Fon 07551 30118-0 Fax 07551 30118-99 [email protected] www.g-p-z.de Anders sein ist normal Sichtweisen SCHUTZGEBÜHR 5,00 € Obere Bahnhofstraße 18 88662 Überlingen Sichtweisen GPZ Überlingen gGmbH Sichtweisen Wir bieten Beschäftigung in den Bereichen ▪ Digital Service (ebaY-Agentur, Letter-Shop, Druckstudio) ▪ Garten- und Landschaftspflege ▪ Wäscherei mit Hauswirtschaft ▪ Küche ▪ Montage und Verpackung ▪ Metall Impressum Die Werkstatt der GPZ Überlingen gGmbH ist eine Einrichtung der beruflich-sozialen Rehabilitation und bietet Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen die Möglichkeit in verschiedenen Bereichen (wieder) am Arbeitsleben teilzunehmen. Die zentralen Ziele sind die Erhaltung bzw. Erhöhung der Leistungsfähigkeit, die psychische Stabilisierung, die berufliche und soziale Integration sowie eine sinnvolle Tagesstrukturierung durch Beschäftigung. Durch das kontinuierliche Angebot soll ein Umfeld geschaffen werden, in dem die Beschäftigten befähigt werden Krisensituationen zunehmend souveräner zu bewältigen und mit den Anforderungen des Arbeitslebens besser zurechtzukommen. GePetZt Sonderausgabe Oktober 2010 Layout & Satz Digital Service - GpZ Überlingen gGmbH 1. Auflage 2010 1000 Stück Fotos Alle Fotos sind mit Bezugsquelle und Namen der Fotografen gekennzeichnet, nicht gekennzeichnete Fotos sind im GpZ Überlingen entstanden. Herausgeber GpZ Überlingen gGmbH Obere Bahnhofstraße 18 88662 Überlingen Fon 07551 30118-0 Fax 07551 30118-99 [email protected] www.g-p-z.de GePetZt Geschäftsführung Ingo Kanngießer Autoren GePetZt-Redaktion; anonym Redaktionsleitung Yvonne Kauf Redaktionsanschrift GePetZt-Redaktion - GpZ Überlingen gGmbH Zum Degenhardt 12 88662 Überlingen Fon 07551 31118-31 [email protected] www.gepetzt.de hergestellt und gedruckt in Deutschland SPENDE Wenn Sie unsere zahlreichen Bemühungen mit ihrem Engagement unterstützen wollen, sind Sie herzlich willkommen. Sie können uns durch Ihren persönlichen Einsatz helfen oder indem Sie uns eine Geldspende zukommen lassen. Spendenkonto Volksbank Überlingen e.G. BLZ 690 618 00 Kontonummer 14 67 204 Möchten Sie Ihre Spende einem bestimmten Zweck zuordnen, dann geben Sie es bei der Überweisung im Verwendungszweck an. Die gemeinnützige Gesellschaft »Gemeindepsychiatrisches Zentrum Überlingen« ist als gemeinnützig im Sinne der steuerlichen Vorschriften anerkannt und deshalb berechtigt, Spendenbescheingungen auszustellen. GPZ Überlingen gGmbH Obere Bahnhofstraße 18 88662 Überlingen Fon 07551 30118-0 Fax 07551 30118-99 [email protected] www.g-p-z.de Sichtweisen Anders sein ist normal Foto: pixelio - Stephanie Hofschläger 2 Foto: pixelio - Stephanie Hofschläger | Inhalt Inhalt Inhalt 4 Einleitung 38 Depression 92 ICF 126 Psychiatrie 5 Vorwort 46 Doppeldiagnose 94 Inklusion 130 Qualitätsmanagement 6 Angst 50 Entstigmatisierung 96 Medikamente 132 Rehaeinrichtung 10 Arbeitswelt 54 Ergotherapie 101 Gedicht - Die Gedanken 136 Suizid 15 Gedicht - Verbundenheit 57 Gedicht - Die Blume 102 Opfer 140 Selbsthilfe 16 Ausgleichsabgabe 58 Essstörung 106 Psychose 142 Sucht 18 Borderline 63 Gedicht - Die Liebe und das Leben 110 Posttraumatische Belastungsstörung 146 Schicksal 26 Betreutes Wohnen 64 Gesundheit 116 Prävention 147 Tagesstätte 29 Gedicht - Die Armada und der Krieg 70 GpV 119 Psychiatrische Institutsambulanz 150 Zwang 30 Bipolare Störung 74 GpZ Überlingen gGmbH 120 Profiling 34 Burnout 88 Integration 125 Gedicht - Endlos weite, weite Welt wie Vorwort Foto: pixelio - Manfred Walker Seit etwa 3 Jahren erscheint im GpZ Überlingen regelmäßig ¼-jährlich unsere „GePetZt“-Zeitschrift. Ursprünglich als Hauszeitschrift mit wichtigen Termin-Ankündigungen und rückblickenden Berichten gedacht, entwickelte sich die „GePetZt“ zu einem umfassenden Allerlei verschiedenster Beiträge, Interviews und Berichte über Themen die Menschen beschäftigen und bewegen, aktuelle Geschehen, lyrische und philosophische Beiträge, Darstellungen verschiedener Krankheitsbilder, Reportagen über Menschen & Institutionen und vieles mehr. Das Redaktionsteam besteht aus vielen kreativen und journalistisch-interessierten Köpfen – alles Menschen, die in den Werkstattbereichen des GpZ tätig sind, oder „freien Hobby- Journalisten“. In einer unserer wöchentlichen Redaktions-Sitzungen entstand die Idee, diese und weitere Beiträge einmal gesammelt in einem Sonderheft herauszugeben. Herausgekommen ist die Ihnen nun vorliegende 160-Seiten-starke GePetZt-Sonderausgabe. Dabei stellte sich uns die Frage „Wie sollen die vielen verschiedenen Themenbereiche und Beiträge sinnvoll strukturiert und gebündelt werden?“. Da jedes Thema meist von mehreren Seiten beleuchtet wird, haben wir die Beiträge nach den wesentlichen Schlagwörtern geordnet. Häufig von Seiten der Betroffenen – den eigentlichen Fachleuten („Betroffene berichten“ - rot gekennzeichnet), aber auch von Angehörigen und Freunden („Nichtbetroffene berichten“ - blau gekennzeichnet). Das Ganze wurde durch fachliche Aspekte ergänzt („Fachleute berichten“ - orange gekennzeichnet). Bei den entstandenen Artikeln erheben wir selbstverständlich nicht den Anspruch auf Vollständigkeit und Rich- tigkeit der Aussagen, gleichfalls haben wir Namen entfernt oder ggf. geändert und die individuellen Meinungen nicht bewertet oder zensiert. „Warum macht ihr eigentlich dieses Heft?“ – wurde in den vergangenen Wochen oft gefragt. Mit diesem Heft (wie auch mit unserer ¼-jährlich erscheinenden GePetZt-Zeitschrift) verfolgen wir an oberster Stelle das Thema Entstigmatisierung. Wir haben den Wunsch nach einer aufgeklärten und inklusiven Gesellschaft und dem Verstehen und Respektieren der Menschen mit psychischen Erkrankungen. Denn „Sie lassen sich nicht uniformieren. Sie erlauben sich verrückte Gedanken. Sie sprengen starre Konventionen. Damit erweisen sie uns allen einen großen Dienst, denn sie halten die humane Temperatur einer Gesellschaft über dem Gefrierpunkt, indem sie ihr nicht nur ein menschliches Gesicht, sondern ganz viele unterschiedliche menschliche Gesichter geben.“ (Zitat: Dr. med. Manfred Lütz – Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Theologe und Bestseller-Autor - Irre! Wir behandeln die Falschen) Abschließend gilt ein besonderer Dank all jenen, die ihre fleißige Arbeit, ihre Gedanken und Gefühle, ihre offenen Meinungen und SICHTWEISEN in dieses Heft eingebracht haben – und den unzähligen Autoren und Interviewern, den Fachleuten und Gedichte-Schreibern, den Fotografen und Malern die ihre Bilder beigesteuert haben, wie auch dem restlichen Redaktions-Team für die begeisterte Unterstützung an diesem Projekt. Wir, das GePetZt-Team, freuen uns über neue Besucher auf www.gepetzt.de und über viele interessierte GePetZt –Leser. Das Thema psychische Gesundheit in der öffentlichen Diskussion und in der politischen Debatte gewinnt seit einigen Jahren nachhaltig an Bedeutung. In der Öffentlichkeit haben verschiedene Erklärungen, Studien und Reporte zu einer stärkeren Aufmerksamkeit gegenüber psychisch kranken Menschen beigetragen. Sie zeigen auch weiterhin Handlungsbedarfe auf. Die psychische Gesundheit der Bevölkerung ist inzwischen eine Zielsetzung vielfältiger gesundheitspolitischer Aktivitäten auf europäischer Ebene, des Bundes, der Länder und Kommunen, von Verbänden und Fachgesellschaften, Selbsthilfegruppen, Krankenkassen und anderen Akteuren im Gesundheitswesen. Mit den folgenden zusammenfassenden Ausführungen soll verdeutlicht werden, dass die weltweit durchgeführten Aktivitäten zur nachhaltigen Verbesserung der psychischen Gesundheit der Bürger strukturell miteinander vernetzt sind. Wir wollen nicht nur über den fachlichen Stand der Aktionen und Diskussionen informieren. Erste Erfahrungen der Antistigmabewegung zeigen, dass es die persönlichen Kontakte und Berichte sind, die menschliche Begegnung ist, die Vorurteile abbaut und einer Stigmatisierung entgegenwirkt. Daher wollen wir insbesondere die Betroffenen, die Psychiatrieerfahrenen „zu Worte“ kommen lassen. In der Hoffnung dass die fachlichen Inhalte durch diese Anreicherung mit „Menschlichkeit“ ihre besondere Wirkung entfalten können. Die hier vorliegende GepetZt-Sonderausgabe ist ein Teil einer mittel- bis langfristig angelegten weltweiten Kampagne und soll den Prozess in Deutschland gegen Diskriminierung und Stigmatisierung psychisch kranker Menschen weiter voran bringen. Wir erhoffen, uns mit dieser Sonderausgabe möglichst viele Bürger aus dem Bodenseekreis zu erreichen und bedanken uns bereits an dieser Stelle bei allen Menschen, die hierbei mitgeholfen haben, bei allen Menschen, die Interesse an diesem Thema haben, und bei allen Menschen, deren Haltung sich gegenüber psychisch kranken und seelisch behinderten Menschen positiv verändert hat. Betroffene berichten Einleitung v Fachleute berichten wie |5 Nichtbetroffene berichten Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 4| 6| |7 Fotograf: Esther Marggraff Hab´ keine Angst! wie Angst „Der kleine Drache Jonathan lebte, schon seit er denken konnte, einsam in einem Steinbruch. Dort gab es nichts außer Jonathans Felsenhöhle und einem kleinen Teich. Jonathan kannte nur Tag und Nacht. Sonne und Mond waren seine beiden einzigen Freunde. Ihnen hörte er begeistert zu, wenn sie ihm von ihren Reisen um die Welt erzählten. Eines Morgens kitzelten die Strahlen seiner Freundin der Sonne seine Nase, und der kleine Drache musste laut niesen. Er gähnte und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Dann begrüßte er lachend seine liebe Freundin ... Diesen Text hatte ich niedergeschrieben, nachdem ich bereits Tage zuvor krampfhaft versucht hatte, mir eine neue Geschichte aus den Fingern zu saugen. Sie ist bei einem Gespräch mit meiner Freundin entstanden, kurz nachdem ich aus der betreuten Frauen-Wohngemeinschaft in eine völlig „freie“ umgezogen war. Wenn ich ihn mir jetzt ,im Nachhinein, durchlese, wird mir gewahr, dass meine Betreuerinnen, Ärzte, Psychologen und Therapeuten bei mir die Diagnose „Borderline“ doch nicht ganz zu Unrecht gestellt haben. Die Panik, den Wunsch, dein Gegenüber kontrollieren zu können, ein Wechselbad der Gefühle, den Missbrauch der unterschiedlichsten Suchtmittel, das nahtlose Switchen von einem Extrem ins nächste, die Unzufriedenheit mit sich selbst, zugleich der (Irr-) Glaube an die eigene Überlegenheit, dabei das Chaos im Innern, die Narben auf der Haut – kannst du treffender beschreiben, was mich als „Borderlinerin“ auszeichnet? „Wer die Mitte findet, sieht das Ganze?“ (aus China) Dieses Zitat, das ich neulich auf einer Karte entdeckte, mmmhhh… Wie wäre es mit: Betroffene berichten schwestern haben ihre Approbation bei Ikea erstanden und könnten zu ihrer Verteidigung den Vorwand bringen, dass Ikea mit einem Slogan wirbt, der einem die Freiheit gibt, zu tun und zu lassen, was man will. Die Tatsache, dass andere dabei zu Schaden kommen könnten, wäre ein, von ihrem Standpunkt aus gesehen, durchaus vertretbarer Faktor. In diesem Sinne: Sie müssen lernen, Konflikte zu benennen, mit ihnen umzugehen, sie schlichtweg zu Handhaben. Macht dann alles in allem 320.-€!“ Seitdem hat Aldi nicht nur inTräumen bis 20:00H geöffnet. Schweißgeschuppt erwachte unser kleiner Drache aus diesem persönlichkeitsfördernden Traum und lugte aus seiner Felsenhöhle, um erfreut festzustellen, dass er nicht gefangen war durch Zäune und fühlte sich nun mutig und emotional stabil für die unbekannte Welt da draußen. |9 „Wer seine Mitte findet, sieht das Ganze“? Fachleute berichten ... Doch diese hatte heute keine Geschichte für ihn. Stattdessen fragte sie ihn : „He, kleiner Drache, möchtest du mich nicht einmal auf eine meiner Reisen begleiten ? Jonathan wurde verlegen und antwortete: „Liebend gern würde ich das… Aber ich habe Angst vor der Welt da draußen. Und Angst, meine kleine Heimat zu verlassen. „Jonathan denkst du nicht, dass das weniger deine Heimat als dein Gefängnis ist?“ Der Mond schien silbern.... Doch Jonathan konnte in dieser Nacht einfach nicht einschlafen. Die Worte der Sonne schwirrten pausenlos durch seine Gedanken. Schließlich fielen ihm doch die Augen zu. Allerdings hatte er keinen ruhigen Schlaf, wie sonst immer in solch sternenklaren Nächten. Er träumte. In seinem Traum war der Eingang seiner kleinen Höhle von Gitterstäben umgrenzt. Er wollte laut um Hilfe rufen. Also schrie er: „Was soll der Mist? So kann ich doch nicht zu Aldi, und die haben nur bis 18h geöffnet, da kann ich gar nicht Head and Shoulder für meine Schuppen kaufen. Außerdem wollte ich mir morgen zu Mittag endlich mal wieder einen Tomaten-Mozzarella-Salat machen!“ Er schrieb einen Beschwerdebrief an sämtliche Geschäftsstellen und Ämter im Umkreis von 30km, den seine Freundin, die Sonne überbringen musste. Da diese mit einem neuartigen Navigationssystem namens Gabi K. ausgestattet war, erreichte sie auch in Blitzesschnelle ihr Ziel. Der Geschäftsführer der Aw..., ich meine natürlich des Aldi-Konzerns war erschüttert. Der Drache drohte ihm, die Sache vor Gericht und an die Öffentlichkeit zu bringen. Wie sollte er nunmehr mit der Situation umgehen? Schließlich war nicht er für das missglückte Mittagessen und die Gitterstäbe vor der Höhle des Drachen verantwortlich; sondern der berühmt berüchtigte Clan der beiden Psychopathenschwestern: Dennoch schrieb er Jonathan einen rührseligen Entschuldigungsbrief, der mit den Worten endete, die da lauten: „Das ist eine Form von subtiler Gewalt, Machtmissbrauch. An diesem Thema sollten wir dran bleiben... Können wir das für´s Erste so stehen lassen? Wie fühlen sie sich dabei? Ich denke, wir werden die entscheidenden Schritte einleiten, doch die beiden Psychopathen- Angst Und er lebte psychosenfrei bis ans Ende seiner schuppigen Tage.“ Mondflamme Nichtbetroffene berichten Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 8| Die Angststörung Viele Menschen in Deutschland leiden an einer Angststörung. Dabei wird zwischen verschiedenen Angststörungen unterschieden. Die häufigsten sind zum Beispiel die Panikstörung, die generalisierte Angststörung, die soziale Phobie und die Agoraphobie (Platzangst). Von den Menschen in Deutschland leiden circa 2-3% an der Panikstörung. Circa 4-6% der Menschen leiden unter der generalisierten Angststörung und sogar circa 13% der Menschen leiden an einer sozialen Phobie. Von Platzangst (Agoraphobie) sind circa 5% der Menschen betroffen. Quelle: www.neurologen-und-psychiater-im-netz.de Fotograf:Bastian Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 10 | | 11 wie Arbeitswelt Uns geht die Arbeit aus! In unserem neuen Jahrhundert, so die These, würden 20 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung ausreichen, um die Wirtschaft auf dem heutigen Stand in Schwung zu halten. 80 Prozent der so genannten erwerbsfähigen Bevölkerung blieben demzufolge ohne Job. Rationalisierung, Automatisierung und Flexibilisierung von Arbeitsabläufen führen also dazu, dass uns die Arbeit ausgeht. „Geht uns die Arbeit aus?“: Die Frage ist falsch gestellt. Wenn befürchtet wird, uns gehe die Arbeit aus, ist damit allein die bezahlte Arbeit gemeint; die Betrachtung erfolgt ausschließlich vor dem Hintergrund der Erwerbsgesellschaft industriell geprägten Typs. Denn zu arbeiten gibt es mehr als genug: in Erziehung und Ausbildung, in Haus und Garten, im öffentlichen Raum oder für gesellschaftliche und gemeinschaftliche Belange. Das Problem besteht also nicht darin, dass uns die Arbeit ausgeht, sondern wie sie organisiert und bezahlt werden kann. Anders als in vergangenen Zeiten ist Arbeit heute für fast alle Menschen mehr als der Zwang zur Existenzsicherung. Arbeit ermöglicht Selbstbestimmung und sie vermittelt soziale Anerkennung. So wollen selbst jene arbeiten, die es finanziell nicht nötig hätten. Die meiste Ehre erfährt, wer ein Lebenswerk geschaffen, also Lebenszeit mit Arbeit verbracht und etwas hinterlassen hat. Das Gegenteil von Arbeit heißt nicht länger Muße, sondern: andere Arten der Beschäftigung. Arbeitsplatzabbau wird durch wachsenden Dienstleistungssektor wettgemacht Die gegenläufige Annahme lautet: Die Beschäftigung wächst aufgrund der massiven Ausweitung des Dienstleistungssektors in der Informationsgesellschaft an, was den Verlust von Arbeitsplätzen weitgehend ausgleichen kann. Allerdings lassen sich die Muster der Schaffung von Arbeitsplätzen in der Informationsgesellschaft nur schwer abbilden und quantifizieren. Arbeitsplätze, die mit den neuen Informationstechnologien geschaffen werden, sind durch diese immer auch gefährdet. Sind die Mitarbeiter der CallCenter von heute die Arbeitslosen von morgen? Qualifikations- und Kompetenzlücken im Umgestaltungsprozess Jedes Jahr verschwinden durchschnittlich über 10 Prozent aller Arbeitsplätze. Sie werden durch andere Arbeitsplätze in Verbindung mit neuen Arbeitsprozessen in neuen Unternehmen ersetzt, die neue, bessere oder umfassendere Qualifikationen voraussetzen. Ein wesentlich geringeres Tempo wird auf der Angebotsseite, bei der Vermittlung neuer Kompetenzen eingeschlagen. Dies führt zu einem „Arbeitsmarkt mit zwei Geschwindigkeiten“, mit einem Überangebot an überholten Fertigkeiten einerseits und Engpässen bei den neuen Kompetenzen andererseits. Die Herausforderung liegt in der Schließung dieser Qualifikationslücke. Globalisierung führt zu Lohnspreizung und Arbeitsmarktdifferenzierung Globalisierung ist die Umschreibung für eine neue, höhere Form der internationalen Arbeitsteiligkeit und für eine international grenzenlos mobile Wirtschaft. Damit setzt sie Einfacharbeitsplätze einem starken Anpassungsdruck aus und erfordert Investitionen in Innovationsbereichen. Wenn auch künftig alle Arbeitsfähigen beschäftigt sein wollen, führt diese Entwicklung der Erwerbsarbeit also zu einer weiteren Spreizung zwischen qualitativ höheren und besser bezahlten sowie qualitativ niedrigeren und schlechter bezahlten Arbeitsplätzen. Konflikt zwischen Technologieentwicklung und Beschäftigung Es besteht ein unauflöslicher Konflikt zwischen technologischer Modernisierung, die Arbeitskräfte freisetzt, und Arbeitsmarktpolitik, die Vollbeschäftigung (bei Vermeidung von größerer Ungleichheit) anstrebt. Vom Arbeitnehmer zur Ich-AG Internationaler Wettbewerb, Globalisierung der Märkte und die dynamischen Veränderungen in den Bereichen Wissen und Information erfordern ein grundlegend neues Verständnis der Rolle und des Selbstverständnisses der Beschäftigten im Arbeits- und Produktionsprozess. Mit steigenden Kompetenz-, Flexibilitäts- und Mobilitätsanforderungen wird der moderne Mitarbeiter stärkere Eigenverantwortung übernehmen müssen. Er muss stets und überall für neue Aufgaben zur Disposition stehen. Alle, nicht nur die hochquali- fizierten Wissensarbeiter, sind aufgefordert, sich als „Ich-AG“ zu verstehen. Flexibilität im Berufsprofil, in der Erwerbsbiografie, im Arbeitsrhythmus und in den Unternehmen Arbeitsplatz und -ort, möglicherweise sogar das Berufsprofil mehrfach im Lauf des Lebens zu wechseln, wird für die meisten Beschäftigten künftig eher die Regel sein. Phasen von Erwerbstätigkeit werden von solchen der zeitweisen Erwerbslosigkeit - ggf. für Fortbildung, Erholung, Rehabilitation, … - unterbrochen. Know-how und Qualifikationsniveau erneuern sich rasch. Lebenslanges Lernen wird zur Notwendigkeit. Um flexibel zu bleiben, beschäftigen Unternehmen immer kleinere Kernbelegschaften; projektbezogen werden diese um Randbelegschaften und Spezialisten ergänzt. Die neue Flexibilität schließt den Einsatz von Teilzeitarbeit, Zeitarbeit, befristeten Arbeitsverträgen, Telearbeit und generell neuen Formen der Arbeitsbeziehungen ein. Die künftige Arbeitswelt wird in einer Weise organisiert sein, in der die Grenzen zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit, zwischen Arbeit und Lernen sowie Arbeit und Freizeit nicht mehr so klar sind wie bisher. Die Freizeit des einen wird die Arbeitszeit des anderen in Anspruch nehmen. Zeit ist Geld - die sozialen Muster in der neuen Arbeitswelt • Viel Arbeit, viel Geld und wenig Zeit Meistens fehlt einfach der Mut darüber zu sprechen Eine Betroffene spricht über Ausgleichsabgaben, ihre Behinderung und ihre Erfahrung in der Arbeitswelt Auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz habe ich immer wieder nach Möglichkeiten gesucht, wie ich meine 50% Behinderung gut verkaufen kann. Dabei bin ich auf das Gesetz des neunten Sozialgesetzbuch SGB IX Teil 2 Kapitel 2 gestoßen. Darin geht es um die Beschäftigungspflicht von schwerbehinderten Menschen. Genau bedeutet dies, dass ein Betrieb ab einer Größe von 20 Mitarbeitern, 5% der Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Mitarbeitern besetzen sollte. Ansonsten ist der Betrieb dazu verpflichtet, eine Ausgleichsabgabe zu zahlen. Diese ist: 105 Euro, wenn die Beschäftigungsquote ab 3% bis unter 5% liegt. Ab 2% bis unter 3% sind dies 180 € pro Monat und bei unter 2% sogar 260 €. Es gibt noch eine Alternative um der Zahlungspflicht zu entgehen. Nämlich, indem die Firmen Aufträge an Werkstätten für behinderte Menschen oder deren Zusammenschlüsse erteilen. Beim Herumfragen im Freundeskreis, habe ich immer mal wieder gehört, dass lieber die Ausgleichsabgabe gezahlt wird, anstatt ein Risiko einzugehen. Ich verstehe das, doch was bedeutet das für mich? Es ist also an der Zeit, einige Arbeitgeber davon zu überzeugen, dass es sich sehr wohl lohnt: Ein Argument ist der unabhängige Integrationsfachdienst, der meine Rechte und die des Arbeitgebers berücksichtigt. Sollten irgendwelche Schwierigkeiten entstehen, versucht dieser zu vermitteln. Dadurch habe ich mich getraut, zu sagen, dass sechs Arbeitsstunden für mich ideal sind. Eine Stabilität meiner psychischen Erkrankung ist dadurch auch eher gewährleistet. Durch unterschiedliche Praktika ist mir außerdem klar geworden, dass der Arbeitgeber nichts über meine Erkrankung wissen muss, welche Diagnose und Symptome ich hatte oder habe. Es ist völlig ausreichend zu erzählen, dass ich soweit wieder belastbar bin. Im Endeffekt gibt es natürlich viele Vorurteile über psychische Erkrankungen und die Betroffenen sind die Einzigen, die dies verändern können. Es verlangt bestimmt niemand von mir, dass ich die privatesten Dinge erzähle. Doch wenn ich die Bereitschaft zeige über die Symptome zu sprechen und Fragen beantworte, kann ich viel bewegen. Meine Erfahrung ist auch, dass doch fast jeder mit psychischen Erkrankungen in Kontakt kam oder etwas gehört hat. Am Ende fehlt meistens einfach der Mut darüber zu sprechen. ... und das sagt der Arbeitgeber! Wir haben Überlinger Arbeitgeber nach ihrer Meinung über die Einstellung von psychisch Erkrankten Menschen gefragt Bildquelle: www.pixelio.de „Wir haben mit Strom zu tun und das ist eine gefährliche Sache. Uns ist das Risiko zu groß, wenn derjenige nicht voll konzentriert ist und einen Stromschlag bekommt, tragen wir die Folgeschäden. Im kaufmännischen Bereich wäre das möglich, wenn wir genügend Arbeit hätten.“ „Es ist sehr schwierig. Auf der einen Seite ist es wichtig Schwerbehinderte einzustellen, auf der anderen Seite ist es ungerecht den nicht behinderten Angestellten gegenüber. Denn man wird Schwerbehinderte schwer wieder los. Außerdem muss man immer Angst vor Ausfällen und Krankheit haben, zum Beispiel eine Heulsuse kann ich nicht brauchen. Es ist immer ein Abenteuer jemand einzustellen, den man nicht kennt. Wenn das im Allgemeinen überhaupt mal vorkommt, dann kennt man denjenigen über jemand Bekannten.“ Betroffene berichten bedürfnissen Vorschub leisten. Die traditionelle Trennung von Berufs- und Privatleben ist ihnen unbekannt; mit der umfassenden Ausbreitung des Internets und der Telekommunikationsmedien können sie jederzeit an jedem Ort arbeiten. Fachleute berichten fenbar nicht brauchten.“ Offensichtlich wussten sie etwas mit dem Rest des Tages anzufangen, was sie zufriedenstellte, oder sie wussten nicht, was sie mit mehr Geld tun sollten. Das ist heute anders. Für höhere Löhne wird schnellere und effektivere Arbeit verlangt. Für mehr Lohn wird länger gearbeitet. „...die immens gewachsene Arbeitsproduktivität (hat) unser ganzes Leben unwiderruflich durchdrungen. (...) In dem Glauben, dass Geld Zeit überwiegt, folgen wir längst dem Ticken eines inneren Zeitmaßes, das sich im Tempo unserer Produktivität beschleunigt und aus dessen Gehäuse wir nicht mehr entkommen können.“ Im Erwerbsleben gilt: damit sich der Einsatz teurer Maschinen und teurer, hochqualifizierter Arbeitskräfte lohnt, muss der Produktionsprozess beschleunigt, die Produktivität erhöht werden. Der Takt der Arbeit strukturiert auch die Freizeit mit ihren Angeboten für Fitness, Wellness, Kultur etc. Als fester Glaube gilt, nur wer daran teilnehme, könne auch im Arbeitsleben bestehen. Der Rohstoff der Zukunft heißt Information. Ihn verarbeiten die so genannten Wissensarbeiter, die als Ausführende oder Kreative einem neuen Arbeitsstil, neuen Zeitmustern und Lebens- | 13 Nichtbetroffene berichten • wenig Arbeit, wenig Geld und viel Zeit • keine Arbeit aber Zeit im Überfluss Den Takt für Arbeits- und Freizeit, ja für die gesamte Lebenszeit, gibt heute ausschließlich die Erwerbsarbeit vor. Unsere früheren Zeitrhythmen z.B. in der Landwirtschaft oder im Handwerk, auch die Zeitrhythmen des kirchlichen Kalendariums, die andere Rhythmen als die gleichförmige Erwerbsarbeit vorgeben, sind verloren gegangen. In dem Artikel „Von der Sehnsucht, die Uhr zu besiegen“ (FAZ vom 2.1.1999) berichtet Dirk Schümer von einem Problem, vor dem Mitte des 18. Jh. britische Großgrundbesitzer standen, die in neue Techniken für Aussaat und Ernte investiert hatten: „Um die wachsenden Großstadtmärkte der keimenden Industriekultur mit Nahrungsmitteln beliefern zu können, führte man für Landarbeiter einen erhöhten Rekordlohn während der Erntezeit ein. Doch der Effekt war anders als erhofft. Anstatt nun mit modernsten Sensen und Garbenbindern bis in die Nacht zu ernten, machten die Tagelöhner schon am Mittag Feierabend. Sie hatten ihren hergebrachten Tagesverdienst beisammen und ließen darum die Ernte liegen, anstatt sich für Geld krummzulegen, das sie of- Arbeitswelt Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 12 | Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 14 | | 15 Verbundenheit „Bei uns im Job muss man gesund und fit sein, manchmal bis zu 14 Stunden am Tag. Sonntags wird gearbeitet, also man muss sehr belastbar sein. Wenn man ständig oder kaum kann, das geht einfach nicht. Also ich tendiere dazu „nein“ zu sagen.“ „Bei uns im Unternehmen ist das etwas schwierig. Wenn derjenige rehabilitiert ist, würde ich ihn einstellen. Das ist allerdings in den letzten 40 Jahren noch nicht vorgekommen.“ „Generell ist das kein Problem, wenn die fachliche Kompetenz stimmt. Also wenn jemand für den Beruf qualifiziert ist und der ständige Kundenkontakt ihm Freude bereitet, dann ist das kein Problem.“ „Ich würde allgemein niemand einstellen, egal ob psychisch krank oder gesund. Denn man muss Ahnung vom Geschäft haben und bis ich jemand eingelernt habe, vergeht zu viel Zeit.“ „Auf dem Dach ist es, egal ob psychische oder körperliche Behinderung, unmöglich so jemanden einzustellen. Wenn die Person etwas neben sich steht, braucht man einen anderen, der auf ihn aufpasst.“ Dein innerstes Band knüpft mit meinem einen Bund der Freundschaft Mein Leben nach und ohne GpZ Mit einem lachenden und auch einem weinenden Auge habe ich Ende Juni das GpZ verlassen – nach 3 Jahren. In dieser Zeit konnte ich mich gut stabilisieren, habe viele neue Freunde gewonnen und auch viele neue Sachen gelernt. Es war eine tolle Erfahrung. Es gab zwar so manch kleineren Rückschlag, aber durch die 2 Praktika, die ich während meiner GpZ-Zeit gemacht hatte, habe ich Mut gefasst. Ich habe es im Juli gewagt... ich habe den Schritt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt „da draußen“ gemacht. Um langsam wieder anzufangen habe ich mit einem 400-Euro-Job angefangen. „Aller Anfang ist schwer“ – diese Weisheit hat sich auch bewahrheitet. Ich hatte bereits in der Einarbeitungszeit Schwierigkeiten mit der Konzentration. Das Gefühl, überhaupt kein Gedächtnis zu haben und mit allem überfordert zu sein, war stark. Doch schon nach 2 Wochen ging die Arbeit leicht von der Hand, ich konnte meine Schichten ganz alleine bewältigen – und es fing an, richtig Spaß zu machen. Inzwischen sind schon 2 Monate rum. Und ich fühle mich ein wenig wie ein „alter Hase“ bei meiner Arbeit. Es läuft gut und ich glaube die Chefin ist auch zufrieden mit mir. Nie hätte ich geglaubt, dass ich noch mal so gut Fuß fassen kann. Ich war sehr pessimistisch, traute mir nichts zu und hatte Angst. Aber all diese Gefühle sind inzwischen ins Gegenteil umgekehrt. Ich weiß, dass ich es schaffe, ich weiß, dass ich es kann und ich bin mir sicher, dass ich durchhalten kann. Es ist ein großer Schritt gewesen und ich wünsche allen GpZ-lern, dass sie irgendwann mal genauso erfolgreich wie ich das Leben „da draußen“ meistern werden. Goldene Fäden blitzen hindurch Es trägt uns beide ein Stücken unseres Weges voran Lass sie weiter sich Umwinden wie in einem luftigen Tänzchen Kasandra Febr. 96 Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 16 | | 17 wie Ausgleichsabgabe Solange Arbeitgeber die vorgeschriebene Zahl von schwerbehinderten Menschen nicht beschäftigen (Beschäftigungspflicht, § 71 SGB IX), haben sie für jeden unbesetzten Pflichtplatz eine Ausgleichsabgabe zu entrichten (§ 77 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die Höhe der Ausgleichsabgabe beträgt je Monat und unbesetztem Pflichtplatz: • 105 Euro bei einer Beschäftigungsquote von 3% bis weniger als 5% • 180 Euro bei einer Beschäftigungsquote von 2% bis weniger als 3% • 260 Euro bei einer Beschäftigungsquote von weniger als 2% Erleichterungen für kleinere Betriebe und Dienststellen: Arbeitgeber mit • jahresdurchschnittlich weniger als 40 Arbeitsplätzen müssen einen schwerbehinderten Menschen beschäftigen; sie zahlen je Monat 105 Euro, wenn sie diesen Pflichtplatz nicht besetzen; • jahresdurchschnittlich weniger als 60 Arbeitsplätzen müssen 2 Pflichtplätze besetzen; sie zahlen 105 Euro, wenn sie weniger als 2 Pflichtarbeitsplätze besetzen, und 180 Euro, wenn weniger als 1 Pflichtarbeitsplatz besetzt ist. Erhebung der Ausgleichsabgabe: Zuständig ist das Integrationsamt (§ 102 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX), ebenso für die Verwendung. Ausgenommen davon sind bestimmte Verwendungen • im Rahmen des Ausgleichsfonds, für den das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zuständig ist, und • zur Förderung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen, die von den Agenturen für Arbeit wahrgenommen wird (§ 104 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX i.V. m. SGB III). Die Verpflichtung zur Zahlung einer Ausgleichsabgabe gilt sowohl für die privaten Arbeitgeber als auch für die Arbeitgeber der öffentlichen Hand. Das Gesetz berücksichtigt nicht, aus welchen Gründen der Arbeitgeber seiner Beschäftigungspflicht nicht nachgekommen ist, ob er daran ein Verschulden trägt oder nicht. Dieser kann sich also z. B. nicht darauf berufen, dass ihm die Agentur für Arbeit keinen schwerbehinderten Mitarbeiter vermitteln konnte. Folglich gibt es auch nach dem Gesetz keine Möglichkeit zum Erlass oder zur Ermäßigung der Ausgleichs- Foto: pixelio - duxschulz abgabe. Das gesetzgeberische Motiv für diese Regelung ist, dass jeder Arbeitgeber verpflichtet sein soll, einen Beitrag zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben zu leisten. Primär soll er dies dadurch tun, dass er einen bestimmten Prozentsatz seiner Arbeitsplätze für die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen zur Verfügung stellt, in zweiter Linie dadurch, dass er als Ausgleich einen bestimmten Geldbetrag zur Förderung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen leistet. Die Zahlung der Ausgleichsabgabe ist dabei jedoch kein Ersatz für die Erfüllung der Beschäftigungspflicht, worauf in § 77 Abs. 1 Satz 2 SGB IX ausdrücklich hingewiesen wird. Die Ausgleichsabgabe soll in erster Linie einen kostenmäßigen Ausgleich gegenüber den Arbeitgebern schaffen, die ihre Beschäftigungspflicht erfüllen und denen daraus, z. B. durch den gesetzlichen Zusatzurlaub und die behinderungsgerechte Ausstattung des Arbeitsplatzes mit technischen Arbeitshilfen, erhöhte Kosten entstehen (sog. Ausgleichsfunktion).Darüber hinaus soll die Ausgleichsabgabe Arbeitgeber anhalten, ihre Beschäftigungspflicht zu erfüllen (sog. Antriebsfunktion). Die vom Arbeitgeber selbst zu errechnende Ausgleichsabgabe ist in einer Summe bis spätestens 31.03. für das vorangegangene Jahr an das Integrationsamt zu entrichten. Foto: pixelio - M. Gro-mann Die Ausgleichsabgabe ist aufgrund einer jahresdurchschnittlichen Beschäftigungsquote zu ermitteln (§ 77 Abs. 1 Satz 3 SGB IX). Anrechnung von Aufträgen an Werkstätten für behinderte Menschen Arbeitgeber, die zur Ausgleichsabgabe verpflichtet sind, können ihre Zahlungspflicht ganz oder teilweise auch dadurch erfüllen, dass sie anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen oder Blindenwerkstätten Aufträge erteilen. 50% der in den Aufträgen enthaltenen Arbeitsleistung kann an der zu zahlenden Ausgleichsabgabe abgesetzt werden (§ 140 SGB IX). Die Höhe der Arbeitsleistung und das Vorliegen der Anrechnungsvoraussetzungen werden auf jeder Rechnung von der Werkstatt ausgewiesen. Die Anrechnung kann nur innerhalb des Jahres erfolgen, in dem die Verpflichtung zur Zahlung der Ausgleichsabgabe entsteht. Da Aufträge zum Teil erst im Folgejahr in Rechnung gestellt und bezahlt werden, werden auch noch die bis zum 31.03. des Folgejahres beglichenen Beträge berücksichtigt. Nicht vorsteuerabzugsberechtigte Arbeitgeber können die Arbeitsleistung um den Mehrwertsteuersatz erhöhen. Das aktuelle Werkstättenverzeichnis der anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen mit ihrem Fertigungsprogramm sowie der Blindenwerkstätten findet sich im Internet unter www.arbeitsagentur.de (Suchbegriff: Werkstättenverzeichnis) oder unter www.rehadat.de (Datenbank: Werkstätten). 18 | | 19 wie Borderline Wenn Grenzen verschwimmen Borderline - Persönlichkeitsstörung (abgekürzt BPS) oder emotional instabile Persönlichkeitsstörung ist die Bezeichnung für eine Persönlichkeitsstörung, die durch Impulsivität, schwarz-weißDenken und Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, Stimmung und Selbstbild gekennzeichnet ist. Bei einer solchen Störung sind bestimmte Bereiche von Gefühlen, des Denkens und des Handelns beeinträchtigt, was sich durch negatives und teilweise widersprüchliches wirkendes Verhalten in zwischenmenschlichen Beziehungen sowie im gestörten Verhältnis zu sich selbst äußert. Fotograf: Ralf Stockmann Verlauf Über den Langzeitverlauf und die Folgen der BPS konnte bisher nur wenig in Erfahrung gebracht werden. Ein möglicher Grund dafür könnte sein, dass die aktuelle Definition der BPS erst seit 1980 gibt. Ein besonderes Problem stellen außerdem die häufigen und verschiedenen Komorbiditäten (zur Grunderkrankung zusätzliche Erkrankungen) dar, welche die Verläufe negativ beeinflussen. Weibliche BPS-Patienten zeigten im mittelfristigen Verlauf eine geringere Symptomatik, dabei aber wesentlich stärkere kurzfristige Durchbrüche. Langfristig, so um die 20 Jahre, war der Zustand schlechter als bei Beginn der Aufzeich- Klassifizierung nach DSM-IV Im DSM-IV, dem Klassifikationssystem der American Psychiatric Association, wird die Borderline - Persönlichkeitsstörung definiert: Ein tiefgreifendes Muster von Instabilität in den zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten sowie deutliche Impulsivität. Der Beginn liegt oftmals im frühen Erwachsenenalter bzw. in der Pubertät und manifestiert sich in verschiedenen Lebensbereichen. bis ins hohe Alter verfolgen. Daher gibt es kein gesichertes Wissen zu diesem Punkt. Ursachen Es gibt viele verschiedene Theorien wie BPS entsteht. Und es gibt genauso viele Faktoren die in Betracht gezogen werden. Die meisten Wissenschaftler gehen davon aus, dass mehrere Faktoren zur Entstehung beitragen. Mögliche Faktoren wären z. B. die genetische Veranlagung, inwieweit aber Persöhnlichkeitsmerkmale vererbt werden bleibt offen. Weiter zählen Umwelteinflüsse zu den möglichen Faktoren. Man ist sich sicher, dass wesentliche Grundsteine der BPS schon in der frühen Kindheit gelegt werden. Ungünstige Umweltbedingungen im Kindesalter wie sexueller Missbrauch, Vernachlässigung und Gewalterfahrungen tragen zur Entwicklung der Borderline-Persönlichkeitsstörung bei. Als besonders typisch für das Entstehen einer BPS werden zwei Typen von Familien gesehen, wobei es auch Mischformen gibt: Zum einen so genannte „chaotisch-instabile Familien“ und zum anderen „vernachlässigende und emotional missbrauchende Familien“. Chaotisch-instabile Familien sind geprägt durch ständige Ehekrisen und Streite innerhalb der Familie, impulsive Szenarios, Alkohol oder Sucht und Kinder als Sündenbock. Der andere Familientyp ist geprägt durch Gefühlskälte gegenüber dem Kind, Demoralisierung, Vernachlässigung, frühe Trennung der Eltern, lange Phasen des Alleinseins und depressive Erkrankungen der Eltern. Einige Psychologen halten es für möglich, dass sich unberechenbare Elternteile ähnlich auswirken können wie emotionale Vernachlässigungen und Misshandlungen und so eine BPS in der Entstehung fördern können. Ein weiterer Punkt ist, dass BPS innerhalb von Familien gehäuft vorkommen, weshalb manche Forscher vermuten, dass sich die Symptomatiken durch das Verhalten übertragen könnten. Demnach können sich die Impulse von Eltern mit BPS negativ auf ihre Kinder auswirken, die dadurch ähnliche Schäden erleiden. Allerdings kann man dabei nicht alle Eltern mit BPS in dieselbe Kategorie ordnen, da das Verhalten ihren Kindern gegenüber von Familie zu Familie unterschiedlich ist. Und genau wie bei der Frage von genetischen Komponenten gibt es auch hierzu keine soliden Erkenntnisse. Betroffene berichten nungen. Dies wird oft in Verbindung mit dem Verlust von Angehörigen gebracht. Die männlichen Patienten unterschieden sich in zwei Dingen von den weiblichen. Die männlichen Teilnehmer verweigerten oft, gegen den Ärztlichen Rat, weitere Behandlungen, und zweitens war ihr langfristiger Verlauf erstaunlich gut. Insbesondere betraf das berufliche Karriere, Beziehungen, Ehe und gesellschaftliche Aktivität, darüber hinaus entwickelten sie individuelle Unterstützungssysteme für sich. Allerdings sind diese Ergebnisse nicht allgemeingültig. Als Faktoren, die das Ergebnis beeinflussen, wird angegeben, dass die BPS bei den männlichen Patienten zwar gleich schwer waren, aber vermutlich nur bestimmte Typen männlicher Patienten in die Studie aufgenommen wurden, da männliche Betroffene z. B. eher im Gefängnis, aber seltener, in Kliniken landen. Außerdem war die damalige gesellschaftliche Situation der Frauen genau in solchen Punkten erschwert, die sich auf die Kernproblematik der BPS auswirken, wie z. B. gesellschaftlicher Zwang zur Heirat und eine untergeordnete Rolle in Beziehungen. Negativen Einfluss auf den Verlauf haben auch inkonsequent behandelte Sucht, magische Denkweise, schlechte Aggressionskontrolle, schwere Komorbiditäten aber auch Armut und körperliche Krankheit. Es gibt aber auch positive Faktoren wie z. B. starke Selbstdisziplin und künstlerisches Talent. Bei älteren Menschen sehen einige Psychologen ähnliche Raten wie bei Jungen, wobei sich die typischen Symptomatiken im Alter abschwächen und sich zu unscheinbareren Problemen hin verlagern, bis hin zu schweren Depressionen. Bisher liegen aber noch keine Langzeituntersuchungen vor, welche die Entwicklung von BPS-Patienten | 21 Eine sichere Erkenntnis ist aber, dass es auch viele Borderline-Betroffene gibt, die aus völlig intakten Familien kommen und deren Eltern fürsorglich und vorbildlich handeln. Verhaltensmuster bei Borderline BPS-Patienten weisen Denkmuster auf die man als „schwarz-weiß“-Denken bezeichnet. Es fällt Ihnen schwer, von emotional bedeutenden Menschen eine konstante Vorstellung zu behalten. Auch das Selbstbild wechselt zwischen Minderwertigkeit und „Größenwahn“. BPS-Betroffene sind aber auch in der Lage „normal“ zu denken. In ganz schweren Fällen tritt das sogenannte „magische Denken“ auf. Hier glaubt die Person dass durch Ihre Gedanken, Handlungen und Worte bestimmte Ereignisse hervorrufen oder verhindern können. Im Umgang mit anderen Menschen fällt es den Betroffenen schwer Nähe und Distanz zu kontrollieren. So kann es dann auch passieren dass der Betroffene unbewusst jemanden kränkt, was dann auch als eine Form von Autoaggression angesehen werden kann. Betroffene leiden aber auch allgemein unter stark ausgeprägten Ängsten, die sich auf jeden Inhalt beziehen können. Die Ängste sind nicht immer durchgängig vorhanden. Und es gibt verschiedenste Arten dieser Gefühle. Es können generalisierte Ängste sein, aber auch isolierte Fachleute berichten Die BPS wird sehr häufig von weiteren Belastungen begleitet, darunter die sog. „Unterbrechung der normalen Funktionen des Bewusstseins“, z.B. Verlust an wichtige Erinnerungen. Begleitend hinzu kommen Depressionen sowie verschiedene Formen von selbstverletzendem Verhalten (SVV). Die Störung tritt häufig zusammen mit anderen Persönlichkeitsstörungen auf. Die Bezeichnung Borderline bedeutet so viel wie „Grenzlinie“ bzw. grenzwertig. Ein Grund könnte in der Ansiedlung der Störung, nämlich im Grenzbereich zwischen den neurotischen Störungen (z.B. unbewusste Konflikte) und den psychotischen Störungen (z.B. zeitweiliger Verlust des Realitätsbezugs) sein. Es lassen sich Symptome aus beiden Bereichen identifizieren. Seit den Arbeiten von Otto F. Kernberg ist der Begriff keine „Verlegenheitsdiagnose“ mehr, sondern als ein eigenes Krankheitsbild anerkannt. Manche Wissenschaftler fordern dennoch die Aufgabe des Begriffs, da er eigentlich keine Persönlichkeitsstörung, sondern in der Gesamtheit der Diagnosen nur die Probleme bezeichne. Die Frage der Einordnung ist ein zentrales Thema, zu dem es, ebenso wie zur Frage der Ursachen, bisher keine gemeinsame Meinung gibt. Nach verschiedenen Angaben sind ein bis zwei Prozent der Menschen betroffen, manche Autoren und Psychologen schätzen die Zahlen geringfügig höher. Dabei variieren die Schweregrade, was eine genaue Angabe der Häufigkeit unscharf macht. Die BPS wird zu 70 bis 75 Prozent bei weiblichen Patienten diagnostiziert. Die hohe Zahl der weiblichen Patienten könnte daran liegen das männliche Patienten gegen den Ärztlichen Rat weitere Behandlungen ablehnen. Borderline Nichtbetroffene berichten Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 20 | Borderline Nichtbetroffene berichten bestimmten Fällen werden die Herkunftsfamilie und/oder die aktuelle Kernfamilie des Patienten einbezogen. Darüber hinaus kann auch eine begleitende Familientherapie die Einzeltherapie unterstützen, gleiches gilt für Paartherapien. Medikation Pharmakologische Behandlungen bei der BPS orientieren sich vorrangig an den einzelnen Symptomen, die für Beschwerden sorgen. Dabei gibt es eine relativ große Bandbreite an Mitteln, die zur Verfügung stehen, wobei Antidepressiva am häufigsten eingesetzt werden. BPS-Patienten mit scheinbar gleichen oder ähnlichen Beschwerden reagieren sehr unterschiedlich auf die einzelnen Medikamente. Eine häufige Nebenwirkung von Neuroleptika ist Gewichtszunahme. Zum Schluss lässt sich sagen, es ist ein junges Thema, eine junge Krankheit. Viele Fragen sind noch offen und ungeklärt. Sicher ist aber, dass Borderline nichts ist, wogegen man nichts tun kann. Das Schlimmste ist nichts tun. Interview mit dem Psychologischen Dienst zum Thema Borderline Angstanfälle (z. B. Panikattacken) sowie diverse phobische Störungen. Die Borderline-Persönlichkeitsstörung wird oft begleitet von selbstverletzendem Verhalten (SVV) Es gibt verschiedene Arten von selbstverletzendem Verhalten, z.B. Ritzen, Blutabnehmen, Quetschen, Brennen (Feuerzeug). Gründe für körperliche Selbstverletzungen können sein, eine innere Spannung zu lösen, um sich wieder spüren zu können (Betroffene verlieren manchmal ein normales Körpergefühl) oder um Aufmerksamkeit zu erlangen. Die Gründe können vielseitig sein. Da SVV nicht mit Selbstmordabsicht betrieben wird kann man sie von der Suizidalität abgrenzen. Suizide oder Suizidversuche können durch schwere Depressionen, oder durch Verzweiflung hervorgerufen werden, in bestimmten Situationen auch durch Kontrollverlust, wenn unkontrollierbare Gefühle ausgelöst wurden. Selbstmordgedanken können dazu dienen, um z. B. als Rachephantasien starke Gefühle von Ohnmacht oder Wut auszugleichen. Ein besorgtes Umfeld kann dabei als Verstärker wirken und dieses Verhalten fördern. Selbstmordraten lassen sich für Betroffene nicht pauschal angeben, weil BPS häufig zusammen mit anderen Persönlichkeitsstörungen auftritt. Maßgeblich sind die individuellen Faktoren, mit denen ein Betroffener konfrontiert ist. Eine besondere Rolle spielen dabei die schweren Depressionen, welche bei der BPS meist irgendwann auftauchen, ferner auch schwere Suchterkrankungen. Aus einer groß angelegten Langzeitstudie wurde eine Suizidrate von 16 Prozent für BPS-Patienten mit gleichzeitigen endogenen Depressionen ermittelt. Die Rate bei Patienten ohne endogene Depressionen (ein relativ geringer Anteil der Betroffenen) liege nur bei etwa zwei Prozent. Behandlung Weit verbreitet und auch erfolgreich angewandt wird die Dialektisch-behaviorale Therapie. Das DBT basiert auf verhaltenstherapeutischen Grundlagen, wobei hier auch viele Teile von anderen Therapiemöglichkeiten einfließen. Es ist ein Programm speziell für Borderline-Patienten. Die Therapie setzt darauf, dass der Betroffene lernt seine Emotionen, Gefühle in Griff zu be- Für unser Sonderheft haben wir 5 Fragen zum Thema Borderline. erfolgreichen Therapie gemildert werden. Vertreten Sie auch die Meinung? Frage: Die bekannteste Therapieform bei Borderlinern ist die DBT (Dialektisch behavoriale Therapie). Sie haben sich ja umfassend mir der jüngsten Therapieform „Stepps“ befasst. Einige Module ähneln sich, haben nur andere Bezeichnungen. Können Sie eine Aussage treffen, welche dieser Therapieformen Sie für die beste bei der Behandlung der emotional instabilen Persönlichkeit vom Borderline-Typ halten? Antwort: Nach der neueren Borderliner-Literatur ist auch diese Persönlichkeitsstörung heilbar. Antwort: Das Programm „Stepps“ ist „lediglich“ eine Ergänzung zu bestehenden Therapieformen. Mit der DBT hatte ich bisher nur am Rande zu tun, so dass mir ein Vergleich schwer fällt. Grundsätzlich ist zu erwähnen, dass eine aktive inhaltliche Auseinandersetzung bei einer psychischen Krankheit wichtig und gesundheitsfördernd ist. Frage: Einige „Experten“ vertreten ja die Meinung, dass Borderliner nicht geheilt werden können, lediglich die Symptome können nach einer Frage: Es wird gesagt, dass das Borderline-Syndrom sich im Alter „auswächst“, sich also die Symptome von allein auflösen. Was ist Ihrer Meinung nach an dieser Aussage dran? Antwort: Das kann ich schlecht beurteilen, so viel Erfahrung habe ich noch nicht; beispielsweise eine Jahrzehnte währende Entwicklung einer Borderline-Störung zu beobachten und die Veränderungen wahrzunehmen. Richtig ist, dass bei guter therapeutischer Begleitung die Betroffenen zu einem annähernd normalem Leben finden können. Frage: Zur Diagnose existiert so ein Fragebogen, wie finden Sie es, dass viele Psychiater und Psychotherapeuten einfach diesen Fragebogen abarbeiten und dann ohne weitere Untersuchung dem Patienten den „Stempel“ „Borderline“ aufdrücken? Betroffene berichten kommen. Man versucht, eine Balance zu finden zwischen „Akzeptanz der Störung„ und dem „Drängen auf Veränderung“, aber auch zwischen dem strikten Einhalten von Grenzen und Strukturen und auf anderer Seite dem flexiblen Reagieren auf die jeweilige Situation. Darüber hinaus nimmt man teil an weiteren therapeutischen Angeboten. So bekommt der Patient in einem Angebot aufgezeigt, wie er bestimmte Krisen besser überstehen kann, ohne auf alte Verhaltensweisen zurückzugreifen müssen. Weitere Ziele des DBT sind z.B. die innere Achtsamkeit, also der Umgang mit mir selbst, die Stress-Toleranz, also wie man mit der inneren Anspannung umgeht, die Emotionsregulation, also der Umgang mit den Gefühlen, und die zwischenmenschlichen Beziehungen, also die Balance zwischen Nähe und Distanz. Persönlichkeitsstörungen stellen sich in der Interaktion dar und greifen in die Familiendynamik. Innere Konflikte eines Patienten können stark mit den familiären Prozessen wechselwirken. In Fachleute berichten Fachleute berichten Betroffene berichten Fotograf: Uwe Appelberg | 23 Nichtbetroffene berichten 22 | Antwort: Beides Verhalten ist aggressiv, einmal gegen sich selbst, das andere Mal gegen andere. Was aus der Forschung belegt ist, ist, dass einer Aggression mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Frustration vorausgegangen ist. Also werden beide Verhaltenstypen von ihrer Aggression frustriert. Das Erforschen, was einen frustriert bzw. was für eine Frustrationstoleranz man besitzt, können zielführende Schritte zu weniger Aggression sein. Meist ärgert man sich über sich selber und sein Unvermögen. Eine Schwäche sollte man aber immer als Beginn einer Veränderung zum Besseren hin sehen. Das geht nur durch Übung. Die Borderline Persönlichkeitsstörung tritt zumeist bei Mädchen und Frauen auf. Überwiegend schon in jungen Jahren sind bei den Betroffenen erste Anzeichen dieser Erkrankung zu bemerken. Der prozentuale Anteil der an der Borderline Störung Erkrankter im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung Deutschlands liegt bei circa 1,5%. Quelle: www.neurologen-und-psychiater-im-netz.de Ich wurde gebeten etwas über mein Leben mit der Borderline-Störung auf Papier zu bringen. Ich habe lange um einen Anfang gehadert und dann beschlossen normal anzufangen. Ich wurde geboren und wuchs in einer schwäbischen Kleinstadt auf. Ich lernte schon früh dass man der Gesellschaft nicht vertrauen kann. Seitdem ich denken kann, war es mir nicht möglich mich zu integrieren. Und irgendwann habe ich es aufgegeben. Ich war ein ziemlicher Einzelgänger. Dann passierte etwas Schlimmes für mich. Als ich zwölf Jahre alt war, starb mein Vater nach kurzer schwerer Krankheit. Ich hatte in der Familie keinen der für mich da war. Wir sprachen nicht darüber. Ich erlebte irgendwann den Alltag wieder, ohne dass der Schmerz richtig aufhörte. Ich versuchte diesen Schmerz zu bekämpfen, indem ich mir selber Schmerzen zufügte. Das half dann auch kurzzeitig, doch nie auf Dauer. Ich begann später eine Ausbildung. Es war nicht das, was ich wollte, aber man erwartet von mir, dass ich einem Pflegeberuf nachgehe. Die Ausbildung verlief schwierig, inzwischen war ich nicht mehr in der Lage meine Fehler zu sehen oder irgendetwas zu reflektieren. Während der Arbeit führte das Verhalten dazu, dass ich meine Stelle wieder verlor. Gleichzeitig versuchte ich mein Abitur nachzuholen. Dort lernte ich meinen späteren Lebensgefährten kennen. Das erste Mal seit Langem fühlte ich mich etwas geborgen. Als ich erfuhr, dass er weiter weg ziehen wollte, brach für mich eine Welt zusammen. Gleichzeitig merkte ich, dass es so nicht weiter gehen kann. Ich wollte um jeden Preis die Beziehung aufrechterhalten. Ich nahm eine Stelle in der Nähe meines Mannes an und begann eine Therapie. Bis heute hat die Beziehung gehalten. Sie ist die Schönste, aber auch die Schwierigste in meinem Leben. Wir haben inzwischen zwei Kinder und unser Leben ist nicht immer einfach. Ich handle immer noch zeitweise sehr impulsiv. Die Welt ist immer noch schwarz-weiß. Doch ich weiß, dass es auch etwas Anderes gibt. Die Arbeit an mir ist sehr schwierig und manche Dinge sind auch nicht leicht zu ertragen. Ich habe immer noch Phasen, in denen ich mir selber schade. Doch es ist weniger geworden. Ich versuche eine Zukunft zu sehen für mich und meine Familie. Sicht eines Lebensgefährten Borderliner“ können schwierig sein und sind nicht immer leicht zu handhaben. Auf und ab in den Launen, Wutausbrüche wegen Kleinigkeiten. Als Lebensgefährte, Freund oder Bekannter steht man oft hilflos daneben und weiß nicht was man tun soll. Doch mit einigen Hilfestellungen und Tipps, die nicht immer einfach sind, kann man das Zusammenleben einfacher gestalten. Bei der Kommunikation gilt es, feste Grenzen zu ziehen, also sich nicht mit den Gefühlen mitreissen zu lassen. Es ist in diesem Moment besser, denjenigen dahin zu ermutigen, die eigenen Interessen zu verfolgen. Wichtig ist auch, dass man keine Verantwortung übernimmt. Ein Verantwortlich-Fühlen oder den Versuch, den „Borderliner“ zu beschützen, oder gar zu verändern, hilft Niemandem, kann sogar einen negativen Einfluss haben. Man sollte auch für Sicherheit sorgen, droht sich die Lebensgefährtin zu verletzen. Man sollte ruhig und sachlich erklären, das so ein Verhalten, also das Verletzen, Konsequenzen hat, also z.B. die Polizei rufen. Widersprüchliches Verhalten sollte man gleich klären. Der „Borderliner“ soll die „Verantwortung“ übernehmen und die Situation klären. Hilfreich kann auch sein, sich auf die bestimmte Situation vorzubereiten. Um es zu verbildlichen, man liest das Drehbuch vor, bevor der eigentliche Auftritt stattfindet. Dies ist ein möglicher Weg, jedoch sind „Borderliner“ in ihrem Verhalten unterschiedlich. Deshalb ist es wichtig sich zu informieren. Hilfreiche Links und Quellen zum Nachlesen www.borderline.at, www.borderline-angehoerige.de www.borderline-selbsthilfe.de Erfahrungsbericht Borderline In dem Buch „Ich hasse dich, verlass mich nicht“ von Jerold Kreismann und Hal Straus steht im Vorwort, dass zur Borderline-Störung eine Verbindung mit den psychischen Störungen: Bulimie, Anorexie, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Depression oder Suizidgefahr hergestellt werden kann. Ich weiß nicht mehr so genau, wann bei mir die ersten Symptome einer Borderline-Störung auffällig wurden, auf jeden Fall kann ich sagen, dass bei mir schon früh magersüchtiges Verhalten zu erkennen war, es aber von meiner Familie nicht wahrgenommen wurde. Sie wollten sich damit nicht befassen, da sie sonst einsehen mussten, dass in unserer Familie etwas nicht stimmt. Selbstverletzungen gab es ebenfalls schon in der frühen Jugend, aber nicht so mit Ritzen und so wie jetzt, sondern es waren mehr Unfälle, wie Fahrradstürze, Finger einklemmen, auf die Finger beißen, Verbrennungen und Aufkratzen der Handrücken. Das Ritzen entwickelte sich erst, als ich allein wohnte. Ich brauchte dann keine Angst mehr vor Entdeckung haben. Ich zog auch immer langärmlige T-Shirts an. Wenn jemand fragte, ob ich denn nicht schwitzen würde, sagte ich nein. Es stimmt ja auch, denn meine Magersucht führte auch dazu, dass ich immer fror, also auch im Sommer. Weiters auffälliges Verhalten war, dass ich fast keine Freundschaften längere Zeit aufrechterhalten konnte. Bevor ich verlassen werden konnte, was manchmal meine größte Befürchtung war, verließ ich die Personen. So konnte mir keiner wehtun. Das führte aber zu einer gewissen Isolation und meine „Wahrheit“ bestätigte sich, dass ich ja ein so schlechter Mensch bin, dass es keiner lange bei mir aushält. Es gibt aber dennoch Freundschaften, die all das ausgehalten haben, und die aus dem „Sandkasten“ heraus bis heute bestehen. Durch diese Menschen wird mir signalisiert, dass, wenn ich mal down bin, ich trotzdem ein wertvoller Mensch bin, den man auch gern haben kann. Eine Freundin berichtet Frage an eine Freundin: „Weißt du noch, wie das für dich war, als du erkennen musstest, dass ich mich selbst verletze?