Sammelrez: Jüdische Musiker im Dritten Reich - H-Net

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Hannes Heer, Jürgen Kesting, Peter Schmidt. Verstummte Stimmen: Die Vertreibung der ”Judenäus der Oper 1933 bis 1945. Berlin: Metropol Verlag, 2008. 124 S. ISBN 978-3-938690-98-7.
Kay Weniger. Zwischen Bühne und Baracke: Lexikon der verfolgten Theater-, Film- und Musikkünstler 1933-1945. Berlin: Metropol Verlag, 2008. 448 S. ISBN 978-3-938690-10-9.
Reviewed by Juliane Brauer
Published on H-Soz-u-Kult (September, 2008)
Sammelrez: Jüdische Musiker im Dritten Reich
Bereits 1850 formulierte der Opernkomponist Richard Wagner in einem Pamphlet: Denn über Eines bin
”
ich mir klar: So, wie der Einfluss, den die Juden auf unser geistiges Leben gewonnen haben und wie er sich in
der Ablenkung und Fälschung unserer höchsten Kulturtendenzen kundgibt, […] so muss er auch als unleugbar
und entscheidend anerkannt werden. Ob der Verfall unserer Kultur durch eine gewaltsame Auswerfung des zersetzenden fremden Elementes aufgehalten werden könne, vermag ich nicht zu beurteilen, weil hierzu Kräfte gehören müßten, deren Vorhandensein mir unbekannt ist.“
Wagner, Richard, Das Judenthum in der Musik, in: Neue
Zeitschrift für Musik, 8. und 9. September 1950. Zitat aus:
Fischer, Jens Malte, Richard Wagners Das Judenthum in
’
der Musik‘, Frankfurt am Main 2000, hier. S. 195f.
ternwirtschaft“ und nicht eigenen Leistungen. Koeltzsch,
Hans, Das Judentum in der Musik, in: Fritsch, Theodor
Hrsg.), Handbuch der Judenfrage, Leipzig 1933, S. 324–
334, hier S. 316f. Ein Resultat dieser Propaganda waren
Lexika, die vorderhand nur der Notwendigkeit“ nachka”
men, die Beteiligung des Judentums am Musikleben sei”
ner Wirtsvölker zu registrieren“. Brückner, Hans; Rock,
Christa Maria (Hrsg.), Judentum und Musik mit dem ABC
jüdischer und nichtarischer Musikbeflissener, München
1936, hier S. 20. Siehe auch Stengel, Theo; Gerigk, Herbert, Lexikon der Juden in der Musik, mit einem Titelverzeichnis jüdischer Werke, Berlin 1940. (Faksimile abgedruckt in: Weissweiler, Eva, Ausgemerzt! Das Lexikon
der Juden in der Musik und seine mörderischen Folgen;
Freiburg 1999, S.181-374.) . Diese ermöglichten im Wesentlichen ohne aufwendige Nachforschungen den raschen Ausschluss der deutschen Juden aus dem öffentlichen Kulturleben nach 1933.
Über 80 Jahre später waren die politischen Kräfte
stark genug, um die als störend empfundenen jüdischen
Künstler und Musiker auszugrenzen und sie zu vernichten. Getragen wurde die Politik der Ausgrenzung und
Verfolgung von gesellschaftlich etablierten antisemitischen Vorurteilen, die von der deutschen nichtjüdischen
geistigen Elite pseudowissenschaftlich untermauert wurde. Die Austreibung jüdischer Musiker sei die fleißige
”
Arbeit deutscher Musikforscher“ gewesen, so die wichtigste und für die Zunft erschreckende Erkenntnis von
Fred K. Prieberg, Musik im NS-Staat. 2. Aufl. Frankfurt am Main 1989, S. 47. Jüdische Künstler verdankten ihre Karrieren – so der Topos – der jüdischen Vet”
Die Rekonstruktion der verworrenen und oft abrupt
endenden Lebenswege der verfolgten und vertriebenen
Künstler und Musiker in der Zeit des Nationalsozialismus ist heute mangels Quellen ein schwieriges Unterfangen. Dennoch gab es bereits regionale aber auch enzyklopädische Projekte, die sich dieser Aufgabe stellten.
