Inhalt Prag unter Karl IV. Die Hauptstadt des Königreichs Böhmen erlebte in einigen wenigen Monaten mehr als andere europäische Hauptstädte in Jahrzehnten. Seite 4 – 7 Gastkommentar König von „zweierlei Volk“ Der Traum von einen geeinten Europa im ausgehenden Mittelalter Seite 8 – 9 1618 – Prager Fenstersturz Ein Gewaltakt als Auslöser eines dreißig Jahre währenden Krieges Seite 10 – 11 190 Jahre Nationalmuseum Prag Seite 12 – 13 Ein Revolutionsjahr Die Revolution macht auch vor dem Königreich Böhmen nicht halt und es gilt sich zu entscheiden, wohin man gehören will. Seite 14 – 17 Das Prager Nationaltheater Ein Haus, von der Nation sich selber zugeeignet, ist wohl mehr als eine Feier wert. Seite 18 – 19 Die Achten in den Jahreszahlen unserer Geschichtsschreibung erwecken den Eindruck als seien sie magische Wendepunkte und es scheint, als treffe dies insbesondere auf die Geschichte unseres Landes zu. Ist aber auch tatsächlich eine Logik in den „Achtersprüngen“ unserer Geschichte auszumachen? Und handelt es sich wirklich um magische Wendepunkte? Sollten wir uns von der faszinierenden numerischen Übereinstimmung historischer Gegebenheiten verlocken lassen, würden wir wohl einer recht vereinfachten Geschichtsschau zum Opfer fallen. Konzentrieren wir uns beispielsweise auf die großen Achten im 20. Jahrhundert, so erhebt sich die Frage, ob nicht der Wahlsieg der Kommunisten von 1946 eine entscheidendere Rolle spielte, denn die vollkommene Machtübernahme von 1948. Mehr über die Geschichte unseres Landes verraten wohl auch die scheinbar geruhsamen Intermezzi zwischen den „großen Achten“, als die eigentlichen Umbrüche, die sich auf einzelne Jahre oder Monate konzentrieren. Verweilen wir jedoch noch einen Augenblick bei den „großen Achten“ des vegangenen Jahrhunderts, so ist festzustellen, daß in unserer modernen Geschichte eher die tragischen Momente als Augenblicke des Glück oder der Erfüllung von Idealen überwiegen. Unsere Herzen waren im Laufe des 20. Jahrhunderts bei „Achter-Umbrüchen“ einige Male gezwungen, eher vor Entsetzen zu erstarren, und dies in den Jahren 1938, 1948 und 1968. Grund zu Freudensprüngen gab es selten, vielleicht nur 1918 und 1989. Diese Momente fielen mit großen weltweiten Prozessen und Ereignissen zusammen. Logischerweise wurden die Begebenheiten in Tschechien durch den globalen Rahmen bestimmt und unser aktiver Zugang und Beitrag war kaum weltbewegend. Auf der anderen Seite wird der Einfluß Tschechiens gewiß im Jahre 1968 spürbar und – um nicht nur im 20. Jahrhundert zu bleiben – haben die Leistungen von Karl IV. und Georg von Podiebrad zweifelsohne die europäische ebenso wie die Weltgeschichte mitbestimmt. Unser kleines Land im Herzen Europas ist vielleicht eingekeilt in die „großen Achten“, vergegenwärtigen wir uns aber, daß jedes dieser Ereignisse von den vorhergehenden Jahren bestimmt wurde, ebenso wie von konkreten Taten, Idealen, Schwächen und dem Glauben konkreter Menschen. Galerie – Die Tschechoslowakische Legion Das Schicksal der Truppen der tschechoslowakischen Widerstandsbewegung in Wort und Bild Seite 20 – 21 Die Gründung der Tschechoslowakei Der Ausgang des I. Weltkrieges hatte für die ehemaligen böhmischen Kronländer unerwartete Folgen. Seite 22 – 25 Münchner Abkommen Mit dem Münchner Abkommen brach nicht allein für die junge Tschechoslowakei eine schreckliche Zeit an. Seite 26 – 27 Die Wende „Der Präsident hat alle meine Vorschläge angenommen…“ mit diesen Worten war das Schicksal der Nachkriegstschechoslowakei für 40 Jahre besiegelt. Seite 28 – 31 Prager Frühling Der illusorische Versuch einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ zu schaffen, rief die Sowjetunion und ihre anderen Satellitenstaaten auf den Plan. Seite 32 – 35 Die 8chten in der Geschichte Tschechiens Seite 36 – 38 Die Zeitschrift Im Herzen Europas erscheint sechsmal jährlich und vermittelt auf ihren Seiten ein Bild über das Leben in der Tschechischen Republik. Die Beiträge präsentieren die Ansichten ihrer Autoren und müssen nicht mit den offiziellen Standpunkten der tschechischen Regierung übereinstimmen. Abonnementbestellungen sind an die Redaktion der Zeitschrift zu richten. Herausgegeben vom Verlag Theo in Zusammenarbeit mit dem Außenministerium der Tschechischen Republik. Anschrift der Redaktion: J. Poppera 18, 530 06 Pardubice, Česká republika Chefredakteur: Pavel Šmíd Graphische Redaktion: Karel Nedvěd Vorsitzender des Redaktionsbeirats: Zuzana Opletalová, Leiter der Pressestelle des Außenministeriums der ČR und Pressesprecher des Außenministers Redaktionsbeirat: Libuše Bautzová, Pavel Fischer, Vladimír Hulec, Robert Janás, Milan Knížák, Martin Krafl, Eva Ocisková, Tomáš Pojar, Jan Šilpoch, Petr Vágner, Petr Volf, Marek Skolil Deutsche Übersetzung: Institut für Germanistik Philosophische Fakultät der Masaryk-Universität Brno Druck: VČT Sezemice Nachdruck der in der Zeitschrift Willkommen im Herzen Europas veröffentlichten Texte erlaubt, sofern Verfasser und Quelle angegeben werden. Urheberrechtlich geschützte Verwendung von begleitendem Bildmaterial nur mit Zustimmung der Redaktion und des Urhebers. Die Gestaltung und Übersetzung von Werbematerialien auf dem Umschlag liegt in Eigenverantwortung der Auftraggeber. ISSN 1211–9296 Michal Stehlík Dekan der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität Theo Verlag – Internet: http://www.theo.cz E-Mail: [email protected] 3 1348 Prag unter Karl IV. „Im Jahre des Herrn 1348 erlangte Herr Karl, vielgerühmter König von Rom, bewegt von glühender Liebe zu Gott und geleitet von inniger Gewogenheit zu seinen Nächsten, in der Hoffnung, das Wohl des Staates zu mehren und das Königreich Böhmen auf das Lobenswerteste emporzuheben, von unserem Herrn Papst verschiedenste Gnaden.“ Lassen wir, noch ehe wir zu entschlüsseln versuchen, was alles dem Chronisten František Pražský (Franz von Prag) durch den Sinn ging, aus den Tiefen der Geschichte die Gestalt Karls IV. emporsteigen, des Herrschers, der aus ureigenstem Willen heraus zum Schöpfer alldessen wurde, was den „Prager Frühling“ des Jahres 1348 in die Weltgeschichte eingehen ließ. seits wiederum nahm als Heinrich VII., Graf von Luxemburg, den Kaiserthron ein. Auch sein Vater Johann von Luxemburg, von welchem er nach dessen Tod das Königreich Böhmen ererbte, hatte sich in zahlreichen europäischen Ländern einen Namen gemacht. Nicht aber als Staatsmann, sondern als einer der letzten verehrungswürdigen Abenteurer der ausgehenden Ritterzeit. Seinem Vater verdankte Karl seine außergewöhnliche Bildung und adlige Erziehung im Kreise seiner Blutsverwandten am französischen Hof. An der Seite seines Vaters erlernte er die Obliegenheiten eines Herrschers unter den vielschichtigen und komplizierten Verhältnissen der italienischen Stadtstaaten. Dank dessen konnte er bereits in seiner Jugend einen Blick hinter die Kulissen der hohen europäischen Politik tun. Als Karl 1346, in seinem dreißigsten Lebensjahr, in kurzer Folge zum römischen und böhmischen König gekrönt wurde, war er auf seine kommenden Aufgaben und Pflichten aufs Beste vorbereitet. W ährend Karl IV. (1316-1378) für die Welt nur einen unter der Vielzahl der römischen Kaiser darstellte, wurde er für die Tschechen zur hellsten Gestalt der Geschichte ihres Landes, ja gewissermaßen zu ihrem „Superstar“. Und dies nicht nur seiner Herkunft wegen. Von der Mutter Eliška (Elisabeth) her war er ein Nachkomme der uralten Dynastie der Přemysliden, sein Großvater väterlicher- 4 Büste des Königs Johann von Luxemburg im unteren Triforium, Sandstein, 1375-1378 Die Prager Neustadt Majestätssiegel Karl IV. als römischer Kaiser und böhmischer König, Urkunde vom 2. Januar 1373 Büste von Eliška (Elisabeth) Přemyslovna im unteren Triforium, Sandstein, 1375-1378 Ende Februar 1348 kehrte Karl IV. energiegeladen nach Böhmen zurück. Nach seiner Anerkennung auf Reichs- Büste Kaiser Karl IV. im unteren Triforium, Sandstein, 1375-1378 Blick auf Prag (Detail), Viehmarkt (heute Karlsplatz) in der Prager Neustadt, Filip van den Bossche (Zeichnung), Jan Wechter (Stich), 1606 ebene konnte er sich voll und ganz dem Aufbau seines neuen Staates widmen. Schon Johann von Luxemburg hatte sich im April 1344 um die Erhebung des Prager Bistums zum Erzbistum und nachfolgend um die vollständige architektonische Umgestaltung des St. Veitsdoms verdient gemacht, an diese Unternehmungen seines Vaters knüpfte Karl am 8. März 1348 mit der großzügigen Gründung der Prager Neustadt an. Die böhmische Metropole konnte in ihrer dazumalen Gestalt kaum mehr die Repräsentationszwecke und anderen Aufgaben erfüllen, die ihr als Residenz des römischen Reichsoberhauptes zu kamen. Und weil Karl einen Ansturm an Zuwanderern erwartete, ließ er Prag durch seine Neustadt derart erweitern, daß sie das größte urbanistische Areal des damaligen Europa darstellte. So wurde der heutige historische Stadtkern Prags ausgemessen. Karl beließ es nicht bei einer feierlichen Proklamation. Jeder, der eine der Prager Burg, Ausschnitt aus dem Panorama Prags in der Weltchronik von Hartmann Schedel, 1493 Siegel der Karls-Universität, Prag, 1348 im Voraus abgesteckten Parzellen in der Neustadt erwarb, mußte im Verlaufe eines Monats mit dem Bau eines Hauses beginnen und dasselbe unter Androhung hoher Strafen in spätestens achtzehn Monaten fertigstellen. Und da alle Bauherren durch ein Privilegium selbigen Datums für zwölf Jahre allen Abgaben enthoben waren, schoß die Neustadt gewissermaßen über Nacht aus dem Boden. Aus rein wirtschaftlichen Gründen fügte Karl seiner Gründungsurkunde auch einen besonderen Schutzbrief für sich neu ansiedelnde Juden hinzu. Damit war der Grundstein für das Aufblühen Prags als Sitz von vier Herrschern aus dem Geschlecht der Habsburger auf dem Reichsthron gelegt. Mit großem Aufwand ließ Karl seinen Palast auf der Prager Burg umgestalten und ersetzte die alte Steinbrücke über die Moldau durch eine neue mit zwei repräsentativen Brückentürmen. Unter Karl IV. wuchsen in Prag nicht nur neue Kirchen, Klöster und Palais empor, die 5 Karlsbrücke in Prag, der Impuls zu dem Neubau wurde 1348 gegeben Gründungsurkunde der Karls-Universität Stadt wurde auch von neuen mächtigen Stadtmauern umgeben. 