberg
Betroffenenbericht
Als ich zum ersten Mal „verrückt“ wurde,
wussten sich meine Eltern nicht mehr zu helfen
und haben mich in die Psychiatrie gebracht. Das
war schrecklich. Ich habe nicht gemerkt, dass in
meinem Kopf etwas falsch läuft mit den Botenstoffen. Ich dachte wirklich, die Realität ist ganz
anders und unglaublich, und in diesem Moment
war ich sauer auf mich selbst, dass ich das noch
nicht früher bemerkt hatte.
Fotograf: Joachim Severin
Dann, angekommen in der Klinik, war ich natürlich überhaupt nicht krankheitseinsichtig, habe
auch keine Medikamente genommen, die mir
die Pfleger immer aufdrängen wollten!
Ich bin dann durch das Haus geirrt, bin in andere Zimmer gegangen, habe versucht mit den
Leuten zu sprechen. Sie kamen mir alle so bekannt vor. Ich konnte zu jedem Patient eine Geschichte erzählen, in ihm oder ihr war nämlich
eine Person, die ich kannte. Aber auf dieser
Aufnahmestation ging´s ein bisschen ruppiger
zu. Der unfreundliche Pfleger mit der Glatze hat
mich aus dem Zimmer herausgezogen, dieser
gemeine Mensch! Zurückblickend weiß ich warum. Die anderen Menschen haben ein Recht auf
ihre Ruhe und Privatsphäre. Aber ich wusste das
nicht! Ich dachte, die ganze Welt ist ein Theaterstück und ich spiele mit. Verrückt…
Nach mehreren Wochen kam eine ganz nette Person zu mir und hat mit mir gesprochen. Sie war
fertig mit dem Psychologie-Studium und hat eine
Stelle auf einer anderen Station bekommen. Sie
hat sich vorgestellt und gesagt, ich wäre soweit,
auf die andere Station versetzt zu werden. Sie
war ein Engel. Das hat dann auch der Arzt, der
für mich zuständig war, über sie gesagt. Auf der
anderen Station ging es ruhiger zu. Viel besser.
Ich konnte mich langsam, sehr langsam etwas erholen. Danach war ich noch einmal in der Klinik.
Wieder wegen einer Psychose. Dieses Mal war ich
auf einer anderen Aufnahmestation. Die Pfleger
dort waren sehr nett. Ich dachte, ich muss sterben und der nette Pfleger mit den langen Locken
hat sich neben mich gesetzt und ganz lieb mit mir
geredet. Er sagte, ich solle doch aufstehen, ich
müsse nicht sterben. Ich dachte über ihn auch,
dass er ein Engel ist. Langsam ist es dann besser
wusste ich das in diesem Moment nicht… also,
dass das ein Glück für mich war! Ich war insgesamt 3 Mal in einer psychiatrischen Klinik und erst
beim 3. Mal habe ich die Klinik schätzen gelernt.
Die geschlossenen Aufnahmestationen haben
zwar einen schlechten Ruf, aber sie retten Leben.
Und in der Regel bleibt man nicht den ganzen
Aufenthalt auf der Aufnahmestation. Man wird
nach der akuten Phase auf andere Stationen verlegt, wo man individuell angepasste Gespräche
und Therapien bekommt.
Hilfe annehmen zu können ist weitaus löblicher als zu helfen.
Eine Psychiatrieerfahrene berichtet über das Resümee ihrer Klinikaufenthalte
In diesem Fall möchte ich von meiner Erfahrung
sprechen, wie Ärzte auf mich reagierten, als ich
akut instabil war. Als ich das erstemal vor 11 Jahren in die Psychiatrie eingewiesen wurde, bekam
ich ein Medikament. Dieses Medikament schlug
kaum an. Es ging mir immer schlechter. Daran
dachten die Ärzte jedoch erst nach 3 Monaten,
natürlich gab es keine Entschuldigung. Danach
bekam ich ein Medikament was so starke Nebenwirkung hatte, das ich ein noch stärkeres
nehmen musste, gegen die Nebenwirkung. Das
dritte Medikament war dann das Richtige. Es
stört mich kaum, dass ich drei verschiedene Medikamente nehmen musste bevor das Richtige
gefunden wurde. Es stört mich jedoch, dass ich
dabei kaum Mitspracherecht hatte.
Das änderte sich erst 9 Jahre später. Dazwischen
habe ich vier Jahre ein Antiepileptikum bekommen. Dies hat jedoch in dieser niedrigen Dosierung zu wenig gewirkt. Das zusätzliche Medikament wurde auch niedrig dosiert, weil man ja
dachte, zusammen mit dem anderen würde es
reichen. In diesen vier Jahren, später mit den zwei
Medikamenten, war ich bestimmt drei mal in der
Klinik. Erst auf den Hinweis meiner Mutter wurde die Medikation geändert. Das hieß, ein halbes
Jahr Klinik in denen die Ärzte und ich vier Medikamente ausprobierten. Es war das erste Mal eine
richtig gute Zusammenarbeit. Der Erfolg ist, mir
geht es so gut, dass ich wieder arbeiten kann.
Leider habe ich jedoch meist die Erfahrung gemacht, dass ich in Klinken als unfähig abgestempelt wurde, an meiner Genesung etwas beizutragen. Im Kern ist jeder Mensch immer und zu
jeder Zeit völlig normal bzw. gesund. Diesen Kern
gilt es zu erreichen, was die Ärzte kaum versucht
haben. Auch das Personal hatte immer und immer wieder drei Fragen:
„Haben Sie Ihre Medikamente schon genommen?“
„Wie geht’s Ihnen?“
„Haben Sie schon gegessen?“
Ich möchte jedoch klar stellen, dass mir niemand
mutwillig schaden wollte. Es ist für mich trotzdem eine fast schon generelle Unfähigkeit, einen
Menschen, der den Verstand verloren hat, Verständnis entgegen zu bringen und ihn zu achten.
Bei einem erneuten Rückfall würde ich jederzeit
wieder in die Psychiatrie gehen, und ich würde
sofort wieder versuchen, ein Vertrauensverhältnis
aufzubauen, in der Hoffnung, mir besser helfen zu
können. Ganz klar ist jetzt auch für mich, dass ich,
was meine Behandlung angeht, dass letzte Wort
habe. Ich habe jetzt einfach genug Erfahrung.
Es gibt ja immer wieder dieses Bild von „Engeln
in weiß“. Dazu möchte ich sagen, „gerettet“ haben Sie mich nicht und „beschützt“ würde ich
auch eher verneinen. Sie haben Ihren Job getan,
und ihr Versuch mir zu Helfen, war eher kläglich
als heldenhaft. Die Mitpatienten hatten meist jedoch viel mehr Verständnis. Dem Personal, sowie
den Ärzten fehlt einfach auch die Zeit, um den
Klienten das Verstehen zu lernen.
Ich spreche jetzt sehr negativ von meiner Psychiatrieerfahrung. Es ist eine sehr geteilte Erinnerung, in diesen Zeiten hatte ich sehr starke
Schmerzen, seelischer Natur. Die Hilfe durch die
Medikamente und Beschäftigungstherapie hat
den Zustand kaum erträglicher gemacht. Damit
meine ich, wenn ich für etwas dankbar bin, dann
dafür, das ich gekämpft habe - gegen die Ärzte,
das gelangweilte Personal, die Nebenwirkungen,
den Verstand, meine Familie und gegen mich.
Betroffene berichten
Betroffene berichten
Vernetzung der Einrichtungen und Dienste
Damit die medizinischen, therapeutischen, rehabilitativen und psychosozialen Angebote wirksam ineinander greifen können, ist eine Kooperation der verschiedenen Leistungserbringer in
der Region erforderlich.
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Fachleute berichten
Psychiatrie
Nichtbetroffene berichten
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Qualitätsmanagement in der
Sozialpsychiatrie
wie
Qualitätsmanagement
Fotograf: Ralf Stockmann
ProPsychiatrieQualität (PPQ) entwickelt sein ganzheitliches Qualitätsverständnis aus den Anforderungen der Anspruchsgruppen (Psychiatrie-Erfahrene, Angehörige, professionell Mitarbeitende,
Leistungserbringer, Leistungsträger, Gemeinwesen) an sozialpsychiatrische Dienstleistungen und
erweitert den Qualitätsbegriff der DIN EN ISO
9000:2005 inhaltlich. Ausgehend vom interaktiven Charakter der Hilfen, die immer wieder neu
zwischen den Mitarbeitenden und einem Hilfe
suchenden Menschen ausgehandelt werden, orientiert sich die Qualitätsentwicklung an den folgenden sieben fachlich-ethischen Leitzielen:
- Würde achten – Rechte sicherstellen
- Selbstbestimmung wahren – Eigenverantwortung stärken
- Verantwortung in gegenseitiger Achtsamkeit
übernehmen
- Glaubens- und Sinnerfahrungen ermöglichen
- Teilhabe am Gemeinwesen solidarisch gestalten
- Leiden und Symptome vermindern
- mit Ressourcen nachhaltig umgehen.
Eine Werte-Matrix verknüpft die Leitziele systematisch mit der Beschreibung der unterschiedlichen Leistungsprozesse im Rahmen des sozialpsychiatrischen Angebotsspektrums: von der
Kontaktaufnahme über die Planung der Hilfen
bis zur Koordination der Dienstleistungen im Einzelfall. Personaleinsatz, -organisation und -qualifikation werden ebenso einbezogen wie die
Leistungsdokumentation, das Finanzwesen, die
Öffentlichkeits- und Gemeinwesenarbeit. Das
Arbeitsinstrument der Matrix ermöglicht zum
einen die ethische Reflexion der fachlichen Arbeit, zum anderen lassen sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln Indikatoren für die Qualität
in den für das jeweilige Angebot wesentlichen
Prozessen formulieren. Eine Qualitätsbeschreibung unter aktiver Beteiligung aller relevanten
Bezugsgruppen ist ein Gewinn für jeden Dienst
und jede Einrichtung in der Sozialpsychiatrie.
Die bedarfsgerechte und personenzentrierte
Hilfequalität wird über die Beteiligungsorientierung im trialogischen Diskurs von professionell Mitarbeitenden, Psychiatrie-Erfahrenen
und Angehörigen entwickelt. Die Ressourcenorientierung des PPQ-Qualitätsbegriffs unterstützt die psychisch erkrankten Menschen in
ihrer Selbstständigkeit, Selbstwirksamkeit und
ihren persönlichen Stärken.
Als praxisintegriertes Qualitätssystem verknüpft
ProPsychiatrieQualität die »Kunden«-Prozesse
mit den Organisationsprozessen der Leistungserbringer. Auf diese Weise wird die Reflexion
und Selbstbewertung von sozialpsychiatrischen
Diensten, Einrichtungen und Gemeindepsychiatrischen Verbünden gefördert und die Entwicklung von regionalen Qualitätsstandards
ambulanter und stationärer Komplexleistungen
vereinheitlicht. Transparente Leistungen führen
zu angemessener »Verpreislichung« und Wettbewerb auf vergleichbarem Niveau. Um die
»Anschlussfähigkeit« von PPQ an die rechtlichen
Rahmenbedingungen sicherzustellen, lassen
sich die mithilfe der PPQ-Matrix entwickelten,
leitzielorientierten Qualitätsindikatoren jederzeit
auf die in den Rechtsnormen zur Qualität üblichen Qualitätsdimensionen von Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität zurückführen.
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wie
Rehaeinrichtung
„Also bin ich ausgezogen!“
Über die Zeit in zwei Reha-Einrichtungen
Fotograf: Andrè Reinders
Bereits mit 16 kam ich direkt von Zuhause in eine 300km entfernt Reha-Einrichtung
für Kinder und Jugendliche. Gut daran war,
weg aus der Familie zu sein, denn es gab damals nur noch Streit. Dort gab es dann eine
Sozialarbeiterin die mir zugeteilt wurde. Es
war eine sehr nette Frau, doch es gelang mir
kaum eine Beziehung aufzubauen. Ich ging
also zur Schule und traf mich mit Freunden
und meinem Freund. Das war echt klasse.
