International Visitor Leadership Program – 27.7.-8.8.09 Politische Bilanz einer Reise von Dr. phil. Florian Roth, Stadtrat München für DIE GRÜNEN, http://www.florian-roth.com, 1 International Visitor Leadership Program (Internationales Besucherprogramm des US-Außenministeriums) Politische Bilanz einer Reise zu Integration und Diversity Management (27.7.-8.8.09): - Washington D.C. , Seattle, New Orleans, Cleveland von Dr. Florian Roth (ehrenamtlicher Stadtrat, GRÜNE, Landeshauptstadt München) Zwei Wochen lang durfte eine von der US-Botschaft in Deutschland ausgewählte siebenköpfige Gruppe die USA besuchen und ein intensives Programm zum Thema „Integration and the Management of Diversity with a Special Focus on Youth Work“ absolvieren. Ein Polizist aus Kiel, eine in alevitischen Organisationen engagierte Frau aus Duisburg, eine in der Präventionsarbeit aktive Polizeibeamtin aus Berlin, ein grünes Mitglied des Berliner Abgeordnetenhaus (alle vier aus der Türkei stammend) sowie eine NDRHörfunkjournalistin, ein Münchner Journalist und ich als Münchner Stadtrat mit dem Schwerpunkt Bildung und Migration bildeten das vielfältig zusammengesetzte Reiseteam, das von Washington D.C. über Seattle (Washington) nach New Orleans (Louisiana) und schließlich nach Cleveland (Ohio) quer durch die USA reiste (was – incl. An- und Rückreise – meine persönliche CO2-Bilanz für dies Jahr extrem belastete; kostete mich bei Atmosfair 168 €). An dieser Stelle möchte ich meine politischen Eindrücke dieser Reise aus meiner sehr subjektiven Sicht in Ausschnitten darstellen (die vielen Impressionen von den besuchten Städten und ihren Menschen kann ich an dieser Stelle nicht wiedergeben). Die Fülle des Programm kann dieser stichwortartige Bericht jedoch sicher nicht widerspiegeln. Erste Station: Washington, D.C. Schon im Flugzeug zeigte sich die USA kulturell und religiös sensibel – es gab nicht nur ein „Muslim Meal“ zur Auswahl, sondern auch spezielle Kost für Hindus. An der Einreisekontrolle in Washington D.C. dann die erwartet angespannte Atmosphäre strenger Sicherheitsvorschriften. Als ich naiver Weise das Schild „Welcome in the USA“ fotografierte, musste ich das Bild vor den Augen des Beamten von meiner Kamera löschen. Eine aus unserer Gruppe musste, da sie auf die Frage, ob sie Lebensmittel einführe, die im Flugzeug erworbene Banane angab, zur Agriculture-Abteilung. Bei den einführenden Vorträgen stach dann ein Referat über die politische Kultur der USA hervor (mit großer Begeisterung gehalten von einem mit 17 Jahren aus dem vom Bürgerkrieg gequälten Libanon in die USA gekommenen Einwanderer) – von dem ich mehr lernte als in vielen der USA gewidmeten Stunden meines Politologiestudiums. Hier einige Stichworte: • Nicht die Familie oder die Gruppe, sondern das Individuum im Mittelpunkt; • Politik als in Vereinigungen (gibt 6 Mio. NGOs) organisierte Interessenvertretung der Individuen gegenüber dem Parlament; • Abgeordnete nicht als mit großem Vertrauen ausgestattete Repräsentanten, sondern als Ausführende der Interessen und Forderungen der sie unterstützenden Bürger; • große föderale und kommunale Eigenständigkeit gegenüber der föderalen Ebene: International Visitor Leadership Program – 27.7.-8.8.09 Politische Bilanz einer Reise von Dr. phil. Florian Roth, Stadtrat München für DIE GRÜNEN, http://www.florian-roth.com, 2 • lokale Organisationen der beiden großen Parteien völlig selbstständig – keine überprüfte Mitgliedschaft, sondern: jeder kann sich als Demokrat oder Republikaner deklarieren und gar als republikanischer oder demokratischer Kandidat (wenn er in den Vorwahlen genug Unterstützung bekommt – relativ unabhängig vom Parteiapparat); • an die 90 % der für innenpolitische Maßnahmen verwendbaren Staatsgelder werden auf lokaler Ebene verwaltet; Steuern auch z.T. kommunal erhoben; z.B. im Schulsytem „local board of education“ und kein staatsweit einheitliches Curriculum (all diese Machtfülle der kommunalen Ebene ist natürlich für mich als Stadtrat eine reizvolle Vorstellung). • Schließlich: Die große individuelle kulturelle und religiöse Freiheit der Einwanderer und Minderheiten hat auch mit dem individualistischen Grundkonzept zu tun: Der kulturelle Ausdruck wird als individuelles Recht verstanden und die gemeinsame Identität der Amerikaner basiert eben nicht auf der Kultur, sondern auf politischen Werten; der Kampf für die Rechte von Minoritäten wird nicht im Sinne von Gruppenrechten sondern als Protest gegen individuelle Diskriminierung und Eintreten für Bürgerrechte verstanden. Der Einwandernde muss nicht seine kulturelle Identität aufgeben, sondern wird ermutigt sich selbst zu organisieren – das einzige wirklich Schlimme ist es, wenn sich die MigrantInnen nicht am politischen Prozess beteiligen. Dieser Grundsatz sollte auch uns in Deutschland, in München inspirieren – und hat mich auch bestärkt in der Konzentration von uns Grünen in München auf Fragen der Partizipation von MigrantInnen (ob der