“ „Ja, ich weiß noch genau, wie das für mich war, als ich doch mal deine Narben sah, obwohl du immer versucht hast, die zu verstecken. Bei mir tauchte eine große Verunsicherung auf, ob ich dich darauf ansprechen soll oder lieber doch nicht. Erst dachte ich an eine normale Verletzung, kann ja mal passieren, aber wenn das immer wieder mal sichtbar wird, und sei es auch nur durch einen Verband, ist das doch schon merkwürdig. Was würdest du als Betroffene machen, wenn du so etwas bei Anderen sehen würdest? „………………….mmmmmhhhh, gar nicht so einfach die Frage, echt. Aber es bleibt immer noch die Hoffnung, dass die Wunden heilen und keine neuen wieder auftauchen.“ Betroffene berichten Frage: Es gibt ja Borderliner, die sich selbst verletzen – SVV (selbstverletzendes Verhalten) nennt man das, und dann welche, die andere angreifen. Gibt es da auch eine andere Bezeichnung dafür, und ähneln sich die Therapien? Mein Leben mit der BoderlineStörung | 25 Fachleute berichten Antwort: Im DSM-IV sowie im ICD-10 (Das sind beides Diagnoseschlüssel) sind die Kriterien zur Stellung einer Diagnose verzeichnet. Im DSM-IV müssen 5 von 9 Aussagen treffend sein, um die Diagnose zu stellen. Weiterhin muss festgestellt werden, ob die Störung das ganze Leben schon besteht - die Bedingung für jede Persönlichkeitsstörung. Erfahrene Kliniken werden sich nicht nur auf den Fragebogen verlassen, sondern biografische Daten aufnehmen, die die Diagnose bestätigen. Borderline Nichtbetroffene berichten Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 24 | Fachleute berichten Betroffene berichten 26 | Bipolare Störung wie Betreutes Wohnen Bildquelle: www.pixelio.de Betreutes Wohnen Betreutes Wohnen und betreute Wohngemeinschaft gibt es im Bereich alter Menschen, Behinderter, psychisch Kranker und Jugendliche. Voraussetzung: man muss einen Betreuungsbedarf haben. Nichtbetroffene berichten | 27 Procedere: Man sucht sich einen Träger für betreutes Wohnen. In Überlingen sind das für psychisch Kranke u.a. die Pauline 13 e.V., die VianneyGesellschaft e.V. als Träger des Vianney-Hospitals und die Diakonie. Gemeinsam wird ein Hilfeplan, der so genannte IBRP (Integrierter Behandlungs- und Rehabilitationsplan) erstellt. Dieser wird beim Landratsamt eingereicht. Es gibt dann eine Hilfeplankonferenz, die einmal im Monat stattfindet. In der Hilfeplankonferenz, an der sämtliche Leistungserbringer und der Landkreis als Leistungsträger der Eingliederungshilfe teilnehmen, werden die bestimmten Hilfen festgelegt. Niemand darf Leistungen erbringen ohne Beschluss der Hilfeplankonferenz. Rechtsgrundlage: Rechtsgrundlage ist das Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen) § 55 Abs.2 Nr. 6. Dort werden im Rahmen der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (Eingliederungshilfe) für Menschen mit Behinderung und psychisch Kranke „Hilfen zum Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten“ als Leistungen genannt. Es können sich daraus Ansprüche auf Sozialleistung im Rahmen der Eingliederungshilfe (SGB XII) ergeben, das wird betreutes Wohnen genannt. Darunter fallen ambulante Beratungsleistungen und soziale Dienstleistungen. Betreutes Wohnen bzw. die betreute Wohngemeinschaft sind Wohnformen, in denen die Bedürftigen von Sozialarbeitern, Psychologen, Erziehern, Heilerziehungspflegern, Therapeuten oder besonders psychologisch geschulten Pflegekräften bei der Unterstützung zur Bewältigung der individuellen Probleme betreut werden. Es soll die größtmögliche Autonomie angestrebt werden. Ambulant Betreutes Wohnen Ziele des betreuten Wohnens in der Einzelwohnung oder WG: Selbstbestimmtheit und die freie Wahl der Wohnmöglichkeit. Besonderes Ziel ist es, den Betroffenen so wenig Verantwortung wie nötig abzunehmen und sie dahingehend zu fördern, ihr Leben selbstständig zu führen. Bei psychisch Kranken wird angestrebt, ihnen ein Leben außerhalb der Betreuung zu ermöglichen und Hilfestellung zu gewähren, sich wieder in die Gesellschaft einzugliedern und den häuslichen Alltag zu bewältigen, auch einen Beruf zu finden, bzw. sie in einer beruflichen Eingliederung zu unterstützen. Meine persönlichen Erfahrungen in einer Betreuten WG Quelle: Wikipedia.de ; Pflege-Deutschland.de,; ABW Interview Sie kommen ja aus der Pflege. Warum haben Sie sich dann für etwas ganz anderes entschieden, nämlich die Arbeit mit überwiegend psychisch Kranken? Ich finde nicht, dass die Arbeit mit psychisch Kranken im betreuten Wohnen so sehr anders ist, als die Arbeit in der Pflege. Es ist aber doch ein erweiterter Bereich. Das genau hat mich auch daran gereizt. Im Pflegealltag läuft vieles routinemäßig ab. Der Mensch steht nicht immer im Mittelpunkt. Ich wohne seit über einem Jahr in einer betreuten Wohngemeinschaft. Meine Betreuerin, eine Sozialarbeiterin, kommt einmal in der Woche für mindestens eine Stunde zu mir und bespricht mit mir Probleme des täglichen Lebens. Sie unterstützt mich darin, wieder beruflich Fuß zu fassen, redet mit mir über meine Krankheit oder geht einfach auch mal nur mit mir zum Kaffeetrinken. Bevor sie kommt, werde ich aktiv, räume mein Zimmer gründlich auf und putze intensiv, denn die Treffen finden in meinem Zimmer statt, da die Betreuerin auch sehen will, wie die Alltagsbewältigung geschafft wird. Sie schimpft aber nicht, Haben sich Ihre Vorstellungen erfüllt? Über zu viel Routine im Arbeitsalltag kann ich mich nicht mehr beschweren. Manches ist komplizierter, als von mir erwartet. Sie haben es doch auch mit schwer psychisch und auch seelisch behinderten Menschen zu tun, manche sind doch bestimmt auch in beiden Bereichen betroffen. Frage: Machen Sie auch so Supervision, so wie es die Psychotherapeuten zum Beispiel tun? Zur Zeit ja. Dort finde ich z.B. heraus, wo noch mehr Distanz nötig ist, oder was alles gut ist, was ich mache, um es noch bewusster anzuwenden. wenn es doch ein wenig durcheinander ist, dann sieht sie gleich den Hilfebedarf. Ich habe sie aber auch schon in unserem ehemaligen „Wohnzimmer“ empfangen, wenn das Zimmer mein inneres Chaos widerspiegelte. Einmal in der Woche findet das so genannte „Haustreffen“ mit allen Bewohnern statt. Es ist nicht immer leicht, alle WG-Bewohner unter einen Hut zu bringen und daher kann es auch sein, dass ein Bewohner fehlt, dafür wird jedes Mal über die besprochenen Themen ein Protokoll angefertigt. Anfangs fiel es mir schwer, mich anzupassen und eine Gemeinschaft mit den anderen zu bil- Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 28 | den. Dazu kam, dass ich, bevor ich einzog, nicht wusste, auf wen ich mich einlassen musste, da ich von Hessen direkt das Betreute Wohnen in dieser WG angestrebt habe. Erst kurz vor dem Einzug in die WG wurde das Betreute Wohnen weiter genehmigt. Ich war die Erste, die in das Haus in Überlingen einzog, gleich eine Woche später zog die nächste „Bewohnerin“ auf meiner Etage ein. Ich hatte Glück und wir verstanden uns. Die gemeinsame Benutzung der Gemeinschaftsräume machte keine Probleme. Weitere Berührungspunkte gab es allerdings nicht. Wir respektieren uns und gehen höflich miteinander um. Das Erdgeschoss war noch frei. Dort zogen etwas später zwei weitere Frauen zur Probe ein. Sie verstanden sich allerdings nicht, und ein gemeinsames Miteinander zwischen den beiden war nicht möglich. Also zog eine Frau wieder aus, die andere blieb. Es gab zwischen uns dreien so etwas wie ein freundschaftliches Verhältnis, was allerdings nicht lange hielt. Es gab Konflikte, und das Zusammenleben wurde sehr problematisch. Ich zog mich immer mehr zurück und versuchte, zu der Bewohnerin im Erdgeschoss keine Berührungspunkte herzustellen. Es gab viele Konfliktgespräche mit meiner Betreuerin, aber keine gemeinsamen klärenden Gespräche zwischen uns Kontrahenten, weil wir beide es nicht wollten oder nicht in der Lage waren, uns gegenüberzustehen. Dies war auch der Zeitpunkt, wo ich wie- | 29 der mit einer Therapie angefangen habe. Ein weiterer Versuch, im Erdgeschoss eine neue Mitbewohnerin einzugliedern, ging schon nach einer Woche schief. Dafür zog bei uns oben eine neue Mitbewohnerin ein. Meine Angst, es würde zu eng, war unbegründet. Erstens, weil diese am Wochenende nicht da war und zweitens, diese nicht viel „Raum“ in Anspruch nahm. Ich kann sagen, wir sind befreundet. Wir kochten zusammen, spielten auch mal und eine war für die andere da. Leider blieb sie nicht lange, was aber nichts mit der WG zu tun hatte. Was ich nicht so gut finde, dass in meinem Mietvertrag steht, dass ich ausziehen muss, wenn ich keine Betreuung mehr in Anspruch nehme. Egal aus welchem Grund. Ob nun der Kostenträger beurteilt, dass ich keine Betreuung mehr benötige oder ich sage, ich komme jetzt ohne diese Hilfe aus. Fazit: Das Leben in einer betreuten Wohngemeinschaft ist nicht immer einfach, man muss sich einlassen können. Konflikte auszutragen und auszuhalten, ist nicht immer leicht. Man kann sich nicht so leicht aus dem Weg gehen. Manchmal muss man sich auch zusammenraufen. Es kann aber auch eine Bereicherung sein. So habe ich gelernt, soziale Kontakte zu pflegen, zu teilen und Rücksicht aufeinander zu nehmen. Auch mal auf mein Recht zu verzichten. Und ich habe wieder gelernt, wie es ist, Freundschaft auf engem Raum auszuhalten. Bildquelle: www.pixelio.de Betroffene berichten 30 | | 31 wie Bipolare Störung Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Bildquelle: Anonym Wenn das Gehirn Achterbahn fährt Das Leben zwischen Manie und Depression Jeder Mensch kennt es: Schwankungen der Gefühle. Manchmal ist die Stimmung gut, manchmal eher schlecht. Menschen mit bipolaren Störungen leben jedoch mit extremen Emotionen. Zwischen Manie und Depression ist ein geregeltes Leben kaum möglich. Für den Erkrankten besteht ein zwanzigfach erhöhtes Suizidrisiko im Vergleich zur Normalbevölkerung. Auch wenn einem bei diesem Thema als erstes „himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt“ einfällt, so spiegelt dies zwar dramatische Höhepunkte, aber nicht den typischen Verlauf der Erkrankung wider. Diese ist in der Mehrzahl der Patienten eher durch sich oft lang hinziehende Depressionen oder eine beständige Unausgeglichenheit der Stimmungslage charakterisiert. Die typischen Symptome einer Manie sind Episoden unangemessen gehobener Stimmung, Antriebssteigerung, beschleunigtes Denken, Ideenflucht und Selbstüberschätzung. In der Manie kommt es oft z.B. zu exzessivem Kaufrausch. Statt einer gehobenen Stimmung kann auch ein impulsives, gereiztes und aggressives Verhalten dominieren. Eine weitere Form dieser Erkrankung ist die Hypomanie. Dabei finden sich Symptome einer Manie in geringerer Ausprägung. Therapie: Bei der Behandlung von Manien und bipolaren Störungen kommen medikamentöse und psychotherapeutische Methoden zum Einsatz. Im akuten manischen Schub sind derartige Behandlungsmethoden nicht indiziert. Zur „Krisenintervention“ gehört hier neben einer guten Patientenführung die rasche Applikation eines antimanisch wirksamen Medikamentes. Nach Abklingen der Manie ist eine psychotherapeutische Begleitung des Patienten zur Aufarbeitung des möglicherweise traumatisierenden Krankheitsverlaufes, zur Psychoedukation sowie zur Erstellung eines Krisenplanes dringend indiziert. Die Therapie einer Manie ist häufig schwierig, da den betroffenen Patienten oftmals die Einsicht in die Notwendigkeit der Therapie fehlt. Besonders belastend für die erkrankten Patienten ist der Umstand, dass sie sich wegen ihrer manischen Entgleisungen sehr oft auch im Freundeskreis und im familiären Umfeld Unverständnis und Ablehnung gegenüber sehen. Im Gegensatz zur nach außen gezeigten Überheblichkeit, Selbstsicherheit und (verbalen) Angriffslustigkeit sind manische Patienten sehr kränkbar und ertragen kaum Vorschriften oder Begrenzungen anderer Art. Medikamentöse Behandlung: Zur Behandlung der akuten Manie werden folgende Substanzen eingesetzt: • Lithium • typische (klassische) Antipsychotika (Neuroleptika) • Olanzapin als atypisches Neuroleptikum Mein Leben als Verrückter Stellungnahme eines Betroffenen Zu beschreiben, wann eine Verrücktheit, eine klinisch wahrnehmbare Krankheit beginnt, ist gar nicht so einfach. Wo fängt die Normalität an und wo hört die Verrücktheit auf? Wer definiert, was krank, was gesund ist? Sind wir nicht alle ein bisschen „bluna“??? Bei mir wurde im Alter von ca. 26 Jahren von meinem Bruder die Krankheitsdiagnose: Manisch-Depressiv, gestellt. Diese Diagnose wurde von den Ärzten übernommen und seitdem befinde ich mich in dieser Schublade, zusammen mit sehr interessanten Drogen, die mir kostenlos von der Krankenkasse zur Verfügung gestellt werden. Seltsamerweise folgte bei mir die einzige Depression NACH der Manie. Ich gehöre zu der kleinen Gruppe der Reinmaniker und sicherlich auch zu den Borderlinern. Den Ärzten ist das egal, Hauptsache ne Diagnose und Pillen in den Hals! Wer heilt...ist heute dumm (weniger Geld) oder ein GUTER, ehrbarer Arzt!!! Während meiner ganzen Kindheit und Jugend war ich ein sehr zurückgezogenes Kerlchen, kleinwüchsig und schüchtern, ganz besonders gegenüber Frauen. Ich habe mich bemüht, Freunde zu finden, doch die Aufnahmekriterien für einen „Freundeskreis“ in der Eifel sind: Zäh wie Leder,… usw. Diesen Kriterien habe ich nicht entsprochen, denn ich „war“ das typische Weichei! Mensch kann sich natürlich vorstellen, dass die so empfangenen negativen Energien, Demütigungen und Schmerzen irgendwo „gespeichert“ werden. Die blauen Flecken, waren nach einiger Zeit weg; doch in meiner Seele haben sich Dinge angesammelt, die über die Jahre gesehen, sehr „groß“ wurden. Nun kommt angeblich die genetische Veranlagung der Krankheit ins Spiel! Das Maß an seelischen Belastungen war und ist bei mir (Weichei!?) mehr als übervoll! Es war eine Frage der Zeit, wann sich die sog. genetische Veranlagung und seelische Überlastung vereinen zu einem Zusammenbruch, der in eine „Krankheit“ mündet. Ich möchte an dieser Stelle erwähnen, dass ich meine Krankheit als heilendes Fieber sehe, welches meine Seele reinigen wird, je nachdem, wie mein Umfeld mit mir agiert, und wie ich selber die Zeichen zu deuten weiß! Kernthema meiner Krankheit ist die gestörte Sexualität! Diese wird von der Medizin ignoriert! Statt Pillen reinzuzwängen, sollte die Medizin zu einer befreienden Sexualität hinleiten! Das ist der Kern nicht nur bei Manisch-Depressiven! Vor dieser Lösung herrscht Angst in der Schulmedizin! Pillen, die dick und impotent machen, werden leichtfertig verschrieben. Therapien, die den Mut und das Selbstwertgefühl stärken, kriegt Mensch nicht oder nur selten bezahlt! Wer war schon mal bei einer Sexualmedizinerin von Euch? Fazit: Die richtige Lösung ist nicht erwünscht, denn dann versiegt der Geldstrom aus Pharmadeals! Heilsame Sexualität kostet nix und bringt unendlich Soeben habe ich versucht, mich mit der Thematik „Bipolare Störung“ auseinanderzusetzen. Soweit ich das verstehe, ist die bipolare Störung charakterisiert dadurch, dass die Betroffenen selbst eine innere Grenze sind. Die Grenzlinie zwischen zwei unterschiedlichen Stimmungsextremen, nämlich dem „Himmelhoch-Jauchzenden“ und dem „Zu-Tode-Betrübten“. Wechselhaft - manisch überdrehte und depressive Phasen. Du lachst und du weinst, doch selten findest du deine Balance. Du taumelst zwischen überdrehtem Leichtsinn und einem Meer von Tränen hin und her. Riskant wird es, wenn du als Ausweg, in Manie oder Depression, den Freitod wählst. Loosing your mind by following shadows of fear. Deep in your heart you suffer while your heart is crying thousand of tears. You are convinced that your sadness will never end and you should fight against yourself and your weakness inside. Einige bedeutende Personen aus Kunst, Literatur und Geschichte waren scheinbar von einer bipolaren Störung betroffen: der niederländische Maler Vincent van Gogh (30.März 1853 bis 29. Juli 1890), bekannt durch seine „Sonnenblumen“, der Autor Ernest Hemingway (21. Juli 1899 bis 2. Juli 1961) oder die Schriftstellerin Virginia Woolf (25. Januar 1882 - 28. März 1942). Indem ich einige Punkte aus der Biografie von Virginia Woolf aufzähle, versuche ich, den Begriff „bipolar“ verständlich zu machen: Virginia wurde am 25. Januar 1882 unter dem Namen Adeline Virginia Stephen als drittes Kind des Biographen und Kritikers Leslie Stephen und dessen Frau Julia (geb. Jackson, geschiedene Ducksworth) in London geboren. Beide Elternteile der jungen Virginia waren bereits verheiratet gewesen und im Kreis ihrer 8 Geschwister und Halbgeschwister hatte sie keine behütete Kindheit. Zumal sie als Kind sexuell missbraucht wurde, wahrscheinlich von einem ihrer Halbbrüder. Sie besuchte keine Schule, doch der Zugang zur großen Bibliothek ihres Vaters blieb ihr nicht verwehrt und früh äußerte sie den Wunsch, Schriftstellerin zu werden. Der Tod ihrer Mutter am 05. Mai 1895 ließ sie nervlich und physisch zusammenbrechen. Nachdem ihr Vater neun Jahre später an Krebs starb brach sie erneut zusammen. Doch im Laufe der Jahre verwirklicht sie ihren Traum: sie gewann erhebliches Ansehen als Autorin. Betroffene berichten Eine Manie, das ist der Kick!!! Wenn ich in einer manischen Phase bin, dann ist das so als hätte ich mir ‚ne Mehltüte voll Kokain durch die Nase gezogen, darauf noch 2 Päckchen Speed und 2 Eier! Alles läuft glatt (scheinbar?!), zig Gedankengangstränge werden gleichzeitig und auf verschiedenen Ebenen bearbeitet und untereinander verknüpft!!! Die Wahrnehmung erhöht sich ca. um den Faktor 40, jede Veränderung und sei sie noch so klein, wird erfasst und in die aktiven, parallel laufenden Gedankenbildungsprozesse mit eingebaut. Ich habe wahrgenommen, dass ich anders bin und ich bin stolz darauf! In dieser wirren Welt zu schweigen, das halte ich für irre! Therapie? Gibt es ein Medikament gegen Wut und Verzweiflung ob des Unrechts in der Welt? Gegen den brennenden Wunsch nach realistischer Veränderung? Psychiatrie heute: Geldmache und hilflose Ärzte die Hirne zerschnippeln, aber den Zusammenhang Körper / Geist / Seele, vergessen mussten! Zwei Seiten eines Ganzen | 33 Fachleute berichten viel! Pharmapillen kosten viel und bringen relativ wenig zielorientiertes! Mich einer engstirnigen, klinischen Sicht der „Stoffwechselstörung“ hingeben und ein Leben lang als Schwerbehinderter von der Gesellschaft „ertragen“ zu werden, bis sie es sich vielleicht einmal anders überlegt, das ist nicht meine Vorstellung von einem freien Leben! Bipolare Störung Nichtbetroffene berichten Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 32 | Mein Fazit: Gute Ärzte und Therapeuten aufsuchen, selbst aktiv werden, Medikamente gut auswählen als Übergangslösung, Eigenverantwortung, Krisenplan, Selbstdisziplin und viel Humor! Das Leben ist kein Ponyhof! Auch die biploare Störung ist keine seltene Krankheit. Es wird geschätzt das circa 1-3% der Menschen in Deutschland unter dieser Erkrankung leiden. Bei der Krankheitshäufigkeit gibt es zwischen Frauen und Männern keine nennenswerten Unterschiede. Oft beginnt diese Erkrankung schon in der Jugendzeit. Quelle: www.neurologen-und-psychiater-im-netz.de Foto: pixelio - wrw Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 34 | Burnout | 35 wie Burnout Fotograf: Andrè Reinders Es begann mit einem guten Vorsatz Das Burnout Symptom und dessen Verlauf In den Anfangsphasen ist ein erhöhtes Engagement für die Arbeit erkennbar. Der Betroffene arbeitet ohne Pause und fühlt sich dadurch Vollkommener und unersetzbar. Seinem Umfeld gegenüber ist er teilweise abweisend und macht sich meist unbeliebt. Die eigenen Bedürfnisse sowie Erholungsphasen werden nicht beachtet. Misserfolge werden verdrängt und private Kontakte vernachlässigt. Körperliche Folgen sind chronische Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, Schlafstörung, erhöhte Ablenkung durch Suchtmittel, Angstzustände sowie Depressionen. Dauern die Probleme über eine längere Zeit an, kommt es zu einem Umkippen der Symptome. Im privaten Bereich zieht sich der Betroffenen immer mehr zurück. Außerdem sind Unsicherheit und Desorganisation keine Seltenheit. Die Leistungsfähigkeit nimmt ab sowie die Motivation und Kreativität wird vermindert. Im Endstadium des Burnouts quälten den Betroffenen vermehrt Existenzängste und die Einstellung gegenüber seinem Leben und den Mitmenschen ist oft negativ. Von einem anfänglichen Gefühl der Hilflosigkeit und Niedergeschlagenheit, kann es sich zu einer Depression verdichten. Auch kann darauf der Suizid folgen, oder anderes selbstverletzendes Verhalten. So was haben doch nur Versager und Weicheier, oder? Und ich! Jetzt im Rückblick verstehe ich erst, wie es dazu kommen konnte. Ich habe damals mitten im Leben nicht gemerkt, dass sich etwas aufbaut. Ich bin jahrelang über meine Grenzen gegangen, vor allem beruflich. Ich wollte den Anforderungen entsprechen. Was ich in die Hand nahm funktionierte meist schnell und gut. Ich war emotional auch zu sehr involviert. Zuhause ging es weiter, ich hatte ja gelernt, dass man keine Zeit verplempert, weder mit Fernsehen noch mit anderen unnützen Dingen. Dann führte mich mein Schicksal in Folge zu drei sehr schwierigen Arbeitsplätzen, in denen Mobbing, also Demoralisierung eines Menschen zum Tagesgeschehen gehörte. Beim Ersten ging es hauptsächlich gegen eine andere Kollegin, bei den anderen um mich. Ich wurde oft beschimpft, konnte nichts recht machen, beschuldigt (auch wenn ich nachweislich nicht da war). Sie wollten mich um jeden Preis fertig machen. Auch ließen sie Geld herumliegen, in der Hoffnung, dass ich selbst einen Kündigungsgrund provoziere. So dumm war ich aber nicht. Ich wehrte mich dagegen, was natürlich sinnlos war, ich war zum Opfer erwählt. Ich bekam auch von keiner Seite Unterstützung, nicht privat und auch nicht von meinem Hausarzt. Sie meinten nur, wenn es mir zu viel wird, soll ich mir einen anderen Arbeitsplatz suchen. Es bauten sich bei mir Existenzängste auf: „Was mache ich, wenn ich gekündigt werde? Wie geht es dann weiter?“ Selbst zu kündigen kam nicht in Frage, wegen der Sperrfrist vom Arbeitsamt. Es gab keinen Ausweg. Meine Verzweiflung stieg, sie beherrschte mich. Hinzu kamen nach und nach Schlafstörungen, Vergesslichkeit, Minderwertigkeitsgefühle, Verspannungen der Muskulatur, verlangsamtes Reaktionsvermögen. Ich konnte mich nicht mehr wehren, hatte keine Kraft mehr und war endlos müde. Kurz vor dem Zusammenbruch erlebte ich mich selbst in Zeitlupe, dann kamen endlose Tränen. Als erstes reagierte meine Hausärztin. Ab da aber zügig und konsequent. Ich kam in Kur und lernte, dass es viele Menschen mit diesen Problemen gab. „So viele haben versagt? Nein! Es versagt wohl eher die Gesellschaft mit ihrer Profitgier und Habsucht! Alle Luft raus! Akku leer und nicht wieder aufladbar! - Burn-Out! Erfahrungsbericht eines Betroffenen Seit etwas mehr als einem Jahr kann ich nun nicht mehr arbeiten. Auf meinen körperlichen und seelischen Zusammenbruch hin konnte ich zuerst einmal eine medizinische Rehabilitation antreten mit Hilfe des Hausarztes und auf Drängen der Familie sowie den eigenen Wunsch endlich wieder leistungsfähiger zu werden. Die Diagnose lautet Depression. Eine psychosomatische Klinik sollte mir dabei helfen wieder auf die Füße zu kommen. Insgesamt 6 Wochen standen mir dazu zur Verfügung. Die Fitness durch sportliche Aktivitäten zu stärken, in Verbindung mit Wellness- und Arbeitstherapien verschiedenster Art, standen im Vordergrund. Medizinische Untersuchungen und Angebote waren Mangelware. Die Gespräche mit den Psychotherapeuten waren sehr aufschlussreich und auch die Gruppengespräche mit anderen Patienten aller Krankheitsbilder waren interessant. Jedoch umso intensiver die Gedanken sich um mich und meine Probleme kreisen, umso kaputter und belasteter fühlte ich mich, was schließlich mein Körper mit kompletten Zusammenbruch quittierte (Verdacht auf Herzinfarkt/Hirnschlag). Eine gute Seite hatte dieser Vorfall jedoch auch. Endlich wurde mein Bluthochdruck auch nachweislich medizinisch zur Kenntnis genommen, der bisher nur als Hirngespinst abgetan wurde. Nach diesem Vorfall wurde quasi von Aktivität auf Passivität umgeschaltet. Dies wirkte sich daraufhin zwar erholsam für den Körper aus, verstärkte jedoch wieder das Nachdenken und Grübeln, die Zukunftsängste im Allgemeinen und die Neigung etwas tun zu müssen. Damit schloss sich für mich diese Art von „Teufelskreis“ und war wieder am Anfang. Auch reagierte ich zunehmend ärgerlicher und aggressiver im Zusammenspiel mit Mitpatienten lingshobby, der Gartenarbeit, schon nach zirka 1 Stunde absolut kaputt. Dies trifft auch auf alle anderen als positiv empfundenen Tätigkeiten zu. Auffallend dabei ist, dass ich bis jetzt immer noch keine „Warnhinweise“ von Seiten meines Körpers bekomme oder zumindest nicht erkennen kann, wann ich die „kritische Grenze“ vom positiven zur negativen Erschöpfung erreicht habe. So gehe ich ständig über meine nun schon sehr stark reduzierten Leistungsziele und bin dann natürlich auch kopfmäßig sehr enttäuscht, wenn ich nicht einmal diese Ziele erreichen kann, die manchmal dem Niveau eines Kindes entsprechen. Bei mir äußert sich diese Enttäuschung in Form von Ablehnung, Rückzug von Familie und Freunden sowie in agressivem Verhalten, Schreien und in Weinkrämpfen. Man(n), insbesondere ich, möchte diesen Zustand nicht wahrhaben und schon gar nicht akzeptieren als rational, wissenschaftlich denkender Mensch. Erst die fundierten psychologisch weitergehenden Tests machten mir schockartig klar, auf welchem geringen Leistungsstand ich mich befinde. Dies ist für mich nun viel leichter zu begreifen als die theoretischen Gespräche der Psychoanalyse, die zwar interessant und erkenntnisreich waren, jedoch unmittelbar ergebnislos. Mein Ziel ist nun, mit Hilfe der Verhaltenstherapie, Möglichkeiten zu lernen, meine Leistungsgrenzen rechtzeitig zu erkennen und einzuordnen sowie barkeit den Ansprüchen von Familie und Beruf gerecht zu werden - Ignorieren körperlicher Beschwerden - Belastende körperliche Umweltfaktoren im Beruf sowie Schlafstörungen/-Mangel über Jahre hinweg - Mobbing-Erfahrungen und andere belastende Ausnahmesituationen - Trotz ständig steigender Berufserfahrung ständig weitere Gehaltseinbußen, die das Gefühl geringer Wertschätzung vermitteln ohne Ausgleich durch andere Dinge (Mehr-Urlaub, Möglichkeit zur Weiterbildung, Verbesserung innerbetrieblicher Vorgänge, Feedback Kunden) Außer der Sicht des Patienten ist es sehr wichtig die Situation der Familie und deren Schwierigkeiten zu beleuchten, denn die anderen Familienmitglieder und/oder Freunde sind die unmittelbaren weiteren „Opfer/Leidtragenden“. Äußerungen und Stichworte der „Mitbetroffenen“: „Wenn mein Mann anfängt zu schreien, weil er sich wieder mal kaputt oder überfordert fühlt, weiß ich nie, ob er nicht doch noch handgreiflich mir oder den Kindern gegenüber wird und hoffe dass er nur Gegenstände demoliert. Meine ältere Tochter (7) fängt dann auch immer an zu weinen und flüchtet in ihr Zimmer, lässt sich nicht mehr beruhigen und fragt immer wieder, was denn der Papa für eine Krankheit hat. Ihre jüngere Schwester (5) reagiert mit Sprachlosigkeit, sie kann nicht sprechen und bleibt dabei auf Kleinkind-Niveau, versteckt sich unter dem Tisch und hält sich die Ohren zu. Meine mütterliche Reaktion ist dann zum Beispiel der Satz „Laß uns in Ruhe und geh raus!“. Dabei fühle ich mich auch mies, denn das stürzt meinen Mann nur weiter in die Depression, Schuld- und Niederwertigkeitsgefühle. Die Kinder ahmen nach oder übernehmen (bewusst/unbewusst) negative Verhaltensweisen-/muster von uns Eltern und multiplizieren damit die Probleme und Auswirkungen noch. Dies zeigt sich zum Beispiel in Schulsituationen in denen gefragt wird „was arbeitet Papa genau?“ Lügen, Ausreden, Leugnen etc. bleibt ihnen nur als Ausweg, um nicht als „Loser“ abgestempelt zu werden. Die Weinkrämpfe und sein extremes Schlafbedürfnis erschweren das Familienleben ungemein. Die Kinder fordern oft „nie hast Du Zeit zum Spielen oder was mit uns zu unternehmen. Im- mer bist Du zu müde!“ Somit ist auch die Freizeit oft ein „Belastungsfaktor“ und trägt eher zur Belastung als zur Entlastung bei. Nicht zu vergessen sind die Konzentrations- und Merkfähigkeits-Schwierigkeiten meines Mannes, die zuweilen beängstigende Ausmaße annehmen. Er ruft mich vom Handy aus an und möchte wissen, wohin er eigentlich muss und wie er dorthin fahren muss. (Er kann sich nicht mehr daran erinnern, dass er zum Arzt sollte). Das macht mir Angst! Einerseits um ihn, andererseits um die Kinder, die er ja betreuen soll, während ich arbeiten muss. Was kann da alles geschehen, wenn er einen „Black-out“ hat. Zuletzt spielt die finanzielle Situation eine nicht zu unterschätzende Rolle - durch die Notwendigkeit des Verdienstes durch Frau/Partner - und damit die weiteren Auswirkungen zeit- und gefühlsmäßig auf die Kinder und auch deren Freizeit/Schulsituation. Viel alltägliche Arbeit bleibt liegen, d.h. die Wochenenden sind auch voll von Hausarbeit und Büroarbeit um den Formularkrieg mit Rentenversicherungsträger, Arbeitsamt, Krankenkasse halbwegs geregelt zu bekommen. Folge: keine (wenig) Erholung mehr. So schließt sich der Kreis und wir kommen ebenfalls in die tödliche Spirale, die manchmal in der Überlegung gipfelt „besser ohne Papa!?“ Damit schließlich sind wir alle (sichere) Kandidaten für die Psychotherapeuten und Psychologen.“ Betroffene berichten „Verhaltensweisen“ erlernen, die es mir ermöglichen sollen meine Aggressionen und Zusammenbrüche in geordnete Bahnen zu lenken. Zusammenfassend sind wohl mehrere Faktoren ausschlaggebend für meine Erkrankung: - Jahrelang über die Leistungsgrenzen gegangen, angefangen in Schule und Internat, besondere An-/Herausforderungen während der Ausbildung, hohe psychische, körperliche Anforderungen bei Ableistung des Zivildienstes, ekzessives Berufsleben / Weiterbildung ohne Stundengrenzen - Verhaltensmuster, die das „Nein-Sagen“ fast unmöglich machten, verbunden mit einer ausgeprägten Grundhaltung helfen zu wollen - Streben nach Perfektionismus und immer höheren Zielen ohne die schwindende Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen - Schwierigkeiten in Familie und die Unverein- | 37 Fachleute berichten Fotograf Daniel Rodriguez der Gruppentherapie. Wenn sich alle Gespräche sowohl mit dem Personal als auch mit den anderen Patienten nur um Probleme und Krankheiten und deren Lösungsmöglichkeiten drehen, kann einem das aus meiner Sicht mehr schaden als nützen. Insgesamt muss ich diese Reha-Maßnahme als ergebnislos beurteilen, die mir außer einigen erholsamen Tagen und der Möglichkeit andere Menschen kennenzulernen, leider nichts gebracht hat. Übrig blieb eine große Leere und das Gefühl des Unverstanden-Seins sowie eine Entlass-Beurteilung für meinen Beruf von 3 bis 6 Stunden für die Rentenversicherung. Damit landete ich wieder beim Hausarzt und bei der Psychotherapeutin mit einer noch größeren Perspektivlosigkeit im Gepäck, da es mir nicht möglich ist länger als 2 bis 3 Stunden in der realen Arbeitswelt durchzuhalten. Bei weiteren neurologischen Untersuchungen wurde ich auf das GpZ Überlingen aufmerksam gemacht und an deren Integrationsfachdienst verwiesen. Beim Erstgespräch und einer SituationsAnalyse wurde mir das Angebot unterbreitet über die sogenannte niederschwellige Arbeitstherapie zum ersten Mal meine realen Möglichkeiten und Grenzen kennenzulernen. Von diesem Angebot machte ich gerne Gebrauch - im Rahmen einer nachmittäglichen Beschäftigung im Digital Service des GpZ von 2,5 Stunden täglich. Nach etwa 3 Monaten lässt sich nun meine Belastbarkeit deutlicher einschätzen und es wurde mir empfohlen eine berufliche niederschwellige Rehabilitation zu beantragen. Überhaupt wurden nun zum ersten Mal seit meiner Erkrankung erste wirkliche medizinisch psychologische Testungen durchgeführt, was meine Konzentrations- und Gedächtnisleistungen betrifft. Diese übertrafen bei weitem meine sowieso schon negativen Einschätzungen und bestätigten mir und meiner Familie die absolute Notwendigkeit einer beruflichen Rehabilitation, welche nun zügig angestrebt wird. Erkenntnisse und persönlich subjektive Wahrnehmungen: Zu beobachten ist eine Art Jo-Jo-Effekt. Sobald ich mich wieder leistungsfähiger fühlte, versuchte ich wieder meinen häuslichen Aufgaben und Hobbies nachzugehen, wenn auch in weit geringerem Umfang als vorher. Dies ist einerseits eine gute Motivation bei der Freude und Zufriedenheit erreicht werden. Andererseits fühle ich mich selbst bei meinem Lieb- Burnout Nichtbetroffene berichten Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 36 | 38 | | 39 wie Depression Vom Pech erdrückt Depressionen als Krankheitsbild Bei Depressionen ist der Gehirnstoffwechsel gestört. Dort ist entweder das serotonale und/ oder das noradrenale System verändert. Das bedeutet der Spiegel dieser Neurotransmitter ist erhöht oder sehr niedrig. Neurotransmitter sind die Stoffe, welche die Verbindung von einer Synapse zur anderen herstellen. Auch kann sich durch verschiedene Ursachen die Reizbarkeit der Synapsen verändern. Vermutet wird hierbei, dass der Serotoninhaushalt gestört sein kann. Also dem Gehirn fehlt der Antrieb weiter Serotonin ... Fotograf: Wilhelm Harlander 40 | Die Depression ist in Deutschland schon lange keine seltene Krankheit mehr. Im Moment leiden nach Schätzungen circa 4 Millionen Menschen in Deutschland an einer Depression und jedes Jahr erkranken Menschen neu. Quelle: www.neurologen-und-psychiater-im-netz.de Foto: pixelio - Jutta Rotter Der 2006 vom Bundesgesundheitsministerium veröffentlichte Arbeitsbericht zum „Nationalen Gesundheitsziel - Depressive Erkrankungen: verhindern, früh erkennen, nachhaltig behandeln“ greift Erkenntnisse aus zahlreichen Studien auf und beschreibt eine weite Verbreitung von depressiven Störungsbildern in der Bevölkerung. Dabei wird auf einen engen Zusammenhang von (schwerer) Depression und Suizidalität hingewiesen. Des Weiteren wird festgestellt, dass suizidales Verhalten bei Depressionen erhebliche geschlechtsspezifische Unterschiede zeigt: „Vor dem Hintergrund der Veränderungen der Al- terspyramide und der sich in den letzten Jahren geänderten Epidemiologie der Suizidalität zeigt sich, dass Frauen im fortgeschrittenen Lebensalter zu einer besonderen Risiko- und damit Zielgruppe der Suizidprävention werden.“ Auch für die Prävention von psychischen Erkrankungen, vor allem bei berufstätigen Frauen, wird eine geschlechtsspezifische Betrachtungsweise gefordert. Im Bericht „Gesundheit in Deutschland“ wird auf neuere Erhebungen verwiesen, wonach in Deutschland 15% der Frauen und 8% der Männer innerhalb eines Jahres eine depressive Phase durchleben. Krankheit Depression Interview mit einer Betroffenen Wie dachten Sie vor Ihrer Erkrankung über Menschen mit Depressionen oder anderen psychischen Beschwerden? Ich dachte, das seien Menschen. die mit ihrem Leben nicht zu recht kommen; und obwohl ich Psychologie und Kommunikation studiert hatte, dachte ich, dass es doch nicht so schwierig sein könne, da wieder raus zu kommen. Dies war eine theoretische Ansicht, inzwischen weiß ich, dass es praktisch sehr schwierig ist, weil die Depression sich einschleicht und als solche oft nicht erkannt wird. Wie sehen Sie das heute? Es ist den Betroffenen peinlich, Depressionen zu haben. Sie schämen und verstecken sich und werden zur Randgruppe. Wir müssen aus dieser Position raus (!), Depressionen gibt es und sie sind weit verbreitet. Das muss benannt und besprochen werden und in das allgemeine Verständnis von „normal“ integriert werden. Dies zu erreichen können nur wir Betroffene schaffen. Wie haben Sie vor Ihrer Erkrankung gelebt? Und… wie wurden Sie krank? Ich war erfolgreich als selbständige Unternehmerin tätig, in einigen Initiativen engagiert und habe mich sehr für Spirituelles interessiert. Als ich mich verändern wollte und hierher an den Bodensee zog, musste ich leider feststellen, dass es hier in meiner Branche nicht genug Aufträge gab. Ich begann finanziell abzusinken und wollte dies nicht wahrhaben. Ich flüchtete gedanklich zunehmend in die Esoterik, und abgelenkt vom Glauben, dass ich nur mit meinen Gedanken mein Leben verändern kann, habe ich lange nicht erkannt, dass meine Probleme im praktischen Leben immer grösser wurden. Ich sank weiter ab, wurde arbeitslos und schließlich Hartz-4-Empfängerin. Nun konnte ich mich nicht mehr über meinen Beruf identifizieren, was wir ja alle irgendwie tun, und damit ging mein wichtigster Bezug zum Leben verloren. Erst als ich wieder begann, mich als irdischer Mensch zu betrachten, fragte ich mich: „Wie bist du in diese Situation gekommen, wo ist denn deine Basis?“ So wurde mir klar, dass meine Lage ernst und ich krank war. Wie stellen Sie sich Ihr Leben heute vor? Nun, heute bin ich angewiesen auf Ärzte, Therapeuten und das Sozialamt. Obwohl diese Abhängigkeiten meinem Wesen zutiefst widersprechen, akzeptiere ich inzwischen, dass ich „Hartz-4-Empfängerin“ bin, und versuche das Beste daraus zu machen. Inzwischen weiß ich, wie wichtig es ist, sich immer wieder selbst anzuschauen, auch wenn es in schlechten Zeiten sehr schwierig ist. Die Realität zu betrachten ist unerlässlich! Betroffene berichten Depression Fachleute berichten Häufige psychische Symptome der Depression: Innere Leere, gedrückte Stimmung, Mangel an Antrieb und Interesse. Müdigkeit, Energieverlust. Nachlassen der Aufmerksamkeit, Konzentrations-störungen, Grübelneigung. Innere Unruhe, Schlaflosigkeit oder vermehrter Schlaf. Nachlassen der Kreativität, Reizbarkeit, Selbstvorwürfe. Mangelndes Selbstwertgefühl, negative Bewertung der eigenen Person. Fehlende Zukunftsperspektive. Gedanken von Schuld, Zurückbleiben hinter Anforderungen. Gefühl von Wertlosigkeit, Versagen. Gedanken von Hoffnungslosigkeit, von Überflüssig- und Wertlossein. Allgemeiner Pessimismus. Vorwürfe gegen Andere. Gedanken von Nichtgewolltsein, Nichtgeliebtsein, niemandem etwas wert zu sein. Gedanken von Nichtkönnen, Minderwertigkeit. Todes- und Ruhewünsche. Suizidideen-, Pläne- und Absichten. Häufe körperliche Symptome der Depression: Appetitverlust, Gewichtsabnahme und/oder –zunahme. Verstopfung oder Durchfall. Verlust an sexuellem Interesse. Rücken- und Gliederschmerzen, Kopfdruck, Schwindel, Übelkeit. Kloßgefühl im Hals, Beklemmung in der Brust, Zyklusstörungen. Reduzierte Vitalität, Kraftlosigkeit, rasche Ermüdbarkeit. Depressionen können Krankheiten wie z.B. Diabetes, Herzinfarkt, Bluthochdruck verschlimmern oder auslösen. Depressionen können auslösend oder verstärkend auf Suchterkrankungen wirken. Nichtbetroffene berichten Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten ... zu produzieren. Außerdem ist bei Menschen, welche an Depression erkrankt sind, ein erhöhter Wert des Stresshormons Cortisol im Blut zu finden. Als Behandlung kann Psychotherapie wie auch Antidepressiva eingesetzt werden. Eine Psychiatrische Behandlung ist natürlich auch möglich. | 41 Was ist denn nun eigentlich eine Depression? Ein Ausdruck der Depression ist, das „nicht mehr tun wollen“ des Körpers. Die Depression umfasst den ganzen Körper, nicht „nur den Kopf“. Sie nimmt uns nahezu alle Energie weg, sowohl geistig wie auch körperlich. Man fühlt sich kraftlos und entsetzlich schlapp, jede Tätigkeit wird zur Anstrengung, es fällt schwer in Bewegung zu kommen, und meistens kommen körperliche Beschwerden wie ein dumpfes Allgemeingefühl, Rückenschmerzen oder Kopfweh zur ohnehin schiefen Gefühlslage hinzu. Man kann sich an nichts mehr freuen, verspürt keinerlei Lust auch nur irgendetwas zu machen, nicht einmal dazu, sich selbst etwas Gutes zu tun. Man fühlt sich schlaff, nutzlos und handlungsunfähig. Im Alltag kostet es uns viel Kraft, dass wir versuchen weiterhin einen Status aufrecht zu erhalten, der vorher selbstverständlich für uns war, aber inzwischen nicht mehr da ist. Ich meine sowohl unser Selbstbild als auch unsere Wirkung nach außen. Welche Symptome, also Begleiterscheinungen, haben Sie an sich festgestellt? Ich war nicht mehr in der Lage, mich mit Freunden und Bekannten auszutauschen, nicht einmal über das Telefon. Die meisten Kontakte brachen ab. Ich ging nicht mehr raus und blieb tatenlos Nachdem ich mir über meine vermeintlich aussichtslose Situation klar geworden bin und erkannt habe, dass ich Hilfe brauche, ging ich zum Arzt. Ich habe ihm erzählt wie es mir geht, bin in Tränen ausgebrochen und habe dort eineinhalb Stunden am Stück geweint. Mein Arzt hat mich mit tröstenden Worten aufgefangen und während dieser Zeit bereits einen Antrag für einen Klinikaufenthalt geschrieben. Er hat für mich die Rolle des Beschützenden und Helfenden übernommen. Ich wollte dann möglichst bald in eine Klinik und hatte das Gefühl, das sei meine letzte Hoffnung - dank seiner schnellen Reaktion war ich etwa 6 Wochen später dort. Fotograf: Thomas Kaiser zu Hause. Die meiste Zeit saß ich völlig passiv auf dem Sofa und habe mich abgelenkt, teils freiwillig, teils wie automatisch. So saß ich oft stundenlang da und habe darauf gewartet, dass um 18.00h etwas Interessantes im Fernsehen läuft. Außerdem habe ich in dieser Zeit viel Wein getrunken. Wie hat Ihr Umfeld reagiert – sind Sie auf Verständnis und Hilfe gestoßen? Der Satz „Ich brauche Ihre Hilfe!