7. April 1348 Kurz nach der Gründung der Prager Neustadt kam der Staat an die Reihe. Und weil zu Karls ererbtem Königreich Böhmen einige weitere Länder gehörten, sah er sich veranlaßt, zuerst das Hausgut von den Ländern und Gebieten unter seiner Oberhoheit abzusondern. Seine neue Konzeption des böhmischen Staates besiegelte er durch 14 feierliche Privilegien mit goldenem Siegel. Alle sind mit dem- Mittelalterliche Universitätsvorlesung, zeitgenössische Miniatur selben Datum versehen, Montag, 7. April 1348. Auf elf Pergamentrollen bestätigte Karl kraft seines Titels als römischer König alte Privilegien, die den böhmischen Fürsten und Königen in der Vergangenheit von römischen Königen oder Kaisern erteilt worden waren. Anliegen des Königs war es, durch einmalige Erneuerung der ursprünglichen Privilegien die Selbständigkeit des Königreichs 6 Karolinum, Inauguration in den Festräumen der Karls-Universität Böhmen im engeren Verband des römischen Reiches zu betonen und dieses Königreich in den Rang eines „besonders erlauchten Gliedes“ des Reiches zu erheben, an dessen Spitze er stand. Um Zweifel an der Gültigkeit anderer, nicht ausdrücklich angeführter Privilegien auszuschließen, ließ Karl noch ein besonderes, zusammenfassendes Bestätigungsprivileg anfertigen. Der Sammlung fügte Karl, gleichfalls am 4. April 1348, weitere zwei Urkunden hinzu, welche rechtlich wie faktisch die bereits genannte Staatsunion der unter die böhmische Krone fallenden Länder bewirkten. Die Böhmische Krone In der ersten Urkunde proklamierte Karl in seiner Funktion als römischer König, daß das Olmützer Bistum, die Markgrafschaft Mähren und das Troppauer Fürstentum als Lehen unter die unmittelbare Herrschaft der böhmischen Könige fallen sollten. Die zweite Urkunde ersetzte das komplizierte Gefüge der Lehnsbeziehungen und staatsrechtlichen Bindungen der anderen sog. Nebenländer und Gebiete durch ein rechtliches Statut der Inkorporation, der untrennbaren Verbindung mit der Böhmischen Krone. Die neue Staatsunion der Böhmischen Kronländer umfaßte von da an für mehrere Jahrhunderte das Königreich Böhmen, die Markgrafschaft Mähren, das Olmützer Bistum, das Troppauer Fürstentum, dreizehn schlesische Fürstentümer die Markgrafschaften Unterund Oberlausitz, zeitweilig auch das Herzogtum Luxemburg und die auf eigentümliche Weise angeschlossene Mark Brandenburg. Diese Domänen entsprechen in ihrem Umfang dem Gebiet des heutigen Tschechien. Die Karls-Universität Der letzte Akt jenes denkwürdigen 7. April war die Gründung der Prager Heilig-Kreuz-Kapelle, erbaut von Karl IV. auf der Burg Karlstein Blick in die Kapelle im St. Veitsdom auf der Prager Burg Hochschule, später Karls-Universität. In ihrer nicht allzu umfangreichen, dafür aber um so blumigeren Gründungsurkunde ist zu lesen, daß es Karls Wunsch entspräche, allen nach Früchten der Erkenntnis verlangenden Bewohnern seines Königreiches den Tisch reichlich zu decken, auf daß diese nicht in fremde Länder ausziehen und sich selbige wie ein Almosen erbetteln müßten. Obgleich die Prager Universität auf dem Boden des Königreichs Böhmen emporwuchs und von demselben bewirtschaftet wurde, stand sie gleichfalls allen Einwohnern von Karls Reich und de facto der ganzen Jahre, ehe sich Karls Hochschule soweit entwickelte, daß mehr als tausend Studenten und Meister an ihr lernen und lehren konnten. Und wieder war es Karl selbst, der mit der Gründung eines grossen Kollegs heute Carolinum genannt, der neuen Universität die nötigen Räumlichkeiten und ein würdiges Domizil gewährte. R ückblickend ist es an der Nachwelt, mit Bewunderung und Respekt die Bemühungen Karl IV. anzuerkennen, der im Verlaufe weniger Wochen eine St. Wenzelskrone (1346), Krone der böhmischen Könige, Prag, St. Veitsdom westlichen christlichen Welt offen. Von Anbeginn an wurde die Universität aus vier Fakultäten gebildet, einschließlich der bedeutendsten von ihnen, der sonst recht seltenen Theologischen. O bwohl der Lehrbetrieb in Prag noch im selben Jahr aufgenommen wurde, dauert es weitere zehn, fünfzehn Staatsverwaltung oder – wie wir heute sagen würden – Verfassungskonstruktion der Böhmischen Kronländer einführte, die Prager Neustadt gründete und deren Bebauung einleitete, die Grundlagen der ersten Universität Mittel- und Osteuropas legte – für einen einzigen Mann mehr als genug. František Šmahel Photos: Czech-Tourism, Karls-Universität 7 1458 König von „zweierlei Volk“ Vor 550 Jahren, am 2. März 1458 sah der Altstädter Ring in Prag Grüppchen aufgeregt disputierender Neugieriger. Noch vor der Mittagsstunde erhob sich aus dem Saal des Altstädter Rathauses lautes Rufen. Irgendwer stürmte heraus und verkündete den Wartenden, daß der Landtag soeben einen der Herren, den bisherigen Landesverweser Georg von Kunstat und Podiebrad (Jiří z Poděbrad Jiří z Kunštátu a Poděbrad) zum König gewählt hatte. Dank geschickter Agitation vermochte es Georg, sich gegen solche Thronbewerber wie den französischen Prinzen Karl von Valois oder Wilhelm III. den Tapferen, Herzog von Sachsen und andere durchsetzen. So kam es, daß ein Mann den Thron einnahm, der nicht nur entscheidend in die Geschichte des Böhmischen Staates eingreifen sollte, sondern auch die europäische Politik maßgeblich beeinflußte. Georg von Podiebrad, Holzschnitt aus der Chronik Martin Kuthens, 16. Jh. D ie Persönlichkeit Georg von Podiebrads wurde bereits von seinen Zeitgenossen und später von den Historikern auf das Unterschiedlichste charakterisiert. Auf der einen Seite wurde er als halsstarriger Ketzer, Meineidiger, Königsmörder und Emporkömmling bezeichnet, auf der anderen als ein bei den einfachen Menschen beliebter Herrscher, unerschrockener Hussitenkönig, König von „zweierlei Volk“, Friedensstifter, letzter Böhme auf dem Böhmischen Königsthron. Es wäre ein Fehler, Georg von Podiebrad nur durch eine schwarzweiße Brille zu betrachten. Als sicher gilt aber, daß die positiven Seiten seiner Herrschaft die negativen überwogen. Als Georg 1420 geboren wurde, loderten die Feuer der Hussitenkriege in Böhmen auf. Sein Vater, Viktorin Boček von Kunstat und Podiebrad, aus einem alten, in Mähren weit verzweigten Adelsgeschlecht stammend, hatte große Besitztümer in Böhmen inne. Aus Viktorin wurde ein Anhänger der Hussiten, nahe der Richtung, die der legendäre Heerführer Jan Žižka von Trocnov repräsentierte. Als Vik- 8 torin am 1. Januar 1427 starb, kam der gerade siebenjährige Georg zu Verwandten. Chronisten zufolge soll Georg als Vierzehnjähriger in Begleitung seines Onkels an der denkwürdigen Schlacht von Lipan (30. Mai 1434) teilgenommen haben, bei welcher die radikale Brüderschaft der Hussiten (Taboristen) von dem Heer der Herren, der Prager und der gemäßigten Hussiten vernichtend geschlagen wurde. Die Abteilung, zu welcher Georgs Onkel gehörte, kämpfte an jenem Tage auf der Seite der Sieger. Die Schlacht von Lipan ebnete dem bis dahin von den Hussiten abgelehnten legitimen Erben, dem Kaiser und ungarischen König Sigismund von Luxemburg, den Weg zum böhmischen Thron. Er unterstützte die Hussiten auch bei den Unterhandlungen auf dem Konzil von Basel, an welchem er persönlich teilnahm und wo den Böhmen unter seinem Patronat neben anderen Zugeständnissen auch der Laienkelch zugebilligt wurde, ohne daß sie für Ketzer angesehen wurden, weshalb die Vertreter dieser Glaubensrichtung auch – nach dem Kelch – Kalixtiner genannten wurden. Die auf dem Konzil erreichten Übereinkommen gingen unter dem Begriff „Basler Kompaktate“ in die Geschichte ein. Als Sigismund, dem es nur unter Schwierigkeiten gelungen war, seine Position im Land zu festigen, Ende 1437 starb, bestimmte er seinen Schwiegersohn Albrecht von Habsburg zum König von Böhmen und Ungarn. Und kaum daß sich diesem im Oktober 1439 das Kriegsglück zuwandte, starb auch er. Erst nach Albrechts Tod – also als Witwe – brachte die Königin seinen Sohn Ladislaus zur Welt, der aus diesem Grunde den Beinamen Posthumus erhielt. In Böhmen wie in Ungarn und Österreich brachen Streitigkeiten und bewaffnete Auseinandersetzungen unter den einzelnen Interessengruppen – Adligen und Städten – um die Anerkennung von Ladislaus Ansprüchen und den Einfluß auf seine Erziehung aus. Über Ladislaus Interessen wachte schließlich König Friedrich III. als sein Onkel und Vormund. Auf dem Hintergrund dieser Geschehnisse kamen bald die außergewöhnlichen politischen Fähigkeiten des jungen Georg von Podiebrad zum Vorschein. Das Jahr 1444 sah ihn an der Spitze einer immer stärker werdenden Gruppierung von kalixtinischen Adligen, Katholiken und Städten. Georgs Einfluß und Reichtum wuchsen und 1452 wurde er vom Landtag für die Zeit bis zu Ladislaus Volljährigkeit zum Reichsverweser gewählt. Im Herbst 1457 ging eine Gesandtschaft von Prag nach Frankreich ab, die Ladislaus seine Braut, die Tochter des Ehewappen von Georg von Podiebrad und Johanna von Rosenthal (Johana z Rožmitálu) König Ladislaus Posthumus (Ladislav Pohrobek) beim Gebet, Gebetsbuch von Ladislaus französischen Königs zuführen sollte. Zur Hochzeit kam es allerdings nicht, König Ladislaus verstarb völlig unerwartet am 23. November 1457. Die Königskrone verwaiste also aufs Neue. Schnell begann sich das Gerücht zu verbreiten, der junge König sei vergiftet worden und sein Mörder sei eben Georg. Heute wissen wir mit Bestimmtheit, daß die Todesursache Leukämie war. Als wichtigstes Ziel seiner Herrschaft sah Georg von Podiebrad die Bestätigung der Kompaktate durch den Papst an. Diese sollten zum Grundstein gleichberechtigten Zusammenlebens von Katholiken und Kalixtinern – also „zweierlei Volk“ werden. Der König war peinlich darauf bedacht, die Satzungen des Kompaktats einzuhalten und bemühte sich um die Gleichstellung der beiden Religionen. Trotz großer Anstrengungen und einer Reihe von Zugeständnissen erreichte Georg das selbst gestellte Ziel nicht. Er stieß auf universalistische Bemühungen der römischen Päpste, die jegliche Konzessionen und auseinandergehende Tendenzen ablehnten. Als der Papst endlich die Kompaktate für ungültig erklärte, über Georg den Bann verhängte und ihn vom Thron absetzte, mußte dieser dem Aufstand König Georg von Podiebrad auf Illustrationen der von F. Palacký herausgegebenen Handschriftensammlung Staré letopisy české (Alte böhmische Annalen) aus Chroniken der Jahre 1378 bis 1526 Begegnung des Georg von Podiebrad mit Matthias Corvinus (Setkání Jiřího z Poděbrad s Matyášem Korvínem), Mikolaš Aleš, Öl, 1878 eines Teils des Adels und der Städte die Stirn bieten und ab 1468 noch dem Kriegzug des ungarischen Königs Mathias begegnen, der sich schließlich von einer Gruppe von Rebellen zum böhmischen König wählen ließ. Das Kriegsglück zeigte sich recht wechselhaft, aber es gelang Georg, die Gefahr eines Frontalangriffs durch fieberhafte Diplomatie abzuschwächen. Als sich ihm die Karten endlich zuwandten, starb er am 22 März 1471. Es ist zweifelsfrei ein Verdienst Georg von Podiebrads, daß unter ihm die Integrität des Königreichs Böhmen gewahrt und das Land vom drohenden Verfall verschont blieb. Nach langer Zeit (und zum letzten Mal) griff ein böhmischer König aktiv in die europäische Politik ein. In diesem Zusammenhang ist zu erinnern, daß Georgs – aus heutiger Sicht vorausschauendes – Streben nach einem Verband europäischer, sich zum Christentum bekennenden Herrscher (1462-1464) in gewissem Sinne eine ideelle Vision der europäischen Gemeinschaft oder, um das heutige Vokabular zu gebrauchen, der Europäischen Union war, obwohl es unter den gegebenen Umständen und der politischen Konstellation seiner Zeit jeglicher Realität entbehrte. Georg von Podiebrad gelang es allerdings, die Autorität des Herrschers, die Rechtsordnung und den Rechtsapparat zu erneuern. Er trug dazu bei, Böhmen aus der Isolation, in welche es durch die Hussitenkriege geraten war, herauszuführen und verhalf dem Land zu neuem wirtschaftlichen Aufschwung. In der Geschichte des Landes hat er – als ein einem einheimischen Adelsgeschlecht entstammender Herrscher – deutliche Spuren hinterlassen. František Šebek Photos: Archiv der Redaktion 9 1618 Prager Fenstersturz In Geschichtslehrbüchern steht das Jahr 1618 als Anfang des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) verzeichnet, welcher als erster großer Feldzug in seinen verschiedensten Etappen wohl die meisten Länder Europas überzog. Als nach dreißig leidvollen Jahren in den westfälischen Städten Münster und Osnabrück die Friedensverträge unterschrieben worden, änderte sich für lange Jahre die politische Karte Europas. Einige Landstriche, vor allem in Deutschland, blieben zerstört und menschenleer, andere brauchten mehr als ein halbes Jahrhundert, ehe sie sich völlig von den Kriegsschäden erholten. In einer