Seite 1 von 29 ________________________ Hessischer Rundfunk hr-iNFO Redaktion: Heike Ließmann Wissenswert Tabu-Thema Pädophilie — vom Umgang mit einem heiklen Thema von Juliane Orth Sprecherin: Juliane Orth Sendung: 24.05.15, hr-iNFO Copyright Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks. Seite 2 von 29 Für die Anmoderation: Kindesmissbrauch ist alltäglich. Nach offiziellen Polizeistatistiken werden jedes Jahr mehr als 14tausend Kinder Opfer von sexuellem Missbrauch. Drei Viertel der Opfer sind Mädchen. Das sind aber nur die Fälle, die bekannt geworden sind. (Sie liegen im sogenannten Hellfeld, die Taten wurden angezeigt, manche Täter verurteilt. Im Dunkelfeld sieht es anders aus: Dies sind die Fälle von Missbrauch, die stattgefunden haben, aber nicht angezeigt und öffentlich wurden.) Bislang gibt es keine belastbaren Zahlen, wie viele Kinder tatsächlich Opfer von sexuellem Missbrauch werden. Nationale und internationale Studien gehen aber gehen davon aus, dass 15 bis 30 Prozent aller Mädchen betroffen sind. Bei den Jungen sind es 5 bis 15 Prozent. „Eins von fünf“ - so heißt die Kampagne des Europarats gegen sexuelle Gewalt an Kindern. Eins von fünf – das hieße, dass in einer durchschnittlichen Klasse in Deutschland fünf bis sechs Kinder sitzen, die sexuelle Gewalt erlebt haben. Seite 3 von 29 Sexueller Kindesmissbrauch ist alltäglich. Man muss es leider so sagen. Es hat lange gedauert, bis das ins öffentliche Bewusstsein gerückt ist. Ehemalige Schüler der Odenwaldschule hatten schon länger versucht, auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen. Sie drangen nicht durch. Erst als 2010 der Leiter des Berliner Canisius-Kollegs den massenhaften Missbrauch in der Einrichtung der katholischen Kirche offenlegte, bekamen auch die betroffenen Odenwaldschüler Aufmerksamkeit. Seither ist das Thema im Fokus der Öffentlichkeit. Das bietet Chancen. Zum einen den Opfern, die endlich sprechen und sich Gehör verschaffen können. Aber auch potentiellen Tätern – nämlich die Chance, gar nicht erst zum Täter zu werden. Und es gibt eine Chance für die Wissenschaft, Gelder für die Forschung zu bekommen. Es geht darum herauszufinden, warum Menschen, zu etwa 98 Prozent sind es Männer, Kinder missbrauchen. Und es geht darum herauszufinden, was man dagegen tun kann. Es geht aber auch darum, zu unterscheiden. Denn wenn von Kindesmissbrauch die Rede ist, fällt in den meisten Fällen der Begriff pädophil. Dabei werden die meisten Missbrauchsfälle nicht von Pädophilen begangen. Trotzdem stehen Pädophile am Rande der Gesellschaft, kaum einer kann offen darüber reden. Es gibt gute Gründe, das zu ändern. Seite 4 von 29 _______________________________ O-Ton Sven: Ich kann mich erinnern an eine Situation mit 16, wo ein Fall in den Medien war: Mädchen vom Onkel missbraucht und umgebracht. Und da war mir klar: Ich bin auch so einer, auch so ein Schwein. Und ich wollte alles dran setzen, dass es nie so weit kommt. Sprecherin: Die Erkenntnis, dass er sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlt, traf Sven wie ein Schock, der sein weiteres Leben verändert hat. Seither versucht er, mit seiner Veranlagung bewusst umzugehen. Ähnlich ging es Paul, nur dass für ihn die Erkenntnis etwas später kam. O-Ton Paul: Da war ich 24, Sommertag. Mädchen liefen leicht bekleidet rum und ich hatte eine starke sexuelle Reaktion. Seite 5 von 29 Sprecherin: Sven und Paul sind pädophil. Das heißt, dass ihr primäres sexuelles Interesse auf Kinder ausgerichtet ist, die noch nicht in der Pubertät sind. In der Regel sind die Kinder nicht älter als 11 Jahre. Wenn sich die sexuellen Interessen auf Kinder und Jugendliche beziehen, bei denen die Pubertät schon angefangen hat, spricht man von Hebephilie. So, wie andere Erwachsene auf gleichaltrige Männer oder Frauen reagieren, reagieren Pädophile oder Hebephile auf Kinder bzw. Heranwachsende. Sie haben sich das nicht ausgesucht. Es ist veranlagt. Experten gehen davon aus, dass das bei etwa einem Prozent der Männer der Fall ist, bei Frauen kommt Pädophilie äußerst selten vor. Das heißt, dass wir in Deutschland von etwa 250tausend pädophilen Männern sprechen. Es heißt aber nicht, dass diese Männer zwangsläufig Kinder missbrauchen oder Missbrauchsabbildungen, sogenannte Kinderpornographie, konsumieren. Vielen reicht es, ihre sexuelle Orientierung in der Phantasie auszuleben. Für sie sind Übergriffe auf Kinder tabu. Also: Bei weitem nicht jeder Pädophile