Umweltfaktor Temperatur Die Temperatur ist einer der wichtigsten Umweltfaktoren, sowohl für Tiere wie auch für Pflanzen. Physikalisch-chemische Grundlagen Chemiker behaupten gern, „Leben ist nichts anderes als eine Menge komplexer chemischer Reaktionen“. Das ist natürlich eine genau so blödsinnige In der physikalischen Chemie gibt es exakte Formeln, mit denen man die Wahrscheinlichkeit einer chemischen Reaktion in Abhängigkeit von der Temperatur berechnen kann. In der Biologie reicht es allerdings meistens, wenn man die berühmte RGT-Regel kennt: Behauptung wie der Lieblingsspruch der Physiker, „Chemie ist nichts anderes als die Physik der Au- RGT-Regel oder Reaktionsgeschwindkeits- ßenschalen“. Dennoch kann man nicht abstreiten, dass alle Le- von 10 Grad bewirkt eine Erhöhung der Geschwindigkeit chemischer Reaktionen um das bensvorgänge auf chemischen Reaktionen beru- 2- bis 3-fache. hen, und chemische Reaktionen wiederum werden durch das Zusammenstoßen von Teilchen (Ato- Bei dieser RGT-Regel handelt es sich um eine gro- men, Ionen, Molekülen) eingeleitet. Wenn ein Molekül Malzzucker in zwei Glucose-Moleküle gespaltet werden soll, muss das Maltose-Molekül mit einem Wasser-Molekül zusammenstoßen, und wenn Glucose im ersten Schritt der Glycolyse durch ATP aktiviert werden soll, so muss ein Glucose-Molekül mit einem ATP-Molekül zusammenstoßen. Mit solchen Vorgängen beschäftigt sich ein Teilgebiet der physikalischen Chemie, nämlich die Reaktionskinetik, speziell die Stoßtheorie. Temperatur-Regel: Eine Temperaturerhöhung be Faustregel, sie darf nicht mit einem physikalischen Gesetz verglichen werden. Außerdem gilt die RGT-Regel nur in einem biologischen Temperaturbereich zwischen 0° und 40° Celsius. Grundlegende Versuche Es gibt viele einfache Versuche, mit denen man die Wirkung des Umweltfaktors Temperatur auf Tiere und Pflanzen zeigen kann. Man nehme zum Beispiel einen Goldfisch, setze ihn in ein Aquarium mit Je energiereicher ein solcher Zusammenstoß 20°C warmem Wasser und beobachte seine Kiemen. In regelmäßigen Abständen öffnen sich seine zweier Teilchen, desto wahrscheinlicher ist es, dass Kiemendeckel, das Tier will ja schließlich atmen. es zu einer chemischen Umsetzung kommt. Atome oder Moleküle, die sich besonders schnell bewegen, stoßen heftiger aufeinander als Teilchen, die sich langsam bewegen. Die Temperatur ist also ein maßgeblicher Faktor, der die Geschwindigkeit der Teilchen beeinflusst. Je höher die Temperatur, desto schneller bewegen sich Teilchen. Das gilt sowohl für gasförmige Medien wie auch für flüssige, vor allem auch für wässrige Lösungen, wie sie in der lebenden Zelle anzutreffen sind. Wenn man nun die Wassertemperatur milde und vorsichtig absenkt - schließlich wollen wir das Tier ja nicht ärgern - so kann man beobachten, dass die Kiemendeckelbewegungen langsamer werden. Die Atemfrequenz geht zurück. Umgekehrt steigt die Atemfrequenz, wenn man die Temperatur im Aquarium vorsichtig erhöht - nicht zu stark, wir wollen das Tier ja nicht umbringen. Ulrich Helmich: Umweltfaktor Temperatur, Teil 1 Pflanze aus Deutschland Atemfrequenz Photosynthese-Intensität Optimum ? Minimum Temperatur Maximum Diese Graphik zeigt das erwartete Ergebnis eines solchen Versuchs. Ich persönlich habe diesen Versuch nicht durchgeführt, weil ich ja keinen Goldfisch ärgern will, würde aber einen solchen Kurvenverlauf erwarten. Die Frage, die sich hier stellt: Ist