“ hat bei mir Schleusen geöffnet, so ging ich auf die Menschen zu und sie haben mir geholfen. Freunde, Bekannte und Nachbarn haben sich während meines Klinikaufenthalts liebevoll um meine Haustiere, die Wohnung und meine Pflanzen gekümmert, und auch von Ärzten und Therapeuten habe ich viel Hilfe erhalten. Wie konnten Ihnen Bekannte helfen - was haben Sie als tatsächlich hilfreich empfunden? Ich war während der Depression kaum noch in der Lage selbständig kleine und einfache Aufgaben zu erledigen. Rechnungen, Briefe, sogar ein Überwei- sungsformular blieben wochenlang liegen und ich vernachlässigte meine Wohnung fast völlig. Hierfür mein Tipp: Suchen Sie sich einen Vertragspartner oder -partnerin mit dem bzw. der Sie Vereinbarungen treffen, welche Aufgaben Sie bis wann erledigt haben sollten. Diese Person kann ein Bekannter, ihr Therapeut oder ein anderer möglichst neutraler Mensch sein, es sollte aber nicht ihr Lebenspartner sein. Er sollte zuverlässig sein und sich getrauen gezielt nachzufragen, wie weit Sie gekommen sind. Außerdem sollten Sie genug Vertrauen zu ihm haben, um darüber zu sprechen, wo und warum Sie nicht weitergekommen sind und wie es Ihnen bei ihren Bemühungen ging. Nehmen Sie sich zu Anfang nicht zu viel vor, mit kleinen Schritten und immer wieder neuen Vereinbarungen kommen Sie sicher weiter. (Anmerkung des Interviewers: Der Einfachheit wegen wurden männliche Formulierungen verwendet, selbstverständlich sind auch alle weiblichen Personen mit angesprochen.) Wie wichtig oder hilfreich empfanden Sie die Rolle des Arztes? Wie konnte er Ihnen tatsächlich helfen? Wie sind Sie aus diesem „Sumpf“, ich denke das ist eine gute Verbildlichung der Depression, wieder herausgekommen? Der erste Schritt für mich war, dass ich mich der Realität gestellt habe und den Mut aufgebracht habe, mich und meine Situation zu betrachten. So wurde mir klar, dass ich krank bin und Hilfe brauche. Mein Arzt hat mich dann in eine Fachklinik eingewiesen. Dort habe ich Therapieformen wie Bonding und Holotropes Atmen gemacht. Nach dem Klinikaufenthalt habe ich eine Cranio-Sacral-Therapie begonnen, die ich bis heute mache. Diese körperbezogenen Methoden haben mir am meisten geholfen, eine reine Gesprächstherapie fand ich zum Aufarbeiten meiner Beschwerden nicht umfangreich und tiefgehend genug. Außerdem – und das war für mich genau so hilfreich wie die medizinische Fürsorge – habe ich für mich selbst eine Liste erstellt, mit allen meinen Fähigkeiten, die mir nur einfielen. Darin habe ich alles aufgelistet, was ich seit Kindheitstagen über mein ganzes Leben gelernt und mir angeeignet habe. Alles was ich mir erarbeitet habe, und die Gaben, die ich mitbekommen habe. Diese Liste wurde 8 Seiten lang, und am Ende stand ich da und erkannte für mich: „Das bist DU! Alles das hast DU gemacht und geleistet.“ An dieser Liste ist mein Selbstwert wieder gewachsen, es hat sich das Bewusstsein eingestellt „Ich bin wer!“, und ich konnte das Lebendigsein, das Menschsein mit all seinen Gefühlen wieder erfahren. (Anmerkung des Interviewers: Bonding – auch Casriel-Therapie, wird meist in größeren Gruppen paarweise durchgeführt. Nach einer Einführung wählen sich die Partner, Betroffene berichten Wie haben Sie zu dieser Zeit den Umgang mit Anderen, in der Familie oder bei der Arbeit, empfunden? Wenn du depressiv bist, bist du vor vielen Menschen nichts mehr wert. Du hast eine „psychische Macke“. Ich habe mich selbst so gefühlt und es kam vor, dass ich von Anderen so behandelt oder als „ach Du arme“ bemitleidet wurde. Eine psychische Erkrankung ist ein Tabu, keiner traut sich darüber zu reden, und das ist falsch. Ich verweise auf den Fall Robert Enkes: Seine Freundin hat mit viel Mut versucht eben dieses Tabu aufzubrechen und der Allgemeinheit mitzuteilen was eigentlich los war. Menschen mit Depressionen haben die gleichen Probleme und Sorgen wie Gesunde, nur an vielen Stellen eben sehr verstärkt. Dabei werden sie von der depressiven Gefühlslage zusätzlich eingeengt, was es unheimlich schwer macht, diese zu bewältigen. | 43 Fachleute berichten Depression Nichtbetroffene berichten Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 42 | Wie hat sich Ihr Leben seither verändert? Können Sie (wieder) glücklich sein? Obwohl ich zunächst unsanft auf dem Boden gelandet bin, bin ich sehr dankbar für diese Erfahrung und alles was ich auf diesem Weg lernen durfte – dankbar auch für die lange Erwerbsunfähigkeit: Ich hatte Zeit für mich. Ich bin bei mir selbst angekommen, habe meine Situation akzeptiert und angenommen. Während der Krise habe ich den Sinn in meinem Leben gefunden, und ich konnte daraus meine Aufgabe im Leben ableiten. Die gemachten Erfahrungen konnte ich verbinden und in mein Leben integrieren, seither fühle ich mich einfach nur authentisch, ich kann und will nicht anders als jederzeit ein authentischer Mensch sein. Ich bin dabei, wieder eine Firma aufzubauen, in die ich auch meine Lebenserfahrung einbringen möchte, und hoffe, bald wieder unabhängig sein zu können. Würden Sie sich heute als gesund – oder geheilt – bezeichnen? Was würden Sie unseren Lesern gern mitteilen? Ich habe durch Spiritualität meinen Sinn des Lebens erkannt und konnte viel Kraft daraus entwickeln. Ich warne aber davor, sich nur mit Esoterik zu befassen und die praktischen Aspekte des Lebens zu streichen. Bei solch einem Versuch habe ich den Kontakt zur Realität verloren und lange nicht erkannt, dass ich immer kränker werde. Es ist wichtig sich selbst in der Realität zu betrachten, und es gehört viel Mut dazu. Ich warne davor das Menschsein abzulehnen, man muss es annehmen, mit all seinen Gefühlen wie Trauer, Wut und Verzweiflung. Gefühle lassen uns das Leben erkennen, und nur so kann man ein ganzer Mensch sein. Nach solch einer Krise wird Dein Leben nie wieder so sein wie Du es dir wünschtest – aber genau das macht die Qualität daran aus. Ja – jetzt bin ich wirklich glücklich! Ich danke Ihnen für dieses Interview. Depression Betroffene Eine Depression ist schwer zu beschreiben. Sie kam bei mir immer phasenweise. Sie wurde bei mir jahrelang nicht behandelt, weil ich es nicht wahrhaben wollte, psychisch krank zu sein. Die Depressionen fingen richtig an, als ich zuerst meine Arbeit und dann meine Gesundheit verlor. Als dann die Dinge in meinen Partnerschaften auch nicht klappten, brach die Krankheit mit voller Wucht über mich herein. Der seelische Schmerz in mir war so groß, wie ich keinen körperlichen je erlebt hatte. Ich litt Höllenqualen über Wochen und Monate. Es wechselten sich Hunger- mit Fressattacken ab, ich wusch mich nicht mehr, zog mich nicht mehr an, nahm das Telefon nicht ab und ließ niemanden mehr in meine Wohnung. Ich konnte das Haus nur noch verlassen, wenn es unbedingt sein musste. Wenn ich überhaupt nichts mehr zu essen im Haus hatte, dann rannte ich zum Einkaufen und wollte so schnell wie möglich wieder zu Hause sein. Es gab nichts in meinem Leben, das mir Freude machte oder auf das ich mich freute. Ich lag nur noch im Bett und grübelte und grübelte und kam zu keinem Ergebnis. Außer, dass ich zu nichts tauge, klein, mies, hässlich, arm, krank und eine Zumutung für die Gesellschaft bin, ich hatte kein Selbstbewusstsein mehr. Ich war echt am Ende. Ich rauchte nur noch. Foto: pixelio - Ingo Neumann Meine Gesundheit und mein Leben, alles war mir scheißegal. Oft dachte ich, mach doch einfach Schluss mit diesem Scheiß. Irgendwann musste ich dann wegen Arbeitslosengeld II auf das Amt nach Friedrichshafen. Der nette Herr dort stellte mich vor die Alternative, entweder einen Bewerbungskurs in Markdorf zu besuchen oder mich im GPZ Überlingen vorzustellen. Ich entschied mich für das GPZ. Seit eineinhalb Jahren arbeite ich nun hier im Büro und es macht mich froh. Am Anfang konnte ich mich freiwillig hier im Haus bei einem Psychiater vorstellen. Er fand ziemlich schnell die passenden Medikamente für mich, schickte mich wegen meiner täglichen Kopfschmerzen zu einem Facharzt und heute nehme ich täglich ein Medikament, das die Schmerzen auf ein erträgliches Maß reduziert. Auch meine Depressionen sind viel besser geworden. Sie kommen nicht mehr so oft und nicht mehr so stark. Ich war auch zehn Wochen stationär in einer Klinik. Dort lernte ich sehr viel über mich. Ich bin nicht fähig, soziale Bindungen aufzubauen. Ich habe keine Freunde, sitze am Wochenende alleine zu Hause oder unternehme alleine etwas. Das macht mich dann traurig und auch depressiv. Aber ich entwickle mich auch weiter und lerne neues Verhalten und vielleicht kriege ich dieses Problem irgendwann in den Griff. Ich arbeite auch daran. - Laut Ärzten u. Psychologen hat fast jeder Mensch im Laufe seines Lebens eine depressive Phase. - Die Entwicklung unserer Gesellschaft führt zu mehr depressiven Menschen, wir leben im „Zeitalter der Depression“. (G. Klermann; M. Weissman, 1989) - Nach den Angaben der Weltgesundheitsorganisation wird die Depression im Jahr 2020 weltweit die zweithäufigste Erkrankung sein. (Dr. Sandker, LWL-PsychiatrieVerbund) Betroffene berichten Ich habe immer mal wieder depressive Schübe, das kommt irgendwann wieder. Aber durch die gewachsene Erfahrung mit der Krankheit kann ich nun wie von außen beobachten, wann ich wieder in die Depression reinzurutschen drohe. Diese Position ermöglicht es mir „nein“ zu sagen und meinen Willen dem entgegenzustellen. Das und die Besinnung auf meine Fähigkeiten geben mir Kraft innerlich umzudrehen, diesem Abrutschen entgegenzuwirken, dadurch dauern sie nur noch 1 bis 2 Tage. | 45 Fachleute berichten einer arbeitet, der andere begleitet. Der Begleiter legt sich auf den Arbeitenden, dieser umarmt den Begleiter und beginnt dann damit, seine Empfindungen und Gefühle wahrzunehmen. Während des gesamten Bondingprozesses macht der Arbeitende die positive Erfahrung, dass der Bondingpartner im engen Kontakt mit ihm bleibt, obwohl er sich erlaubt Dinge auszusprechen und zu erleben, die er bisher als hoch problematisch und evtl. inakzeptabel vermieden hat. Holotropes Atmen - ist eine Atemtechnik, durch die man nach Ansicht ihrer Anwender in Erfahrungsbereiche eintreten kann, die dem Bewusstsein im Allgemeinen nicht zugänglich sind. Das Ziel dieser Technik ist die Bearbeitung und Integration bislang unzureichend integrierter Persönlichkeitsanteile und eine „Hinbewegung auf Ganzheit“. Cranio-Sacral-Therapie - auch Kraniosakraltherapie oder „Schädel-Kreuzbein-Therapie“, ist eine alternativmedizinische Behandlungsform, die sich aus der Osteopathie entwickelt hat. Es ist ein manuelles Verfahren, bei dem Handgriffe vorwiegend im Bereich des Schädels und des Kreuzbeins ausgeführt werden. Dieses Vorgehen soll einen angenommenen „Energiefluss“ verbessern und Selbstheilungskräfte aktivieren sowie Funktionseinschränkungen und seelische Traumata lösen. - Quelle: www.wikipedia.org) Depression Nichtbetroffene berichten Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 44 | Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 46 | | 47 wie Doppeldiagnose Fotograf: Andrè Reinders „Oh hast Du da keine Angst“ Eine Mitarbeiterin einer Fachklink für Doppeldiagnose berichtet hier ganz unverblümt Seit einiger Zeit betreibe ich eine persönliche “Studie“. Völlig privat, völlig unprofessionell und völlig unwissenschaftlich. Diese “Studie“ befasst sich mit dem Verhalten meiner Mitmenschen, wenn sie erfahren welcher Tätigkeit ich nachgehe. Auf die Antwort : „ Ich arbeite mit suchtkranken Menschen, die zusätzlich eine psychiatrische Diagnose haben,“ folgen zu 90% ähnliche Reaktionen. „Oh, hast Du da gar keine Angst?“ „Meine Güte, dass muss schwer sein“... Oder bedauern mich ganz offen. Aber wovor denn Angst? Wozu das Bedauern? Ich arbeite gern in meinen Beruf und fühle mich in der Einrichtung genau am rechten Fleck. Bei mir stellt sich nur immer mal wieder die Frage: Was treibt die Menschen zu solchen Vorurteilen und unterschwellige Angst? Um das besser verstehen zu können, bedarf es etwas Hintergrundinformation: Oft fällt der Begriff Doppeldiagnose. Eigentlich bedeutet es ganz allgemein, daß ein Mensch 2 verschiedene Diagnosen erhalten hat. Zum Beispiel eine Herzmuskelschwäche und Diabetes oder ein gebrochenes Bein und einen Leberschaden oder, oder... Bei Suchtkranken spricht man von einer Doppeldiagnostik, wenn zu der Suchtproblematik zusätzlich eine psychische Erkrankung vorliegt. Man spricht von einer Psychose / Sucht - Komorbidität. „Von einer Psychose spricht man, wenn die Fähigkeit, Umweltreize aufzunehmen und zu verarbeiten, so gestört und verzerrt ist, dass die Anpassung an den Alltag und an die Rollenerwartungen nicht mehr gelingt und die Betroffenen den Bezug zur Realität verlieren.“ Dabei muss man zwischen Drogenkonsum bei Psychosen und einer drogeninduzierten Psychose unterscheiden. Bei dem Einen bestand anamnestisch zuerst eine Psychose mit folgender Suchtproblematik. Dabei versuchen die Betroffenen durch den Konsum von Alkohol wie auch illegale Drogen, ihr Leiden im Sinne einer Selbstmedikation zu lindern. Sie konsumieren psychoaktive Substanzen wie Alkohol, Haschisch, Heroin... um besser einschlafen zu können, um die psychotischen Symptome (wie z.B. Stimmen hören) als nicht mehr so bedrängend zu erleben oder um das Alleinsein besser auszuhalten. Beim Anderen wurde die Psychose durch den Drogenkonsum ausgelöst. Manche Menschen sind aufgrund konstitioneller Faktoren/genetischer Veranlagungen anfällig für eine drogeninduzierten Psychose. Durch den Konsum von Suchtmitteln kann eine Psychose angestoßen oder verursacht werden. In vielen Fällen ist eine Aussage nur schwer möglich, ob es ohne Suchtmittelkonsum ebenfalls zum Ausbruch einer Psychose gekommen wäre. Nun zurück zu meiner ursprünglichen Frage: Wie kommt es zu solch einer Ablehnung sucht - und psychisch kranker Menschen? Angst! Angst ist meiner Meinung nach die vorherrschende Triebfeder dieser Ablehnung. Sucht wird verbunden mit Begriffen wie z.B. Absturz, Kriminalität, starke körperliche Schäden, Kontrollverlust und finanziellem wie sozialem Abstieg. Wir fühlen uns angewidert von dem Säufer und dem Junkie unter der Brücke. Bei dem Wort Psychose kommt ein ganzes Arsenal von Gefühlen auf den Plan. Man ist nicht mehr „Herr seiner Sinne.“ Kann den eigenen Sinnen nicht mehr trauen. Die Frage stellt sich: „Wo bin ich gefährdet?“ „Wo ist die Grenze zur Sucht?“ „Kann auch ich eine Psychose bekommen?“ „Wann bin ich nicht mehr Herr meiner Sinne?“ Das kann verständlich Angst machen! Und Angst führt zur Ablehnung. Eines sollte uns allen bewusst sein: Suchtkranke Menschen mit Psychosen sind keine „Monster“. Sondern einfach Menschen mit Problemen. Große Probleme zugegebener Maßen, aber auch nicht mehr. Sie sind genauso nervig, wertvoll und liebenswert wie wir alle auch. Mir war alles egal Endlich hatte ich meine eigene Welt und ich begann ziemlich sofort regelmäßig zu kiffen, und auch Extasy und Speed probierte ich bereits mit 13 Jahren. Meine Eltern und Geschwister wurden mir egal. Ich genoss es sogar, sie hilflos zu sehen. Mit 15 Jahren kiffte ich bereits von morgens bis abends. LSD und Heroin waren so ziemlich das Einzige, wovon ich die Finger ließ. In die Schule ging ich eigentlich nur, weil ich in meinen Klassenkameraden verliebt war. Meiner großen Leidenschaft, dem Volleyball spielen, ging ich auch noch nach. Doch die 9 Stunden wöchentlich erlebte ich meist unter Drogeneinfluss. Mein Lehrer in der Schule fragte meine Mutter, ob magersüchtig sei. Mit 16 wog ich ca. 40kg bei einer Größe von 1,70 cm. Auf der Schule schien niemand zu merken, in welcher Gefahr ich wirklich war. Doch meine Eltern machten sich große Ein junge Frau erzählt von Ihrer Erfahrung mit Drogen und deren Folgen Einer völlig unbeschwerten Kindheit folgten die Pubertät und damit auch die Drogen. Nachdem ich Freunde meiner Schwester beim Kiffen beobachtete, war der erste Eindruck gleich der falsche. Einige Wochen später, saß ich nach der Schule im Bus. Zwei Kindheitsfreunde wollten sich treffen um zu kiffen. Als ich das hörte fragte ich gleich, ob ich auch mitmachen dürfte. Also trafen wir uns. Die Wirkung von Haschisch überzeugte mich. Ich lehnte mich zurück und murmelte: „Das ist es“. „Ich nehme Sie in den Arm“ Der Vater erzählt im Interview von seiner Situation Wann ist ihnen aufgefallen, dass Ihre Tochter Drogen konsumiert? Kann ich mich nicht genau erinnern. Es war für mich anfangs nichts Schlimmes. Viele Menschen haben in ihrem Leben Drogen probiert. Wie lange hat es dann noch gedauert bis Sie es als gefährlich einstuften? Ich bin mit Ihr zum Arzt und dabei war Sie sehr weggetreten und kaum ansprechbar. Wie hat Ihre Tochter meist auf Sie gewirkt? Sie war beschäftigt mit anderen Sachen und viel unterwegs. Sie war wie viele Kinder, die in der Pubertät sind und einfach viele verrückte Sachen machen. Wie sind Sie mit der Hilflosigkeit umgegangen die Sie erfahren haben? Durch Gespräche mit der Mutter/Partnerin und anderen Betroffenen, meist Eltern. Außerdem hatte ich mit der Polizei und einem Streetworker Kontakt. Leider konnte niemand helfen. Der Schlüsselsatz war immer bei allen, dass man „die Tür auflassen soll.“ Also dass Sie immer kommen kann. Was haben Sie versucht, um Ihrer Tochter zu helfen? Es war schon eine Ohnmacht die ich erlebt habe. Es war schon extrem. Es gab kaum einen Weg einzugreifen. Glauben Sie das war eine wichtige Erfahrung für Ihre Tochter? Ja klar. Tiefe Krisen sind eine Ich-Findungs-Möglichkeit. Für mich war es auch eine besondere Erfahrung. Ich musste loslassen und akzeptieren, dass Sie sich umbringen darf. Wovor hatten Sie damals Angst? Vor der gesamten damaligen Situation. Ich hatte Angst, dass es mir über den Kopf wächst. Die gesamte Familiensituation ist damals eskaliert. Es ist eine Herausforderung für jeden gewesen. Ich kam eher noch leicht damit zurecht. Was haben Sie durch die Zeit gelernt? Gelassenheit. Ich habe auch gelernt den anderen mehr zu lassen. Jeder ist eine vollständige eigene Person mit einer eigenen Geschichte. Die Beurteilung oder was im Leben sinnvoll ist, kann für jeden anders sein, oder was für mich richtig ist kann für den anderen falsch sein. Was ist Ihre dominanteste Erinnerung an diese Zeit? Dass man es nur geschehen lassen konnte. Dass ich fast nichts machen konnte, denn sie konnte Ihr Leben nicht mehr gestalten. Es war ein Kontrollverlust. Was empfanden Sie, als Sie wussten das Ihre Tochter krank geworden ist? Es war eine Erleichterung, eine Lösung war gefunden. Nach 3 Wochen sollte es ja eigentlich wieder gut sein. Es war ja ein langer Prozess der sich über 3 Jahre zuspitzte. In dem Sinne war es eine Erleichterung. Jetzt ist was passiert. Es war eine Wendung zum Guten. Gibt es die Möglichkeit eine Drogensucht zu verhindern? Jede Gesellschaft hat ihre Drogen. Seit Jahrtausenden. Wir sollten versuchen gut damit umzugehen. Welchen Rat geben Sie anderen Menschen in ähnlicher Situation? Ich nehme sie in den Arm. Betroffene berichten Mein neues Zuhause war die Kinder- und Jugendeinrichtung „Krille Haus“ in Karlsruhe. Von dort aus ging ich auch wieder zur Schule. Mit 2.0 im Durchschnitt machte ich meinen Hauptschulabschluss nach. Drei Jahre später, also mit 19 Jahren, ging es mir dank dem passenden Medikament wieder gut. Also beschlossen meine Eltern, der Arzt und ich, dass Medikament abzusetzen. Es ging fast gut, erst als ich die niedrigste Dosierung erreicht hatte begann ich wieder zu spinnen. Es begann eine Krankheitsphase die ungefähr 5 Jahre anhielt. Damals zog ich für eine zweite Reha-Maßnahme nach Wuppertal. Dort ging ich zur Schule und versuchte wieder Boden unter den Füssen zu bekommen. Doch es besserte sich nur langsam. Ich hatte sehr starke seelische Schmerzen. Vor vier Jahren bin ich dann zurück nach Überlingen gezogen. Mittlerweile fühl ich mich wieder gut. Im Rückblick lag es an den Medikamenten. Bis heute habe ich ca. 10 Neuroleptika ausprobiert und es gibt eines das bei mir hilft. Die Nebenwirkungen sind kaum merklich. Einen leicht erhöhten Appetit habe ich, doch das kenne ich mittlerweile und mein Gewicht liegt im Normal-Bereich. Derzeit bin ich im GpZ Überlingen und mache eine berufliche Reha, mit dem Ziel, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Was die Thematik meiner Drogensucht angeht bin ich auf einem guten Weg. Seit fast einem Jahr lebe ich sogar nikotinfrei. Wenn ich mit illegalen Drogen konfrontiert werde, bin ich sehr zurückhaltend. Mein Leben ist mir heute zu viel wert, als dass ich es mir mit Drogen zerstören will. In allem war es eine Erfahrung durch die ich viel gelitten, aber auch viel gelernt habe und das hatte ich wohl nötig. | 49 Fachleute berichten Sorgen. Sie mussten jedoch bald merken, dass sie nichts tun konnten. Einmal schleppte mich mein Vater ins Krankenhaus. Durch Zufall konnte ich die Reaktionstests usw. noch gut beantworten. Mein körperlicher Zustand war jedoch schlecht. Wenn ich etwas kiffte, übergab ich mich meist. Das empfand ich dann als erleichternd. Wenn ich alle paar Tage nach Hause kam, war das meist die einzige Möglichkeit etwas zu essen. Mir war aber völlig unbewusst wie schlecht ich mit mir umging. Meine Eltern baten auch die Polizei um Hilfe, aber da ich für niemanden eine Gefahr darstellte und ich völlig therapieuneinsichtig war, konnte mir niemand helfen. Ein, zweimal ging ich zu einer Drogenberatungsstelle, doch auch das brachte keine Veränderung. Doch der massive Drogenkonsum wirkte sich bereits auf meinen Hirnstoffwechsel aus. Ich litt unter Verfolgungswahn. In den ersten Monaten gelang es mir noch, die Wahrnehmung von Scheinkameras in meine Persönlichkeit zu integrieren. Niemandem meiner Drogenfreunde fiel etwas auf. Nachdem ich die 9. Klasse in der Realschule nun wiederholte brach ich langsam zusammen. Auch die heftigen Streitigkeiten mit meinen Eltern und zwei Geschwistern ließen nach. Nach ca. 4 Monaten Verfolgungswahn erzählte ich dann meiner Mutter, dass ich wegziehen wollte. Meine Mutter fragte warum. Also erzählte ich ihr von den Kameras. Was mir heute noch unerklärlich ist, meinte ich sogar, dass ich Tabletten wollte, damit das weg geht. Mir war nämlich damals noch nichts über psychische Krankheiten bekannt. Am nächsten Tag beim Arzt bekam ich dann meine Diagnose „Drogeninduzierte paranoide Psychose“. Eine Stunde später fand ich mich in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Weissenau wieder. Dort brach ich innerlich von Tag zu Tag mehr zusammen. Die Drogen hatten mir noch geholfen, die lästernden Stimmen und den Verfolgungswahn zu ertragen, doch nun musste ich wieder in den Spiegel schauen. Drei Monate wurde ich erfolglos mit einem Medikament behandelt. Unter den folgenden hochpotent wirkenden Mitteln litt ich unter zu großen Nebenwirkungen. Erst der dritte Medikamentenwechsel brachte mich wieder in die Realität zurück. Nach 7 Monaten Weissenau hatte man dann auch endlich ein neues Zuhause gefunden. Damit ich erfolgreich lernen konnte ohne Drogen zu leben, sollte ich meine Heimat, den Bodensee, verlassen. Doppeldiagnose Nichtbetroffene berichten Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 48 | 50 | | 51 wie Entstigmatisierung Entstigmatisierung Die WHO stellt in ihrem Aktionsplan für Europa fest, dass Menschen mit psychischen Gesundheitsproblemen in vielen Fällen aufgrund von Diskriminierung nicht die gleichen Möglichkeiten geboten werden. „Die Menschenrechte und die Würde dieser Personen müssen geschützt werden. Eigenverantwortung ist ein entscheidender Schritt, da sie Integration und gesellschaftliche Eingliederung fördert. Fehlende Einflussmöglichkeiten für die Organisationen von Betroffenen und Betreuenden, sowie unzureichende Vertretung verhindern die Gestaltung und Einführung von Konzepten und Maßnahmen, die auf die Bedürfnisse und Wünsche... Fotograf: Brigitte Sanladerer Modellprojekte haben gezeigt, dass Aufklärung und gezielte Maßnahmen Vorurteile und Diskriminierung erheblich verringern können. Bereits 1996 hat der Weltverband für Psychiatrie [www.wpanet.org] ein Anti-Stigma-Programm konzipiert, das sich in seinen Zielen und Inhalten an den Bedürfnissen und Wahrnehmungen von schizophren erkrankten Menschen, ihren Familien und den Menschen orientiert, die beruflich mit ihnen in Kontakt stehen. Ziel dieses Bündnisses ist es, das Wissen über psychische Erkrankungen in der Öffentlichkeit zu verbessern und psychisch kranken Menschen eine gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft zu ermöglichen. Gemeinsam mit Bündnispartnern aus relevanten gesellschaftlichen Feldern wie Politik, Gesundheitswesen, Medien, Arbeitswelt, Bildung, Sport und Kirche wollen sich die Initiatoren und Beteiligten des Bündnisses dem Abbau von Stigma und Diskriminierung der Betroffenen annehmen, um eine Verbesserung der Akzeptanz und Integration von Menschen mit psychischen Erkrankungen auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens zu erreichen. Die fachlichen und politischen Entwicklungen in der Psychiatrie, neue Behandlungsmöglichkeiten und Versorgungsstrukturen sowie das Engagement von Psychiatrie-Erfahrenen und Angehörigen haben inzwischen zu einer besseren Versorgung psychisch kranker Menschen in Deutschland geführt. Dennoch bestehen in der Bevölkerung weiterhin hartnäckige Vorurteile gegenüber Menschen mit psychischen Erkrankungen. Kinder und Jugendliche mit psychischen Beeinträchtigungen unterliegen einem besonderen Risiko, insbesondere in der Schule ausgegrenzt zu werden. Erwachsene verschweigen psychische Erkrankungen bzw. Aufenthalte in stationären psychiatrischen Einrichtungen gegenüber Arbeitgebern, Kolleginnen und Kollegen, Bekannten oder Vermietern aus Scham und Furcht vor Diskriminierung. Psychisch kranken Menschen wird häufig ihre Störung zum Vorwurf gemacht und Eltern von psychisch kranken Kindern [entgegen wissenschaftlichen Erkenntnissen] eine fehlerhafte Erziehung vorgehalten. Stigmatisierung psychischer Leiden entsteht unter anderem daraus, dass diese nicht als Krankheiten wahrgenommen werden. Besonders große Vorbehalte bestehen gegen Menschen, die an einer schizophrenen Erkrankung leiden. Stigmatisierung kann bedingen, dass Menschen aus Furcht eben vor dieser Stigmatisierung sich nicht oder zu spät behandeln lassen, die Behandlung abbrechen oder ihre Erkrankung durch eine Stigmatisierung verstärkt wird. Auch Angehörige von psychisch kranken Menschen werden oft in diese Vorurteile mit eingeschlossen. Es braucht Zeit und Geduld, die oft tief verwurzelten negativen Einstellungen bei Menschen zu verändern. Um auf diese Veränderungsprozesse hinzuwirken, reichen keine einmaligen Veranstaltungen, dies erfordert einen fortlaufenden Prozess, der auf vielen Ebenen geführt werden muss. Stigmatisierung und Diskriminierung Menschen, die an Schizophrenie erkrankt sind, werden häufig pauschal als gewalttätig und unberechenbar eingestuft. Menschen mit Depressionen oder einer Suchterkrankung hören oft, ihnen fehle nur die nötige Selbstdisziplin. Dies sind nur zwei Beispiele für Vorurteile gegenüber Menschen mit psychischen Erkrankungen. Die Ausgrenzung und Diskriminierung psychisch Kranker erfolgt auf unterschiedlichen Ebenen: Im Rahmen zwischenmenschlicher Beziehungen, am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft, durch die Politik, private Versicherungsanbieter oder allein durch eine diskriminierende Darstellung seelisch Kranker in den Medien. Die Betroffenen sehen sich aufgrund ihrer Krankheit mit einem negativen Stereotyp konfrontiert. Sie müssen häufig erfahren, wie sich Menschen aufgrund ihrer Erkrankung von ihnen abwenden oder wie ihnen Lebenschancen genommen werden. Menschen mit psychischen Erkrankungen werden vielfach aus unserer Gesellschaft ausgegrenzt. Die Ausgrenzung findet dabei nicht immer in offener Ablehnung und Benachteiligung statt, sondern auch verdeckt und schleichend. Betroffen sind dabei nicht nur die Kranken selbst, sondern häufig auch ihre Angehörigen. Sie erfahren ebenfalls Ablehnung oder müssen die Ausgrenzung der ihnen nahestehenden Menschen miterleben. Diesen Prozess nennt man in der Fachsprache Stigmatisierung. Das Stigma, das einer psychischen Erkrankung angelastet wird, erweist sich für die Betroffenen als schwerwiegende zusätzliche Belastung. Stigmatisierung gilt daher auch als „zweite Krankheit“. Sie kann nicht nur den Heilungsprozess behindern, sondern häufig auch eine frühzeitige Diagnose und Behandlung. Denn aufgrund der negativen Attribute, die mit psychischen Erkrankungen verbunden werden, gehe viele Betroffene nicht oder erst spät zum Arzt, um die Diagnose „psychisch krank“ zu vermeiden. Für die Betroffenen bedeuten die negativen Reaktionen auf ihre Erkrankungen nicht zuletzt, dass ihr soziales Netz – Lebenspartner, Freundesund Bekanntenkreis – stark belastet wird. Stigmatisierung hat noch weitere gesellschaftliche, wie wirtschaftliche Folgen für die Betroffenen: Beispielsweise sind Menschen mit psychischen Erkrankungen im besonderen Maße von Arbeitslosigkeit betroffen. Sie, wie auch ihre Angehörigen, haben ein erhöhtes Armutsrisiko. Auch Obdachlosigkeit kann zu den Folgen der Stigmatisierung zählen. Foto: pixelio - Rike Betroffene berichten Das Grünbuch der europäischen Kommission greift die Thematik der Stigmatisierung ebenfalls auf. Es stellt fest, dass ungeachtet verbesserter Behandlungsmöglichkeiten und positiver Entwicklungen in der psychiatrischen Versorgung psychisch kranke Personen nach wie vor soziale Ausgrenzung, Stigmatisierung, Diskriminierung und Verletzungen ihrer Grundrechte und ihrer Menschenwürde erfahren. Aus Sicht des Grünbuchs bedarf es auch einer Verhaltensänderung in der Öffentlichkeit, bei Sozialpartnern, Behörden und Regierungen. Die Öffentlichkeit sollte stärker für psychische Erkrankungen und Therapiemöglichkeiten sensibilisiert werden. Die Integration psychisch kranker Menschen ins Arbeitsleben sollte stärker gefördert werden, woraus eine höhere Akzeptanz und ein größeres Verständnis in der Gesellschaft erhofft werden. Hierfür wird mit langfristigem Engagement ein breit gefächertes, bundesweites Aufklärungsprogramm durchgeführt. Das Aktionsbündnis ist als organisatorisches und kommunikatives „Dach“ zu verstehen, unter dem bereits aktive lokale und überregionale Antistigmaprogramme und Initiativen in einem Verbund auf nationaler Ebene zusammengeführt werden. Weitere Informationen unter www.openthedoors.de. | 53 Fachleute berichten ... der Betroffenen zugeschnitten sind.“ Sie hat daher zur Entwicklung und Umsetzung etlicher Maßnahmen aufgerufen, die u. a. Information und Aufklärung der Bevölkerung, aber auch der Medien, eine entsprechende Gesetzgebung gegen Stigmatisierung und Diskriminierung, Standards für die Einbindung Betroffener in Planungs- und Entscheidungsprozesse der Versorgungsstrukturen und die Beseitigung von Diskriminierung bei Einstellungen auf dem Arbeitsmarkt bzw. die Schaffung von Zugängen zum Arbeitsmarkt beinhalten. Enstigmatisierung Nichtbetroffene berichten Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 52 | Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 54 | Fotograf: Christoph Letzner | 55 wie Ergotherapie Ambulante Ergotherapie Der Begriff Ergotherapie kommt aus den früheren Bereichen Arbeits- und Beschäftigungstherapie. Es gibt die klassische Ergotherapie in Deutschland erst seit 1999, da wurden die gesetzlich geschützten Bereiche Arbeits- und Beschäftigungstherapie in die ebenfalls gesetzlich geschützte Ergotherapie umgewandelt. Ergotherapie unterstützt u.a. Personen, die eine psychische Erkrankung haben, Menschen mit Behinderungen – sei es körperlicher oder geistiger Art, Kinder, Senioren, Menschen, die nach Unfällen/Erkrankungen in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt sind. Sie unterstützt diese Menschen dabei, wieder handlungsfähig zu werden, mit dem Ziel, bedeutungsvolle Betätigungen wieder zu erlernen und den Alltag soweit wie möglich selbstständig zu bewältigen. Dies begründet sich nicht nur auf gestalterische Ausdrucksweise, sondern bezieht die Bereiche Selbstversorgung Produktivität – also Arbeitsfähigkeit und Freizeitgestaltung mit ein. Die Ergotherapie soll dazu dienen, am Alltag und in der Gemeinschaft oder Gesellschaft wieder sicherer zu werden und die Verbesserung der Lebensqualität zu ermöglichen. Ergotherapie kann sozialwissenschaftlich, medizinisch oder handlungsorientiert begründet sein. Sie ist ein anerkanntes Heilmittel und wird vom Hausarzt oder Facharzt (Neurologe/Psychiater) verordnet. Es stehen in dieser Therapieform nicht die Beeinträchtigungen, sondern die wieder zu erlernenden Fähigkeiten im Vordergrund. In der Psychiatrie bietet sie die Möglichkeit u. a. die jeweils eigenen - kreativen - Fähigkeiten wiederzuentdecken oder neu zu entfalten, oder durch Hirnleistungstraining am Computer das Gedächtnis zu schulen und die Konzentrationsfähigkeit zu verbessern. Ergotherapie sollte ganzheitlich arbeiten, aber es ist noch schwierig, diese Aufgaben in der Psychiatrie zu bewältigen, da die Ergotherapie hier noch in den Kinderschuhen steckt. Ziele der Ergo in der Psychiatrie sind: u.a. Antrieb, Belastbarkeit, Ausdauer, Flexibilität, Selbstständigkeit und Konzentration zu fördern sowie die Stärkung von Sozialkompetenzen. Vor allem dient die Therapie auch der Tagesstrukturierung. Frage: Gibt es vielleicht so etwas wie einen „Fahrplan“, in dem vorgeschrieben ist, welche Anwendungen für diese Diagnose anzuwenden sind? Interview Ergotherapie Frage: Und wie ist das mit dem Metakognitiven Training, das Sie auch anbieten? Laut Wikipedia ist das das Nachdenken über das Denken, aber so einfach ist das wohl doch nicht. Können Sie kurz benennen, was wir uns als Nichtbetroffene darunter vorstellen können und für welche Erkrankungen das konzipiert wurde? Frage: Sie haben es ja mit vielen verschiedenen psychischen Diagnosen zu tun, aber ich glaube auch mit physischen, oder liege ich da falsch? Antwort: Ja, Sie liegen falsch, da ich hier „nur“ Personen mit einer psychischen Diagnose behandle, weil u. a. auch die Ausstattung, Zeit und Räumlichkeit nicht gegeben ist. Sollten doch mal Patienten mit einer physischen Erkrankung zu mir kommen, verweise ich sie an die Ergotherapie-Praxen in der Nähe. Antwort: Es gibt keinen konkreten „Fahrplan“, sonst müsste ja überall eine Depression, Schizophrenie, Angst- und Essstörung gleich behandelt werden. Nein, es kommt immer darauf an, was dem Klient wichtig ist, was er wiedererlangen möchte. Im Vordergrund steht der Klient und nicht die Diagnose. Man nennt es klientenzentriertes Arbeiten. Aber oftmals gibt die Diagnose schon Auskunft, wo der Haken liegt. z.B. Menschen mit Depressionen zeigen einen eher negativen Beurteilungsstil, woran dann gearbeitet werden kann. Antwort: Metakognitives Training bedeutet so etwas wie Denken über das Denken, also, sich mal Gedanken zu machen über unsere Denkprozesse. Vieles läuft ja unbewusst ab und es kann ganz schnell zu Fehlinterpretationen führen, die besonders bei Menschen mit Psychosen oder Depressionen in schwerwiegenden zwischenmenschlichen Problemen enden können. Insgesamt gibt es acht Einheiten zu verschiedenen Themen, die auch für Nichtbetroffene ganz interessant sind. Schließlich sind wir alle nicht frei von Fehlern und Schwächen. Frage: Ergotherapie wird ja entweder vom Facharzt oder Hausarzt verordnet. Haben Sie schon Fälle gehabt, wo das mit der Rezeptausstellung Probleme mit der Krankenkasse gab und Sie intervenieren mussten? Hat jeder ein Recht auf Ergotherapie? Antwort: Ich hatte noch nie Probleme mit den Rezepten bzw. Rezeptausstellungen. Aber es ist bekannt, dass die Kassen sparen wollen und oftmals Ergotherapie in Frage stellen. Ergotherapie ist ein ärztlich verordnetes Heilmittel, genauso wie Physiotherapie, Massage, Logopädie etc., aber es obliegt dem behandelnden Arzt, ob und wie lange er Ergotherapie verordnet. Im Rahmen der Budgetierung der niedergelassenen Ärzte sind aber auch von ihnen Sinn und Zweck teilweise in Frage gestellt, denn es muss tatsächlich auch darauf geachtet werden, ob die Therapie für die Betroffenen ein sinnvolles Heilmittel ist, oder er/sie nicht von anderen Behandlungsmodellen profitieren könnten. Aber das muss von Person zu Person individuell betrachtet werden. 56 | | 57 Die Blume Ergotherapie aus meiner Sicht Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten Ich bin jetzt seit einem Jahr hier in der Ergotherapie und fühle mich dort sehr gut aufgehoben. Ich mache neben den gestalterischen Elementen auch Hirnleistungstraining am Computer. Pflück`, die Knospe, für ein Glück. Pflück` die Blume, aber zerbrich Sie nicht. Insgesamt kann ich auf 6 Jahre Ergotherapie zurückblicken. Ich dachte zwar immer, dass mir irgendwann die Ideen ausgehen, aber ich hab doch immer was Interessantes gefunden, oder wenn mir nichts mehr einfiel, hatten die Therapeuten ganz spannende Ideen. Pflück´, die Blüte. Pflück sie nicht. Sie welkt vor Deinem Angesicht. Besser ist`s Du zeichnest Eine. Eine grosse, eine kleine Denn Sie sind lange Zeit die Deine. Es ist von Woche zu Woche unterschiedlich, was anliegt, ob ich nun kreativ sein will oder nur am Computer hocken. Es hängt auch ein wenig von meinen Innenkindern ab, manchmal wollen die ganz schnell was gestalten, dann bietet sich ein Mandala oder Ton an, auch Seidenmalerei ab und zu, aber dazu braucht es schon etwas mehr Konzentration: Speckstein eignet sich dazu; wenn ich mal etwas in Form bringen will, dazu ist Ton zwar auch geeignet, aber bei Speckstein muss man schon Kraft anwenden, das geht zum Beispiel nicht immer: beim Specksteinbearbeiten schaue ich mir den unbearbeiteten Stein an und überlege, was der Stein werden will. Es ist mir auch schon passiert, dass ich unbedingt aus einem Stein was bestimmtes modellieren wollte, vom Speckstein aber immer etwas rausbrach, ich musste dann was anderes daraus machen. Für mich war es eine kleine Katastrophe, denn ich konnte mich schwer damit abfinden, dass etwas nicht nach Plan läuft. Pflück´, die Blume; Pflück sie nicht. Wenn Du sie pflückst, zerbrich sie nicht. Lass die Blume und es wird sich zeigen: „Ein Jahr später schon ein Blumenreigen“. Pflück` die Blume, Für Bekannte und Verwandte. Auch irgendwann pflückt die Blume man für dich. Pflück´ die Blume, pflück Sie schon, Denn sie sind auch Gottes Lohn. Monte Christo 5.5.2008 Ich finde die Ergotherapie ist auch ein gutes Mittel, mal meine Grenzen auszutesten und zur Tagesstrukturierung. In der Ergotherapie vom GpZ gibt es die Möglichkeit mit Ton zu arbeiten oder aus einem Speckstein etwas zu modellieren, auch werden dort Seidentücher bemalt. Aus Peddigrohr kann man schöne Körbe flechten, dann gibt es noch verschiedenen Papiermaterialien zum Basteln und Malen, Malutensilien gibt es in Form von Aquarell- und Acrylfarben. Man kann aber auch Mandalas ausmalen. Weitere Arbeitsutensilien sind Linoldruck oder auch Pappmaché. Die Therapeutin bietet auch noch das Metakognitive Training an. Foto: Pixelio - Martina Brunner Betroffene berichten 58 | Eßstörung | 59 wie Eßstörung Fachleute berichten Wo is(s)t man? Nichtbetroffene berichten Foto: pixelio - sassi Enttäuschter Blick, innerliches Zusammenzucken beim Anblick meiner Fülle auf der Waage. Der Alltag einer Essgestörten. Im Tagebuch halte ich „meine Sünden“ fest. Der Blick auf die Waage. Mit jedem Gramm, das ich verloren habe, steigt mein „Wert“. Bei der kleinsten Gewichtszunahme würde ich am liebsten sterben. Die Angst vor`m Essen. Es gibt verschiedene Arten von Essstörungen. Die wohl Bekanntesten sind die „Anorexia nervosa“ (zu Deutsch: Magersucht) und die Bulimia Nervosa (Ess-Brech-Sucht). 55 kg? Was jetzt? Essstörungen, auch „ Eating disorders“ genannt, sind sehr weit verbreitet, beinahe schon eine Modeerscheinung. Sie treten in unserer Gesellschaft immer häufiger zu Tage, werden jedoch von den Betroffenen meist verheimlicht oder/ und verharmlost. Dabei wird das Essen zum zentralen Thema. Deine Gedanken und dein Gefühlsleben kreisen „plötzlich“ nur noch um eins: Mein Körper, mein Feind! Du glaubst, dadurch dass du an Gewicht verlierst, gewinnst du in den Augen deines „Publikums“ an Wert. Auch der Wunsch nach Perfektion spielt dabei eine große Rolle. Du willst beliebt sein, du willst „schön“ sein, du willst schlank „werden“ – und das um jeden Preis. So beginnst du mit Diätprogrammen, damit Kochrezepte zu studieren, für andere zu kochen … jedoch nie für dich selbst und wenn … dann führt dein nächster oder übernächster Weg ins Badezimmer. Du lässt den Wasserhahn laufen und … Fallende Zahlen auf der Waage haben eine schier hypnotische Wirkung auf dich. Ich selbst bin äußerst kreativ darin, „neue Wege“ zu finden... Verständlich, dass es meine WG-Mitglieder störte, wenn ich aß und das Gegessene später in die Toilette wanderte. Dabei konnte ich am Anfang nicht einmal „kotzen“, doch im Laufe der Jahre wurde es immer einfacher für mich. Du steckst dir den Finger in den Hals, möglichst tief und wenn es dir gelingt, dein Gurgelzäpfchen zu berühren, wunderbar! Alles bestens! Und je mehr du deine „Kunst“ perfektionierst, desto befreiter fühlst du dich. Doch die Freude über 53 kg wehrt nicht lange, wären 47kg nicht viel besser? Doch die Essstörung übernimmt die Kontrolle über mein Leben. Ich müsste nur noch ein klein wenig…. Wie bei vielen psychischen Erkrankungen gibt es zum Thema „Essstörung“ Fachliteratur zu Genüge. Doch wie ich an mir selbst wahrnehmen konnte, je mehr Bücher ich darüber las, je weiter ich mich in dieses Thema vertiefte, desto „einfallsreicher“ wurde ich. Du glaubst, dein Gewicht sei das Einzige, was du kontrollieren könntest. Dabei hast du die Kontrolle über dein Leben längst verloren. Du hast nicht deine Essstörung unter Kontrolle. „Sie“ kontrolliert dich, übernimmt dein Leben ... Dass Eltern, Geschwister, Freunde/-innen und Bekannte sich um dich sorgen, wird belanglos oder es setzt dich zusätzlich unter Druck. Der ständige Kampf mit dem Essen, gegen sich selbst und irgendwann hat man keine Lust mehr zu kämpfen… Vieles von meinem Leid ist selbstgewählt? Immer wieder zog es mich auf sogenannte „ProAna-Seiten“, die Anorexie und Bulimie geradezu verherrlichten. Dabei sind dies ernstzunehmende Krankheiten, eine Essstörung ist ein „Suizid auf Raten“. Nur für meine besten Freunde und meine Freundin habe ich überlebt. Ich gebe mich selbst auf, glaube daran, dass ich mich fortan lediglich durch Essen, Erbrechen oder Nichtessen definieren kann. Dabei bin ich viel mehr… Doch schon heute Morgen stand ich erneut auf der Waage. Thema: Eßstörungen ger, dann frühstückst Du und hast immer noch Hunger. Dann gibt es irgendwann Mittagessen. Du hast es aber nicht ausgehalten zu warten und hast schon Kekse und Schokolade gefuttert, weil dieses Hungergefühl einen verrückt macht. Dann, nach dem Abendessen und etlichen Snacks davor, gehst Du hungrig ins Bett! Und je nachdem, wachst Du auch vor Hunger auf und musst etwas Ich habe sehr viel zugenommen, bei meinem ersten Aufenthalt in der Psychiatrie. Es gibt da ein Medikament von dem man so hungrig wird, dass man nur ans Essen denkt. Betroffene wissen, was ich meine. Man kann sich das so vorstellen: Du stehst am Morgen auf und hast Hun- 58kg? Was jetzt? 