missbraucht Kinder. Und umgekehrt sind viele, die Kinder missbrauchen, nicht pädophil, sondern begehen diese Taten aus ganz anderen Gründen, erklärt die Psychologin Stephanie Thiel von der Universität Gießen: Seite 6 von 29 O-Ton Thiel 1 Es sind häufig Ersatztaten, dass jemand mit erwachsender Sexualität nicht klar kommt, dass jemand sich schwer damit tut, Frauen gegenüber zu treten, die Wünsche äußert, die nein sagt. Man könnte böse sagen, dass diejenigen, die sich aus diesen Gründen an Kindern vergehen, könnten auch nach Thailand fliegen und sich eine Prostituierte suchen. Bei richtigen Pädophilen geht es um Liebe zu Kindern, richtige Liebe. Wie wenn Menschen, die auf Erwachsene stehen, sich in Erwachsene verlieben. Sprecherin: Diese fatale Liebe in sich zu tragen, das Hingezogensein zu Kindern statt zu Erwachsenen, ist eine schwere Bürde. Viele Betroffene wie Sven und Paul können ihre Empfindungen erst mal nicht einordnen oder damit umgehen, fühlen sich fremd im eigenen Körper, falsch in der Welt. OT Sven: Ich wollte mich mit einer Plastiktüte ersticken. Weil ich auch dachte, ich passe nicht in diese Welt. Und hatte immer die Hoffnung, im nächsten Leben wird es dann besser. Game over, versuche ich es nochmal. OT Paul: Es ging so weit, dass ich dachte, dass ich völlig verrückt bin, böse. Es gab niemanden, der mir etwas zu dieser Situation sagen konnte. Das hat mich schon ziemlich runtergezogen. (0’28) Seite 7 von 29 Sprecherin: In den vergangenen Jahren hat sich die Situation etwas verbessert. Pädophile können leichter Informationen und Zugang zu Therapeuten finden, die ihnen helfen, mit ihrer Veranlagung verantwortungsvoll umzugehen. Therapeuten wie Stephanie Thiel. Sie arbeitet im PräventionsNetzwerk „Kein Täter werden“. Es bietet Menschen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen, die Möglichkeit, sich therapieren zu lassen. Das Ziel: Weder direkt durch den körperlichen Kontakt mit Kindern, noch indirekt durch das Nutzen von Missbrauchsabbildungen, zum Täter zu werden. Grundlegende Philosophie dabei ist: Niemand kann etwas für seine Veranlagung. Verantwortlich ist man nur für seine Taten. Das Netzwerk wurde vor zehn Jahren an der Berliner Charité gegründet. Mittlerweile gibt es diese Therapieangebote in zehn Städten in Deutschland. Seit November 2013 auch in Hessen, nämlich an der Uni Gießen. Stephanie Thiel betreut hier zusammen mit einer Kollegin zwei Gruppen von insgesamt 14 Klienten – etwa ein Jahr dauert die Therapie. Fast alle, die sich bei ihr melden und für das Projekt interessieren, sind Männer und ansonsten ein Querschnitt der Gesellschaft: Seite 8 von 29 O-Ton Klienten: jede Altersgruppe, alle Berufsgruppen, alle sozialen Schichten – es gibt kein Muster. Der Jüngste, der sich bisher bei uns gemeldet hat, war 18 Jahre alt und der Älteste ist 63/64. Also es ist alles vertreten, auch von Arbeitslosen über Ausbildungsberufe, Menschen mit einem akademischen Abschluss ist wirklich alles vertreten. (0’35) Sprecherin: Der Ort, an dem die Therapien stattfinden, muss geheim gehalten werden. Zu groß ist die Angst, dass es zu Übergriffen kommt. Denn für viele Menschen stehen Pädophile am Rande der Gesellschaft, gelten als Abschaum, Monster, tickende Zeitbomben. Stephanie Thiel sitzt in einem schmucklosen, hellen Raum mit hohen Decken. Ein Stuhlkreis bildet den Rahmen, in dem die Sitzungen mit den Klienten ablaufen. Hier trifft sie sich mit ihnen. Einer der ersten Therapieschritte klingt ganz einfach, ist aber doch sehr schwer und gleichzeitig ganz entscheidend für den Erfolg der Therapie: Die Akzeptanz: O-Ton Stephanie Thiel: Eigentlich alle kommen am Anfang mit viel Scham. Es ist ja nicht nur medial, sondern wie gesellschaftlich das Thema Pädophilie behandelt wird, es wird sehr häufig gleichgesetzt mit sexuellem Missbrauch. Dabei gibt es pädophile Männer, die nie übergriffig geworden sind. Viele laufen auch mit diesem Bild, was in der Öffentlichkeit vermittelt wird: Pädophilie bedeutet sexueller Missbrauch. Seite 9 von 29 Viele haben ein Bild im Kopf, wie der „klassische Pädophile“ aussieht. Da hat sich ein Bild festgemacht, etwas älter, dicklich, schwitzend, mit dicken Brillengläsern. Das haben viele in ihr Selbstbild übernommen und das passt natürlich nicht zu dem, was sie im Spiegel sehen. Was sie innerlich fühlen, da ist eine große Scham da und der Wunsch, dass wir die Pädophilie am liebsten wegmachen sollen. Was wir natürlich nicht können. Aber das