Wenn ich so zurück denke hat sich allerdings
niemand mit mir und meinen Problemen auseinandergesetzt. Zum Beispiel litt ich unter
massiven Panikattacken. Da es jedoch niemand interessierte, habe ich gelernt, selbst
einen Weg herauszufinden. Von den anderen
11 Jugendlichen ging niemand in die Schule. Ich habe keine Erinnerung daran was Sie
so gemacht haben. Was mir im Gedächtnis
geblieben ist, ist das wir alle irgendwie verloren waren. Das dadurch entstanden Gemeinschaftsgefühl war einfach großartig. Die
zweite Reha nach der zweiten Psychose war
mit 19 Jahren und diesmal besuchte ich ...
Mehrfach bin ich nun schon an meine Grenzen gestoßen. Seit Juli arbeite ich zur Probe
im GpZ Überlingen. Zuvor habe ich an einer
beruflichen Rehabilitationsmaßnahme teilgenommen.
Dort konnte ich einige meiner Ängste erkennen
und bezwingen; vor allem habe ich erkannt, dass
meine unbändige Angst vor Zahlen unbegründet
ist.
Mich graust es zwar immer noch, wenn ich
Worte wie „Polynomdivision“ auch nur höre,
aber ich begriff dort, dass viele Wege zur und
durch die Mathematik führen und dass beispielsweise Liter- oder Grammangaben im Alltag durchaus von Nutzen sein können. Und ich
erkannte, dass ich nicht gar so „blöd“, unfähig
und mathematisch völlig unbegabt bin, wie ich
immer angenommen hatte. Nur begreife ich
Zahlenakrobatik sehr langsam und mir fehlt
auch die nötige Übung.
Die schönsten Stunden habe ich dort jedoch
nicht am Schreibtisch, sondern in der Keramikwerkstatt verbracht. Die Arbeit entsprach gänz-
lich meinen Neigungen und auch das Klima zwischen uns Mitarbeitern war sehr angenehm. Bei
der kreativen Arbeit mit Ton war ich vollends in
meinem Element. Doch gerade, wenn ich an einer Sache Gefallen finde oder in meiner Arbeit
aufgehe, neige ich dazu, mich zu überfordern.
Ich stelle oftmals hohe Ansprüche an mich selbst,
bin enttäuscht, wenn ich ihnen nicht gerecht
werden kann.
Und dann…
Am 06.Juli war meine Rehamaßnahme abgeschlossen und ich vor allem nervlich am Ende.
Wie schon unzählige Male zuvor hatte ich zu wenige Pausen eingelegt, mich selbst unter Druck
gesetzt.
Ich bin mir nicht sicher, in wie vielen Kliniken ich
bereits war, an welchen Therapie- und Reha-maßnahmen ich schon teilgenommen habe... Aber ich
habe es bisher nirgends längerfristig ausgehalten.
Nachdem ich Anfang letzten Jahres meine kaufmännische Ausbildung auf dem Berufskolleg für
Fremdsprachen abgebrochen hatte, erreichte
mich ein Brief der Leiterin einer Kinderkrippe in
Konstanz. Ich hatte mich dort zuweilen um eine
ehrenamtliche Mitarbeit beworben. Die Arbeit
Foto: Ralf Stockmann
mit den Kindern (vorwiegend im Alter von vier
Monaten bis zu drei Jahren) , ihre Herzlichkeit,
ihr Lachen, ihre Unbefangenheit haben mein
Herz gesunden lassen.
Wenn in der Seele eines Kindes
Ein bunter Falter
Seine Flügel ausbreitet
geht in seinem Herzen
die Sonne auf.
Doch meine Stabilität wehrte nicht lange….
Erneuter Abbruch…
Dabei tat mir die Zeit, die ich bei den Kindern verbringen durfte, im Grunde genommen sehr gut.
Durch meine ehrenamtliche Mitarbeit in der Kinderkrippe habe ich vieles über mich selbst gelernt, eingesehen dass ein sozialer Beruf wie der
der Erzieherin ein hohes Maß an Stabilität und
Durchsetzungsvermögen erfordert und nicht so
einfach zu meistern ist, wie ich es mir vorgestellt hatte. Und ich begriff, was der Autor Khalil
Gibran in seinem Buch der Prophet, wo er an einer Stelle „Von den Kindern“ spricht, mit den
Worten „Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, aber
nicht eure Gedanken, denn sie haben ihre eigenen Gedanken“ meint, und ich lernte, dass ich
selbst im Herzen Kind bin...
Ob nun als Kind oder als Erwachsener, Zeit deines Lebens bist du auf der Reise, ständig begegnen dir sowohl Chancen, als auch Hindernisse,
die es zu nutzen und zu überwinden gilt.
Gerade einem Menschen mit einer psychischen
Erkrankung fällt es oftmals schwer, sich im Leben
zurechtzufinden und auch mit Schwierigkeiten
fertig zu werden, ohne wortwörtlich die Nerven
zu verlieren.
Mein Weg hat mich ins GpZ Überlingen geführt.
Morgen ist der letzte Tag meiner zweiwöchigen
Probearbeit. Was kommt….
On verra….
Den Wunsch, als Schriftstellerin mein Geld zu
verdienen, hab ich nach wie vor. Doch ich hab
in den letzten Tagen bemerkt, dass ich hier vieles
lernen und umsetzen kann, was mir in meiner
Zukunft gewiss von großem Nutzen sein wird.
Ein kleiner Schritt für mich…
Betroffene berichten
Worker´s life?
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Fachleute berichten
... wieder die Schule. Das war teilweise schwierig, da ich später als die Anderen Freizeit hatte.
Die Betreuer hatten geglaubt, dass ich mit der
Schule überfordert sei. Doch ich werde bei Widerstand meist stärker und auf jeden Fall war
der Unterricht gut, weil ich einen realen Halt
hatte und Bezug zu gesunden jungen Erwachsenen.
In der Einrichtung hatte ich jedoch nach einem
Jahr große Schwierigkeiten mit den andauernden Problemen der anderen. Es hat mich einfach runter gezogen.
Also bin ich ziemlich spontan nach 15 Monaten ausgezogen. Bis dahin war das Jahr total
super gelaufen. Wir haben untereinander viel
gequatscht und unternommen. Es hat mir sehr
geholfen mich mitteilen zu können und Freude und Leid mit anderen teilen zu können. Auf
jeden Fall bin ich dann nach fast fünf Jahren
wieder zurück in die Heimat und da bin ich
glücklich und zufrieden in meiner 1-Zimmerwohnung.
Reha-Einrichtung
Nichtbetroffene berichten
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
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Suizidalität -
oder:
Warum will ich nicht mehr leben?
wie
Suizid
Fotograf: Johannes Huß
Suizidalität, auch Suizidgefährdung oder umgangssprachlich Lebensmüdigkeit genannt,
umschreibt einen psychischen Zustand, in
dem Gedanken, Phantasien, Impulse und
Handlungen anhaltend, wiederholt oder in
bestimmten krisenhaften Zuspitzungen darauf
ausgerichtet sind, gezielt den eigenen Tod herbeizuführen. (Wikipedia)
Falsche Vorstellungen und Irrtümer
Wer vom Suizid redet, wird ihn nicht begehen.
Falsch: Von 10 Suizidanten sind 8, die unmissverständlich von ihren Absichten gesprochen haben.
Ein Suizid geschieht ohne Vorzeichen.
Falsch: Viele Betroffenen haben sich lange genug
durch unmissverständliche Zeichen oder Handlungen bemerkbar gemacht - vergebens.
Wer einen Suizid begeht, will sich unbedingt
das Leben nehmen.
Falsch: Die meisten Suizidanten schwanken zwischen dem Wunsch zu leben und zu sterben.
Doch kaum einer nimmt diesen Kampf richtig
wahr. Und wenn, ist man hilflos: Was tun?
Wer einmal zum Suizid neigt, wird es immer
wieder tun.
Falsch: Suizidanten haben im allgemeinen nur
während einer begrenzten Zeit ihres Lebens den
Wunsch, sich zu töten. Das kann sich allerdings
wiederholen.
Wenn sich eine suizidale Krise auflöst bedeutet das auch das Ende des Risikos.
Falsch: Die meisten Suizide geschehen wenige
Monate nach Beginn der Besserung, wenn der
Patient von neuem die Energie hat (selbstzerstörerische) Entschlüsse zu fassen und auszuführen.
Quelle: http://www.psychosoziale-gesundheit.
net/seele/suizid.html
Erfahrungsbericht von einer Betroffenen:
Die im normalen Alltag üblichen und meist auch
sinnvollen Vorschläge, Ermahnungen und wohlmeinenden Aufmunterungen sind im Gespräch mit
Suizidgefährdeten oft fehl am Platz. Denn es dürfte für den Betroffenen kaum einen Lösungsansatz
geben, den er nicht schon selber erwogen, geprüft
und wieder verworfen hätte. Die Wiederholung solcher Argumente muss ja den Eindruck erhärten, es
sei schon wirklich alles versucht worden - umsonst.
Daher soll man nach und nach mit großer Vorsicht
die aufgestauten Aggressionen zu kanalisieren versuchen. Wichtig ist vor allem das laute und deutliche Ansprechen und Aussprechen und damit Bewusstmachen bisher unbewusster oder verdrängter
zwischenmenschlicher und persönlicher Probleme.
Dazu gehört eine Reihe von gezielten Fragen, die
in einer solchen Notsituation „Luft schaffen können“. Sie wirken zwar auf den ersten Blick sehr
persönlich, direkt, indiskret, fast unzumutbar. Andererseits: Wie hoch kann der Preis werden, wenn
sich die Zurückhaltung nicht auszahlt? Was ist
wichtiger: Die Wahrung sogenannter gesellschaftlicher Normen oder die Erhaltung eines Lebens?
Doch der offene Dialog ist schon deshalb fruchtbarer, weil auch der Suizidwillige lange nicht
weiß, was er nun eigentlich will und vor allem
wie, wo und wann er es will. Allein die Aussprache über die selbstzerstörerischen Impulse
schwächt aber diese gefühlsmäßigen Spannungen meist entscheidend ab. Dagegen sind
Rückzug und damit Isolationsgefahr bzw. gar der
Abbruch aller mitmenschlichen Kontakte nicht
nur überaus gefährlich, sondern auch viel häufiger als man annimmt. Deshalb auf die Stillen
oder Still-Gewordenen achten.
Und die alte Erkenntnis nicht vergessen: Jedem
Suizid geht ein missglücktes oder nicht stattgehabtes Gespräch voraus. Denn, so die alte Erkenntnis: Selbstmörder ist man lange, bevor man
Selbstmord begeht. Oder noch eindrücklicher:
Selbstmord, das ist die Abwesenheit der anderen. (Prof. Dr. med. Volker Faust)
Ich war eigentlich ein glückliches Kind: fröhlich,
offen, etwas schüchtern, aber doch gerne auf der
Welt. Ich habe gerne gelebt, kann man sagen.
Doch meine Erlebnisse in meinem Leben haben
mich geprägt. Oft gebe ich meiner Sensibilität die
Schuld, obwohl ich eigentlich froh darüber sein
kann. Denn sensible Menschen „sehen mehr“
vom Leben! Aber das ist ein anderes Thema.
Meine erste ernste Enttäuschung war niederschmetternd! Ich dachte ich muss sterben, weil
es so wehgetan hat. Wahrscheinlich habe ich zuviel vom Leben erwartet, oder ich hatte einfach
eine viel zu perfekte Vorstellung von Freundschaft
oder Liebe. Doch die Realität sieht ganz anders
aus! Das musste ich mit viel Schmerz und Kummer feststellen. Schon damals, ich war noch jugendlich, habe ich daran gedacht zu sterben.