60 | Ich habe mich dann erkundigt, wer zuständig ist und mir helfen könnte. Es war die Caritas. Ich bin dann dort zur Natalie gekommen. Ich werde sie nie vergessen. Sie war sehr nett zu mir und verständnisvoll. Sie hat jede Woche mit mir gesprochen. Sie hat mir klargemacht, dass ich mich kaputt mache und dass es andere Möglichkeiten gibt, das Gewicht zu regulieren. Sie hat mich aufschreiben lassen, wann und wie viele Essanfälle ich Es war sowieso alles extrem in dieser Zeit. Nach der Klinik, bin ich dann in die Reha gekommen. Dort war ich zwei Jahre am Limit. Bei mir war es so: Es gab Mahlzeiten, die ich gegessen habe, dass es normal aussieht nach außen. Dass es keiner merkt, was für ein Problem ich habe. Denn es hat mich angewidert… jedes Mal nach den Essanfällen auf die Toilette und den Finger in den Hals. Manchmal bis zu fünfmal am Tag! Ich habe mich selbst so vor mir geekelt, hatte aber keine Möglichkeit aus diesem Zwang herauszukommen. Denn, wenn ich nicht gespuckt hätte, dann hätte ich noch mehr zugenommen und wäre noch fetter geworden, wie ich eigentlich schon war. Es war ein Teufelskreis! Ich war eigentlich nie richtig dünn in meinem Leben. Aber sportlich schlank schon. Ich wollte immer anders sein wie ich eigentlich war. Und das war der Punkt! Die Geschichte geht noch weiter: Als ich dann nach Hause kam, nach der Reha, ging es mir schlecht, sehr schlecht. Ich habe mich nicht unter Kontrolle gehabt. Ich habe es zwar fast geschafft mich nicht mehr zu erbrechen, aber die Essanfälle blieben trotzdem. Ich konnte es nicht kontrollieren. Ich habe noch mal 20 Kilo zugenommen! Aber ich kann sagen, dass ich mich jetzt mehr mag, als in der Zeit wo ich noch extrem bulimisch war. Und da hatte ich 20 Kilo weniger. Es hat also nichts mit dem Gewicht zu tun, ob man sich mag oder nicht. Es hat mit der Einstellung zu tun, die man sich selbst gegenüber hat. Das war auch ein langer Prozess, den ich durchlaufen musste. Ich weiß, dass ich abnehmen kann und wieder lernen kann normal zu essen. Ich weiß auch, dass ich dazu professionelle Hilfe benötige. Aber ich weiß auch, dass ich es jetzt geschafft habe über ein Jahr hinweg mein Gewicht zu halten und nicht noch mehr zuzunehmen. Und darauf bin ich stolz! Klar, ich bin immer noch zu dick. Aber mir kommt es nicht darauf an schlank zu werden oder dünn zu sein. Ich will nur normal leben können. Normal essen können, Sport machen, einfach leben und mit mir zufrieden sein. Ich muss jetzt auch nicht so und so viele Kilos abnehmen in der und der Zeit. Darauf kommt es mir nicht an. Ich will nur normal leben können. Ohne die Extreme! Ich weiß, ich esse gerne und ich gebe zu, ich liebe das Essen. Ich will es nur wieder richtig genießen können! Den Anfang habe ich schon geschafft! Ob jetzt Bulimie oder Binge Eating, mit beiden Essstörungen zerstört man sich selbst und versucht irgendetwas zu entkommen. Aber wenn man sich mit den Gründen, die tiefer liegen, beschäftigt und die nach und nach (langsam, nicht zu schnell!) abarbeitet, dann versteht man auch das Problem und kann es lösen! Aber zurückblickend muss ich sagen, dass ich in dieser akuten Bulimie-Zeit eine gute Figur hatte. Foto: pixelio - Rainer Sturm Anorexia nervosa (Magersucht) Erfahrungsbericht Meine Essstörung begleitet mich schon das ganze Leben. Ich aß schon als Kind sehr wenig, meinen Eltern war das egal, ich war ja nur ein Mädchen. Dass ich ihnen damit etwas signalisieren wollte, begriffen sie nicht. Damals fingen auch die Übergriffe meines Vaters an. Meine Großeltern überredeten meine Eltern, mich als Kind zur Kur zu schicken, damit ich zunehmen sollte. Ich durfte aber nur mit, weil mein Bruder auch mitkommen sollte, denn er war als Kind ebenso dünn wie ich. Es war ein Fiasko, das Essen fast nicht genießbar, aber mein Bruder haute richtig rein. Zu Hause versuchten dann meine Großeltern, mich aufzupäppeln. Sie kochten meine Lieblingsspeisen und gaben mir auch öfters mal Süßigkeiten. Für meine Eltern war nur wichtig, dass ich nicht auffiel, aber ich hatte früh gelernt, nach außen eine Maske aufzusetzen. Ich hätte gern geredet, warum ich nicht mehr essen wollte und gesagt, dass der Papa mich überall anfasst. Ich hangelte mich irgendwie so durch. Das Paradoxe daran war, dass ich einerseits immer dazu angetrieben wurde, Leistung zu bringen, aber andererseits wurde mir von meinen Eltern signalisiert, ich wäre nichts wert, weil ich eben nur ein Mädchen war. Ich sage es so, auch wenn es hart klingt, ich war froh, als mein Vater starb, als ich 15 Jahre alt war. Da hatte ich wenigstens vor ihm Ruhe. Ich schaffte den Absprung aus diesem Elternhaus erst, als ich schon 22 Jahre alt war. Ich brauchte mir eigentlich nicht mehr was zu beweisen, auch hatte ich es aufgegeben, dass ich mit dem Dünnsein auf mich aufmerksam machen wollte. Jetzt ging es bei mir mehr darum Kontrolle zu haben und dass ich mir etwas beweisen wollte, nämlich, dass ich etwas im Leben ganz gut beherrschte. Der Teufelskreis begann erneut, da ich noch gar keine Berufserfahrung hatte und mir doch noch Fehler passierten. Betroffene berichten Ich habe also über zwei Jahre hinweg übelst selbstzerstörerisch gelebt. Und zwar extrem! Dann irgendwann ist mir klargeworden, dass ich Hilfe brauche, dass ich aus dieser Teufelsspirale alleine nicht mehr herauskomme. Ich habe auch schon langsam an meinem Körper bemerkt, dass es nicht so weitergeht. Ich hatte schrecklich unreine Haut, meine Zähne haben langsam angefangen zu leiden und meine Stimme war öfters mal weg. Ich hatte auch oft Halsschmerzen und meine Haare, Nägel etc. waren in keinem guten Zustand mehr. habe und in welchen Situationen. Dann konnte ich selbst nachvollziehen, wann ich immer diesen Druck hatte und wie ich es vermeiden konnte. Ok, es war nicht einfach. Aber langsam wurde es besser. Bis heute bin ich noch nicht ganz weg davon zu spucken, aber es ist fast ganz weg. Nur noch in extremen Situationen verliere ich manchmal noch die Kontrolle. Also wenn ich es konkretisiere, dann passiert es heute noch 1mal in 4 Monaten. Fachleute berichten So hat es dann angefangen mit meiner Essstörung. Ich habe schon während dem 1. Klinikaufenthalt angefangen, mich nach dem Essen zu erbrechen. Das war am Anfang noch nicht regelmäßig und für mich war es kontrollierbar, dachte ich zumindest. Doch da habe ich mich total getäuscht. Ich bin dann in einen Teufelskreis hineingekommen, aus dem es sehr schwer ist, wieder herauszukommen. Zufrieden mit meinem Aussehen war ich noch nie wirklich und dann die Zunahme hat es nicht besser gemacht. Im Gegenteil. Ich habe mich selbst gehasst! Während der zweiten Psychose habe ich dann aufgehört zu essen, weil ich dachte ich könnte von Luft und Liebe leben. Und ich war der Überzeugung, ich sei nur liebenswert, wenn ich dünn bin. Ich habe ziemlich abgenommen für meine Verhältnisse. Also ich hatte für eine kurze Zeit Größe 36 und das hatte ich noch nie seit meiner Pubertät. Ich dachte, ich könnte auch ohne Essen leben und das Essen ist schuld daran, dass ich so unzufrieden mit mir bin und mich nicht leiden kann und dass ich deswegen krank geworden bin. Das ganze Problem war ICH! Ich war kein Model, aber doch hübsch anzuschauen. Das Problem war einfach, dass ich nicht mit mir selbst klarkam; also mit meiner Weiblichkeit auf der einen Seite und auch war ich mit meiner Persönlichkeit noch nicht im Reinen. Ich war unsicher, bei allem was ich tat und sagte und machte. | 61 Nichtbetroffene berichten Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten essen. Das kann sich jemand, der es nicht erlebt hat, nicht vorstellen. Ich hab dann sofort dafür gesorgt, dass dieses Medikament abgesetzt wird und ich auf ein anderes umgestellt werde. Aber die Kilos hatte ich drauf! Leider. Eßstörung Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 62 | Als ich mit ca. 37 Jahren mit meinem damaligen Freund zusammenzog, dachte ich, jetzt brauch ich die Anorexie nicht mehr, hungerte auch nicht mehr, stieg aber noch jeden Tag auf die Waage. So extrem wie es in der Zeit war, als ich noch allein gewohnt habe – ich bin vor jedem Essen auf die Waage gestiegen – war es jedoch nicht mehr. Wir machten aber regelmäßig vor unserem Urlaub „Diät“. Für meinen Partner war es frustrierend, denn das Hungern machte mir ja nichts aus; ich nahm auch sehr schnell ab. Zur Eskalation kam es, als mein Lebensgefährte sich von mir trennte. Ich bildete mir ein, ich wäre zu fett, gleichzeitig wollte ich aber ab jetzt mein Leben mehr kontrollieren, auch musste ich wieder etwas beweisen. Diesmal fand ich nicht mehr den Absprung. Mein Arzt überredete mich, in eine psychosomatische Klinik mit dem Schwerpunkt Essstörung zu gehen. Ich blieb fast ein Jahr da, aber es gelang mir nicht, zuzunehmen. Ich ging auch wieder arbeiten, aber ich merkte, dass ich mich irgendwie nicht mehr konzentrieren konnte, mir passierten Fehler und das Rad begann wieder von vorn. Nach wieder einem Jahr war ich auf 43 kg abgemagert, mein Arzt wies mich nach langem Hin und Her in die Psychiatrie ein. Das war das erste Mal, dass ich in einer richtigen Psycho-Einrichtung war. Nach 2 Wochen Nichtstun konnte ich dann gehen, ich hatte 3 kg zugenommen und außerdem hatte ich die Möglichkeit, eine stationäre Traumatherapie zu machen. Die Ärzte und Therapeuten waren der Meinung, dass die Missbrauchserlebnisse aufgearbeitet werden müssten, dann würde auch die Anorexie weggehen, sie hatten Recht. Hier schaffte ich es, bis auf 50 kg zuzunehmen, da ja die eigentliche Ursache für meine Magersucht zwar noch nicht weggefallen war, aber jetzt doch irgendwie benannt werden konnte. In dieser Traumaklinik war ich mittlerweile das 5. Mal, und immer konnte ich noch nicht über die Erinnerungen sprechen, es war erst mal Stabilisierung angesagt. Zu Hause das Gewicht zu behalten, fiel mir unheimlich schwer, ich hatte auch einen letzten Anlauf genommen, wieder arbeiten zu gehen. Ich stand nicht mehr, so wie früher, vor jedem Essen auf der Waage, sondern „nur noch“ einmal täglich. | 63 Es war eine harte Zeit, denn ich hatte irgendwann nicht mehr die Kontrolle über meinen Körper. Schon nach dem 3. Klinikaufenthalt gab mir mein Körper Signale, er wollte etwas zu essen, aber ich nahm das schon gar nicht mehr war, Ich wusste nicht mehr, wie sich Hunger anfühlt, deshalb bin ich auch nicht zu einem Arzt gegangen. Erst jetzt nach Jahrzehnten, kann ich wieder erkennen, ob der Körper Hunger oder Appetit hat. Das Gefühl des Sattseins habe ich aber noch nicht wiedergefunden, ich esse jetzt einfach so viel, wie ich denke, das ist jetzt eine normale Portion. Es gibt aber auch schon Zeiten, wo ich doch tatsächlich die Kontrolle übers Essen verliere. Das artet dann in Fressanfällen aus, die auch mal in die Bulimie-Schiene gehören. Ich bin aber noch nicht von der Anorexie/Bulimie geheilt. Vor allem in Zeiten, wo es für mich brenzlich wird, wie bei Konflikten, bei der Arbeitstherapie, bei Kontakt zu meinen Geschwistern oder bei Flashbacks. Ich finde diesen Teufelskreislauf ganz schön anstrengend, deshalb habe ich auch angefangen, nachts Schokolade zu essen, weil die Nächte eben immer noch schwierig sind. Ich kann mir noch so oft sagen, hier bist du in Sicherheit, hier kommt so ein Monster nicht mehr rein und falle wieder in alte Muster rein. Auch habe ich nicht mehr so oft das Gefühl, ich müsse mir etwas beweisen. Diese Erkenntnisse sind mir aber erst nach ein paar Jahren mit der Bewilligung der Erwerbsminderungsrente gekommen. Ich halte jetzt schon das Gewicht auf einem gesünderen Level, muss aber aufpassen, nicht wieder in die Tretmühle zu geraten. Die Liebe und das Leben Die Liebe kann in Deinem Leben, So manche schöne Stunde geben. Liebe musst Du lernen zu verstehen, Dann kannst Du vieles in neuem Licht´ sehen. In Liebe kannst Du Lieder singen, Doch Liebe kann auch Schmerzen bringen. In Liebe empfangen die Eltern schon, Eine Tochter oder einen Sohn. Da sagt die Liebe ganz in Ruh`, Füg` Andern keine Leiden zu. Liebe sucht nach seinesgleichen, Damit kannst Du auf Erden ein Stück Himmel erreichen. In Liebe wirst du hoffen, Da stehen viele Türen offen. Liebe wird den Frieden geben, Für ein sorgenfreies Leben. Liebe verzeiht Jedermann, Und klagt nicht den Nächsten an. Liebe kann uns lehren, an vielen Tagen, Hier auf Erden, Not und Elend besser zu ertragen. Mit Liebe kannst Du vieles wagen, Auch Unglück lässt sich besser ertragen. Liebe kann stark und mächtig sein, Sie zieht besser in alle Herzen ein. Liebe kann viel Freude geben, Liebe wird nach Großem streben. Liebe kann den Streit bezwingen, Mit Liebe wird man Siege erringen. In Liebe kannst Du viel erwarten: „Einen schönen Traum, einen schönen Garten“. Mit Liebe kannst Du viel gestalten. In Liebe kann sich die Welt entfalten. Liebe kann schön wie eine Blume sein. Liebe ist mal groß und dann wieder klein. Liebe kann die Welt bewegen. Doch dazu brauchst Du Gottes Segen. Liebe gibt´s in vielen Dingen, Große Erkenntnis müssen wir selbst erringen. Monte Christo - 29.09.2008 Magersucht: Die Magersucht ist eine Erkrankung die zumeist bei Mädchen im Teenageralter auftritt. Die Erkrankungshäufigkeit ist zwischen einem Alter von 14 und 16 Jahren am höchsten. Aber auch jüngere und ältere Mädchen leiden an dieser Krankheit. Quelle: www.neurologen-und-psychiater-im-netz.de Foto: Pixelio - Blumenia 64 | | 65 wie Gesundheit Funktionale Gesundheit (bio-psycho-soziale Modell der ICF) Die ICF ist mit Aspekten der funktionalen Gesundheit befasst. Danach gilt eine Person als funktional gesund, wenn – vor ihrem gesamten Lebenshintergrund (Konzept der Kontextfaktoren): 1. ihre körperlichen Funktionen (einschließlich des geistigen und seelischen Bereichs) und ihre Körperstrukturen allgemein anerkannten (statistischen) Normen entsprechen (Konzept der Körperfunktionen und -strukturen) Foto: pixelio - Uschi Dreiucker Der ICF-Begriff der „Funktionsfähigkeit“ (functioning) umfasst alle Aspekte der funktionalen Gesundheit. Mit dem Begriff der funktionalen Gesundheit wird die rein bio-medizinische Betrachtungsweise verlassen. Zusätzlich zu den bio-medizinischen Aspekten (Körperfunktionen und -strukturen), die die Ebene des Organismus betreffen, werden Aspekte des Menschen als handelndes Subjekt (Aktivitäten) und als selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Subjekt in Gesellschaft und Umwelt (Teilhabe) einbezogen. Diese Sichtweise ist für die Rehabilitation von zentraler Bedeutung. Die genannten Aspekte gleichsam umhüllend, werden die Kontextfaktoren der betreffenden Person in die Betrachtung einbezogen, d.h. alle externen Gegebenheiten der Welt, in der die betreffende Person lebt (Umweltfaktoren), sowie ihre persönlichen Eigenschaften und Attribute (personbezogene Faktoren). Da sich Kontextfaktoren positiv oder negativ auf die funktionale Gesundheit auswir- ken können, sind sie bei der Rehabilitation zu berücksichtigen. Im Gegensatz zum bio-medizinischen Modell (ICD) wird in der ICF der Zustand der funktionalen Gesundheit einer Person als das Ergebnis der Wechselwirkung zwischen der Person mit einem Gesundheitsproblem und ihren Kontextfaktoren (bio-psycho-soziales Modell der ICF) aufgefasst. Eine Beeinträchtigung der funktionalen Gesundheit einer Person ist das Ergebnis der negativen Wechselwirkung zwischen dem Gesundheitsproblem einer Person und ihren Kontextfaktoren. Jede Beeinträchtigung der funktionalen Gesundheit wird in der ICF Behinderung genannt. Dieser Behinderungsbegriff ist wesentlich weiter als der des SGB IX gefasst. Nach diesem komplexen Interdependenzmodell variiert der Zustand der funktionalen Gesundheit mit dem Gesundheitsproblem und den Kontextfaktoren, und eine Beeinträchtigung der funktionalen Gesundheit kann neue Gesundheitsprobleme nach sich ziehen. Jedes Element des Modells kann als Ausgangpunkt für mögliche neue Probleme herangezogen werden. So kann z.B. eine längere Bettlägerigkeit einer Person (Aktivitätseinschränkung) eine Muskelatrophie (Strukturschaden mit Funktionsstörung) bewirken. Eine langzeitarbeitslose Person (Beeinträchtigung der Teilhabe) kann eine reaktive Depression entwi- Das bio-psycho-soziales Modell der ICF Gesundheitsproblem (Gesundheitsstörung oder Krankheit) Körperfunktion und- strukturen Aktivitäten Umweltfaktoren Teilhabe Personenbezogene Faktoren ckeln oder alkoholabhängig werden (beides Krankheiten). Derartige Prozesse werden Sekundärprozesse genannt. Mit möglichen Sekundärprozessen sollte immer gerechnet werden. Neben Sekundärprozessen sind auch induzierte Prozesse bekannt. Induzierte Prozesse können sich bei Dritten, meist nächsten Angehörigen, entwickeln. Bekannt sind induzierte Prozesse z.B. bei Eltern und/oder Geschwistern von schwer krebskranken Kindern. Mit dem biopsychosozialen Modell wurde ein bedeutender Paradigmenwechsel vollzogen. Funktionale Probleme sind nicht mehr Attribute einer Person, sondern sie sind das negative Ergebnis einer Wechselwirkung. Gesundheitspolitik der Europäischen Union Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Region haben sich 2005 auf einer Konferenz über psychische Gesundheit darauf verständigt, der Zunahme psychischer Erkrankungen in den Regionen gezielt entgegenzuwirken. Die europäischen Staaten rücken damit psychische Gesundheit aus dem Schatten von Stigma und Diskriminierung in den Fokus gesundheitspolitischer Debatten. Durch die Annahme einer Erklärung und eines Aktionsplans zum Thema psychische Gesundheit gingen sie eine politische Selbstverpflichtung für die kommenden fünf bis zehn Jahre ein. Die Mitgliedsstaaten arbeiten daran, die Prinzipien aus der Erklärung zu verwirklichen und die Ziele der im Aktionsplan genannten und nachfolgend aufgeführten Arbeitsbereiche zu erreichen: •Psychisches Wohlbefinden fördern •Zentrale Position der psychischen Gesundheit aufzeigen •Gegen Stigma und Diskriminierung vorgehen •Geeignete Angebote für vulnerable Lebensphasen fördern •Psychische Gesundheitsprobleme und Suizid verhüten •Gute Primärversorgung für psychische Gesundheitsprobleme sichern Menschen mit schweren psychischen Gesundheitsproblemen durch gemeindenahe Dienste wirksam versorgen •Partnerschaften über Sektoren hinweg errichten •Ausreichendes und kompetentes Arbeitskräfteangebot schaffen •Verlässliche Informationen über psychische Gesundheit sichern •Faire und angemessene Finanzierung bereitstellen •Wirksamkeit auswerten und neue Erkenntnisse gewinnen In einem ersten Schritt zur Umsetzung hat die Europäische Kommission 2005 das Grünbuch„Die psychische Gesundheit der Bevölkerung verbessern – Entwicklung einer Strategie für die Förderung der psychischen Gesundheit in der Europäischen Union“ vorgestellt. Ziele sind die Schaffung von Rahmenbedingungen für Austausch und Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten, das Zusammenwirken von Aktionen innerhalb und außerhalb des Gesundheitssektors in den Mitgliedsstaaten und auf Gemeinschaftsebene zu steigern und viele Interessenvertreter in die Lösungsfindung einzubeziehen. Hierin wird die psychische Gesundheit der Bevölkerung als wichtige Ressource für langfristigen wirtschaftlichen Wohlstand, Solidarität und soziale Gerechtigkeit in den Mitgliedsstaaten hervorgehoben. Die gegenwärtige gesundheitliche Situation in der Europäischen Union wird sehr kritisch bewertet. Zur Dimension psychischer Erkrankungen in der EU führt das Grünbuch aus, dass Schätzungen zufolge mehr als 27% der erwachsenen Europäerinnen und Europäer mindestens einmal im Leben unter psychischen Störungen leiden. Die Kosten psychischer Erkrankungen betragen schätzungsweise 3 - 4% des Bruttoinlandsprodukts. Zudem zählen psychische Störungen zu den Hauptursachen für Frühverrentung und verminderte Erwerbsfähigkeit in den Mitgliedstaaten der EU. Die am weitesten verbreiteten Störungen in der EU sind Angst und Depressionen. Es wird damit gerechnet, dass bis zum Jahr 2020 Depressionen in den Industriestaaten die zweithäufigste Ursache von Erkrankungen sein werden. Zur Zeit sterben in der EU etwa 58.000 Betroffene berichten 2. sie all das tut oder tun kann, was von einem Menschen ohne Gesundheitsproblem (ICD) erwartet wird (Konzept der Aktivitäten), und 3. sie ihr Dasein in allen Lebensbereichen, die ihr wichtig sind, in der Weise und dem Umfang entfalten kann, wie es von einem Menschen ohne Beeinträchtigung der Körperfunktionen oder -strukturen oder der Aktivitäten erwartet wird (Konzept der Teilhabe an Lebensbereichen). | 67 Fachleute berichten Gesundheit Nichtbetroffene berichten Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 66 | Die vom Robert-Koch-Institut von Mai 2003 bis Mai 2006 durchgeführte bundesweite Studie hatte zum Ziel, erstmals umfassende und bundesweit repräsentative Informationen zum Gesundheitszustand von Kindern und Jugendlichen im Alter von 0-17 Jahren zu erheben - darunter zum Thema „Essstörungen“ und „psychische Gesundheit“. „Insgesamt 21,9% der befragten Kinder und Jugendlichen wurden als auffällig bezüglich ihres Essverhaltens identifiziert (Mädchen: 28,9%, Jungen: 15,2%). Der Anteil der Auffälligen mit niedrigem sozioökonomischen Status war mit 27,6% fast doppelt so hoch wie der in der oberen Sozialschicht (15,5%). Die als auffällig Klassifizierten weisen höhere Quoten an psychischen Auffälligkeiten und Depressivitätsneigung auf. Sie sind weniger zufrieden mit ihrem Körperselbstbild, rauchen mehr und berichten häufiger über die Erfahrung sexueller Belästigung.“ Diese Beobachtungen verdeutlichen, dass Geschlecht, Alter und soziale Schicht Einflussfaktoren auf Essstörungen sind. Als Schlussfolgerung wurde festgehalten: „Die Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, bereits im frühen Jugendalter über die Erkrankung aufzuklären, Betroffene frühzeitig zu erkennen und Hilfeangebote zielgerichtet zu erweitern.“ Im Rahmen dieser Studie wurde eine zusätzliche Befragung zum seelischen Wohlbefinden und Verhalten durchgeführt. Als Ergebnis der Befragung zur psychischen Gesundheit wurde festgestellt: „Bei ca. 22% der untersuchten Kinder und Jugendlichen liegen Hinweise auf eine psychische Auffälligkeit vor, wobei circa 10% aller Kinder und Jugendlichen als im engen Sinn psy- chisch auffällig beurteilt werden müssen. Unter den spezifischen psychischen Auffälligkeiten treten Störungen des Sozialverhaltens (10%), Ängste (7,6%) und Depressionen (5,4%) am häufigsten auf. Bei den vermuteten Risikofaktoren erweisen sich vor allem ein ungünstiges Familienklima mit vielen Konflikten sowie ein niedriger sozioökonomischer Status als negative Einflussgrößen, die mit einer bis zu 4-fach erhöhten Wahrscheinlichkeit für psychische Auffälligkeit einhergehen.“ Der 109. Deutsche Ärztetag (2006) in Magdeburg hat dem Thema psychische Gesundheit breiten Raum gegeben. Neben einer Entschließung zur „Aktiven Bekämpfung der Stigmatisierung und Diskriminierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen“ (s. Nr. 2.5) verabschiedete der Ärztetag mit großer Mehrheit eine weitere Entschließung mit dem Titel: „Stärkung und Förderung der psychiatrisch-psychosomatischen-psychotherapeutischen Kompetenz im ärztlichen Handeln“. Darin wird festgestellt: „Psychische und psychosomatische Erkrankungen gehören zu den häu- Diese Studie zeigt also, dass es für die Identifikation von Risikogruppen nicht nur von Bedeutung ist, die bekannten Risikofaktoren für die psychische und subjektive Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu betrachten. Vielmehr müssen auch die vorhandenen personellen, familiären und sozialen Ressourcen einbezogen werden. Hier finden sich Ansatzpunkte für eine wirksame Gestaltung von Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung. Laut Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung beliefen sich im Jahr 2006 die Ausgaben für Gesundheit auf ingesamt 245 Milliarden Euro. Das waren umgerechnet 10,6 % des BiP oder knapp 3000 Euro je Einwohner. Quelle: www.bpb.de Bundeszentrale für politische Bildung figsten Gesundheitsstörungen der Bevölkerung. … Der Stärkung der Prävention, Erkennung, Behandlung und Rehabilitation psychischer und psychosomatischer Erkrankungen in allen Sektoren ärztlichen Handelns kommt deshalb eine herausragende Bedeutung zu.“ In einem Appell an die Bundesregierung, die Krankenkassen, aber auch an die für die ärztliche Weiterbildung zuständige Bundesärztekammer, werden mehr Möglichkeiten für die praktizierenden Ärzte und den ärztlichen Nachwuchs in Klinik und Praxis gefordert, „eine Medizin zu praktizieren, die wieder bewusst Heilkunst für Körper und Seele bringt.“ Betroffene berichten Gesundheitszustand von Kinder- und Jugendlichen Gesundheit aus Sicht der Ärzte Fachleute berichten Deshalb wird ein umfassender Ansatz als erforderlich angesehen, der zum einen die Behandlung und Pflege von Einzelpersonen umfasst, sich zum anderen aber auch in dem Bestreben an die Gesamtbevölkerung richtet, die psychische Gesundheit zu fördern, psychische Erkrankungen zu verhüten und gegen Stigmatisierung und Verletzungen der Menschenrechte anzugehen. | 69 Nichtbetroffene berichten Personen jährlich durch Selbsttötung. Das Grünbuch beschreibt weiterhin eine enge Wechselwirkung zwischen psychischen und körperlichen Erkrankungen. Nach allgemeiner Einschätzung besteht eine der höchsten Prioritäten darin, allen psychisch kranken Menschen zugängliche wirksame und qualitativ hochwertige psychische Behandlung und Unterstützung bereitzustellen. Gesundheit Foto: pixelio - Peter Kirchhoff Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 68 | Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 70 | GPV Bodenseekreis | 71 wie GpV Foto: pixelio - by S Der Gemeindepsychiatrische Verbund Bodenseekreis Vorgeschichte Die psychiatrische Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland stand Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre stark in der Kritik. Mit der Psychiatrie-Enquete von 1971 hat sich die psychiatrische Versorgung einschneidend geändert. Doch was die wohnortnahe Versorgung betraf, so war bis zum Ende der 80er Jahre der Bodenseekreis gemeindepsychiatrisches Niemandsland. In der Folgezeit wurde jedoch damit begonnen, ein dichtes Netz von Versorgungs- und Betreuungsangeboten für psychisch kranke und seelisch behinderte Menschen aufzubauen. Der Landkreis hat sich dabei konzeptionell, planerisch und finanziell stark engagiert. Der 1992 verabschiedete Psychiatrieplan für den Bodenseekreis wurde 1998 fortgeschrieben. Gemeindepsychiatrische Zentren als Basis des Gemeindepsychiatrischen Verbund! Nachdem die psychiatrische Versorgungslandschaft im Jahre 2003 weitgehend vervollständigt war, wurde die Konzentration auf die Vernetzung innerhalb eines Gemeindepsychiatrischen Verbundes (GpV) gelenkt. Ein wesentlicher Teil davon war die Errichtung zweier Gemeindepsychiatrischer Zentren (GpZ) in Überlingen und Friedrichshafen, in denen die Bereiche Arbeit, Bildung, Beschäftigung und Tagesstrukturierung, darüber hinaus aber auch Beratungs-, Betreuungs- und Behandlungsangebote unterschiedlicher Träger eingebunden wurden. Damit entstanden Anlaufstellen für psychisch kranke und behinderte Menschen, in denen sie unkompliziert und ohne Barrieren zwischen einzelnen Trägern und Leistungsarten die unterschiedlichen Hilfsangebote aus den Bereichen der beruflichen, sozialen und medizinischen Rehabilitation erhalten. Arbeiten im Verbund Parallel zu dieser Entwicklung haben sich bereits 2001 unabhängig voneinander ein Wohnverbund und ein Werkstättenverbund gebildet. Im Werkstättenverbund Bodensee-Oberschwaben haben sich alle Werkstätten für psychisch behinderte Menschen aus dem Bodenseekreis und dem Kreis Ravensburg (Nachbarkreis) zusammen geschlossen um die Versorgung der Region mit Angeboten der beruflichen Rehabilitation und Beschäftigung quantitativ und qualitativ sicher zu stellen, auszubauen und weiter zu entwickeln. In monatlich stattfindenden Werkstattkonferenzen wurde die Aufnahme von Personen erörtert und beschlossen. Im Wohnverbund haben sich alle Leistungserbringer im Bereich „Wohnen“, also Leistungserbringer der stationären und ambulanten Wohnbetreuung zusammengeschlossen. In monatlich stattfindenden Hilfeplankonferenzen wurde die Aufnahme von Personen erörtert und beschlossen. Als eine von wenigen bundesweiten Modellregionen unter Begleitung der „Aktion Psychisch Kranke“ wurde seinerzeit der IBRP (Individueller Behandlungs- und Rehabilitationsplan) eingeführt und mitentwickelt. Diese Doppelstrukturen und die damit einhergehende getrennte Aufnahmesteuerung waren nicht mehr zeitgemäß. Unter der Moderation des Bodenseekreises und dem Engagement der Leistungserbringer bzw. der vielen engagierten Mitarbeiter ist es dann 2004 gelungen die Kooperationsvereinbarung zum Gemeindepsychiatrischen Verbund zu verabschieden. Diese Kooperationsvereinbarung haben ausnahmslos alle Leistungserbringer und der Landkreis unterschrieben. Ebenso Vertreter der Betroffenen und der Angehörigen von psychisch kranken Menschen. Warum ein Gemeindepsychiatrischer Verbund? Der GpV macht sich zur Aufgabe, den psychisch beeinträchtigten bzw. erkrankten Menschen eine am Wohnort orientierte Versorgung vorzuhalten. Die Betroffenen sollen individuell zugeschnittene Hilfen in ihrem Lebensfeld in Anspruch nehmen können und so wenig wie möglich auf einen Wechsel in ein künstlich geschaffenes Milieu zurückgreifen müssen. Die Entwicklung einer bedarfsgerechten Versorgung im Bodenseekreis wird als gemeinschaftliche Aufgabe von Landkreis, Leistungsträgern, Trägern psychiatrischer Einrichtungen (Leitungserbringer), Betroffenen, Angehörigen und BürgerhelferInnen betrachtet. Die Einrichtung eines solchen Verbundes ergibt sich aus der Vielfalt der Leistungserbringer und der Leistungsträger für diesen Personenkreis und der Notwendigkeit der personenzentrierten Anpassung der jeweiligen Leistung an den häufig wechselnden Versorgungs- und Betreuungsbedarf der betroffenen Bürger. Ziel ist es den betroffenen Bürgern des Kreises die von ihnen benötigten Hilfen zur Führung eines möglichst selbständigen und eigenverantwortlichen Lebens bereitzustellen. Die Mitglieder des GpV verpflichten sich, die Ressourcen so effizient, effektiv und verantwortungsbewusst wie möglich einzusetzen und niemanden wegen Art und Schwere der Störung auszuschließen. Allgemeine konzeptionelle Leitlinie des GpV ist der personenzentrierte Ansatz. Mit Schnittstellen wie z. B. zum Bereich geistig behinderte Menschen oder Kinder- und Jugendpsychiatrie soll eine Kooperation in geeigneter Form gepflegt werden. Die Umsetzung des GpV in Hilfeplankonferenzen Die Träger der psychiatrischen Versorgungseinrichtungen übernehmen eine gemeinsame Versorgungsverpflichtung in den von ihnen angebotenen Leistungsbereichen und setzen diesen Anspruch in den monatlich stattfindenden Hilfeplankonferenzen (HpK) um. Keine Person des definierten Personenkreises soll gezwungen sein, Hilfen außerhalb der Versorgungsregion in An- GpV Bodenseekreis Die Aufgabe der Hilfeplankonferenz ist die Abstimmung der Leistungserbringung für Betroffene mit komplexem Hilfebedarf. Ausgehend von dem vorab erstellten IBRP ergibt sich eine Empfehlung zu Art, Inhalt, Ziel und Umfang der Hilfeleistung. Das beinhaltet auch die Festlegung einer koordinierenden Bezugsperson und die Festlegung eines Überprüfungszeitraumes. Arkade Pauline 13 gGmbH Landratsamt Bodenseekreis GpZ Überlingen gGmbH Arkade e.V. GpZ Friedrichshafen gGmbH Pauline 13 e.V. Gemeindepsychiatrischer Verbund Bodenseekreis Südwürttembergische Zentren für Psychiatrie BetroffenenVertretung Sprungbrett Werkstätten gGmbH Angehörigenvertretung Innerhalb von ca. 16 Jahren hat sich aus einer Region ohne gemeindenahe Versorgungsstruktur eine bundesweit anerkannte Modellregion mit Vorbildcharakter entwickelt. Wie war das möglich? Der Bodenseekreis hat sich von Beginn an als die koordinierende Schaltstelle in diesem Prozess verstanden. Dabei sind die Leistungserbringer immer als Partner definiert worden und nicht als Gegenspieler. Auch finanziell hat sich der Landkreis stark eingebracht und somit den Aufbau der neuen Angebote und Strukturen erst ermöglicht. Das Zentrum für Psychiatrie Südwürttemberg als zuständiger Pflichtversorger für den Bodenseekreis hat durch den Umbau der inneren Strukturen und durch die offene Zusammenarbeit mit den „kleinen“ komplementären Einrichtungen einen aktiven Beitrag zur Entwicklung „gemeindenaher“ Versorgungsstrukturen geleistet. Auf dieser Grundlage haben sich engagierte Menschen in den verschiedensten Funktionen aufgemacht die vorgegebenen Ziele zu realisieren. Alle Institutionen der psychiatrischen Versorgungslandschaft wollten und wollen miteinander kooperieren und zum Wohle der Betroffenen das Angebotsspektrum erweitern bzw. die bestehenden Angebote qualitativ verbessern. Diese positive Einstellung zur Netzwerkarbeit war und ist Grundlage für jedes Verbunds. Foto: pixelio - Xenia Vianney Gesellschaft e.V. Bruderhaus Diakonie Die Koordinierung der Hilfeplankonferenzen wird durch die beteiligten Leistungserbringer finanziert und hat insbesondere folgende Aufgaben • die Entgegennahme der Anmeldungen und die Erstellung einer zeitlich gestaffelten Beratungsfolge • die Protokollierung • die Führung einer Wiedervorlageliste • die Auswertung des Beratungsgeschehens hinsichtlich der Aspekte, die für die Weiterentwicklung der psychiatrischen Versorgung in der Region sozialplanerisch von Bedeutung sein können • die Erstellung eines Jahresberichtes Die Moderation der Hilfeplankonferenz wird durch einen Mitarbeiter des Bodenseekreises erbracht. Betroffene berichten Betroffene berichten Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Im Rahmen der Hilfeplankonferenzen wird mit einer einheitlichen Hilfeplanung auf der Grundlage des Integrierten Behandlungs- und Rehabilitationsplanes (IBRP) gearbeitet. Die dabei zu berücksichtigenden datenschutzrechtlichen Vorschriften werden selbstverständlich eingehalten. Die Einrichtungen und Dienste der Träger, die sich in der Trägergemeinschaft zusammengeschlossen haben, nehmen einen Klienten nur Für die Hilfeplanung gibt es folgende Grundsätze • Die Hilfeplanung wird nicht über, sondern mit dem Betroffenen und den wichtigen Bezugspersonen seines sozialen Umfeldes erstellt • Vorrang hat der Verbleib des Betroffenen in der gewohnten Umgebung seiner Gemeinde • Die vorhandenen Ressourcen der Person selbst und die ihres Umfeldes sollen systematisch einbezogen werden • Die Hilfeplanung soll regelmäßig überprüft werden • Die im Einzelfall erforderlichen Hilfen sollen über alle relevanten Lebensbereiche hinweg im Sinne einer integrierten Gesamtplanung abgestimmt werden Fachleute berichten dann auf, wenn die individuelle Hilfeplanung in der Hilfeplankonferenz erörtert wurde und die Hilfeerbringung bestimmten Diensten und/oder Einrichtungen zugewiesen hat. spruch zu nehmen. Dies kann selbstverständlich nur vorbehaltlich einer angemessenen Finanzierung der Hilfen gelten. | 73 Nichtbetroffene berichten 72 | Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 74 | GpZ Überlingen gGmbH | 75 wie GpZ Überlingen GpZ Überlingen gGmbH Auszug aus dem QualitätsmanagementHandbuch Die GpZ Überlingen gGmbH (Gemeindepsychiatrisches Zentrum) ist ein Dienstleistungsunternehmen der beruflichen und sozialen Rehabilitation mit dem Auftrag, psychisch beeinträchtigte Menschen durch geeignete Angebote die Teilhabe an und die Integration in die Gesellschaft zu ermöglichen bzw. zu verbessern. Neben dem Versorgungsauftrag der einzelnen Leistungsträger hat sich das GpZ Überlingen als ein Gründungsmitglied des GpV Bodenseekreis (Gemeindepsychiatrischer Verbund) einer freiwilligen Versorgungsverpflichtung für betroffene Bürger des Bodenseekreises verschrieben. Ebenso ist die personenzentrierte Hilfeerbringung Grundlage professionellen Handelns. Qualitätsentwicklung ist kein statisches Prinzip sondern wird als steter Prozess verstanden. Sie wird auch nicht allein durch die Festschreibung einzelner Prozesse oder Verfahren gewährleistet. Qualität wird durch die Verantwortlichkeit jeder Mitarbeiterin, jedes Mitarbeiters erzeugt und aufrechterhalten. In der verlässlichen Umsetzung und Entwicklung von Prozessstrukturen verknüpft mit einer persönlichen Hilfeerbringung „von Mensch zu Mensch“ entsteht erlebbare Qualität. Damit werden die Haltung und das Handeln der Mitarbeiterin und des Mitarbeiters zum Schlüsselelement des Lei- stungsversprechens und verdient besondere Aufmerksamkeit. Unser Qualitätsmanagement dient der Vereinfachung und Unterstützung der persönlichen Hilfeerbringung. QM soll demnach den organisatorischen Rahmen vorgeben um eine möglichst große Freiheit für wirksames therapeutisches Handeln zu ermöglichen. Kurzportrait Gemeindepsychiatrisches Zentrum Überlingen gemeinnützige GmbH Stadtgebiet: Obere Bahnhofstraße 18 88662 Überlingen Fon 07551-30118-0 Fax 07551-30118-99 [email protected] www.g-p-z.de Gewerbegebiet: Gewerbegebiet: Zum Degenhardt 12 88662 Überlingen Rechtsform gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesellschafter Vianney-Gesellschaft e.V., Stadt Überlingen, Bodenseekreis, Pauline 13 e.V., Sprungbrett Werkstätten gGmbH, Südwürttembergische Zentren für Psychiatrie Gründungsjahr2001 Anzahl der Mitarbeiter (2009) Anzahl der Beschäftigten (2009) Stammkapital 2009 Bilanzsumme 2009 22 92 25.000,-€ ~2.900.000,- € Branchen und Dienstleistungen Metallbearbeitung, Wäscherei, Küche und Catering, Garten- und Landschaftspflege, Montage und Verpackung, Digital Service mit ebaY-Agentur, Letter-Shop und Druckstudio Soziale Dienstleistungen Freiwillige Versorgungsverpflichtung aller Menschen, die aufgrund einer psychischen Beeinträchtigung einen Hilfebedarf haben und deren Lebensmittelpunkt im Bodenseekreis liegt. Geschichte des GpZ Überlingen Das GpZ Überlingen ist als erste Versorgungseinrichtung dieser Art in Baden-Württemberg im Juni 2003 in die neuen Räume in der Oberen Bahnhofstraße eingezogen und hat damit auch einen neuen Versorgungsstandard mitbegründet. In der Nachfolge der Vianney-Tagesstätte, die am 1. Juli 1997 in der Friedhofstraße 18 eröffnet wurde, fungiert die GpZ Überlingen gGmbH als Träger und Betreiber der zum 1. Juli 2003 neu eröffneten WfbM und der weiter geführten Tagesstätte für psychisch kranke und seelisch behinderte Menschen. Inzwischen hat sich das GpZ Überlingen zum Sozialgesetzbuch [SGB] übergreifenden Systemanbieter entwickelt. Mit der Eröffnung der Tagesstätte am 1.5.1997 waren zwei Mitarbeiter angestellt, die sich um psychisch kranke Menschen als Besucher der Tagesstätte kümmerten. Aufgaben waren ein geregeltes Mittagessen anzubieten, Freizeitgestaltung und Beschäftigung. Beschäftigung war zunächst auf die Zubereitung des Mittagessens beschränkt. Im Zuge der Weiterentwicklung haben sich Beschäftigungsmöglichkeiten am Computer [einen PC] und in der Hauswirtschaft [eine Waschmaschine und ein Trockner] ergeben. Ebenso war der kleine Garten mit einem Kräuterbeet für die Küche zu pflegen. Später wurden dann sogenannte Regelteller für die Firma ABIG vormontiert. Im Jahr 1999 wurde bekannt, dass die Kostenträgerschaft für die Tagesstätte vom Landratsamt Bodenseekreis zum 31.12.2000 zum Landeswohlfahrtsverband Württemberg-Hohenzollern wechselt. Dieser wollte die bisher freiwillige Finanzierung der Tagesstätten für alle Landkreise zur Verfügung stellen. Dabei stand für die einzelnen Landkreise nicht mehr annähernd so viel Geld zu Verfügung als bisher. Zügig wurde dann an einer Lösung zum Erhalt der Versorgungsstruktur gearbeitet. Die von allen Beteiligten favorisierte Variante hieß „Gemeindepsychiatrische Zentren“ zu gründen. Ein von der Landesregierung gewollte Veränderung der Versorgungslandschaft konnte und wurde nun umgesetzt. Aus dem „Rettungsversuch“ für die Tagesstätten wurde ein Modellprojekt für BadenWürttemberg. Ab Februar 2004 wurde mit der Bahn bezüglich des Nachbargrundstückes in der „Oberen Bahnhofstraße 22“ verhandelt. Der Kauf wurde dann im Mai durch die Vianney-Gesellschaft getätigt. Das Grundstück ist seither an uns vermietet. Am 1.10.2004 trat die Kooperationsvereinbarung Gemeindepsychiatrischer Verbund Bodensee [GpV] in Kraft. Zum 1.1.2005 ist die Verwaltungsstrukturreform in Baden-Württemberg in Kraft getreten. Damit ist wieder der Landkreis für die Finanzierung zuständig. Ebenso übernimmt der Landkreis viele neue Aufgaben, unter anderem die des „überregionalen“ Sozialhilfeträgers und damit auch die Eingliederungshilfe bzw. Behindertenhilfe. Erste Erweiterungsplanungen auf dem Nachbargrundstück werden mit den Gesellschaftern und Kostenträgern diskutiert. Die Strategie zur Deckung des zukünftigen Platzbedarfes hat zwei Achsen. Zum Einen soll das GpZ Überlingen räumlich erweitert werden. Um den zukünftigen Platzbedarf decken zu können soll die WfbM von bisher 30 genehmigten Plätzen auf 60 Plätze aufgestockt werden. Zum Anderen soll ein Integrationsunternehmen ge- gründet werden um damit die Vermittlung zu verbessern. Im November 2005 wird ein durch den Europäischen Sozialfond finanziertes Projekt TrAnsit auf den Weg gebracht. Dabei soll die Flexibilisierung der Teilhabemöglichkeiten verbessert werden und der Strukturaufbau im Bodenseekreis beschleunigt werden. Betroffene berichten Die am 15.Juli 2003 neue anerkannte WfbM Überlingen hatte 5 Arbeitsbereiche [Wäscherei, Küche, Montage und Verpackung, Bürodienstleitungen, Garten- und Landschaftspflege]. Ebenso sind in diesen Monaten die Räume der neu hinzu gekommen Bereiche der Ergotherapie, Psychiatrische Institutsambulanz und die bereits bestehenden Dienste Sozialpsychiatrischer Dienst, Ambulant betreutes Wohnen und Psychiatrische Pflege bezogen worden. | 77 Am 21.2.2006 wird die ARKuS gGmbH [Arbeit Rehabilitation - Kultur - Soziales] gegründet. Anteilseigner soll das GpZ Überlingen mit 60% und die SKID gGmbH mit 40% sein. Ab Mai 2006 wird das Ostbad Überlingen als Integrationsunternehmen betrieben. Ziel ist es auf dem Gelände ein Hotel mit Gastronomie und Strandbad zu bauen und zu betreiben. Ab Oktober 2006 werden im Bodenseekreis 18 Plätze im Zuverdienstbereich finanziert. 6 davon sind im GpZ Überlingen verortet. Bereits im Oktober 2006 ist die Realisierung des Hotelbetriebs auf dem Gelände des Ostbad Überlingen in Frage gestellt. Ab Dezember werden alle Planungsaktivitäten seitens der ARKuS gGmbH eingefroren. Im Ostbad verrichten mehrere Werkstattbeschäftigte ein Praktikum. Für die seit 2004 geplante räumliche Vergrößerung des GpZ Überlingen zeichnen sich Realisierungschancen am Horizont ab. Es zeigt sich trotz stärkster Anstrengungen und sehr guten Vermittlungszahlen kein Rückgang des Bedarfes. Ab März 2007 gibt es Arbeitsgelegenheiten [1-Euro-Jobber] für psychisch kranke Langzeitarbeitslose im GpZ Überlingen. Seit Juli 2007 arbeiten wir mit dem Linzgau Kinder- und Jugendheim und der Janusz-Korczak-Schule [JKS] zusammen. Vereinzelt werden Schüler aus der JKS in den Abteilungen des GpZ Überlingen beschäftigt. In 2007 betreibt die ARKuS gGmbH das Ostbad Überlingen nochmals. Ab 2008 stellt die ARKuS gGmbH nun jeglichen Geschäftsbetrieb ein. Damit ist die geplante verbesserte Vermittlung durch den Betrieb eines Integrationsunternehmens nicht mehr zu erreichen. Seit Juli 2009 hat das GpZ gemeinsam mit der Janusz-Korczak-Schule einen zweiten Standort im Überlinger Gewerbegebiet. Hier hin werden die Abteilungen Bürodienstleistung, Montage und Verpackung verlegt. Neu hinzu kommt die Abteilung Metallbearbeitung. Am bisherigen Standort verbessert sich dadurch die räumlich angespannte Situation der Wäscherei und der Verwaltung. Mit der räumlichen Ausdehnung und der Erweiterung der Abteilungen sind die Qualität und die Bandbreite der rehabilitativen Möglichkeiten erreicht worden. Leistungsangebot Die GpZ Überlingen gGmbH hat sich als einer der Anbieter im Rahmen der Vereinbarung des GpV Bodenseekreis dazu verpflichtet, allen Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt im Bodenseekreis haben die Hilfestellung zu geben, die aufgrund einer psychischen Beeinträchtigung notwendig ist. Im Wesentlichen geht es hierbei um die beruflich-soziale Rehabilitation und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben von psychisch kranken und seelisch behinderten Menschen. Unabhängig vom noch bestehenden individuellen Leistungsvermögen und der damit einhergehenden Klassifizierung durch die Sozialgesetzbücher soll den Betroffenen eine möglichst selbstständige Teilhabe ermöglicht bzw. erhalten werden. Förderung soweit nötig. Eigeninitiative fordern so- weit möglich. Kurz: „Hilfe zur Selbsthilfe“. Mit dieser Grundhaltung bietet die GpZ Überlingen gGmbH die dafür erforderlichen Leistungsbausteine als Sozialgesetzbuch [SGB] übergreifenden Dienstleistungen an. Um den vielfältigen Lebensperspektiven und Bedürfnissen der Betroffenen so weit als möglich entsprechen zu können, werden Teilhabeleistungen in 6 Abteilungen angeboten. 1. Metallbearbeitung 2. Wäscherei / Hauswirtschaft 3. Küche / Catering 4. Garten- und Landschaftspflege 5. Montage und Verpackung 6. Digital Service mit ebaY-Agentur, Letter-Shop und Druckstudio Jede einzelne Abteilung muss dabei den Spagat leisten, die sich gegenüberliegenden Pole der Arbeitsmarktnähe und der Versorgungsverpflichtung zu vereinen. Die größtmögliche Arbeitsmarktnähe als Voraussetzung zur Qualifizierung und Testung der Vermittlungs- und Leistungsfähigkeit der Betroffenen, d.h. leistungsund kundenorientiertes Arbeiten, Service- und Produktqualität, Termintreue usw. konkurriert dabei mit Aufgabe der personenzentrierten Hilfeerbringung. Die Berücksichtigung individueller Bedarfe und Möglichkeiten, insbesondere bei stärker leistungseingeschränkten Personen, im Hinblick auf Arbeitsmarktnähe und Vermittlung bzw. Integration fordert Höchstleistungen aller MitarbeiterInnen der GpZ Überlingen gGmbH. Fachleute berichten Von Januar 2002 an waren wir vorübergehend eine Tagesstätte und eine WfbM-Außenstelle der Sprungbrett-Werkstatt in Bermatingen. Unsere Beschäftigungsbereiche waren wie bisher auch. Küche, Wäscherei, Gartenpflege, Montage und einen PC-Arbeitsplatz. Um sich als eigenständige und anerkannte WfbM zu etablieren mussten auch die nach DIN geforderten Räumlichkeiten vorhanden sein. Außerdem galt es die WfbM in ein noch nie realisiertes GpZ-Konzept zu integrieren. Im Sommer 2002 wurde das Objekt in der Oberen Bahnhofstraße 18 in Überlingen gekauft und dann umfangreich umgebaut. GpZ Überlingen Nichtbetroffene berichten Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 76 | Nichtbetroffene berichten Aufgaben und Ziele Das GpZ Überlingen dient als sozial beschützter Lebensraum mit offenen Grenzen der Integration in die Gemeinde. Die Betroffenen werden dabei unterstützt mit den Anforderungen des Lebens zurechtzukommen. Durch das Angebot wird ein Umfeld geschaffen, in dem die Betroffenen befähigt werden Krisensituationen zunehmend souveräner zu bewältigen. Das „Hadern mit dem Schicksal“ verhindert oft eine positive Grundeinstellung zum Leben und blockiert dadurch die Hoffnung auf Besserung. Die Vermittlung einer solchen positiven Einstellung zum Leben und die Anleitung zum Krankheits- und Krisenmanagement als Hilfe zur Selbsthilfe betrachten wir als eine unserer wesentlichen Aufgaben. Das GpZ Überlingen ist soziales Lernfeld. Es fördert soziale Kompetenz, insbesondere Kritik- und Teamfähigkeit. Das Angebot des GpZ Überlingen soll das Selbstwertgefühl und die Lebensqualität der Betroffenen steigern, ausreichend Anregung zu sozialen Kontakten bieten und damit Rückzug und Isolation entgegenwirken. Gleichzeitig soll Überforderung und Rehabilitationsdruck vermieden werden. Durch sinnvolle Vernetzung und Kooperation werden Strukturen geschaffen, die ein individuelles Angebot ermöglichen. Freiheit des Einen, der Freiheit des Anderen und allgemeiner Normen und Regeln. Wir unterstützen dabei die Suche nach einer ausgewogenen und für alle tragbaren Lösung. Arbeitsfelder Das GpZ Überlingen ist eine Anlaufstelle für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen, die Unterstützung zur Führung eines selbständigen und eigenverantwortlichen Lebens brauchen. Aufgrund der engen Vernetzung und intensiven Zusammenarbeit der verschiedensten Dienste bieten wir ein breites Spektrum an Hilfestellungen und Leistungen unter einem Dach an. Unsere Leistungsbausteine gliedern sich in individuell nutzbare Angebote. Des Weiteren unterstützt das GpZ Überlingen Selbsthilfeaktivitäten von Angehörigen und Betroffenen. So weit möglich sollen ehrenamtlich tätige Bürger in die Hilfeerbringung mit einbezogen werden. Fachliche Standards Allgemeines: Die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben, der Richtlinien der Zuschussgeber und der Vorgaben der Fach- und Berufsverbände sind uns eine Selbstverständlichkeit. Personal: Wichtige Voraussetzung für eine qualitativ anspruchsvolle Leistung ist die Ausstattung mit qualifiziertem Personal. Wir fordern und fördern dessen fachliche Kompetenz durch Supervision, Intervision und Weiterbildungsangebote. Hilfeplanung: Anhand einer individuellen Hilfeplanung unter maßgeblicher Teilnahme des Betroffenen wird der persönliche Hilfebedarf ermittelt. In trägerübergreifenden Hilfe-plankonferenzen werden dann die Maßnahmen zur Erbringung der individuellen Hilfen beschlossen und regelmäßig überprüft. Dabei wird jedem Betroffenen eine koordinierende Bezugsperson zugewiesen. Den Richtlinien des Datenschutzes wird jederzeit entsprochen. Hilfeerbringung: Es wird ein durchgängiges und durchlässiges Netzwerk verschiedenster Leistungsbausteine angeboten. Durch die individuelle Auswahl beziehungsweise Kombination der Leistungsbausteine kann jede Person mit ihren Ressourcen und Möglichkeiten optimal gefördert werden. Die Betreuungsintensität wird am individuellen Bedarf ausgerichtet, so dass eine größtmögliche Eigenständigkeit erhalten bleibt. Menschenbild Wir haben Achtung vor dem Leben in seinem Werden, Sein und Vergehen. Jeder Mensch gilt uns als einmalig und unverwechselbar. Im Annehmen von Schwächen und Stärken, in gegenseitiger Zuwendung und Hilfe kann Menschlichkeit gelebt und erfahrbar werden. Wir begegnen dem Nächsten mit Aufmerksamkeit und Respekt und versuchen, ihm mit seiner Herkunft, seiner Situation, seinen Beziehungen, seiner Weltanschauung und seinem Glauben gerecht zu werden. Die Begegnung und das gemeinschaftliche Zusammenleben der Menschen untereinander vollzieht sich im Beziehungsdreieck der persönlichen Kommunikation Soziale Dienstleistung ist immer auch ein kommunikativer Akt in einem sozialen Kontext. Unser Kommunikationsstil orientiert sich an den Fähigkeiten und Bedürfnissen unserer Klienten. Im ständigen Dialog versuchen wir, die Bedürfnisse unserer Klienten zu verstehen, Fähigkeiten zu erkennen und zu fördern. Dadurch soll die Entscheidungs-, Handlungs- und Fachkompetenz der Klienten kontinuierlich erweitert werden. Wir bemühen uns im Rahmen unserer interdisziplinären Zusammenarbeit durch die konstruktive und selbstreflektierte Auswertung und Umsetzung unserer Erfahrungen um eine stete Entwicklung unserer Fähigkeiten. Betroffene berichten Hauptkunde der GpZ Überlingen gGmbH ist der betroffene Bürger. Auftraggeber für diese Leistung ist der Leistungsträger. Um diese Aufgabe ausführen zu können benötigt die GpZ Überlingen gGmbH auch Produktions- bzw. Dienstleistungskunden. Leitbild des GpZ | 79 Fachleute berichten Fachleute berichten Betroffene berichten Wir stehen folglich im Beziehungsdreieck zwischen 1. Produktions- und Dienstleistungskunden 2. Betroffenen 3. Leistungsträgern GpZ Überlingen Nichtbetroffene berichten 78 | Angebote Der Kern unseres Selbstverständnisses als Kompetenzzentrum für Menschen mit psychischer Beeinträchtigung bildet sich durch folgende Handlungsfelder. •Begegnung •Beschäftigung •Begleitung •Beratung •Bildung • Im Mittelpunkt dieser sogenannten fünf B’s steht die Begegnung. Lediglich durch eine aufrichtige nügend Ressourcen bereitzustellen, die für das Erreichen weiterer Unternehmensziele notwendig sind. daher nicht nur der komplementären Finanzierung sondern geben auch die [Re]Integrationsrichtung vor. Nachhaltigkeit und Markt Wir möchten unsere Angebote und unsere Marktposition durch Prozesse der kontinuierlichen Verbesserung und Weiterentwicklung unseres Angebotes stabilisieren und ausbauen. Produktions- und Dienstleistungskunden gewährleisten uns Arbeitsmarktnähe und dienen Entwicklung und Vernetzung Wir möchten, im Rahmen der Versorgungsverantwortung, durch Kooperation und Vernetzung die Angebote und Übergänge möglichst zielführend und breit gefächert gestalten. Bedarfen begegnen wir zeit- und gemeindenah als Anbieter gegenüber Betroffenen und Leitungsträgern. Betroffene berichten Führung und Verantwortung Zweck der Führungstätigkeit ist es, ein betriebliches Umfeld zu schaffen, das eine effektive Erledigung der Aufgaben ermöglicht. Die zur Erreichung der Ziele notwendige Motivationsarbeit und Orientierungsvorgaben sind ebenso Bestandteil der Führungstätigkeit wie die Gestaltung einer strukturellen Vorgabe, so dass die Vielzahl der beteiligten MitarbeiterInnen sich mit den angestrebten Zielen identifizieren können und eine effiziente Verwirklichung möglich ist. Die mit Leitungsaufgaben betrauten MitarbeiterInnen entwickeln hierfür Strategien, gestalten Organisationsstrukturen und sichern Ressourcen. Im Vordergrund stehen Klientenorientierung, Qualität, Kostenbewusstsein und soziale Verantwortung. Wir erwarten von Führungsverantwortlichen soziale Kompetenz, Innovationsfreude und Leistungsbereitschaft. Der Führungsstil ist einfühlend, dialogorientiert und verbindlich. Damit besitzen sie Vorbildcharakter. Die ständige Weiterentwicklung der persönlichen und fachlichen Kompetenz der MitarbeiterInnen bildet die Grundlage für die Delegation von Verantwortung. und offene Begegnung von Mensch zu Mensch kann eine hilfreiche und wünschenswerte soziale Interaktion entstehen - und zwar für beide bzw. alle Akteure. Die vier weiteren B’s bezeichnen die Handlungsfelder, in denen diese Begegnung stattfinden soll. Aus den Handlungsfeldern ergeben sich dann Angebotsmodule, die das GpZ Überlingen für die Betroffenen bereithält. Die Module sind individualisiert. Das bedeutet nicht nur, das Informationen, Interventionen, … personenzentriert, bedarfs- und situationsbezogen sind. Es bedeutet auch, dass mache Module nicht, wenig oder stark in Anspruch genommen werden können. | 81 Unternehmensziele Personenzentrierung und Versorgungsverantwortung Wir möchten allen Menschen im Bodenseekreis, die aufgrund einer psychischen Beeinträchtigung die professionelle Unterstützung zur Führung eines selbständigen und eigenverantwortlichen Lebens brauchen, die notwendige individuelle Hilfestellung anbieten. Wir möchten diese Leistung zeitnah und gemeindenah anbieten. Fachleute berichten Ziel ist es, alle wesentlichen Informations- und Entscheidungswege zu standardisieren. Um eine möglichst breite Mitwirkungschance bei der Gestaltung unserer Einrichtung zu ermöglichen, streben wir eine transparente und offene Informationsgestaltung an. Die zugewandte dialogische Haltung unserer Kommunikation gilt in gleicher Weise für den Umgang mit unseren Klienten, Mitarbeitern, Kunden, Kooperationspartnern, Kostenträgern, Behörden, Förderern und Freunden. GpZ Überlingen Engagierte MitarbeiterInnen Wir möchten unseren MitarbeiterInnen einen sicheren und zufriedenstellenden Arbeitsplatz bieten. Die Individualität des Einzelnen und damit die Vielseitigkeit Aller werden als gewinnbringend betrachtet und tragen zum Ideenreichtum, zur Leistungsbereitschaft, zum Verantwortungsbewusstsein und damit zur Erreichung der Unternehmensziele bei. Mitarbeiterführung ist verbindlich und dialogorientiert und richtet sich nach den vereinbarten Zielen. Nichtbetroffene berichten Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 80 | Gesellschaftliche Verantwortung Wir möchten für die Umsetzung der gemeinnützigen Aufgaben die zur Verfügung stehenden Ressourcen so effizient, effektiv und verantwortungsbewusst wie möglich einsetzen. Je mehr Geld aus dem Profit-Bereich [Wirtschaftskreislauf] in den Non-Profit- Bereich [Sozialwirtschaft] transferiert wird, desto ressourcenschonender arbeiten wir. Gewinn Wir möchten ausreichend Gewinn erwirtschaften um die zukünftigen Entwicklungen des Unternehmens finanzieren zu können und um ge- 82 | Beschäftigung Begegnung Beratung, Betreuung Behandlung 1. Beschäftigung Die Arbeitsbereiche im GpZ Überlingen Metall Als kompetenter Partner in Sachen Metall fertigen wir für regionale Industriebetriebe kleine sowie mittelgroße Serien. Modernste technische Anlagen und die qualifizierte Ausbildung unserer Klienten garantieren ein hohes Qualitätsniveau. Wenn Sie Hilfe bei der Entwicklung und Konstruktion individuellen Vorrichtungen brauchen, stehen wir Ihnen gerne mit Rat und Tat zur Seite. Unser Angebot umfasst: CNC-Drehen CNC-Fräsen Bohren (konventionell und CNC) Anfertigung von Drehteilen nach Zeichnung Bearbeitung von Metall und Kunststoff Konstruktion und Fertigung von Vorrichtungen Individuelle Beratung Abholung und Anlieferung Unsere Leistungen: Alten- und Pflegeheimwäsche Hotel- und Gastronomiewäsche Berufsbekleidung Lieferservice Küche /Catering In unserer ca. 120qm großen Cafeteria mit Seeblick (etwa 50 Plätze plus Nebenzimmer) richten wir Feste und Veranstaltungen aus. Auf Wunsch können kleine Bufetts, Menüs und Stehempfänge zusammengestellt, Tisch- und Raumdekorationen arrangiert, sowie die übliche Medientechnik zur Verfügung gestellt werden. Bei Bedarf unterstützt Sie ein freundlicher und umsichtiger Service bei der Durchführung. Für externe Familien- und Vereinsfeiern oder für Familienevents bieten wir Ihnen einen Geschirrund Spülmobil- Service auf Mietbasis an. (Bitte buchen Sie rechtzeitig, wenn Sie im Sommer eine Veranstaltung planen.) Wir bieten Ihnen ein umfangreiches Dienstleistungsprogramm als Einzelauftrag, Dauerauftrag oder als Auftrag während Ihrer Ferien- und Urlaubszeit. Im Auftrag von Städten, Gemeinden, Firmen und Privathaushalten erledigen wir Betroffene berichten 1. 