Kampf für das kommunale Ausländerwahlrecht, unsere Vorschläge zur Stärkung der Interessenvertretung durch Reform des Ausländerbeirats, die von uns durchgesetzten Einbürgerungsfeiern und Einbürgerungskampagnen; schließlich die Diskussion um Teilhabe von MigrantInnen auf Stadtteilebene durch neue Formen der Bürgerbeteiligung). Es stellt sich natürlich auch die Frage, inwiefern die USA ihrem Ideal gerecht wird: Bei aller staatsbürgerlicher und ideeller Gleichheit sieht man eminente soziale Diskriminierungen – und wie stark nehmen etwa benachteiligte Afro-Amerikaner am politische Prozess teil (später in einer anderen Stadt erfuhren wir, dass bei ihnen die Wahlbeteiligung partiell unter 15 % liegt)? Schon am Vortag hatte eine (unvermeidlich politische) Stadtführung einiges über die politische Identität der USA angedeutet. Schon der Aufbau der Stadt sollte transparent, offen sein, auf Vernunft, Logik und Geometrie basieren (dahinter wohl der Vernunftglaube der Aufklärung). Auch die beiden beherrschenden Gebäude sind in ihrer Geschichte und Gestalt symbolisch aufgeladen: Das Weiße Haus aus normalen Stein, das Kapitol (der Kongress, das Parlament) aus Marmor und das höchste Gebäude – denn der im Parlament versinnbildlichte Wille des Volkes ist ewig und steht höher als die Person des Präsidenten, die menschlich und sterblich ist. Das Weiße Haus war übrigens ursprünglich grau und wurde nur, als es nach der Brandschatzung durch die Briten im Krieg angesengt war, nachträglich weiß angestrichen. Auch wenn die Präsidenten weder Übermenschen noch Götter sein sollten, hat man bei den gewaltigen, kultisch aufgeladenen Memorials den Eindruck, hier würden in einer Zivilreligion Personen fast kultisch verehrt – wenn etwa das riesenhafte Lincoln-Memorial als Temple of Democracy bezeichnet wird. Aber, so könnte man ja interpretieren, vielleicht wird nicht die Person verehrt, sondern eben die in ihrer Biografie zum Ausdruck kommenden Werte, die Demokratie und der Wille des Volkes. International Visitor Leadership Program – 27.7.-8.8.09 Politische Bilanz einer Reise von Dr. phil. Florian Roth, Stadtrat München für DIE GRÜNEN, http://www.florian-roth.com, 3 Links: Weißes Haus und Kapitol – Rechts: Lincoln Memorial Auf ganz andere Weise beeindruckend war das Vietnam Memorial: Eine riesige Mauer aus polierten Granit, auf der chronologisch alle Namen der im Krieg getöteten und vermissten Amerikaner (ohne Militärgrade) verzeichnet sind – beginnend in der Mitte, so dass das erste und das letzte Opfer (1959-1975) sich nahe sind; was als Symbol für die Vergeblichkeit gelesen werden kann (man war am Ende nicht weiter als am Anfang – nur eine gewaltige Zahl von Opfern musste man in dieser Zeit verzeichnen; übrigens: dem ca. 60.000 amerikanischen Opfern – Durchschnittsalter knapp 20 – stehen nach Schätzungen 1,5-5 Mio. getötete VietnamesInnen gegenüber). In der Mauer spiegelt sich der Betrachter und verschmilzt so (identifikatorisch) mit den Namen der Soldaten. International Visitor Leadership Program – 27.7.-8.8.09 Politische Bilanz einer Reise von Dr. phil. Florian Roth, Stadtrat München für DIE GRÜNEN, http://www.florian-roth.com, 4 In meiner freien Zeit besuchte ich das Holocaust Memorial Museum. Leider war die ständige Ausstellung schon ausgebucht, so sah ich mir nur zwei sehr interessante Sonderausstellungen an: Remember the children – Daniel’s Story, ein fiktives Tagebuch eines jüdischen Kindes, das Ghetto und KZ überlebt, mit Bildern, Zimmereinrichtugnen etc. illustriert; didaktisch sehr gut konzipiert gerade für US-Teenager ohne profundes historisches Hintergrundwissen. Dann die mit einer überwältigenden Vielzahl von Aspekten und Medienformen ausgestattete Ausstellung zur Nazi-Propaganda (State of Deception. The Power of Nazi Propaganda; siehe Bild unten); interessant, dass diese Ausstellung mit der Darstellung von Gräuelpropaganda der Alliierten im Ersten Weltkrieg gegen die als mordende Hunnen dargestellten Deutschen begann und mit einem Bild von Ahmadinedschad endete. In Washington D.C. betreten wir dann auch die Zentrale unseres Gastgebers (siehe Bild nächste Seite) – des United States Department of State (also das von Hillary Rodham Clinton geführte US-Außenministerium). Dort treffen wir neben Mitarbeitern des Außenministeriums auch einen Vertreter des Department of Homeland Security (des nach dem 2002 nach dem Terroranschlägen gegründeten Heimatschutzministeriums). International Visitor Leadership Program – 27.7.