heißt, diese Männer müssen akzeptieren lernen. (1’04) Sprecherin: Akzeptieren, dass die sexuelle Neigung da ist, dass sie ein Teil der eigenen Persönlichkeit ist und dass sie niemals weggehen wird. O-Ton Stephanie Thiel: Das bedeutet, letztlich ein Leben als Pädophiler leben zu müssen, in dem die eigene Sexualität letztlich nie ausgelebt werden kann, die Männer sich immer werden beschränken müssen, d.h. es wird auch immer ein Rest unbefriedigt bleiben und es geht vor allem darum, Verhaltenskontrolle zu erreichen. Denn, was sie mit sich rumtragen – man kann es Schicksal nennen – ist etwas, womit sie leben müssen. So wie jemand, der ohne Beine geboren ist, damit leben muss, dass er keine Beine hat. (0’33) Sprecherin: Dieses Schicksal anzunehmen, auch als Herausforderung zu begreifen ist der erste Schritt. Der zweite Schritt ist, dass die Teilnehmer lernen, ihr Verhalten zu kontrollieren. Ziel ist, dass sie keinen Missbrauch begehen bzw. keinen weiteren Missbrauch begehen, also nicht rückfällig zu werden. Seite 10 von 29 Manche Klienten haben sich vor ihrer Therapie bereits an Kindern vergangen. Die meisten nutzen Missbrauchsabbildungen, also Filme und Fotos, meist aus dem Internet. Der Konsum der Missbrauchsabbildungen ist problematisch. Zum einen handelt es sich um einen indirekten Missbrauch, Kinder wurden für die Bilder gequält und gedemütigt. Zum anderen kann es das Verlangen nach sexuellen Kontakten mit Kindern anfachen. Stephanie Thiel arbeitet mit den Therapie-Teilnehmern mit einem Ampelsystem. Sie vermittelt, welche Abbildungen unproblematisch sind, also im grünen Bereich liegen und genutzt werden dürfen. O-Ton Stephanie Thiel: grüner Bereich: Es spricht nichts dagegen, wenn sich jemand einen Kleidungskatalog vornimmt und sich die Unterwäsche-Abteilung anschaut und zu halbnackten Kinderbildern masturbiert. Dadurch wird niemand verletzt oder geschädigt. Es spricht nichts dagegen, wenn jemand ein Kind auf der Straße sieht, das Bild im Kopf mit nach Hause nimmt und zu diesem Kind, das sie gesehen haben, masturbieren. Es gibt unzählige Männer, die, wenn sie eine Frau auf der Straße gesehen haben, abends vor dem Einschlafen zu dieser Vorstellung masturbieren. Das ist bei Kindern letztlich nichts anderes. Das mag der betroffenen Person, wenn sie es denn wüsste, unangenehm sein. Aber das ist nichts Illegales und man kann den Menschen ihre Phantasien ja nicht verbieten. Aber das Material, das sie konsumieren, muss im legalen Bereich bleiben und daran arbeiten wir mit denen. (0‘48) Seite 11 von 29 Sprecherin: Wobei sich die Grenze, was legal ist und was nicht, verschoben hat. Und da wird es auch schon schwierig. Der Gesetzgeber hat als Konsequenz aus der Edathy-Affäre kürzlich die Bestimmungen zu den sogenannten Posing-Bildern verschärft. Seither stehen Bilder unter Strafe, auf denen Kinder und Jugendliche in aufreizender Haltung dargestellt sind, auf denen sie posieren, auf denen Po oder Genitalien im Fokus stehen. Damit fallen Bilder, die bisher in den gelben Bereich gehörten, inzwischen in den verbotenen roten Bereich. Die Unterscheidung ist nicht ganz einfach: O-Ton Stephanie Thiel: gelber Bereich Auch wir können nur bedingt sagen: Dieses Bild ist noch legal und dieses nicht. Aber was wir sagen können, dass den Männern bei bestimmten Bildern zumindest bewusst sein muss, dass sie im problematischen, sprich gelben Bereich liegen. Und gerade was die Nacktbilder angeht: Es gibt diejenigen, die beispielsweise bei Facebook Bilder finden, die ahnungslose Familien posten aus dem letzten Familienurlaub und dieses Material wird von den Männern natürlich auch genutzt. Das ist legal, das dürfen die auch. Das fänden die betroffenen Eltern natürlich nicht gut, wenn sie wüssten, dass ihre Kinder als Masturbationsgrundlage dienen. Aber das passiert und die meisten Eltern machen sich darüber relativ wenig Gedanken. (1’03) Seite 12 von 29 Sprecherin: Klar definiert ist wiederum der rote Bereich: O-Ton Stephanie Thiel: Roter Bereich Der rote Bereich ist ganz klar alles was illegal ist. Das Fokussieren auf Genitalien, das Verkleiden, das aufreizende Posieren in Spitzenunterwäsche vor der Kamera oder auch Filme oder Bilder, wo der Missbrauch direkt gezeigt wird. Wo Kinder Erwachsene befriedigen, wo Kinder sich gegenseitig befriedigen, die offensichtlich auch zu diesem Zweck, einschlägig konsumiert zu werden, hergestellt worden sind. (0’32) Sprecherin: Wenn man in der Lage ist, zwischen