Reihe von Ländern vollzog sich eine breit angelegte Migration, deren Mentalität und Wertvorstellungen oft von Fatalismus beherrscht wurden. Ein Beispiel für vieles: An die Wand der Burg in Frýdlant (Friedland) in Nordböhmen ließ der Rittmeister der dort durchziehenden schwedischen Armee namens Benjamin Magnus Nortman eine Aufschrift folgender Lautung: Pax bello potior / Sequor trahentia fata (Frieden ist besser als Krieg / Ich schreite hier vom Schicksal herangeschleppt) einmeißeln. Das Schicksal gestattete es dem schwedischen Rittmeister, den Krieg zu überleben, er kehrte allerdings als Kriegsinvalid nach Hause zurück. Sein Enkel war kein anderer, als der berühmte Naturwissenschaftler Carl Linné (17071778). Kehren wir aber an den Anfang zurück, zum Jahr 1618 und den dramatischen Ereignissen in Böhmen. Das, was sich am 23. Mai auf der Prager Burg abspielte, war nur Ausdruck der Spannungen, die schon des längeren zwischen der konfessionell und politisch zerstrittenen katholischen Minderheit und der protestantischen Mehrheit herrschten. Vom Ende des 15. bis zum letzten Drittel des 16. Jahrhunderts herrschte in den Böhmischen Ländern eine konfessionelle Toleranz, die in Europa ihresgleichen suchte. An der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert, am Hofe 10 Rudolf II., begann die Situation zu entgleisen. Die katholischen Radikalen verstärkten den Druck, was die Besetzung entscheidender Positionen am Kaiserhof anbelangte, und forderten die Rekatholisierung. Dies rief den Gegendruck der protestantischen Ständeopposition hervor. Diese nutzte die Streitigkeiten innerhalb des herrschenden Hauses Habsburg, und bewahrten, als es zum Ausbruch offener Streitigkeiten zwischen Rudolf II. und seinem Bruder Mathias kam, Rudolf die Treue und sicherten im zeitweilig den Thron. Sie konnten ihm allerdings die Herausgabe des sog. Majestätsbriefs, zweier im Jahre 1609 ausgestellter Urkunden, die den evangelischen Ständen des Königreichs Böhmen sowie Schlesien Re- Fenstersturz, Graphik, unbekannter Autor Allegorie des Kampfes von Ferdinand II. gegen die Rebellen ligionsfreiheit gewährten, abpressen. Rudolf II. wurde jedoch 1611 gezwungen abzudanken, und sein Bruder Mathias nahm sowohl die böhmische als auch die Kaiserkrone für sich in Anspruch. 1617 gelang es ihm die Zustimmung der Böhmischen Stände für die Nachfolge seines Cousins Ferdinand von Steiermark (später Ferdinand II.) zu erlangen, der für seinen unduldsamen Katholizismus bekannt war. A nfang März 1618 riefen die Führer der protestantischen Stände eine Versammlung ein, um ihre Beschwerde an den Kaiser hinsichtlich der Verletzung des Majestätsbriefs zu formulieren, denn alle vorherigen Versuche eine Wiedergutmachung in Verhandlungen zu erzielen, waren fehlgeschlagen. Zugleich wurde für Ende Mai ein neuer Ständetag einberufen, der des Kaisers Antwort behandeln sollte. Matthias reagierte sehr schnell und noch im März traf in Prag die Antwort aus Wien ein. In diesem Antwortschreiben drückte der Kaiser nicht nur seine Ablehnung gegenüber den Forderungen der protestantischen Stände aus, sondern erklärte zugleich die Ständeversammlung für ungesetzlich. Die Ständeversammlung kam dennoch am 21. Mai 1618 in Prag zustande und für die Führer der protestantischen Opposition stand es außer Frage, daß die Zeit für eine offene Auseinandersetzung gekommen war. Die Schuld für die brüske Antwort des Kaisers wurde einigen der unbeliebten Statthalter zugeschrieben, die in des Kaisers Abwesenheit an der Spitze der Landesverwaltung standen. Die Teilnehmer der Ständeversammlung einigten sich darauf, am 23. Mai 1618 in die Stadthalterkanzlei auf der Prager Burg zu ziehen und die ganze Sache dort zur Sprache zu bringen. In der Nacht davor hatten sich die Führer der Opposition darauf geeinigt, auf der Burg mit einer Gruppe von Fenstersturz, Václav Brožik, Gemälde Statthaltern kurzen Prozeß zu machen, das Todesurteil zu vollziehen, und dies auf eine Weise, die es nicht erlauben würde, einen konkreten Schuldigen zu bestimmen, also durch einen Fenstersturz. Und so geschah es auch. Einem Haufen von etwa zweihundert Personen gelang es, sich den Weg auf die Burg freizumachen und in der Statthalterkanzlei im anwachsenden Durcheinander zwei der Angeklagten – die übrigen der anwesenden Statthalter hatte man herausgeführt – nämlich Vilém Slavata von Chlum und Jaroslav Bořita von Martinic zu verurteilen und das Todesurteil durch Defenstration zu vollstrecken. Als „Zugabe“ wurde auch der Sekretär Filip Fabricius aus dem Fenster geworfen, weil er allzu laut gegen das Vorgehen protestierte. Wie durch ein Wunder blieben die Betroffenen am Leben, weil sie auf Müll und Abfällen im Schloßgraben landeten, was den Aufprall abminderte. Fabricius entfloh, Martinic brachte sich mit nur einigen Abschürfungen in Sicherheit und der verletzte Slavata wurde in das unweit gelegenen Lobkowitzpalais gebracht. Mit dem Prager Fenstersturz begann der Ständeaufstand, die erste Etappe des Dreißigjährigen Krieges. Die Ständekonföderation 1619 mit den angehängten Wappen der Landtagsstände Eine Delegation radikaler Bürger wirft zwei königliche Statthalter und ihren Sekretär aus dem Fenster der Prager Burg František Šebek Photos: Archiv der Redaktion Prager Fenstersturz, Abbildung aus dem Werk Theatrum Europaeum, 17./18. Jh. 11 1818 190 Jahre Nationalmuseum Die Anfänge des Nationalmuseums in Prag waren, ähnlich wie anderswo in Europa, verbunden mit groß angelegten Privatsammlungen, vor allem Sammlungen von Wissenschaftlern. Eine Gruppe aufgeklärter Adliger, allen voran Kaspar Graf Sternberg (1761-1838), ein weltweit anerkannter Gelehrter auf dem Gebiet der Paläontologie, stellte sich an die Spitze derer, die die vorbereitenden Arbeiten zur Gründung des Museums in Angriff nahmen. Am 15. April 1818 wurde die Proklamation über die Gründung eines Museums unterschrieben, und Sternberg ereichte es, daß 1820 das neue Institut die Bestätigung der Wiener Regierung erlangte. So wurde die Společnost vlasteneckého muzea v Čechách (Nationale Museumsgesellschaft in Böhmen) als Inhaber und Verwalter der Sammlungen und als Träger aller Museums- 12 tätigkeit ins Leben gerufen und ihr erster Vorsitzender wurde der Graf Sternberg. Im Jahre 1876 widmete der Stadtrat auf Anraten von František Ladeslav Rieger, dem Vorsitzenden der tschechiNationalmuseum in Prag, Blick in die Mineralienund Edelsteinsammlung schen patriotischen Bewegung, ein Grundstück am oberen Ende des Wenzelplatzes von einem Ausmaß von 13.598 m2. Am 15. November 1883 wurde eine Ausschreibung für den Neubau herausgegeben. Den ersten Preis erteilte die Jury dem Entwurf von Josef Schulze, der vor allem deshalb den Sieg davontrug, weil er ein feierliches Pantheon in sein Gebäude einfügte. Am 27. Juni wurde in der Statthalterei die Baugenehmigung herausgegeben und im Juli wurden die Bauarbeiten eingeleitet. Die baulichen Außenarbeiten fanden 1888 mit dem Abschluß der Kuppel und dem Treppenhaus ihr Ende und die Statuen bekamen ihre Plätze. Am 18. Mai 1891 wurde das Gebäude feierlich von der Böhmischen Akademie der Wissenschaften im Pantheon des Nationalmuseums eröffnet. Seinen heutigen Namen Das eben fertiggestellte Nationalmuseum, Antonín Balšánek, Zeichnung trägt das Museum seit 1922. Nachfolgend ging es in das Eigentum und die Verwaltung der böhmischen Länder über und ab dem Jahr 1949 ist es Eigentum des tschechoslowakischen und später des tschechischen Staates. Die beiden Weltkriege griffen erheblich in die Ausstattung des Museums ein. Folge der neuen Staatsordnung 1918 (Gründung der Tschechoslowakischen Republik) war die Entfernung der Büsten von Franz Josef I. und der Kaiserin Elisabeth. Während der Okkupation im Zweiten Weltkrieg wurden zehn Bronzestatuen konfisziert. Glücklicherweise wurden sie nicht vernichtet und nach dem Krieg wiedererlangt. Während des Prager Aufstandes am 7. Mai 1945 schlug eine Bombe in das Gebäude ein und vernichtete seinen mittleren Trakt. Auch die nächsten Jahrzehnte waren dem Nationalmuseum nicht gerade hold, und obwohl das Gebäude unter die 33 Nationalen Kulturdenkmäler eingereiht wurde, konnte es dem allmählichen Verfall kaum trotzen. Weitere tragische Folgen brachte die Okkupation der Tschechoslowakei im Jahre 1968 mit sich. Die sowjetischen Soldaten beschädigten vorsätzlich die Frontwand des Gebäudes durch Beschuß mit Maschinengewehren und Grundmauern abgetrennt, hydraulisch angehoben und mit einem Betonkranz stabilisiert werden konnte. Seit 1978 wird das Gebäude außerdem zweiseitig von der stark belebten Nord-SüdMagistrate eingeschlossen, die dem Museum tektonisch, klimatisch und ästhetisch schadet. A -pistolen. Diese Tat für den „Schutz des Friedens und des Sozialismus“, wie es damals verkündet wurde, machte in den Jahren 1970 bis 1972 eine Generalsanierung der Fassade nötig, aber die Plomben in dem alten Sandstein sind bis heute erkennbar. Seiner Zeit wurde auch der Bau der Prager U-Bahn eingeleitet – 1978 löste sich infolge unterirdischer Sprengungen der linke vordere Eckrisalit, der hernach von den m 22.11.2006 entschied die Regierung der Tschechischen Republik, daß das nahegelegene ehemalige Gebäude der Föderalversammlung (und nach 1989 des Radios Freies Europa) aus dem Ressort des Finanzministeriums ausgegliedert und dem Ressort des Kultusministeriums übergeben werden und dem Nationalmuseum zur Verfügung stehen solle. Die Gegenwart bringt eine klare Vorstellung hinsichtlich der Ausnutzung des ehemaligen Föderalgebäudes, welches in Zukunft vor allem der breiten Öffentlichkeit, Laien wie Fachleuten dienen, Prag für Touristen attraktiver gestalten und nicht zuletzt zur Entwicklung des Nationalmuseums, dieser größten und bedeutendsten tschechischen Museumseinrichtung beitragen soll. Photos: Archiv des Nationalmuseums Aus den Ausstellungsexponaten: Haupt eines keltischen Heroen aus Mšecké Žehrovice, Mittelböhmen 13 1848 Ein Revolutionsjahr 14 Rahmen der österreichischen Monarchie zwischen Deutschland, Rußland und den muslimischen Herrschaftsgebieten auf dem Balkan. Einigen der kleineren nationalen Bewegungen, vor allem den Slowaken und Slowenen, gab das politische Auftreten der Tschechen von 1848 einen beachtlichen Halt und stellte teilweise auch ein Vorbild dar. Das Jahr 1848 steht für Tschechien im Zeichen der „Ersten“ in der modernen tschechischen Geschichte. Es brachte das erste vollständige tschechische politische Programm, die erste bedeutende und unabhängige tschechische Zeitung, die erste freie öffentliche Versammlung, die ersten ideologisch-politischen Richtungen, die erste moderne Verfassung, die erste Wahlkampagne, die ersten Wahlen in die Gemeindevertretungen, die Landtage und den Reichstag. Die führende Gruppe der tschechischen Nationalbewegung mit dem Historiker František Palacký (1798-1876) an der Spitze trat zum ersten Mal mit der natur-rechtlichen Begründung der eigenständigen Existenz der tschechischen Nation und der Idee einer freiwilligen Union der verschiedensten Nationalitäten, Konfessionen und Religionen im m Unterschied zu einer Reihe anderer europäischer Nationen kam es in Böhmen und Mähren nicht zu revolutionären Aktionen. Im März 1848 und in den folgenden Monaten wurde mit Vorliebe daran erinnert, daß in Prag niemandem auch nur ein Haar gekrümmt, kein Fester zerbrochen, kein Schaufenster eingeschlagen worden sei. Anfangs schien es, als herrsche hier Eintracht unter allen Ständen und Nationalitäten. Die führenden