-8.8.09 Politische Bilanz einer Reise von Dr. phil. Florian Roth, Stadtrat München für DIE GRÜNEN, http://www.florian-roth.com, 5 Auf den ersten Blick überraschend (und natürlich sehr positiv) erschien es, dass es zu den Zielen des Außenministeriums zählt, in anderen Ländern für die (auch ökonomischen) Vorteile von Vielfalt zu werben (im Sinne einer positiven Ressource). Amerikanische Muslime werden als Referenten in andere Staaten geschickt. Schon Anfang 2000 hatte die damalige USAußeministeriun Albright das jährliche Iftar Dinner (Abendessen zum Fastenbrechen im Ramadan) mit der muslimischen Community begründet. Beeindruckend war auch die Persönlichkeit von Farah Pandith (in Kaschmir geboren), seit wenigen Wochen die erste Sonderbeauftragte des Ministeriums für Muslimische Gemeinschaften (interessant die Pluralform, welche der Diversität des Islam gerecht wird, aber in gewissem Widerspruch zum einheitlichen Selbstverständnis – im Sinne der Umma als Gemeinschaft der Muslime – einiger Muslimführer steht). Ein anderer interessanter Aspekt ist die Frage der Einbürgerung. Schon lange gibt es hier – in verschiedenen, oft lokalen Formen – Einbürgerungsfeiern. Alle Länder der Einwandernden werden genannt, die Neubürger wie bei einer Zeugnisverleihung individuell aufgerufen, es gibt eine Videobotschaft vom Präsidenten, Musik u.a.; oft gibt es spezielle Zeremonien mit besonderen Rednern, etwa Abgeordnete mit Migrationshintergrund. Der Einbürgerungstest umfasst sprachliche sowie staatsbürgerliche Anteile; er wurde jetzt überarbeitet (die 100 möglichen Fragen werden veröffentlicht; früher wurde etwa nach der Zahl der Streifen in der Flagge gefragt, jetzt nach dem Grund dieser Zahl – nämlich die 13 Gründstaaten); der Test soll eine höhere Erfolgsrate als in Deutschland aufwiesen.. Voraussetzung für die Einbürgerung sind daneben u.a. fünfjähriger Aufenthalt und keine gravierenden Straftaten. Wichtig erscheint es hier, für das Englischlernen und für einen staatsbürgerlichen Konsens zu werben, innerhalb dessen jeder seine individuelle Sphäre mit einer selbst definierten Kultur hat unter dem Dach gemeinsamer demokratischer Werte. (civic integration). Man gewinnt das Gefühl, dass wir in Deutschland noch von Amerika lernen können, was eine Kultur des Willkommenheißens für Neubürger betrifft. Überraschend war es für mich aber, dass in anderen Bereichen der Integration auch die USA – nach Aussagen einiger Gesprächspartner – von Europa und insbesondere Deutschland lernen kann. Zwar war Amerika seit den Zeiten von Kolumbus ein Einwanderungsland und International Visitor Leadership Program – 27.7.-8.8.09 Politische Bilanz einer Reise von Dr. phil. Florian Roth, Stadtrat München für DIE GRÜNEN, http://www.florian-roth.com, 6 Diskussionen über diesen Begriff, wie sie bei uns lange heftig geführt wurden, sind fast unbekannt; aber die Notwendigkeit einer durch Bundesmittel und staatliche Programme unterstützen sprachlichen und sozialen Integrationspolitik ist erst in letzter Zeit insbesondere durch die Latino-Einwanderung langsam klar geworden. Die Herausforderungen der Integration zeigte sich auch bei unserem Gespräch mit dem Integrationsbeauftragten des US-Städtetags (National League of Cities), der insbesondere Bürgermeister berät. Die soziale Benachteiligung ist noch groß: Mehr als 60 % der Einwandernden beenden beispielsweise die High School nicht. Verbrechen gegen Immigranten, sogar Tötungsdelikte sind häufiger geworden. Vor ein paar Jahren hätte man noch von Assimilation gesprochen (nach dem Motto: Vergesse dein Erbe, du bist jetzt Amerikaner), jetzt werde mehr Wert auf den Respekt für die Werte und die Religion der Neuankömmlinge gelegt. Ziele seien mehr Diversität in der Polizei, die Installierung von Advisory Groups (eine Art Beirat) oder von speziellen Beamten für Integration beim Bürgermeister. Es geht auch um Aufklärung, da z.B. viele Afro-Amerikaner denken, die neu Einwandernden würden ihnen Jobs wegnehmen, was laut wissenschaftlicher Studien nicht der Fall ist. Was aber in den USA kaum ein Problem wäre, sei der Bau von Moscheen. Diese Frage der Glaubensfreiheit für Muslime beschäftigte uns an verschiedenen Stellen. Immer wieder hörten wir von Angehörigen der muslimischen Community, dass man nirgends auf der Welt seine Religionsfreiheit so ausleben könnte wie in den USA (da in offiziell muslimischen Ländern ja nur eine bestimmte Form des Islam Freiheit genieße und es in einigen europäischen Ländern Einschränkungen z.B. bez. des Kopftuchtragen gebe). In Washington D.C: unterhielten wir uns hierzu mit einer Gruppe von muslimischen Kongressmitarbeitern. Manchen von uns wunderte es, dass – gerade nach dem 11. September – die in Deutschland (siehe die Debatte um den Moscheebau im Münchner Stadtteil Sendling, aber auch in Köln) oft geäußerte Furcht vor einer Islamisierung hier anscheinend im Verhältnis zwischen Mehrheitsbevölkerung und Muslimen kein großes Thema wäre und der Bau von Moscheen keine emotionalen Diskussionen auslöse. Aus meiner Sicht kann das, neben dem hohen Stellenwert der Religionsfreiheit, dem Wert der individuellen kulturellen Entfaltung und dem Selbstbewusstsein der amerikanischen demokratischen Kultur als Ursachen, auch mit einigen Unterschieden bez. der muslimischen Bevölkerung zu tun haben: Sie bildet (auch in größeren Städten) prozentual keine so großen Gruppe wie in Teilen Deutschlands; außerdem gibt es nicht die Verbindung zwischen religiöser