dem roten, gelben und grünen Bereich zu unterscheiden, ist schon viel gewonnen. Das Nutzen von sogenannter Kinderpornographie ist weit verbreitet und für viele Pädophile sehr zentral. Die Vorstellung, den Klienten den Konsum der Bilder komplett abgewöhnen zu können, hält Stephanie Thiel für utopisch. O-Ton Stephanie Thiel: Kontrolle gewinnen: Natürlich geht es auch darum, die Frequenz zu senken. Man kann sich da auch in was reinsteigern, das kann auch einen Suchtcharakter annehmen. Dass Männer dann abends stundenlang vor dem Rechner sitzen. Das hat dann auch damit zu tun, dass eine gewisse Bewusstlosigkeit eintritt, dass sie gar nicht mehr auf die Uhr gucken, dass ihnen gar nicht mehr klar ist, was sie da tun. Und dann kommt es auch vor, dass die Bilder immer härter werden. Und es geht darum, diesen Teufelskreislauf zu durchbrechen. Das wird im Rahmen der Therapie Seite 13 von 29 häufig erstmals angegangen. Beispielsweise indem wir sagen: „Stellen Sie sich die Eieruhr oder das Handy, dass es alle fünf Minuten klingelt und Sie sich unterbrechen. Machen Sie bewusst, was Sie da tun.“ Dass es einfach nicht so Auswüchse bekommt. (1’00) Sprecherin: Ein Bewusstsein für die Dauer des Bilderkonsums zu entwickeln ist das eine, sich klar zu machen, was die Folgen des Konsums sind, das andere. Missbrauchsabbildungen anzusehen erscheint vielen Konsumenten erst mal als nicht so schlimm. Man sitzt ja nur vor dem Bildschirm. Stephanie Thiel will erreichen, dass die Männer erkennen, dass hinter der Kamera, die die Bilder aufgenommen hat, aber realer Missbrauch stattgefunden hat. Und dass die Konsumenten einen Markt am Laufen halten, der immer weiter Nachfrage und damit großes Leid bei den Opfern erzeugt. In der Therapie geht es darum, sich diesen Kreislauf bewusst zu machen. Und die Männer sollen wahrnehmen, was es für die Kinder bedeutet, missbraucht worden zu sein, welche gravierenden Folgen es für ihr ganzes Leben hat. Sie sollen Empathie mit den Missbrauchs-Opfern entwickeln. Dazu liest Stefanie Thiel in den Therapiestunden Berichte früherer Opfer vor. O-Ton Stephanie Thiel: Die in Form von Briefen teilweise an ihren Missbraucher teilweise in Form von Berichten an sich selber oder ihren Therapeuten berichten, wie es ihnen damit ging, wie es ihnen heute geht, wie oft sie in Therapie waren, Seite 14 von 29 worunter sie leiden, was das mit ihnen gemacht hat, inwieweit sie immer noch Erinnerungen haben, Albträume haben. Der Geruch der Person, die Hände auf sich zu spüren. Was mit ihnen gemacht wurde... In einem Fall zum Beispiel hat derjenige, der missbraucht hat, das Kind hinterher „belohnt“, indem er dem Kind immer sein Lieblingsessen gekauft hat und die Person dieses Essen bis heute nicht mehr essen kann, das geht bis hin zum Erbrechen. Das machen sich viele einfach nicht bewusst. Sprecherin: Paul hat sich bewusst gemacht, was es bedeutet, Missbrauchsabbildungen anzusehen. Inzwischen hat er eine andere Einstellung zu den Bildern, die er früher häufig konsumiert hat. Er weiß jetzt, dass es sich auch hier um Missbrauch handelt. O-Ton Stephanie Thiel: Kreislauf Das habe ich früher nicht sehen können. Weil ich mich mehr als Abhängiger gesehen habe, wie jemand, der Alkoholiker ist. Den produziere ich ja nicht, den brauche ich ja nur. Heute weiß ich, dass es eben nicht geht. Dass es ein Kreislauf ist, der durchbrochen werden muss. (0’31) Sprecherin: Paul hat es geschafft, den Kreislauf zu durchbrechen und konsumiert keine Missbrauchsabbildungen mehr. Er hat eine Strategie entwickelt, wie er seinen Drang, immer weiter Bilder anzusehen, kontrollieren kann. Dazu hat er eine Absprache mit seiner Frau getroffen: Seite 15 von 29 Der Internet-Anschluss zu Hause ist gesperrt. An den Rechner geht er nur in Anwesenheit seiner Frau. Paul hat Glück: Er konnte sich seiner Frau offenbaren, hat gemeinsam mit ihr einen Weg gefunden, Kontrolle über seine Neigung zu gewinnen. Doch dazu muss es möglich sein, sich seinem Umfeld zu öffnen. Freunde und Familienangehörige zu Mitwissern zu machen, die mithelfen, gefährliche Situationen zu vermeiden. Denn gerade in der direkten Umgebung, im Freundeskreis und in der Familie, wo man sich gegenseitig vertraut, lauern Gefahren, weiß Stephanie Thiel: O-Ton Stephanie Thiel: Was beispielsweise eine typische Situation ist: Jemand ist alleine mit einem Kind oder ein Kind kommt zum Kuscheln, weil der Onkel ist da. Klettert ihm auf den Schoß und sitzt da. Derjenige merkt, er