Bei zweihundert Meter eine Erbse Das Atom hat bei den meisten Menschen keinen guten Ruf, denn sie denken dabei sofort an tödliche Strahlen und an Massenvernichtung. An diesen Gefahren ist aber nicht das Atom schuld, sondern verantwortungslose Physiker und Politiker. Die Atome als kleinste Bausteine unseres Körpers sowie der Welt um uns verdienen Staunen und Bewunderung. Allerdings können wir sie nicht betrachten, auch nicht unter den stärksten Mikroskopen mit bis zu zehnmillionenfacher Vergrößerung. Da dies unser geistiges Fassungsvermögen übersteigt, wollen wir versuchen, durch anschauliche Beispiele zumindest eine grobe Vorstellung vom Bau und von der Größe eines Atoms zu bekommen. In seinem Mittelpunkt befindet sich der Kern, dessen Durchmesser nach wissenschaftlichen Berechnungen etwa 0,000 000 000 000 1 Millimeter beträgt! Hier sind nicht weniger als 99,98 Prozent der „Materie“ des Atoms konzentriert. Den Kern umkreisen Elektronen in verschiedener Anzahl. Das einfachste und bei Weitem häufigste Atom, der Wasserstoff, besitzt nur eines, Helium zwei, Lithium drei, Eisen 26, Gold 79, Uran 92, um nur diese wenigen Beispiele zu nennen. Die Entfernungen der Umlaufbahnen vom Kern sind gewaltig. Sie betragen im Durchschnitt das Zehntausendfache des Kerndurchmessers. Außerdem besitzen die Elektronen eines Atoms zusammen nicht mehr als zwei Zehntausendstel seiner „Materie“. Im Vergleich zu ihnen hat der Kern geradezu gigantische Ausmaße. Aber selbst ein auf die Größe unseres Wohnzimmers angeschwollenes Atom wäre für uns noch immer unsichtbar! Erst bei einer Ausdehnung des Systems auf zehn Meter Durchmesser würden wir in seinem Zentrum mit einiger Mühe so etwas wie einen Stecknadelkopf entdecken, bei zweihundert Meter eine Erbse, bei einer Pampelmuse müssten wir schon kilometerweit laufen, um die Randzone der Elektronenbahnen zu erreichen. Atome bestehen also fast ausschließlich aus „leerem“ Raum! Und auch bei den Kernen und Elektronen handelt es sich nicht etwa um „feste Materie“ oder winzige Körper, sondern um Verdichtungen in „Feldern“, um Orte konzentrierter Kraft innerhalb bestimmter Energiebereiche. Große Zusammenballungen von Atomen, also wir selbst und die gesamte irdische Welt, werden von unseren groben Sinnen als mehr oder weniger feste und schwere Materie wahrgenommen, und daneben DAS ENDE DES MITTELALTERS 53 gibt es nach unserer Meinung noch unstoffliche und somit unsichtbare Kräfte, die auf die ansonsten trägen Körper einwirken. Diese Unterscheidung mag sich zwar in unserem täglichen Leben und bei der Arbeit als nützlich und richtig erweisen, sie beruht auf Erfahrung, entspricht aber nicht der Wirklichkeit. Die Welt besteht aus Energie und aus nichts anderem! Was wir für feste Materie, leeren Raum und Kraft halten, sind lediglich Zustandsformen der Energie, die ineinander übergehen können. Energie ist heute ein geläufiger Begriff. Sie wird uns geliefert, wir können sparsam oder verschwenderisch mit ihr umgehen, aber niemand, auch kein Physiker, kann uns sagen, was Energie eigentlich ist. Daraus ergibt sich die Tatsache, dass wir in einem Universum leben, von dessen Wesen und „Baustoff“ wir bis heute, aller vermeintlich so fortgeschrittenen Naturwissenschaft zum Trotz, keine Ahnung haben! Aber das Mysterium ist allgegenwärtig. Ein kleiner Tropfen Wasser enthält genügend Energie, um 12000 Tonnen davon verdampfen zu lassen. Ein Pfund beliebiger „Materie“ würde bei völliger Nutzung seiner Energie zehn Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugen. Der Mensch hat gerade erst