und sozialer Frage – denn die eingewanderten Muslime (neben den afro-amerikanischen Black Muslims) entstammen höheren Bildungsschichten und besitzen deshalb im Durchschnitt einen recht hohen sozialen Status (die Gruppe der muslimischen Frauen soll gar die am höchsten gebildete Schicht überhaupt darstellen). Außerdem: die einzige Moschee die wir besuchten (in Cleveland) war zwar durchaus repräsentativ, aber am Stadtrand gelegen. Übrigens sind jene als islamophob gedeuteten jüngsten Vorfälle aus Deutschland durchaus bei den US-Muslimen angekommen: Wir wurden sowohl auf die im Gerichtssaal erstochene schwangere Ägypterin als auch auf die Diskussion über das Vereinslied des Fußballklubs Schalke 04 (mit der Zeile „Mohammed war ein Prophet, der vom Fußballspielen nichts versteht.“) angesprochen. International Visitor Leadership Program – 27.7.-8.8.09 Politische Bilanz einer Reise von Dr. phil. Florian Roth, Stadtrat München für DIE GRÜNEN, http://www.florian-roth.com, 7 Zweite Station: Seattle, Washington Quer durch die Vereinigten Staaten von der Stadt Washington D.C. nach Seattle im Bundesstaat Washington ging unsere Reise weiter. Ein Schwerpunkt war hier Jugendkriminalität und das Verhältnis von ethnischen Minderheiten gegenüber Polizei und Strafvollzug. Wir konnten hier Persönlichkeiten mit großem sozialem Engagement und Enthusiasmus kennen lernen. Im Strafvollzug sind jene jungen Leute, die in der USA people (oder in diesem Fall: youth) of color genannt werden (also Schwarze, Asiaten, Hispanics und Indianer), weit überrepräsentiert. Im betroffenen Bezirk (King County) stellen diese Jugendlichen 34 % der Bevölkerung, aber 6 5% der Personen im Strafvollzug; bei Schwarzen ist das Verhältnis mit 9 % zu 44 % noch krasser. Dieser Disproportionalität entgegenzuwirken, ist erklärtes Ziel. Im betroffenen Gebiet ist die Zahl der jugendlichen Straftäter stärker als im Bundesdurchschnitt gesunken, doch hat sich in der gleichen Zeit (1998-2008) die Lage bei Schwarzen und Hispanics sogar verschlechtert. Spezifisch ist hier ein sog. „Menu“, gleichsam eine Speisekarte von verschiedenen angebotenen Maßnahmen, aus denen individuell und passgenau eine Art Paket für den jeweiligen Jugendlichen maßgeschneidert wird. Dafür gibt der Staat jährlich 4 Millionen Dollar aus. Dazu gehören Untersuchungen der physischen und geistigen Gesundheit, Anti-AgressionsTraining, Familientherapie, Ausbildungs- und Beschäftigungsprogramme etc.. Für Drogenstraftäter gibt es ein kontrolliertes Entzugsprogramm, das bei Erfolg dazu führen kann, dass das Delikt ganz aus den Akten gelöscht wird. Gerade für Minderheiten-Communities werden etwa Mentorenprogramme in Kooperation mit (schwarzen) Kirchen gestartet. Familien können auch deshalb gut erreicht werden, weil die Mitarbeiter oft aus der gleichen Ethnie kommen (und ggf. Muttersprache sprechen; übrigens gibt es bei Gericht 110 Übersetzerdienste; außerdem arbeiten bei Gericht 50% people of color). Die Familien haben häufig großes Interesse an diesen Programmen, weil sie die Kids zurück zur Familie und ihrer Kultur führen (von so etwa wie der Teilnahme am gemeinsamem Familienessen angefangen). Beim Vergleich des Rechtsordnung mit Deutschland erfühlte das flexible Jugendstrafrecht bei uns (das bei 14-18-Jährigen obligatorisch und bei 18-20-Jährigen je nach Reife angewendet wird; in der USA gilt es nur bei 14-17-Jährigen und hier je nach Fall) die USPraktiker fast mit Neid. Einig waren sich auch unsere Gesprächspartner aus Jugendstrafvollzug und Polizei darin, dass der leichte Zugang der Jugendlichen zu Feuerwaffen (neben den immer härteren Drogen) ein Hauptproblem sei. Auch hier würde der Vergleich mit dem deutschen Waffenrecht zuungunsten der amerikanischen Rechtslage ausfallen. Auch bei der Polizei von Seattle war ich beeindruckt von ihren Anstrengungen, mit den Communities in Kontakt zu treten. Ein Polizeibeamter, der früher Sozialarbeiter war, Women Studies studiert hatte und wegen der Behandlung „seiner Jungs“ zur Polizei ging, ist sicher nicht ein typisches Beispiel, jedoch ein ermutigendes. Schlaglichter aus der Arbeit sind: Ehemalige (sozusagen geläuterte) Gang-Mitglieder arbeiten mit gefährdeten Kids; man sucht nach Beschäftigungsmöglichkeiten für sie als Alternative zu einer kriminellen Karriere; nach Einbruchsproblemen in einem Viertel wird in einem Gemeinschaftstreffen vor Ort über Maßnahmen nachgedacht; es gibt (präventive) Hausbesuche; an Schulen arbeiten Präventionsbeamte, gerade als Mentoren für Afro-Amerikaner; bei der Polizei gibt es Komitees International Visitor Leadership Program – 27.7.