tschechischen Politiker, vor allem Palacký und der einflußreiche Journalist Karel Havlíček Borovský (1821-1856) betonten Besonnenheit, Ruhe und allmähliche Durchsetzung von Reformen gegenüber übertriebenem Radikalismus und gewalttätigen Ausschreitungen, weil ungeglückte Revolutionen oft die politischen Entwicklungen zurückwarfen und so die notwendigen Reformen ausblieben. Nach Havlíček waren die Schweiz und Belgien als die glücklichsten europäischen Länder anzusehen, weil vernünftige Reformen den Ausbruch einer Revolution abwehrten. Die böhmischen Länder waren im März 1848 durch die revolutionären Geschehnisse in Paris und die deutsche Einheitsbewegung in einer Situation, in welcher zumindest der Gedanke eines Landespatriotismus in den František Palacký, Vater der Nation, führende Persönlichkeit des politischen Lebens in den böhmischen Ländern Karel Havlíček Borovský, Begründer des tschechischen Journalismus, Publizist, unerschrockener Kämpfer für die Rechte der tschechischen Nation Dr. Ladislav Rieger, einer der entscheidenden Köpfe des Revolutionsjahres 1848 I St. Wenzel-Bad (Svatováclavské lázně), Schauplatz der ersten öffentlichen Versammlung der Prager am 11. März 1848 Nationalversammlung in Frankfurt/Main, um das Delegat entzündeten sich Auseinandersetzungen zwischen Tschechen und Deutschen, die nicht ohne Einfluß auf die Verhältnisse in den böhmischen Ländern blieben Mit der Messe auf dem Prager Pferdemarkt drückten vor allem Studenten ihren Protest gegen die Vorgehensweise des Stadtkommandanten Alfred I. Fürst von Windisch-Grätz aus Reihen des Adels, der Prager Deutschen und der Deutschmährer überlebte, und wo die nationale Spaltung der Bevölkerung Böhmens und Mährens in eine tschechische Mehrheit und eine deutsche Minderheit noch nicht offenkundig war. Dadurch bedingt waren Demonstrationen für Sprachfreiheit und nationalen Einklang in den ersten Wochen der Reformbewegung. A nfang April 1848 wurde der im Ausland als Historiker bekannte František Palacký in den vom Frankfurter Vorparlament eingesetzten Fünfzigerausschuß zur Vorbereitung des Großdeutschen Nationalstaats eingeladen, der auch die zu Österreich und Böhmen gehörenden Länder einschließen sollte. In seinem Sendschreiben vom 11. April 1848 lehnte Palacký diese Einladung ab, weil er sich als Böhme und nicht als Deutscher fühlte, gleichzeitig gab er seinen Befürchtungen hinsichtlich der Gebietsansprüche des zukünftigen geeinten Deutschland und einer eventuellen Expansion des zaristischen Rußland Ausdruck. Seinen berühmten Ausspruch, daß der österreichische Staat im Interesse Europas und der Humanität selbst geschaffen werden müßte, Prager Studenten mit ihrem Führer Uffo Horn an der Spitze am Eingang zum Karolinum, März 1848 Nationalgarden, Prag, Frühling 1848 wenn es ihn nicht schon längst gäbe, verteidigte Palacký auch später mit dem Verweis darauf, daß es bei weitem einfacher sei, etwas Unvollkommenes zu zerschlagen und dadurch eher unwiderrufliche Schäden herbeizuführen denn erfolgversprechende Reformen zu verwirklichen. Diesem Standpunkt schlossen sich letztendlich alle aktiven Mitglieder der tschechischen Nationalbewegung einschließlich der Radikalen an. Bis zum Ende des Juliaufstandes 1848 hatten die Tschechen dank der Tätigkeit des einflußreichen Nationalausschusses weit bessere politische Stellung als zu jeder anderen Zeit bis zum Oktober 1918. Dabei war auch der Prager Juliaufstand keine Revolution, weil sie von den Spitzen der österreichischen Armee provoziert wurde, keine zielbewußte Führung, ja nicht einmal Forderungen hatte, und wurde beträchtlich von den Bestrebungen der Prager Studenten bestimmt, es ihren Wiener Vorbildern gleichzutun. Die größte Kalamität war nach Ansicht Palackýs, daß der gewählte Böhmische Landtag nicht nach dem Juniaufstand zusammenkam, was sich als negativ für die Rechtsverhältnisse im Königreich Böhmen erweisen sollte. Er war überzeugt davon, daß die weitere Entwicklung Böhmens 15 Die am linken Moldauufer zusammengezogene Armee von Windisch-Grätz bombardiert Prag Straßenkämpfe zwischen Patrioten und Soldaten und der ganzen Monarchie ohne Gewalt günstiger verlaufen würde, und daß es deshalb möglich sein würde, für die böhmische Nation und das Land die Rechte zu erlangen, nach welchen man schließlich bis 1918 vergeblich trachtete. Palacký ging jedoch in seiner Annahme irre, daß 1848 die Forderung nach einer Autonomie Böhmens in den höchsten Kreisen der Monarchie auf mehr Gehör stoßen würde als die Forderung Ungarns, weil er die hartnäckigen Anstrengungen der altösterreichisch zentralistischen Bürokratie und der Militärkreise unterschätzte, die die Böhmischen Länder als festen Kern des Kaisertums Österreichs direkt Wien unterstellt wissen wollten. 16 An der Wende vom Juni zum Juli 1848 erkannten Palacký und seine politischen Freunde, daß sich nach Niederschlagung der Juni-Unruhen in Prag die Macht der Wiener Regierung auf dem gesamten Gebiet des Habsburgerreiches mit Ausnahme von Ungarn und den norditalienischen Provinzen gefestigt hatte. Der Belagerungszustand in der Hauptstadt Böhmens, den die Auflösung des Nationalausschusses begleitete, legte die öffentliche politische Tätigkeit der tschechi- schen Nationalbewegung in Prag lahm. Die tschechische politische Repräsentation beschloß deshalb, alle Vorbehaltungen gegen die Mißachtung der Rechte der Böhmischen Krone bei Seite zum lassen und an der Sitzung des Österreichischen Reichstages teilzunehmen, der zuerst, von Juli 1848 an, in Wien und später, von November 1848 bis Anfang März 1849, im mährischen Kroměříž (Kremsier) stattfand. Die böhmischen Abgeordneten waren Mitgestalter einer durch- Wien 1848, von hier aus wurde über das Schicksal der tschechischen Nation entschieden Kremsier (Kroměříž), Marktplatz, 1848 dachten Kompromißlösung der Nationalitätenfrage, die vor allem aus den Reihen der bürgerlichen Politiker hervorging, ohne maßgebliche Beteiligung der Regierung und der Aristokratie. Die historischen Kronländer des österreichischen Kaiserreichs, Böhmen und Mähren, sollten beibehalten werden, aber innerhalb derselben sollten Kreise gebildet werden, die so weit wie möglich der ethnischen und sprachlichen Zusammensetzung der Bevölkerung entsprechen sollten. Der Erhalt und die Entfaltung der Nationalitäten, insbesondere der Sprachen sollte als unveräußerliches Recht im Verfassungsentwurf verankert werden. Einige der tschechischen Abgeordneten auf dem Kremsierer Reichstag erwogen zum ersten Mal die Einrichtung einer Nationalitätenkurie in den Landtagen, dieser Impuls fand allerdings keinen Anklang. Alle diese bahnbrechenden Vorschläge scheiterten jedoch aufgrund der gewaltsamen Auflösung des Reichstages am 7. März 1849, spielten allerdings bei allen in der Folgezeit verabschiedeten Gesetzen und politischen Verhandlungen über den nationalen Ausgleich eine Rolle. Als dauerhafte Errungenschaft des Revolutionsjahres 1848 in den Böhmischen Landen Prag, Verteidigung der Altstädter Brückentürme toriker Josef Pekař die berauschende Atmosphäre des Jahre 1848. B Gefühl der Freiheit und des freien Flugs, das ihnen jenes Jahr brachte. „Alle hatten damals, trunken vom starken Wein der Freiheit (der nie zuvor ihre Lippen berührt hatte) das Herz auf der Zunge, und was sie wünschten, verwirklichten sie auch sogleich“, beschreibt der tschechische His- ei den Feierlichkeiten anläßlich der 200. Wiederkehr des Geburtstags von František Palacký 1998 betonten die tschechischen Politiker, daß die tschechische Politik schon Mitte des 19. Jahrhunderts darauf vorbereitet war, sich einer übernationalen Gruppierung unterzuordnen und auf der Grundlage der Gleichberechtigung mit den anderen Nationen Mitteleuropas zusammenzuarbeiten. In diesem Sinne ist der Reichstag von Kremsier als das bedeutendste Erbe des Revolutionsjahrs 1848 anzusehen. Der Entwurf der Kremsierer Verfassung stellt trotz aller Unzulänglichkeiten eine Vorstufe zukünftiger erfolgreicher Zusammenarbeit mitteleuropäischer Nationen dar. Im heutigen Geschichtsverständis steht der Reichstag von Kremsier viel höher, als die Prager Barrikaden vom Juni 1848. Jiří Kořalka Photos: Archiv der Redaktion ist nicht nur die Aufhebung der Fronarbeit 1789 zu betrachten, sondern vor allem die Einführung der Selbstverwaltung von Städten und Dorfgemeinden. Die entscheidende politische Macht in Österreich blieb zwar in den Händen der Staatsbürokratie, aber die politisch und wirtschaftlich aktive Oberschicht in Böhmen schaffte es bereits ab 1848 verschiedene Institutionen zu beherrschen, die gewählten Vertretern der Bürgerschaft anvertraut wurden. Personen- und Eigentumsschutz sicherten in vielen böhmischen und mährischen Städten im Verlaufe des Jahres 1848 Bürgergarden aus den Reihen örtlicher Handwerker und Gewerbetreibender. Es traten freiwillige Vereine ins Licht der Öffentlichkeit, die Slovanská Lípa (Slowakische Linde) etwa hatte einige tausend Mitglieder in sechsundsechzig Zweigstellen und Zehntausende Anhänger. Vereinstätigkeit entwickelten z.B. die böhmischen Frauen, auch die Studentenschaft trat selbstbewußt auf, Versammlungen mit gezielten Forderungen veranstalteten die katholischen und evangelischen Geistlichen. Viele, die das Jahr 1848 bewußt erlebten, erinnerten sich zeitlebens an das erhebende Barrikadenkämpfe und Kampfszenen während des Prager Pfingstaufstandes 17 1868 Das Prager Nationaltheater ie Idee, ein würdiges steinernes Theater zu errichten, wurde im Herbst 1844 bei Beratungen patriotisch gesinnter Kreise geboren und ihre Umsetzung begann mit dem Antrag auf ein Privileg zu Aufbau, Einrichtung, Trägerschaft und Leitung eines selbst- In der Zeit des sog. Bachschen Absolutismus (Alexander Bach, Innenminister in der Regierung des absolutistischen Herrschers Franz Josef I.) wurden die Vorbereitungen zum Bau gestoppt und die Konzeption eines bescheidenen provisorischen Gebäudes unterstützt, welches im südlichen Teil des Grundstücks vom Architekten Ignac Ullmann erbaut und am 18. November 1862 eröffnet wurde. Zeitgleich mit der Umsetzung dieses neuen Vorhabens setzte eine großangelegte Offensive junger fortschrittlicher Anhänger der vormaligen großzügigen Konzeption ein. Diese gelangten 1865 an die Spitze des Kollegiums und forderten den dreiunddreißigjährigen Professor für Hochbau an der Prager Tech- ständigen tschechischen Theaters, welcher dem Ständausschuß des Böhmischen Landtags am 29. Januar 1845 von František Palacký vorgelegt wurde. Sechs Jahre später- im April 1851 – gab das Kollegium für Gründung des Tschechischen Nationaltheaters in Prag (Sbor pro zřízení českého národního divadla v Praze) den ersten Aufruf zur Aufnahme einer Spendensammlung heraus. Ein Jahr später wurde aus den Einnahmen der ersten Sammlungen das Grundstück des ehemaligen Salzamtes mit einer Fläche von 28 Ar erworben, damit war die wunderbare Lage des Theaters am Moldauufer dem Panorama der Prager Burg gegenüber vorbestimmt. nischen Hochschule, den Architekten Josef Zítka auf, einen Entwurf für das Theatergebäude auszuarbeiten. Dieser trug denn auch bei der nachträglich eingeleiteten Ausschreibung den Sieg davon, und am 16. Mai 1868 konnte dann der Grundstein gelegt werden. Im November gleichen Jahres war das Fundament gelegt, 1875 fand das Richtfest statt und 1877 hatte das Theater sein Dach. 1873 liefen auch die Ausschreibungen für die Innenausstattung an, für die Festlegung der Bedingungen wurde eine Sonderkommission unter Karel Sladkovský