Wenig wahrgenommene regionalhistorische Dokumentationen jüdischer Musiker in Begleitung von Ausstellungen gab es bisher für Frankfurt am Main und Dresden,
vgl.: Zwischen Ausgrenzung und Vernichtung. Jüdische
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Musikerinnen und Musiker in Leipzig und Frankfurt am
Main 1933-1945. Begleitheft zur gleichlautenden Ausstellung der Friedrich-Ebert-Stiftung, Leipzig 1996; Schindler, Agata, Aktenzeichen unerwünscht“. Dresdner Mu”
sikerschicksale und nationalsozialistische Judenverfolgung, Dresden 1999. Zu deutschsprachigen Theaterkünstlern siehe: Trapp, Frithjof, Handbuch des deutschsprachigen Exiltheaters 1933-1945 in drei Bänden, München 1999. Siehe auch das im Aufbau befindliche digitale “Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der
NS-Zeit”: <http://www.LexM.uni-hamburg.de>. Die
beiden im Metropol Verlag herausgegeben Bände Zwi”
schen Bühne und Baracke“ sowie Verstummte Stim”
mern“ widmen sich ebenso bekannten und unbekannten
Künstlern, deren Karrieren im Dritten Reich gewaltsam
unterbrochen wurden. Im Ausstellungsband Verstumm”
te Stimmen“ von Hannes Heer, Jürgen Kesting und Peter Schmidt sind sowohl die Biografien prominenter jüdischer Operndarsteller versammelt als auch Kurzbiografien von Ensemblemitgliedern der Berliner Opernhäuser
aufgenommen. Das Lexikon des Journalisten und studierten Kunsthistorikers Kay Weniger hingegen stellt sich
der weit weniger definierten Aufgabe, verfolgte Theater, Film- und Musikkünstler zu erfassen. Beide Bände demonstrieren in ihrem Anspruch und ihrer Umsetzung
Möglichkeiten und Grenzen biografischer Dokumentationen über 60 Jahre nach Beendigung des Krieges.
zurückzuführen ist, dass es keine klar definierten Kriterien für die – am Anspruch gemessene, kleine – Auswahl
der Künstler gibt, für die sich der Autor entschied. Ein
Überblick über die Biografien verrät jedoch rasch einen
implizierten Schwerpunkt der Auswahl. Weniger kümmert sich vor allem um die Künstler des deutschsprachigen Raumes, die dem Filmgeschäft verbunden waren.
So findet sich im Anschluss an die biografischen Artikel eine zuweilen ausführliche Liste der Filme, an denen
der Dargestellte in irgendeiner Form mitwirkte, sei es
als Produzent, Regisseur, Schauspieler, Drehbuchautor,
Kostümbildner, Kritiker oder auch Bühnenmanager“ (S.
”
312). Insofern bleibt Weniger inhaltlich seinem vorherigen Enzyklopädie-Projekt verbunden. Weniger, Kay,
Das große Personenlexikon des Films. Die Schauspieler, Regisseure, Kameraleute, Produzenten, Komponisten,
Drehbuchautoren, Filmarchitekten, Ausstatter, Kostümbildner, Cutter, Tontechniker, Maskenbildner und Special Effects Designer des 20. Jahrhunderts. 8 Bde., Berlin
2001.
Der Titel ( Zwischen Bühne und Baracke“) sowie das
”
Titelbild (eine typische Baracke in einem Konzentrationslager) suggerieren darüber hinaus eine thematische
Gewichtung, dem das Lexikon in keiner Weise gerecht
wird. Die porträtierten Lebenswege sind auch deshalb interessant, weil sie das komplette Spektrum biografischer
Brüche in der Zeit des Nationalsozialismus abdecken. Die
Biografien verweisen jedoch in ihrer Minderheit auf die
”
Baracke“, die synonym für die Inhaftierung der Verfolgten steht. Vielmehr wird deutlich, dass der Ausweg für
die meisten Künstler in der Flucht und dem Exil lag.