-8.8.09 Politische Bilanz einer Reise von Dr. phil. Florian Roth, Stadtrat München für DIE GRÜNEN, http://www.florian-roth.com, 8 und Experten für die verschiedenen ethnischen Gruppen (die häufig die Besorgnis äußern, dass ihre Leute von der Polizei schlechter behandelt werden) sowie Beiräte zu den verschiedenen Kulturgruppen, damit die Polizeibeamten mehr über diese wissen und sich besser in die Perspektive der Gruppenangehörigen versetzen können. Im Gedächtnis geblieben sind mir besonders einige Grundsätze: Es wäre dumm, wenn man als Polizeibeamter denken würde, die Probleme alleine zu lösen – dazu braucht man eben die Leute im Stadtteil. Und außerdem: Früher dachten viele, es wäre am fairsten „farbenblind“ zu sein, der beste Weg jedoch ist, sich der unterschiedlichen Lagen bewusst zu sein. Schließlich das typisch amerikanische optimistische Prinzip: There is no problem that cannot be solved (Es gibt kein Problem, dass nicht gelöst werden kann). Die Flyer der Beiräte für Philippinos, Latinos, Muslims/Sikhs/Araber und LGBTQ (lesbian/gay/bisexual/transgender/queer) beim Seattle Police Department – siehe: www.seattle.gpv/police/programs/advisory Natürlich wissen wir, dass es auch andere Polizeibeamte gibt – und auf unserer Reise wurde auch offen geäußert, dass nicht alle sensibel und ohne ethnische Vorurteile mit Jugendlichen umgehen (das wurde bei dem – übrigens auch ethnisch sehr divers zusammengesetzten – Jugendrat des Bürgermeisters von Seattle – Mayor’s Youth Council, www.seattle.gov/mayor/myc/ – auch klar gesagt). Damit man Beamte auch wirklich im Einzelfall zur Verantwortung ziehen kann, werden Polizeieinsätze aufgezeichnet. Ein Problem stellt außerdem noch die Rekrutierung von people of color dar, da die traditionell über die Familientraditionen irisch geprägte Polizei nicht immer ein gute Atmosphäre für Polizisten aus Minderheitengruppen biete. Nicht nur bei unseren Gespräche, sondern auch beim Fernsehen im Hotelzimmer und in den US-Zeitungen konnten man die aktuellen Debatten über ethnische Gleichstellung verfolgen: Während unseres Aufenthalts gab es die Anhörungen und dann die Ernennung von International Visitor Leadership Program – 27.7.-8.8.09 Politische Bilanz einer Reise von Dr. phil. Florian Roth, Stadtrat München für DIE GRÜNEN, http://www.florian-roth.com, 9 Sonia Sotomayor zum ersten Mitglied mit Hispanic-Hintergrund beim Obersten Gerichtshof (Superme Court) der Vereinigten Staaten. Und als ich in Seattle durch das Programm zappte, waren überall Berichte, Kommentare und Glossen zu sehen über den sog. „Bier-Gipfel“ zwischen Präsident Obama, seinem Vize Biden sowie dem Polizeibeamten Crowley und dem schwarzen Professor Gates. Crowley hatte Gates beim „Einbruch“ in Gates’ eigenes Haus verhaftet, was Obama als „stupid“ bezeichnete, worauf er sich entschuldigen musste. Ein satirischer TV-Beitrag wurde mit einem alten Löwenbräu-Werbespot illustriert, in dem drei Anzugträger, einer davon Afro-Amerikaner, zuerst zusammen Basketball spielen und dann genüsslich das Münchner Bier schlürfen (http://www.youtube.com/watch?v=iG3og36HaXU). Dritte Station: New Orleans, Louisiana Wieder ging es durch die halbe USA vom Nordwesten in den tiefen Süden – nach New Orleans, Louisiana. Eine Stadt, deren Namen schon die französische Geschichte verrät (und zeitweise war sie auch spanisch). Vielleicht am meisten von der multiethnischen Historie erfährt man, wenn man sich einen der großen Friedhöfen mit den alten Gruften ansieht – was ich tat. Das Hauptthema sind aber natürlich, fast genau vier Jahre nach dem Hurrikan Katrina, die furchtbaren Folgen der Überschwemmung. Früher hatte die Stadt über 400.000 Einwohner, jetzt aber nur 200.000-300.000, da die meisten der Flüchtlinge (noch) nicht zurückgekehrt sind. Wenn man sich das Zentrum incl. des malerischen Französischen Viertels (mit der französischspanischen Architektur und den Bars und Cafes mit Live-Musik) ansieht – alles von den Sturmfolgen so gut wie nicht betroffen –, dann kann man sich kaum vorstellen, wie verwüstet noch Teile der niedrig gelegenen Armenviertel in der zu zwei Dritteln von Afro-Amerikanern bewohnten Stadt sind. Eine Botschaft, die unsere Gesprächspartner uns mitgaben, war: ‚Wir aus New Orleans sind widerstandsfähige Leute. Aber: Im Fernsehen sieht man, was alles wiederaufgebaut ist, hier vor Ort kann man sich aber auch einen Eindruck verschaffen, wie viel noch zu tun ist’: • Wie viele noch nicht zurückgekehrt sind; • wie viele leere Grundstücke – nur mit ein paar Treppenabsätzen als Reste der einstigen Häuser – man sehen kann; • wie viele Wohnwagen als Notbehausungen man antrifft; • dass im Lower 9th Ward (dem am stärksten betroffenen Viertel) von fünf ehemaligen Schulen nur eine wieder aufgemacht hat; • dass die kommerzielle Infrastruktur wie z.B. McDonalds noch nicht zurückgekehrt ist (da man erst auf die Rückkehr der potentiellen Kunden wartet – vielleicht ein Teufelskreis) – all das zeigt, was alles noch an Wiederaufbauarbeit bleibt (siehe auch die beiden Bilder auf der nächsten Seite). International Visitor Leadership Program – 27.7.