Mir einfach das Leben zu nehmen, weil ich mit
der Traurigkeit nicht klargekommen bin. Ich nenne das meine „Anfangssuizidalitätszeit“. Es war
schlimm für mich enttäuscht zu werden, für mich
gehörte das nicht zum Leben dazu, das ich mir
immer gewünscht hatte. Später hat sich das dann
alles nur noch verstärkt. Als ich dann krank wurde
und in die Klinik kam, ging es bergab. Ich war
ein Nichts, ein Niemand; wertlos. Viele Jahre habe
Die Suizidrate in Deutschland hat sich in den
letzten 25–30 Jahren fast halbiert. Begingen
im Jahr 1980 in Deutschland noch 18451
Menschen Selbstmord, waren es 2007 (nur)
noch 9402 Menschen.
Quelle: de.wikipedia.org/wiki/Suizid
Fotograf: Michael Lehmann
ich nicht gecheckt, was mit mir los ist, warum
ich dem Leben so überdrüssig bin. Habe dann
nach langem „Mich-Dagegen-Wehren“ zum ersten Mal Antidepressiva eingenommen. Das war
ein wichtiger Schritt: Sich einzugestehen, dass
da etwas gegen mein eigentlich lebensfrohes Ich
läuft. Es wurde aber nicht besser… irgendwann
war ich dann so am Boden zerstört, dass ich fast
eine Dummheit begangen hätte. Es war so knapp,
ehrlich! Aber ich hatte Glück, dass ich doch noch
kalte Füße bekommen habe und dass mein Arzt
am nächsten Tag die richtigen Fragen gestellt hat
und ich ehrlich zu ihm war. Ich wurde sofort in
die Klinik eingewiesen. Dort angekommen dachte ich, ich komme nie wieder nach Hause; weil
ich so tieftraurig war und ich keine Chance sah,
je wieder glücklich zu werden. Aber dann wurde ich auf ein sehr gutes Medikament eingestellt,
das sofort gewirkt hat. Langsam, von Tag zu Tag,
ging es mir besser. Es war unglaublich, ich war auf
dem Weg wieder glücklich zu werden. Ich konnte
es gar nicht fassen, meine Suizidalität löste sich
nach und nach in Luft auf! Dabei war sie mein
ständiger Begleiter geworden und ich hatte mich
schon so an sie gewöhnt. Doch ehrlich gesagt: Ich
bin froh, sie los zu sein, denn ich brauche sie nicht
zum Leben. Ich fühle mich wieder frei! Es ist ein
Gefühl, es fühlt sich an, als ob ich wieder lebe!
Betroffene berichten
Konkrete Maßnahmen
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Fachleute berichten
Wer schon mal Selbstmordgedanken mit sich
herumgetragen hat, weiß, wie schwer es einem
fällt, auf der einen Seite der momentan kaum erträglichen Situation ein Ende zu machen aber auf
der anderen doch leben zu wollen; aber dann
eben ohne Probleme!
Auch wenn die Freiheit zur Selbsttötung zu unserer menschlichen Existenz gehört, so erfolgen
zirka 90% aller Suizide im Rahmen psychiatrischer Erkrankungen und damit in Zuständen
mit eingeschränkter Urteilskraft. Depressive Erkrankungen stellen die häufigste psychiatrische
Ursache für Suizide dar. Die Optimierung der
Versorgung depressiver Patienten ist somit eine
der aussichtsreichsten Strategien zur Suizidprävention.
Suizid
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Fotograf: Ralf Stockmann
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wie
Selbsthilfe
Innovative Psychiatrie versteht sich auch als Bürgerrechtsbewegung, deren Selbstverständnis sich
in einer veränderten Realität im Psychiatriealltag
spiegelt und auf Emanzipation und Partnerschaft
zielt. Bei psychischer Erkrankung zählt der Erhalt
oder die Eingliederung in möglichst normale Lebensverhältnisse zu den wichtigsten Zielen. Dabei ist entsprechend des Vorrangs der Selbsthilfe
vor professioneller psychiatrischer Fachhilfe diese
nur dann zu gewähren, wenn Hilfe aus dem sozialen Umfeld (Angehörige, Freunde, Selbsthilfe
etc.) nicht oder offensichtlich nicht ausreichend
vorhanden ist oder mobilisiert werden kann. Vorrang haben im konkreten Einzelfall auch nichtpsychiatrische Hilfen durch allgemeine soziale
Dienste und/oder die allgemeinmedizinische Behandlung. Nur wenn dies nicht ausreicht oder
nicht vorhanden ist, setzt psychiatrische Fachhilfe durch entsprechend qualifiziertes Personal ein.
Die Hilfe hat neben der Stärkung der Gesundheitspotentiale des erkrankten Menschen immer
auch auf die Gestaltung eines tragfähigen sozialen Umfeldes zu zielen.
Dieser psychiatriepolitische Grundsatz verdeutlicht den besonderen Stellenwert, den Angehörige, die Selbsthilfe, aber insbesondere auch die
Psychiatrie-Erfahrenen selbst für die Ausgestaltung des Hilfesystems haben. Ohne ihre Beteiligung an der Planung und Ausgestaltung der
Hilfesysteme besteht leicht die Gefahr, dass an
den Hilfebedarfen vorbei Leistungen etabliert
werden, die für den kranken Menschen nur wenig hilfreich sind.
Im Rahmen der Psychiatriereform in Deutschland
hat sich das Selbstbewusstsein der PsychiatrieErfahrenen und Angehörigen spürbar verändert.
Aber auch das professionelle System hat erkannt,
dass deren Beteiligung einen wichtigen Beitrag
für eine Gesundung oder Stabilisierung des psychisch kranken Menschen darstellen kann.
Wichtiges Kennzeichen von Selbsthilfegruppen
ist die persönliche Betroffenheit. Es treffen sich
Menschen, die ein gemeinsames Problem haben, um möglichst ohne professionelle Hilfe ihre
Erkrankung, Behinderung oder psychische Problemlage zu überwinden.
Selbsthilfegruppen erzielen bei der gesundheitlichen Versorgung positive Effekte, indem sie
das professionelle Versorgungssystem ergänzen
und die Eigenverantwortung der Betroffenen
stärken und durch den Austausch von Information und Wissen eine höhere Selbstbestimmung der betroffenen Menschen ermöglichen.
Sie sind inzwischen ein wichtiger Bestandteil in
der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung geworden.
Foto: pixelio - Ernst Rose
Das Wesen der Selbsthilfe ist, dass sie nicht
planbar ist und schon gar nicht verordnet werden kann. Sie wächst aus der Verantwortung,
der Betroffenheit oder dem Interesse der Bürgerinnen und Bürger. Ihre Förderung und auch der
öffentliche Grad ihrer Wertschätzung sind ein
wichtiger Indikator für eine innovative Psychiatriepolitik.
Psychiatrieerfahrene Menschen haben sich seit
Anfang der neunziger Jahre in Bundes- und
Landesverbänden organisiert und sind inzwischen fast in jedem Bundesland auf Landes- und/
oder Kreisebene präsent. Sie geben wertvolle
Anregungen für die Weiterentwicklung von
Versorgungsstrukturen, wirken in Beiräten, Besuchskommissionen und Projektgruppen mit.
Sie helfen Betroffenen mit Informationen und
konkreter Unterstützung, beraten zum Umgang
mit ihrer Erkrankung und zu Nebenwirkungen
von Medikamenten, informieren zu Selbsthilfegruppen und alternativen Behandlungsmöglichkeiten.
Viele psychisch kranke Menschen leben in ihren Familien. Für viele Angehörige ist es ganz
selbstverständlich, sich um die betroffenen
Familienmitglieder zu kümmern. Sie fühlen
sich aber auch oft mit ihrer Belastung und
Verantwortung alleine gelassen. In Landes-,
zum Teil auch Kreisverbänden organisiert,
finden sie gegenseitige Stärkung. Sie informieren über Krankheiten, Therapien, Arbeit,
Pflege, Recht und anderes mehr. Sie sind im
Trialog mit den Psychiatrie-Erfahrenen und
professionellen Helfern. Zentral ist der Erfahrungsaustausch untereinander über das
Leben mit einem psychisch kranken Familienmitglied. Durch Information und Veranstaltungen tragen sie wesentlich mit dazu bei,
das Bild über psychisch kranke Mitbürgerinnen und Mitbürger und psychische Erkrankungen zu korrigieren.
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Fachleute berichten
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wie
Sucht
Foto: pixelio - Helga Schmadel
Beruhigungsmittel
Durch eine posttraumatische Belastungsstörung
schlitterte ich in die Abhängigkeit von Tavor und
Diazepam. Anfangs waren es nur Tranquilizer,
damit ich meine Arbeit machen konnte.
Es ging weiter, mit dem Tavor, damit ich meine
Flashbacks und Panikanfälle unter Kontrolle bekam. Anfangs sagte man mir noch, dass diese
Mittel abhängig machen können, aber ich Diese
im Moment brauchte um meine Arbeit und die
Therapie machen zu können. Es war auch nicht
so, dass ich immer höhere Dosen brauchte, aber
es kamen auch noch Schlafmittel dazu.
Ich glaubte auch lange nicht, dass ich schon
süchtig war, da auch die Ärzte, die mir diese
Mittel verordneten, meinten, dass es einfach ist
von einem Beruhigungsmittel auf ein anderes
zu wechseln. Ich habe diese Mittel 5 Jahre genommen. Aufgrund einer neuen Bewerbung für
eine Trauma-Intervalltherapie wurde mir angeraten, erst mal einen Entzug von Tavor und den
Schlafmitteln zu machen. Ich hatte unheimlich
Angst davor, aber wegen dem Wunsch nach Bearbeitung meiner Missbrauchserlebnisse aus der
Kindheit, begab ich mich in die Psychiatrie. Ich
war dort auf einer Station, auf der auch die Alkoholiker waren. Es demotivierte mich, als ich sah,
dass sie bereits nach 4 Tagen entgiftet waren, bei
mir sollte das 12 Tage dauern. Aber ich habe es
geschafft und lebe seit 3 Monaten ohne Benzodiazepin und Schlafmittel.
Spielsucht – Wie sie sich bei mir ausgewirkt hat.
Meine ersten Erfahrungen mit Glückspiel
und Spielautomaten habe ich mit 15 Jahren
während einer Sprachreise nach England gemacht. Dort, in der schönen Hafenstadt Bournemouth, gab es jede Menge Spielhallen.
Glückspiel ist in England schon ab 16 Jahren
erlaubt. Mit meinen Kumpels habe ich dort
einige Stunden in diversen Spielhallen verbracht. Man konnte auf elektronische Pferde
wetten, an einarmigen Banditen spielen, und
was mich damals schon fasziniert hat, man
konnte an Automaten Poker spielen und Geld
gewinnen.
Ich habe in der ersten Woche des Aufenthaltes in
England mein ganzes Geld verspielt und musste
mir für den Rest der Zeit Geld bei meinen Freunden leihen. Nach der Englandreise hatte ich das
Spielen erst einmal vergessen.
Erst mit 27 Jahren, kurz nach meiner ersten Psychose, bin ich aus Neugierde in Berlin, am Potsdamer Platz, ins Casino gegangen und habe am
Roulettetisch 50 DM verspielt. Einen Tag später
verspürte ich plötzlich den Drang, wieder spielen
zu gehen und bin mit einem Teil meiner Ersparnisse wieder ins Casino gegangen. Ich habe Roulette gespielt und natürlich wieder alles verloren.
Doch der Drang, spielen zu gehen wurde immer
stärker. Das Schlimme war, dass ich, um Roulette spielen zu können, mein Konto mit 3000
DM überzogen hatte. Ich hatte sogar ein zweites
Konto bei einer anderen Bank eröffnet und auch
dieses mit 2500 DM überzogen. Mir wurde aber
schnell klar, dass man bei Roulette nur verlieren
kann und habe dann im Keller des Casinos Pokerautomaten entdeckt.
Zu dieser Zeit hatte ich einen extrem starken
Spieldrang, so stark, dass ich meine Kleider in Second Hand Geschäften verkauft habe, um Geld
zum Spielen zu haben. Jetzt spielte ich nur noch
an Pokerautomaten.