die Temperatur, bei der der Fisch eine maximale Atemfrequenz hat, wirklich das Optimum der Toleranzkurve? Wenn ein Mensch einen maximalen Pulsschlag hat, befindet er sich ja auch nicht in einer optimalen Situation, sondern ist sehr krank. Ich bezweifle, dass sich der Goldfisch „optimal“ fühlt, wenn seine Kiemendeckel wie ein Ventilator flattern. Eine ähnliche Frage stellt sich mir, wenn ich mir die in einigen Schulbüchern veröffentlichten "Optimumskurven der Temperatur für drei Pflanzenarten" anschaue. Pflanze aus Sibirien Pflanze aus der Wüste Temperatur So ähnlich wie in dieser Abbildung sehen die veröffentlichten Kurven meistens aus. Die Frage, die sich hier stellt, ist die: Ist es für die einzelne Pflanze wirklich optimal, wenn ihre Photosynthese-Rate maximal ist? Gibt es Langzeituntersuchungen über die Lebenserwartung von Pflanzen, die ständig mit maximaler Leistung Photosynthese betreiben? Ist es für die Pflanzen nicht vielleicht besser, wenn sie nicht immer mit voller Leistung arbeiten? Verlässlichere und aussagekräftigere Ergebnisse erhält man mit einer Temperaturorgel (siehe dort). Allerdings ist auch der Temperaturorgel-Versuch kritisch zu sehen. Es stellt sich nämlich die Frage, ob sich wirklich jedes Tier genau dort aufhält, wo es sich am wohlsten fühlt. Vielleicht würden sich ja noch viel mehr Tiere in dem mittleren Temperaturbereich aufhalten, werden dort aber von stärkeren Konkurrenten verdrängt, so dass sie mit kälteren oder wärmeren Regionen Vorlieb nehmen müssen. In diesem Fall würde die Temperaturorgel keine verlässlichen Ergebnisse liefern. Nicht die autökologische oder physiologische Präferenz der Tiere wird gezeigt, sondern die demökologische (eigentlich: synökologische Präferenz, aber dieser Begriff bezieht sich meistens auf die Präferenz in Anwesenheit artfremder Konkurrenten, siehe Hohenheimer Grundwasserversuch. Auf der Temperaturorgel sind die armen Tiere aber der Konkurrenz durch die Erstellt mit Apple Pages im Februar 2010 Seite 2 Ulrich Helmich: Umweltfaktor Temperatur, Teil 1 Artgenossen ausgesetzt, also müsste man eigentlich von demökologischer Präferenz sprechen). Wollte man die autökologische Präferenz der Tiere ermitteln und graphisch als Toleranzkurve darstellen, müsste man jedes Individuum einzeln in die Temperaturorgel setzen und dann seine Bewegungen filmen. Dann müsste man ermitteln, wie lange ten, beispielsweise durch H-Brücken-Bindungen und ionische Wechselwirkungen, vor allem aber auch durch Disulfidbrücken-Bindungen. Alle diese Bindungen sind thermisch instabil, werden also durch hohe Temperaturen zerstört. Die Disulfidbrücken werden sogar irreversibel zerstört, bilden sich also bei einer Abkühlung nicht zurück. sich das Tier in welcher Temperaturregion aufhält, Erhitzt man also lebende Zellen über 40°C hinaus, und schließlich müsste man eine mittlere Vorzugstemperatur für jedes Tier berechnen. Diese mittle- so werden die Bindungen in den Proteinen nach und nach gespalten, und die Tertiärstruktur, die ja ren Vorzugstemperaturen müsste man dann wiederum in zehn Klassen einteilen, zum Beispiel 10 - hochkomplex ist, kann nicht mehr aufrecht erhalten werden. Das Enzym denaturiert. Diese Denaturie- 13°C, 14 - 16°C und so weiter. Am Ende müsste rung kann sich auf das aktive Zentrum eines En- man die Zahl der Tiere, die eine mittlere Vorzugstemperatur in dem jeweiligen Bereich haben, gegen zyms auswirken, und die