gebildet. Die Sujets waren zum einen im Hinblick auf die Gestaltung des Gebäudes im Stil der Das Nationaltheater Prag stellt die Verkörperung des Willens der tschechischen Nation nach nationaler Selbständigkeit und Unabhängigkeit dar. An seinem Entstehen beteiligten sich Menschen aller Schichten mit Spenden und die feierliche Grundsteinlegung am 16. Mai 1868 wurde zu einer politischen Manifestation der ganzen Nation. D 18 Spendenbüchse für den Bau des Prager Nationaltheaters Prager Nationaltheater, Bedřich Ohmann, Gravur Neorenaissance klassisch, zum anderen ließen sie sich von der zeitgenössischen Begeisterung für die slawische Mythologie inspirieren. Diese beiden Konzeptionen, die aus den Gemälden des anerkannten romantischen Malers Josef Mánes hervorgingen, gepaart mit romantischer Landschaftsmalerei (thematisch auch an die böhmische Geschichte erinnernd), gaben einem künstlerischen Ausdruck die ideelle Grundlage, den wir heute als Kunst der Generation des Nationaltheaters bezeichnen. Zum ersten Mal geöffnet war das Nationaltheater am 11. Juni 1881 anläßlich des Pragbesuchs des Kronprinzen Rudolf. Es fanden noch weitere 11 Vorstellungen statt, danach wurde das Gebäude zwecks Fertigstellung der Innenarchitektur wieder geschlossen. Mitten in den Arbeiten, am 12. August 1881, brach im Theater ein Feuer aus, welches die kupferne Kuppel zerstörte. Der Brand wurde als nationale Katastrophe betrachtet, erweckte jedoch eine enorme Bereitwilligkeit zu neuen Spenden. Innerhalb von 47 Tagen wurden eine Million Gulden eingenommen. Mit den Instandsetzungsarbeiten wurde der Architekt Josef Schulz be- Bühne des Nationaltheaters mit dem Vorhang von Vojtěch Hynais traut. Dieser setzte eine Erweiterung des Gebäudes durch und änderte auch die räumliche Gestaltung des Zuschauerraums, um die Sichtverhältnisse zu verbessern. D Oper Libuše (Libussa) eröffnet. Das Gebäude, technisch aufs beste ausgestattet (elektrische Beleuchtung, Stahlkonstruktion der Bühne), diente ohne größere Umbauten fast einhundert Jahre. Erst am 1. April 1977 wurde das Nationaltheater mit der Vorstellung Lucerna von Alois Jirásek für mehr als sechs Jahre geschlossen. Nach dem umfangreichen Umbau, der die Neugestaltung der direkten Umgebung mit einbezog, wurde im Theater am 100. Jahrestag der Eröffnung, also am 18. November 1983, zum ersten Mal wieder gespielt. Wiederum mit der Aufführung von Smetanas Libuše wurde das historische Gebäude der Öffentlichkeit zurückgegeben. Gegenwärtig ist dieses außerordentlich wichtige und schöne Bauwerk mit einem modernen Betriebsgebäude verbunden, in welchem sich u.a. die Hauptkasse befindet. Im Nationaltheater fanden drei künstlerische Ensemble ihr Zuhause: Schauspiel, Oper und Ballett. Photos: Archiv des Nationaltheaters as Nationaltheater wurde am 18. November 1883 mit Smetanas 19 1918 – Die Tschechoslowakische Legion Aus der Stellung der tschechischen Nation, welche bis zum Jahr 1918 keinen eigenen Staat hatte und in den Vielvölkerstaat der Habsburger eingebunden war, geht hervor, daß Schlachten, die als tschechische ins Geschichtsbewußtsein eingegangen sind, in den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts nicht von großen Armeen auf der Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht ausgefochten wurden, wie dies in den selbständigen europäischen Nationalstaaten der Fall war. Während des Ersten Weltkriegs entstanden, anfangs nur auf eine Initiative der im Ausland lebenden tschechischen Landsleute, in den Ländern, die gegen Deutschland oder Österreich-Ungarn kämpften, kleine Freiwilligen-Einheiten, etwa die sog. Česká družina (Tschechische Gefolgschaft) in Rußland und die Rota Nazdar (Kompanie Gut Heil). In Gefangenschaft (vor allem in Rußland, Italien, Serbien) befanden sich zahlreiche tschechische Soldaten des österreichisch-ungarischen Heeres. Die tschechische politische Emigration mit T.G. Masaryk an der Spitze formulierte ihr politisches Pogramm. In Masaryks Konzeption sollte die Existenz tschechoslowakischer Einheiten eines der Argumente für die Herausbildung eines eigenständigen tschechischen Staates bilden. Es formierte sich so das tschechische (tschechoslowakische) Heer, zusammengesetzt aus gefangenen Tschechen und Slowaken und den tschechischen und slowakischen Landsleuten im Ausland. Für dieses Heer bürgerte sich der Name Legion ein – russische, französische, italienische, je nachdem im Rahmen welcher Armee und an welcher Front die Einheit kämpfte. Die Tschechoslowakische Legion focht zwar im organisierten Rahmen in alliierten Armeen, aber unter der tschechischen Fahne. Die größte Bedeutung hatte die so genannte sibirische Anabasis. Die Legionäre in dem vom Bürgerkrieg zerrütteten Rußland bildeten ein Armeecorps, das ein breites Gebiet kontrollierte und zu einem maßgeblichen Faktor der internationalen Politik wurde. Der Einsatz der Legionen trug entscheidend zum Entstehen und zur internationalen Anerkennung des eigenständigen tschechoslowakischen Staates bei. Nach der Gründung der Republik wurden die Traditionen der Legionäre zur Grundlage der sich herausbildenden Armee des neuen Staatens. Jan Galandauer Mitte: Panzerzug der tschechoslowakischen Legion „Orlik“ in Sibirien unweit von Irkutsk 1. Tomaš Garrigue Masaryk in der Filiale des Nationalrates in Kiew, 1917 2. T.G.M. und Mitarbeiter des Tschechoslowakischen Nationalrates in Petersburg, Mai 1917 3. T.G.M. beim Ersten Tschechoslowakischen Regiment in Bobrujsko 4. T.G.M. zwischen den Legionären in Bobrujsko, August 1917 5. Tschechoslowakische Soldaten geben an der sibirischen Magistrale ihre Waffen ab 6. Geschmückter Wohnwagen der Tschechoslowakischen Legionäre in Rußland 7. Soldaten des 1. Tschechoslowakischen Schützenbataillons in Schützengräben bei Zborov 8. Das 1. Tschechoslowakische Ersatzregiment zieht sich aus der Ukraine zurück, Februar 1918 9. Lager in Stanford (USA), wo Freiwillige auf den Einsatz in Frankreich vorbereitet wurden 10.-11. Werbepostkarte, Aufruf zum Eintritt in die Tschechoslowakische Legion 20 1 2 3 4 Photos: Archiv Jan Galandauer 5 6 7 8 9 10 11 21 1918 Die Gründung der Tschechoslowakei Als am 28. Oktober 1918 um Mitternacht der Journalist, Publizist und Freiheitskämpfer Jan Hajšman aufgeregt und müde nach seiner Prager Wohnung heimkehrte, wußte er, daß er eine historische Wende miterlebt hatte: „Meiner Gedanken war ich nicht mächtig. Ich kehrte immer nur zu dem einen zurück: Am Morgen war ich als ein Untertan Österreichs aufgestanden, jetzt bin ich Bürger eines freien tschechoslowakischen Staates. Wie seltsam das doch ist! Am Morgen ging die Sonne über einem geknechteten Land, über einem in alle Enden der Welt verstreuten Volk auf, das mit allen Kräften für die Freiheit arbeitete, sich schlug und abends ging sie über einer freien Nation unter. Wie ist das seltsam, und wie seltsam ist das alles verlaufen! Ein Märchen, ein Wunder!“ Wunder vorkommen, als sie die Proklamation lasen oder hörten, welche der tschechoslowakische Nationalausschuß an jenem Tage voller Ereignisse und Aufregungen um 17 Uhr entgegennahm: Volk, A uch seinen tschechischen Zeitgenossen mußte es wie ein unvorstellbares 22 Propagandaplakat von Viktor Preisig, in den USA während des 1. Weltkrieges herausgegeben T.G. Masaryk, 1918 tschechoslowakisches! Dein jahrhundertealter Traum ist Wirklichkeit geworden. Der tschechoslowakische Staat trat am heutigen Tage in die Reihen der selbstständigen, freien, Kulturstaaten der Welt ein. Der Nationalausschuß, begabt mit dem Vertrauen aller tschechoslowakischer Menschen, nahm als einziger und berechtigter Repräsentant die Verwaltung deines Staates in ihre Hände! Tschechoslowakisches Volk! Alles, was du unternimmst, unternimmst du von diesem Augenblick an als ein neues, freies Mitglied der grossen Familie freier Völker. Ein selbständiger tschechoslowakischer Staat! An etwas Ähnliches hatte vor dem Ausbruch des I. Weltkrieges niemand auch nur im geringsten gedacht. Die politischen Parteien Tschechiens und die tschechischen Politiker rechneten damit, daß man auf Dauer ein Teil der Habsburgmonarchie bleiben würde. In den vermessensten Augenblicken hatte man gefordert, daß die Böhmischen Kronländer, d.h. Böhmen, Mähren und Schle- Zeitgenössisches Plakat „Geburt der Tschechoslowakischen Republik“, neben den Portraits von T.G. Masaryk und M.R. Štefánik sind der US-amerikanische Bundespräsident Wilson und der französische Marschall Foche zu sehen, die Freiheitsstatue erhebt sich symbolisch neben der tschechischen Burg Vyšehrad T.G. Masaryk wird auf dem Wenzelplatz gefeiert, E. Boháč, Öl sien, in ihren historischen Grenzen eine staatsrechtliche Einheit bilden sollten, was damit besiegelt werden sollte, daß Kaiser Franz Joseph die Wenzelskrone entgegennahm. Im Vergleich mit der Bescheidenheit der tschechischen Vorkriegspolitik, die sich auf das Erreichen dieser Zielstellungen auf dem Boden der föderalisierten Habsburgmonarchie beschränkte, erschien der 28. Oktober als ein unerhörter, unglaublicher Erfolg: an jenem Tag wurde die Herausbildung eines völlig eigenständigen Staates, bestehend nicht nur aus den historischen Kronländern sondern Bekränzte Statue des Hl. Wenzel vor dem Nationalmuseum Die Massen lauschen begeisterten Reden vom Balkon des Nationaltheater auch aus der Slowakei und wie, sich es sich später fügen sollte, auch Karpatenrußland (Ukraine), zur Wirklichkeit. Es ist nicht verwunderlich, daß jener 28. Oktober – der Tag, der zum Symbol der Entstehung der Tschechoslowakischen Republik wurde – den Zeitgenossen als etwas ganz Besonderes, gewissermaßen als die Erfüllung eines glühenden tschechischen Traums erschien. In der Schilderung eines der „Männer des 28. Oktober“, also eines der Präsidiumsmitglieder des Nationalausschusses, welche an jenem denkwürdigen Tag die Bildung des selbstständigen tschechoslowakischen Freischärler auf der Sophieninsel in Prag 23 Volksversammlung auf dem Prager Wenzelplatz, 28. Oktober 1918 Staates ausriefen, des späteren Ministers, Botschafters und Senators František Soukup, stellten die Geschehnisse jenes Tages die fast mystische Zusammenfassung der tschechischen Geschichte dar: „Und an jenem 28. Oktober eröffnete sich vor unserm geistigen Auge die gesamte Geschichte unserer Nation. An jenem 28. Oktober flogen unsere Seelen die lange Zeit zurück bis hin in die hussitische und es richtete sich die Gestalt des Märtyrers der Revolution Jan Hus und des Heerführers Jan Žižka empor, deren Namen nach einem halben Jahrtausend aufs Neue auf den Fahnen der tschechoslowakischen Legion emporflammten…“ Und natürlich erhob Soukup in seinem begeisterten Pathos auch die Person des ersten Präsidenten der Tschechoslowakischen Republik T.G. Masaryk in schwindelnde Höhen: „Der Apostel der Humanität, welcher die Heere organisierte, lehnte alle Kompromisse ab und verkündete, daß Krieg – Revolution zu Ende geführt werden müßten. Der Staatsmann, der in Washington die Unabhängigkeit und die Verfassung proklamiert hatte, und gemeinsam mit dem großen Wilson die Grundlagen eines neuen Europa legte… Ein Führer der Nation, bei dessen Ankunft sich ihm die Arme von Millionen entgegenstreckten, in mystischer Sehnsucht ihrer Seelen riefen: Sehet, der Befreier!