bekommt eine Erektion. Und dann ist es naheliegend: Das Kind sitzt da vertrauensvoll und dann die Hand scheinbar zufällig auf den Oberschenkel zu legen und das dann weiter fortzuführen. Gerade die Situationen von Unbeobachtetsein sind doch sehr gefährlich. Deswegen arbeiten wir daran, dass diejenigen, wenn das irgendwie möglich ist, Personen im privaten Umfeld ansprechen. Ob das die Partnerin ist, ob das die Eltern sind, ob das gute Freunde sind, damit die jemanden haben, der weiß, dass sie mit dem Problem zu kämpfen haben. Damit sie auch mal jemanden haben, den sie anrufen können und sagen können: „Können wir ins Kino gehen, weil…“ Seite 16 von 29 Sprecherin: Die Erkenntnis: Alleinsein schafft Gelegenheiten. Doch genau hier liegt das Dilemma. Menschen mit Pädophilie sind oft sozial schlecht eingebunden, viele sind allein und leben zurückgezogen. Denn sobald sie jemandem von ihrer Veranlagung berichten, sich öffnen, müssen sie damit rechnen, abgelehnt und ausgegrenzt zu werden. Pädophilie wirkt stark stigmatisierend. Wie stark, das hat die Psychologin Sara Jahnke an der Uni Dresden erforscht und ihre Doktorarbeit über die Stigmatisierung von Pädophilen geschrieben. Dazu hat sie mehrere Versuchsgruppen über ihre Einstellungen zu Pädophilen befragt. O-Ton Sara Jahnke: Wir haben herausgefunden, dass es eine deutlich geringe Bereitschaft gibt, mit solchen Leuten Freundschaften zu schließen oder sie als Kollegen zu akzeptieren. Diese Vorbehalte sind selbst dann vorhanden, wenn kein kriminelles Verhalten vorlag. Wenn wirklich gesagt wurde, diese Person hat noch nie eine Straftat begangen. Was darauf hindeutet, dass sie von der Mehrheit der Bevölkerung als tickende Zeitbomben gesehen werden. Besonders erschreckend war, dass 14 Prozent in unserer Stichprobe sogar zugestimmt hätten, dass Menschen, die ein sexuelles Interesse an Kindern haben, besser tot seien. Und 39 Prozent sie sogar präventiv einsperren wollten. Alles obwohl keine Straftat vorlag. Pädophile werden weit stärker abgelehnt als Menschen mit sadistischen oder antisozialen Persönlichkeitszügen. Seite 17 von 29 Sprecherin: Pädophile stehen in der öffentlichen Wahrnehmung ganz unten. Eine weitere Untersuchung von Sara Jahnke hat ergeben, dass pädophilen Menschen das sehr bewusst ist. Für eine Onlinebefragung hat sie in Internet-Foren die Einschätzung der Betroffenen erfragt. Dabei kam raus, dass die Befragten die Ablehnung der Öffentlichkeit erwartet hatten, sie sogar teilweise noch härter einschätzten, als sie tatsächlich ist. Evtl. OT Dort hatten die allermeisten befürchtet, dass die Mehrheit der Deutschen sie am liebsten tot sehen würde, sie einsperren würde. Obwohl diese Reaktion immer noch erschreckend häufig vorkommt, aber doch nur von einer Minderheit vertreten wird. Es zeigte sich dann auch eine hohe Angst vor einer Entdeckung der pädophilen Interessen durch Dritte. So dass 50 Prozent angaben, dass sie schon allgemeine Gespräche über Pädophilie vermeiden, aus Angst davor, dass man sich verrät und dann die Konsequenzen tragen zu müssen, dass zum Beispiel Freundschaften beendet werden oder der Arbeitsplatz gefährdet ist. Sprecherin: Das hat nach Ansicht von Sara Jahnke drastische, nämlich contra-produktive Folgen: Seite 18 von 29 O-Ton Sara Jahnke: Es kommt ja niemand als Täter zur Welt. In der Regel stellen Menschen in der Pubertät fest, welche sexuelle Orientierung, welche Interessen bei ihnen vorliegen oder sich bei ihnen entwickeln. Da gibt es eben einen kleinen Prozentsatz von Menschen, der an Kindern interessiert ist. Das hat sich niemand ausgesucht, daran ist niemand Schuld, das ist einfach vorhanden. Die Frage ist, wie gehen die Menschen dann mit dieser Veranlagung um. Man kann sich vorstellen, wenn die erste Google-Suche nur Ergebnisse findet wie Pädophile sind Monster und Pädophile zerstören Kinderseelen. Da kann man sich vorstellen, dass es sehr schwierig wird, sich mit dem Thema verantwortungsvoll auseinander zu setzen und Wege zu finden, wie man es vermeidet, zum Täter zu werden. Es gibt wahrscheinlich erstmal keine Ansprechpartner, sie sind einfach nur mit diesem starken Stigma konfrontiert. Das setzt sich dann wahrscheinlich im weiteren Verlauf des Lebens vor. Je stärker man Menschen mit Pädophilie an den Rand der Gesellschaft drängt, umso schwieriger ist es, sie mit Präventionsangeboten zu erreichen. Sprecherin: Die starke Stigmatisierung von Menschen mit Pädophilie führt also dazu, dass die