begonnen, diesen unerschöpflichen Vorrat anzuzapfen, zunächst – Beweis seiner Unreife! – apokalyptische Bomben in riesigen Mengen hergestellt, die unser Dasein auf der Erde bedrohen, heute aber auch durch die stürmische Entwicklung der Elektronik das Leben in jeder Hinsicht erleichtert. Die immer schnellere Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen auf diesem Planeten hat das allerdings nicht verhindert oder auch nur gebremst. Stattdessen wurden und werden durch die Vermarktung elektronischer Geräte aller Art unvorstellbare Vermögen angehäuft. Tot oder lebendig? Die Naturwissenschaft unterscheidet zwischen organischen und anorganischen Substanzen. Pflanzen und Tiere gehören zur ersten, alles Übrige, etwa Gestein und Metalle, zur zweiten Kategorie. Das heißt: Im Gegensatz zu den Lebewesen auf der Erde, einem unendlich winzigen Stäubchen im All, betrachten wir die Milliarden Galaxien des Universums, ungeheure Sternenwelten, als tote, leblose Gebilde. Und hier liegt wahrscheinlich ein fundamentaler Irrtum vor. 54 DAS ENDE DES MITTELALTERS Sehen wir uns einmal ganz kurz die Unterschiede an, soweit unsere begrenzten Erkenntnismöglichkeiten dies zulassen: Auf unterster Ebene gibt es keinen, denn organische und anorganische Materie besteht, zumindest bei uns auf der Erde, aus Atomen. Die Grundstoffe, auch Elemente genannt, setzen sich aus Atomen mit jeweils gleicher Elektronenzahl und gleichem Kern zusammen. Zu diesen Arten anorganischer Materie gehören zum Beispiel Kohlenstoff, Cadmium, Eisen, Natrium, Arsen, Schwefel, Gold und etwa achtzig weitere. Die Atome verschiedener Elemente können sich zu Molekülen verbinden und so eine große Menge anderer Stoffe bilden, anorganische und – organische. Die anorganischen Moleküle sind noch relativ einfache Bausteine aus nur sehr wenigen Atomen, beispielsweise Wasser, H20 = 3 Atome, Kochsalz (NaCl) = 2, Kohlensäure (H2CO3) = 6, Kohlendioxid (CO2) = 3, Kalk (CaCO3) = 5 Atome. Dramatisch wird es erst bei den organischen Verbindungen, denn diese Moleküle vereinigen in sich nicht weniger als Tausende, sehr häufig auch Hunderttausende von Atomen! Es handelt sich um unglaublich komplizierte Strukturen, die wichtige biologische, etwa den Stoffwechsel betreffende Informationen darstellen, und sie schließen sich zu noch größeren, übergeordneten Systemen, Zellen, Organen zusammen. Das führt uns zu der wesentlichen Erkenntnis, dass auch die Pflanzen und Tiere letztlich anorganische Substanzen sind. Was sie zu lebenden Organismen macht, sind der von uns noch immer nicht hinreichend erforschte und verstandene Aufbau und das Zusammenwirken aller Teile. Unser Körper besteht aus etwa 7 000 000 000 000 000 000 000 000 000 Atomen, 1 000 Quadrillionen, jede einzelne der Billionen Zellen aus mehreren Milliarden. Die Atomkerne sind, relativ gesehen, Lichtjahre voneinander entfernt, genau wie die Sterne der Milchstraße, und auch die winzigen Elektronen umkreisen sie, wie Planeten ihre Sonnen, in riesigem Abstand. Wir sind also tatsächlich, anteilmäßig betrachtet, fast nur leerer Raum! Ohne ihn würden wir zu Partikeln von der Größe eines Stecknadelkopfes mit einem Gewicht von siebzig oder achtzig Kilo Gewicht zusammenschrumpfen. Daraus ergibt sich folgende Quintessenz: Würden auf Elektronen irgendwo in unserem Inneren intelligente Wesen leben und mit großen Teleskopen in ihren Weltraum blicken, kämen sie aufgrund ihrer Beobachtungen kaum zu dem Ergebnis, dass sie in einem lebenden Organismus stecken, denn sie wären von einer physikalischen Welt aus toten DAS ENDE DES MITTELALTERS 55