“ Das Gesetz über die Sonn- und Feiertage vom 21. März 1925 bestimmte den 28. Oktober – den Tag der Entstehung des eigenständigen Tschechoslowakischen Staates – zum Staatsfeiertag. Mit diesem Datum waren in der Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit alljährliche Feierlichkeiten verbunden. In Garnisonsstäd- 24 Verhandlungsteilnehmer in Genf ten fanden Heeresschauen statt, Züge uniformierter Legionäre, der Angehörigen des Turn- und Sportbundes Sokol (Falke), von Arbeiter-Turn-Vereinen, Feuerwehrleuten, Menschen in historischen Volkstrachten, Handwerker mit ihren Zunftabzeichen, in Sälen und auf Plätzen an Denkmälern und Freudenfeuern waren Reden zu hören. Es fanden festliche Theatervorstellungen, Konzerte, Fackelumzüge statt, Ehrungen von Kampfstätten der Legionäre, Freiheitsbäume wurden gepflanzt. Der 28. Oktober 1918 wurde als Tag tschechischen Triumphs empfunden. Allerdings ist nichts im Laufe der Geschichte absolut und endgültig, am wenigsten Erfolge und Träume kleiner Staaten. Die staatliche Eigenständigkeit besteht jedoch nicht nur aus Souveränität, der über der Prager Burg wehenden Präsidentenstandarte oder den Fanfaren aus Bedřich Smetanas Oper Libuša. Die Eigenstaatlichkeit stellte für ein kleines Land an einem solch Vereidigung der Tschechoslowakischen Truppen auf dem Altstädter Ring, 29. Oktober 1918 exponierten Platz in der Herzmitte Europas auch ein großes Risiko dar. Die Feierlichkeiten anläßlich des zehnten Gründungstages im Jahre 1928 verliefen besonders demonstrativ. Es gab aber auch mehr als genug zum Feiern. Die große luxuriöse dreibändige Ausgabe Deset let Československé republik (Zehn Jahre Tschechoslowakische Republik) gab eine stolze Bilanz von dem Weg, den der neue Staat im Herzen Europas von seinem Entstehen an zurückgelegt hatte, und blickte mit Optimismus der Zukunft entgegen. Zehn Jahre später sah alles anders aus. Am 28. Oktober 1938 sollte auf der Anhöhe Vítkov im Prager Stadtteil Žížkov das Denkmal der Befreiung als würdige Anerkennung der Selbstständigkeit des Tschechoslowakischen Staates und seiner Armee enthüllt werden. Dazu kam es nicht. Nach der Katastrophe von München und der Abfuhr, die der Tschechoslowakei erteilt wurde, war an eine Feier nicht zu denken. Es wurden auch Stimmen laut, welche im engen Blickwinkel des nationalen Unglücks den 28. Oktober in der Rückschau als einen anmaßenden Irrtum bezeichneten, als tschechischen Größenwahn, der die harte Realität der Auseinandersetzungen des nationalen Egoismus ignorierte, in welchen stets der Stärkere siegte. Vor dem Reichstagsgebäude auf der Prager Kleinseite, 28. Oktober 1918 mus an. Sein Fall wurde oft auch als eine Rückkehr zu den Werten der Zwischenkriegszeit verstanden. Es schien, als solle Mitteleuropa in manchem in die Zeit vor 1918 zurückgesetzt werden. Wurde in der Vergangenheit der 28. Oktober mit dem 30. Oktober 1918, also mit der Martiner Deklaration (Svatomartinská deklarace) in welcher die slowakischen Politiker dem gemeinsamen tschechoslowakischen Staat zustimmten, in Verbindung gebracht, so gibt es diese Alliance heute nicht mehr, Allerdings dachte die Mehrheit des Volkes nicht so. Der erste Jahrestag nach der Okkupation und der Umwandlung der Tschechoslowakei in das Protektorat Böhmen und Mähren, der 28. Oktober 1939 verwandelte sich in eine immense Demonstration gegen die deutsche Okkupation. Die Prager bekannten sich zu dem Staat, der 1918 entstanden war, und es ist gewiß nicht als Zufall anzusehen, daß im Widerstandskampf die Losung „Für einen neuen 28. Oktober!“ (Za nový 28. říjen!) aufkam. Der Mai 1945 brachte die Befreiung und der 28. Oktober konnte wieder als National- und Staatsfeiertag begangen werden. Aber gleichzeitig ist jener Tag mit der Verabschiedung der Verstaatlichungsdekrete verknüpft, welche die weitere Entwicklung vorzeichneten, die zur Machtübernahme der Kommunisten führte. Unter dem kommunistischen Regime wurde der 28. Oktober nicht mehr als Tag der Entstehung des Tschechoslowakischen Staates gefeiert, sondern als Tag der Verstaatlichung. Ein Slogan der kommunistischen Propaganda aus den fünfziger Jahren lautete „ohne den 7. November 1917 gäbe es auch keinen 28. Oktober 1918“ und stellte den propagandistischen Versuch dar, die Entstehung der Tschechoslowakei als eine unmittelbare Folge der bolschewistischen Revolution in Rußland anzusehen. Kritik an dieser Ideologie und politischen Konstruktion im Einklang mit der Forderung, den 28. Oktober wieder als Staatsfeiertag einzuführen, erhob sich wann immer sich die unerbittliche Rigidität des kommunistischen Regimes auflockerte (z.B. bei der Konferenz tschechoslowakischer Historiker 1966). Die Demonstration am 28. Oktober 1989 kündigte das Ende des Totalitaris- genau so, wie es keinen tschechoslowakischen Staat mehr gibt. Der 28. Oktober ist jetzt allein der Staatsfeiertag Tschechiens. In der neuzeitlichen tschechischen und slowakischen Geschichte ebenso wie in der Geschichte ganz Mitteleuropas, bleibt die Tschechoslowakische Republik ein wichtiger Meilenstein mit symbolischem Wert. Jan Galadauer Photos: Archiv der Redaktion „Gemischte“ Wachen gebildet aus tschechoslowakischen Truppen und Einheiten der österreichisch-ungarischen Armee vor dem Prager Militärkommando 25 1938 Münchner Abkommen Als der tschechoslowakische Außenminister Kamil Krofta, gebrochen und verbittert, in den Mittagstunden des 30. September 1938 in Prag den Botschaftern der drei Münchner Großmächte Großbritannien, Frankreich und Italien die Zustimmung seiner Regierung zur Beschneidung des Territoriums der Tschechoslowakei zugunsten von Deutschland und Ungarn zutrug, fügte er warnend hinzu: „Ich weiß nicht, ob Ihre Länder einen Gewinn aus der Entscheidung in München ziehen werden. Aber gewiß sind wir nicht letzten, es werden noch andere Schaden davon tragen.“ Es waren noch andere, vor allem in Europa. D ie Welt nach dem Jahre 1918 lebte in der Vorstellung, daß der Frieden vor allem auf politisch-diplomatischen Garantien beruhen sollte. In diesem Sinne wurde auch die internationale Sicherheit der Staaten gestaltet. Der Tschechoslowakei sagte diese Auffassung in jeder Weise zu, sie pflegte sie und war bestrebt sie in ihrer ganzen Spannweite umzusetzen, in erster Linie im Völkerbund und mit seiner Hilfe, auch in ihren bilateralen Bündnissen. Seine zweitausend Kilometer lange Grenze konnte die Tschechoslowakei nicht in ihrer Gänze mit eigenen militärischen Kräften verteidigen. Dieser Umstand maß der tschechoslowakischen Außenpolitik und ihrer Diplomatie eine besondere Bedeutung zu. Es galt, sie so zu gestalten, daß eine Gefahr von außen ganz ausgeschlossen wurde, oder der Armee solche Allianzen zu verschaffen, die ihre Verteidigungskraft wirksam erhöhten. Besonderes Augenmerk richtete man auf den Vertrag mit Frankreich, von dem man annahm, daß eine Übereinstimmung in den Ansichten bestand (bzw. bestehen sollte), und dies in Hinsicht auf die Sicherheit in Europa, die Struktur des Sicherheitssystems, die Beziehungen innerhalb Europas, das geistige Gepräge 26 und die künftigen Entwicklungsrichtungen. Die Tschechoslowakei orientierte sich an der französischen Außenpolitik, wo man sich Anregungen und richtungweisende Fingerzeige für die eigene politisch-diplomatische Vorgangsweise holte. Dadurch kam es auch zum Bündnisvertrag mit der Sowjetunion, welcher dem Französischsowjetischen Pakt nachfolgte und welchem sich die Tschechoslowakei auch auf Wunsch der beiden Unterzeichnerstaaten unterordnete. Gegen die Tschechoslowakei Die internationale Ordnung, entstanden nach dem I. Weltkrieg vor allem nach dem Willen der Siegergroßmächte, wurde in den 1930er in Prag, Demonstrationen gegen das Münchner Diktat vor dem Parlamentsgebäude, 22.9.1938 Briten fordern von ihrer Regierung, die Tschechoslowakei zu schützen, London, 26. September 1938 Mitglieder der Henleinpartei feiern den Einzug in tschechoslowakisches Gebiet in der Gemeinde Haslau (heute Hazlov) bei Asch (Aš), 24. September 1938 Zweifel gezogen und vom nationalsozialistischen Deutschland empfindlich gestört. Für Europa und die Tschechoslowakei war es schicksalhaft, daß die Demokratie in Deutschland unterging und sich ein totalitäres faschistisches Regime durchsetzte. Es war auf Expansion ausgerichtet, die sein Führer Adolf Hitler bereits ab Ende 1937 vorbereitete. Die ehemaligen Böhmischen Kronländer wollte er „seinem“ zukünftiges Europa einverleiben, unmittelbar ins Reich eingliedern und eindeutschen. Die Tschechoslowakei sollte in einem Blitzkrieg vernichtet werden, gerechnet wurde damit, daß das Land ohne alle Verbündete dastand. Um seine Isolation sollte sich die deutsche Außenpolitik und Propaganda kümmern. Der wachsende Druck Deutschlands auf die Tschechoslowakei wurde als Schutz der schwer unterprivilegierten Sudetendeutschen ausgelegt. Er stützte sich auf die Zusammenarbeit mit Henleins Sudetendeutscher Partei, welche die im tschechisch-deutschen Grenzgebiet zahlenmäßig überlegene deutsche Minderheit beherrschte und ihr Schicksal mit dem des Deutschen Reiches verband. Entsprechend einer geheimen Absprache mit Hitler stellte die Partei Forderungen an die tschechoslowakische Regierung, die sie selbst für unerfüllbar hielt und trug so zu einem Klima drohenden Krieges bei. Die westlichen Großmächte, Frankreich und Großbritannien, wollten einen Krieg um jeden Preis verhüten. Sie gingen auf die Argumentation der sudetendeutschen Kreise ein und drängten, die sudetendeutsche Frage instrumentalisierend, von Frühling 1938 an immer härter darauf, daß die tschechoslowakische Regierung eine Übereinkunft mit Henleins Partei träfe. Die Regierung bot einige Lösungen an, die allerdings abgelehnt wurden. Sie akzeptierte sogar die absolute Verwaltung der Grenzgebiete durch Henlein – die Antwort darauf war ein blutiger Aufstand und die Forderung, das tschechisch-mährische Grenzgebiet an Deutschland anzuschließen. Evakuierung der Grenzstadt Polička (Politschka), Oktober 1938 Soldaten der deutschen Wehrmacht stürzen die tschechoslowakischen Grenzsteine Die Krise In die sich zuspitzende Situation griff Großbritannien direkt ein. Es bemühte sich schon längere Zeit um ein Einvernehmen mit Deutschland, um einen bewaffneten Konflikt zu verhüten. London respektierte die besitzergreifenden Ansprüche Deutschlands in Mittel- und Osteuropa, die sie politisch nicht besonders interessierten, der erhoffte Frieden wurde durch Schlichtung (Appeasement) angestrebt. Der britische Ministerpräsident Neville Chamberlain verhandelte persönlich mit Hitler. Das Resultat war Hitlers Forderung nach Abtretung des tschechoslowakischen Grenzgebietes. Großbritannien und das von der Gefahr eines großen Krieges verschreckte Frankreich preßten der tschechoslowakischen Regierung am 21. September ultimativ die Zustimmung ab. Hitler hingegen steigerte im Anschluß daran seine Ansprüche immer weiter, dabei hatte er bereits den Krieg mit der stark geschwächten Tschechoslowakei im Blick. Allerdings mobilisierte die Tschechoslowakei am 23. September 1938 sehr erfolgreich und auch Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion ließen Verteidigungsmaßnahmen an- laufen. Zweck des Ganzen war es, Deutschland zu weiteren Handlungen zu veranlassen. Die tschechoslowakische Armee war darauf vorbereitet, das Land zu verteidigen. Die Folgen des Münchner Abkommens Hitler war sich nicht mehr sicher, daß der Krieg gegen die Tschechoslowakei so verlaufen würde, wie er es sich vorgestellt hatte: bilateral und blitzschnell. Er nahm deshalb den Vorschlag zu einer Konferenz der vier Großmächte am 29. September in München an. Es gelang ihm, alles zu erreichen, was er in diesem Moment im Hinblick auf die Tschechoslowakei