Suche und Annahme von Hilfeleistungen eher vereitelt als begünstigt wird. Aber lässt sich die öffentliche Wahrnehmung oder die Haltung Einzelner zu Pädophilen beeinflussen und verändern? Sara Jahnke hat den Versuch unternommen und mit einer Gruppe von Psychotherapeuten in Ausbildung eine Anti-StigmaIntervention unternommen. Sie wollte herausfinden, ob es möglich ist, die ablehnende Haltung einer Gruppe gegenüber Pädophilen zu beeinflussen. Seite 19 von 29 O-Ton Sara Jahnke: Anti-stigma-Intervention: Das lief folgendermaßen ab: Die Teilnehmer hatten eine Kurzintervention erhalten, die bestand aus Information, wo wir typische Mythen und Vorurteile aufgegriffen haben. Zum Beispiel: Wer eine sexuelles Interesse an Kindern hat wird zum Straftäter. Da haben wir gezeigt, dass es sehr viele Gegenbeispiele gibt. Oder dass es eine Therapie nicht bringt, dass Pädophile nicht motiviert sind. Das haben wir aufgegriffen und GegenInformation aufgelistet. Und was auch sehr wichtig war, dass wir Ausschnitte aus einem Dokumentarfilm hatten, der hieß Outing. Da berichtet ein junger Mann, der Pädophilie hat, über seinen Umgang mit diesen Neigungen. Und die Probleme, die er hatte. Insgesamt dauerte die Intervention 10 Minuten, wurde online durchgeführt und wurde gut aufgenommen. Sprecherin: Der Versuch hat ergeben: Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe haben die Teilnehmer weniger negative Einstellung gegenüber Pädophilen gehabt. Diese Effekte waren auch einige Wochen noch messbar, waren also einigermaßen stabil. Das heißt: Es funktioniert zumindest für eine Weile, die Vorbehalte gegenüber Pädophilen zu reduzieren. Allerdings: O-Ton Sara Jahnke: Was ein bisschen schade war, dass diese Intervention keine Auswirkung auf die Bereitschaft der Psychotherapeuten in Ausbildung hatte, Betroffene zu behandeln. Obwohl sich die Haltung verbessert hat, konnten wir nicht mehr Leute dazu bringen zu sagen, das probieren wir mal aus Seite 20 von 29 und das trauen wir uns zu. Da gibt es noch Forschungsbedarf, herauszufinden, was Therapeuten davon abhält, Therapie für solche Patientengruppen anzubieten. Also scheinbar lässt sich das nicht nur durch Stigma erklären. Atmo Schritte Sprecherin: Wechsel an einen Ort, an dem es überhaupt keine Scheu gibt, mit Pädophilen zu sprechen: Ins Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Charité in Berlin. Lange Gänge führen durch das Gebäude. Der Arzt und wissenschaftliche Mitarbeiter Till Amelung arbeitet für den Forschungsverbund NeMUP, kurz für: Neurobiologische Grundlagen von Pädophilie und sexuellem Missbrauchsverhalten gegen Kinder. NeMUP wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung zunächst für drei Jahre gefördert und untersucht Mechanismen, die einerseits sexuellem Kindesmissbrauch und andererseits pädophiler Sexualpräferenz zu Grunde liegen können. Es ist ein weltweit einmaliges Projekt: OT Amelung 1 Einmalig an dem Projekt ist, dass wir – zur Aufklärung der neurobiologischen Grundlagen von Pädophilie und sexuellem Kindesmissbrauch erstmals überhaupt in der Forschung pädophile Männer, die Kindesmissbrauch begangen haben vergleichen können mit Pädophilen, die keinen sexuellen Kindesmissbrauch begangen haben. Das Seite 21 von 29 ermöglicht in der Forschung erstmals zu spezifizieren, welche Besonderheiten machen die Pädophilie an sich aus und welche sind eher mit dem Tatverhalten verknüpft. (0’30) Sprecherin: Die Hauptfrage, die sich die Forscher gestellt haben: Wie kommt es, dass Männer sexuellen Kindesmissbrauch begehen? Und welche Rolle spielt dabei die pädophile Veranlagung? Denn klar ist, dass etwa die Hälfte der Männer, die wegen sexuellen Kindesmissbrauchs verurteilt wurden, pädophil ist. Das heißt, sie sind ausschließlich oder überwiegend durch vorpubertäre Kinderkörper sexuell erregbar. Die andere Hälfte der verurteilten Männer ist nicht pädophil. Diese Täter sind eigentlich sexuell auf erwachsene Sexualpartner ausgerichtet, haben aber trotzdem Kinder missbraucht. Gleichzeitig ist bekannt, dass viele pädophile Männer niemals übergriffig werden. Was also bewirkt, dass es zum Missbrauch kommt? Um Antworten auf diese Frage zu finden, haben die Forscher vom Forschungsverbund NeMUP vier Gruppen zusammengestellt, bestehend aus jeweils 60 Männern. Seite 22 von 29 OT Gruppen Die eine Gruppe sind normal gesunde Kontrollen, also Männer von der Straße, die weder pädophil sind noch sexuellen Kindesmissbrauch begangen haben. Dann