2. 3. 4. Garten-und Landschaftspflege Pflanzen und Blumen leben! Deshalb müssen sie regelmäßig fachgerecht gepflegt werden. Unser GPZ Gartenteam kann Ihnen das ganze Jahr mit Rat und Tat beistehen. Rasen- und Beetpflegearbeiten Wiesen- und Rasenschnitt Fräs- und Umgrabearbeiten Heckenschnitt, Baum- und Gehölzschnitt Staudenpflege Pflanzungen Pflege und Wartung von Grünanlagen Baumfällungen Wegepflege Fachleute berichten Anlaufstelle für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen, die Unterstützung zur Führung eines selbständigen und eigenverantwortlichen Lebens brauchen. Aufgrund der engen Vernetzung und intensiven Zusammenarbeit der verschiedensten Dienste bieten wir ein breites Spektrum an Hilfestellungen und Leistungen unter einem Dach an. Die Leistungsbausteine gliedern sich in individuell nutzbare Angebote: Wäscherei / Hauswirtschaft Weil wir keine Großwäscherei sind, können wir Ihre Wäsche individuell bearbeiten. So wie Sie es aus Ihrem eigenen Haushalt kennen. Die Wäscherei des GPZ Überlingen arbeitet mit dem neuesten Stand der Technik. Die räumliche Trennung von Schmutz- und Reinwäsche, sowie die gewissenhafte und regelmäßige Desinfektion aller Einrichtungsgegenstände und Transportbehälter sichern den hygienisch einwandfreien Zustand Ihrer Wäsche. Mit unserem Dienstleistungsangebot, den hohen Qualitätsstandards, Flexibilität und einem Lieferservice sind wir ein zuverlässiger Partner für unsere Kunden. | 83 Montage und Verpackung Immer dort wo die Automatisierung an Ihre Grenzen stößt ergibt sich ein personal- und somit kostenintensiver Produktionsbereich. Als Partner bieten wir Ihnen ein breites Spektrum von Arbeitsleistungen an. Dabei garantieren wir Qualität, ein ausgezeichnetes Preis-LeistungsVerhältnis und absolute Termintreue. Wir verfügen über einen eigenen Fahrdienst, der die Ware bei Ihnen abholt und dort auch wieder anliefert. Sollten Sie eine langfristige Zusammenarbeit suchen oder zur Einhaltung von Lieferterminen eine kurzfristige Unterstützung brauchen – wir sind die richtigen Ansprechpartner. Abisolieren, Ablängen, Demontage, Entgraten, Entsorgen, Etikettieren, Falten / Falzen, Füllen, Konfektionieren, Montage, Prüfen, Schrumpfen, Sortieren, Tackern, Verpacken, Versenden, Wickeln, Wiegen, Zählen Nichtbetroffene berichten Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten GpZ Überlingen ist … GpZ Überlingen GpZ Überlingen Tagesstätte Die Tagesstätte Überlingen ist ein offener Treffpunkt für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen, der ohne jegliche Vorbedingung aufgesucht werden kann. Wir bieten Ihnen eine ungezwungene Umgebung und ein breites Angebot alltagsnaher und alltagspraktischer Hilfestellungen, z.B. Ausfüllen von Anträgen und Formularen, Beratung und Weitervermittlung an kooperierende Dienste wie Sozialpsychiatrischer Dienst (SPDI), Psychiatrische Institutsambulanz (PIA) oder Integrationsfachdienst (IFD). • ein günstiges und vollwertiges Mittagsmenü • ein Caféteria- und Bistroangebot • unterschiedliche Freizeitaktivitäten • verschiedene Beschäftigungsmöglichkeiten • eine Anlaufstelle (frühzeitiges Erkennen von Krisen und Weitervermittlung an die zuständigen und beratenden bzw. behandelnden Dienste) Letter-Shop Als zuverlässiger und qualitätsbewusster Partner für Direktmarketing bearbeiten wir Ihre personalisierten Serienbriefe von Ausdruck bis zur Posteinlieferung, also: Drucken (sw-farbig) – falzen – kuvertieren – frankieren inklusive dem Ausfüllen aller nötigen Formulare und der Einlieferung bei der Post.Unser Spektrum reicht vom Standard-Werbe-Brief, Fax, E-mails, Einladungen, Info-Schreiben – als Kopie oder Digitaldruck – bis zur Konfektionierung von Sonder-Sendungen wie das Versenden von Weihnachtsgeschenken. Selbstverständlich werden alle Inhalte der Mailings streng vertraulich behandelt. Freizeitaktivitäten Bei unseren Freizeitaktivitäten steht neben dem Spaß - und Erholungsfaktor, ein Lerneffekt im Vordergrund. Die Ausflüge und Wanderungen in der Bodenseeregion und des Linzgau (z.B. Mindelsee oder Illmensee; Haldenhof und Churfüsten etc.) bringen den Menschen die Natur und die Umgebung näher. Meistens sind diese mit Besichtigungen regionaler Sehenswürdigkeiten, Museen, Ausstellungen oder Theaterbesuchen verbunden. Druck/Druckvorstufe Vom Design bis zum Produkt erfüllen wir Ihren Druckauftrag im Digitaldruck vor Ort oder bei größeren Auflagen in unseren Partner-Druckereien. Wir entwickeln und produzieren für Sie und mit Ihnen Broschüren und Hefte, Einladungen, Flyer, Anzeigengestaltung, Briefbögen, Visitenkarten, Plakate oder Ihren Web-Auftritt-ganz individuell. Auch die verschiedensten der Papierweiterverarbeitung bieten wir an: Schneiden, Falzen, Perforieren, Stanzen, Binden, Laminieren, Kleben, Zusammentragen, Lochen - all das wird bei uns im Haus erledigt. Außerdem gehört zu unseren Aufgaben das Scannen, Digitalisieren und Archivieren jeglicher Bild- und Text-Daten. Essen und Begegnung Wir sind die zentrale Versorgungseinrichtung für unsere Einrichtung. Wir sorgen für unsere Beschäftigten, Mitarbeiter, Gäste und bieten ein abwechslungsreiches und preiswertes Essensangebot sowie ein reichhaltiges Getränkesortiment an. Eine schöne Umgebung und nette Kollegen laden zum Verweilen ein. Gute Voraussetzungen für Begegnung, Gemeinschaft und individueller Pausengestaltung Betroffene berichten EBAY Agentur Über unsere EBAY-Agentur können sowohl Privatpersonen als auch gewerbliche Betriebe im größten Kaufhaus der Welt ihre Waren anbieten. Die Vorteile Liegen auf der Hand: kein lästiges Inserieren oder aufwändiges Erstellen von Auktionsangeboten, keine Mails oder Anrufe von Kaufinserenten, kein Ärger mit der finanziellen Abwicklung, kein umständliches Verpacken und zur Post bringen - sondern einfach die Ware beim GPZ Überlingen vorbeibringen. Auf Provisionsbasis versteigern wir Antiquares und Neues, Restposten und Retouren, Kurioses und Seltenes, Schweres und Leichtes, Ladenhüter und Verkaufsschlager, Gebrauchte Güter, Anlagen, Serien, Einzelstücke, Fahrzeuge aller Art,… Sollten Sie größere Mengen z.B. aus einer Lagerräumung oder einer Wohnungsauflösung zu versteigern haben, erstellen wir Ihnen gerne ein individuelles Angebot. Ein weiterer Aspekt ist das gestalterische Arbeiten oder die Vermittlung haushaltsnaher Aktivitäten sowie das jahreszeitliche Dekorieren. Wir bieten in unserer Cafeteria (Mo-Fr): • Vollwertige Mittagsmenus mit und ohne Fleisch • Salatteller • Kl. Frühstücksangebot mit Butterbrezeln und belegten Brötchen • Große Auswahl an Kaltgetränken (kein Alkohol) • Große Auswahl an Kaffeespezialitäten und Teesorten • Wechselndes Kuchenangebot • Eiskaffee und verschiedene Eissorten (im Sommer) • Süßigkeiten • Bestückung mit Getränken, Kleingebäck für Besprechungen Fachleute berichten 2. Begegnung Nichtbetroffene berichten Digital Service mit: | 85 Foto: pixelio - Rainer Sturm Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 84 | Sozialpsychiatrischer Dienst Der Sozialpsychiatrische Dienst der Pauline 13 e.V. bietet Beratung für chronisch psychisch kranke Menschen und deren Angehörige. Seine Arbeit konzentriert sich auf Hausbesuche, Vermittlung von alltagsentlastenden Hilfen, Einzel-, Gruppen- und Familiengesprächen, sowie die Betreuung nach stationärer Behandlung. Des Weiteren bieten wir Problembewältigung im Umgang mit Ämtern und Behörden, Freizeitgestaltung und vieles mehr. Sozialdienst Der Sozialdienst des GPZ Überlingen bietet individuelle Beratung, Unterstützung und Begleitung für psychisch kranke und seelisch behinderte Menschen auf dem Weg zurück ins Arbeitsleben. Es gibt eine Vielfalt von Möglichkeiten der Teilhabe am Arbeitsleben im GPZ Überlingen – entsprechend werden vom Sozialdienst Menschen betreut, die unterschiedlichen Sozialgesetzbüchern zugehörig sind. Exemplarisch sollen drei Möglichkeiten der Teilhabe am Arbeitsleben kurz umrissen werden: So werden vom Sozialdienst Menschen betreut, die in der WfbM (Werkstatt für behinderte Men- Integrationsassistenz Mit der Integrationsassistenz unterstreicht das GpZ Überlingen den Auftrag und die Zielsetzung psychisch kranke und seelisch behinderte Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren. Unser primäres Ziel ist es, einen Arbeitsplatz zu finden, der möglichst weitgehend auf die individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Betroffenen zugeschnitten ist. Hier können die Betroffenen zielgerichtet auf die allgemeinen und speziellen Anforderungen vorbereitet werden. So soll eine maximale Selbständigkeit und Teilhabe an der Gesellschaft gewährleistet werden. Die Schaffung und Pflege eines Firmennetzwerkes, aus dem dann Arbeitserprobungen, Außenarbeitsplätze oder sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstehen, sowie die Unterstützung und Begleitung von Arbeitgebern und Betroffenen am Arbeitsplatz, ist die Kernaufgabe der Integrationsassistenz. Dabei sind wir auf Kooperation und Unterstützung von Arbeitgebern angewiesen. Wer sich dafür entscheiden kann, Menschen wieder eine Perspektive ins Arbeitsleben zu ermöglichen, erhält zugleich: • Die Möglichkeit den Menschen mit seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten kennenzulernen und zu erproben [auch längerfristig] • Fachliche Begleitung und Unterstützung durch unsere Integrationsassistenz Psychologischer Dienst Der psychologische Dienst ist zuständig für die psychologische Betreuung im GPZ Überlingen. Wir betreuen und beraten, führen testpsychologische Untersuchungen durch und sind Ansprechpartner in Krisen und Notlagen. Wir entlehnen unsere Orientierungen und Handlungen verschiedener Schulen wie die Lerntheorien, systemische Ansätze oder Psychoanalytik. 4. Behandlung Soziotherapie Schwer psychisch Kranke sind häufig nicht in der Lage, Leistungen, auf die sie Anspruch haben, selbständig in Anspruch zu nehmen. Soziotherapie soll ihnen die Inanspruchnahme ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen ermöglichen. Sie soll dem Patienten durch Motivierungsarbeit und strukturierte Trainingsmaßnahmen helfen, psychosoziale Defizite abzubauen; der Patient soll in die Lage versetzt werden, die erforderlichen Leistungen zu akzeptieren und selbständig in Anspruch zu nehmen. Sie bietet koordinierende und begleitende Unterstützung und Handlungsanleitung für schwer psychisch Kranke auf der Grundlage von defi- nierten Therapiezielen. Dabei kann es sich auch um Teilziele handeln, die schrittweise erreicht werden sollen.. Ambulante Ergotherapie Ergotherapie leitet sich vom griechischen Wort »ergon« ab und heißt übersetzt Werk, Handeln, Tun. Zum Einsatz kommen handwerkliche als auch kreativ-künstlerische Techniken. Ziel der Ergotherapie ist die Wiedererlangung bzw. der Erhalt der Handlungskompetenz und eine größtmögliche Selbständigkeit und Unabhängigkeit des Betroffenen im Alltags - und Berufsleben. Handwerkliche Techniken (mit den entsprechenden Materialien) sind z. B. Flechten mit Peddigrohr; Töpfer-Arbeiten mit Ton; Skulpturen aus Speckstein; Holzbearbeitung; Mosaikarbeiten; Arbeiten mit Papier und Pappe (u.a. Pappmachéarbeiten, Papier schöpfen); Farben; Wolle; Filz Psychiatrische Institutsambulanz Das wohnortnahe Angebot der psychiatrischen Institutsambulanzen (PIA) umfasst ambulante psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlungen bei folgenden Erkrankungen: Schizophrenie und schizoaffektive Störungen, schwere Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen. Die PIA arbeitet in enger Kooperation mit den sozialpsychiatrischen Dienst. Die Behandlungen werden durch die gesetzlichen Krankenkassen finanziert. Patienten können sich entweder selbst bei uns melden oder sich von ihrem Hausarzt an die Psychiatrische Institutsambulanz überweisen lassen. Das Angebot richtet sich insbesondere an psychisch Kranke, bei denen eine langfristige, kontinuierliche Behandlung medizinisch notwendig ist bzw. die ambulante Leistung eines psychiatrischen Krankenhauses hilfreich ist. Psychiatrische Pflege Der psychiatrische Pflegedienst der Pauline 13 e.V. bietet Hilfe in der eigenen Wohnung an. Dies kann Anleitung und Hilfe bei der Grundpflege wie Körperhygiene, Ernährung oder Medikamenteneinnahme sein oder auch bei der Arbeit im Haushalt, bei Einkauf oder Arztbesuchen. Das fachlich qualifizierte Personal bietet auch Beratung der Klienten und ihrer Angehörigen über den Umgang mit der Erkrankung und Hilfen bei der Tagesplanung an. Betroffene berichten • Eine tägliche und bedingungslose Rückkehroption des Beschäftigten • Beim Übergang in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis die Möglichkeit, finanzielle Unterstützungsleistungen zu beantragen (unter Einbeziehung des Integrationsfachdienstes) | 87 Fachleute berichten Ambulant betreutes Wohnen Das Betreute Wohnen in Wohngemeinschaften bietet Hilfe zur Selbsthilfe, Begleitung und Unterstützung auf dem Weg in ein eigenverantwortliches Lernen. Die Hilfe konzentriert sich auf praktische Alltagsbewältigung. Von der Hilfe zur Ausübung einer praktischen Tätigkeit, über tägliche lebenspraktische Hilfen bis hin zur Unterstützung bei der Freizeitgestaltung. schen) des GpZ im Eingangsverfahren (3 Monate), dem Berufsbildungsbereich (12-24 Monate), oder die dauerhaft im Arbeitsbereich der WfbM arbeiten. Hinzu kommt die Möglichkeit einer niederschwelligen therapeutischen Beschäftigung. Dies betrifft erwerbsunfähige psychisch kranke und seelisch behinderte Menschen, die nicht oder noch nicht in der Lage sind eine Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt oder in einer Werkstatt für behinderte Menschen aufzunehmen. Für erwerbsfähige Menschen, die aufgrund psychischer Belastungen und Einschränkungen nicht bzw. noch nicht (wieder) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, bieten wir ein Training von Ausdauer und individueller Belastbarkeit sowie beruflicher Fähigkeiten an. Ziel ist eine strukturierte und sinnvolle Tätigkeit, welche die Teilhabe und die Integration am Leben in der Gesellschaft fördert. Foto: pixelio Fachleute berichten Integrationsfachdienst Der Integrationsfachdienst – »IFD« – ist zuständig für die berufliche Eingliederung von Menschen mit Behinderung in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Wir beraten behinderte Menschen, die arbeitssuchend sind oder sich in Sonderschulen und Werkstätten für behinderte Menschen befinden. Der »IFD« berät und begleitet außerdem Menschen mit Behinderung in einem bestehenden Arbeitsverhältnis und ist auch für alle Arbeitgeber, die diesen Personenkreis beschäftigen ein kompetenter Ansprechpartner. Nichtbetroffene berichten Betroffene berichten 3. Beratung, Betreuung GpZ Überlingen Nichtbetroffene berichten 86 | 88 | Integration | 89 wie Integration Der Integrationsfachdienst Ein Dienst der bei der Wiedereingliederung von psychisch Kranken unterstützend wirkt Der Integrationsfachdienst (IFD) ist ein Fachdienst für die berufliche Eingliederung von Menschen mit Behinderungen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Der IFD berät in allen Fragen der betrieblichen Wiedereingliederung, die sich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ergeben. Er berät auch behinderte Menschen, die Arbeit suchen, oder die sich in Sonderschulen und Werkstätten ... Foto: pixelio - Stephanie Hofschläger Nichtbetroffene berichten Konkret erklärt der Integrationsfachdienst den Arbeitgebern die finanzielle Fördermöglichkeit bei leistungsgeminderten, schwerbehinderten Arbeitssuchenden, die zusätzliche Anleitungen benötigen. In der Folgezeit hält der Integrationsfachdienst Kontakt zur vermittelnden Person und dem Betrieb, um die Situation weiterhin zu stabilisieren und bei auftretenden Problemen bzw. Fragen ein Ansprechpartner zu sein. „Wer wagt, der kann auch gewinnen.“ Wir befragten ein Mitarbeiterin des Integrationsfachdienstes über ihre Arbeit Welche berufliche Grundbildung haben Sie? Ich bin Dipl. Sozialarbeiterin und habe eine sozialpsychiatrische Zusatzausbildung. Welche Grundlagen und besonderen Eigenschaften braucht man Ihrer Meinung nach als Vermittlerin des IFD? Grundlagen/Wissen über Auswirkungen und Unterschiedlichkeiten einer psychischen Erkrankung halte ich genauso wichtig wie Kenntnisse und Zusammenhänge in der Sozialgesetzgebung. Dann natürlch gutes Einfühlungsvermögen, Freude an der Kommunikation, Interesse und Neugier generell an der Arbeit und zielgerichtetes Handeln. Fällt Ihnen an den Klienten, die Sie betreuen, ein Unterschied zu völlig „gesunden“ Menschen auf? Generell gibt es keine großen Unterschiede, denn für mich ist jede psychische Erkrankung Ausdruck einer Persönlichkeit die auch ich, als sog. „normal Behinderte“ habe, allerdings in anderer, viel schwächerer Ausprägung. Den Unterschied den ich bemerke, hat mit der Phase zu tun in der sich der Klient befindet, wenn ich den ersten Kontakt habe. Große Unterschiede sehe ich dann wenn jemand seine Erkrankung und die damit verbundenen Auswirkungen nicht sehen möchte, oder nicht sehen kann. Wie verhalten sich die Arbeitgeber häufig gegenüber Ihrer Tätigkeiten als unabhängige Arbeitsvermittlerin? Arbeitgeber sind häufig erst mal kritisch wenn sie psychisch „krank“ oder „behindert“ hören. Und Arbeitgeber wollen sich nicht gleich festlegen. Sie brauchen Informationen (Was kommt da auf mich zu?). Wenn es gelingt, den Arbeitgeber neugierig zu machen, und es gelingt ihn zu überzeugen, dass er sich nicht gleich festlegen muss, sondern gemeinsam ausprobiert werden kann in Form eines betrieblichen Praktikums, dann ist das ein super Anfang. Was sind die besonders schönen Momente bei Ihrer Arbeit? Foto: pixelio - Rainer Sturm Wenn eine Eingliederung tatsächlich funktioniert. Ich denke da an einen jungen Mann den ich kennengelernt habe als es ihm noch sehr schlecht ging und er sich aufgrund seiner Erkrankung im Praktikum nicht über 3 Stunden konzentrieren konnte. Im Laufe von 2 Jahren hat sich seine Leistungsfähigkeit stetig verbessert und er konnte jetzt sogar eine Ausbildung beginnen. Er geht mit sich und seiner Erkrankung sehr wachsam um. Diese Momente sind besonders schön, weil sich der lange Atem oder das geduldige „Schritt für Schritt gehen“ gelohnt hat. In welchem Bereich kann noch viel verbessert werden? Am meisten Verbesserungswünsche hätte ich für die Sozialgesetzgebung, die mehr und flüssiger zusammenarbeiten könnte. Gibt es etwas das Sie oft stört? Ja wenn behauptet wird, dass etwas so oder so ist/sei - als feste Behauptung - und damit keiner Veränderung die Chance gegeben wird. Dabei sind wir doch alle ständig in der Veränderung. Warum lohnt es sich als psychisch Erkrankte/r den Schritt (zurück) auf den 1. Arbeitsmarkt zu wagen? Weil wir an Aufgaben wachsen und lernen können, weil alles klappen kann und niemand das im Vorfeld wissen kann. Jede/r muss das selber wollen und damit das (manchmal sehr entfernte) Ziel verfolgen. Natürlich läuft man dann auch Gefahr, dass man scheitert, aber wer die absolute Sicherheit will der hat es grundsätzlich schwer. Eine Garantie gibt es im Leben nicht generell und wie heißt es so schön „wer wagt, der kann auch gewinnen.“ …und dann hat es doch geklappt! Eine junge Frau erzählt von Ihrer Zusammenarbeit mit dem Integrationsfachdienst Gegen Ende meiner 2-jährigen beruflichen Reha, begann ich mit dem Integrationsfachdienst zusammen zu arbeiten. Diese Arbeit bestand zunächst aus Gesprächen. Bald kamen Praktika hinzu, durch diese sich mein Berufswunsch herauskristallisierte. Außerdem schrieb ich diverse Bewerbungen, natürlich mit deren Unterstützung. Auch bei den Praktika bekam ich rege Unterstützung von IFD. Von der Vermittlung bis hin zum Vorstellungsgespräch wie auch das Abschlussgespräch war Frau K. vom IFD steht dabei. Dennoch habe ich meinen Ausbildungsplatz quasi ohne die Hilfe des IFD gefunden. Als das 5. Praktikum ohne Erfolg zu Ende ging, quatschte ich mit einem Sportkollegen über meine beruflichen Wünsche. Dieser bot mir daraufhin ein Praktikum im Elternhaus im Büro seines Vaters an. Es gab danach ein Gespräch mit Frau K., mir und meinem zukünftigen Chef, indem alles Wichtige geklärt wurde. Ich fühle mich sehr wohl bei dem Gedanke, dass falls bei der Ausbildung Probleme auftreten, der IFD den Arbeitgeber und mich unterstützt. Schade fand ich an der bisherigen Zusammenarbeit, dass ein ziemlicher Erfolgsdruck geherrscht hat. Ich glaube diesen Druck kennen viele und es ist normal auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Also sollte ich mich an den etwas rauheren Ton der Welt gewöhnen. Außerdem kann ich mich dadurch jetzt ein bisschen besser um mein Wohlergehen kümmern, und das ist, glaub ich, auch für den IFD ein gutes Endergebnis. Betroffene berichten Der Integrationsfachdienst koordiniert die notwendigen Formalitäten und Abläufe mit Personen wie den behandelnden Ärzten, mit Betrieben und Krankenkassen. In der Zeit der stufenweisen Wiedereingliederung hält der IFD zu allen Beteiligten Kontakt, um Auswertung, Weiterführung und Abschluss der Maßnahme zu gewährleisten. Bei allen Fragen und Problemstellungen, die sich während dieser Maßnahme oder danach ergeben, ist dieser Dienst kompetenter Ansprechpartner für alle Beteiligten. Fachleute berichten Fachleute berichten Betroffene berichten ... für behinderte Menschen (WfBM) befinden. Private und öffentliche Arbeitgeber, Betriebsräte, Schwerbehinderten-Vertrauensleute und andere betriebliche Helfergruppen holen sich bei ihm Rat. Er arbeitet auf der Grundlage des SGB IX. Die Beratung ist kostenlos. | 91 Nichtbetroffene berichten 90 | Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 92 | | 93 Foto: pixelio - Brigitte Sanladerer wie ICF Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit Die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD) kann vor dem Hintergrund ihres biomedizinischen Modells als eine international anerkannte und einheitliche Sprache aufgefasst werden, mit der Krankheitsphänomene in einer für alle professionellen Gruppen im Gesundheitswesen gleichen Weise benannt und verstanden werden. Erst hierdurch wird eine eindeutige Kommunikation über Krankheiten innerhalb und zwischen Professionen und Institutionen möglich. Die Kommunikation mit Hilfe der ICD findet dort ihre Grenzen, wo nicht über Krankheiten selbst, sondern über die mit ihnen einhergehenden funktionalen Probleme, d. h. über die negativen Auswirkungen von Krankheiten auf das Leben eines Betroffenen gesprochen wird. Funktionale Probleme sind z. B. Beeinträchtigungen in den Bereichen der Mobilität, der Kommunikation, der Selbstversorgung, des häuslichen Lebens, der Interaktionen mit anderen Menschen oder des Erwerbslebens. Die Notwendigkeit, auch für funktionale Probleme eine international anerkannte und einheitliche Sprache zu verwenden, die von allen professionellen Gruppen im sozialen Sicherungssystem in gleicher Weise verstanden wird, ergibt sich insbesondere aus der zunehmenden Bedeutung funktionaler Probleme, dem Management dieser Probleme im sozialen Sicherungssystem und der Intervention gegen diese Probleme. Eine einheitliche Sprache dient in diesen Fällen der eindeutigen Beschreibung krankheitsbedingter funktionaler Probleme als Voraussetzung für eine gezielte Prävention und Intervention. Eine solche Sprache stellt die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) zur Verfügung. Sie wurde im Jahr 2001 von der Vollversammlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verabschiedet. Die ICF ergänzt die ICD. Die ICF befindet sich in Deutschland in der Implementierungsphase. Im Neunten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB IX) – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – wurden wesentliche Aspekte der ICF unter Berücksichtigung der in Deutschland historisch gewachsenen und anerkannten Besonderheiten aufgenommen. Die ICF ist eine Klassifikation, mit welcher der Zustand der funktionalen Gesundheit einer Person beschrieben werden kann. Insbesondere ermöglicht sie es, • das positive und negative Funktions-/Strukturbild, • das positive und negative Aktivitätsbild im Sinne von Leistungsfähigkeit bzw. Leistung • und das positive und negative Teilhabebild an Lebensbereichen einer Person vor dem Hintergrund möglicher Förderfaktoren und Barrieren standardisiert zu dokumentieren. Ziele und Grenzen der ICF Das wichtigste Ziel der ICF ist, eine gemeinsame Sprache für die Beschreibung der funktionalen Gesundheit zur Verfügung zu stellen, um die Kommunikation zwischen Fachleuten im Gesundheits- und Sozialwesen, insbesondere in der Rehabilitation, sowie den Menschen mit Beeinträchtigungen ihrer Funktionsfähigkeit zu verbessern. Darüber hinaus stellt sie ein systematisches Verschlüsselungssystem für Gesundheitsinformationssysteme bereit und sie ermöglicht Datenvergleiche zwischen Ländern, Disziplinen im Gesundheitswesen, Gesundheitsdiensten sowie im Zeitverlauf. Die Bedeutung der ICF für Rehabilitation lässt sich wie folgt skizzieren: - Die Wiederherstellung oder wesentliche Besserung der Funktionsfähigkeit insbesondere auf der Ebene der Aktivitäten (Leistungsfähigkeit, Leistung) bei bedrohter oder eingeschränkter Teilhabe an Lebensbereichen einer Person ist eine zentrale Aufgabe der Rehabilitation. Daher ist die ICF für die Rehabilitation bei der Feststellung des Reha-Bedarfs, bei der funktionalen Diagnostik, dem Reha-Management, der Interventionsplanung und der Evaluation rehabilitativer Leistungen nutzbar. - Die ICF ermöglicht es, Kontextfaktoren (Umweltfaktoren, personbezogene Faktoren) in den Rehabilitationsprozess des Rehabilitanden einzubeziehen: Barrieren, welche die Leistung oder Teilhabe erschweren oder unmöglich machen, sind abzubauen, und Förderfaktoren, welche die Leistung oder Teilhabe trotz erheblicher gesund- heitlicher Beeinträchtigungen wiederherstellen oder unterstützen, sind auszubauen oder zu stärken. Die Grenzen der ICF werden insbesondere durch zwei Aspekte gekennzeichnet: - Die ICF ist keine Klassifikation funktionaler Diagnosen, sondern mit ihr können funktionale Befunde und Symptome angegeben werden. - Die ICF ist kein Assessmentinstrument (standardisierte Methoden und Instrumente zur Beschreibung und Beurteilung der Körperfunktionen/strukturen, der Aktivitäten und der Teilhabe). Auf ihrer Grundlage können jedoch solche Instrumente entwickelt bzw. weiterentwickelt werden. Die wichtigsten Begriffe der ICF Aktivitäten bezeichnen die Durchführung von Aufgaben oder Handlungen durch eine Person. Siehe auch Leistungsfähigkeit, Leistung. Barrieren sind Kontextfaktoren (insbesondere Umweltfaktoren), die sich negativ auf die funktionale Gesundheit (insbesondere auf die Teilhabe) auswirken. Beeinträchtigungen der Aktivität sind Schwierigkeiten, die eine Person bei der Durchführung einer Aktivität haben kann. Beeinträchtigungen der Teilhabe sind Probleme, die eine Person beim Einbezogensein in eine Lebenssituation oder einen Lebensbereich erlebt. Behinderung ist jede Beeinträchtigung der funktionalen Gesundheit einer Person. Der Behinderungsbegriff der ICF ist wesentlich weiter als der des SGB IX. Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 94 | Förderfaktoren sind Kontextfaktoren (insbesondere Umweltfaktoren), die sich positiv auf die funktionale Gesundheit (insbesondere auf die Teilhabe) auswirken. Funktionale Gesundheit umfasst die Aspekte der Körperfunktionen und -strukturen des Or ganismus einer Person sowie die Aspekte der Aktivitäten und Teilhabe der Person an Lebensbereichen vor dem Hintergrund ihrer Kontextfaktoren. Funktionale Gesundheit ist kein expliziter Begriff der ICF. Funktionsfähigkeit umfasst alle Aspekte der funktionalen Gesundheit. Komponente ist der zu klassifizierende Gegenstand, also (1) Körperfunktionen und -strukturen, (2) Aktivitäten und Teilhabe, (3) Umweltfaktoren und (4) personbezogene Faktoren (in der ICF nicht klassifiziert). Kontextfaktoren sind alle Gegebenheiten des Lebenshintergrundes einer Person. Sie sind in Umweltfaktoren und personbezogene Faktoren gegliedert. Körperfunktionen sind die physiologischen Funktionen von Körpersystemen (einschließlich psychologische Funktionen). Siehe auch Schädigungen. Körperstrukturen sind anatomische Teile des Körpers, wie Organe, Gliedmaßen und ihre Bestandteile. Siehe auch Schädigungen. Lebensbereiche sind Domänen der Klassifikation der Aktivitäten und Teilhabe. Leistung ist die tatsächliche Durchführung einer Aufgabe oder Handlung einer Person in ihrem gegenwärtigen Kontext. Leistung ist ein Aspekt des Aktivitätskonzeptes. Leistungsfähigkeit ist das maximale Leistungsniveau einer Person bezüglich einer Aufgabe oder Handlung unter Test-, Standard , oder hypothetischen Bedingungen. Leistungsfähigkeit ist ein Aspekt des Aktivitätskonzeptes. Partizipation siehe Teilhabe. Schädigungen sind Beeinträchtigungen einer Körperfunktion oder -struktur wie z.B. eine wesentliche Abweichung oder ein Verlust. Teilhabe ist das Einbezogensein einer Person in eine Lebenssituation oder einen Lebensbereich. Umweltfaktoren bilden die materielle, soziale und einstellungsbezogene Umwelt ab, in der Menschen leben und ihr Dasein entfalten. Umweltfaktoren sind in der ICF klassifiziert. | 95 wie Inklusion Foto: www.pixelio.de Inklusion (UN-Behindertenrechtskonvention) Inklusion ist ein kontinuierlicher Prozess, der Menschen mit Behinderungen die Chance gibt, in vollem Umfang an allen gesellschaftlichen Aktivitäten teilzunehmen, die auch Menschen ohne Behinderungen offen stehen. Jedem Menschen inhärent ist das „Recht auf volle gesellschaftliche Zugehörigkeit“. Wirksam wird dieses Konzept erst dann, wenn Menschen mit Behinderungen in ihrer vertrauten Lebenswelt das notwendige Maß an Unterstützung für ihre gesellschaftliche Teilhabe erhalten. Inklusion will die bestehenden Strukturen, Einstellungen und Auffassungen dahingehend verändern, dass die Unterschiedlichkeit der einzelnen Menschen die Normalität wird (diversity mainstreaming). Jeder Mensch soll die Unterstützung und Hilfe erhalten, die er oder sie für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben benötigt. Der Inklusionsgedanke der UN-Behindertenrechtskonvention impliziert nicht nur Schutz vor Diskriminierung, sondern darüber hinausgehend die aktive Unterstützung von Menschen mit Behin- derungen bei der Wahrnehmung ihrer Rechte durch das Treffen angemessener Vorkehrungen. Unter der Leitidee der Inklusion kann es also künftig nicht mehr um (Wieder)Eingliederung in die Gesellschaft gehen, sondern um die Umgestaltung der Umwelt, die die Bürgerrechte aller Bürgerinnen und Bürger respektiert und zu realisieren hilft. Dies impliziert den Einbezug aller Politik- und Gesellschaftsbereiche, um die Voraussetzungen für Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in allen gesellschaftlichen Bereichen zu schaffen. Dazu gehört z.B. auch eine aktive Einbeziehung in Gesetzgebungsverfahren und eine breite Öffentlichkeitsarbeit, die Menschen mit Behinderungen über ihre Teilhabeund Teilnahmemöglichkeiten informiert. Gleichwohl muss die Barrierefreiheit in einem umfänglicheren Sinne von Mobilität und Zugang zu Informationen verstanden werden und somit über ein bloßes technisches oder bauliches Verständnis hinausgehen. Hierin muss sich auch ein verändertes Grundverständnis von Behinderung widerspiegeln, das dem dynamischen Behinderungsbegriff der Konventionspräambel folgt. Die aktuell geltende Unterscheidung von körperlicher, geistiger und seelischer Gesundheit entspricht nicht den Kategorien des neuen ganzheitlichen Verständnisses vom Menschen wie es in der ICF (International Classification of Functioning) dargestellt wird. Auch die Einteilung nach der für das Lebensalter typischen Gesundheits- störung oder die Voraussetzung der Dauer einer Behinderung von sechs Monaten sind nicht ICFfundiert. Die z.Zt. angewandten ICD-10-basierten medizinisch-diagnostischen Verfahren zur Feststellung einer Behinderung als Zugangsvoraussetzung zur Inanspruchnahme von Gesundheits-, Rehabilitations- und anderen Sozialleistungen im gegliederten Sozialleistungssystem müssen somit folgerichtig hinterfragt und entsprechend weiterentwickelt werden. Menschen mit Behinderungen müssen als Rechtssubjekt anerkannt werden und in allen Lebensbereichen ihre vollumfängliche Rechts- und Handlungsfreiheit wahrnehmen können. Hierfür müssen Menschen mit Behinderungen eine entsprechende Unterstützung erhalten, um ihre Rechte ausüben zu können. 96 | | 97 wie Medikamente Ein Gespräch über Medikamente Interview mit einer Psychiaterin Wie wirken sich Antidepressiva auf den Gehirnstoffwechsel aus? Pharmakologische Hauptangriffspunkte fast aller Antidepressiva sind die Synapsen im zentralen Nervensystem, wo die Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin eine Rolle spielen. Über verschiedene Mechanismen kommt es zu einer vermehrten Verfügbarkeit von Serotonin und Noradrenalin am synaptischen Spalt. Einige Antidepressiva erhöhen auch die Freisetzung von Dopamin... Welche Faktoren sind für Sie ausschlaggebend, einen Patienten mit Medikamenten zu behandeln? Jeder medizinischen Behandlung geht eine Diagnostik voraus. Es hängt also sehr stark vom Beschwerdebild, vom Leidensdruck, vom Krankheitsverlauf und natürlich von der Diagnose, die ich stelle ab, ob ich einem Patienten eine medikamentöse Behandlung vorschlage. Der aktuelle Stand der Forschung ist, dass beispielsweise bei Schizophrenien meist eine Behandlung mit Antipsychotika sinnvoll ist. Nach der Ersterkrankung sollte die Rezidivprophylaxe mindestens 1 Jahr weiterlaufen, bei mehrfachen Rezidiven sollte die Behandlung über längere Zeiträume fortgeführt werden (mindestens 5 Jahre). In welchem Fall würden Sie sich dafür entscheiden, die Medikamente zu wechseln? Ein Medikamentenwechsel ist dann sinnvoll, wenn ein Medikament nicht den gewünschten Erfolg bringt bzw. wenn die Nebenwirkungen nicht mehr akzeptabel sind. Es ist aber leider so, dass es das „Wunschmedikament“ nicht gibt. Man wird immer Kompromisse eingehen müssen. Nebenwirkungen müssen manchmal auch in Kauf genommen werden. Hier ist natürlich immer abzuwägen zwischen Nutzen und Schaden eines Medikaments. Umfrage: Medikamente ein unlösbares Problem? Die medikamentöse Behandlung bei psychischer Störung bildet mit unterstützenden Gesprächen die Basis einer Therapie. Es gilt hierbei herauszufinden, ob das vom Arzt vorgeschlagene Medikament die erwünschte Wirkung zeigt. Außerdem sollten Medikamente erst dann verschrieben werden, wenn der erkrankte Mensch kein ihm würdigen Alltag mehr erleben und gestalten kann. Wichtiger als die medikamentöse Behandlung ist es jedoch, die Ursache(n) zu finden und das Leben soweit umzugestalten das der Boden für eine Genesung gelegt werden kann. Die Grundlage hierfür bilden oft die Medikamente, da bei vielen Betroffenen die Symptome so stark sind, dass keine positive Veränderung des psychischen Zustandes mehr möglich ist. Natürlich gibt es auch Menschen die selbst bei einer gesunden Lebensweise und einem gesunden Um- feld erkranken und bei denen ohne eine medikamentöse Behandlung ein normales Leben kaum möglich wäre. Um die Vielfalt in diesem Bereich weiter zu erläutern haben wir Betroffene zu dem Thema Psychopharmaka befragt: Medikamente: Seit 3 Monaten auf pflanzliche Heilmittel umgestellt: Mein Körper wurde gegen viele pharmazeutische Mittel resistent. Jetzt, mit den pflanzlichen Mitteln, fühle ich mich wohler und es ist günstiger. Es ist für mich der beste Lösungsweg. Medikamente: Pflanzliche Mittel In meinem Fall hat mir der Arzt abgeraten, weil die Medikamente die ich bräuchte extreme Nebenwirkung haben. Gegen die Muskelspannung nehme ich jetzt illegale pflanzliche Mittel. Betroffene berichten Welche Unterschiede gibt es bei der Wirkungsweise der Neuroleptika (Antipsychotika)? Zunächst kann man vielleicht umgekehrt sagen, allen Antipsychotika ist gemeinsam die Blockade postsynaptischer dopaminerger D2-Rezeptoren. Die Unterschiede ergeben sich dadurch, dass verschiedene Antipsychotika noch andere Rezeptoren ansprechen. So blockieren beispielsweise die dämpfenden Antipsychotika gleichzeitig die H1-Rezeptoren, was dann gleichzeitig unerwünscht zur Gewichtszunahme führen kann. Wirkungs- und Nebenwirkungsspektrum richtet sich also danach, welche Rezeptoren im ZNS angesprochen werden. Wann würden Sie entscheiden, mit dem Patienten eine Reduzierung der Tablette anzugehen oder ganz abzusetzen? Wenn ein Patient während einer akuten Erkrankung mit einem Medikament hoch eingestellt war und sich zunehmend stabilisiert, kann man natürlich etwas reduzieren. Wenn ein Patient lange psychisch stabil war, die Kooperation sehr gut ist und in der Therapie gute Voraussetzungen dafür geschaffen wurden, auf Krisen zu reagieren (Frühwarnsymptome), könnte ich mir auch vorstellen, den Schritt zu wagen, Medikamente abzusetzen. Eine wichtige Voraussetzung ist hier auch, dass ein gutes beiderseitiges Vertrauen zwischen Patient und Therapeut vorhanden ist. Ich muss allerdings auch sagen, dass ich selbst bei Medikamentenreduktion schon oft Verschlechterung oder Rückfälle erlebt habe. | 99 Fachleute berichten ... Die Feinwirkung der Antidepressiva z.B. ob die Modulation von Rezeptoren eine Rolle spielt oder in wie weit ein synaptisches Wachstum angestoßen wird und sich dadurch bessere Lebensbedingungen für die Nervenzellen ergeben, ist bis ins Detail noch nicht genau bekannt und Gegenstand der Forschung. Medikamente Nichtbetroffene berichten Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 98 | Medikamente: Ja Ich habe Medikamente genommen die abhängig machen. Diese haben mich abgeschirmt von meinen traurigen Gefühlen und Erinnerungen. Nach fünf Jahren habe ich eine Traumatherapie gefunden die es mir möglich macht ohne diese Benzodiazepine zu leben. Medikamente: Ja Meine Medizin hilft mir ruhiger zu werden. Allerdings macht sie mich etwas benommen. Allgemein finde ich jedoch eine Gesprächstherapie genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger. Medikamente: Nein In erster Linie sollte jeder, der Medikamente verordnet bekommen soll, bei dieser Entscheidung, auf sich hören. Von meiner Erfahrung heraus, kann die Gesprächstherapie einen größeren Einfluss auf die Genesung haben, als die Medikamente. Medikamente. Ja Ohne Medikamente wär ich vielleicht nicht mehr da. Ohne Medikamente wär mein Leben nicht annähernd ertragbar. Medikamente ermöglichen mir ein nahezu “normales“ Leben. Medikamente: Ja Ohne die Medikamente würde es mir schlecht gehen. Nachdem ich sie einmal abgesetzt habe, hatte ich einen schweren Rückfall. Auch sind sie für die Verhaltenstherapie, die ich gerade mache, eine große Unterstützung. Medikamente: Ja Vor wenigen Tagen habe ich meine Medikamentendosis erst erhöht, weil es mir etwas schlechter ging. Psychopharmaka helfen mir auf jeden Fall. Voraussetzung ist allerdings das richtige Medikament. Ein Arzt, der so lange ausprobiert bis keine oder kaum Nebenwirkungen eintreten und der Zustand stabilisiert sich, ist dazu allerdings Voraussetzung. Medikamente: Ja Seitdem ich das richtige Medikament nehme bin ich nicht mehr so down. Es hat allerdings vier Jahre gedauert. In dieser Zeit haben wir vier unterschiedliche Pillen ausprobiert, erst dann war das richtige Medikament dabei. Jetzt würde ich eher auf meine eigene Intuition hören, als die vom Arzt, also mehr aktiv mitwirken. | 101 Sucht Beruhigungsmittel Durch eine posttraumatische Belastungsstörung schlitterte ich in die Abhängigkeit von Tavor und Diazepam. Anfangs waren es nur Tranquilizer, damit ich meine Arbeit machen konnte. Die Gedanken Monte Christo 29.08.2008 Es ging weiter, mit dem Tavor, damit ich meine Flashbacks und Panikanfälle unter Kontrolle bekam. Anfangs sagte man mir noch, dass diese Mittel abhängig machen können, aber ich diese im Moment brauchte um meine Arbeit und die Therapie machen zu können. Es war auch nicht so, dass ich immer höhere Dosen brauchte, aber es kamen auch noch Schlafmittel dazu. Ich glaubte auch lange nicht, dass ich schon süchtig war, da auch die Ärzte, die mir dieseMittel verordneten meinten, dass es einfach ist von einem Beruhigungsmittel auf ein anderes zu wechseln. Ich nahm diese Mittel 5 Jahre lang. Aufgrund einer neuen Bewerbung für eine Trauma-Intervalltherapie wurde mir angeraten, erst mal einen Entzug von Tavor und den Schlafmitteln zu machen. Ich hatte unheimliche Angst davor, aber wegen dem Wunsch nach Bearbeitung meiner Missbrauchserlebnisse aus der Kindheit, begab ich mich in die Psychiatrie. Ich war dort auf einer Station, auf der auch die Alkoholiker waren. Es demotivierte mich, als ich sah, dass sie bereits nach 4 Tagen entgiftet waren, bei mir sollte das 12 Tage dauern. Aber ich habe es geschafft und lebe seit 3 Monaten ohne Benzodiazepin und Schlafmittel. Du kannst sie nicht Alle erraten Oft musst Du auf einen warten. Du kannst Dir über vieles Gedanken machen, Über große oder kleine Sachen. Der Gedanke ist gut, mal laut, mal leise. Wir Alle denken auf die gleiche Weise. Es können Zwei auch einen Gedanken sagen. Welch großen Verstand muss ein Mensch haben? Den einen Gedanken errät`s Du beim Mienenspiel. Der Eine oder andere Gedanke bringt Dir viel. Einer denkt dies, ein Nächster wieder das, Und schon entsteht wieder etwas. Gedanken gibt`s wie Sand am Meer. Alle auf einmal, das wäre ein Malheur. Der eine Gedanke kommt, ein anderer geht. Den nächsten suchst Du, wo er wohl geschrieben steht. Und wenn Du einmal nicht weiter denkst, Jemand dann doch Deine Schritte lenkt. Kannst Du nicht denken, auf die eine Art, Ist der Gedanke wohl im Traum gepaart. Laut Angaben des Arneimittelreportes 2009 sind die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für Medikamente im Zeitraum von 1998 bis 2008 um 12,21 Milliarden Euro von 17,72 Milliarden auf 29,93 Milliarden Euro gestiegen. Quelle: Gedanken sind mal groß, mal klein, Doch bringen Sie oft sehr viele Ideen ein. Sie sind oft Alt, mal Jung und wieder Neu. Mach mir doch keiner meine Gedanken scheu! Du hast mal viele Gedanken, mal hast Du wenig. Kann man nicht alle erkennen, freuen wir uns darüber, wie ein König. Du kannst den einen oder anderen Gedanken übertragen. Doch bei vielen Gedanken müssen wir nachfragen. www.zes.uni-bremen.de/GAZESse/200902/ GEK-Arzneimittel-Report-2009.pdf Foto: Pixelio - Ingo Neumann Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 100 | Sieh` einmal hin, sieh` einmal her. Dann fällt Dir ein Lernen nicht mehr schwer. Den einen Gedanken, kannst Du dir schenken, Doch für den Nächsten, wird sich so mancher, den Kopf verrenken. 102 | | 103 wie Opfer Geschlagen, gestalkt, traumatisiert Ich wurde vom Vater meiner Kinder jahrelang geschlagen, dann brutal misshandelt und später noch jahrelang verfolgt und gestalkt, bis ich nachts aufwachte und des öfteren wiederholt die Polizei alarmierte, „es kommt einer, der mich umbringen will, obwohl keiner da war.