Ich hatte mir dann eine Arbeit auf der schönen
Insel Ibiza gesucht und bin in Berlin, kurz vor der
Abreise, mit meinen letzten 70 Mark an einem Pokerautomaten, spielen gegangen. An diesem Tag
hatte ich das erste und einzige Mal Glück beim
Spielen. Ich gewann innerhalb von 2 Stunden 3500
DM und hatte somit mein Startkapital für Ibiza.
Auf Ibiza vergaß ich das Spielen wieder, doch
leider musste ich die Insel nach einem psychotischen Schub, nach 4 Monaten, Richtung
Deutschland verlassen.
Kaum in Deutschland angekommen, nahm das
Elend wieder seinen Lauf. Ich arbeitete und
verspielte jeden Monat ca. ein Drittel meines
Lohnes, in der Automatenspielbank des Casinos
Konstanz, an Pokerautomaten.
Ich erinnere mich an einen Tag, an dem ich sage
und schreibe 500 Euro verspielt habe.
Zu dieser Zeit fing ich an, Auswege aus der Sucht
zu suchen und stieß auf eine Spielsucht-Selbsthil-
fegruppe in Kreuzlingen. Ich fing an, regelmäßig
in diese Gruppe zu gehen und lernte dort Menschen kennen, die dasselbe Problem hatten wie
ich.
Diese Erfahrung half mir mit dem Spielen auf
zu hören und ich spielte am 2. Januar 2003 das
letzte Mal. Ich fing an, meine Schulden zurück
zu bezahlen und im März 2008 hatte ich es geschafft und die letzte Rate bezahlt.
Aber es kam, wie es kommen musste und ich
bekam im April 2008, nach über 5 Jahren spielfreier Zeit, einen Rückfall. Wieder an einem Pokerautomaten in der Automatenspielbank Konstanz. Doch diesmal wollte ich es gar nicht mehr
soweit kommen lassen und ließ mich direkt am
nächsten Tag für alle deutschen Casinos, Automatenspielbanken, Toto, Lotto und staatliche
Wettbüros freiwillig sperren. Diese Möglichkeit
haben alle Spieler, wenn Sie spielsuchtgefährdet
sind. Das heißt, selbst wenn ich wollte, kann ich
jetzt nicht mehr an diesen Orten spielen.
Ich gehe jetzt auch wieder nach Kreuzlingen in die
Selbsthilfegruppe, um an meiner Sucht zu arbeiten.
Kontakt zur Selbsthilfegruppe in Kreuzlingen,
bekommen Sie über die Suchtberatung der Perspektive Mittelthurgau.
Ich kann nur jedem raten, der feststellt, dass er
ein Problem mit dem Spielen hat, sich professionelle Hilfe zu suchen. Sei es eine Gesprächstherapie bei einem Psychologen oder eine Selbsthilfegruppe oder für schwere Fälle eine stationäre
Therapie. Denn Spielsucht ist eine Sucht mit erheblichem Potential, das Leben der betroffenen
Menschen zu ruinieren.
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Professor Jellinek erforschte in den 60-iger Jahren den Alkoholismus, und erstellte auf Grund
seiner Forschungsergebnisse 5 verschiedene Typen und 45 Stufen des Alkoholismus.
Alkoholismus ist ein schleichendes Krankheitsbild. Niemand kann genau sagen, wo der Anfang ist, und wo das Ende. Auch Depressionen
und das Nichtverarbeiten von Problemen kann
Alkoholkonsum steigern. Das Trinken bis zum
Exitus ist nicht ausgeschlossen. Seine Erkenntnisse sind dahingehend, das man heute von fünf
unterschiedlichen Alkoholtypen sprechen kann.
Der Alpha - Trinker/in (Problem/Konflikttrinker)
Spannungen seelischer Natur und große Probleme sind hier zu nennen. Erleichterung und die
Entspannung werden hier durch Alkohol gesucht
und gefunden. Die Trinker sind seelisch vom Alkohol abhängig. Sie schädigen Familie, und die
Persönlichkeitsentfaltung ist nicht gegeben. Zum
Beispiel kann er keine Freundschaften pflegen.
Der Beta–Trinker/in (Gelegenheitstrinker)
Hier werden gesellschaftliche und berufliche
Trinkgewohnheiten koordiniert. Es ist leicht, zum
Alkoholtrinken anzuhalten, wobei eine Gewohnheit entsteht. Dieser regelmäßige Alkoholkonsum kann zu gesundheitlichen Schäden führen.
Der Gamma–Trinker/in (Suchttrinker)
Hier wird schon beim ersten Glas ein ungezügeltes Verlangen nach immer mehr Alkohol ausgelöst. Dieser Typ Trinker verliert jede Kontrolle,
über die Menge und den Verbrauch. Zur psychischen Abhängigkeit tritt später die physische
hinzu.
Die 45 Phasen und Stufen
Nun ein kleiner Streifzug, durch die einzelnen
Stufen und Phasen. Es werden nur verschiedene Punkte angesprochen. Sollte Ihr Interesse
geweckt worden sein, so können weitere Info´s
aus der unten angegebenen Internetadresse entnommen werden.
A.) Voralkoholische Phase
Der erste Beginn des Konsums alkoholischer Getränke, ist bei dem potentiellen Alkoholiker meist
sozial motiviert, Erleichterungstrinken und Alkoholtoleranz.
B.) Anfangsphase
Es entsteht ein plötzliches Auftreten von Erinnerungslücken, dies sind Anzeichen von Trunkenheit. Der heimliche Trinker entwickelt die Vorstellung, das er anders trinkt als andere Leute.
C.) Kritische Phase
Ein Verlangen nach mehr Alkohol (Kontrollverlust). Innere Zerknirschung und dauerndes
Schuldgefühl ist der Anlass zum erneuten Trinken. Aus dem Selbstbetrug ändert der Alkoholiker jetzt sein Trinksystem.
D.) Die Chronische Phase
Es setzt ein verlängerter Rauschzustand ein, bei
dem der Alkoholkranke das Verlangen nach der
Droge spürt. Er trinkt auch mit Personen unter
seinem Niveau. Ein Alkoholdelirium oder der Exitus sind keine Seltenheit.
Trinkgründe gibt es mehr als genug - ob es eine
Vielzahl der Bewerbungsabsagen sind die ersäuft
werden müssen, oder Probleme mit der Familie,
dem Bekanntenkreis, ob im Verein oder gar beim
Hüttenaufenthalt. Alkohol ist mittlerweile zur
Volksdroge geworden, genauso wie Nikotin.
Besonders hervorzuheben sind bei alkoholkranken Personen verstärkt Krankheiten wie zum Beispiel: Brustkrebs bei Frauen, Darm, Magen- und
Leberkrebs, Gehirnstoffwechselerkrankungen,
Bewusstlosigkeit bis zum Koma, sowie Kreislauferkrankungen, Akterienverkalkung, SchleimFoto: Jörg Seidel
hautentzündungen u.v.m. Auch die damit oft
verbundene fehlende Körperhygiene ist zu erwähnen, da durch die übermässige Alkoholzufuhr die Schweißdrüsen verstärkt arbeiten, und
die Poren weit geöffnet sind.
Um sich Klarheit zu verschaffen, wie weit das
Krankheitsbild fortgeschritten ist, empfiehlt es
sich, sich spezifischen anonymen Tests, die man bei
den Drogenberatungsstellen machen kann, zu unterziehen. Eine stationäre oder eine ambulante Behandlung kann von Nöten sein. Das Krankheitsbild
ist nicht heilbar, aber durch Abstinenz ein Leben
lang, bekommt man die Krankheit zum Stillstand.
Es versteht sich von selbst, das es einen jahrelangen Prozess bedarf, bis man soweit ist, ohne Alkohol zu leben. Die Rückfallquote ist sehr, sehr hoch.
Rückblickend, kann man dann sagen: „Ich bin über
den Berg, ich habe es geschafft.“
Nicht jeder der mal ein Bier trinkt, ist auch gleich
ein Alkoholiker.
Zitat (Friedrich von Bodelschwingh):
Wenn Du einem geretten Trinker begegnest,
dann begegnest Du einem Helden. Es lauert
in ihm ein schlafender Todfeind. Er bleibt
behaftet mit seiner Schwäche und setzt seinen Weg fort durch eine Welt der Trinkunsitten, in einer Umgebung die nicht versteht,
in einer Gesellschaft, die sich berechtigt hält,
in jämmerlicher Unwissenheit auf ihn herabzuschauen, als auf einen Menschen zweiter
Klasse, weil er es wagt, gegen den Alkoholstrom zu schwimmen. Du sollst wissen: Er ist
ein Mensch erster Klasse“.
Quellen: www.suchthilfe-magazin.de
www.a-pawelzik.de/Alkohol/alkohol.html
Die Suchtfibel: Jellinek-Schema-45 Phasen/Stufen
Der Delta–Trinker/in (Spiegeltrinker)
Menschen die dieser Kategorie angehören sind
unfähig, sich des Alkohols zu enthalten. Sie
brauchen täglich eine bestimmte Alkoholmenge
(Level) die schleichend immer mehr wird. Sie sind
körperlich abhängig von der Droge, und haben
ohne Alkohol starke Krankheitserscheinungen
ebenfalls Kontrollverluste.
Allein schon am Beispiel Alkohol zeigt sich
die Häufigkeit der Suchterkrankungen. In
Deutschland gelten 1,3 Millionen Menschen
als alkoholabhängig. Von diesen Menschen
unterzieht sich nur circa jeder zehnte einer
Therapie. Auch bei den Jugendlichen spielt
Alkohol eine Rolle. 20 % der Jugendlichen von
12 bis 25 Jahren trinken regelmäßig Alkohol.
Der Epsilon–Trinker/in (Periodentrinker)
Bei diesen Trinkern muss in regelmäßigen und
Quelle: www.blaues-kreuz.de/bkd/sucht/su_zahln.htm
Betroffene berichten
Betroffene berichten
(Einteilung nach Prof.Dr. E.M.Jellinek)
in zeitlichen Abständen Alkohol konsumiert
werden. Bei der Dipsomanie besteht der Drang
krankhaft alles zu trinken, was Alkohol enthält.
Wie bei anderen auch, können auch hier Kontrollverluste entstehen.
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Fachleute berichten
Alkoholismus
Sucht
Nichtbetroffene berichten
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wie
Schicksal
wie
Ein Gedankengang
Ist Ihnen heute schon ein Missgeschick passiert? Beim Abspülen eine Tasse heruntergefallen und in tausend Stücke zersprungen?
Und was denken Sie, war es die eigene fehlende Sorgfalt weil der gestrige Abend länger
war als die Nacht? Oder haben Sie schlechtes
Karma angehäuft, weil Sie sich über die Nachbarin geärgert haben, „die blöde Kuh“. Vielleicht ist aber die Sache auch einfacher: Spielte
das Schicksal mit Ihnen?
In der heutigen Zeit ist das „Schicksal“ nicht
mehr von Bedeutung. Man geht mit Sprüchen
wie „wer will, der schafft es“ an die Sache ran,
ist also der Schmied seines eigenes Glücks.
Es gibt ja auch nichts daran auszusetzen. Es
hat sich ja auch gezeigt dass es stimmt. Man
sieht überall Vorzeige-Existenzen mit Haus, Familie und Vermögen. Die ganze Gesellschaft
ist auf die eigene Leistung geeicht. Selbstbestimmung ist der Weg und das Ziel für ein
entspanntes Leben. Eine „höhere Macht“ die
das Leben vorbestimmt passt hier nicht in den
Business-Plan.
Wie passen da psychisch erkrankte Menschen
ins Konzept? Man findet einige dieser aufgestiegenen Existenzen wieder in Hartz 4, Sozialgeld und wie sich nicht alle heißen. Was
haben diese Menschen falsch gemacht? Zu
wenig gearbeitet? Denken Sie an Burnout
und dessen Ursache.