-8.8.09 Politische Bilanz einer Reise von Dr. phil. Florian Roth, Stadtrat München für DIE GRÜNEN, http://www.florian-roth.com, 10 Kritik an den Bundesbehörden und ihrer Bürokratie war überall zu hören (z.T auch Enttäuschung bezüglich des Bürgermeisters Ray Nagin). Man war zwar der Armee dankbar, doch sie kam erst viele Tage nach der Katastrophe. Die Bundesregierung versprach zwar bis zu 150.000 $ pro zerstörtem Haus, doch durch die Bürokratie, ein Verfahren mit z.T. ortsfremden Inspektoren, die den Wert des zerstörten Hauses schätzen sollten, ist nur wenig Geld angekommen (das war im Nachbarstatt Mississippi anders – der war aber auch zur Zeiten der Katastrophe von der Partei des damaligen Präsidenten regiert, was bessere Beziehungen zur Bundesebene bedeutete). Vieles wurde durch bürgerschaftliches Engagement, karitative und besonders kirchliche Organisationen geleistet. Spektakulär war die Initiative „Make it right“ (http://www.makeitrightnola.org/) des Schauspielers Brad Pitt, der einfach zu einem Stadtrat ging und sagte, er würde helfen und die finanziellen Lücken schließen. Dadurch wurden einige ökologisch vorbildliche „Green Houses“ gebaut (vielleicht die ökologischsten in der ganzen USA) – mit 5 Mio. $ sollen bis nächstes Jahr 150 Häuser so gebaut werden. Erst vor Kurzem habe der neue Präsident Obama einen großen Scheck für die Stadt unterschrieben. Unsere Frage war immer wieder, inwieweit dies ein „Rassenproblem“ sei. In den armen, am meisten betroffenen Viertel war natürlich die Mehrheit schwarz, aber auch Weiße hätten gelitten und im Nachbarstaat, wo die Hilfe besser ankam, seien auch vorwiegend Schwarze betroffen, so hieß es. Allgemein, so eine pessimistische Expertenstimme, könne man – hier und allgemein in den USA – trotz Obama bezüglich der Gleichstellung der Afro-Amerikaner weniger hoffnungsvoll sein als vor 40 Jahren am Anfang der Bürgerrechtsbewegung. Zwar hätten einige Schwarze ökonomisch sozial zurückgefallene Weiße überholt, was Neid auslöse, aber für die große Mehrheit der Schwarzen habe sich wenig geändert. Affirmative Action – also z.B. Quoten für benachteiligte Minderheiten etwa beim Hochschulzugang – sei umstritten, ist aber für Afro-Amerikaner weiter ein wichtiges Instrument. Es könne sinnvoll sein, solche Fördermaßnahmen nicht an die Hautfarbe, sondern an den sozialen Status zu knüpfen. Schon International Visitor Leadership Program – 27.7.-8.8.09 Politische Bilanz einer Reise von Dr. phil. Florian Roth, Stadtrat München für DIE GRÜNEN, http://www.florian-roth.com, 11 Martin Luther King habe gesagt, dass sich die Afro-Amerikaner und die armen Schichten aller Hautfarben verbünden sollten. Was man in New Orleans immer wieder hört und spürt: Die Hilfe, die kirchliche Organisationen geben, und die Kraft, die der Glaube vielen vermittelt. Der Besuch eines Gospel-Gottesdienstes in einer fast ausschließlich von Afro-Amerikanern besuchten Kirche gab uns einen (ehrlich gesagt für mich zwiespältigen) Eindruck davon: Die Begeisterungsfähigkeit und das Gemeinschaftsgefühl, aber auch ein beängstigt wirkende, den Verstand fast betäubende Euphorie, etwa als eine ältere Frau von der Pfarrerin mit Öl gesalbt wurde und fast in Trance fiel. Auch von einer kirchlichen Organisation getragen war ein Trainingsprogramm für Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen im sog. Cafe Reconcile (siehe Bild unten) – auf seine Art cool und stylish dieser bunte, mit Kunstwerken der Kids ausgestattete Ort. Eine weitere Trainingsmaßnahme für eine jüngere Zielgruppe ist das von einer Stiftung der Justiz und der Polizei getragene Programm Cops for Kids (http://www.nopjf.org/programs/copsforkids.asp). Ein Slogan lautet: Character counts (Charakter zählt). 150 Kinder zwischen 7 und 14 Jahren besuchen im Sommer acht Wochen lang von Montag bis Freitag ein Camp, in dem sie lernen, Sport treiben und ihre Freizeit gemeinsam verbringen – mit Lehrkräften, Trainern, besonders aber mit Polizisten, die sie nicht nach Straftaten ausfragen sondern ihnen als Mentoren helfen (und nebenbei zeigen, ‚dass Cops auch Menschen sind’). Normalerweise fallen gerade die afro-amerikanischen Schülern in den Ferien zurück, weil sie in ihren Familien wenig Unterstützung erhalten können – hier hingegen konnten sich viele verbessern. Die Warteliste ist lang und es ist immer wieder mühsam, Geld und andere Unterstützung zu sammeln – Kirchen und Geschäfte aus der Gegend helfen. International Visitor Leadership Program – 27.7.-8.8.09 Politische Bilanz einer Reise von Dr. phil. Florian Roth, Stadtrat München für DIE GRÜNEN, http://www.florian-roth.com, 12 Faszinierend sind die Persönlichkeiten, die solche Initiativen tragen (siehe z.B. Foto rechts unten). Aber: Diese ermutigenden Programme leiden immer an Geldmangel und erfahren von der öffentlichen Hand viel zu wenig Unterstützung. Die Stadt habe, so eine Aussage aus dem Rathaus, bis vor dem Hurrikan Katrina kaum Programme für Jugendliche angeboten, jetzt wird langsam über berufliche Schulen für Drop-Outs nachgedacht. Schließlich erfahren wir, dass der Bedarf an Arbeitskräften für die Wiederaufbau zur Einwanderung vieler Hispanics geführt hat (besonders aus Zentralamerika und Mexiko); eine eigene Handelskammer für diese Gruppe bietet kostenlose Englischkurse und andere Integrationshilfen an – unterstützt durch ein Bundesprogramm. International Visitor Leadership Program – 27.7.