“ Dies über Monate hinweg. Erst ein Besuch der Polizei in meinem Wohnzimmer an einem der darauffolgenden Tage aufgrund einer Panikattacke und die Androhung, dass ich in Zukunft die Kosten der Aufwände der Polizei zu tragen hätte, liessen mich wach werden und ich nahm deren Rat an, meinen Arzt aufzusuchen. Die verordneten Tabletten liessen mich in eine Lethargie verfallen. Ich nahm stark zu und bekam davon sogar Suizidgedanken, liess mich freiwillig in die Psychiatrie einweisen, wo mindestens 7 Medikamente getestet wurden, um wenigstens die Suizidgedanken wieder los zu werden. Als ich wieder stabil wurde, durfte ich heim zu meinen Kindern und wagte den ersten Schritt ins GpZ Überlingen. Ich habe heute noch ab und zu flash backs (ein Wiedererleben früherer Gefühlszustände) und bin traumatisiert. licher oder seelischer Art – ein Anrecht auf Opferentschädigung hat. Es war in der Fibel auch eine Karte, mit der man die entsprechenden Unterlagen anfordern kann. Es gab dann noch den Hinweis, dass man sich an den Weißen Ring wenden kann, um zu erfahren, welche weiteren Möglichkeiten es gibt, um Opfern für das Gerichtsverfahren oder dem OEGAntrag beizustehen und sie über seine Rechte, die nicht in dem Heftchen stehen, zu informieren. Ich will hier nicht die ganze Broschüre zitieren, aber doch noch erzählen, was der Weisse Ring noch als Sofortmaßnahme empfohlen hat. Ich kann z. B. zum Amtsgericht gehen und mir einen Beratungsscheck ausstellen lassen, mit dem ich dann zu einem Anwalt meines Vertrauens gehen kann um mich weiter beraten bzw. auch vertreten zu lassen. Die Erteilung dieses Berechtigungsscheines ist aber von dem jeweiligen Einkommen abhängig. Sollte mein Einkommen oberhalb dieser Bemessungsgrenze liegen, tritt der Weisse Ring für die Kosten ein. Ich habe auch vom Weissen Ring erfahren, dass der Rechtsanwalt bei Gericht dahingehend intervenieren kann, dass das Verfahren nicht eingestellt wird und Anklage erhoben wird. Ich, bzw. der Rechtsanwalt, kann dann auch als Nebenkläger auftreten. Wenn man nicht nur körperliche Schäden, sondern auch seelisch in Mitleidenschaft gezogen wurde (ich wurde bei diesen Angriffen re-traumatisiert) hat man die Möglichkeit zu einer Beratung zu einem Taumatherapeuten zu gehen. Diese Kosten werden dann auf Antrag auch vom Weissen Ring übernommen. Erklärungen: OEG - Opferentschädigungsgesetz Antrag hierzu kann man beim zuständigen Versorgungsamt stellen Weisser Ring - Organisation, die den Opfern von Straftaten hilft, zu ihrem Recht zu kommen Betroffene berichten Ich wurde Opfer einer Körperverletzung im häuslichen Umfeld. Ich wohne in einer betreuten WG und habe eine Mitbewohnerin, die mich jetzt schon zweimal körperlich verletzt hat. In der Zeit vor diesen Körperverletzungen hat sie mich schon mehrfach verbal angegriffen. Nach dem ersten Angriff habe ich noch gedacht „Das kann ja mal passieren, die ist eben krank“. Ich habe mich aber bei meiner Betreuerin beschwert. Die Angreiferin hat sich aber bei diesem Überfall selbst verletzt. Als ich erfuhr, dass sie bei der Polizei, bei der sie mich angezeigt hat, gesagt hat, dass ich sie, und nicht sie mich angegriffen hätte, habe ich ebenfalls Anzeige wegen Körperverletzung erstattet. Erstaunt war ich dann aber doch, dass sie noch eine Anzeige wegen Sachbeschädigung, die ich an ihrem Auto begangen hätte, zu Protokoll gegeben hat. Die Angreiferin wusste aber noch nicht mal mehr, zu welcher Tageszeit sie mich angegriffen hat, oder wie sie sagt, ich sie. Sie hat angegeben, dass es kurz nach Mittags gewesen sei, ich kann aber beweisen, dass es am Abend war. Nach zwei Wochen traf ich die Angreiferin im Hausflur, sie beschimpfte mich und als ich nicht reagierte, schlug sie wieder zu. Sie schubste mich gegen den Türrahmen der offenen Haustür. Als ich mich umdrehte, um wieder ins Haus zu gelangen, boxte sie mich zweimal gegen den Kopf. Als ich beim letzten Angriff von der Wucht fast die Treppe herunterfiel und versuchte, mein Gleichgewicht zu halten, dass ich da nicht stolperte, fiel mir mein Schlüsselbund aus der Hand. Die Angreiferin schnappte sich den Schlüssel und schlug die Tür zu. Vom Badezimmerfenster bespritze sie mich auch noch mit Wasser. Ich flüchtete dann zu einem Nachbarn und bat ihn, die Polizei zu verständigen. Er wollte aber erst mit der Bewohnerin sprechen. Wir gelangten dann ins Haus, aber meinen Schlüssel bekam ich nicht zurück. Erst als mir schlecht wurde und ich fast umgekippt wäre, gab sie mir den Schlüssel zurück. Ich rief dann erst meine Betreuerin an, konnte sie aber nicht gleich erreichen. Daraufhin hab ich dann die Polizei gerufen. Die konnten aber nicht gleich kommen, da alle Beamten unterwegs waren. Zwischenzeitlich rief auch meine Betreuerin zurück und konnte mir aber auch keinen weiteren Rat geben. Die Polizisten, die kamen, waren sehr nett und nahmen die Anzeige auf und fotografierten die Verletzungen. Sie rieten mir, die Wunden ärztlich versorgen zu lassen und diese mir auch vom Arzt attestieren zu lassen. Das hätte aber auch bis Montag Zeit. Ich könne dann ja zu meinem Hausarzt gehen. Wenn mir aber wieder schlecht werden würde, solle ich den Notarzt rufen. Mein Hausarzt attestierte Hämatome im Ellenbogengelenk, an den Unterarmen und am Unterkiefer sowie eine Schwellung im Schläfenbereich. Der nette Polizist gab mir später, als ich das Attest vorbeibrachte, noch eine Opferfibel. Darin steht unter anderem, was für Rechte man hat, wenn man Opfer einer Straftat geworden ist. In diesem Heftchen steht geschrieben, dass die Polizei alles tut, um die Mitbürgerinnen vor Straftaten zu schützen, man sich aber nicht scheuen soll, eine Straftat bei der Polizei anzuzeigen. Nur so bestehe die Möglichkeit, dem Täter nicht wieder zu ermöglichen, neue Straftaten zu begehen. Ich musste aber feststellen, dass die Polizisten mich nicht vor erneuten Angriffen beschützen kann, da sie im Moment leider nichts gegen die Täterin unternehmen können, es sei denn sie hätte mich mit dem Leben bedroht. Leider konnten mir die Betreuer und auch der Vorgesetzte nicht zusagen, dass so etwas nicht mehr vorkommt. Im Nachhinein musste ich aber einsehen, dass sie schon alles Mögliche gegen die Schlägerin unternommen hatten, auch Maßnahmen um mich zu schützen, ihnen aber auch in manchen Beziehungen die Hände gebunden waren. Erstaunt hat mich aber auch, dass die Polizisten sagten, dass die Staatsanwaltschaft auch entscheiden könne, dass keine Klage erhoben wird, da das öffentliche Interesse fehlt. Ich könne aber auf dem Zivilprozessweg versuchen, wenigstens Schmerzengeld zu bekommen. Das Verfahren müsste ich aber erst selbst bezahlen. Wenn ein Urteil gefällt sei, könne ich die Kosten ja von der Gegenseite zurückverlangen. Aber wieder zurück zu der Broschüre. Was ich noch nicht wusste, dass man für jede Straftat, deren Opfer man geworden ist – sei es körper- | 105 Foto: pixelio - Guido Nichtbetroffene berichten Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten Opfer einer Gewalttat Opfer Fachleute berichten 104 | 106 | | 107 wie Psychose Psychose Eine Psychose ist eine psychische Störung. Sie bedeutet den zeitweisen Verlust der Realität. Die Ursachen sind weitgehend unbekannt. Man geht davon aus, dass psychodynamische Stressfaktoren wie familiäre oder zwischenmenschliche Probleme zum Ausbruch der Krankheit führen können. Auch Alkohol sowie Drogen oder Körperliches wie eine Hirnerkrankung können zur Psychose führen. Eine Psychose ist eine ernste seelische Krise, bei der das Erleben und Verhalten sich verändern und somit der Kontakt zur Fotograf: Doris Bloch Psychosen sind vorübergehende Zustände und können durch Medikamente und Fachärzte gut behandelt werden und oft auch rasch wieder abklingen. Psychisch Kranke sind im Durchschnitt nicht gewalttätiger als „normale“ Menschen. Manche werden nur einmal im Leben krank, manche mehrmals mit größeren Abständen und nur bei einem Teil der Patienten überwiegen Rückfälle und Symptomatik. Eine geringere Stressbelastbarkeit und soziale Defizite sind oft bleibend. Die Krankheit be- oder verhindert öfters die Ausbildung und verringert stark die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. So werden Patienten oft zum Sozialfall. Psychisch Kranke sind oft sehr begabt und haben meist sehr viel Verständnis für andere, vor allem für Schwache. Das erlebte Leid schafft Tiefe. Anlaufstellen nach einer Psychose und dem Klinikaufenthalt sind Fachärzte, wenn möglich kombiniert mit einer psychotherapeutischen Ausbildung, die Psychiatrische Institutsambulanz (PIA) oder Spdi (sozialpsychiatrischer Dienst ) im GpZ Überlingen, Selbsthilfegruppen und bei Krisen auch die Tagesklinik in Friedrichshafen oder Weissenau. Quelle: http://psywifo.klinikum.uni-muenchen. de/fetz/1.htm http://home.arcor.de/pahaschi/wissen.htm http://de.wikipedia.org/wiki/Psychose Fotograf: Esther Margraff Wie ich krank wurde… Es fing an als ich damals in Krefeld wohnte und gerade dabei war mein Abitur nachzuholen. Ich nahm damals Geräusche und Farben intensiver wahr und ich konnte mich auch nicht so gut konzentrieren. Ich habe dies aber nicht als Krankheit wahrgenommen. Trotzdem habe ich das Abitur geschafft und bin schließlich nach Berlin gezogen um Volkswirtschaftslehre zu studieren. Ich bin in eine 6er Studentenwohngemeinschaft gezogen in einer alten Kaserne in Zehlendorf. In der WG wohnten ein Peruaner, eine etwas ältere Russin, ein Medizinstudent, eine Auszubildende, eine junge Studentin und eben ich. Kaum war ich eingezogen, kam mir die Russin verdächtig vor. Ich dachte mit der stimmt doch etwas nicht und vor der musst du dich in Acht nehmen. Ich habe mich dann recht schnell mit dem Peruaner und den anderen angefreundet, die Russin war mir aber immer noch nicht geheuer. Eines Tages fing die Russin plötzlich an meine Bewegungen zu kommentieren (wie ich meinte). Ich habe sie mehrfach zur Rede gestellt aber sie hat immer so getan als wüsste sie nicht wovon ich rede. Ich fing an ihre Stimme auch zu hören wenn ich alleine im Raum war, also dachte ich, dass sie eine Hexe sei, die ihre Zauberformeln durch den Raum hallen ließ und versuchte mich zu vergiften. Ich habe dann mein Heil im Sport gesucht und war praktisch nur noch zum Schlafen in der WG. Durch den vielen Sport nahm ich 30 kg ab und war zum ersten Mal in meinem Leben schlank. Ich fing dann an Fernseh- und Radiosendungen auf mich zu beziehen. Ich dachte, dass ganze Talkshows nur über mich gingen und zwar darüber, dass ich der nächste Bundeskanzler sei und dass ich bald der Öffentlichkeit vorgestellt würde. Zu dieser Zeit bin ich auch oft stundenlang durch Berlin gelaufen, ohne anhalten zu können. Ich habe es aber immer wieder geschafft rechtzeitig zu den Tagesthemen zu Hause zu sein um die neuesten Nachrichten über mich zu sehen. Ich saß damals immer bei mir zu Hause und habe mich gewundert wo die ganzen Politiker und die Presse bleiben. Ich dachte sie möchten mich doch kennen lernen, wenn sie schon die ganze Zeit über mich berichten und über mich diskutieren. Zu dieser Zeit wandelte sich das Bild der Russin von dem einer Hexe zu dem einer russischen Spionin die meinen Weg an die Macht verhindern wollte. Ich war damals sehr verstritten mit der Russin. Ich habe ihr immer Vorwürfe gemacht, weil ich dachte sie sei eine Spionin und ich ihre Stimme immer hörte. Mit der Zeit kamen noch andere Stimmen dazu. Stimmen die mich beschimpften, Stimmen die mich lobten, und eine Stimme, sie war nur da wenn der Fernseher an war, war eigentlich nur ein Wimmern. Mit der Zeit zog ich mich immer mehr in mein Zimmer zurück und lag tagelang nur da und hörte mir beim Atmen zu. Irgendwann dachte ich mir endlich, so kann es nicht mehr weiter gehen und ging zu einem Arzt und erzählte ihm, dass ich nur noch im Bett liege und mir beim Atmen zuhöre. Der Arzt untersuchte mich, fand aber nichts und machte mir den Vorschlag ich solle zu einem Neurologen und Psychiater im selben Haus gehen. Noch am selben Tag stellte ich mich dort vor. Ich erzählte dem Psychiater von der Russin und davon dass sie mich nicht in Ruhe lässt. Der Psychiater schrieb mir Tabletten auf die ich nehmen sollte. Ich holte die Tabletten in der Apotheke und ging heim. Ich machte den Fernseher an und sah dass in einer Talkshow genau über das gesprochen wurde, was ich dem Psychiater gerade erzählt hatte. Für mich war sofort klar, der Psychiater gehört zu der Verschwörung und nahm die Tabletten nicht, die er mir verschrieben hatte. Die nächsten Male wenn ich bei dem Psychiater war, habe ich ihm nur das erzählt, was meiner Meinung nach die Öffentlichkeit etwas anging. Mir ging es aber immer schlechter und irgendwann war der Leidensdruck so groß, dass ich den Psychiater gefragt habe ob wir uns nicht täglich sehen können. Dieses verneinte dieser, bot mir aber an, dass ich mich in eine Klinik legen könnte. Ich stimmte zu und stellte mich noch am selben Tag in der Klinik vor. In der Klinik nahm ich dann die Medikamente die man mir gab und innerhalb weniger Tage hatte ich wieder einen klaren Kopf und mir wurde klar, dass ich die letzten 2 Jahre in einer Wahnwelt gelebt hatte. Betroffene berichten Wie geht man als Angehöriger aber mit einem psychisch Kranken um? Gut ist ein natürlicher Umgang. Es ist wichtig, Sicherheit zu geben, immer wieder zu signalisieren, dass zwischenmenschlich alles o. k. ist, dass man denjenigen mag. Es ist gut, immer wieder auch Lob auszusprechen. Ganz wichtig ist es, dass man Negatives der Person nicht übel nimmt. Das meiste ist gar keine Absicht, sondern nur Ausdruck der inneren Unsicherheit und dem oft schlechten eigenen Zustand. Es ist wichtig, den- bzw. diejenige ernst zu nehmen trotz oder gerade wegen seiner/ihrer eigenen Unsicherheit. Es ist gut, bei Bedarf über alles zu sprechen, was ihn beschäftigt, egal was es ist. Positive Zuwendung und Zuhören sind ganz wichtig. Ansonsten sollte man das Therapeutische wirklich den Therapeuten überlassen. Also nicht therapieren wollen! Wichtig: Keine Rat-Schläge! Man sollte keinen Druck ausüben und akzeptieren, dass der Patient nicht so leistungsfähig ist. Der psychische Stress fordert bereits jede Menge Kraft. Und nicht extra lieb sein wollen, lieber ganz normal sprechen. (eigene Erfahrung). | 109 Fachleute berichten Wirklichkeit verloren geht. Für die Umwelt wird es schwer, den Betroffenen noch zu verstehen. So fühlt sich ein Patient z.B. von Strahlen bedroht oder von magnetischen Einflüssen. Er hört vielleicht innere Stimmen oder sieht Dinge, die nicht wirklich da sind (Halluzination) und sucht sich eine Erklärung dafür. Von CIA und Stasi hat man ja schon oft Schlimmes gehört. „Aha“, denkt sich der Betroffene, „ich werde überwacht und verfolgt“. Oder der Patient denkt, andere können seine Gedanken lesen oder er glaubt, dass alles was er hört, sieht und liest von ihm selbst handelt. Das führt zum Wahrnehmungsstress. Alles „prasselt“ auf ihn ein. Der Verstand arbeitet normal, doch durch die verzerrte Wahrnehmung sieht sich der Patient zu bizarrem Verhalten gezwungen. Die Stimme wird oft tonlos, es fehlt die Kraft, etwas zu unternehmen und die Lust, mit anderen Menschen zusammen zu sein. Es kommt zum sozialen Rückzug. Psychose Nichtbetroffene berichten Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 108 | Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 110 | | 111 wie Posttraumatische Belastungsstörung Die posttraumatische Belastungsstörung bekommt einen immer größer werdenden Bekanntheitsgrad. Viele haben das Wort schon gehört, wissen aber nicht wirklich was es eigentlich bedeutet. Im Laufe unseres Lebens sind wir verschiedenen Gefahrensituationen ausgesetzt. Im günstigsten Falle mobilisiert der Betroffene unglaubliche Energien um zu fliehen oder um sich zu verteidigen. Ein Trauma entsteht nur dann, wenn der Betroffene nicht in der Lage ist angemessen darauf zu reagieren. Die mobilisierte Energie wird sozusagen „eingefroren“ und der Mensch wirkt äußerlich wie erstarrt. Innerlich bleibt die Energie als Stress gespeichert. Die PTBS wird z.B. im Zusammenhang mit Katastrophen, Kriegsgeschehnissen, Gewalt oder sexuellem Missbrauch genannt. Im Grunde handelt es sich dabei um einen Schutzmechanismus des Körpers. Erlebnisse, die ein Mensch gefühlsmäßig nicht aushalten kann, werden in einem besonderen Teil des Gehirns (Amygdala) abgespeichert. Hinzu kommt, dass das Erleben in viele Einzelteile zerrissen wird und diese dann auch losgelöst voneinander abgespeichert werden. Das macht es besonders schwer, solche Erlebnisse zu verarbeiten. Der Betroffene kann nicht, wie bei anderen Erfahrungen (z.B. Einschulung, Verliebtsein, gewonnener sportlicher Wettkampf u.a.) auf eine Erinnerung zurückgreifen, die ganz klar zeitlich, räumlich, gefühlsmäßig u.s.w. eingeordnet werden kann. Das Erlebnis, bzw. die damit verbundenen Gefühle, sind quasi aus dem Bewusstsein ver- schwunden (Abspaltung) und werden plötzlich durch andere Sinneseindrücke, die mit dem eigentlichen Geschehen nichts zu tun haben, wachgerufen (getriggert). Zum Beispiel ein Geruch, Bilder, Aussehen oder Sprache eines anderen Menschen. Der Betroffene wird quasi unvermittelt in das schreckliche Erlebnis wieder zurückversetzt. Plötzlich erlebt er sich wieder im Krieg oder er erlebt den schrecklichen Unfall von vor 10 Jahren, oder erlebt die Vergewaltigung wieder. Dieses Nacherleben hört nur auf, wenn durch eine entsprechende Therapie die abgespaltenen Gefühle kontrolliert nacherlebt werden können und somit, wie andere Erlebnisse auch, an der richtigen Stelle im Gehirn chronologisch abgespeichert wurden. Es gibt verschiedene Therapiemöglichkeiten. Ob Heilung möglich ist, hängt von sehr vielen Faktoren ab. Vor allem spielt es eine wichtige Rolle in welchem Alter der Mensch traumatisiert wurde und ob es sich „nur“ um ein einmaliges Erlebnis handelt. Wenn zum Beispiel ein Feuerwehrmann bei einem Einsatz selbst in Lebensgefahr gerät oder sehr schwer verletzte Menschen geborgen hat und dies nicht verarbeiten konnte, gibt es die sog. EMDR Methode, die hilfreich sein kann. Der Therapeut bewegt in Augenhöhe des Patienten einen Finger hin und her, wie bei der Pendelbewegung einer Uhr. Der Patient folgt dieser Bewegung mit den Augen. Durch diese Augenbewegungen, durchlebt er das Trauma noch einmal wie in einem Film. Das Gehirn kann dann die Erlebnisse und die abgespalteten Gefühle zu- sammenhängend abspeichern. Der in jeder Zelle des Körpers angestaute Stress kann so abgebaut werden. Die unzähligen körperlichen Symptome werden immer weniger. Ganz anders ist die Situation, wenn ein kleines Kind in der Familie jahrelang misshandelt und missbraucht wird. Das Kind ist von seinen Eltern grundlegend abhängig. Es könnte nicht überleben, wenn es keine Nahrung und körperliche Fürsorge erfährt. Seine Persönlichkeit ist zerrissen. Auf der einen Seite ist es auf die Zuwendung der Eltern angewiesen, auf der anderen Seite wird es verletzt und gedemütigt. In solchen Fällen ist eine Heilung schwieriger, weil nie Vertrauen zu anderen Menschen aufgebaut werden konnte. Bei sexuellem Missbrauch von Kindern sind die Folgen verheerend. Das Kind konnte noch keine Persönlichkeit aufbauen. Seine Grenzen werden massiv überschritten. Es ist innerlich verwirrt, kann das Geschehen nicht einordnen. Es kann mit niemandem darüber sprechen oder es wird ihm nicht geglaubt. Dadurch fühlt es sich isoliert. Typische Symptome, die auf eine PTBS hinweisen können, sind: •Schlafstörungen •Alpträume •Erhöhte Nervenanspannung •Schreckhaftigkeit •Man fühlt sich nirgendwo sicher •Großes Misstrauen •Isolation •Man fühlt sich immer außer sich •Völlige Gefühllosigkeit, Apathie •Man fühlt sich immer von sich selbst abgetrennt •Angstzustände, Panikattacken •Depressionen •Suizidgedanken •Selbstmordversuche Literaturvorschläge: Peter A. Levine: Trauma-Heilung „Das Erwachen des Tigers“ Somatic Experience, Synthesis Verlag, ISBN 3-922026-91-5 Peter Levine, Maggie Kline: Verwundete Kinderseelen heilen Wie Kinder und Jugendliche traumatische Erlebnisse überwinden können, Kösel Verlag, ISBN-10: 3-466-30684-1 Michaela Huber: Wege der Traumabehandlung (2 Bde.) Luise Reddemann: Buch und CD, Eine Reise von 1000 Meilen beginnt mit dem 1. Schritt, Seelische Kräfte entwickeln und fördern, Herder Verlag Prof. Franz Ruppert: Seelische Spaltung und innere Heilung, Traumatische Erfahrungen integrieren, Klett-Cotta Verlag/Leben Lernen, ISBN 978-3-608-89051-8 Im Internet: www.franz-ruppert.de; www. Wuestenstrom.de Wo gibt es Hilfen Therapeuten mit Zusatzausbildung in Traumatherapie; Klinik, die auf die Behandlung von Traumapatienten spezialisiert sind; Selbsthilfegruppen Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Ich kann gar nicht so richtig sagen, wann die Erkrankung das erste Mal ausbrach. Es gab schon immer Schwierigkeiten in Beziehungen zu anderen Männern, Flashbacks traten auch schon auf, bevor ich wirklich merkte, dass ich krank war. Genauere Verdachtsmomente gab es erst, als ich wegen meiner Magersucht in einer psychosomatischen Klinik war. Ich konnte jetzt die Augen vor der Wahrheit, dass ich bereits als Kind missbraucht wurde, nicht mehr verschließen. Das musste ich erstmal verarbeiten. Ich „funktionierte“ noch ein Jahr und ging unregelmäßig zur Arbeit. Nach 2 Jahren legte mir mein Psychotherapeut eine Traumaklinik im Taunus, das war gleich um die Ecke, ans Herz. In der ambulanten Therapie, es war keine spezielle Traumatherapie, kamen wir einfach nicht weiter. Ich ging das erste Mal in eine Traumaklinik. Wieder dachte ich, dass in den 8 – 10 Wochen alles wieder gut werden würde. In der Klinik gingen sie auch auf meine Anorexie ein. Es gab Körperwahrnehmung, Malgruppe, Ergotherapie, Sport und Imaginationsgruppe, die sehr wichtig war, um sich schöne Bilder gegen die Horrorbilder, die im Kopf sind, hervorzuholen. Dann gab es noch Einzelgespräche. Hier arbeitete ich mit der Arbeit am inneren Kind. – Jeder von uns hat ein inneres Kind –, aber traumatisierte Menschen haben ein verängstigtes inneres Kind, das so alt ist, wie das missbrauchte Kind in der Kindheit war. Hier hatte ich zum ersten Mal Kontakt mit meinem inneren Kind. Erst hatte es noch keinen Namen, aber es stellte sich heraus, dass es 4 Jahre alt war. Mit der Zeit gewann dieses innere Kind Vertrauen und sagte mir auch, wie es hieß, KIM. Ich kaufte ein Kuscheltier für die Kleine und versuchte Vertrauen zu ihr aufzubauen. Wieder zu Hause, begann ich wieder zu arbeiten und machte auch mit der Psychotherapie weiter. Aber es war nicht so wie ich gedacht hatte, ich war nicht gesund entlassen, das einzige was gut war, dass ich an Gewicht zugenommen hatte, das gab mir auch den Mut, weiterzumachen. In dem Unternehmen, in dem ich arbeitete, glaubten alle, da ich an Gewicht zugenommen hatte, dass ich jetzt geheilt sei. Ich ließ sie in dem Glauben. Aber es ging nicht lange gut, dann kam wieder eine lange Krankschreibung, weil ich mit den Flashbacks, Angst- und Panikattacken und Depressionen nicht arbeiten konnte. Ich ging erneut in die Traumaklinik zur Intervalltherapie, meine ambulante Therapie lief aus. In der Klinik gab es wieder keine aufdeckende Traumaarbeit, nur Stabilisierung mit den alten Therapien. Der Focus wurde darauf gelegt, mich wieder arbeitsfähig zu machen und die verbesserte Kommunikation mit KIM: Nach den 8 Wochen ging ich also wieder zur Arbeit, aber ich konnte mein Pensum, das ich mir vorgab nicht mehr leisten und brach erneut zusammen. Diesmal hatte ich nicht so viel Glück, ich verlor meinen Arbeitsplatz. Es wurde ein Aufhebungsvertrag gemacht und ich bekam eine Abfindung. Das gab mir den Rest, keine Struktur mehr, meine sozialen Kontakte hatte ich vor Jahren schon einschlafen lassen, da ich dafür keine Energie mehr hatte. Ich ging also wieder in die bekannte Traumaklinik, dort legten sie mir nahe, einen Rentenantrag zu stellen, was ich auch tat. In der Klinik wurde ich nur stabilisiert, es kam ein weiteres inneres Kind ans Tageslicht, Trixie, 14 Jahre und voll in der Pubertät. Wie sollte ich mit ihr umgehen, ich hatte doch selbst mit mir und KIM zu tun. Es zeigte sich, dass es doch ging, mit viel Unterstützung der Therapeutin und des Pflegeteams. Es folgte ein Jahr voller Höhen und Tiefen. Ich suchte mir eine Traumatherapeutin, konnte aber auch bei ihr keine Traumaarbeit machen, weil die Angst- und Panikattacken, Depressionen und dissoziativen Symptome es nicht zuließen. Inzwischen nahm ich auch eine Menge Medikamente darunter auch ein Benzodiazepin. Auch war meine Therapeutin nicht zu der Arbeit mit meinen inneren Kindern bereit, so dass ich damit alleine umgehen musste, ich hatte nur Unterstützung von meiner Psychiaterin. Die Rente wurde bewilligt, alle meinten, jetzt kannst du doch deine Genesung vorantreiben und dich um deine 2 Kleinen kümmern. Ich musste aber erstmal meine Wohnung auf die Reihe bringen, denn ich erwickelte auch Messiesymptome. Nach einem Jahr ging ich wieder in die Klinik und diesmal konnte ich Traumaarbeit machen. Ich wählte die EMDR-Methode (Eye Movement Desensitiziation and Reprocessing), da bewegt die Therapeutin den Finger vor deinen Augen hin und her und du folgst ihr mit den Augen. Dadurch soll das Ereignis, das man bearbeiten will, wieder im Gehirn zusammengebracht werden. Nach dieser Methode bearbeitete ich 3 schlimme Ereignisse aus meiner Kindheit. Alles lief gut bis die Krankenkasse keine Verlängerung mehr bewilligte. Die EMDR-Methode ist sehr gefühlsaufwühlend und man braucht Zeit, sich nach den Sitzungen zu erholen. Diese Zeit hatte ich nun nicht mehr. Ich wurde als nicht sehr stabil entlassen. Nach 2 Monaten zu Hause brach ich zusammen und kam in die Psychiatrie. Nach einem Monat wurde ich entlassen. Dann kümmerte ich mich um das ambulant betreute Wohnen, das ich aber selbst bezahlen musste, weil ich ja noch Geld von der Abfindung hatte. Auch holte ich mir professionelle Hilfe, um meine Wohnung aufzuräumen. Ein Jahr später ging ich zum letzten Mal in diese Traumaklink. Wieder nur Stabilisierung, die hatten Angst vor einer Dekompensierung. Ein neues, sehr schüchternes, traumatisiertes und magersüchtiges inneres Kind kam heraus. In der nächsten Therapiestunde bestätigte es sich, dass ein 3. inneres Kind zum Vorschein kam. Die Therapie ging zu Ende und es wurde mir gesagt, dass ich mit der Arbeit der inneren Kinder unbedingt weitermachen solle, aber meine ambu- lante Therapeutin weigerte sich. So war ich mit den Dreien auf mich allein gestellt. Jetzt war ich stark genug, um mich wieder um mein Leben zu kümmern. Meine Abfindung war inzwischen aufgebraucht, das Sozialamt sagte, dass ich in 6 Monaten umziehen müsste. Ich hatte eine Freundin, die ich in der Traumaklinik kennengelernt hatte. Der Kontakt ist nie abgebrochen. Sie wohnt in Überlingen. Sie meinte eines Tages „Warum ziehst du nicht nach Überlingen?“ Ich brauchte nicht lange zu überlegen. Die Wohnungssuche war schwierig. Ich wollte ja auch ins Betreute Wohnen, meine Freundin vermittelte mir ein Gespräch mit einer entsprechenden Einrichtung. Das nutzte ich, um eine Woche Ferien bei meiner Freundin zu machen und meine neue Heimat zu erkunden. Ich wurde zu einem Kennenlerngespräch eingeladen, der zuständige Leiter des ABW zeigte mir 3 Zimmer, aber keine Wohnungen. Eins davon war ein Zimmer in einer noch einzurichtenden WG in der Seehaldenstaße. Ich war begeistert, das Zimmer hatte Seesicht und einen kleinen Balkon. Das Haus besaß einen großen Garten mit Teich, sogar einen kleinen Brunnen gab es. Ich verliebte mich gleich in das Haus. Was mir Angst machte, ich hatte noch nie so eng mit anderen zusammengelebt und dann auch noch Gemeinschaftsräume teilen. Ich wusste nicht, ob das gut geht aber ich ließ es auf einen Versuch ankommen. Letztes Jahr im März bin ich eingezogen und fühle mich inzwischen sehr wohl. Ich bin, seitdem ich hier hergezogen bin, ans GpZ angebunden, ich arbeitete ein Jahr in der Gartengruppe, aber auch nur stundenweise für einen Euro die Stunde. Im Moment mache einmal in der Woche Ergotherapie und seit einem Jahr habe ich meinen Wunscharbeitsplatz bekommen – eine Arbeitsmöglichkeit im Digital Service -, wieder nur stundenweise, aber mehr kann ich im Moment noch nicht leisten. In all den Klinikaufenthalten und auch bei verschiedene Therapeuten mit anderen Therapieformen konnte ich bisher nicht über meine Erinnerungen an den Missbrauch sprechen. Ich werde dieses Jahr noch mal in die Traumaklinik nach Oberursel gehen und hoffe, dass ich diesmal mit der EMDR-Methode einige meiner Erinnerungen verarbeiten kann. Ich habe große Hoffnung, dass ich diesmal nicht nur Stabilisierung machen brauche, da ich ja bei meinem jetzigen Therapeuten sehr viel weiter Betroffene berichten Betroffene berichten Posttraumatische Belastungsstörung – Erfahrungsbericht | 113 Fachleute berichten Posttraumatische Belastungsstörung Nichtbetroffene berichten 112 | Betroffene berichten Die posttraumatische Belastungsstörung ist keine seltene Erkrankung. Man geht davon aus das circa 80 % aller Menschen mindestens einmal im Leben ein relevantes Trauma erleben. Von diesen Menschen erkranken aber nur circa 25% tatsächlich an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Das bedeutet, dass nicht jeder der ein Trauma durchlebt auch automatisch an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankt. Quelle : www.psychiatriegespraech.de Posttraumatische Belastungsstörung - Betroffene Unter einer Belastungsstörung versteht man ein Erlebnis, dass so schlimm war, dass das Gehirn das Ereignis nicht verarbeiten konnte. Entweder erinnert man sich nur noch bruchstückhaft oder gar nicht daran. Man entwickelt aber Ängste, die mit dem Erlebten in Zusammenhang stehen oder daraus resultieren. Ich bekomme z.B. Panikattacken: Vor fremden Menschen, die höher gestellt oder Respektpersonen darstellen, auch beim Telefonieren. Wenn ich bei jemandem im Auto oder im Bus mitfahre. Vor Karussell- oder Achterbahnfahrten. Vor Fröschen, Eidechsen, Spinnen, Käfern, Heuschrecken. Oft auch ohne Grund, auch wenn ich am Einschlafen bin, dann bin ich wieder hellwach und kann nicht mehr schlafen. Im Folgenden möchte ich drei Vorfälle in meinem Leben schildern, die die Belastungsstörung bei mir ausgelöst haben könnten: Mit vier Jahren wäre ich bei einem Brand fast ums Leben gekommen. Es war Muttertag, wir durften fernsehen. Mein vier Jahre älterer Bruder wollte mir unbedingt seine Hütte zeigen, die er in unserem Heuboden gebaut hatte. Ich hatte keine Lust mitzugehen, weil so schöne Filme kamen. Irgendwann kam ich doch mit. Wir gingen in den Stall, schoben den Riegel zu und stiegen die Leiter hoch. Als er mir seine Hütte zeigte, konnte ich jedoch nichts sehen. Ich sagte ihm, es sei zu dunkel. | 115 Er wollte eine Laterne holen. Weil er keine fand, nahm er eine große Scherbe einer Laterne, leerte Petroleum hinein und zündete es an. Als es brannte, wurde das Glas in seiner Hand sofort heiß, er ließ es fallen und das Heu brannte. Er stand auf der Seite wo die Leiter hinunterführte, auf meiner Seite war nur ein kleines Fenster und zwischen uns das Feuer. Er schrie: „Spring, spring, schnell, spring zu mir herüber“! Aber ich hatte solche Angst, ich drehte mich um und rief in Panik aus dem Fenster nach Hilfe. Als ich mich wieder umdrehte war das Feuer noch höher. Mein Bruder rief wieder ich soll springen und ich hatte noch größere Angst, Todesangst. Da kam er über das Feuer gesprungen und holte mich. Wir stiegen zusammen durch den Rauch die Leiter hinunter. Vor der Tür standen die Nachbarn mit Wassereimern und stemmten sich gegen die Tür, dadurch bekam mein Bruder den Riegel eine ganze Weile lang nicht auf. Die Feuerwehr kam dann auch noch, der Stall brannte total aus, aber ein Übergreifen der Flammen auf das Wohnhaus konnte verhindert werden. Uns war Gott sei Dank nichts passiert. Mit neun oder zehn Jahren wurde ich von zwei älteren Jungen im nahen Umfeld meiner Familie sexuell missbraucht. Ich kann mich an fast nichts mehr erinnern und kann auch bis heute mit niemandem über Details, die ich noch weiß, reden. Da wir sehr religiös erzogen wurden hatte ich sehr große Scham- und Schuldgefühle. Ich traute mich nicht mehr, zur Beichte zu gehen, ging aber trotzdem zur heiligen Kommunion. Beim ersten Mal dachte ich, der liebe Gott wird mich mit der Fotograf: Simone Vanzo Hostie im Mund in der Kirche in tausend Stücke reißen. Meine ältere Schwester hatte etwas von dem, was da geschah mitbekommen und machte dem mit rigorosen Worten ein Ende. Sie war damals etwa dreizehn Jahre alt. Wir redeten nie wieder darüber, bis vor ein paar Monaten. Ihr tat es leid, dass sie mich nicht davor bewahrt hatte. Sie wusste nicht, dass der Missbrauch schon stattgefunden hatte. Sie sagte, dass sie es auch bei ihr versucht hätten aber sie war reifer und konnte sich wehren. Seither habe ich immer eine Distanz zu anderen Menschen bin immer vorsichtig, fühle mich nie sicher und niemals geborgen. Als ich zehn oder elf Jahre alt war hatte ich noch mal ein schlimmes Erlebnis. Ich ging für meine Familie immer abends um sieben Uhr zum Bauernhof um frische Milch zu holen. Obwohl ich Angst hatte, denn um zum Hof zu gelangen, musste ich mindestens zwei Kilometer aus dem Dorf gehen. Es gab keine Straßenbeleuchtung, nur Obstbäume, ein leer stehender alter Bauernhof und Wald. Ich versuchte immer alle möglichen Kinder aus dem Dorf mitzunehmen, um nicht alleine gehen zu müssen. Eines Abends hatte ich besonders viele Kinder dabei, als wir auf dem Heimweg plötzlich laut und klar Hilferufe aus dem Wald hörten. Wir blieben alle vor Schreck wie angewurzelt stehen und hörten. Die Hilferufe klangen jetzt gepresst und leise und wurden immer leiser. Dann plötzlich wurden sie wieder laut und klar. Es hörte sich an, als ob jemand umgebracht würde, wieder seinem Mörder entkäme und wieder von ihm eingeholt würde. In wilder Panik rannten wir schreiend zum Dorf. Meine Mutter kam uns schon entgegen, als ob sie eine Ahnung gehabt hätte. Im Dorf gab es einen großen Tumult. Die Polizei wurde gerufen. Und weil niemand von den anderen Kindern es wagte, fragte der Polizist mich, ob ich bereit wäre, mitzukommen und die Stelle im Wald zu zeigen von wo die Rufe gekommen waren. Ich fuhr mit, obwohl ich mir vor Angst beinahe in die Hose machte. Dort angekommen war der ganze Wald taghell erleuchtet und wurde durchsucht. Ich zeigte die Stelle und der Polizist fuhr mich wieder nach Hause. In der Nacht und noch Wochen danach hatte ich furchtbare Angst. Ich schlief nur bei Licht mit meiner Mutter im Bett. Ich dachte, der Mörder hätte mich gesehen, und würde nun kommen und mich auch umbringen. Selbst als nach einiger Zeit herauskam, dass es ein Obdachloser gewesen war, der weil er betrunken war, beinahe im Bach ertrunken wäre, beruhigte mich das nicht wirklich. Als Kind habe ich die Ängste weitgehend verdrängt oder eben so gut es ging ausgehalten. Ich hatte Angst vor Dunkelheit, in den Keller zu gehen, vor meinen Lehrern, vor Ärzten und vor vielen anderen Dingen. Ich mied diese Situationen aber die Angst war mein ständiger Begleiter. Als Erwachsene habe ich sie jahrelang auch verdrängt. Jetzt habe ich der Angst den Kampf angesagt, indem ich über die Erlebnisse rede und schreibe, sie nicht mehr verheimliche. Ich sehe der Angst ins Gesicht. Wenn ich nicht schlafen kann, setze ich mich mit der Angst auseinander und lasse sie zu. Ich versuche sie zu verarbeiten und verleugne sie nicht mehr vor mir selbst. Fachleute berichten gekommen bin, auch was die Vertrauensbildung zu ihm betrifft. Ich habe das Schweigegebot insofern gebrochen, dass alle inneren Kinder, die sich an irgendwas erinnern, in ein Buch diese Erlebnisse reinschreiben oder auch etwas dazu malen dürfen. Das zeige ich dann in der nächsten Therapiestunde meinem Therapeuten, auch habe ich das erste Mal in der letzten Stunde mich getraut, doch mal eine Erinnerung zu erzählen. Das war aber mit sehr viel Alpträumen verbunden, da ich nicht mehr geschwiegen habe. Posttraumatische Belastungsstörung Nichtbetroffene berichten Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 114 | Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 116 | | 117 wie Prävention Fotograf: Jörg Zimmermann Betriebliches Eingliederungsmanagement Das Betriebliche Eingliederungsmanagement ist eine Aufgabe des Arbeitgebers. Ziel des Betrieblichen Eingliederungsmanagements ist es, Arbeitsunfähigkeit möglichst zu überwinden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und den Arbeitsplatz des betroffenen Beschäftigten zu erhalten. Im weiten Sinne geht es um ein betriebliches Gesundheitsmanagement zum Schutz der Gesundheit der Belegschaft. Gesetzliche Vorschriften Mit dem Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung behinderter Menschen vom 23.04.2004 hat der Gesetzgeber das Erfordernis der betrieblichen Prävention im Rahmen des SGB IX weiter gestärkt. Prävention umfasst alle Maßnahmen, die der Wiederherstellung der Gesundheit der Beschäftigten dienen. Das Betriebliche Eingliederungsmanagement bezieht sich auf die gezielte Steuerung des Einsatzes dieser Maßnahmen nach einem festgelegten Vorgehenskonzept. § 84 Abs. 2 SGB IX verpflichtet den Arbeitgeber, für Beschäftigte, die innerhalb eines Jahres länger als 6 Wochen arbeitsunfähig sind, ein Betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen. Ob die Arbeitsunfähigkeit in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz steht, spielt dabei keine Rolle. Das Betriebliche Eingliederungsmanagement setzt alle Maßnahmen ein, die geeignet sind, die Arbeitsunfähigkeit zu beenden und den Beschäftigten mit gesundheitlichen Problemen oder Behinderung möglichst dauerhaft auf einem geeigneten Arbeitsplatz einzusetzen. Das Betriebliche Eingliederungsmanagement gilt nicht nur für die schwerbehinderten und gleichgestellten Beschäftigten – die Regelung findet auf alle Mitarbeiter des Betriebes Anwendung und gilt grundsätzlich für alle Arbeitgeber. Vorgehensweise und Beteiligte Das Betriebliche Eingliederungsmanagement ist eine Teamaufgabe. Der Arbeitgeber nimmt zunächst Kontakt mit dem Betroffenen auf, klärt mit ihm die Situation, holt seine Zustimmung zur Durchführung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements ein und bespricht mit ihm die Ziele. Mit Zustimmung des Betroffenen schaltet der Arbeitgeber den Betriebsrat oder den Personalrat und bei schwerbehinderten und gleichgestellten behinderten Menschen die Schwerbehindertenvertretung sowie bei Bedarf den Betriebsarzt ein und klärt mit ihnen, mit welchen Hilfen eine schnelle Rückkehr in den Betrieb oder die Dienststelle möglich ist. An externen Partnern kann der Arbeitgeber die Rentenversicherungsträger, die Berufsgenossenschaften, die Krankenkassen, den Unfallversicherungsträger, die Agentur für Arbeit und bei schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten Menschen das Integrationsamt und den Integrationsfachdienst hinzuziehen. Je nach Bedarf kann auch die Gemeinsame Servicestelle eingeschaltet werden. Einführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements Das in §84 Abs. 2 SGB IX normierte Betriebliche Eingliederungsmanagement ist ein spezielles Verfahren, mit dem die Ziele der Prävention wirksam gefördert werden sollen. Bei der Einführung geht es um eine für die Beteiligten verbindliche Vorgehensweise, die sich an den betrieblichen Gegebenheiten orientiert und die dann im Einzelfall Anwendung findet. Das Konzept für ein Betriebliches Eingliederungsmanagement wird in einem Großbetrieb anders aussehen als in einem mittelständischen Betrieb und als in einem kleinen Handwerksbetrieb. In keinem Fall erfüllen Krankenrückkehrgespräche diese Anforderungen. Es gibt Mindestanforderungen an ein Betriebliches Eingliederungsmanagement. Zur inhaltlichen Orientierung eignet sich das 5-PhasenSystem. Danach wird Folgendes benötigt: •ein System für das Erkennen von Problemen (Frühwarnsystem) •Instrumente der Erfassung und Spezifizierung von Daten •eine Schaltstelle im Unternehmen für die Verarbeitung, Entscheidung und Umsetzung •die Umsetzung konkreter Maßnahmen •eine Dokumentation und Evaluierung Um die Situation zu bestimmen, sollte die Prüfliste für das Integrationsteam z. B. folgende Fragen beinhalten: •Seit wann ist der Mitarbeiter erkrankt? •In welcher Form treten die Fehlzeiten auf? (langandauernd, häufige Kurzerkrankungen) •Liegt eine Schwerbehinderung oder eine Gleichstellung vor? •Findet eine kontinuierliche ärztliche Betreuung statt? •Besteht ein Zusammenhang zwischen der Erkrankung und dem Arbeitsplatz? •Sind medizinische Rehabilitationsmaßnahmen durchgeführt worden oder geplant? •Liegen bezogen auf den Arbeitsplatz ein Anforderungs- und ein Fähigkeitsprofil vor? •Kann die technische Ausstattung des Arbeitsplatzes optimiert werden? •Können die Arbeitsbelastungen minimiert werden, z. B. durch organisatorische Veränderungen oder durch technische Verbesserungen? •Gibt es geeignetere Einsatzmöglichkeiten für den Betroffenen? •Gibt es Qualifizierungsbedarf? Es empfiehlt sich, die getroffenen Regelungen in einer Integrationsvereinbarung festzuhalten. Zwar sieht das Gesetz keine unmittelbaren Konsequenzen bei Nichteinhaltung der Vorschrift vor, allerdings wurden mit der Vorschrift die Anforderungen an eine krankheitsbedingte Kündigung verschärft. Die Ziele des Betrieblichen Eingliederungsmanagements bringen zum Ausdruck, dass eine Kündigung das letzte Mittel, die ultima ratio, sein soll. Die Durchführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements ist Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 118 | | 119 keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für den Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung. Hat der Arbeitgeber kein Betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt, erhöht sich jedoch die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers bezüglich einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers auf demselben oder einem anderen Arbeitsplatz. wie Prämie für die Einführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements Für die Einführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements können Arbeitgeber von den Rehabilitationsträgern oder dem Integrationsamt eine Prämie oder einen Bonus erhalten. Psychiatrische Institutsambulanz PIA Pauline 13 e.V. Vor 15 Jahren begann die Pauline 13 mit ihren Diensten. Seither wurde eine flächendeckende, Versorgung für chronisch psychisch kranke Menschen im Kreisgebiet aufgebaut. Ein Meilenstein war dabei im Jahr 2002 die Gründung der Gemeindepsychiatrischen Zentren (GPZ) in Überlingen und Friedrichshafen. Als Gesellschafter ist die Pauline 13 ein wesentlicher Motor dieser Entwicklung gewesen. Pauline 13 hat alle seine ambulanten Dienste in das Versorgungsangebot der GPZ für den östlichen Kreisteil in Friedrichshafen sowie für den westlichen in Überlingen und Bermatingen integriert. Der Sozialpsychiatrische Dienst (SpDi) übernimmt zentrale Zuweisungsfunktionen und bietet als erste Anlaufstelle Begleitung, Betreuung, Beratung und soziotherapeutische Behandlung an. Bei Bedarf erfolgt die Vermittlung an andere Fachdienste und Unterstützung bei der Integration in die Tagesstätte oder in die Werkstatt für behinderte Menschen. Das Ambulant betreute Wohnen (ABW) bietet in Wohngruppen und Einzelwohnen eine Begleitung auf dem Weg zu einem eigenverantwortlichen Leben. Der Psychiatrische Pflegedienst Pauline (PPP) bietet alle Formen der psychiatrischen Grund- und Behandlungspflege im häuslichen Umfeld an. Dabei handelt es sich um Leistungen der Krankenkasse und der Pflegekasse. Darüber hinaus ... Der Integrationsfachdienst (IFD) unterstützt Menschen mit Behinderung und Personen mit einer seelischen Erkrankung bei der beruflichen Eingliederung und im Arbeitsleben. Alle Dienste der Pauline 13 stehen als Partner des Gemeindepsychiatrischen Verbundes (GPV) in engem Kontakt mit allen qualifizierten Leistungsträgern. Alle weiteren Informationen erhalten Sie unter: Pauline 13 e.V. Im Gemeindepsychiatrischen Zentrum Friedrichshafen Paulinenstraße 12 88046 Friedrichshafen Telefon: 07 541 - 40 94 - 210 FREUNDE UND FÖRDERER DER PAULINE 13 IM BODENSEEKREIS E.V. DR. MED. ALOIS RAUBER · HAUPTSTRASSE 28 · 88677 MARKDORF BANKVERBINDUNG: COMMERZBANK FRIEDRICHSHAFEN · KONTO-NR. 1 758 200 · BLZ 651 400 72 Psychiatrische Institutsambulanzen gibt es im Bodenseekreis in Überlingen und Friedrichshafen. Sie sind jeweils den Gemeindepsychiatrischen Zentren (GPZ) angegliedert und gehören zum ZfP Südwürttemberg Standort Weissenau. In der PIA können Patienten mit schweren psychischen Krankheiten (als Kriterien spielen hier Art, Dauer und Schwere der Erkrankung eine Rolle) ambulant psychiatrisch-psychotherapeutisch behandelt werden. wird die Behandlung auch durch die Klinikärzte angebahnt. Die Anmeldung kann natürlich auch direkt erfolgen. „Leichtere psychische Erkrankungen“ wie leichte depressive Verstimmungen oder Angststörungen dürfen nicht durch die PIA behandelt werden. Hier sind niedergelassene Psychiater oder Psychotherapeuten zuständig. Kontakt: Das Diagnosespektrum umfasst folgende Erkrankungen: PIA Überlingen •Schizophrenie und schizoaffektive Störungen •Bipolare Störungen •Schwere Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen •Schwere depressive Erkrankungen •Schwere Belastungs- und Anpassungsstöungen Sekretariat: Sabine Hummelsberger Tel: 07551-30118-40 [email protected] Obere Bahnhofstr. 18 88662 Überlingen Für Suchtkranke gibt es Spezialambulanzen in Ravensburg und Friedrichshafen, ebenso für gerontopsychiatrische Patienten in Ravensburg. Vorteil der PIA ist, dass durch enge Zusammenarbeit mit dem SPDI und dem GPZ Therapie durch ein multiprofessionelles Team möglich ist. PIA Friedrichshafen Der Zugangsweg geht per Überweisung über den Hausarzt. Nach stationären Aufenthalten Sekretariat: Carola Nüssle Tel: 07541-4094-310 [email protected] Paulinenstr.12 88046 Friedrichshafen Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 120 | | 121 wie Profiling Foto: pixelio - Rainer Sturm Jeder Mensch hat verschiedene, realistische und unrealistische Berufswünsche oder Vorstellungen, wie seine Zukunft in der Arbeitswelt aussieht bzw. aussehen könnte. Das GpZ ist eine Einrichtung mit integrativen Aufgaben in Bezug auf Wiedereingliederung auf den Arbeitsmarkt von Menschen mit psychischen Einschränkungen. Dieser Personenkreis hat es besonders schwer im beruflichen Leben Orientierung zu finden. Zum Einen, weil die Selbsteinschätzung schwerer fällt, zum Anderen, weil verstärkt Orientierungshilfen von Außen notwendig sind. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass der Mensch täglich mindestens acht Stunden am Arbeitsplatz verbringt. Das einmal hochgerechnet macht ca. ein Drittel seines Lebens aus. Doch wie zufrieden ist er? Wie kann der Mensch seine Arbeitssituation wesentlich verbessern oder verändern? Für welchen Beruf ist ein Mensch überhaupt geeignet? Können die erlernten Tätigkeiten weiterhin ausgeführt werden, oder sollte ein anderer beruflicher Weg eingeschlagen werden? Neben solchen und ähnlichen Fragen spielt auch der Grad der Einschränkung eine Rolle. Zusätzlich sind die daraus sich ergebenden betrieblichen Hilfestellungen den Arbeitgebern nur schwer begreiflich zu machen (ein Rollstuhl oder eine Prothese sind sichtbare Erkennungsmerkmale einer Einschränkung), während bei einer psychischen Beeinträchtigung derartige Äußerlichkeiten faktisch nicht vorhanden sind. Als Hilfe sich selbst kennen zu lernen und zur Anregung der beruflichen Navigation führt der psychologische Dienst des GpZ den Berufseignungstest „ProfIL“ und „ProfIL +“, basierend auf „hamet 2“, durch. „ProfIL“ ist die Testung mittels Aufgabenstellungen, bei denen es auf Motorik sowie handwerkliche Geschicklichkeit ankommt. Das ganze läuft über ein Vorprogramm ab, bei dem die Probandinnen und Probanden so lange üben können, bis sie sich der jeweiligen Tätigkeit gewachsen fühlen, um diese in bestmöglichster Qualität mit dem geringstem Zeitaufwand bewältigen zu können. „ProfIL +“ sieht zusätzlich eine sozial- und arbeitsmedizinische Untersuchung vor. „hamet2“ wurde von den Mitarbeitern des psychologischen und des sozialpädagogischen Dienstes des Berufsbildungswerks Waiblingen entwickelt. Somit handelt es sich um Aufgabenstellungen, welche nicht wie sonst üblich von psychologischen Instituten oder Universitäten, sondern direkt aus dem Praxisbereich stammen. Die Testreihe „berufliches Profiling“ am GpZ wird von einem Facharzt für Psychiatrie und einem Dipl. Psychologen geleitet. Einigen Teilnehmern steht eine sozialmedizinische Untersuchung bevor. Dies ist eine Feststellung des Gesundheitszustandes in Bezug auf den in Frage kommenden Arbeitsplatz (der Beruf des Postboten ist nicht für jemanden geeignet, der Probleme mit dem Bein hat). Dieser Gesundheitscheck findet im Vorfeld des Tests statt. Wie von den Entwicklern dieses Tests empfohlen, verteilt sich die diagnostische Durchführung auf 5 Werktage. Die Teilnehmer, eine Kleingruppe von maximal 8 Personen, sind von ihren jewei- ligen Kostenträgern dazu gesondert eingeladen. Der Test beinhaltet insgesamt vier Module, zwei davon werden im GpZ durchgeführt: Modul 1: erfasst die beruflichen Basiskompetenzen und umfasst einfache Routinetätigkeiten (handlungsmotorische Fertigkeiten, PC-Kompetenz) mit geringen kognitiven Anforderungen, wie sortieren, Schrauben und Muttern passend zusammen bringen, Einfädeln oder Servietten falten Modul 4: überprüft einen Aspekt des vernetzten Denkens, also die Fehlersuche und Problemerkennung, und beinhaltet Aufgabenstellungen bei denen das vernetzte Denken, die Fehlersuche sowie deren Behebung im Vordergrund steht. Dabei hängen stets mehrere komplex voneinander abhängige Komponenten zusammen. Diese Zusammenhänge gilt es zu begreifen, zu analysieren und auf dem möglichst einfachsten Wege zu entflechten. Interviews Fragen an den Dipl. Psychologen. - Er leitet das Profiling. Gab es vor „hamet2“ bereits einen ähnlichen Test und wie hieß dieser? Das GPZ hat mit „hamet 2“ angefangen. Worin liegen die Vorteile von „hamet2“, im Vergleich zu den bisherigen Testverfahren? Das Konzept wurde in Kooperation mit dem Berufsbildungswerk Adolf Aich / Ravensburg entwickelt. Ein Bestandteil dieses Tests ist der ISTTest (…). Es handelt sich um eine vereinfachte Form der Testung. Wie konkret können die Ergebnisse von „hamet2“ den Probandinnen / Probanden bei der beruflichen Orientierung helfen? Die Stärken und Schwächen, bzw. deren Anhaltspunkte, werden sichtbar. An ihnen kann die berufliche Orientierung ausgerichtet werden. Was geschieht mit den Ergebnissen, wem werden sie mitgeteilt? Am Ende findet ein kurzes Gespräch über das Testergebnis statt. Der endgültige/komplette Bericht geht an den Auftraggeber und die Probandinnen/Probanden können ihn von dort anfordern. 