Tagesstätte
Es gibt die These, dass diejenigen die krank
wurden, selbst Schuld daran sind. Dass man
sich nicht beim ersten Anzeichen zum Arzt begeben hat um die Sache schon im Anfangsstadium zu beseitigen. Wie sieht es in einem
Fall aus, bei dem ein Kind 11 Jahre lang von
seinem Vater missbraucht wurde. Ist es selber
schuld oder ist dies Schicksal? Oder ist dies
nur ein Anzeichen einer immer kränker werdenden Gesellschaft?
Einige glauben, dass das Leben vorbestimmt
ist. Jede Entscheidung, jeder Schritt und jeder
Gedanke sind durch eine „höhere Macht“
vorgegeben. Der Mensch kann dabei nichts
beeinflussen, auch wenn er denkt dass er
frei entscheidet. Selbst die Entscheidung dies
durchzulesen könnte vorbestimmt sein…
Tagesstätte
für psychisch kranke oder
seelisch behinderte Menschen
Man kann viel darüber philosophieren: Gibt es
Schicksal und was ist das genau? Es kann auch
sein, das man zum Schluss kommt, das der
Mensch in seinem Leben auf einer Reise ist und
das Schicksal hin und wieder Ereignisse in den
Weg stellt. Ereignisse die vielleicht vorherbestimmt oder einfach nur Zufall sind. Jedenfalls,
egal was sie sind, sie prägen den Menschen,
und geben ihm (Lebens)aufgaben.
Die Situation chronisch psychisch kranker Menschen ist von mangelnder gesellschaftlicher
Teilhabe gekennzeichnet (soziale Isolation,
persönliche Desorganisation und Arbeitslosigkeit). Die Fähigkeit zu einem selbstbestimmtem
Leben geht oft verloren. Verschärft werden
diese Handicaps noch durch Antriebslosigkeit
und Rückzugstendenzen.
Eine Tagesstätte für psychisch kranke oder
seelisch behinderte Menschen ist hierfür ein
Oder sehen Sie das anders?
Fotograf: Ralf Stockmann
Fotograf: Christoph Letzner
Die Brücke -
Einrichtung für Menschen, mit sowohl seelischen, als auch körperlichen Einschränkungen
Ich kann mich nicht genau daran erinnern, wie ich
von der Brücke erfahren habe. Ob bei einem meiner zahlreichen Aufenthalte im Gelände der Psychiatrie Reichenau, beim Caritasverband der Stadt
Konstanz oder durch die betreute Frauen-Wohngemeinschaft, in der ich eine zeitlang gewohnt
habe. Jedenfalls lernte ich durch die Brücke einige
Menschen kennen, denen es ähnlich ergeht wie
mir, ich fand dort Freunde, konnte mich an einigen „offenen Angeboten“ beteiligen.
Mir wurde nicht nur dort vermehrt ans Herz
gelegt an den „Tagesausflügen“ oder am „Ko-
chen“ teilzuhaben. Letzteres tat ich zuweilen,
jedoch nicht ohne Murren.
Die anderen Angebote der Brücke entsprachen
eher meinen Vorlieben. So nahm ich beispielsweise zuweilen an der Theatergruppe teil oder
arbeitete kreativ im handwerklichen Bereich.
Nach dem gemeinsamen Brunchen am Freitagmorgen konnte, wer Lust hatte, mit der Gruppe
ein Liedchen trällern, begleitet wurden wir dabei
von Gitarrenklängen.
Wir stimmten viele unterschiedliche Lieder an,
ganz nach Befinden, Lust und Laune: Beispielsweise „Farben für den Winter“, „ 100 Miles“, „House
of the rising sun“, „ Mein kleiner grüner Kaktus“
oder „Der Mörder war immer der Gärtner“.
In der Brücke wurden sowohl Töpfern, als auch
Zeichnen oder das freie Arbeiten mit Holz angeboten. In diesem Bereich tobte ich mich wahrlich
allzu gern aus. So formte ich beispielsweise eine
Hand aus Ton, in der eine Rose lag. Um mir die
Handfläche vorstellen zu können, verwendete
ich eine Abbildung des Künstlers „Auguste Rodin“.
Auch unsere Theaterwerkstatt und das gemeinsame Singen am Freitag genoss ich weitestgehend in vollen Zügen.
Allerdings konnte ich bisher meine Frustrationstoleranz nicht verbessern. Selbst wenn ich im
Kreise der Brücke am Abendessen teilgenommen
hatte, wanderte dies meist in die Toilette.
Nachdem mich die dortige Ergotherapeutin darum bat, dies innerhalb der Räumlichkeiten der
Brücke aus Rücksicht auf die anderen Besucher
zu unterlassen, zog es mich beinah´ nach jedem
Essen, das ich dort einnahm, nach draußen hinter
die „Büsche“, auf öffentliche Toiletten oder das
WG-Zimmer, das ich zu der Zeit noch bewohnte.
Es ist nicht leicht, ein Narr zu sein…
Doch was ist eigentlich ein Narr?
Jemand der sich streng nach den Normen unserer heutigen Gesellschaft richtet.
Sind nicht die, die ein wenig anders sind, sich
vom Normal-Bürger abheben oder auch nur geringfügig unterscheiden durch ihren Lebenswandel, im Grunde genommen Narren?
Doch jeden Menschen prägt sein Schicksal , dich,
wie mich oder Herrn Kramer von der Post.
Was uns unterscheidet ist lediglich die Tatsache,
wie wir reagieren, agieren, unser Schicksal im
Alltag meistern.
Wir sind eine Welt von Narren.
Was wäre diese Welt ohne uns?
Betroffene berichten
Die zentralen Ziele richten sich auf die Bereiche der
psychischen Stabilisierung, der sozialen Integration,
auf Beschäftigung, sinnvolle Tagesstrukturierung
im Allgemeinen und auf die Entlastung der Angehörigen. Eine Tagesstätte soll die Betroffenen unterstützen, mit den Anforderungen eines geregelten
Lebens in der Gemeinschaft zurechtzukommen. Sie
soll der Integration in die Gemeinde dienen.
Durch tagesstrukturierende Angebote sowie eine
stetige und niederschwellige Präsenz, soll ein Umfeld geschaffen werden, in dem die Betroffenen
befähigt werden Krisensituationen zunehmend
souveräner zu überwinden. Kernpunkte sind die
Vermittlung von Krankheitseinsicht als „Änderungsvoraussetzung“ und die Anleitung zum
Krankheits- und Krisenmanagement als „Hilfe zur
Selbsthilfe“.
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Fachleute berichten
Angebot, das ausreichend Anregung zu sozialen Kontakten bietet und damit Rückzug
und Isolation entgegenwirkt. Gleichzeitig auch
Überforderung und Rehabilitationdruck vermeidet.
Aufnahme in einer Tagesstätte finden Menschen, die sich in einer psychischen Krise befinden oder deren Folgen zu bewältigen haben,
jedoch einer stationären bzw. teilstationären
psychiatrischen Behandlung nicht (mehr) bedürfen.
Dabei handelt es sich schwerpunktmäßig um
chronisch psychisch kranke Menschen, aber
auch um Personen, die sich erstmals in einer
schwierigen Lebenssituation befinden und Zeit
und Ruhe brauchen, um für sich neue Lebensperspektiven zu entwickeln.
Tagesstätte
Nichtbetroffene berichten
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
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Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
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wie
Zwang
Was ist eine Zwangserkrankung?
Bei einer Zwangserkrankung müssen ständig irgendwelche Handlungen wiederholt werden.
durchgeführt werden bis man das Gefühl hat,
dass man wieder sauber ist. Oft muss das Waschen auch nach einem ganz bestimmten Ritual
ablaufen.
Waschzwang
Beim Waschzwang muss man sich ständig oder
stundenlang waschen oder etwas putzen. Meist
liegt eine Angst zugrunde, dass man z.B. durch
Bakterien, Viren oder Schmutz krank werden
könnte, oder sich Andere verunreinigen oder infizieren könnten. Diese Gedanken verursachen
Ekel und Angst bis hin zur Panik. Um die Angst
zu verringern, wäscht man sich. Dieses Waschen
ist eine Zwangshandlung und muss solange
Kontrollzwang
Beim Kontrollzwang muss ständig irgendetwas
kontrolliert werden. Die betroffene Person hat
Angst, durch ihre Unachtsamkeit könnte anderen Menschen etwas zustoßen oder sie selbst
könne zu schaden kommen. Darum werden
z.B. Elektrogeräte ständig kontrolliert, damit
kein Brand ausbrechen kann, oder Wasserhähne, damit es zu keinem Wasserschaden kommen
kann. Manchmal müssen Wege immer wieder...
Nichtbetroffene berichten
Ordnungszwang
Beim Ordnungszwang versucht der Betroffene
eine extreme Symmetrie und Ordnung bei persönlichen Gegenständen herzustellen. Ist die
Symmetrie gestört, werden die Betroffenen extrem unruhig.
Zwanghaftes Horten und Sammeln
Das Wegwerfen von allem was mit der eigenen
Person zu tun hat, ist praktisch unmöglich. Dahinter steht die Angst, dass etwas weggeworfen
werden könnte das später noch einmal wichtig
werden könnte.
Zwanghafte Langsamkeit
Die Betroffenen müssen alltägliche Tätigkeiten
extrem langsam ausführen. Sie müssen alle Aktivitäten ganz exakt und sorgfältig ausführen. Oft
müssen Handlungen vorher im Kopf detailliert
durchgespielt werden. Meist müssen die Betrof-
Zwangsgedanken
Als Zwangsgedanken bezeichnet man Gedanken, Impulse oder bestimmte Vorstellungen, die
immer wieder auftauchen und unangenehme
Gefühle wie Angst, Ekel, starke Beunruhigung
oder Panik auslösen. Der Betroffene versucht
die Gedanken zu verdrängen, zu ignorieren oder
zu „neutralisieren“, indem er bestimmte Handlungen ausführt. Der Betroffene erkennt, dass die
Gedanken ein Produkt des eigenen Geistes sind.
Ursachen einer Zwangserkrankung
Es gibt nicht „die eine“ Ursache für eine Zwangserkrankung. Meist kommen verschiedene Fak-
toren zusammen, durch die sich eine Zwangserkrankung entwickeln kann. Zu diesen Faktoren
zählen z.B. welche Rolle Verantwortungsgefühl
für eine Person spielt und welche Werte, Normen und Einstellungen eine Person erworben
hat. Viele Betroffene berichten, dass die Zwänge nach einem belastenden Ereignis oder einer
schwierigen Lebensphase aufgetreten sind.
Außerdem weiß man heute, dass Zwänge eine
neurobiologische Grundlage haben. Zwangspatienten haben in einem bestimmten Teil des
Gehirns andere Aktivitätsmuster (in Form einer
Überaktivität) als Patienten mit anderen psychischen Erkrankungen. Alles deutet darauf hin,
dass es ein Kommunikationsproblem zwischen
Frontalhirn und Basalganglien gibt. Diese Gehirnbereiche verwenden als Botenstoff Serotonin.
Man geht davon aus, dass bei Zwangspatienten
zu wenig von dem Botenstoff Serotonin vorhanden ist. Diese Theorie wird unterstützt von der
Erfahrung, dass Patienten, mit Medikamenten
die den Serotoninspiegel erhöhen, Erfolge in der
Therapie zeigen.
Wie ein Zwangsgedanke entsteht
Ein Zwangsgedanke entsteht nun, wenn die gedanklichen Fehlschlüsse, Werte, Normen oder
Eigenschaften der Person dazu führen, dass ein
aufdringlicher Gedanke als gefährlich eingeschätzt wird. Die Bewertung als „gefährlich“ löst
Angst oder andere unangenehme Gefühle aus,
was verständlicherweise dazu führt, dass Gegenmaßnahmen (Zwangshandlungen) ergriffen
werden.
Wie Zwänge aufrechterhalten werden
Ein Beispiel dafür, wie durch Gegenmaßnahmen
der Patienten die Zwänge verstärkt werden,
ist der Versuch des so genannten „Gedankenstopps“.