Substratspezifität geht verloren. Mit anderen Worten, das Substrat kann die Temperatur auftragen. Erst so würde man eine verlässliche Temperatur-Toleranzkurve erhalten. nicht mehr oder zumindest nur noch mit herabgesetzter Effektivität umgesetzt werden. Minimum, Maximum Wir wollen uns jetzt mit der Frage beschäftigen, wieso eine Temperaturtoleranzkurve überhaupt ein Minimum, ein Optimum und ein Maximum hat? Die Temperaturtoleranz wird weitgehend von zwei Faktoren bestimmt. Einerseits haben wir die RGTRegel (siehe oben). Nach dieser Regel steigt die Aktivität von chemischen und biologischen Vorgängen mit der Temperatur an (Verdopplung bei Erhöhung der Temperatur um 10°C). Mit der RGT-Regel können wir also das Ansteigen der Kurve zwischen Minimum und Optimum erklären. Andererseits werden alle biologischen Vorgänge durch Enzyme katalysiert. Enzyme sind Proteine mit katalytischen Eigenschaften, die Substrate nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip hochspezifisch umsetzen. Faktoren, die die Struktur eines Enzyms verändern, können sich auf die räumliche Struktur des aktiven Zentrums auswirken, und dann ist nichts mehr mit „Schlüssel-Schloss-Prinzip“; der Schlüssel (das Substrat, das umgesetzt werden soll) passt nicht mehr in das Schloss (das aktive Zentrum, dessen Gestalt sich verändert hat). Dies ist die Erklärung für das Abfallen der Temperaturtoleranzkurve zwischen Optimum und Maximum. Meistens ist dieser Teil der Kurve sogar steiler als der ansteigende Ast; Wärme bzw. Hitze wird von den meisten Organismen weniger gut vertragen als Kälte. Einen letzten Punkt müssen wir noch klären. Wieso existiert überhaupt ein Temperaturminimum. Auch bei -30°C laufen doch noch chemische Reaktionen ab. Ein Stillstand herrscht erst am absoluten Nullpunkt bei -273°C. Lebewesen müssten doch noch locker bei -40°C existieren können. Hier heißt das Problem: Wasser. Die Zellen bestehen zum größten Teil aus Wasser bzw. wässrigen Lösungen. Und Wasser hat nun mal einen Gefrierpunkt, der bei 0°C liegt (der genaue Gefrierpunkt hängt davon ab, was in dem Wasser so alles gelöst ist). Das wäre alles nicht gravierend, wenn sich nicht spitze Eiskristalle bilden würden, wenn das Wasser in den Zellen gefriert. Und diese Eiskristalle zerstören die empfindlichen Membranen, die die Zelle und die wichtigsten Zellorganellen umgeben (Mitochondrien, Golgi-Apparat und so weiter). Die Zelle stirbt, und wenn zu viele Zellen sterben, stirbt auch der ganze Organismus. Die Tertiärstruktur von Proteinen wird durch verschiedene chemische Bindungen zusammengehalErstellt mit Apple Pages im Februar 2010 Seite 3 Ulrich Helmich: Umweltfaktor Temperatur, Teil 1 Zusammenfassung Für alle Lebewesen ist der Umweltfaktor Temperatur sehr wichtig. Organismen können einen engen oder einen breiten Toleranzbereich hinsichtlich der Temperatur haben, aber stets gibt es ein Temperaturminimum, das auf keinen Fall unterschritten werden darf, und ein Temperaturmaximum, das auf keinen Fall überschritten werden darf. Das thermische Minimum wird das das Gefrieren des Wassers in den Zellen bestimmt, und das thermische Maximum durch die Denaturierung der Enzyme in den Zellen. Das Ansteigen der Toleranzkurve zwischen Minimum und Optimum kann mit der RGT-Regel erklärt werden, und das Abfallen der Kurve zwischen Optimum und Maximum mit der zunehmenden Instabilität der Enzyme. Erstellt mit Apple Pages im Februar 2010 Seite 4