5. Wie viel Zeit haben Sie gebraucht, um die Inhalte der Testreihe zu verstehen, um diese leicht verständlich umsetzen zu können? Hierfür habe ich insgesamt eineinhalb Jahre gebraucht. In dieser Zeit habe ich das Wissen erlangt und einen Lehrgang besucht. Dieser ist die Nichtbetroffene berichten Fragen an den Facharzt für Psychiatrie. Er ist Stationsarzt für Psychiatrie und Psychotherapie in der Klinik Weissenau. Welches Aufgabengebiet umfasst ihre Tätigkeit im Rahmen des Profiling? Meine Aufgabe ist die so genannte sozialmedizinische und arbeitsmedizinische Begutachtung der ProfiL-Probanden. Dazu werden die zum Pro- Können Sie den Begriff „sozialmedizinische Untersuchung“ verständlich für den Laien definieren? Sozialmedizin ist ein Begriff, der auf den Zusammenhang zwischen dem Gesundheitszustand eines einzelnen Menschen und seinen Beziehungen zu Anderen in Arbeit, Freizeit und Familienleben hindeutet. Ich muss also darauf achten, wie der Gesundheitszustand auf die sozialen Fähigkeiten des Probanden einwirkt, und welchen Einfluss die soziale Umgebung andererseits auf die Gesundheit und die Prognose (die zukünftige Gesundheit) des Menschen hat. Daher befrage ich die Probanden genau zu ihren Familien, zur Arbeit und zur Partnerschaft, um zu verstehen, wie sie als Mit-Mensch in der Gesellschaft aufgehoben oder belastet sind. Wie umfassend ist die sozial-arbeitsmedizinische Untersuchung? Die Untersuchung ist so detailliert, dass wir gemeinsam eine gute Stunde zu tun haben. Die Behörde, welche die Untersuchung von den Probanden verlangt, geht danach für Jahre von diesem Gutachten aus und verlässt sich auf die dort gewonnenen Erkenntnisse. Es ist daher wichtig, dass alle körperlichen, seelischen und geistigen Eigenschaften, Stärken und Schwächen klar erkennbar werden. Also wird die Sehfähigkeit geprüft, das Gehör, die Nerventätigkeit, die großen Organe wie Herz, Lunge, Niere und Leber. Die Intelligenz und das zwischenmenschliche Verhalten werden untersucht und die psychische Gesundheit einschließlich Suchtverhalten wird beurteilt. Es ist also ein recht umfassender allgemeinmedizinischer und psychiatrischer Befund, aber noch ohne apparative Diagnostik und meistens ohne Laboruntersuchung. Inwieweit spielt die sozialmedizinische Untersuchung auch beim Profiling eine Rolle? Das Profiling ist ohne eine klare Stellungnahme eines Arztes mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie nicht vollständig. Deshalb wurde auch das GPZ mit dessen Durchführung beauftragt. Wenn ein Proband erst vor kurzer Zeit ein Gutachten eines Psychiaters in anderer Angelegenheit erhalten hat, so wird im Profiling keine zusätzliche sozialmedizinische Begutachtung verlangt. Der Arzt soll aber immer in Gemeinschaft mit dem Psychologen und der Ergotherapeutin die Aussage über die Arbeitsfähigkeit und die nächsten Schritte zum Wiedereinstieg begründen. Die Gesundheitsstörungen sind dabei für die meisten ProfIL-Klienten ein zentraler Bereich, der sie von einer produktiven, dauerhaften Erwerbstätigkeit abhält. Welchen Einfluss hat die Untersuchung auf den Abschlussbericht? Der Abschlussbericht wird vom GPZ verantwortet, er wird daher gemeinsam vom Psychologen und vom Arzt unterschrieben. Das Ergebnis der sozialmedizinischen Untersuchung bestätigt und vertieft häufig die in der ProfIL-Woche gewonnen psychologischen und praktischen Testergebnisse. Der Arzt kann und soll dabei die eigentlichen medizinischen Diagnosen erkennen und in dem Bericht nennen. In diesem Sinne ist die Untersuchung ein wichtiger Teil des Abschlussberichts, Betroffene berichten Haben Sie diesen Test im Selbstversuch bereits nachvollzogen und was kam dabei ggf. heraus? Wie bereits erwähnt musste ich den Test innerhalb des Lehrgangs machen. Das Ergebnis war besser, als ich Anfang gedacht hatte. fILing eingeladenen Personen befragt, es wird eine ausführliche körperliche und psychiatrische Untersuchung durchgeführt und die Krankheitsund Arbeitsbiographie erfragt. | 123 Fachleute berichten Fachleute berichten Betroffene berichten Voraussetzung dafür, das Profiling durchführen zu dürfen, und darüber hinaus ist es mir erlaubt Kollegen zu schulen. Profiling aber er hat nicht die überragende Bedeutung. Das heißt, wenn ein Proband recht stark erkrankt ist und dennoch gute Ergebnisse in den Tests erreicht, so ist die Untersuchung nie ein Hinderungsgrund, die nächsten Entwicklungsschritte zu machen und dafür auch die Unterstützung der Behörde zu bekommen. Inwieweit ist das Ergebnis verlässlich und objektiv, oder können sich die Probandinnen und Probanden „verstellen“, also Schauspielern, um den Arzt in Bezug auf das Ergebnis zu blenden? Die Untersuchung ist Alles in Allem doch mit einer Stunde eher kurz. Eine wirklich tiefe und weitgehend objektive Beurteilung bei schwereren psychischen Störungen erreicht man wohl erst in der stationären Beobachtung. Dennoch kann gerade durch den Vergleich der Eindrücke und Befunde von Arzt und Psychologe in den allermeisten Fällen eine Dissimulation, also ein Vorspielen von Gesundheit, wo in Wirklichkeit das Problem liegt, aufgedeckt werden. Schlussendlich ist es im Interesse der ProfIL-Klienten, dem Arzt möglichst ehrlich alles Notwendige mitzuteilen, damit sie nicht fälschlich in zu anspruchsvolle oder zu schwere Programme eingeteilt werden, die sie nicht bewältigen können. Nichtbetroffene berichten 122 | 124 | | 125 Fachleute berichten Betroffene berichten Erfahrungsbericht eines Probanden Als es fest stand, dass ich zum Profiling soll, wurde mir ein bisschen mulmig. Ich habe mich ein bisschen über diesen „hamet 2“ informiert, und das was ich da gelesen habe, hat mich in keinster Weise beruhigt, eher nur noch mehr beunruhigt. Aber auch die „sozial- und arbeitsmedizinische Untersuchung“ ließ mir keine Ruhe. Als Mann ist man ja eh vorbelastet, also man geht nicht wegen jedem Pochen und Ziehen zum Arzt. So hatte ich nun zwei Punkte die mich schlecht schlafen ließen. Nun war es Montagmorgen und die Anspannung in mir stieg mit jeder Minute an, obwohl ich ungefähr wusste, was auf mich zukommt. Die lockere, angenehme Atmosphäre hat es aber mit der Zeit geschafft, dass ich meine innere Ruhe wiedergefunden habe. Dafür kamen die ersten Ergebnisse, die mich runtergezogen haben. Mit jedem Test und jedem Ergebnis wuchs der Gedanke, dass ich unter dem Durchschnitt liege. Ich fing auch an, mich über jeden Fehler zu ärgern, immer mit dem Gedanke im Hinterkopf, dass dies ja dann in die Bewertung einfließt. Am Ende kommt sowieso das raus, was ich schon immer wusste, „wie mies und schlecht ich doch eigentlich bin und ich bekomme ja sowieso nichts auf die Reihe…“ Dennoch habe ich die Tests so gut gemacht wie ich konnte. Nach diesen mehr oder weniger anstrengenden 4 Tagen im Profiling kam am fünften Tag das Abschlussgespräch, das der „Leiter“ mit Jedem unter vier Augen führte. Hier wurden auch die Ergebnisse besprochen. In meinem Fall war das Resultat, für mich zumindest, überraschend. Mir wurden auch die Schwächen aufgezeigt und was ich dagegen tun kann. Alles in Allem hat das Profiling für mich viel gebracht, allein schon weil ich für mich gezeigt habe, dass ich nicht so schlecht oder mies bin wie ich mir immer einrede. Endlos weite, weite Welt. Sag´ mir wo endet die Welt, Wo endet der Ozean, Wann endet das Himmelszelt, Oder eines Menschen Plan? Weite, weite Welt. Wann kannst Du auf Bergeshöhn stehen? Um über Täler zu sehen Wolken, die weiterziehen, Wildnis, wann hört sie auf? Winde, die endlos wehen. Weite, weite Welt. Wir wissen, die Tiefe des Meeres Und kennen des Wassers Kreislauf. Wir haben die Schönheit des Licht´s. Viele Dinge die lang´ schon bestehen. Doch die eigenen Wege, wir kennen Sie nicht. Weite, weite Welt. Wir sehen in weiter Ferne Der Sonne Ihren Lauf. Und das Glitzern von tausender Sterne Aber alle Weisheit, wann hört Sie auf? Denn wer kennt alle Tiere beim Namen, Die Pflanzen, die Arten, die Samen? Wir kennen nur einen Anfang der Zeit. Endlos weite weite Welt. Nichtbetroffene berichten Monte Christo 17.09.2009 Fotograf: Thorben Wengert, www.pixelio.de Foto: Pixelio - Rudis Fotoseite Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 126 | Psychiatrie | 127 wie Psychiatrie Fotograf: Ralf Stockmann Psychiatrie Ein Erfahrungsbericht Früher konnte ich mir unter Psychiatrie nicht viel vorstellen. Die einzigen Informationen hatte ich aus Filmen wie „Einer flog über das Kuckucksnest“ oder anderen überzogenen Filmen. Als ich bei meiner ersten Psychose zum ersten Mal in die Psychiatrie kam war ich total überrascht, dass nicht jedes zweite Zimmer eine Gummizelle ist und dass niemand eine Zwangsjacke anhatte. Ganz im Gegenteil. Ich war in einem hellen geräumigen Zweibettzimmer untergebracht und das Personal war auch nett zu mir. Der Tagesablauf bestand aus Einzel- und Gruppengesprächen, sowie Bewegungs-, Musik- und Ergotherapie. Einmal die Woche haben wir einen Ausflug in die Stadt oder an den Wannsee gemacht. Nach drei Monaten war mein erster stationärer Aufenthalt zu Ende und ich kam zur Nachsorge in eine Tagesklinik. Auch die Tagesklinik war ein schönes helles Gebäude mit Tischtennisplatte und eigener Küche. Das Essen wurde zwar geliefert, aber ein bis zweimal pro Woche gab es eine Kochgruppe, die für alle gekocht hat. Auch in der Tagesklinik gab es Einzel- und Gruppengespräche, Ergotherapie, Entspannungstherapie, Ausflüge und immer genug Zeit Tischtennis zu spielen. Ich muss dazu sagen, ich habe auch Glück gehabt mit der Klinik bei meinem ersten Aufenthalt, dort war ich von Anfang an auf einer offenen Station und konnte jederzeit die Station und die Klinik verlassen. Bei meinem zweiten Aufenthalt, dann in einer viel größeren Psychiatrie, kam ich am Anfang auf eine Aufnahmestation. Dort kommen alle akuten Neuaufnahmen des Krankenhauses hin. Da sich dort auch Patienten aufhielten, die noch nicht so gefestigt waren oder die einfach noch zu verwirrt waren, war auf der Aufnahmestation die Tür nach draußen verschlossen und ich und die Anderen durften nur mit Zustimmung des Arztes die Station verlassen. Außerdem durfte ich in den ersten Wochen das Klinikgelände nicht verlassen. Das war in manchen Situationen meiner Meinung nach nicht so schön. Auf dieser geschlossenen Station habe ich auch mitbekommen wie Patienten, die sich oder andere gefährdet haben, fixiert, d.h. auf eine Liege gefesselt wurden. Einer dieser Patienten schrie fast die ganze Nacht um Hilfe, an schlafen war da nicht zu denken. Aber so eine geschlossene Station ist in den meisten Fällen nur eine Übergangsstation solange bis man sich stabilisiert hat und man auf die einzelnen Krankheitsbilder spezialisierten Stationen verlegt wird. Ich für meinen Teil kann sagen, das ist aber eine ganz persönliche Meinung, dass ich immer fair behandelt worden bin und ich in der Psychiatrie den Weg aus so mancher Krise gefunden habe. Psychiatriereform Die heutigen Versorgungsstrukturen in der Psychiatrie gehen auf die Psychiatriereform in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zurück. 1975 legte eine von der Bundesregierung eingesetzte, unabhängige Sachverständigen-Kommission ihren Bericht vor. Der Weg führte weg von der Anstaltspsychiatrie und es wurde die Rehabilitation in den Vordergrund gesetzt. Die in der „Psychiatrie-Enquete“ enthaltenen Empfehlungen wurden als Leitziele in die badenwürttembergische Psychiatriepolitik übernommen: •psychisch und somatisch Kranke in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht gleichzustellen, •Niemanden wegen einer psychischen Erkrankung dauerhaft aus dem gewohnten Lebensraum auszugliedern, •wohnortnahe Dienste und Einrichtungen zu schaffen, die den Betroffenen die Integration im Heimatkreis erhalten (Gemeindepsychiatrie). Das Umsetzen der Psychiatriereform ist im Wesentlichen engagierten Fachleuten und bürgerschaftlichen Initiativen zu verdanken. Es wurden vor Ort neue Trägervereine für gemeindepsychiatrische Einrichtungen gegründet. Bis heute hat sich eine Trägervielfalt erhalten. Im „Psychiatrieplan 2000 Baden-Württemberg“, der von der Landesregierung als Richtschnur der Psychiatriepolitik beschlossen wurde, sind daher eine Vernetzung der Angebote und der personenzentrierte Ansatz der Versorgung verankert. Die Person des Patienten soll im Mittelpunkt stehen, und an ihr die individuelle Hilfeplanung ausgerichtet werden. Seit 1986 gibt es beim Ministerium für Arbeit und Soziales den Landesarbeitskreis Psychiatrie. Darin sind die kommunalen Landesverbände, Leistungsträger, Leistungserbringer und Betroffenenverbände vertreten. Kriterien guter Versorgung Auf dieser Grundlage wurde ein eigenes „Landesprogramm zur Weiterentwicklung der außerstationären psychiatrischen Versorgung BadenWürttemberg“ (1982-1986) aufgelegt. Wohnortnähe Für die Patienten ist es wichtig, trotz Erkrankung Kontakt zu vertrauten Menschen zu halten und in der gewohnten Umgebung zu sein. Damit begann der Aufbau der Gemeindepsychiatrie. Damals wurden z.B. die ersten Sozialpsychiatrischen Dienste gegründet. Heute gibt es sie landesweit als Anlaufstelle für Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen. Ambulant vor stationär Stationäre Unterbringung soll auf die erforderliche Dauer beschränkt werden. Ambulante oder teilstationäre Maßnahmen sollen den Vorrang haben, wenn diese ausreichend sind. Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten geworden mit dem psychotischen Erleben. Aber nur weil ich Haldol bekommen habe. Dieses alte Medikament mit sehr vielen Nebenwirkungen hat mich wieder in die Realität zurückgeholt. Ohne die Klinik hätte ich nicht überlebt! Und es war auch gut, dass ich auf der geschlossenen Station war. Ich habe mehrmals versucht mich durch das Fenster zu quetschen. Ich wollte fliegen! Ich habe zwar enorm viel abgenommen, weil ich nichts mehr gegessen habe; aber für das Fenster war ich zu meinem Glück immer noch zu dick!! Nur Personenzentrierung Jeder psychisch Erkrankte soll die Hilfe bekommen, die er in seiner Situation benötigt, auch wenn unterschiedliche Leistungserbringer und Kostenträger berührt sind. Teilhabe Psychisch erkrankte und seelisch behinderte Menschen sollen gleichberechtigt wie alle anderen Bürger in die Gesellschaft einbezogen sein und an ihr teilhaben können. Selbstbestimmung Psychisch erkrankte und seelisch behinderte Menschen sollen selbstbestimmt mitwirken können bei der Planung und Bewertung der für sie bestimmten Einrichtungen und Angebote. Entstigmatisierung Vorurteile gegenüber psychisch Erkrankten sind leider weit verbreitet. Sie führen zu einer Diskriminierung der Betroffenen (Stigmatisierung). Oft verhindert die Angst vor Stigmatisierung, dass Betroffene rechtzeitig professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Aufklärung in der Öffentlichkeit über psychische Erkrankungen ist daher eine wichtige Aufgabe. Quelle: Auszug aus der Broschüre: Landes-Qualitäts-Bericht Gesundheit Baden-Württemberg, Spezialheft „Versorgung psychisch kranker Menschen“.Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familien und Senioren Baden-Württemberg Betroffenenbericht Als ich zum ersten Mal „verrückt“ wurde, wussten sich meine Eltern nicht mehr zu helfen und haben mich in die Psychiatrie gebracht. Das war schrecklich. Ich habe nicht gemerkt, dass in meinem Kopf etwas falsch läuft mit den Botenstoffen. Ich dachte wirklich, die Realität ist ganz anders und unglaublich, und in diesem Moment war ich sauer auf mich selbst, dass ich das noch nicht früher bemerkt hatte. Fotograf: Joachim Severin Dann, angekommen in der Klinik, war ich natürlich überhaupt nicht krankheitseinsichtig, habe auch keine Medikamente genommen, die mir die Pfleger immer aufdrängen wollten! Ich bin dann durch das Haus geirrt, bin in andere Zimmer gegangen, habe versucht mit den Leuten zu sprechen. Sie kamen mir alle so bekannt vor. Ich konnte zu jedem Patient eine Geschichte erzählen, in ihm oder ihr war nämlich eine Person, die ich kannte. Aber auf dieser Aufnahmestation ging´s ein bisschen ruppiger zu. Der unfreundliche Pfleger mit der Glatze hat mich aus dem Zimmer herausgezogen, dieser gemeine Mensch! Zurückblickend weiß ich warum. Die anderen Menschen haben ein Recht auf ihre Ruhe und Privatsphäre. Aber ich wusste das nicht! Ich dachte, die ganze Welt ist ein Theaterstück und ich spiele mit. Verrückt… Nach mehreren Wochen kam eine ganz nette Person zu mir und hat mit mir gesprochen. Sie war fertig mit dem Psychologie-Studium und hat eine Stelle auf einer anderen Station bekommen. Sie hat sich vorgestellt und gesagt, ich wäre soweit, auf die andere Station versetzt zu werden. Sie war ein Engel. Das hat dann auch der Arzt, der für mich zuständig war, über sie gesagt. Auf der anderen Station ging es ruhiger zu. Viel besser. Ich konnte mich langsam, sehr langsam etwas erholen. Danach war ich noch einmal in der Klinik. Wieder wegen einer Psychose. Dieses Mal war ich auf einer anderen Aufnahmestation. Die Pfleger dort waren sehr nett. Ich dachte, ich muss sterben und der nette Pfleger mit den langen Locken hat sich neben mich gesetzt und ganz lieb mit mir geredet. Er sagte, ich solle doch aufstehen, ich müsse nicht sterben. Ich dachte über ihn auch, dass er ein Engel ist. Langsam ist es dann besser wusste ich das in diesem Moment nicht… also, dass das ein Glück für mich war! Ich war insgesamt 3 Mal in einer psychiatrischen Klinik und erst beim 3. Mal habe ich die Klinik schätzen gelernt. Die geschlossenen Aufnahmestationen haben zwar einen schlechten Ruf, aber sie retten Leben. Und in der Regel bleibt man nicht den ganzen Aufenthalt auf der Aufnahmestation. Man wird nach der akuten Phase auf andere Stationen verlegt, wo man individuell angepasste Gespräche und Therapien bekommt. Hilfe annehmen zu können ist weitaus löblicher als zu helfen. Eine Psychiatrieerfahrene berichtet über das Resümee ihrer Klinikaufenthalte In diesem Fall möchte ich von meiner Erfahrung sprechen, wie Ärzte auf mich reagierten, als ich akut instabil war. Als ich das erstemal vor 11 Jahren in die Psychiatrie eingewiesen wurde, bekam ich ein Medikament. Dieses Medikament schlug kaum an. Es ging mir immer schlechter. Daran dachten die Ärzte jedoch erst nach 3 Monaten, natürlich gab es keine Entschuldigung. Danach bekam ich ein Medikament was so starke Nebenwirkung hatte, das ich ein noch stärkeres nehmen musste, gegen die Nebenwirkung. Das dritte Medikament war dann das Richtige. Es stört mich kaum, dass ich drei verschiedene Medikamente nehmen musste bevor das Richtige gefunden wurde. Es stört mich jedoch, dass ich dabei kaum Mitspracherecht hatte. Das änderte sich erst 9 Jahre später. Dazwischen habe ich vier Jahre ein Antiepileptikum bekommen. Dies hat jedoch in dieser niedrigen Dosierung zu wenig gewirkt. Das zusätzliche Medikament wurde auch niedrig dosiert, weil man ja dachte, zusammen mit dem anderen würde es reichen. In diesen vier Jahren, später mit den zwei Medikamenten, war ich bestimmt drei mal in der Klinik. Erst auf den Hinweis meiner Mutter wurde die Medikation geändert. Das hieß, ein halbes Jahr Klinik in denen die Ärzte und ich vier Medikamente ausprobierten. Es war das erste Mal eine richtig gute Zusammenarbeit. Der Erfolg ist, mir geht es so gut, dass ich wieder arbeiten kann. Leider habe ich jedoch meist die Erfahrung gemacht, dass ich in Klinken als unfähig abgestempelt wurde, an meiner Genesung etwas beizutragen. Im Kern ist jeder Mensch immer und zu jeder Zeit völlig normal bzw. gesund. Diesen Kern gilt es zu erreichen, was die Ärzte kaum versucht haben. Auch das Personal hatte immer und immer wieder drei Fragen: „Haben Sie Ihre Medikamente schon genommen?“ „Wie geht’s Ihnen?“ „Haben Sie schon gegessen?“ Ich möchte jedoch klar stellen, dass mir niemand mutwillig schaden wollte. Es ist für mich trotzdem eine fast schon generelle Unfähigkeit, einen Menschen, der den Verstand verloren hat, Verständnis entgegen zu bringen und ihn zu achten. Bei einem erneuten Rückfall würde ich jederzeit wieder in die Psychiatrie gehen, und ich würde sofort wieder versuchen, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, in der Hoffnung, mir besser helfen zu können. Ganz klar ist jetzt auch für mich, dass ich, was meine Behandlung angeht, dass letzte Wort habe. Ich habe jetzt einfach genug Erfahrung. Es gibt ja immer wieder dieses Bild von „Engeln in weiß“. Dazu möchte ich sagen, „gerettet“ haben Sie mich nicht und „beschützt“ würde ich auch eher verneinen. Sie haben Ihren Job getan, und ihr Versuch mir zu Helfen, war eher kläglich als heldenhaft. Die Mitpatienten hatten meist jedoch viel mehr Verständnis. Dem Personal, sowie den Ärzten fehlt einfach auch die Zeit, um den Klienten das Verstehen zu lernen. Ich spreche jetzt sehr negativ von meiner Psychiatrieerfahrung. Es ist eine sehr geteilte Erinnerung, in diesen Zeiten hatte ich sehr starke Schmerzen, seelischer Natur. Die Hilfe durch die Medikamente und Beschäftigungstherapie hat den Zustand kaum erträglicher gemacht. Damit meine ich, wenn ich für etwas dankbar bin, dann dafür, das ich gekämpft habe - gegen die Ärzte, das gelangweilte Personal, die Nebenwirkungen, den Verstand, meine Familie und gegen mich. Betroffene berichten Betroffene berichten Vernetzung der Einrichtungen und Dienste Damit die medizinischen, therapeutischen, rehabilitativen und psychosozialen Angebote wirksam ineinander greifen können, ist eine Kooperation der verschiedenen Leistungserbringer in der Region erforderlich. | 129 Fachleute berichten Psychiatrie Nichtbetroffene berichten 128 | 130 | | 131 Qualitätsmanagement in der Sozialpsychiatrie wie Qualitätsmanagement Fotograf: Ralf Stockmann ProPsychiatrieQualität (PPQ) entwickelt sein ganzheitliches Qualitätsverständnis aus den Anforderungen der Anspruchsgruppen (Psychiatrie-Erfahrene, Angehörige, professionell Mitarbeitende, Leistungserbringer, Leistungsträger, Gemeinwesen) an sozialpsychiatrische Dienstleistungen und erweitert den Qualitätsbegriff der DIN EN ISO 9000:2005 inhaltlich. Ausgehend vom interaktiven Charakter der Hilfen, die immer wieder neu zwischen den Mitarbeitenden und einem Hilfe suchenden Menschen ausgehandelt werden, orientiert sich die Qualitätsentwicklung an den folgenden sieben fachlich-ethischen Leitzielen: - Würde achten – Rechte sicherstellen - Selbstbestimmung wahren – Eigenverantwortung stärken - Verantwortung in gegenseitiger Achtsamkeit übernehmen - Glaubens- und Sinnerfahrungen ermöglichen - Teilhabe am Gemeinwesen solidarisch gestalten - Leiden und Symptome vermindern - mit Ressourcen nachhaltig umgehen. Eine Werte-Matrix verknüpft die Leitziele systematisch mit der Beschreibung der unterschiedlichen Leistungsprozesse im Rahmen des sozialpsychiatrischen Angebotsspektrums: von der Kontaktaufnahme über die Planung der Hilfen bis zur Koordination der Dienstleistungen im Einzelfall. Personaleinsatz, -organisation und -qualifikation werden ebenso einbezogen wie die Leistungsdokumentation, das Finanzwesen, die Öffentlichkeits- und Gemeinwesenarbeit. Das Arbeitsinstrument der Matrix ermöglicht zum einen die ethische Reflexion der fachlichen Arbeit, zum anderen lassen sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln Indikatoren für die Qualität in den für das jeweilige Angebot wesentlichen Prozessen formulieren. Eine Qualitätsbeschreibung unter aktiver Beteiligung aller relevanten Bezugsgruppen ist ein Gewinn für jeden Dienst und jede Einrichtung in der Sozialpsychiatrie. Die bedarfsgerechte und personenzentrierte Hilfequalität wird über die Beteiligungsorientierung im trialogischen Diskurs von professionell Mitarbeitenden, Psychiatrie-Erfahrenen und Angehörigen entwickelt. Die Ressourcenorientierung des PPQ-Qualitätsbegriffs unterstützt die psychisch erkrankten Menschen in ihrer Selbstständigkeit, Selbstwirksamkeit und ihren persönlichen Stärken. Als praxisintegriertes Qualitätssystem verknüpft ProPsychiatrieQualität die »Kunden«-Prozesse mit den Organisationsprozessen der Leistungserbringer. Auf diese Weise wird die Reflexion und Selbstbewertung von sozialpsychiatrischen Diensten, Einrichtungen und Gemeindepsychiatrischen Verbünden gefördert und die Entwicklung von regionalen Qualitätsstandards ambulanter und stationärer Komplexleistungen vereinheitlicht. Transparente Leistungen führen zu angemessener »Verpreislichung« und Wettbewerb auf vergleichbarem Niveau. Um die »Anschlussfähigkeit« von PPQ an die rechtlichen Rahmenbedingungen sicherzustellen, lassen sich die mithilfe der PPQ-Matrix entwickelten, leitzielorientierten Qualitätsindikatoren jederzeit auf die in den Rechtsnormen zur Qualität üblichen Qualitätsdimensionen von Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität zurückführen. 132 | | 133 wie Rehaeinrichtung „Also bin ich ausgezogen!“ Über die Zeit in zwei Reha-Einrichtungen Fotograf: Andrè Reinders Bereits mit 16 kam ich direkt von Zuhause in eine 300km entfernt Reha-Einrichtung für Kinder und Jugendliche. Gut daran war, weg aus der Familie zu sein, denn es gab damals nur noch Streit. Dort gab es dann eine Sozialarbeiterin die mir zugeteilt wurde. Es war eine sehr nette Frau, doch es gelang mir kaum eine Beziehung aufzubauen. Ich ging also zur Schule und traf mich mit Freunden und meinem Freund. Das war echt klasse. Wenn ich so zurück denke hat sich allerdings niemand mit mir und meinen Problemen auseinandergesetzt. Zum Beispiel litt ich unter massiven Panikattacken. Da es jedoch niemand interessierte, habe ich gelernt, selbst einen Weg herauszufinden. Von den anderen 11 Jugendlichen ging niemand in die Schule. Ich habe keine Erinnerung daran was Sie so gemacht haben. Was mir im Gedächtnis geblieben ist, ist das wir alle irgendwie verloren waren. Das dadurch entstanden Gemeinschaftsgefühl war einfach großartig. Die zweite Reha nach der zweiten Psychose war mit 19 Jahren und diesmal besuchte ich ... Mehrfach bin ich nun schon an meine Grenzen gestoßen. Seit Juli arbeite ich zur Probe im GpZ Überlingen. Zuvor habe ich an einer beruflichen Rehabilitationsmaßnahme teilgenommen. Dort konnte ich einige meiner Ängste erkennen und bezwingen; vor allem habe ich erkannt, dass meine unbändige Angst vor Zahlen unbegründet ist. Mich graust es zwar immer noch, wenn ich Worte wie „Polynomdivision“ auch nur höre, aber ich begriff dort, dass viele Wege zur und durch die Mathematik führen und dass beispielsweise Liter- oder Grammangaben im Alltag durchaus von Nutzen sein können. Und ich erkannte, dass ich nicht gar so „blöd“, unfähig und mathematisch völlig unbegabt bin, wie ich immer angenommen hatte. Nur begreife ich Zahlenakrobatik sehr langsam und mir fehlt auch die nötige Übung. Die schönsten Stunden habe ich dort jedoch nicht am Schreibtisch, sondern in der Keramikwerkstatt verbracht. Die Arbeit entsprach gänz- lich meinen Neigungen und auch das Klima zwischen uns Mitarbeitern war sehr angenehm. Bei der kreativen Arbeit mit Ton war ich vollends in meinem Element. Doch gerade, wenn ich an einer Sache Gefallen finde oder in meiner Arbeit aufgehe, neige ich dazu, mich zu überfordern. Ich stelle oftmals hohe Ansprüche an mich selbst, bin enttäuscht, wenn ich ihnen nicht gerecht werden kann. Und dann… Am 06.Juli war meine Rehamaßnahme abgeschlossen und ich vor allem nervlich am Ende. Wie schon unzählige Male zuvor hatte ich zu wenige Pausen eingelegt, mich selbst unter Druck gesetzt. Ich bin mir nicht sicher, in wie vielen Kliniken ich bereits war, an welchen Therapie- und Reha-maßnahmen ich schon teilgenommen habe... Aber ich habe es bisher nirgends längerfristig ausgehalten. Nachdem ich Anfang letzten Jahres meine kaufmännische Ausbildung auf dem Berufskolleg für Fremdsprachen abgebrochen hatte, erreichte mich ein Brief der Leiterin einer Kinderkrippe in Konstanz. Ich hatte mich dort zuweilen um eine ehrenamtliche Mitarbeit beworben. Die Arbeit Foto: Ralf Stockmann mit den Kindern (vorwiegend im Alter von vier Monaten bis zu drei Jahren) , ihre Herzlichkeit, ihr Lachen, ihre Unbefangenheit haben mein Herz gesunden lassen. Wenn in der Seele eines Kindes Ein bunter Falter Seine Flügel ausbreitet geht in seinem Herzen die Sonne auf. Doch meine Stabilität wehrte nicht lange…. Erneuter Abbruch… Dabei tat mir die Zeit, die ich bei den Kindern verbringen durfte, im Grunde genommen sehr gut. Durch meine ehrenamtliche Mitarbeit in der Kinderkrippe habe ich vieles über mich selbst gelernt, eingesehen dass ein sozialer Beruf wie der der Erzieherin ein hohes Maß an Stabilität und Durchsetzungsvermögen erfordert und nicht so einfach zu meistern ist, wie ich es mir vorgestellt hatte. Und ich begriff, was der Autor Khalil Gibran in seinem Buch der Prophet, wo er an einer Stelle „Von den Kindern“ spricht, mit den Worten „Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken, denn sie haben ihre eigenen Gedanken“ meint, und ich lernte, dass ich selbst im Herzen Kind bin... Ob nun als Kind oder als Erwachsener, Zeit deines Lebens bist du auf der Reise, ständig begegnen dir sowohl Chancen, als auch Hindernisse, die es zu nutzen und zu überwinden gilt. Gerade einem Menschen mit einer psychischen Erkrankung fällt es oftmals schwer, sich im Leben zurechtzufinden und auch mit Schwierigkeiten fertig zu werden, ohne wortwörtlich die Nerven zu verlieren. Mein Weg hat mich ins GpZ Überlingen geführt. Morgen ist der letzte Tag meiner zweiwöchigen Probearbeit. Was kommt…. On verra…. Den Wunsch, als Schriftstellerin mein Geld zu verdienen, hab ich nach wie vor. Doch ich hab in den letzten Tagen bemerkt, dass ich hier vieles lernen und umsetzen kann, was mir in meiner Zukunft gewiss von großem Nutzen sein wird. Ein kleiner Schritt für mich… Betroffene berichten Worker´s life? | 135 Fachleute berichten ... wieder die Schule. Das war teilweise schwierig, da ich später als die Anderen Freizeit hatte. Die Betreuer hatten geglaubt, dass ich mit der Schule überfordert sei. Doch ich werde bei Widerstand meist stärker und auf jeden Fall war der Unterricht gut, weil ich einen realen Halt hatte und Bezug zu gesunden jungen Erwachsenen. In der Einrichtung hatte ich jedoch nach einem Jahr große Schwierigkeiten mit den andauernden Problemen der anderen. Es hat mich einfach runter gezogen. Also bin ich ziemlich spontan nach 15 Monaten ausgezogen. Bis dahin war das Jahr total super gelaufen. Wir haben untereinander viel gequatscht und unternommen. Es hat mir sehr geholfen mich mitteilen zu können und Freude und Leid mit anderen teilen zu können. Auf jeden Fall bin ich dann nach fast fünf Jahren wieder zurück in die Heimat und da bin ich glücklich und zufrieden in meiner 1-Zimmerwohnung. Reha-Einrichtung Nichtbetroffene berichten Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 134 | 136 | | 137 Suizidalität - oder: Warum will ich nicht mehr leben? wie Suizid Fotograf: Johannes Huß Suizidalität, auch Suizidgefährdung oder umgangssprachlich Lebensmüdigkeit genannt, umschreibt einen psychischen Zustand, in dem Gedanken, Phantasien, Impulse und Handlungen anhaltend, wiederholt oder in bestimmten krisenhaften Zuspitzungen darauf ausgerichtet sind, gezielt den eigenen Tod herbeizuführen. (Wikipedia) Falsche Vorstellungen und Irrtümer Wer vom Suizid redet, wird ihn nicht begehen. Falsch: Von 10 Suizidanten sind 8, die unmissverständlich von ihren Absichten gesprochen haben. Ein Suizid geschieht ohne Vorzeichen. Falsch: Viele Betroffenen haben sich lange genug durch unmissverständliche Zeichen oder Handlungen bemerkbar gemacht - vergebens. Wer einen Suizid begeht, will sich unbedingt das Leben nehmen. Falsch: Die meisten Suizidanten schwanken zwischen dem Wunsch zu leben und zu sterben. Doch kaum einer nimmt diesen Kampf richtig wahr. Und wenn, ist man hilflos: Was tun? Wer einmal zum Suizid neigt, wird es immer wieder tun. Falsch: Suizidanten haben im allgemeinen nur während einer begrenzten Zeit ihres Lebens den Wunsch, sich zu töten. Das kann sich allerdings wiederholen. Wenn sich eine suizidale Krise auflöst bedeutet das auch das Ende des Risikos. Falsch: Die meisten Suizide geschehen wenige Monate nach Beginn der Besserung, wenn der Patient von neuem die Energie hat (selbstzerstörerische) Entschlüsse zu fassen und auszuführen. Quelle: http://www.psychosoziale-gesundheit. net/seele/suizid.html Erfahrungsbericht von einer Betroffenen: Die im normalen Alltag üblichen und meist auch sinnvollen Vorschläge, Ermahnungen und wohlmeinenden Aufmunterungen sind im Gespräch mit Suizidgefährdeten oft fehl am Platz. Denn es dürfte für den Betroffenen kaum einen Lösungsansatz geben, den er nicht schon selber erwogen, geprüft und wieder verworfen hätte. Die Wiederholung solcher Argumente muss ja den Eindruck erhärten, es sei schon wirklich alles versucht worden - umsonst. Daher soll man nach und nach mit großer Vorsicht die aufgestauten Aggressionen zu kanalisieren versuchen. Wichtig ist vor allem das laute und deutliche Ansprechen und Aussprechen und damit Bewusstmachen bisher unbewusster oder verdrängter zwischenmenschlicher und persönlicher Probleme. Dazu gehört eine Reihe von gezielten Fragen, die in einer solchen Notsituation „Luft schaffen können“. Sie wirken zwar auf den ersten Blick sehr persönlich, direkt, indiskret, fast unzumutbar. Andererseits: Wie hoch kann der Preis werden, wenn sich die Zurückhaltung nicht auszahlt? Was ist wichtiger: Die Wahrung sogenannter gesellschaftlicher Normen oder die Erhaltung eines Lebens? Doch der offene Dialog ist schon deshalb fruchtbarer, weil auch der Suizidwillige lange nicht weiß, was er nun eigentlich will und vor allem wie, wo und wann er es will. Allein die Aussprache über die selbstzerstörerischen Impulse schwächt aber diese gefühlsmäßigen Spannungen meist entscheidend ab. Dagegen sind Rückzug und damit Isolationsgefahr bzw. gar der Abbruch aller mitmenschlichen Kontakte nicht nur überaus gefährlich, sondern auch viel häufiger als man annimmt. Deshalb auf die Stillen oder Still-Gewordenen achten. Und die alte Erkenntnis nicht vergessen: Jedem Suizid geht ein missglücktes oder nicht stattgehabtes Gespräch voraus. Denn, so die alte Erkenntnis: Selbstmörder ist man lange, bevor man Selbstmord begeht. Oder noch eindrücklicher: Selbstmord, das ist die Abwesenheit der anderen. (Prof. Dr. med. Volker Faust) Ich war eigentlich ein glückliches Kind: fröhlich, offen, etwas schüchtern, aber doch gerne auf der Welt. Ich habe gerne gelebt, kann man sagen. Doch meine Erlebnisse in meinem Leben haben mich geprägt. Oft gebe ich meiner Sensibilität die Schuld, obwohl ich eigentlich froh darüber sein kann. Denn sensible Menschen „sehen mehr“ vom Leben! Aber das ist ein anderes Thema. Meine erste ernste Enttäuschung war niederschmetternd! Ich dachte ich muss sterben, weil es so wehgetan hat. Wahrscheinlich habe ich zuviel vom Leben erwartet, oder ich hatte einfach eine viel zu perfekte Vorstellung von Freundschaft oder Liebe. Doch die Realität sieht ganz anders aus! Das musste ich mit viel Schmerz und Kummer feststellen. Schon damals, ich war noch jugendlich, habe ich daran gedacht zu sterben. Mir einfach das Leben zu nehmen, weil ich mit der Traurigkeit nicht klargekommen bin. Ich nenne das meine „Anfangssuizidalitätszeit“. Es war schlimm für mich enttäuscht zu werden, für mich gehörte das nicht zum Leben dazu, das ich mir immer gewünscht hatte. Später hat sich das dann alles nur noch verstärkt. Als ich dann krank wurde und in die Klinik kam, ging es bergab. Ich war ein Nichts, ein Niemand; wertlos. Viele Jahre habe Die Suizidrate in Deutschland hat sich in den letzten 25–30 Jahren fast halbiert. Begingen im Jahr 1980 in Deutschland noch 18451 Menschen Selbstmord, waren es 2007 (nur) noch 9402 Menschen. Quelle: de.wikipedia.org/wiki/Suizid Fotograf: Michael Lehmann ich nicht gecheckt, was mit mir los ist, warum ich dem Leben so überdrüssig bin. Habe dann nach langem „Mich-Dagegen-Wehren“ zum ersten Mal Antidepressiva eingenommen. Das war ein wichtiger Schritt: Sich einzugestehen, dass da etwas gegen mein eigentlich lebensfrohes Ich läuft. Es wurde aber nicht besser… irgendwann war ich dann so am Boden zerstört, dass ich fast eine Dummheit begangen hätte. Es war so knapp, ehrlich! Aber ich hatte Glück, dass ich doch noch kalte Füße bekommen habe und dass mein Arzt am nächsten Tag die richtigen Fragen gestellt hat und ich ehrlich zu ihm war. Ich wurde sofort in die Klinik eingewiesen. Dort angekommen dachte ich, ich komme nie wieder nach Hause; weil ich so tieftraurig war und ich keine Chance sah, je wieder glücklich zu werden. Aber dann wurde ich auf ein sehr gutes Medikament eingestellt, das sofort gewirkt hat. Langsam, von Tag zu Tag, ging es mir besser. Es war unglaublich, ich war auf dem Weg wieder glücklich zu werden. Ich konnte es gar nicht fassen, meine Suizidalität löste sich nach und nach in Luft auf! Dabei war sie mein ständiger Begleiter geworden und ich hatte mich schon so an sie gewöhnt. Doch ehrlich gesagt: Ich bin froh, sie los zu sein, denn ich brauche sie nicht zum Leben. Ich fühle mich wieder frei! Es ist ein Gefühl, es fühlt sich an, als ob ich wieder lebe! Betroffene berichten Konkrete Maßnahmen | 139 Fachleute berichten Wer schon mal Selbstmordgedanken mit sich herumgetragen hat, weiß, wie schwer es einem fällt, auf der einen Seite der momentan kaum erträglichen Situation ein Ende zu machen aber auf der anderen doch leben zu wollen; aber dann eben ohne Probleme! Auch wenn die Freiheit zur Selbsttötung zu unserer menschlichen Existenz gehört, so erfolgen zirka 90% aller Suizide im Rahmen psychiatrischer Erkrankungen und damit in Zuständen mit eingeschränkter Urteilskraft. Depressive Erkrankungen stellen die häufigste psychiatrische Ursache für Suizide dar. Die Optimierung der Versorgung depressiver Patienten ist somit eine der aussichtsreichsten Strategien zur Suizidprävention. Suizid Nichtbetroffene berichten Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 138 | Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 140 | Fotograf: Ralf Stockmann | 141 wie Selbsthilfe Innovative Psychiatrie versteht sich auch als Bürgerrechtsbewegung, deren Selbstverständnis sich in einer veränderten Realität im Psychiatriealltag spiegelt und auf Emanzipation und Partnerschaft zielt. Bei psychischer Erkrankung zählt der Erhalt oder die Eingliederung in möglichst normale Lebensverhältnisse zu den wichtigsten Zielen. Dabei ist entsprechend des Vorrangs der Selbsthilfe vor professioneller psychiatrischer Fachhilfe diese nur dann zu gewähren, wenn Hilfe aus dem sozialen Umfeld (Angehörige, Freunde, Selbsthilfe etc.) nicht oder offensichtlich nicht ausreichend vorhanden ist oder mobilisiert werden kann. Vorrang haben im konkreten Einzelfall auch nichtpsychiatrische Hilfen durch allgemeine soziale Dienste und/oder die allgemeinmedizinische Behandlung. Nur wenn dies nicht ausreicht oder nicht vorhanden ist, setzt psychiatrische Fachhilfe durch entsprechend qualifiziertes Personal ein. Die Hilfe hat neben der Stärkung der Gesundheitspotentiale des erkrankten Menschen immer auch auf die Gestaltung eines tragfähigen sozialen Umfeldes zu zielen. Dieser psychiatriepolitische Grundsatz verdeutlicht den besonderen Stellenwert, den Angehörige, die Selbsthilfe, aber insbesondere auch die Psychiatrie-Erfahrenen selbst für die Ausgestaltung des Hilfesystems haben. Ohne ihre Beteiligung an der Planung und Ausgestaltung der Hilfesysteme besteht leicht die Gefahr, dass an den Hilfebedarfen vorbei Leistungen etabliert werden, die für den kranken Menschen nur wenig hilfreich sind. Im Rahmen der Psychiatriereform in Deutschland hat sich das Selbstbewusstsein der PsychiatrieErfahrenen und Angehörigen spürbar verändert. Aber auch das professionelle System hat erkannt, dass deren Beteiligung einen wichtigen Beitrag für eine Gesundung oder Stabilisierung des psychisch kranken Menschen darstellen kann. Wichtiges Kennzeichen von Selbsthilfegruppen ist die persönliche Betroffenheit. Es treffen sich Menschen, die ein gemeinsames Problem haben, um möglichst ohne professionelle Hilfe ihre Erkrankung, Behinderung oder psychische Problemlage zu überwinden. Selbsthilfegruppen erzielen bei der gesundheitlichen Versorgung positive Effekte, indem sie das professionelle Versorgungssystem ergänzen und die Eigenverantwortung der Betroffenen stärken und durch den Austausch von Information und Wissen eine höhere Selbstbestimmung der betroffenen Menschen ermöglichen. Sie sind inzwischen ein wichtiger Bestandteil in der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung geworden. Foto: pixelio - Ernst Rose Das Wesen der Selbsthilfe ist, dass sie nicht planbar ist und schon gar nicht verordnet werden kann. Sie wächst aus der Verantwortung, der Betroffenheit oder dem Interesse der Bürgerinnen und Bürger. Ihre Förderung und auch der öffentliche Grad ihrer Wertschätzung sind ein wichtiger Indikator für eine innovative Psychiatriepolitik. Psychiatrieerfahrene Menschen haben sich seit Anfang der neunziger Jahre in Bundes- und Landesverbänden organisiert und sind inzwischen fast in jedem Bundesland auf Landes- und/ oder Kreisebene präsent. Sie geben wertvolle Anregungen für die Weiterentwicklung von Versorgungsstrukturen, wirken in Beiräten, Besuchskommissionen und Projektgruppen mit. Sie helfen Betroffenen mit Informationen und konkreter Unterstützung, beraten zum Umgang mit ihrer Erkrankung und zu Nebenwirkungen von Medikamenten, informieren zu Selbsthilfegruppen und alternativen Behandlungsmöglichkeiten. Viele psychisch kranke Menschen leben in ihren Familien. Für viele Angehörige ist es ganz selbstverständlich, sich um die betroffenen Familienmitglieder zu kümmern. Sie fühlen sich aber auch oft mit ihrer Belastung und Verantwortung alleine gelassen. In Landes-, zum Teil auch Kreisverbänden organisiert, finden sie gegenseitige Stärkung. Sie informieren über Krankheiten, Therapien, Arbeit, Pflege, Recht und anderes mehr. Sie sind im Trialog mit den Psychiatrie-Erfahrenen und professionellen Helfern. Zentral ist der Erfahrungsaustausch untereinander über das Leben mit einem psychisch kranken Familienmitglied. Durch Information und Veranstaltungen tragen sie wesentlich mit dazu bei, das Bild über psychisch kranke Mitbürgerinnen und Mitbürger und psychische Erkrankungen zu korrigieren. Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 142 | | 143 wie Sucht Foto: pixelio - Helga Schmadel Beruhigungsmittel Durch eine posttraumatische Belastungsstörung schlitterte ich in die Abhängigkeit von Tavor und Diazepam. Anfangs waren es nur Tranquilizer, damit ich meine Arbeit machen konnte. Es ging weiter, mit dem Tavor, damit ich meine Flashbacks und Panikanfälle unter Kontrolle bekam. Anfangs sagte man mir noch, dass diese Mittel abhängig machen können, aber ich Diese im Moment brauchte um meine Arbeit und die Therapie machen zu können. Es war auch nicht so, dass ich immer höhere Dosen brauchte, aber es kamen auch noch Schlafmittel dazu. Ich glaubte auch lange nicht, dass ich schon süchtig war, da auch die Ärzte, die mir diese Mittel verordneten, meinten, dass es einfach ist von einem Beruhigungsmittel auf ein anderes zu wechseln. Ich habe diese Mittel 5 Jahre genommen. Aufgrund einer neuen Bewerbung für eine Trauma-Intervalltherapie wurde mir angeraten, erst mal einen Entzug von Tavor und den Schlafmitteln zu machen. Ich hatte unheimlich Angst davor, aber wegen dem Wunsch nach Bearbeitung meiner Missbrauchserlebnisse aus der Kindheit, begab ich mich in die Psychiatrie. Ich war dort auf einer Station, auf der auch die Alkoholiker waren. Es demotivierte mich, als ich sah, dass sie bereits nach 4 Tagen entgiftet waren, bei mir sollte das 12 Tage dauern. Aber ich habe es geschafft und lebe seit 3 Monaten ohne Benzodiazepin und Schlafmittel. Spielsucht – Wie sie sich bei mir ausgewirkt hat. Meine ersten Erfahrungen mit Glückspiel und Spielautomaten habe ich mit 15 Jahren während einer Sprachreise nach England gemacht. Dort, in der schönen Hafenstadt Bournemouth, gab es jede Menge Spielhallen. Glückspiel ist in England schon ab 16 Jahren erlaubt. Mit meinen Kumpels habe ich dort einige Stunden in diversen Spielhallen verbracht. Man konnte auf elektronische Pferde wetten, an einarmigen Banditen spielen, und was mich damals schon fasziniert hat, man konnte an Automaten Poker spielen und Geld gewinnen. Ich habe in der ersten Woche des Aufenthaltes in England mein ganzes Geld verspielt und musste mir für den Rest der Zeit Geld bei meinen Freunden leihen. Nach der Englandreise hatte ich das Spielen erst einmal vergessen. Erst mit 27 Jahren, kurz nach meiner ersten Psychose, bin ich aus Neugierde in Berlin, am Potsdamer Platz, ins Casino gegangen und habe am Roulettetisch 50 DM verspielt. Einen Tag später verspürte ich plötzlich den Drang, wieder spielen zu gehen und bin mit einem Teil meiner Ersparnisse wieder ins Casino gegangen. Ich habe Roulette gespielt und natürlich wieder alles verloren. Doch der Drang, spielen zu gehen wurde immer stärker. Das Schlimme war, dass ich, um Roulette spielen zu können, mein Konto mit 3000 DM überzogen hatte. Ich hatte sogar ein zweites Konto bei einer anderen Bank eröffnet und auch dieses mit 2500 DM überzogen. Mir wurde aber schnell klar, dass man bei Roulette nur verlieren kann und habe dann im Keller des Casinos Pokerautomaten entdeckt. Zu dieser Zeit hatte ich einen extrem starken Spieldrang, so stark, dass ich meine Kleider in Second Hand Geschäften verkauft habe, um Geld zum Spielen zu haben. Jetzt spielte ich nur noch an Pokerautomaten. Ich hatte mir dann eine Arbeit auf der schönen Insel Ibiza gesucht und bin in Berlin, kurz vor der Abreise, mit meinen letzten 70 Mark an einem Pokerautomaten, spielen gegangen. An diesem Tag hatte ich das erste und einzige Mal Glück beim Spielen. Ich gewann innerhalb von 2 Stunden 3500 DM und hatte somit mein Startkapital für Ibiza. Auf Ibiza vergaß ich das Spielen wieder, doch leider musste ich die Insel nach einem psychotischen Schub, nach 4 Monaten, Richtung Deutschland verlassen. Kaum in Deutschland angekommen, nahm das Elend wieder seinen Lauf. Ich arbeitete und verspielte jeden Monat ca. ein Drittel meines Lohnes, in der Automatenspielbank des Casinos Konstanz, an Pokerautomaten. Ich erinnere mich an einen Tag, an dem ich sage und schreibe 500 Euro verspielt habe. Zu dieser Zeit fing ich an, Auswege aus der Sucht zu suchen und stieß auf eine Spielsucht-Selbsthil- fegruppe in Kreuzlingen. Ich fing an, regelmäßig in diese Gruppe zu gehen und lernte dort Menschen kennen, die dasselbe Problem hatten wie ich. Diese Erfahrung half mir mit dem Spielen auf zu hören und ich spielte am 2. Januar 2003 das letzte Mal. Ich fing an, meine Schulden zurück zu bezahlen und im März 2008 hatte ich es geschafft und die letzte Rate bezahlt. Aber es kam, wie es kommen musste und ich bekam im April 2008, nach über 5 Jahren spielfreier Zeit, einen Rückfall. Wieder an einem Pokerautomaten in der Automatenspielbank Konstanz. Doch diesmal wollte ich es gar nicht mehr soweit kommen lassen und ließ mich direkt am nächsten Tag für alle deutschen Casinos, Automatenspielbanken, Toto, Lotto und staatliche Wettbüros freiwillig sperren. Diese Möglichkeit haben alle Spieler, wenn Sie spielsuchtgefährdet sind. Das heißt, selbst wenn ich wollte, kann ich jetzt nicht mehr an diesen Orten spielen. Ich gehe jetzt auch wieder nach Kreuzlingen in die Selbsthilfegruppe, um an meiner Sucht zu arbeiten. Kontakt zur Selbsthilfegruppe in Kreuzlingen, bekommen Sie über die Suchtberatung der Perspektive Mittelthurgau. Ich kann nur jedem raten, der feststellt, dass er ein Problem mit dem Spielen hat, sich professionelle Hilfe zu suchen. Sei es eine Gesprächstherapie bei einem Psychologen oder eine Selbsthilfegruppe oder für schwere Fälle eine stationäre Therapie. Denn Spielsucht ist eine Sucht mit erheblichem Potential, das Leben der betroffenen Menschen zu ruinieren. Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Professor Jellinek erforschte in den 60-iger Jahren den Alkoholismus, und erstellte auf Grund seiner Forschungsergebnisse 5 verschiedene Typen und 45 Stufen des Alkoholismus. Alkoholismus ist ein schleichendes Krankheitsbild. Niemand kann genau sagen, wo der Anfang ist, und wo das Ende. Auch Depressionen und das Nichtverarbeiten von Problemen kann Alkoholkonsum steigern. Das Trinken bis zum Exitus ist nicht ausgeschlossen. Seine Erkenntnisse sind dahingehend, das man heute von fünf unterschiedlichen Alkoholtypen sprechen kann. Der Alpha - Trinker/in (Problem/Konflikttrinker) Spannungen seelischer Natur und große Probleme sind hier zu nennen. Erleichterung und die Entspannung werden hier durch Alkohol gesucht und gefunden. Die Trinker sind seelisch vom Alkohol abhängig. Sie schädigen Familie, und die Persönlichkeitsentfaltung ist nicht gegeben. Zum Beispiel kann er keine Freundschaften pflegen. Der Beta–Trinker/in (Gelegenheitstrinker) Hier werden gesellschaftliche und berufliche Trinkgewohnheiten koordiniert. Es ist leicht, zum Alkoholtrinken anzuhalten, wobei eine Gewohnheit entsteht. Dieser regelmäßige Alkoholkonsum kann zu gesundheitlichen Schäden führen. Der Gamma–Trinker/in (Suchttrinker) Hier wird schon beim ersten Glas ein ungezügeltes Verlangen nach immer mehr Alkohol ausgelöst. Dieser Typ Trinker verliert jede Kontrolle, über die Menge und den Verbrauch. Zur psychischen Abhängigkeit tritt später die physische hinzu. Die 45 Phasen und Stufen Nun ein kleiner Streifzug, durch die einzelnen Stufen und Phasen. Es werden nur verschiedene Punkte angesprochen. Sollte Ihr Interesse geweckt worden sein, so können weitere Info´s aus der unten angegebenen Internetadresse entnommen werden. A.) Voralkoholische Phase Der erste Beginn des Konsums alkoholischer Getränke, ist bei dem potentiellen Alkoholiker meist sozial motiviert, Erleichterungstrinken und Alkoholtoleranz. B.) Anfangsphase Es entsteht ein plötzliches Auftreten von Erinnerungslücken, dies sind Anzeichen von Trunkenheit. Der heimliche Trinker entwickelt die Vorstellung, das er anders trinkt als andere Leute. C.) Kritische Phase Ein Verlangen nach mehr Alkohol (Kontrollverlust). Innere Zerknirschung und dauerndes Schuldgefühl ist der Anlass zum erneuten Trinken. Aus dem Selbstbetrug ändert der Alkoholiker jetzt sein Trinksystem. D.) Die Chronische Phase Es setzt ein verlängerter Rauschzustand ein, bei dem der Alkoholkranke das Verlangen nach der Droge spürt. Er trinkt auch mit Personen unter seinem Niveau. Ein Alkoholdelirium oder der Exitus sind keine Seltenheit. Trinkgründe gibt es mehr als genug - ob es eine Vielzahl der Bewerbungsabsagen sind die ersäuft werden müssen, oder Probleme mit der Familie, dem Bekanntenkreis, ob im Verein oder gar beim Hüttenaufenthalt. Alkohol ist mittlerweile zur Volksdroge geworden, genauso wie Nikotin. Besonders hervorzuheben sind bei alkoholkranken Personen verstärkt Krankheiten wie zum Beispiel: Brustkrebs bei Frauen, Darm, Magen- und Leberkrebs, Gehirnstoffwechselerkrankungen, Bewusstlosigkeit bis zum Koma, sowie Kreislauferkrankungen, Akterienverkalkung, SchleimFoto: Jörg Seidel hautentzündungen u.v.m. Auch die damit oft verbundene fehlende Körperhygiene ist zu erwähnen, da durch die übermässige Alkoholzufuhr die Schweißdrüsen verstärkt arbeiten, und die Poren weit geöffnet sind. Um sich Klarheit zu verschaffen, wie weit das Krankheitsbild fortgeschritten ist, empfiehlt es sich, sich spezifischen anonymen Tests, die man bei den Drogenberatungsstellen machen kann, zu unterziehen. Eine stationäre oder eine ambulante Behandlung kann von Nöten sein. Das Krankheitsbild ist nicht heilbar, aber durch Abstinenz ein Leben lang, bekommt man die Krankheit zum Stillstand. Es versteht sich von selbst, das es einen jahrelangen Prozess bedarf, bis man soweit ist, ohne Alkohol zu leben. Die Rückfallquote ist sehr, sehr hoch. Rückblickend, kann man dann sagen: „Ich bin über den Berg, ich habe es geschafft.“ Nicht jeder der mal ein Bier trinkt, ist auch gleich ein Alkoholiker. Zitat (Friedrich von Bodelschwingh): Wenn Du einem geretten Trinker begegnest, dann begegnest Du einem Helden. Es lauert in ihm ein schlafender Todfeind. Er bleibt behaftet mit seiner Schwäche und setzt seinen Weg fort durch eine Welt der Trinkunsitten, in einer Umgebung die nicht versteht, in einer Gesellschaft, die sich berechtigt hält, in jämmerlicher Unwissenheit auf ihn herabzuschauen, als auf einen Menschen zweiter Klasse, weil er es wagt, gegen den Alkoholstrom zu schwimmen. Du sollst wissen: Er ist ein Mensch erster Klasse“. Quellen: www.suchthilfe-magazin.de www.a-pawelzik.de/Alkohol/alkohol.html Die Suchtfibel: Jellinek-Schema-45 Phasen/Stufen Der Delta–Trinker/in (Spiegeltrinker) Menschen die dieser Kategorie angehören sind unfähig, sich des Alkohols zu enthalten. Sie brauchen täglich eine bestimmte Alkoholmenge (Level) die schleichend immer mehr wird. Sie sind körperlich abhängig von der Droge, und haben ohne Alkohol starke Krankheitserscheinungen ebenfalls Kontrollverluste. Allein schon am Beispiel Alkohol zeigt sich die Häufigkeit der Suchterkrankungen. In Deutschland gelten 1,3 Millionen Menschen als alkoholabhängig. Von diesen Menschen unterzieht sich nur circa jeder zehnte einer Therapie. Auch bei den Jugendlichen spielt Alkohol eine Rolle. 20 % der Jugendlichen von 12 bis 25 Jahren trinken regelmäßig Alkohol. Der Epsilon–Trinker/in (Periodentrinker) Bei diesen Trinkern muss in regelmäßigen und Quelle: www.blaues-kreuz.de/bkd/sucht/su_zahln.htm Betroffene berichten Betroffene berichten (Einteilung nach Prof.Dr. E.M.Jellinek) in zeitlichen Abständen Alkohol konsumiert werden. Bei der Dipsomanie besteht der Drang krankhaft alles zu trinken, was Alkohol enthält. Wie bei anderen auch, können auch hier Kontrollverluste entstehen. | 145 Fachleute berichten Alkoholismus Sucht Nichtbetroffene berichten 144 | 146 | | 147 wie Schicksal wie Ein Gedankengang Ist Ihnen heute schon ein Missgeschick passiert? Beim Abspülen eine Tasse heruntergefallen und in tausend Stücke zersprungen? Und was denken Sie, war es die eigene fehlende Sorgfalt weil der gestrige Abend länger war als die Nacht? Oder haben Sie schlechtes Karma angehäuft, weil Sie sich über die Nachbarin geärgert haben, „die blöde Kuh“. Vielleicht ist aber die Sache auch einfacher: Spielte das Schicksal mit Ihnen? In der heutigen Zeit ist das „Schicksal“ nicht mehr von Bedeutung. Man geht mit Sprüchen wie „wer will, der schafft es“ an die Sache ran, ist also der Schmied seines eigenes Glücks. Es gibt ja auch nichts daran auszusetzen. Es hat sich ja auch gezeigt dass es stimmt. Man sieht überall Vorzeige-Existenzen mit Haus, Familie und Vermögen. Die ganze Gesellschaft ist auf die eigene Leistung geeicht. Selbstbestimmung ist der Weg und das Ziel für ein entspanntes Leben. Eine „höhere Macht“ die das Leben vorbestimmt passt hier nicht in den Business-Plan. Wie passen da psychisch erkrankte Menschen ins Konzept? Man findet einige dieser aufgestiegenen Existenzen wieder in Hartz 4, Sozialgeld und wie sich nicht alle heißen. Was haben diese Menschen falsch gemacht? Zu wenig gearbeitet? Denken Sie an Burnout und dessen Ursache. Tagesstätte Es gibt die These, dass diejenigen die krank wurden, selbst Schuld daran sind. Dass man sich nicht beim ersten Anzeichen zum Arzt begeben hat um die Sache schon im Anfangsstadium zu beseitigen. Wie sieht es in einem Fall aus, bei dem ein Kind 11 Jahre lang von seinem Vater missbraucht wurde. Ist es selber schuld oder ist dies Schicksal? Oder ist dies nur ein Anzeichen einer immer kränker werdenden Gesellschaft? Einige glauben, dass das Leben vorbestimmt ist. Jede Entscheidung, jeder Schritt und jeder Gedanke sind durch eine „höhere Macht“ vorgegeben. Der Mensch kann dabei nichts beeinflussen, auch wenn er denkt dass er frei entscheidet. Selbst die Entscheidung dies durchzulesen könnte vorbestimmt sein… Tagesstätte für psychisch kranke oder seelisch behinderte Menschen Man kann viel darüber philosophieren: Gibt es Schicksal und was ist das genau? Es kann auch sein, das man zum Schluss kommt, das der Mensch in seinem Leben auf einer Reise ist und das Schicksal hin und wieder Ereignisse in den Weg stellt. Ereignisse die vielleicht vorherbestimmt oder einfach nur Zufall sind. Jedenfalls, egal was sie sind, sie prägen den Menschen, und geben ihm (Lebens)aufgaben. Die Situation chronisch psychisch kranker Menschen ist von mangelnder gesellschaftlicher Teilhabe gekennzeichnet (soziale Isolation, persönliche Desorganisation und Arbeitslosigkeit). Die Fähigkeit zu einem selbstbestimmtem Leben geht oft verloren. Verschärft werden diese Handicaps noch durch Antriebslosigkeit und Rückzugstendenzen. Eine Tagesstätte für psychisch kranke oder seelisch behinderte Menschen ist hierfür ein Oder sehen Sie das anders? Fotograf: Ralf Stockmann Fotograf: Christoph Letzner Die Brücke - Einrichtung für Menschen, mit sowohl seelischen, als auch körperlichen Einschränkungen Ich kann mich nicht genau daran erinnern, wie ich von der Brücke erfahren habe. Ob bei einem meiner zahlreichen Aufenthalte im Gelände der Psychiatrie Reichenau, beim Caritasverband der Stadt Konstanz oder durch die betreute Frauen-Wohngemeinschaft, in der ich eine zeitlang gewohnt habe. Jedenfalls lernte ich durch die Brücke einige Menschen kennen, denen es ähnlich ergeht wie mir, ich fand dort Freunde, konnte mich an einigen „offenen Angeboten“ beteiligen. Mir wurde nicht nur dort vermehrt ans Herz gelegt an den „Tagesausflügen“ oder am „Ko- chen“ teilzuhaben. Letzteres tat ich zuweilen, jedoch nicht ohne Murren. Die anderen Angebote der Brücke entsprachen eher meinen Vorlieben. So nahm ich beispielsweise zuweilen an der Theatergruppe teil oder arbeitete kreativ im handwerklichen Bereich. Nach dem gemeinsamen Brunchen am Freitagmorgen konnte, wer Lust hatte, mit der Gruppe ein Liedchen trällern, begleitet wurden wir dabei von Gitarrenklängen. Wir stimmten viele unterschiedliche Lieder an, ganz nach Befinden, Lust und Laune: Beispielsweise „Farben für den Winter“, „ 100 Miles“, „House of the rising sun“, „ Mein kleiner grüner Kaktus“ oder „Der Mörder war immer der Gärtner“. In der Brücke wurden sowohl Töpfern, als auch Zeichnen oder das freie Arbeiten mit Holz angeboten. In diesem Bereich tobte ich mich wahrlich allzu gern aus. So formte ich beispielsweise eine Hand aus Ton, in der eine Rose lag. Um mir die Handfläche vorstellen zu können, verwendete ich eine Abbildung des Künstlers „Auguste Rodin“. Auch unsere Theaterwerkstatt und das gemeinsame Singen am Freitag genoss ich weitestgehend in vollen Zügen. Allerdings konnte ich bisher meine Frustrationstoleranz nicht verbessern. Selbst wenn ich im Kreise der Brücke am Abendessen teilgenommen hatte, wanderte dies meist in die Toilette. Nachdem mich die dortige Ergotherapeutin darum bat, dies innerhalb der Räumlichkeiten der Brücke aus Rücksicht auf die anderen Besucher zu unterlassen, zog es mich beinah´ nach jedem Essen, das ich dort einnahm, nach draußen hinter die „Büsche“, auf öffentliche Toiletten oder das WG-Zimmer, das ich zu der Zeit noch bewohnte. Es ist nicht leicht, ein Narr zu sein… Doch was ist eigentlich ein Narr? Jemand der sich streng nach den Normen unserer heutigen Gesellschaft richtet. Sind nicht die, die ein wenig anders sind, sich vom Normal-Bürger abheben oder auch nur geringfügig unterscheiden durch ihren Lebenswandel, im Grunde genommen Narren? Doch jeden Menschen prägt sein Schicksal , dich, wie mich oder Herrn Kramer von der Post. Was uns unterscheidet ist lediglich die Tatsache, wie wir reagieren, agieren, unser Schicksal im Alltag meistern. Wir sind eine Welt von Narren. Was wäre diese Welt ohne uns? Betroffene berichten Die zentralen Ziele richten sich auf die Bereiche der psychischen Stabilisierung, der sozialen Integration, auf Beschäftigung, sinnvolle Tagesstrukturierung im Allgemeinen und auf die Entlastung der Angehörigen. Eine Tagesstätte soll die Betroffenen unterstützen, mit den Anforderungen eines geregelten Lebens in der Gemeinschaft zurechtzukommen. Sie soll der Integration in die Gemeinde dienen. Durch tagesstrukturierende Angebote sowie eine stetige und niederschwellige Präsenz, soll ein Umfeld geschaffen werden, in dem die Betroffenen befähigt werden Krisensituationen zunehmend souveräner zu überwinden. Kernpunkte sind die Vermittlung von Krankheitseinsicht als „Änderungsvoraussetzung“ und die Anleitung zum Krankheits- und Krisenmanagement als „Hilfe zur Selbsthilfe“. | 149 Fachleute berichten Angebot, das ausreichend Anregung zu sozialen Kontakten bietet und damit Rückzug und Isolation entgegenwirkt. Gleichzeitig auch Überforderung und Rehabilitationdruck vermeidet. Aufnahme in einer Tagesstätte finden Menschen, die sich in einer psychischen Krise befinden oder deren Folgen zu bewältigen haben, jedoch einer stationären bzw. teilstationären psychiatrischen Behandlung nicht (mehr) bedürfen. Dabei handelt es sich schwerpunktmäßig um chronisch psychisch kranke Menschen, aber auch um Personen, die sich erstmals in einer schwierigen Lebenssituation befinden und Zeit und Ruhe brauchen, um für sich neue Lebensperspektiven zu entwickeln. Tagesstätte Nichtbetroffene berichten Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 148 | | 151 Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 150 | wie Zwang Was ist eine Zwangserkrankung? Bei einer Zwangserkrankung müssen ständig irgendwelche Handlungen wiederholt werden. durchgeführt werden bis man das Gefühl hat, dass man wieder sauber ist. Oft muss das Waschen auch nach einem ganz bestimmten Ritual ablaufen. Waschzwang Beim Waschzwang muss man sich ständig oder stundenlang waschen oder etwas putzen. Meist liegt eine Angst zugrunde, dass man z.B. durch Bakterien, Viren oder Schmutz krank werden könnte, oder sich Andere verunreinigen oder infizieren könnten. Diese Gedanken verursachen Ekel und Angst bis hin zur Panik. Um die Angst zu verringern, wäscht man sich. Dieses Waschen ist eine Zwangshandlung und muss solange Kontrollzwang Beim Kontrollzwang muss ständig irgendetwas kontrolliert werden. Die betroffene Person hat Angst, durch ihre Unachtsamkeit könnte anderen Menschen etwas zustoßen oder sie selbst könne zu schaden kommen. Darum werden z.B. Elektrogeräte ständig kontrolliert, damit kein Brand ausbrechen kann, oder Wasserhähne, damit es zu keinem Wasserschaden kommen kann. Manchmal müssen Wege immer wieder... Nichtbetroffene berichten Ordnungszwang Beim Ordnungszwang versucht der Betroffene eine extreme Symmetrie und Ordnung bei persönlichen Gegenständen herzustellen. Ist die Symmetrie gestört, werden die Betroffenen extrem unruhig. Zwanghaftes Horten und Sammeln Das Wegwerfen von allem was mit der eigenen Person zu tun hat, ist praktisch unmöglich. Dahinter steht die Angst, dass etwas weggeworfen werden könnte das später noch einmal wichtig werden könnte. Zwanghafte Langsamkeit Die Betroffenen müssen alltägliche Tätigkeiten extrem langsam ausführen. Sie müssen alle Aktivitäten ganz exakt und sorgfältig ausführen. Oft müssen Handlungen vorher im Kopf detailliert durchgespielt werden. Meist müssen die Betrof- Zwangsgedanken Als Zwangsgedanken bezeichnet man Gedanken, Impulse oder bestimmte Vorstellungen, die immer wieder auftauchen und unangenehme Gefühle wie Angst, Ekel, starke Beunruhigung oder Panik auslösen. Der Betroffene versucht die Gedanken zu verdrängen, zu ignorieren oder zu „neutralisieren“, indem er bestimmte Handlungen ausführt. Der Betroffene erkennt, dass die Gedanken ein Produkt des eigenen Geistes sind. Ursachen einer Zwangserkrankung Es gibt nicht „die eine“ Ursache für eine Zwangserkrankung. Meist kommen verschiedene Fak- toren zusammen, durch die sich eine Zwangserkrankung entwickeln kann. Zu diesen Faktoren zählen z.B. welche Rolle Verantwortungsgefühl für eine Person spielt und welche Werte, Normen und Einstellungen eine Person erworben hat. Viele Betroffene berichten, dass die Zwänge nach einem belastenden Ereignis oder einer schwierigen Lebensphase aufgetreten sind. Außerdem weiß man heute, dass Zwänge eine neurobiologische Grundlage haben. Zwangspatienten haben in einem bestimmten Teil des Gehirns andere Aktivitätsmuster (in Form einer Überaktivität) als Patienten mit anderen psychischen Erkrankungen. Alles deutet darauf hin, dass es ein Kommunikationsproblem zwischen Frontalhirn und Basalganglien gibt. Diese Gehirnbereiche verwenden als Botenstoff Serotonin. Man geht davon aus, dass bei Zwangspatienten zu wenig von dem Botenstoff Serotonin vorhanden ist. Diese Theorie wird unterstützt von der Erfahrung, dass Patienten, mit Medikamenten die den Serotoninspiegel erhöhen, Erfolge in der Therapie zeigen. Wie ein Zwangsgedanke entsteht Ein Zwangsgedanke entsteht nun, wenn die gedanklichen Fehlschlüsse, Werte, Normen oder Eigenschaften der Person dazu führen, dass ein aufdringlicher Gedanke als gefährlich eingeschätzt wird. Die Bewertung als „gefährlich“ löst Angst oder andere unangenehme Gefühle aus, was verständlicherweise dazu führt, dass Gegenmaßnahmen (Zwangshandlungen) ergriffen werden. Wie Zwänge aufrechterhalten werden Ein Beispiel dafür, wie durch Gegenmaßnahmen der Patienten die Zwänge verstärkt werden, ist der Versuch des so genannten „Gedankenstopps“. Eine häufige Strategie, die Patienten einsetzen, um mit bedrohlichen Gedanken umzugehen, ist der Versuch, den Gedanken abzubrechen oder nicht zu denken. Dieser bewusste Versuch Gedanken zu unterdrücken oder zu stoppen, führt jedoch zu dem paradoxen Effekt, dass sich gerade diese Gedanken immer wieder ins Bewusstsein drängen. Man bekommt den Eindruck, die Kontrolle über seine Gedanken völlig zu verlieren, was die Bedrohlichkeit und Aufmerksamkeit auf diesen Gedanken erhöht. Der Zwangsgedanke wird immer noch häufiger auftreten. Auch alle anderen Gegenmaßnahmen wie z.B. waschen, kontrollieren, ordnen und neutralisieren, erhöhen die subjektive Bedrohlichkeit und Wichtigkeit der aufdringlichen Gedanken. Die damit verbundenen negativen Gefühle und Bewertungen werden stärker, so dass stärkere Gegenmaßnahmen erforderlich werden – der Teufelskreis schließt sich. Je häufiger der Patient den Teufelskreis aus Gedanken Bewertung und Gegenmaßnahmen durchläuft, desto stärker wird der Zwang. Können Zwänge vererbt werden? Bisher konnte kein bestimmtes Gen oder ein Zusammenwirken verschiedener Gene identifiziert werden, das für die Entstehung von Zwängen verantwortlich ist. Dennoch spielt die Vererbung in bestimmten Fällen eine Rolle. Denn immer wieder berichten Patienten, dass Familienmitglieder (Blutsverwandte) auch unter Zwängen oder ähnlichen Störungen leiden. Dabei werden nicht die spezifischen Zwangshandlungen und -gedanken vererbt, sondern die Neigung, Zwänge zu entwickeln. Betroffene berichten Wiederholungs-, Zählzwänge und Gedankenketten. Wiederholungs- und Zählzwänge gehen oft mit „magischem Denken“ einher. Damit schlimme Befürchtungen nicht eintreten, werden Bewegungen oder Tätigkeiten entweder nach einer bestimmten Regel durchgeführt, oder so lange wiederholt bis es sich „gut anfühlt“. So kann es z.B. sein, dass ein Betroffener den starken Drang hat, einen bestimmten Gegenstand mehrmals zu berühren, um damit eine schwere Krankheit von einem Angehörigen abzuwenden. Es kann auch sein, dass einem Betroffenen während einer Tätigkeit ein gefürchteter Gedanke kommt. Um diesen Gedanken zu „neutralisieren“ muss er die Tätigkeit so lange wiederholen bis der Gedanke bei dieser Tätigkeit nicht mehr auftritt. Zählzwänge können sich auf beliebige zählbare Objekte beziehen. Entweder muss ein bestimmtes Objekt oder alle Objekte gezählt werden. Weitere zwanghafte Gedanken bestehen darin, dass der Betroffene den Drang hat Worte, Wortketten oder Sätze auszusprechen oder zu denken um ein Unheil abzuwenden. fenen nach jedem Handgriff innehalten, um die Richtigkeit und Genauigkeit der Handlung zu überdenken. | 153 Fachleute berichten Fachleute berichten Betroffene berichten abgefahren werden um zu kontrollieren, ob man keinen Unfall verursacht hat oder ob gefährliche Gegenstände auf der Straße liegen. Außerdem kann man Angst haben, gegen andere Personen aggressiv zu werden, sie zu beleidigen oder zu verletzen. Zwangsstörung Behandlung der Zwänge Exposition Bei einer Exposition wird der Patient gemeinsam mit dem Therapeuten in die Situationen gebracht, in denen die Zwangsgedanken auftreten. Diese Situationen sind individuell sehr unterschiedlich. Dabei kann es sich unter Umständen um sehr spezifische Situationen handeln wie z.B. das kontrollieren von Elektrogeräten in der eigenen Wohnung, oder das Berühren von Türklinken am Arbeitsplatz. Wird der Patient in diese Situation gebracht, steigen die unangenehmen Gefühle und Befürchtungen stark an. Der Therapeut unterstützt den Patienten darin, jegliches Vermeidungs- und Neutralisierungsverhalten zu unterlassen, was zunächst zu einem weiteren Anstieg der Gefühle und Befürchtungen führen kann. Dennoch: Nur so kann der Patient die Erfahrung machen, dass seine Ängste, der Ekel oder die Anspannung auch ohne Vermeidung und Neutralisierung nachlassen. Diese Gewöhnung, ein automatischer körperlicher Prozess, wird in der Fachsprache „Habituation“ genannt. Einfach gesprochen, könnte man diesen körperlichen Prozess auch mit einem „Verlernen“ vergleichen. Nichtbetroffene berichten 152 | Fachärztliche Behandlung Bei der Behandlung von Zwangserkrankungen ist die kognitive Verhaltenstherapie die erste Wahl. Ist der Patient jedoch sehr stark und schon lange durch seine Zwänge beeinträchtigt, ist die zusätzliche Behandlung mit modernen Antidepressiva eine Möglichkeit den Behandlungserfolg Behandlungserfolge bei Zwängen Die kognitive Verhaltenstherapie zeigt große Erfolge bei der Behandlung von Zwängen. Es zeigen sich nicht nur Erfolge bei der Reduzierung von Zwangsimpulsen und dem Neutralisierungsverhalten, sondern auch die neurobiologische Grundlage von Zwängen kann im Idealfall positiv beeinflusst werden. Erste Befunde von Untersuchungen zum Einfluss von Psychotherapie auf die Stoffwechselprozesse im Gehirn haben gezeigt, dass kognitive Verhaltenstherapie die für Zwangspatienten typische Überaktivität in einem bestimmten Hirnareal reduzieren kann. Was können Angehörige tun? Eine der größten Schwierigkeiten von Zwangspatienten ist es, ihre Angehörigen davon zu überzeugen, dass sie die Zwangsrituale nicht einfach willentlich stoppen können. Angehörige werden verständlicherweise manchmal ärgerlich und reagieren mit Unverständnis, wenn die Zwangsrituale in ihren Alltag eingreifen. Versuchen sie nicht mit Appellen und moralischen Druck auf den Zwangspatienten einzuwirken. „Sich zusammennehmen“ oder „den gesunden Menschenverstand“ einschalten funktioniert bei Zwängen nicht. Ohne therapeutische Hilfe verbessern sich Zwänge nur selten. Ständige Diskussionen wie ansteckend eine Krankheit wirklich ist oder wie groß eine Gefahr tatsächlich ist, helfen dem Patienten nicht. Der Zwang kann dem Betroffenen nicht durch vernünftige Argumente ausgeredet werden. Partner oder Angehörige werden häufig in Zwangsrituale einbezogen oder werden um Rückversicherung gebeten, dass alles in Ordnung sei oder um Hilfe gebeten ein Zwangsritual zu beenden. Sagen sie ihrem Angehörigen, dass sie sich am Zwangsverhalten nicht beteiligen möchten. Ermutigen sie ihn sich therapeutische Hilfe zu holen, und sichern sie ihm in dieser schweren Zeit ihre Unterstützung zu. Quelle: Christoph Dornier Klinik GmbH 2009, Münster Fotograf: Ralf Stockmann Betroffene berichten zu verbessern und den Einstieg in die anstrengenden therapeutischen Übungen zu erleichtern. Dies gilt auch, wenn neben dem Zwang eine depressive Verstimmung vorliegt. | 155 Erfahrungsbericht über meine Zwangserkrankung Als Betroffene einer Zwangserkrankung möchte ich über mein Leben mit dieser Erkrankung berichten. Ich bin 58 Jahre alt und meine ersten Symptome traten im Alter von 24 Jahren auf. Zehn Jahre zuvor starb mein Vater bei einem Verkehrsunfall. Er war meine wichtigste Bezugsperson in meinem Leben. In meiner Jugendzeit hatte ich öfter mal den Gedanken wie schrecklich es für mich wäre, wenn mein Vater sterben würde. Als mein Vater dann tatsächlich starb, hatte ich Schuldgefühle wegen diesen Gedanken und auch Angst ich hätte seinen Tod damit heraufbeschworen. Ich wollte mit niemanden darüber reden aus Angst meine Befürchtungen könnten bestätigt werden. Ich verarbeitete diese Sache mit mir alleine, und irgendwann ließen diese Schuldgefühle auch nach. Zehn Jahre später traten die ersten Symptome auf, als ich eine schwierige Entscheidung in meinem Leben treffen musste. Ich kam nicht damit klar, dass mein damaliger Partner und späterer Ehemann mir lange verschwiegen hatte, dass er geschieden war. Ich entwickelte Schuldgefühle seiner ersten Frau gegenüber, obwohl er schon lange geschieden war als ich ihn kennen lernte. Außerdem war ich streng katholisch erzogen und wollte kirchlich heiraten. Es war auch sehr schwierig dies meiner Familie, vor allem meiner Mutter zu sagen. Unser Vater war ja erst einige Jahre zuvor gestorben und ich wollte ihr nicht noch zusätzlich Sorgen machen. Es war schon schwer genug für sie uns fünf Kinder allein großzuziehen. Meine Zwänge fingen zuerst an mit Panikattacken ohne irgendeinen Anlass. Später kamen Gedanken hinzu, dass ich meinen Mitmenschen, vor allem meinem Partner, etwas antun könnte das ich nicht wollte z.B. ihn zu töten. Ich bekam Angst vor mir selber. Alle spitzen Gegenstände in Haushalt durften nicht mehr offen herumliegen. Die Gedanken wurden immer schlimmer, so dass ich Angst hatte, vom Teufel besessen zu sein. Ich konnte keine Nachrichten mehr hören oder Zeitung lesen, weil ich überzeugt davon war, dass ich für alles Böse was geschah, verantwortlich war. Wenn ich mich mal auf etwas freute, kam der Gedanke: „Das darf ich jetzt nicht tun, sonst stirbt jemand aus meiner Familie“. Ich ging zu meinem Hausarzt, der mich an einen Therapeuten überwies. Ich erzählte ihm von meinen Ängsten. Er hörte sich alles an, verschrieb mir Beruhigungsmittel und sagte nach etwa sechs Sitzungen, dass er kein Weiterkommen bei mir sähe und die Therapie nicht weiterführen möchte. Ich war am Boden zerstört, und fragte ihn, wie ich weiterleben soll und ob ich eine Gefahr für meine Mitmenschen bin und ob ich in eine Psychiatrische Anstalt muss. Er blieb mir die Antwort schuldig und ließ mich verzweifelt nach Hause gehen. Mein Partner und ich wollten eigentlich heiraten und eine Familie gründen. Ich erzählte ihm von meinen Ängsten und dass ich mir diesen Schritt nicht zutraue. Ich rief diesen Therapeuten an und bat ihn, mit meinem Partner über meine Fachleute berichten Kognitive Therapie Der Begriff kognitiv bezeichnet die Funktionen beim Menschen, die mit Wahrnehmung, Lernen, Erinnern und Denken zu tun haben. Die Aufmerksamkeit wird auf die Gedanken und das Denken (Kognitionen) gerichtet. In der Kognitiven Verhaltenstherapie werden solche „Kognitionen“ in Frage gestellt. Der Patient kann dann seine extreme Sichtweise erkennen und korrigieren. Dabei werden ungünstige Gedanken, Bewertungen und Überzeugungen gemeinsam mit dem Therapeuten identifiziert und manchmal auch in Zusammenarbeit mit „objektiven Instanzen“ (z.B. der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung) durch realistischere und nützlichere Gedanken ersetzt. Entscheidend ist, dass der Patient lernt, sich von unsinnigen, aufdringlichen Gedanken zu distanzieren, und sie einfach vorbeiziehen lassen kann. Ziel der Therapie ist es, das Zwangssystem das der Patient aufgebaut hat, aufzugeben. Dies ist eine sehr schwere und anstrengende Aufgabe. Deshalb erarbeiten Therapeut und Patient gegen Ende der Therapie ein gemeinsames, neues, gesundes „System“. Ein wichtiges Ziel der Behandlung ist es auch, den Patienten zu seinem eigenen Therapeuten zu machen, um Rückfällen vorzubeugen. Darum werden therapeutische Übungen während der Behandlung zunehmend selbständig vom Patienten durchgeführt. Im Anschluss an die Therapie erprobt der Patient das Gelernte zu Hause. Dabei sollte der Patient noch in regelmäßigem therapeutischem Kontakt stehen, der langsam ausgeschlichen wird. Hinter den Bedrohlichkeitsgefühlen die die Zwangsgedanken auslösen, stehen bei einigen Patienten die Themen Wertlosigkeit, Schuld und Ablehnung. Diese Überzeugungen lösen neben dem Zwang oft auch depressive Gefühle aus und müssen daher dringend in therapeutischen Gesprächen hinterfragt und bearbeitet werden Zwangsstörung Nichtbetroffene berichten Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 154 | Nichtbetroffene berichten Probleme offen zu sprechen. Nach diesem Gespräch war mein Partner trotzdem davon überzeugt, mich heiraten zu wollen. Nach und nach versuchte ich mich davon zu überzeugen, dass der Therapeut mich sicherlich in eine Klinik eingewiesen hätte, wenn ich eine Gefahr wäre und er hätte meinem Partner sicherlich von einer Heirat abgeraten . Meine Symptomatik verringerte sich sehr langsam, war aber nie ganz weg. Wir heirateten und ein Jahr später kam meine Tochter zur Welt. Ich war sehr glücklich über die Geburt meiner Tochter und diese Gedanken verschwanden. Nach einigen Wochen kamen aber andere Gedanken und Ängste. Ich hatte Angst, ich könnte nicht sauber genug arbeiten bei der Zubereitung und Reinigung der Milchflaschen und sie könnte Durchfall bekommen und daran sterben, oder ich könnte versehentlich Spülmittel in die Nahrung tun. Die Angst weitete sich auf andere Bereiche aus. Habe ich die Wohnung sauber genug geputzt (Krabbelalter)? Sind meine Hände sauber genug, wenn ich meine Tochter anfasse? Bringt mein Mann Krankheitskeime mit nach Hause, da er in einem Krankenhaus arbeitet? So rutschte ich allmählich in einen Waschzwang hinein, den ich aber noch gut verheimlichen konnte. Zwei Jahre später kam unser Sohn zur Welt und meine Symptome verbesserten sich erstaunlicherweise. Einige Jahre später wünschte sich mein Mann, dass wir seinen 80jährigen Vater aus dem Pflegeheim zu uns nach Hause nehmen. Ich hatte Angst davor, da ich mich nicht gesund genug fühlte um dieser Belastung gewachsen zu sein. Mein Schwiegervater nässte oft seine Kleidung ein und dies ekelte mich sehr. Wenn ich nicht zuhause war, legte er sich mit diesen Kleidern auf das Sofa. Ihm tropfte immerzu Speichel aus seinem Mund, überall in der Wohnung. Zuletzt ekelte ich mich nur noch in meiner Wohnung. Der Waschzwang war wieder voll zurückgekehrt. Es gab oft Streit mit meinem Mann. Zuletzt riet uns der Hausarzt meinen Schwiegervater wieder in ein Pflegeheim zu geben, da ich offensichtlich überfordert war. Wenige Wochen nach seinem Einzug in das Pflegeheim verstarb mein Schwiegervater und ich fühlte mich schuldig an seinem Tod, weil ich nicht in der Lage war, ihn Zuhause zu pflegen. Der Waschzwang wurde immer schlimmer. Ich hatte auch ständig Panikattacken, wenn ich ohne meine Kinder unterwegs war, mir könnte etwas passieren und die Kinder kämen vom Kindergarten nach Hause und ich bin nicht da. Ich hatte in den Panikattacken Angst sterben zu müssen. Außerdem hatte ich ständig Angst, ich könnte mit giftigen Pflanzen in Berührung kommen und daran sterben oder von einem tollwütigen Hund könnte Speichel auf der Straße sein Die Zwangsstörung tritt oft schon in der Kindheit und Jugend auf, 90% der Betroffenen bekommen erste Symptome schon vor dem 18. Lebensjahr zu spüren. Den Höhepunkt der Erkrankung erfährt diese Erkrankung zumeist zwischen dem 20. Und 25. Lebensjahr. Von den Menschen in Deutschland sind circa 1-2% betroffen. www.neurologen-und-psychiater-im-netz.de Ich wollte auf dem Sofa übernachten, aber sie wollte unbedingt, dass ich in einem richtigen Bett schlafe. Um sie nicht zu verletzen, legte ich mich in dieses Bett. In dieser Nacht habe ich nicht geschlafen und fiel von einer Panikattacke in die andere. Plötzlich kam wie ein Blitz der Gedanke, ich habe doch schon mal etwas von Leichengift gehört. Ich ekelte mich fürchterlich und der Gedanke ließ mich nicht mehr los. Ist in diesem Bett Leichengift? Bin ich jetzt verseucht davon? Ich hatte Leichengeruch in der Nase (kenne ich von meiner Ausbildung zur Krankenschwester als wir in der Pathologie waren). Mein Verstand sagte mir, es gibt kein Leichengift und mir kann nichts passieren. Ich sagte mir die ganze Nacht, dass ich in meinem Beruf auch immer wieder mit Toten zu tun hatte und mir nie etwas dabei passiert ist. Auch sagte ich mir, dass Pathologen und Bestatter durch ihren Beruf nicht mehr gefährdet sind, krank zu werden, als andere Menschen. Aber mein Gefühl sagte mir etwas anderes. Ich dachte, wenn ich nach Hause komme, gehe ich als erstes Duschen und dann wasche ich sofort meine Kleider, damit mir und meinen Kindern nichts passieren kann. Nach dem Duschen kam der Gedanke jetzt ist meine Dusche verseucht. Wie kriege ich die bloß wieder sauber. Als meine Kleider in der Waschmaschine waren, kam der Gedanke: Habe ich mit den schmutzigen Kleidern meine sauberen berührt? Also zog ich diese Kleider auch wieder aus um sie zu waschen. Meine Reisetasche musste ich wegwerfen. Meinen Kofferraum konnte ich nicht mehr benutzen, weil meine Tasche da gestanden hatte. Den Fahrersitz im Auto habe ich mit Tüchern abgedeckt. Sicherheitsgurt, Lenkrad usw. musste alles mit Sagrotan eingesprüht oder abgewaschen werden. Einige Tage später habe ich meine Schuhe und Kleider wegwerfen müssen, die ich bei diesem Besuch anhatte. Später habe ich mein Auto verkauft, weil ich den Druck nicht aushalten konnte, dass vielleicht doch noch irgendwo Leichengift sein könnte. Mein Lebensraum wurde immer kleiner. Ich konnte erst nicht mehr an Bestattungsinstituten vorbeigehen, dann nicht mehr an Friedhöfen, Kirchen, Krankenhäusern. Ich konnte nicht mehr zum Arzt gehen, weil er ja auch mit Toten zu tun hatte. Dann konnte ich nicht mehr in Gaststätten oder zu irgendwelchen Veranstaltungen gehen, weil da ja auch der Bestatter hin- Betroffene berichten und ich könnte Tollwut bekommen. Meine Angst konzentrierte sich mehr auf mich als auf die Kinder. Das kam sicherlich daher, weil ich unter dem Tod meines Vaters sehr gelitten habe und ich glaubte das verhindern zu können, wenn ich entsprechend vorsichtig bin. Zu meinen Waschzwängen kamen auch noch Kontrollzwänge hinzu. Wenn ich das Haus verließ, musste ich kontrollieren ob alle Elektrogeräte ausgeschaltet sind. Vor allem das Bügeleisen war sehr wichtig. Ich wollte nicht, dass durch meine Unachtsamkeit andere Menschen gefährdet werden, z.B. indem das Haus abbrannte, weil ich Herd oder Bügeleisen angelassen hatte. Wenn ich mit dem Auto unterwegs war, musste ich immer wieder die gleiche Strecke abfahren und mich vergewissern, dass ich nicht aus Versehen jemanden angefahren habe. Besonders schlimm war dies, wenn ich nachts unterwegs war. Ich hatte nicht den Mut, mit meinem Hausarzt über meine Probleme zu reden. Nach der Erfahrung, die ich Jahre zuvor bei einem Psychologen gemacht hatte, dachte ich, mir kann eh niemand helfen. Heute spricht man offen über psychische Erkrankungen und die Medien berichten darüber. Das war in den 70er und 80er Jahren nicht der Fall. Die Krankheit belastete unsere Ehe immer mehr und mein Mann trennte sich 1989 von mir. Ich entschloss mich, mit den Kindern zu meiner Mutter zu ziehen. Es war eine schwere Zeit für meine Kinder und mich. Erstaunlicherweise gingen meine Zwänge aber fast ganz zurück. Einige Monate später starb der Sohn einer Freundin mit 18 Jahren an Leukämie. Sie bat mich, sie zu besuchen und bei ihr zu übernachten. Ich hatte Angst vor diesem Besuch, denn der Sohn war zuhause gestorben und ich wollte in keinem Fall in diesem Bett schlafen in dem er starb. | 157 Fachleute berichten Fachleute berichten Betroffene berichten Zwangsstörung Nichtbetroffene berichten 156 | grad immer weiter gesteigert. Es gab kein einwöchiges Fludding sondern ein tägliches Üben, zunächst in Begleitung und dann immer mehr in Eigenverantwortung. Wenn der Druck nach einer Übung zu groß wurde, und ich glaubte, mich unbedingt waschen zu müssen, war immer, auch nachts ein Ansprechpartner vom Pflegepersonal da, der mir erklärte, warum es wichtig ist, mich nicht zu waschen und dem Zwang keine Chance zu geben mich zu beherrschen, sondern ich ihn. Die Therapie wurde auch medikamentös unterstützt. Ich bekam ein Antidepressiva das den Serotoninspiegel beeinflusst. Das Medikament hat mir auch geholfen, aber leider habe ich sehr stark an Gewicht zugenommen. Gegen Ende der Therapie entschloss ich mich auch zu einer Übung in einem Bestattungsinstitut. Ich gab dem Bestatter die Hand, fasste Särge an und stellte mich vor einen Sarg in dem ein Toter aufgebahrt war. Anfassen wollte ich den Toten aber nicht. Nach diesem Klinikaufenthalt ging Fotograf: Extrem Raym es mir viele Jahre gut. Ich bin in einen anderen Ort gezogen und habe einen neuen Arbeitsplatz angenommen in einem Sekretariat in einer Augenklinik. Nachdem es mir mehrere Jahre gut ging, habe ich mit Einverständnis meines Psychiaters meine Medikamente ganz langsam abgesetzt. Danach ging es mir noch ca. ein halbes Jahr gut, dann kam ein ganz schwerer Rückfall. Erschwerend kam hinzu, dass der Arzt unserer Abteilung fast täglich in die Pathologie ging um Hornhauttransplantate zu holen. Das war so schwierig für mich, dass ich nicht mehr arbeiten gehen konnte. Hinzu kam noch eine schwere Depression, die mich vollständig lähmte. Ich war etwa ein Jahr in unterschiedlichen psychiatrischen Kliniken. Durch die schwere Depression war ich nicht in der Lage nochmals eine Konfrontationstherapie durchzustehen. Meine Ängste wurden so stark, dass ich mich nicht mehr selbst versorgen konnte. Ich war nicht mehr in der Lage meinen Haushalt zu führen, einkaufen zu gehen oder irgendwelche sozialen Kontakte aufrecht zu erhalten. Ich wollte nur noch sterben. Dieser Zustand hielt vier Jahre lang an. Erst als mir eine Freundin von der Christoph Dornier Klinik erzählte, schöpfte ich wieder etwas Hoffnung. Da ich mein Haus nicht verlassen konnte, kamen die Therapeuten zu mir nach Hause. Wir haben dann in meiner Wohnung geübt wieder alles anzufassen ohne mir danach die Hände zu waschen. Ich lernte wieder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, in ein Restaurant zu gehen, öffentliche Toiletten zu benutzen, ins Kino zu gehen, einzukaufen, dazu gehörte auch Kleider anprobieren, meiner Psychiaterin die Hand zu geben, Schuhe anfassen, Gegenstände vom Boden aufzuheben, putzen und alle anderen alltäglichen Dinge die nicht mehr gingen. Die Therapie dauerte eine Woche mit täglich ca. 6 Therapiestunden. Nach dieser Woche ging es mir schon recht gut, und ich war in der Lage diese Übungen täglich in Eigenregie durchzuführen. Leider wurden die Kosten für diese Therapie nicht von meiner Krankenkasse übernommen. Ich hatte etwas gespart und investierte dieses Geld in die Therapie. Ich war nach dieser Woche in der Lage, die Tagesstätte im GPZ Überlingen zu besuchen, obwohl in der Wäscherei Wäsche aus einem Betroffene berichten Erst als es mir so schlecht ging, dass ich meine Kinder nicht mehr anfassen und in den Arm nehmen konnte, entschloss ich mich nochmals einen Therapeuten aufzusuchen. Ich machte einige Monate eine Gesprächstherapie die mir aber gar nicht weiterhalf. Mein Therapeut riet mir zu einer ambulanten Verhaltenstherapie. Aber auch da kam ich nicht weiter, weil meine Krankheit einfach zu ausgeprägt war. Ich entschloss mich zu einer stationären Therapie. Während dieser Therapie wurde ein Fludding durchgeführt, d.h. ich musste Gegenstände anfassen und Orte aufsuchen vor denen ich mich ekelte und durfte mich danach nicht waschen. Das Fludding dauerte eine Woche lang. Es war ein sehr heißer Sommer und ich durfte mich eine Woche lang nicht duschen oder sonst wie waschen. Es war einfach nur schrecklich, aber nach dieser Woche musste ich mir nicht mehr so oft die Hände waschen und das Waschen dauerte nicht mehr so lange. Ich hatte die Erfahrung gemacht, dass die Angst nachlässt und ich auch nicht sterbe, wenn ich eine Hyperventilationstetanie (entsteht durch falsches atmen) bekomme. Dieser Zustand geht ganz einfach vorbei, wenn ich in eine Plastiktüte atme. Nach dieser Woche war ich noch einige Zeit in der Klinik um weiter zu üben und mich zu stabilisieren. Ich war leider die einzige Zwangspatientin und konnte mich daher mit niemandem austauschen. Außerdem war man sich viel selbst überlassen, da die CoTherapeuten ständig unter Stress standen und kaum Zeit hatten für ein Gespräch. Es ging mir zwar besser, aber ich war sehr unsicher, wie es mir zuhause gehen wird. Anfangs kam ich auch zu Hause gut klar, aber nach etwa einem halben Jahr schlichen sich die Zwänge wieder ein und ich konnte mich zunehmend immer schlechter gegen die Zwänge stellen. Nach zwei Jahren war ich wieder völlig am Ende und ich entschloss mich noch mal zu einem stationären Aufenthalt. Ich ging in die Universitätsklinik Freiburg, die sich unter anderem auf Zwangserkrankungen spezialisiert hatte. Dort traf ich auf Menschen die in der gleichen Situation waren wie ich und mit denen ich mich austauschen konnte. Die Betreuung durch die Ärzte, Therapeuten und CoTherapeuten (Krankenschwestern und Pfleger) war optimal. Ich wurde wieder langsam an die Übungen herangeführt und der Schwierigkeits- | 159 Fachleute berichten gehen könne. Wenn ich einkaufen ging, musste ich das Geschäft verlassen, wenn mir Menschen mit schwarzer Kleidung, vor allem Männer mit schwarzen Krawatten, begegneten. Manchmal brachte ich deswegen tagelang nichts nach Hause. Wenn niemand mit schwarzer Kleidung im Geschäft war, machte ich Hamsterkäufe, dass für den Notfall was zuhause war. Ich konnte keine Türgriffe mehr anfassen, außer mit einem Tempotaschentuch. Fiel mir etwas auf den Boden konnte ich es nicht mehr aufheben, weil ja jemand da lang gegangen sein konnte der zuvor auf dem Friedhof war. Schon wenn das Wort Tod fiel fühlte ich mich schmutzig und musste mich waschen. Ich konnte keine Filme mehr anschauen oder Bücher lesen, weil ich nicht wusste, ob in der Handlung jemand stirbt. Begegnete mir ein Leichenwagen musste ich auch die Kleidung wechseln, wenn ich nach Hause kam. Irgendwann musste ich mir auch die Hände waschen, wenn ich zu Hause etwas angefasst hatte, weil ich ja nicht wusste was meine Kinder denn so alles anfassten, wenn sie in der Schule oder mit Freunden unterwegs waren. Während meiner schlimmsten Zeit habe ich mich stundenlang am Tag gewaschen. Ich durfte während dem Waschen nicht gestört werden, sonst musste ich wieder von vorne anfangen. Selbst das Geräusch eines Autos das vorbeifuhr oder Vogelgezwitscher störte mich in meiner Konzentration. Ich stand morgens um fünf Uhr auf, dass ich um acht Uhr fertig war, weil ich dann zur Arbeit gehen musste. Abends fing ich um acht Uhr mit meinem Waschritual an, das manchmal bis um Mitternacht dauerte. Mein Bett war der einzige Ort, an dem ich mich noch einigermaßen entspannen konnte. Darum durfte auch niemand in die Nähe meines Bettes kommen. Während der Arbeit ging es mir besser als zuhause, weil ich mich auf meine Aufgaben konzentrieren musste. Dadurch traten die Zwänge nicht so sehr in den Vordergrund. Ich konnte aber nicht mehr in meinem erlernten Beruf als Krankenschwester arbeiten, sondern fand eine Anstellung im Büro. Ich lebte in zwei Welten. Die Welt außerhalb meiner Wohnung die schmutzig war, und meine Welt zuhause, die sauber war. Wenn ich nach Hause kam zog ich mich sofort um, und wusch mich gründlich. Zwangsstörung Nichtbetroffene berichten Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 158 | Hospiz und den ortsansässigen Altenheimen gewaschen wird, wo ja oft Menschen versterben. Zunächst ging ich zwei mal pro Woche, dann vier mal pro Woche hin. Ein halbes Jahr später hatte ich den Wunsch, in den Werkstätten für behinderte Menschen zu arbeiten. Ich fing mit zwei Stunden täglich an, dann vier Stunden, heute arbeite ich sechs Stunden pro Tag. Diese Einrichtung ist ein Segen für mich und ich komme jeden Tag gerne hierher. Ich habe eine Tagesstruktur und habe das Gefühl noch gebraucht zu werden. Begleitend mache ich noch eine ambulante Verhaltenstherapie bei einer sehr netten Therapeutin, die mir hilft und mich unterstützt um wieder ein normales Leben führen zu können. Diesem Ziel bin ich schon sehr nahe. Wir haben viel über das Sterben gesprochen und ich fühle mich diesem Thema nicht mehr so hilflos ausgeliefert. Ich habe meinen Frieden damit geschlossen, dass irgendwann mein Leben zu Ende sein wird. Aus der Zeit, als es mir so schlecht ging und ich nicht mehr Leben wollte, nehme ich die Erfahrung mit, dass der Tod auch eine Erlösung sein kann, wenn man schwer krank oder alt und gebrechlich ist. Meine ambulante Therapie geht dem Ende entgegen. Ich habe nur noch Sitzungen in größeren Zeitabständen. Ich komme gut zurecht damit und brauche nie den Rat meiner Therapeutin zwischen zwei Terminen. Ich muss meine Übungen nicht mehr mit meiner Therapeutin absprechen, sondern entscheide allein wie ich vorgehen möchte und was mein nächstes Ziel ist. Dieses selbstverantwortliche Üben ist sehr wichtig, denn ich habe nicht ein Leben lang einen Therapeuten an meiner Seite, den ich um Rat fragen kann. Ich habe schon viel geschafft, und habe aber auch noch viele Aufgaben vor mir. Mit jedem Stückchen Freiheit das ich mir zurückerobere, werde ich sicherer und bin motiviert immer noch einen Schritt weiter zu gehen. Nach dieser Therapie habe ich ein gutes und sicheres Gefühl, den Zwang unter Kontrolle halten zu können. Ob ich je ein zwangsfreies Leben haben werde ist vielleicht eher unwahrscheinlich aber ich kann mit der Krankheit jetzt gut leben. Nichtbetroffene berichten Fachleute berichten Betroffene berichten 160 | Fotograf: Heinz Schumacher Wir bieten Beschäftigung in den Bereichen ▪ Digital Service (ebaY-Agentur, Letter-Shop, Druckstudio) ▪ Garten- und Landschaftspflege ▪ Wäscherei mit Hauswirtschaft ▪ Küche ▪ Montage und Verpackung ▪ Metall Impressum Die Werkstatt der GPZ Überlingen gGmbH ist eine Einrichtung der beruflich-sozialen Rehabilitation und bietet Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen die Möglichkeit in verschiedenen Bereichen (wieder) am Arbeitsleben teilzunehmen. Die zentralen Ziele sind die Erhaltung bzw. Erhöhung der Leistungsfähigkeit, die psychische Stabilisierung, die berufliche und soziale Integration sowie eine sinnvolle Tagesstrukturierung durch Beschäftigung. Durch das kontinuierliche Angebot soll ein Umfeld geschaffen werden, in dem die Beschäftigten befähigt werden Krisensituationen zunehmend souveräner zu bewältigen und mit den Anforderungen des Arbeitslebens besser zurechtzukommen. GePetZt Sonderausgabe Oktober 2010 Layout & Satz Digital Service - GpZ Überlingen gGmbH 1. Auflage 2010 1000 Stück Fotos Alle Fotos sind mit Bezugsquelle und Namen der Fotografen gekennzeichnet, nicht gekennzeichnete Fotos sind im GpZ Überlingen entstanden. Herausgeber GpZ Überlingen gGmbH Obere Bahnhofstraße 18 88662 Überlingen Fon 07551 30118-0 Fax 07551 30118-99 [email protected] www.g-p-z.de GePetZt Geschäftsführung Ingo Kanngießer Autoren GePetZt-Redaktion; anonym Redaktionsleitung Yvonne Kauf Redaktionsanschrift GePetZt-Redaktion - GpZ Überlingen gGmbH Zum Degenhardt 12 88662 Überlingen Fon 07551 31118-31 [email protected] www.gepetzt.de hergestellt und gedruckt in Deutschland SPENDE Wenn Sie unsere zahlreichen Bemühungen mit ihrem Engagement unterstützen wollen, sind Sie herzlich willkommen. Sie können uns durch Ihren persönlichen Einsatz helfen oder indem Sie uns eine Geldspende zukommen lassen. Spendenkonto Volksbank Überlingen e.G. BLZ 690 618 00 Kontonummer 14 67 204 Möchten Sie Ihre Spende einem bestimmten Zweck zuordnen, dann geben Sie es bei der Überweisung im Verwendungszweck an. Die gemeinnützige Gesellschaft »Gemeindepsychiatrisches Zentrum Überlingen« ist als gemeinnützig im Sinne der steuerlichen Vorschriften anerkannt und deshalb berechtigt, Spendenbescheingungen auszustellen. GPZ Überlingen gGmbH Obere Bahnhofstraße 18 88662 Überlingen Fon 07551 30118-0 Fax 07551 30118-99 [email protected] www.g-p-z.de Sichtweisen Obere Bahnhofstraße 18 88662 Überlingen Fon 07551 30118-0 Fax 07551 30118-99 [email protected] www.g-p-z.de Sichtweisen GPZ Überlingen gGmbH Sichtweisen