Eine häufige Strategie, die Patienten einsetzen,
um mit bedrohlichen Gedanken umzugehen, ist
der Versuch, den Gedanken abzubrechen oder
nicht zu denken. Dieser bewusste Versuch Gedanken zu unterdrücken oder zu stoppen, führt
jedoch zu dem paradoxen Effekt, dass sich gerade diese Gedanken immer wieder ins Bewusstsein drängen. Man bekommt den Eindruck, die
Kontrolle über seine Gedanken völlig zu verlieren, was die Bedrohlichkeit und Aufmerksamkeit
auf diesen Gedanken erhöht. Der Zwangsgedanke wird immer noch häufiger auftreten.
Auch alle anderen Gegenmaßnahmen wie z.B.
waschen, kontrollieren, ordnen und neutralisieren, erhöhen die subjektive Bedrohlichkeit und
Wichtigkeit der aufdringlichen Gedanken. Die
damit verbundenen negativen Gefühle und Bewertungen werden stärker, so dass stärkere Gegenmaßnahmen erforderlich werden – der Teufelskreis schließt sich.
Je häufiger der Patient den Teufelskreis aus Gedanken Bewertung und Gegenmaßnahmen
durchläuft, desto stärker wird der Zwang.
Können Zwänge vererbt werden?
Bisher konnte kein bestimmtes Gen oder ein Zusammenwirken verschiedener Gene identifiziert
werden, das für die Entstehung von Zwängen
verantwortlich ist. Dennoch spielt die Vererbung
in bestimmten Fällen eine Rolle. Denn immer
wieder berichten Patienten, dass Familienmitglieder (Blutsverwandte) auch unter Zwängen
oder ähnlichen Störungen leiden. Dabei werden
nicht die spezifischen Zwangshandlungen und
-gedanken vererbt, sondern die Neigung, Zwänge zu entwickeln.
Betroffene berichten
Wiederholungs-, Zählzwänge und Gedankenketten.
Wiederholungs- und Zählzwänge gehen oft mit
„magischem Denken“ einher. Damit schlimme
Befürchtungen nicht eintreten, werden Bewegungen oder Tätigkeiten entweder nach einer
bestimmten Regel durchgeführt, oder so lange
wiederholt bis es sich „gut anfühlt“. So kann es
z.B. sein, dass ein Betroffener den starken Drang
hat, einen bestimmten Gegenstand mehrmals zu
berühren, um damit eine schwere Krankheit von
einem Angehörigen abzuwenden. Es kann auch
sein, dass einem Betroffenen während einer Tätigkeit ein gefürchteter Gedanke kommt. Um
diesen Gedanken zu „neutralisieren“ muss er die
Tätigkeit so lange wiederholen bis der Gedanke
bei dieser Tätigkeit nicht mehr auftritt.
Zählzwänge können sich auf beliebige zählbare
Objekte beziehen. Entweder muss ein bestimmtes
Objekt oder alle Objekte gezählt werden.
Weitere zwanghafte Gedanken bestehen darin,
dass der Betroffene den Drang hat Worte, Wortketten oder Sätze auszusprechen oder zu denken um ein Unheil abzuwenden.
fenen nach jedem Handgriff innehalten, um die
Richtigkeit und Genauigkeit der Handlung zu
überdenken.
| 153
Fachleute berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
abgefahren werden um zu kontrollieren, ob man
keinen Unfall verursacht hat oder ob gefährliche
Gegenstände auf der Straße liegen. Außerdem
kann man Angst haben, gegen andere Personen
aggressiv zu werden, sie zu beleidigen oder zu
verletzen.
Zwangsstörung
Behandlung der Zwänge
Exposition
Bei einer Exposition wird der Patient gemeinsam
mit dem Therapeuten in die Situationen gebracht,
in denen die Zwangsgedanken auftreten. Diese
Situationen sind individuell sehr unterschiedlich.
Dabei kann es sich unter Umständen um sehr
spezifische Situationen handeln wie z.B. das
kontrollieren von Elektrogeräten in der eigenen
Wohnung, oder das Berühren von Türklinken am
Arbeitsplatz. Wird der Patient in diese Situation
gebracht, steigen die unangenehmen Gefühle
und Befürchtungen stark an. Der Therapeut unterstützt den Patienten darin, jegliches Vermeidungs- und Neutralisierungsverhalten zu unterlassen, was zunächst zu einem weiteren Anstieg
der Gefühle und Befürchtungen führen kann.
Dennoch: Nur so kann der Patient die Erfahrung
machen, dass seine Ängste, der Ekel oder die
Anspannung auch ohne Vermeidung und Neutralisierung nachlassen. Diese Gewöhnung, ein
automatischer körperlicher Prozess, wird in der
Fachsprache „Habituation“ genannt.
Einfach gesprochen, könnte man diesen körperlichen Prozess auch mit einem „Verlernen“ vergleichen.
Nichtbetroffene berichten
152 |
Fachärztliche Behandlung
Bei der Behandlung von Zwangserkrankungen
ist die kognitive Verhaltenstherapie die erste
Wahl. Ist der Patient jedoch sehr stark und schon
lange durch seine Zwänge beeinträchtigt, ist die
zusätzliche Behandlung mit modernen Antidepressiva eine Möglichkeit den Behandlungserfolg
Behandlungserfolge bei Zwängen
Die kognitive Verhaltenstherapie zeigt große
Erfolge bei der Behandlung von Zwängen. Es
zeigen sich nicht nur Erfolge bei der Reduzierung von Zwangsimpulsen und dem Neutralisierungsverhalten, sondern auch die neurobiologische Grundlage von Zwängen kann im
Idealfall positiv beeinflusst werden. Erste Befunde von Untersuchungen zum Einfluss von
Psychotherapie auf die Stoffwechselprozesse
im Gehirn haben gezeigt, dass kognitive Verhaltenstherapie die für Zwangspatienten typische Überaktivität in einem bestimmten Hirnareal reduzieren kann.
Was können Angehörige tun?
Eine der größten Schwierigkeiten von Zwangspatienten ist es, ihre Angehörigen davon zu
überzeugen, dass sie die Zwangsrituale nicht
einfach willentlich stoppen können. Angehörige werden verständlicherweise manchmal ärgerlich und reagieren mit Unverständnis, wenn
die Zwangsrituale in ihren Alltag eingreifen.
Versuchen sie nicht mit Appellen und moralischen Druck auf den Zwangspatienten einzuwirken. „Sich zusammennehmen“ oder „den
gesunden
Menschenverstand“ einschalten funktioniert bei
Zwängen nicht. Ohne therapeutische Hilfe verbessern sich Zwänge nur selten.
Ständige Diskussionen wie ansteckend eine
Krankheit wirklich ist oder wie groß eine Gefahr
tatsächlich ist, helfen dem Patienten nicht. Der
Zwang kann dem Betroffenen nicht durch vernünftige Argumente ausgeredet werden.
Partner oder Angehörige werden häufig in
Zwangsrituale einbezogen oder werden um
Rückversicherung gebeten, dass alles in Ordnung sei oder um Hilfe gebeten ein Zwangsritual zu beenden. Sagen sie ihrem Angehörigen, dass sie sich am Zwangsverhalten nicht
beteiligen möchten. Ermutigen sie ihn sich
therapeutische Hilfe zu holen, und sichern sie
ihm in dieser schweren Zeit ihre Unterstützung
zu.
Quelle: Christoph Dornier Klinik GmbH 2009, Münster
Fotograf: Ralf Stockmann
Betroffene berichten
zu verbessern und den Einstieg in die anstrengenden therapeutischen Übungen zu erleichtern. Dies gilt auch, wenn neben dem Zwang
eine depressive Verstimmung vorliegt.
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Erfahrungsbericht über meine Zwangserkrankung
Als Betroffene einer Zwangserkrankung möchte
ich über mein Leben mit dieser Erkrankung berichten. Ich bin 58 Jahre alt und meine ersten
Symptome traten im Alter von 24 Jahren auf.
Zehn Jahre zuvor starb mein Vater bei einem Verkehrsunfall. Er war meine wichtigste Bezugsperson in meinem Leben. In meiner Jugendzeit hatte
ich öfter mal den Gedanken wie schrecklich es
für mich wäre, wenn mein Vater sterben würde. Als mein Vater dann tatsächlich starb, hatte
ich Schuldgefühle wegen diesen Gedanken und
auch Angst ich hätte seinen Tod damit heraufbeschworen. Ich wollte mit niemanden darüber
reden aus Angst meine Befürchtungen könnten
bestätigt werden. Ich verarbeitete diese Sache
mit mir alleine, und irgendwann ließen diese
Schuldgefühle auch nach.
Zehn Jahre später traten die ersten Symptome
auf, als ich eine schwierige Entscheidung in
meinem Leben treffen musste. Ich kam nicht damit klar, dass mein damaliger Partner und späterer
Ehemann mir lange verschwiegen hatte, dass er
geschieden war. Ich entwickelte Schuldgefühle
seiner ersten Frau gegenüber, obwohl er schon
lange geschieden war als ich ihn kennen lernte.
Außerdem war ich streng katholisch erzogen und
wollte kirchlich heiraten. Es war auch sehr schwierig dies meiner Familie, vor allem meiner Mutter zu
sagen. Unser Vater war ja erst einige Jahre zuvor
gestorben und ich wollte ihr nicht noch zusätzlich
Sorgen machen. Es war schon schwer genug für
sie uns fünf Kinder allein großzuziehen.
Meine Zwänge fingen zuerst an mit Panikattacken ohne irgendeinen Anlass. Später kamen
Gedanken hinzu, dass ich meinen Mitmenschen,
vor allem meinem Partner, etwas antun könnte
das ich nicht wollte z.B. ihn zu töten. Ich bekam
Angst vor mir selber. Alle spitzen Gegenstände in
Haushalt durften nicht mehr offen herumliegen.
Die Gedanken wurden immer schlimmer, so dass
ich Angst hatte, vom Teufel besessen zu sein. Ich
konnte keine Nachrichten mehr hören oder Zeitung lesen, weil ich überzeugt davon war, dass
ich für alles Böse was geschah, verantwortlich
war. Wenn ich mich mal auf etwas freute, kam
der Gedanke: „Das darf ich jetzt nicht tun, sonst
stirbt jemand aus meiner Familie“.
Ich ging zu meinem Hausarzt, der mich an einen
Therapeuten überwies. Ich erzählte ihm von meinen Ängsten. Er hörte sich alles an, verschrieb
mir Beruhigungsmittel und sagte nach etwa
sechs Sitzungen, dass er kein Weiterkommen
bei mir sähe und die Therapie nicht weiterführen
möchte. Ich war am Boden zerstört, und fragte
ihn, wie ich weiterleben soll und ob ich eine Gefahr für meine Mitmenschen bin und ob ich in
eine Psychiatrische Anstalt muss. Er blieb mir die
Antwort schuldig und ließ mich verzweifelt nach
Hause gehen.
Mein Partner und ich wollten eigentlich heiraten
und eine Familie gründen. Ich erzählte ihm von
meinen Ängsten und dass ich mir diesen Schritt
nicht zutraue. Ich rief diesen Therapeuten an
und bat ihn, mit meinem Partner über meine
Fachleute berichten
Kognitive Therapie
Der Begriff kognitiv bezeichnet die Funktionen
beim Menschen, die mit Wahrnehmung, Lernen,
Erinnern und Denken zu tun haben.
Die Aufmerksamkeit wird auf die Gedanken
und das Denken (Kognitionen) gerichtet. In der
Kognitiven Verhaltenstherapie werden solche
„Kognitionen“ in Frage gestellt. Der Patient
kann dann seine extreme Sichtweise erkennen
und korrigieren. Dabei werden ungünstige Gedanken, Bewertungen und Überzeugungen gemeinsam mit dem Therapeuten identifiziert und
manchmal auch in Zusammenarbeit mit „objektiven Instanzen“ (z.B. der Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung) durch realistischere
und nützlichere Gedanken ersetzt.