für möglich hielt. Eine Stellungnahme der nicht auf der Konferenz anwesenden Tschechoslowakei wurde nicht eingeholt, diese hatte nur zu tun, was die Großmächte beschlossen hatten. Das Münchner Urteil verwandelte die Tschechoslowakei in einen ausgehöhlten Staat, der binnen eines halben Jahres dem Deutschen Reich zum Opfer fiel. München stellte auch das definitive Ende des internationalen Ordnungsgefüges dar, so wie es sich nach dem I. Weltkrieg herausgebildet hatte. Es sollte durch ein System ersetzt werden, das auf dem Münchner Abkommen der Großmächte fußte. Es fiel in sich zusammen, schneller, als man es gebildet hatte. Dem Krieg entging die Welt ohnehin nicht, nur hatten es Hitlers Gegner nach München schwerer. Robert Kvaček Photos: Archiv der Redaktion Die dunklen Stellen auf der Karte zeigen das Grenzgebiet, das die Tschechoslowakei nach dem Münchner Abkommen an Deutschland abtreten mußte. Nach der Unterzeichnung des Münchner Abkommen, Nacht vom 29. zum 30.9.1938, v. l. Chamberlain, Daladier, Hitler, Mussolini 27 1948 Die Wende Vom Jahre 1945 an versuchte die Tschechoslowakische Kommunistische Partei alle entscheidenden Stellen im Staatsapparat mit ihren Anhängern zu besetzen. Die demokratischen Parteien verfolgten dieses Vorgehen mit Mißtrauen, was die Zusammenarbeit erschwerte. Die Spannung, die sich in der Tschechoslowakei verstärkte, gipfelte Anfang 1948. Die Kommunisten versuchten, das Innenministerium unter ihre Kontrolle zu bringen: geleitet wurde es von Parteimitglied Václav Nosek. Allmählich wurden die führenden Posten im Korps für nationale Sicherheit (Sbor národní bezpečností – SNB), wie die Polizei damals genannt wurde, und der Staatssicherheit (Bezeichnung für die Geheimpolizei) von Volksansammlung auf dem Prager Wenzelplatz zur Unterstützung der neuen Regierung von Klement Gottwald, 25.2.1948 Tschechoslowakischen National-Sozialistischen Partei, der Tschechoslowakischen Volkspartei und der Demokratischen Partei der Slowakei einigten sich darauf, auf die Umsetzung der Resolution zu bestehen und lieber abzudanken als dem kommunistischen Druck nachzugeben. An jenem Tage kam auch das Präsidium des Zentralkomitees der KSČ zusammen, um sich darauf vorzubereiten, „alle subversiven Vorhaben der Reaktion im Keim zu ersticken“. Die Besorgnisse der demokratischen Kräfte hinsichtlich der Oberhand der Kommunistischen Partei über die Polizei zeigten sich als berechtigt, was der Bereitschaftsstand bewies, den der Innenminister für diesen Tag der Prager Staatssicherheit und den Nachrichtendiensten in allen Teilen des Staates anbefohlen Klement Gottwald, Ministerpräsident (für die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei – KSČ) und „erster sozialistischer Staatspräsident“ Edvard Beneš, zweiter tschechoslowakischer Staatspräsident, starb im Juni 1948, drei Monate nach seiner Amtsniederlegung Parteigenossen besetzt und der Sicherheitsapparat verwandelte sich in ein Instrument ihrer Politik. Eine dieser Maßnahmen löste eine Regierungskrise aus, die ernsteste von allen, die bisher der Nachkriegstschechoslowakei begegnet waren. hatte. Acht Regimenter der Grenzwache hatte man in Alarm versetzt und vorher bestimmte Truppenteile in Prag zusammengezogen. Da der Innenminister dem Beschluß der Regierung auch weiterhin nicht entsprechen wollte, reichten die Minister der demokratischen Parteien am 20. Februar 1948 ihre Demission ein. Von diesem Ansinnen konnte sie auch die Tatsache nicht abbringen, das ihrer nur zwölf waren, während die Regierung A ls der national-sozialistische Justizminister Prokop Drtina am 13. Februar 1948 in der Kabinettssitzung von 28 Beschwerden an die Adresse der Polizei sprach, vernahm er die aktuelle Nachricht, daß der Landeskommandierende der SNB acht Bezirkskommandanten der Prager Polizei des Amtes enthoben hatte. Keiner von ihnen war Mitglied der Kommunistischen Partei (KPČ), die meisten gehörten eben der nationalsozialistischen Partei an. Diese Information rief die Entrüstung aller nichtkommunistischen Minister hervor. Einstimmig verabschiedeten sie eine Resolution, in welcher sie forderten, daß der Innenminister den Befehl widerrufen und die abberufenen Offiziere wieder in ihre Ämter einsetzen solle. Nosek ignorierte diese jedoch. Die Vertreter der Klement Gottwald wird begeistert von den Massen begrüßt…, der gesellschaftliche Wandel von 1948 wird oft auch als Februarputsch bezeichnet Versammlung zur Unterstützung der KSČ auf dem Altstädter Ring, 21.2.1948 insgesamt sechsundzwanzig Minister hatte, so daß die Anzahl der zurückgetretenen Minister nicht einmal die Hälfte darstellte. Erst nachträglich informierten sie auch die übrigen nichtkommunistischen – die Sozialdemokraten sowie Jan Masaryk (Außenminister) und Ludvík Svoboda (Verteidigungsminister), die parteilos waren – und riefen sie auf, sich anzuschließen. Erfolglos. Der Ministerpräsident Klement Gottwald, gleichzeitig Vorsitzender der KSČ, entschied sich, die zugespitzte Situation zum entscheidenden Angriff auf die Reste der parlamentarischen Demokratie in der Tschechoslowakei auszunutzen. Sein Plan war ganz einfach: Die Mehrheit der Regierungsmitglieder war geblieben, es gab also nichts anderes zu tun, als durchzusetzen, daß der Präsident die Demission annahm und für die vakanten Posten neue Minister ernennen zu lassen, die Gottwald selbst vorschlagen würde und nicht die Ministerpräsident Klement Gottwald beim Präsidenten, Edvard Beneš muß gezwungenermaßen die Demission von Ministern der tschechoslowakischen Regierung annehmen Führung ihrer Parteien. An Kandidaten gab es keine Not. Die Kommunisten hatten bereits eine Reihe von Jahren in den anderen Parteien der Nationalfront (Národní fronta -erzwungene Gruppierung politischer Parteien und gesellschaftlicher Organisationen in der Tschechoslowakei in den Jahren 1945-1990) eigene Agenturen aufgebaut, hatten Mitglieder anderer Parteien angeworben, die mit der Politik ihrer eigenen unzu- frieden waren, sie unterwanderten die anderen Parteien mit ihre eigenen Leuten und trugen ihnen auf, deren Tätigkeit im Interesse der KSČ zu beeinflussen. Unter ihnen wollte Gottwald seine neuen Minister auswählen. Gleich am 21. Februar 1948 veranstalteten die Kommunisten eine Demonstration auf dem Altstädter Ring in Prag. Von der Unterstützung, die sie genossen, zeugte die ungeheure Teilnahme nicht nur in der Hauptstadt. Die KSČ-Leitung nutzte die Tatsache, daß eins seiner Mitglieder, Václav Kopecký, an der Spitze des Ministeriums für Information stand, und sorgte dafür, daß der staatliche Rundfunk den Verlauf der Demonstration landesweit ausstrahlte. Man organisierte die Übertragung in große Betriebe und auf die Marktplätze und so fanden im ganzen Land Demonstrationen zur Unterstützung der Politik der KSČ statt. Amtlichen Meldungen zufolge nahmen mehr als eine Million Bürger teil. Gott- 29 Altstädter Ring, 21.2.1948 walds Rede hörten einige Millionen Menschen. Die Vorsitzenden der Demokratischen Parteien unterschätzten den Ernst der Situation und riefen ihre Mitglieder auf, Ruhe zu bewahren. Die Organisation eigener Gegenaktionen lehnten sie ab. Das einzige, worauf sie eingingen, waren Reden auf öffentlichen Versammlungen an verschiedenen Orten des Landes. Keine davon konnte es allerdings mit den von den 30 Kommunisten in Prag organisierten Demonstrationen aufnehmen. Einen Tag später veranstaltete der Zentralrat der Gewerkschaften eine Tagung der Betriebsräte, die etliche Resolutionen verabschiedete, welche die Politik der KSČ unterstützten. Zu den wichtigsten gehörte der Beschluß am 24. Februar einen Generalstreik auszurufen, der die Kraft der Massen demonstrieren sollte, die die Kommunisten Dämmerung über der demokratischen Tschechoslowakei: Klement Gottwald gibt den Tausenden Versammelten bekannt, „Der Präsident hat alle meine Vorschläge angenommen.“ unterstützten. Montag, der 23. Februar, war der wichtigste Tag der Krise. Die Kommunisten bildeten einen Zentralen Aktionsausschuß der Nationalen Front, der die Tätigkeit der örtlichen Aktionsausschüsse koordinieren sollte. S ie entstanden auf Betreiben der KSČ bereits am 21. Februar. Niemand ernannte sie, niemand wählte sie und trotzdem traten sie im Namen selbsternannter „fortschrittlicher“ Kräfte auf und wehrten erfolgreich der Tätigkeit legaler Organe. Tragisch war nur, daß nicht nur Kommunisten beitraten, sondern auch Angehörige demokratischer Parteien. Nach und nach wurden die Aktionsausschüsse der Nationalen Front (Akční výbory NF) zu entscheidenden Werkzeugen des kommunistischen Umsturzes. In Prag gingen am 23. Februar die Studenten für den Schutz der Demokratie auf die Straße, sie zogen auf die Burg, wo ihre Vertreter vom Präsidenten der Republik empfangen wurden. Für die tschechoslowakische Demokratie wurde er nun zur einzigen Hoffnung. Sie erwarteten, daß er Gottwalds Plan zur Lösung der Krise ablehnen und selbst mit einem Plan zur Erhaltung der Demokratie kommen werde. Aber Edvard Beneš befand sich in einer sehr schwierigen Lage und hatte praktisch keinen Spielraum. Inzwischen gingen die Kommunisten zu einem immer offeneren Angriff über. Es lief unaufhaltsam auf eine tragische Auflösung hin. Am Dienstag, dem 24. Februar zwischen 12.00 und 13.00 Uhr fand auf dem gesamten Gebiet der Tschechoslowakei der Generalstreik für die Unterstützung Klement Gottwalds statt. Da wo es nicht im Guten ging, wurde Gewalt gebraucht. Die Sozialdemokratie war aufgespaltet. Der linke Flügel besetzte zusammen mit der Volksmiliz (von den Kommunisten ins Leben gerufene Arbeiter-Kampftruppen) und der Polizei das Gemeindehaus (Lidový dům) in Prag, den Sitz der Führung der Sozialdemokratie. Nachdem die Gegner einer Koalition mit den Kommunisten isoliert waren, unterstützte das Präsidium die von Gottwald aufgestellte Regierung. Die Polizei überfiel am selben Tag die Sekretariate der demokratischen Parteien in der gesamten Tschechoslowakei, durchsuchte sie und verhaftete die Funktionäre. bisher noch nicht ergebenen und weigerte sich, der kommunistischen Gewalt zu weichen. Zusammen mit seinem Parteigenossen, dem Ministerpräsidenten František Tymeš, reichte er am 25. Februar 1948 seine Demission ein. Gottwald und seine Anhänger hatten damit nicht mehr die einfache Stimmehrheit in der Regierung, allerdings kam diese Entscheidung zu spät und blieb damit nicht mehr als eine leere Geste. der Sozialdemokratie und Kollaborateuren aus anderen Parteien der NF zusammensetzte. Die Regierungskrise, die die Tschechoslowakei vom 20. bis 25. Februar 1948 erschütterte, führte zum Sturz der Demokratie und Errichtung eines totalitären Regimes, das 40 Jahre andauerte. Das traurige Nachspiel dieses Dramas bildete die Sitzung der Volksversammlung am 11. März 1948. In ihrem Verlauf rati- Die letzte Hürde auf dem Weg zur uneingeschränkten Macht stellte nun nur noch der Staatspräsident dar, auf den starker Druck ausgeübt wurde. Der kranke und erschöpfte Beneš, der keinen Ausweg aus der Krise sah und sich der Machtlosigkeit der nichtkommunistischen Parteien bewußt war, trat schließlich zurück. Er reichte seine Demission ein und ernannte die neue Regierung, welche sich ausschließlich aus Kommunisten, Vertretern des linken Flügels fizierten 230 Abgeordnete des 300köpfigen Parlaments das Programm der neuen, am 25. Februar von Präsident Beneš ernannten Regierung Gottwalds, wodurch zugleich deren Legalität bestätigt wurde. 