-8.8.09 Politische Bilanz einer Reise von Dr. phil. Florian Roth, Stadtrat München für DIE GRÜNEN, http://www.florian-roth.com, 13 Vierte und letzte Station: Cleveland (Ohio) Die letzte Station unser bewegten Reise war Cleveland am Eriesee, der eher wie ein Meer wirkt. Eine Stadt, in der (wie im ganzen Bundesstaat Ohio) die relativ größte Gruppe deutsche Vorfahren hat (kaum jemand spricht jedoch Deutsch). Zufällig fand gerade ein Treffen jener Vereinigungen statt, die vor Ort Besucherprogramme wie das unsere organisieren. Da nur wir als Besuchergruppe gerade da waren, fühlte man sich ein bisschen wie die einzigen wilden Tiere bei einem Zoologenkongress. Schnell kam man ins Gespräch. Zufällig zeigte sich, wie ähnlich die Diskurse über die Ländergrenzen waren. Ich unterhielt mich mit einer Frau, die sich damit beschäftigte, wie die Diversity Management-Programme (Gestaltung von Vielfalt – bez. aller Dimensionen: Gender, Ethnie, sexuelle Orientierung, Alter, Behinderung etc), die es bisher eher auf der Unternehmensebene gab, auch auf öffentliche Verwaltungen übertragen werden könnten – und dazu wollte sie Deutschland besuchen (wir tauschten Visitenkarten aus). Die Veranstaltung ging weiter mit Vorträgen und einem Film in einem riesigen IMAXKino innerhalb des beeindruckenden Great Lakes Science Center (http://www.glsc.org/). Und hier wusste man als Grüner wieder einmal, warum man in der richtigen Partei war. Vor dem Zentrum standen Sonnenkollektoren und ein großes Windrad, im Vortrag wurden die Vorteile der Erneuerbaren Energien gepriesen und im Film sah man beeindruckende Bilder von der Wiederaufzucht der durch Umweltverschmutzung fast ausgerottete riesige Störart in den Großen Seen (außerdem ein Adlerjunges, das durch seine eigene Mutter vergiftet wurde, weil sie ihm schwermetallverseuchte Fische in den Horst brachte) – siehe: http://www.glsc.usgs.gov/main.php?content=research_sturgeon&title=Fish%20at%20Risk0& menu=research_risk_fish. International Visitor Leadership Program – 27.7.-8.8.09 Politische Bilanz einer Reise von Dr. phil. Florian Roth, Stadtrat München für DIE GRÜNEN, http://www.florian-roth.com, 14 Auch in Cleveland beschäftigte uns das Thema der Benachteiligung armer Jugendliche gerade aus bestimmten Ethnien. Nur 32 % der Jugendlichen verlassen die Schule (High School) ausreichend vorbereitet für das College, bei den Hispanics liegt der Anteil sogar nur bei 17 % und bei den Afro-Amerikanern gar bei nicht mehr als 12 %. Gerade Jugendliche aus armen Gegenden haben oft nicht die zureichende Unterstützung. Viele lassen sich hängen – wie etwa ein Jugendlicher, der auf die Frage sagte, was er denn mit 21 Jahren tun werde: Tot oder im Gefängnis. Genau dieser junge Mann habe es aber mit einem Förderprogramm (www.ecitycleveland.com) geschafft, ein Stipendium zu bekommen und ist jetzt selber für das Programm tätig. Junge Leute aus armen Familien werden im Alter von 14 bis 18 Jahren in diesen Kurs aufgenommen und bekommen ein vielseitiges Training von Hausaufgabenhilfe über Lebenskompetenzen wie Kommunikationsfähigkeit und Zeitmanagement bis zur Aufstellung eines Businessplanes. Fest angestellte Career Coaches begleiten die Jugendlichen als Betreuer – Voraussetzung für diesen Job ist ein abgeschlossenes Studium, nicht unbedingt jedoch im Bereich der Pädagogik (vielleicht ist solch eine Professionalisierung im Vergleich zu den in Deutschland meist ehrenamtlich tätigen Mentoren eine überlegenswerte Alternative oder Ergänzung). Finanziert wird die Curriculum zu 60 % von der Regierung, der Rest über Stiftungen und Spenden. Die Gruppe, die sich uns vorstellt, alles schwarze adrette Männer oft mit Krawatte (siehe Bild), wirkt musterschülerhaft. Eine Vertreterin des Projekts deutet an, dass Jugendliche, die früher die Schule hassten und das Gegenteil von zielstrebig waren, diese ‚dunkle’ Vergangenheit heute ungern erwähnen würden. Das Programm ist durchaus den Bedürfnissen der Teenager angepasst – z.B. was die Zeiten betrifft, die Möglichkeit auszusteigen und wieder zu beginnen, aber auch etwa musikalische Aktivitäten. International Visitor Leadership Program – 27.7.