Entscheidend ist, dass der Patient lernt, sich von
unsinnigen, aufdringlichen Gedanken zu distanzieren, und sie einfach vorbeiziehen lassen
kann. Ziel der Therapie ist es, das Zwangssystem
das der Patient aufgebaut hat, aufzugeben.
Dies ist eine sehr schwere und anstrengende
Aufgabe.
Deshalb erarbeiten Therapeut und Patient
gegen Ende der Therapie ein gemeinsames,
neues, gesundes „System“. Ein wichtiges Ziel
der Behandlung ist es auch, den Patienten zu
seinem eigenen Therapeuten zu machen, um
Rückfällen vorzubeugen. Darum werden therapeutische Übungen während der Behandlung
zunehmend selbständig vom Patienten durchgeführt. Im Anschluss an die Therapie erprobt
der Patient das Gelernte zu Hause. Dabei sollte
der Patient noch in regelmäßigem therapeutischem Kontakt stehen, der langsam ausgeschlichen wird.
Hinter den Bedrohlichkeitsgefühlen die die
Zwangsgedanken auslösen, stehen bei einigen
Patienten die Themen Wertlosigkeit, Schuld
und Ablehnung. Diese Überzeugungen lösen
neben dem Zwang oft auch depressive Gefühle
aus und müssen daher dringend in therapeutischen Gesprächen hinterfragt und bearbeitet
werden
Zwangsstörung
Nichtbetroffene berichten
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
154 |
Nichtbetroffene berichten
Probleme offen zu sprechen. Nach diesem Gespräch war mein Partner trotzdem davon überzeugt, mich heiraten zu wollen. Nach und nach
versuchte ich mich davon zu überzeugen, dass
der Therapeut mich sicherlich in eine Klinik eingewiesen hätte, wenn ich eine Gefahr wäre und
er hätte meinem Partner sicherlich von einer Heirat abgeraten .
Meine Symptomatik verringerte sich sehr langsam, war aber nie ganz weg. Wir heirateten und
ein Jahr später kam meine Tochter zur Welt. Ich
war sehr glücklich über die Geburt meiner Tochter und diese Gedanken verschwanden. Nach
einigen Wochen kamen aber andere Gedanken
und Ängste. Ich hatte Angst, ich könnte nicht
sauber genug arbeiten bei der Zubereitung und
Reinigung der Milchflaschen und sie könnte
Durchfall bekommen und daran sterben, oder
ich könnte versehentlich Spülmittel in die Nahrung tun. Die Angst weitete sich auf andere Bereiche aus. Habe ich die Wohnung sauber genug geputzt (Krabbelalter)? Sind meine Hände
sauber genug, wenn ich meine Tochter anfasse?
Bringt mein Mann Krankheitskeime mit nach
Hause, da er in einem Krankenhaus arbeitet? So
rutschte ich allmählich in einen Waschzwang hinein, den ich aber noch gut verheimlichen konnte. Zwei Jahre später kam unser Sohn zur Welt
und meine Symptome verbesserten sich erstaunlicherweise.
Einige Jahre später wünschte sich mein Mann,
dass wir seinen 80jährigen Vater aus dem Pflegeheim zu uns nach Hause nehmen. Ich hatte
Angst davor, da ich mich nicht gesund genug
fühlte um dieser Belastung gewachsen zu sein.
Mein Schwiegervater nässte oft seine Kleidung
ein und dies ekelte mich sehr. Wenn ich nicht
zuhause war, legte er sich mit diesen Kleidern
auf das Sofa. Ihm tropfte immerzu Speichel aus
seinem Mund, überall in der Wohnung. Zuletzt
ekelte ich mich nur noch in meiner Wohnung.
Der Waschzwang war wieder voll zurückgekehrt.
Es gab oft Streit mit meinem Mann. Zuletzt riet
uns der Hausarzt meinen Schwiegervater wieder
in ein Pflegeheim zu geben, da ich offensichtlich
überfordert war. Wenige Wochen nach seinem
Einzug in das Pflegeheim verstarb mein Schwiegervater und ich fühlte mich schuldig an seinem
Tod, weil ich nicht in der Lage war, ihn Zuhause
zu pflegen.
Der Waschzwang wurde immer schlimmer. Ich
hatte auch ständig Panikattacken, wenn ich
ohne meine Kinder unterwegs war, mir könnte
etwas passieren und die Kinder kämen vom Kindergarten nach Hause und ich bin nicht da. Ich
hatte in den Panikattacken Angst sterben zu
müssen. Außerdem hatte ich ständig Angst, ich
könnte mit giftigen Pflanzen in Berührung kommen und daran sterben oder von einem tollwütigen Hund könnte Speichel auf der Straße sein
Die Zwangsstörung tritt oft schon in
der Kindheit und Jugend auf, 90% der
Betroffenen bekommen erste Symptome
schon vor dem 18. Lebensjahr zu spüren.
Den Höhepunkt der Erkrankung erfährt
diese Erkrankung zumeist zwischen dem
20. Und 25. Lebensjahr. Von den Menschen
in Deutschland sind circa 1-2% betroffen.
www.neurologen-und-psychiater-im-netz.de
Ich wollte auf dem Sofa übernachten, aber sie
wollte unbedingt, dass ich in einem richtigen
Bett schlafe. Um sie nicht zu verletzen, legte
ich mich in dieses Bett. In dieser Nacht habe ich
nicht geschlafen und fiel von einer Panikattacke
in die andere. Plötzlich kam wie ein Blitz der
Gedanke, ich habe doch schon mal etwas von
Leichengift gehört. Ich ekelte mich fürchterlich
und der Gedanke ließ mich nicht mehr los. Ist in
diesem Bett Leichengift? Bin ich jetzt verseucht
davon? Ich hatte Leichengeruch in der Nase
(kenne ich von meiner Ausbildung zur Krankenschwester als wir in der Pathologie waren). Mein
Verstand sagte mir, es gibt kein Leichengift und
mir kann nichts passieren. Ich sagte mir die ganze Nacht, dass ich in meinem Beruf auch immer
wieder mit Toten zu tun hatte und mir nie etwas
dabei passiert ist. Auch sagte ich mir, dass Pathologen und Bestatter durch ihren Beruf nicht
mehr gefährdet sind, krank zu werden, als andere Menschen.
Aber mein Gefühl sagte mir etwas anderes. Ich
dachte, wenn ich nach Hause komme, gehe ich
als erstes Duschen und dann wasche ich sofort
meine Kleider, damit mir und meinen Kindern
nichts passieren kann. Nach dem Duschen kam
der Gedanke jetzt ist meine Dusche verseucht.
Wie kriege ich die bloß wieder sauber. Als meine
Kleider in der Waschmaschine waren, kam der
Gedanke: Habe ich mit den schmutzigen Kleidern meine sauberen berührt? Also zog ich diese
Kleider auch wieder aus um sie zu waschen. Meine Reisetasche musste ich wegwerfen. Meinen
Kofferraum konnte ich nicht mehr benutzen,
weil meine Tasche da gestanden hatte. Den Fahrersitz im Auto habe ich mit Tüchern abgedeckt.
Sicherheitsgurt, Lenkrad usw. musste alles mit
Sagrotan eingesprüht oder abgewaschen werden. Einige Tage später habe ich meine Schuhe
und Kleider wegwerfen müssen, die ich bei diesem Besuch anhatte. Später habe ich mein Auto
verkauft, weil ich den Druck nicht aushalten
konnte, dass vielleicht doch noch irgendwo Leichengift sein könnte.
Mein Lebensraum wurde immer kleiner. Ich
konnte erst nicht mehr an Bestattungsinstituten
vorbeigehen, dann nicht mehr an Friedhöfen,
Kirchen, Krankenhäusern. Ich konnte nicht
mehr zum Arzt gehen, weil er ja auch mit Toten zu tun hatte. Dann konnte ich nicht mehr in
Gaststätten oder zu irgendwelchen Veranstaltungen gehen, weil da ja auch der Bestatter hin-
Betroffene berichten
und ich könnte Tollwut bekommen. Meine Angst
konzentrierte sich mehr auf mich als auf die Kinder. Das kam sicherlich daher, weil ich unter
dem Tod meines Vaters sehr gelitten habe und
ich glaubte das verhindern zu können, wenn ich
entsprechend vorsichtig bin.
Zu meinen Waschzwängen kamen auch noch
Kontrollzwänge hinzu. Wenn ich das Haus verließ, musste ich kontrollieren ob alle Elektrogeräte ausgeschaltet sind. Vor allem das Bügeleisen
war sehr wichtig. Ich wollte nicht, dass durch
meine Unachtsamkeit andere Menschen gefährdet werden, z.B. indem das Haus abbrannte, weil
ich Herd oder Bügeleisen angelassen hatte. Wenn
ich mit dem Auto unterwegs war, musste ich immer wieder die gleiche Strecke abfahren und
mich vergewissern, dass ich nicht aus Versehen
jemanden angefahren habe. Besonders schlimm
war dies, wenn ich nachts unterwegs war.
Ich hatte nicht den Mut, mit meinem Hausarzt
über meine Probleme zu reden. Nach der Erfahrung, die ich Jahre zuvor bei einem Psychologen
gemacht hatte, dachte ich, mir kann eh niemand
helfen. Heute spricht man offen über psychische
Erkrankungen und die Medien berichten darüber. Das war in den 70er und 80er Jahren nicht
der Fall.
Die Krankheit belastete unsere Ehe immer mehr
und mein Mann trennte sich 1989 von mir.
Ich entschloss mich, mit den Kindern zu meiner
Mutter zu ziehen. Es war eine schwere Zeit für
meine Kinder und mich. Erstaunlicherweise gingen meine Zwänge aber fast ganz zurück.
Einige Monate später starb der Sohn einer Freundin mit 18 Jahren an Leukämie. Sie bat mich,
sie zu besuchen und bei ihr zu übernachten. Ich
hatte Angst vor diesem Besuch, denn der Sohn
war zuhause gestorben und ich wollte in keinem Fall in diesem Bett schlafen in dem er starb.
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Fachleute berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
Zwangsstörung
Nichtbetroffene berichten
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grad immer weiter gesteigert. Es gab kein einwöchiges Fludding sondern ein tägliches Üben,
zunächst in Begleitung und dann immer mehr
in Eigenverantwortung. Wenn der Druck nach
einer Übung zu groß wurde, und ich glaubte,
mich unbedingt waschen zu müssen, war immer, auch nachts ein Ansprechpartner vom Pflegepersonal da, der mir erklärte, warum es wichtig ist, mich nicht zu waschen und dem Zwang
keine Chance zu geben mich zu beherrschen,
sondern ich ihn.
Die Therapie wurde auch medikamentös unterstützt. Ich bekam ein Antidepressiva das den
Serotoninspiegel beeinflusst. Das Medikament
hat mir auch geholfen, aber leider habe ich
sehr stark an Gewicht zugenommen. Gegen
Ende der Therapie entschloss ich mich auch zu
einer Übung in einem Bestattungsinstitut. Ich
gab dem Bestatter die Hand, fasste Särge an
und stellte mich vor einen Sarg in dem ein Toter
aufgebahrt war. Anfassen wollte ich den Toten
aber nicht. Nach diesem Klinikaufenthalt ging
Fotograf: Extrem Raym
es mir viele Jahre gut. Ich bin in einen anderen
Ort gezogen und habe einen neuen Arbeitsplatz angenommen in einem Sekretariat in einer
Augenklinik.
Nachdem es mir mehrere Jahre gut ging, habe
ich mit Einverständnis meines Psychiaters meine Medikamente ganz langsam abgesetzt.
Danach ging es mir noch ca. ein halbes Jahr
gut, dann kam ein ganz schwerer Rückfall. Erschwerend kam hinzu, dass der Arzt unserer
Abteilung fast täglich in die Pathologie ging
um Hornhauttransplantate zu holen. Das war
so schwierig für mich, dass ich nicht mehr arbeiten gehen konnte. Hinzu kam noch eine
schwere Depression, die mich vollständig lähmte. Ich war etwa ein Jahr in unterschiedlichen
psychiatrischen Kliniken. Durch die schwere
Depression war ich nicht in der Lage nochmals
eine Konfrontationstherapie durchzustehen.