Kay Wenigers Lexikon Zwischen Bühne und Bara”
cke. Lexikon der verfolgten Theater-, Film und Musikkünstler“ gibt schon im Titel Versprechungen, denen ein
450-Seiten Buch kaum gerecht werden kann. Auch im
Vorwort wird der enzyklopädische Anspruch wiederholt,
Künstler von Bühne, Leinwand, Fernsehen und Musik
”
[zu erfassen], die zwischen dem 30. Januar 1933 und dem
8. Mai 1945 im Deutschen Reich sowie in den von NaziDeutschland eroberten bzw. okkupierten Gebieten unter nationalsozialistischen Gewalt- und Terrormaßnahmen zu leiden hatten“ (Vorwort, S. 9). Der Band ist in
drei ungleiche Teile gegliedert. Der erste Teil mit dem
Titel Gefeiert – geächtet – ermordet“ nimmt dabei mit
”
knapp 350 Seiten den weitaus größten Umfang des Buches ein. Der zweite Teil NS-Opfer kurz belichtet“ liest
”
sich wie ein Sammelsurium der Künstler, die zum Teil
bekannt waren und daher nicht fehlen dürfen, zu denen jedoch nur wenige Informationen zusammengetragen wurden. Der kürzeste dritte Teil beschäftigt sich mit
acht Biografien von nicht im klassischen Sinne Opfern
”
der NS-Herrschaft“ (S. 423) sowie einem Täter“. Wie die
”
Aufteilung bereits verdeutlicht, liegt das größte Manko
des Lexikons in der begrifflichen Unschärfe, die darauf
Weiterhin hätte der Band als Handbuch erheblich an
wissenschaftlichem Wert gewonnen, wenn den Kurzbiografien Hinweise zu den Quellen beigefügt gewesen wären. Dass der Autor in zahlreichen Archiven, auch denen größerer Gedenkstätten an Orten ehemaliger Konzentrationslager, recherchierte, wird aus einer dem Anhang beigefügten Liste deutlich und lässt sich auch an detailreichen Biografien wie etwa die des niederländischen
Schauspielers Fritz Hirsch erkennen. Gewöhnungsbedürftig ist auch die am Journalismus orientiert Sprache.
So wird Friedrich Joloff als hagerer hochgewachsener
”
deutscher Charakterschauspieler“ vorgestellt, der zwie”
lichtige Gestalten und Edelschurken“ (S. 195) verkörpert
habe. Robert Clary wird als Schauspieler mit respek”
tabler Karriere im US-Showbiz“ (S. 81) charakterisiert.
Während dieser Stil nicht Jedermanns Geschmack treffen dürfte, sind wiederholte Klassifizierungen wie NS”
Schergen“, braune Häscher“, Nazi-Verächter“, brau”
”
”
ne Schlägertrupps“ distanzlos und vermeidbar. Ungenaue
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und undifferenzierte Phrasen, wie: Er wurde mit einem
”
Bann belegt“ (S. 199), er wurde als Jude von den Nazis
”
kaltgestellt“ (S. 262) oder auch er überstand die zwei”
te Kriegshälfte leidlich unbeschadet als Zwangsarbeiter“
(S. 15) lassen hingegen die einem Lexikon eigene Wissenschaftlichkeit vermissen.