untersuchen wir zwei Gruppen von pädophilen Männern. Eine Gruppe von pädophilen Männern, die keinen sexuellen Kindesmissbrauch begangen haben und in einer vierten Gruppe untersuchen wir teleiophile Männer – also Männer, die auf das erwachsene Körperschema ausgerichtet sind – die Kindesmissbrauch begangen haben. (0’29) Sprecherin: Wobei die Schwierigkeit allein schon darin bestand, die Probanden für die Gruppen zu finden. Teilweise stammen sie aus dem Präventions-Netzwerk „Kein Täter werden“, teilweise wurden sie in Internetforen angesprochen. Bei einem anderen Teil handelt es sich um verurteilte Sexualstraftäter. Doch wer von ihnen erfüllt die diagnostischen Kriterien einer Pädophilie und wer nicht? Sexualstraftäter bekennen sich nur ungern zu einer vorliegenden pädophilen Neigung. Doch dieses Wissen ist wichtig, zum einen, was die mögliche Behandlung des Sexualstraftäters angeht. Aber auch wegen dessen Risiko, zum Wiederholungstäter zu werden: Seite 23 von 29 OT Strafvollzug: Also ein Pädophiler, der sexuellen Kindesmissbrauch begangen hat, hat erstmal eher eine schlechtere Prognose, was seine Rückfälligkeit angeht, als ein nicht-pädophiler Mann. So dass Männer im Strafvollzug dazu neigen, eine Pädophilie zu verbergen, weil es die Haftzeit verlängern und Auflagen erhöhen kann. (0’22) Sprecherin: Ganz entscheidend war, pädophile Nicht-Täter in die Forschung aufzunehmen. Zu ihnen liegen bislang zu wenige Erkenntnisse vor. Denn Beobachtungen aus der forensischen Forschung, also der an verurteilten Straftätern, wurden auf Pädophile insgesamt angewendet. Doch wann liegt eine Pädophilie vor? Die Diagnose ist nicht so einfach, unter anderem weil es unterschiedliche DiagnoseSysteme gibt. Für die Forscher von NeMUP gelten internationale Diagnosekriterien: OT Diagnose: Das zentrale Kriterium, das wir ansetzen zur Diagnose einer Pädophilie oder Nicht-Pädophilie sind sexuelle Phantasien, die als ausreichend sexuell erregend beschrieben werden, um einen Orgasmus zu erleben. Die Mitarbeiter in dem Projekt sind entsprechend geschult und erfragen diese Wünsche im Rahmen eines Interviews. (0’24) Seite 24 von 29 Sprecherin: Vom ganz normalen sexuellen Verhalten bis hin zum Missbrauch, ob aus pädophiler Neigung oder nicht Aufschlüsse soll unter anderem auch ein 16seitiger Fragebogen bringen: Wie war die kindliche Entwicklung, gab es beispielsweise Verzögerungen beim Laufenlernen, Kopf-Verletzungen oder Traumata? Auch nach Zwangsstörungen wird gefragt: OT Zwangsstörung: Wie die Männer Symptome einer Pädophilie präsentieren, hat das häufig Ähnlichkeit mit einer Zwangsstörung. Dass sie berichten, sie nutzen solche Phantasien zum Abbau von Spannungen; das ist so was, was auch für Zwangsstörungen typisch ist, dass ritualisierte Verhaltensweisen zum Abbau innerer Spannungen verwendet werden. Und dass die Kontrolle über das Verhalten ausgesprochen schwer fällt. Dass die sexuellen Phantasien bei der Pädophilie immer wieder auftreten, obwohl sie als unangenehm empfunden werden. Sie sind sexuell erregend, werden aber eigentlich innerlich abgelehnt. Und es gibt eine Untersuchung, die nahelegt, dass ähnliche Hirnareale angeregt werden, wie bei einer Zwangsstörung. (0‘48) Seite 25 von 29 Sprecherin: Und nicht zuletzt wird natürlich auch nach dem Sexualverhalten gefragt: Gab es sexuelle Straftaten gegen Kinder, wie oft und wie häufig waren die Übergriffe und gibt es dazu eine Aktenlage? Neben der Erfassung dieser und anderer Fragen blicken die Forscher den Probanden auch ins Hirn – mit Hilfe von MRTUntersuchungen. Denn aus der Forschung an verurteilten Sexualstraftätern gibt es bereits einige Hinweise, dass es nicht nur psychologische Auffälligkeiten gibt, sondern auch biologische. Die Forscher von Nemup untersuchen daher Hirnfunktion und Hirnstruktur. Dazu gibt es ein erstes Ergebnis: Pädophile Männer haben ein verändertes Volumen des Mandelkerns. OT Mandelkern: Der Mandelkern ist ein Kerngebiet im Gehirn, der mit Verarbeitung von Emotionen und der Interpretation von emotionalen Informationen zusammenhängt; Der direkte Zusammenhang mit einer sexuellen Ausrichtung ist dabei ausgesprochen unklar. Warum es im Bereich dieses Kerngebiets zu Veränderungen kommt, die dann sich in einer sexuellen Ansprechbarkeit für Kinder manifestiert. Es ist aber bisher der deutlichste, der einzige wirklich zuverlässige Befund, den wir haben. Heißt: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch ein verändertes