-8.8.09 Politische Bilanz einer Reise von Dr. phil. Florian Roth, Stadtrat München für DIE GRÜNEN, http://www.florian-roth.com, 15 Was in Cleveland auffällt, sind die vielen leeren Geschäftslokale in der Innenstadt. Die Stadt versucht, etwas zur Förderung von Banken, Handel und Kleingewerbe zu tun. Bemerkenswert ist, wie positiv über Einwanderung gesprochen wird. Natürlich sind Experten aus dem Ausland gern gesehen, aber auch weniger Gebildete könnten ihre Talente zum Nutzen der Stadt einbringen; denn wenn man eine Politik der offenen Tür propagiert, müsse diese für alle gelten. Wissenschaftliche Studien würden zeigen, dass Neuankömmlinge den Ortsansässigen keine Jobs wegnehmen, sondern vielmehr eine eigene Ökonomie aufbauen und damit neue Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen. Cleveland müsse noch mehr tun, um Zuwanderung anzuziehen – weiter sei Chicago mit seinem Konzept „Global Chicago“ (http://www.globalchicago.org). In diesem Zusammenhang fällt der mir sehr sympathische Begriff eines „International Welcome Center“, das etwa Investoren und Talente anlocken und Einwandernden bei der Suche nach Sprachkursen, bei der Unternehmensgründung, aber auch bei der Einschulung ihrer Kinder helfen könnte (letzteres ist ja meine berufliche Tätigkeit im „Internationalen Beratungszentrum“ in München). Einzelheiten dazu las ich nach meiner Rückkehr im Internet bei jener Zeitung, die wir in Cleveland besucht hatten (und bei der mir auffiel, dass sie über ein eigenes Ressort für ethnische Gruppen verfügt): http://www.cleveland.com/news/plaindealer/robert_smith/index.ssf?/base/opinion/1250152 426216270.xml&coll=2. Sehr freundlich war der Empfang einer Initiative für den interreligiösen Dialog (InterAct Cleveland - InterReligious Partners in Action of Greater Cleveland http://www.interactcleveland.org), die wir in einer Episkopalenkirche trafen. Verschiedene christliche Konfessionen, Juden, Hindus, Muslime und Buddhisten versammelten sich hier gemeinsam mit uns in einem Kreis (siehe Bild unten). Doch so viele Kilometer von Zuhause wirkte auf mich die Situation doch so ähnlich: Der interreligiöse Dialog unter den Wohlmeinenden, Toleranten, Gebildeten funktionierte, doch jene Schichten, bei denen sich oft Ressentiments finden und die der Aufklärung bedürfen, werden eher selten erreicht. Cleveland sei letztlich eine religiös sehr segregierte Stadt, hieß es. An meine Heimatstadt wurde ich hier übrigens erinnert, als der hoch gebildete muslimische Vertreter den FC Bayern München als besten Verein der Welt bezeichnete (worauf ich ihm natürlich versprach, bei einem etwaigen Münchenbesuch Karten für die Allianz-Arena zu besorgen). International Visitor Leadership Program – 27.7.-8.8.09 Politische Bilanz einer Reise von Dr. phil. Florian Roth, Stadtrat München für DIE GRÜNEN, http://www.florian-roth.com, 16 Das erste Mal in den USA besuchten wir in Cleveland eine Moschee – schön und repräsentativ, aber – nicht unähnlich dem Freimanner Zentrum in München – recht weit außerhalb gelegen. Wie fast überall hörten wir ein Lob der großen religiösen Freiheit in den USA. Ältere Muslime nannten als einziges Problem in ihren Biografien, dass man nicht immer vom Arbeitgeber für das Freitagsgebet frei bekommen hätte. Und auch nach dem 11. September hätte es nur kurzzeitig Anfeindungen gegeben. Heute merke man nur bei den Grenzkontrollen noch eine besondere Behandlung. Unsere letzte Station war ein türkischer Verein – der natürlich auch die Freiheit der Religionsausübung sehr schätzte. Weniger politisches Engagement (hier wollte man tunlichst neutral bleiben) als vielmehr kulturelle Gemeinschaftsaktivitäten bilden den Zweck dieses Zusammenschlusses. Interessant waren die Antworten diese akademischen Zirkels auf die Frage, warum diese türkischen Experten eher in die Vereinigten Staaten als nach Deutschland, wo es ja eine weit größere türkische Community gibt, ausgewandert seien. Zu viele starre Regeln gebe es in Deutschland, die Sprache sei schwer und die Technologie nicht ganz so fortgeschritten wie in den Vereinigten Staaten – und so willkommen fühle man sich in Deutschland auch nicht. Und außerdem: Mit der doppelten Staatsbürgerschaft habe in der USA auch niemand ein großes Problem. Aus der Ferne erschienen mir unsere sehr verkrampften Debatten darüber – mit Verlaub – ein bisschen provinziell. International Visitor Leadership Program – 27.7.-8.8.09 Politische Bilanz einer Reise von Dr. phil. Florian Roth, Stadtrat München für DIE GRÜNEN, http://www.florian-roth.com, 17 Danksagungen Mir bleibt nur, mich für diese Reise, in der ich so viele neue Eindrücke gewonnen habe (und hier habe ich ja nur jene des offiziellen Programms aufgezählt), herzlich zu bedanken – für die einmalige Chance, für die Mühen der Organisation und natürlich für die Finanzierung. Mein Dank gilt deshalb: • Zuerst dem amerikanischen Steuerzahler für die zur Verfügung gestellten Finanzmittel. • Dann dem State Department – stellvertretend Rachel F. Russel (ganz links im Gruppenbild unten) – und den vielen Organisatoren vor Ort für die Fülle des Programms. • Besonders unseren beiden „Interpreters“ (die nicht nur wunderbare Dolmetscherinnen waren, sondern Begleiterinnen und Helferinnen in fast allen Lebenslagen) für ihre Mühe und Geduld: Irmgard Smadi und Pauline Wimmer. • Der US-Botschaft in Deutschland und dem Generalkonsulat in München dafür, mich für dies Programm nominiert zu haben. • Last but not least: Frau Dr. Nina Gartz von US-Generalkonsulat in München, die mir bei der sehr kurzfristigen Organisation meines Trips unermüdlich half.