Meine Ängste wurden so stark, dass ich mich
nicht mehr selbst versorgen konnte. Ich war
nicht mehr in der Lage meinen Haushalt zu
führen, einkaufen zu gehen oder irgendwelche sozialen Kontakte aufrecht zu erhalten. Ich
wollte nur noch sterben. Dieser Zustand hielt
vier Jahre lang an.
Erst als mir eine Freundin von der Christoph
Dornier Klinik erzählte, schöpfte ich wieder etwas Hoffnung. Da ich mein Haus nicht verlassen
konnte, kamen die Therapeuten zu mir nach
Hause. Wir haben dann in meiner Wohnung geübt wieder alles anzufassen ohne mir danach die
Hände zu waschen. Ich lernte wieder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, in ein Restaurant zu gehen, öffentliche Toiletten zu benutzen,
ins Kino zu gehen, einzukaufen, dazu gehörte
auch Kleider anprobieren, meiner Psychiaterin
die Hand zu geben, Schuhe anfassen, Gegenstände vom Boden aufzuheben, putzen und alle
anderen alltäglichen Dinge die nicht mehr gingen. Die Therapie dauerte eine Woche mit täglich ca. 6 Therapiestunden. Nach dieser Woche
ging es mir schon recht gut, und ich war in der
Lage diese Übungen täglich in Eigenregie durchzuführen.
Leider wurden die Kosten für diese Therapie
nicht von meiner Krankenkasse übernommen.
Ich hatte etwas gespart und investierte dieses
Geld in die Therapie.
Ich war nach dieser Woche in der Lage, die
Tagesstätte im GPZ Überlingen zu besuchen,
obwohl in der Wäscherei Wäsche aus einem
Betroffene berichten
Erst als es mir so schlecht ging, dass ich meine
Kinder nicht mehr anfassen und in den Arm nehmen konnte, entschloss ich mich nochmals einen
Therapeuten aufzusuchen. Ich machte einige
Monate eine Gesprächstherapie die mir aber gar
nicht weiterhalf. Mein Therapeut riet mir zu einer ambulanten Verhaltenstherapie. Aber auch
da kam ich nicht weiter, weil meine Krankheit
einfach zu ausgeprägt war. Ich entschloss mich
zu einer stationären Therapie.
Während dieser Therapie wurde ein Fludding
durchgeführt, d.h. ich musste Gegenstände anfassen und Orte aufsuchen vor denen ich mich
ekelte und durfte mich danach nicht waschen.
Das Fludding dauerte eine Woche lang. Es war
ein sehr heißer Sommer und ich durfte mich eine
Woche lang nicht duschen oder sonst wie waschen. Es war einfach nur schrecklich, aber nach
dieser Woche musste ich mir nicht mehr so oft
die Hände waschen und das Waschen dauerte
nicht mehr so lange.
Ich hatte die Erfahrung gemacht, dass die
Angst nachlässt und ich auch nicht sterbe,
wenn ich eine Hyperventilationstetanie (entsteht durch falsches atmen) bekomme. Dieser
Zustand geht ganz einfach vorbei, wenn ich in
eine Plastiktüte atme. Nach dieser Woche war
ich noch einige Zeit in der Klinik um weiter zu
üben und mich zu stabilisieren. Ich war leider
die einzige Zwangspatientin und konnte mich
daher mit niemandem austauschen. Außerdem
war man sich viel selbst überlassen, da die CoTherapeuten ständig unter Stress standen und
kaum Zeit hatten für ein Gespräch. Es ging mir
zwar besser, aber ich war sehr unsicher, wie
es mir zuhause gehen wird. Anfangs kam ich
auch zu Hause gut klar, aber nach etwa einem
halben Jahr schlichen sich die Zwänge wieder
ein und ich konnte mich zunehmend immer
schlechter gegen die Zwänge stellen. Nach
zwei Jahren war ich wieder völlig am Ende und
ich entschloss mich noch mal zu einem stationären Aufenthalt.
Ich ging in die Universitätsklinik Freiburg, die
sich unter anderem auf Zwangserkrankungen
spezialisiert hatte. Dort traf ich auf Menschen
die in der gleichen Situation waren wie ich und
mit denen ich mich austauschen konnte. Die Betreuung durch die Ärzte, Therapeuten und CoTherapeuten (Krankenschwestern und Pfleger)
war optimal. Ich wurde wieder langsam an die
Übungen herangeführt und der Schwierigkeits-
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Fachleute berichten
gehen könne. Wenn ich einkaufen ging, musste
ich das Geschäft verlassen, wenn mir Menschen
mit schwarzer Kleidung, vor allem Männer mit
schwarzen Krawatten, begegneten. Manchmal
brachte ich deswegen tagelang nichts nach
Hause. Wenn niemand mit schwarzer Kleidung
im Geschäft war, machte ich Hamsterkäufe,
dass für den Notfall was zuhause war. Ich konnte keine Türgriffe mehr anfassen, außer mit
einem Tempotaschentuch. Fiel mir etwas auf
den Boden konnte ich es nicht mehr aufheben,
weil ja jemand da lang gegangen sein konnte
der zuvor auf dem Friedhof war. Schon wenn
das Wort Tod fiel fühlte ich mich schmutzig
und musste mich waschen. Ich konnte keine
Filme mehr anschauen oder Bücher lesen, weil
ich nicht wusste, ob in der Handlung jemand
stirbt. Begegnete mir ein Leichenwagen musste
ich auch die Kleidung wechseln, wenn ich nach
Hause kam. Irgendwann musste ich mir auch
die Hände waschen, wenn ich zu Hause etwas
angefasst hatte, weil ich ja nicht wusste was
meine Kinder denn so alles anfassten, wenn sie
in der Schule oder mit Freunden unterwegs waren.
Während meiner schlimmsten Zeit habe ich
mich stundenlang am Tag gewaschen. Ich durfte während dem Waschen nicht gestört werden, sonst musste ich wieder von vorne anfangen. Selbst das Geräusch eines Autos das
vorbeifuhr oder Vogelgezwitscher störte mich
in meiner Konzentration. Ich stand morgens um
fünf Uhr auf, dass ich um acht Uhr fertig war,
weil ich dann zur Arbeit gehen musste. Abends
fing ich um acht Uhr mit meinem Waschritual
an, das manchmal bis um Mitternacht dauerte.
Mein Bett war der einzige Ort, an dem ich mich
noch einigermaßen entspannen konnte. Darum
durfte auch niemand in die Nähe meines Bettes
kommen.
Während der Arbeit ging es mir besser als zuhause, weil ich mich auf meine Aufgaben konzentrieren musste. Dadurch traten die Zwänge
nicht so sehr in den Vordergrund. Ich konnte
aber nicht mehr in meinem erlernten Beruf als
Krankenschwester arbeiten, sondern fand eine
Anstellung im Büro.
Ich lebte in zwei Welten. Die Welt außerhalb
meiner Wohnung die schmutzig war, und meine Welt zuhause, die sauber war. Wenn ich nach
Hause kam zog ich mich sofort um, und wusch
mich gründlich.
Zwangsstörung
Nichtbetroffene berichten
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
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Hospiz und den ortsansässigen Altenheimen
gewaschen wird, wo ja oft Menschen versterben. Zunächst ging ich zwei mal pro Woche,
dann vier mal pro Woche hin. Ein halbes Jahr
später hatte ich den Wunsch, in den Werkstätten für behinderte Menschen zu arbeiten. Ich
fing mit zwei Stunden täglich an, dann vier
Stunden, heute arbeite ich sechs Stunden pro
Tag. Diese Einrichtung ist ein Segen für mich
und ich komme jeden Tag gerne hierher. Ich
habe eine Tagesstruktur und habe das Gefühl
noch gebraucht zu werden.
Begleitend mache ich noch eine ambulante
Verhaltenstherapie bei einer sehr netten Therapeutin, die mir hilft und mich unterstützt um
wieder ein normales Leben führen zu können.
Diesem Ziel bin ich schon sehr nahe. Wir haben viel über das Sterben gesprochen und ich
fühle mich diesem Thema nicht mehr so hilflos ausgeliefert. Ich habe meinen Frieden damit geschlossen, dass irgendwann mein Leben
zu Ende sein wird. Aus der Zeit, als es mir so
schlecht ging und ich nicht mehr Leben wollte,
nehme ich die Erfahrung mit, dass der Tod auch
eine Erlösung sein kann, wenn man schwer
krank oder alt und gebrechlich ist.
Meine ambulante Therapie geht dem Ende
entgegen. Ich habe nur noch Sitzungen in größeren Zeitabständen. Ich komme gut zurecht
damit und brauche nie den Rat meiner Therapeutin zwischen zwei Terminen. Ich muss meine Übungen nicht mehr mit meiner Therapeutin
absprechen, sondern entscheide allein wie ich
vorgehen möchte und was mein nächstes Ziel
ist. Dieses selbstverantwortliche Üben ist sehr
wichtig, denn ich habe nicht ein Leben lang einen Therapeuten an meiner Seite, den ich um
Rat fragen kann.
Ich habe schon viel geschafft, und habe aber
auch noch viele Aufgaben vor mir. Mit jedem
Stückchen Freiheit das ich mir zurückerobere,
werde ich sicherer und bin motiviert immer noch
einen Schritt weiter zu gehen.
Nach dieser Therapie habe ich ein gutes und sicheres Gefühl, den Zwang unter Kontrolle halten zu können. Ob ich je ein zwangsfreies Leben
haben werde ist vielleicht eher unwahrscheinlich
aber ich kann mit der Krankheit jetzt gut leben.
Nichtbetroffene berichten
Fachleute berichten
Betroffene berichten
160 |
Fotograf: Heinz Schumacher
Wir bieten Beschäftigung
in den Bereichen
▪ Digital Service
(ebaY-Agentur, Letter-Shop,
Druckstudio)
▪ Garten- und Landschaftspflege
▪ Wäscherei mit Hauswirtschaft
▪ Küche
▪ Montage und Verpackung
▪ Metall
Impressum
Die Werkstatt der GPZ Überlingen gGmbH ist eine
Einrichtung der beruflich-sozialen Rehabilitation
und bietet Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen die Möglichkeit in verschiedenen Bereichen (wieder) am Arbeitsleben teilzunehmen.
Die zentralen Ziele sind die Erhaltung bzw. Erhöhung der Leistungsfähigkeit, die psychische
Stabilisierung, die berufliche und soziale Integration sowie eine sinnvolle Tagesstrukturierung
durch Beschäftigung. Durch das kontinuierliche
Angebot soll ein Umfeld geschaffen werden, in
dem die Beschäftigten befähigt werden Krisensituationen zunehmend souveräner zu bewältigen
und mit den Anforderungen des Arbeitslebens
besser zurechtzukommen.
GePetZt Sonderausgabe
Oktober 2010
Layout & Satz
Digital Service - GpZ Überlingen gGmbH
1. Auflage 2010
1000 Stück
Fotos
Alle Fotos sind mit Bezugsquelle und Namen
der Fotografen gekennzeichnet, nicht gekennzeichnete
Fotos sind im GpZ Überlingen entstanden.
Herausgeber
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Obere Bahnhofstraße 18
88662 Überlingen
Fon 07551 30118-0
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Geschäftsführung
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Autoren
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SPENDE
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herzlich willkommen. Sie können uns durch Ihren
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Spendenkonto
Volksbank Überlingen e.G.
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Kontonummer 14 67 204
Möchten Sie Ihre Spende einem
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Zweck
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dann geben Sie es bei der Überweisung im Verwendungszweck an.
Die gemeinnützige Gesellschaft
»Gemeindepsychiatrisches Zentrum
Überlingen« ist als gemeinnützig im
Sinne der steuerlichen Vorschriften
anerkannt und deshalb berechtigt,
Spendenbescheingungen auszustellen.
GPZ Überlingen gGmbH
Obere Bahnhofstraße 18
88662 Überlingen
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Fax 07551 30118-99
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