in dem kurz, anschaulich und informativ der Kampf um
die Berliner Staatsoper, die Musikpolitik des Dritten Reiches sowie antisemitische Stereotypen gegenüber jüdischen Musikern dargestellt werden. Im zweiten und dritten biografischen Teil tritt der regionale Bezug besonders
deutlich hervor. Hier wird auch an unbekannte verfolgte Ensemblemitglieder der Berliner Staatsoper Unter den
Wohltuend dagegen wirken die klare Auswahl und
Linden und der Kroll-Oper erinnert, an Solisten aus der
die sprachliche Zurückhaltung im Ausstellungsband von zweiten Reihe, an Kapellmeister sowie an Mitglieder von
Heer, Kesting und Schmidt. Die erstmals 2006 in Ham- Chor und Orchester.
burg gezeigte Wanderausstellung Verstummte Stim”
men“ widmete sich der Verfolgung jüdischer EnsembleAber auch bei diesem Band fällt, wie bereits im Lemitglieder in deutschen Opernhäusern. Seit Mai 2008 xikon Kay Wenigers auf, dass zwar ein breites Spektrum
wird die Ausstellung in der Berliner Staatsoper Unter den jüdischer Lebenswege aufgezeigt wird, die Mehrzahl aber
Linden und im Zentrum Judaicum gezeigt. Dem Ortsbe- auf Flucht und Exil verweist. Lebenswege, die in den
zug ist auch der Aufbau der Ausstellung und dementspre- Konzentrations- und Vernichtungslagern endeten, sind
chend des Ausstellungsbandes geschuldet. Nach den Ge- in diesen biografischen Dokumentationen die Ausnahme.
leitworten zu den Ausstellungseröffnungen in Hamburg Das mag der Tatsache geschuldet sein, dass sich in dieund Berlin werden 44 prominente Komponisten, Dirigen- sen Fällen die Recherche weitaus schwieriger gestaltet.
ten, Regisseure, Sängerinnen und Sänger porträtiert. Die Im Falle des Ausstellungskataloges jedoch verspricht der
Kurzbiografien sind sorgfältig recherchiert, ergehen sich Untertitel Vertreibung der Juden‘ aus der Oper“ nicht
”
’
nicht in Vermutungen und unterstreichen anhand von Zi- zu viel.
taten aus zeitgenössischen Zeitungen und Zeitschriften
Beide Bände können verdeutlichen, wie unwiderrufdie künstlerische Bedeutung der Porträtierten. Damit illich
die rassistisch motivierte Kulturpolitik des Dritten
lustrieren die Autoren umso eindrücklicher den Verlust,
Reiches
Künstlerkarrieren in unterschiedlich schreckliden das deutsche Musikleben durch die nationalsozialischem Ausmaße beendete. Darüber hinaus wird klar, wie
tische Verfolgungspolitik erlitt. Eine Besonderheit dieschwierig es ist, die Biografien der vertriebenen jüdises Teils sind kurze Verweise auf jüdische Musiker und
Musikerinnen mit deren Lebensdaten und Hinweisen im schen Künstler zu rekonstruieren, ist doch oftmals von
unteren Abschnitt der Seiten. Dieses Sammelsurium ver- ihnen nicht mehr bekannt als die Deportation in ein Ladeutlicht auch optisch eindrücklich, dass es sich bei den ger oder die Flucht in ein unbekanntes Land. Die Aufgaausführlich Porträtierten nur um eine kleine Auswahl be der historischen Forschung wird es weiterhin bleiben,
den vielen namenlosen verfolgten Künstlern ihre Biograder zahlreichen bekannten und weniger bekannten jüdifie zurückzugeben. Dabei wäre es eine Herausforderung,
schen Musikerinnen und Musiker handeln kann.
noch intensiver in den Archiven an Orten ehemaliger
Diesem biografischen folgt ein geschichtlicher Teil, Konzentrations- und Vernichtungslager zu suchen.
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Citation: Juliane Brauer. Review of Heer, Hannes; Kesting, Jürgen; Schmidt, Peter, Verstummte Stimmen: Die Vertreibung der ”Judenäus der Oper 1933 bis 1945 and Weniger, Kay, Zwischen Bühne und Baracke: Lexikon der verfolgten
Theater-, Film- und Musikkünstler 1933-1945. H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews. September, 2008.
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