Volumen des Mandelkerns hat wächst mit dem Vorliegen einer Pädophilie. Es heißt aber nicht, dass man anhand des veränderten Volumens eine Diagnose treffen könnte. (0’55) Seite 26 von 29 Sprecherin: Untersucht wird außerdem die Hirnfunktion. Dabei wird im MRT unter anderem beobachtet, wie das Gehirn reagiert, wenn sich ein Mann Nacktbilder von Erwachsenen und Kindern ansieht. Till Amelung erklärt das Verfahren und zeigt die Fotos auf dem Computer: OT: Das sind hier zum Beispiel die Bilder, da werden also Nacktbilder von Erwachsenen und Kindern gezeigt. Aufgezeichnet wird die Hirnreaktion auf diese Bilder, also wie werden diese Bilder im Hirn verarbeitet. Die sind zum Teil in sexuell aufreizender Pose fotografiert und das sind Nacktbilder auch von Kindern. Wir unterscheiden nochmal die pubertierenden Kinder und die vorpubertären Kinder in ihren Stimuli. Gibt auch die weibliche Seite davon, Mädchen vor der Pubertät, pubertierende Mädchen. Wir haben also sowohl Frauen als auch Männer, Jungs als auch Mädchen vor der Pubertät und in der Pubertät. (0’58) Sprecherin: Bei den Untersuchungen hat sich gezeigt: Pädophile und nichtpädophile Männer lassen sich anhand der Hirnfunktion klar unterscheiden. Denn das Aktivierungsmuster im Hirn ist bei beiden praktisch identisch, die sexuellen Reize werden gleich verarbeitet, aber die Reize sind eben ganz unterschiedliche. Die einen reagieren auf das kindliche, die anderen auf das erwachsene Körper-Schema. Seite 27 von 29 Dies ist bislang eines der konkretesten Forschungsergebnisse von NeMUP. Es könnte dazu verwendet werden, eine Pädophilie zu diagnostizieren. Doch Till Amelung bremst hier: OT Bei solchen Diagnoseinstrumenten muss man immer vorsichtig sein, dass man nicht jemanden fehldiagnostiziert, sowohl in die eine wie in die andere Richtung. Sagt man jemandem, er hat eine bestimmte Krankheit, der sie gar nicht hat oder sagt man jemandem, der eine Krankheit hat, er hat sie nicht… (0’15) Sprecherin: Doch zur Untermauerung einer Diagnose wäre diese Methode zumindest einsetzbar. Ansonsten ist aber klar: Es gibt viele Anhaltspunkte und einige Hypothesen, doch insgesamt stehen die Forscher bei der Beantwortung der Frage, wie sich eine Pädophilie entwickelt und warum es überhaupt zum Missbrauch kommt, immer noch ziemlich am Anfang. OT NeMUP ist wirklich ein erster Schritt überhaupt in der Forschung. Was wir mit Nemup liefern können, sind Modelle zur Entwicklung von sexuellem Kindesmissbrauch und zur Entwicklung von Pädophilie, die in weiteren Studien einer weiteren Überprüfung bedürfen. (0’21) Seite 28 von 29 Sprecherin: Till Amelung wünscht sich, dass das NeMUP-Projekt, weiterlaufen kann, was aber auch bedeutet, dass es weitere Forschungsgelder geben müsste. Die Erkenntnisse aus der Forschung sollen helfen, Therapieformen für Pädophile zu entwickeln bzw. zu verbessern. Genau wie für nicht-pädophile Sexualstraftäter. Davon würde wiederum das Präventionsprojekt „Kein Täter werden“ in Gießen profitieren. Auch für dieses Projekt läuft die Suche nach neuen Geldgebern. Die Finanzierung steht bis Dezember 2015. Die Therapeutin Stephanie Thiel hofft, dass das Projekt weitergeführt werden kann. Sie sieht Bedarf an weiteren Therapiegruppen und außerdem will sie den Männern, die ihre Therapie beendet haben, noch eine Nachsorge und weitere Betreuung anbieten können. Das ist der eine Wunsch. Der andere richtet sich an uns alle. Dass wir es schaffen, Vorurteile zu überwinden. Dass wir pädophile Menschen nicht wegen ihrer Veranlagung verurteilen, sondern nur wegen ihrer Taten. Dass die Erkenntnis reift, dass diejenigen, die verantwortlich mit ihrer Veranlagung umgehen, unsere Unterstützung verdient haben. Und dass es den Betroffenen umso leichter fällt, Hilfsangebote wahrzunehmen, je weniger sie sich verstecken müssen. Seite 29 von 29 OT Wünschenswert wäre… dass jemand ganz offen sagen kann, wenn der Nachbar klingelt und fragt: Können Sie mal auf die Kinder aufpassen, ich müsste mal zu einer Veranstaltung. Wer stellt sich denn da hin und sagt: Tut mir leid, ich kann ihre Kinder nicht übernehmen, ich bin pädophil. Wer würde das sagen? Es ist noch verträglicher, auf einer Betriebsfeier zu sagen, ich will nicht mit Euch mit Alkohol anstoßen, denn ich bin trockener Alkoholiker. Das ist akzeptabel. Aber man kann nicht sagen, ich bin pädophil. Natürlich wäre es wünschenswert, dass die Menschen damit offen umgehen können. Aber das ist leider nicht Realität.