11 Abgeordnete verließen vor der Abstimmung den Saal und drückten so ihre Ablehnung aus. Gegenstimmen gab es nicht. D ie Entscheidung fiel am nächsten Tag, am 25. Februar. Die Kollaborateure in den demokratischen Parteien strebten zusammen mit den Kommunisten die Machtübernahme an. Am Morgen wurde das Hauptsekretariat der Tschechoslowakischen Volkspartei besetzt. Die Demokratische Partei der Slowakei strebte nach einer Doppelregierung und die offizielle Führung geriet in immer größere Isolation. In der National-sozialistischen Partei wurde unter Aufsicht der Kommunisten ein Aktionsausschuß gebildet, der sich darauf vorbereitete, das Hauptsekretariat zu übernehmen. Eine Gruppe von Sozialdemokraten um den Minister Václav Majer hatte sich Jiří Pernes Photos: Archiv der Redaktion Der erste Willkürakt der kommunistischen Diktatur war die Schaffung bewaffneter Volksmilizen. (Aufnahme vom 28.10.1948) 31 1968 Prager Frühling 32 kerungsschichten einen Helden des Nationalen Befreiungskampfes aus der Zeit des 2. Weltkriegs sahen. Dieser ernannte am 8. April eine neue Regierung mit Oldřich Černík an der Spitze, die sich aus Vertretern wirtschaftlicher und ökonomischer Reformen zusammensetzte. Im April 1968 nahm das Zentralkomitee der KSČ auf seiner Tagung das Aktionsprogramm der KSČ (Akční program KSČ) an, welches eine neue politische Linie festlegte, charakterisiert durch die Losung „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“. Die Entwicklung in Richtung Demokratisierung der tschechoslowakischen Gesellschaft nahm an Geschwindigkeit zu. Der 1. Mai 1968 wurde zu einer Kundgebung für nationale Einheit und legte den Willen des Volkes offen, in Freiheit und Demokratie zu leben. Es entstanden die ersten Ausschüsse für Wort- und Der sogenannte Prager Frühling (Pražské jaro) wird mit dem Jahr 1968 verknüpft, eine Ansicht, die sicherlich mehr als nur ein Körnchen Wahrheit enthält. Das Beste, was die Bürger der Tschechoslowakei, getrieben von dem Bestreben, den Kommunismus zu demokratisieren und ihn zu „vermenschlichen“, erlebten, spielte sich tatsächlich im Jahre 1968 ab. Aber mit der Invasion der Truppen des Warschauer Paktes endete der Kampf der Tschechen und Slowaken um einen Sozialismus mit „menschliches Antlitz“ nicht. Er dauerte zu mindest bis zum August 1969 an, als die Menschen in den Straßen von Prag, Brünn und Liberec (Reichenberg) lauthals ihre Mißbilligung über die Besetzung und die Beschneidung der erst jüngsterworbenen Freiheit kundtaten. schulden kommen lassen. Die schwierige Entwicklung machte auch vor der Parteiführung der KSČ nicht halt. Auf der Tagung Josef Smrkovský, Vorsitzender der Nationalversammlung Ludvík Svoboda, Präsident der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik Oldřich Černík, Ministerpräsident Der Prager Frühling war Folge einer tiefen politischen Krise, welche die Tschechoslowakei Anfang der 60. Jahre erschütterte. Das kommunistische Regime, verkörpert durch den Ersten Vorsitzenden des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, Antonín Novotný, der gleichzeitig auch Staatspräsident war, versuchte einen Ausweg zu finden durch die Einführung umsichtiger ökonomischer Reformen, mit welchen eine zögerliche Lockerung der politischen Verhältnisse und ein Nachlassen des Drucks im Alltagsleben einhergingen. Es hob eine Zeit, die als „die goldenen Sixties“ in die Annalen der Landesgeschichte einging. In der Gesellschaft erwachte der Drang, zumindest die größten Verbrechen wiedergutzumachen, die sich das Regime in den vergangenen zwanzig Jahren hatte zu- des Zentralkomitees am 3. Januar 1968 wurde Antonín Novotný von seiner Parteifunktion abberufen. Zum neuen Generalsekretär wurde Alexander Dubček gewählt. Gemeinsam mit ihm gelangten die Anhänger weitreichender Reformen an die Parteispitze. Am 4 März 1968 wurde in der Tschechoslowakei die Zensur aufgehoben. Die Führung der KSČ setzte eine Untersuchungskommission ein, welche Verlauf und Hintergründe der politischen Prozesse der Fünfziger Jahre erhellen sollte. Dem wachsenden Druck nach einem Wandel zeigten sich die in die vergangenen Ereignisse verstrickten Funktionäre nicht gewachsen und legten ihre Ämter nieder. Am 22. März reichte auch Antonín Novotný seine Demission ein. Zum neuen Präsidenten wurde der General Ludvík Svoboda gewählt, in dem breite Bevöl- Pressefreiheit, der erste freie Gewerkschaftsbund nach 1945 wurde gegründet – die Föderation der Lokomotivtruppen (Federace lokomotivních čet). Die Pfadfinder traten aus der Versenkung hervor, der Klub 231 entstand, der sich für die politischen Gefangenen des kommunistischen Regimes einsetzte und Gerechtigkeit verlangte. Diejenigen, welche sich politisch engagieren wollten, ohne der KSČ oder einer anderen Partei der NF beizutreten, riefen den Klub engagierter Parteiloser (Klub angažovaných nestraníků – KAN) ins Leben. Es artikulierte sich das Verlangen nach Erneuerung der Sozialdemokratischen Partei, welche nach dem Februar 1948 zwangsweise mit der KSČ zusammengeschlossen worden war. Die Reformanhänger veröffentlichten am 27. Juni unter dem Titel „Zweitausend Worte“ (Dva Alexander Dubček, Generalsekretär des Zentralkomitees der KSČ) Vor dem Nationalmuseum verwehren Tschechen der Sowjetarmee den Vormarsch, 21.8.11968 tisíce slov) einen Artikel in der Tagespresse, der die fortschreitende Demokratisierung der Gesellschaft forderte. Der Kampf um die weitere Entfaltung der Tschechoslowakei entbrannte mit noch intensiverer Vehemenz. Seitens der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und ihrer anderen Satellitenstaaten wurde diese Entwicklung mit Argwohn beobachtet. Ihre Vertreter kamen deshalb im Juli 1968 in Warschau zusammen, wo sie ihre „Befürchtungen über das Schicksal des Sozialismus Gebäude des Nationalmuseum nach dem Beschuß, August 1968 in der Tschechoslowakei“ zur Sprache brachten. Ihre Stellungnahme löste eine Welle der Entrüstung aus und stieß auch bei der KSČ-Führung auf Ablehnung. Der Druck der Sowjetunion ließ allerdings nicht nach. Auf Veranlassung der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KSSS) trafen sich die Staatsvertreter der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik (ČSSR) und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) in Čierna nad Tisou in der Südostslowakei und etwas später in Bra- Aus der ersten Sitzung des Nationalrates nach dem August 1968, von rechts Smrkovský, Svoboda, Dubček, Černík 33 Sowjetische Panzer in den Straßen Prags, 21. August 1968 tislava (Preßburg). Das Kommuniqué, welches am Ende verabschiedet wurde, besagte u.a., daß „der Schutz der sozialistischen Errungenschaften die gemeinsame internationale Pflicht aller sozialistischer Länder“ sei. Dubčeks Regierungsgremium akzeptierte diese Einmischung. Er hielt es für erforderlich, das Bündnis mit der Sowjetunion beizubehalten und glaubte, daß es möglich sei, die wachsenden Mißverständnisse zu überbrücken. Er rechnete keinen Irrtum seinerseits ein und faßte keinerlei Alternativen ins Auge. Die Reformgegner hingegen rechneten fest mit einer sowjetischen Invasion und bereiteten sich fieberhaft darauf vor. Dazu kam es am 21. August 1968. Die Armee der UdSSR und anderer Staaten des Warschauer Vertrags besetzten das ganzen Land, die Führer der KSČ wurden, Dubček eingeschlossen, in die Sowjetunion verschleppt. Verräter aus den Reihen kommunistischer Politiker taten sich mit der Forderung nach Herausbildung einer revolutionären Arbeiterund Bauernregierung hervor, blieben jedoch erfolglos. Es gelang den Okkupanten nicht einmal, Sendungen des tschechischen Rundfunks und Fernsehens zu verhindern, welche das Volk zum Widerstand aufriefen. Auch die Druckereien blieben in der Mehrzahl frei und informierten in Zeitungen und auf Flugblätter über die Lage. In jenen kritischen Momenten stellte sich die tschechoslowakische Bevölkerung voll und ganz hinter Dubček. Im ganzen Land fanden hitzige Demonstrationen statt, es kam zu zahlreichen Zusammenstößen mit den Okkupanten. Von den Invasoren wurden während der Besetzung des Landes 72 tschechoslowakische Staatsbürger getötet und viele von ihnen verletzt. Dem herrschenden Chaos zum Trotz gelang es, einen außerordentlichen Parteitag der KSČ, den XIV., nach Prag einzuberufen, der ein neues Führungsgremium wählte, zu dessen Mitgliedern auch die in die Sowjetunion verschleppten Politiker gehörten, nicht gewählt wurden die Handlanger der Okkupanten. Die Delegierten sprachen sich eindeutig für einen Abzug der fremden Armeetruppen und die Erneuerung der staatlichen Unabhängigkeit ein. Zusammen mit anderen Funktionären flog der Präsident Ludvík Svoboda am 23. August nach Moskau. Bei den Verhandlungen versagte die tschechoslowakische Delegation vollständig: Im Verhandlungsprotokoll, welches letztendlich angenommen wurde, verpflichtete man sich, den XIV. Parteitag nicht als solchen anzuerkennen, aufs Neue die Zensur einzuführen und die den Sowjets unbequemen Politiker aus der Führung auszuschließen. Außerdem wurde die dauernde Stationierung der Sowjetarmee in der Tschechoslowakei legalisiert. Nach ihrer Heimkehr aus Moskau begannen die Politiker die Direktiven der Sowjets umzusetzen. Verbitterung und Enttäuschung bemächtigte sich der Bevölkerung, die Feierlichkeiten am 28. Oktober standen im Zeichen antisowjetischer Stimmungen und anstelle von Festlichkeiten anläßlich der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution am 7.11. (25.10. nach dem damals in Rußland geltenden Julianischen Kalender – Anm.d.Übers.) gab es Demonstrationen gegen die Okkupanten. Und nur einige Tage später brach der Proteststreik der Studenten aus, bei dem sie von den Arbeitern unterstützt wurden. Die tragischste Geste des Protestes legte Jan Palach, Student der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität mit seinem öffentlichen Freitod ab. Als Ausdruck der Absage an die Kapitulationspolitik Dubčeks und seiner Parteiführung nahm er am 16. Januar 1969 durch Verbrennen (als lebendige Fackel des Widerstands) auf dem Prager Wenzelplatz das Leben. An seinem Begräbnis am 24. Januar gaben ihm mehr als zehntausend Menschen das Geleit und protestierten damit gegen den Rückfall in die alte Ordnung. Jan Palach war nicht der einzige, einen Monat später, am 4. April folgte ihm – als zweite brennende Fackel – der Fachschüler Jan Zajíc. Die Situation in der Tschechoslowakei entwickelte sich nicht nach den Vorstellungen der Sowjetunion. An 31. März 1969 kam deshalb der sowjetische Verteidigungsminister Andrei Antonowitsch Gretschko nach Prag und drohte für den Fall weiterer Unruhen mit Verhängung des Standrechts. Die Konservativen nutzten diese Gelegenheit und gin- 34 Vor dem Gebäude des Prager Rundfunks Büste des Studenten Jan Palach, der sich aus Protest gegen die Okkupation verbrannte, nach einer Totenmaske, Olbram Zoubek Durchsetzung seiner Ziele vor nichts und niemandem zurückschrecken würde. In der Tschechoslowakei hob der schier unabsehbare Zeitraum der sog. Normalisierung an. Mit einer Kombination von Einschüchterung und Anhebung des Lebensstandards gelang es den Kommunisten, das Land in die politische Passivität zu führen. Die Mehrzahl der Bürger widmete sich nur noch ihren Privatinteressen und legte im Hinblick auf das öffentliche Leben Resignation an den Tag. Der Traum, Freiheit und Sozialismus zu kombinieren, weltweit bekannt unter dem Begriff „Prager Frühling“, war ausgeträumt. Jiří Pernes Photos: Archiv der Redaktion gen zum Angriff über. Am 2. April wurde die vorläufige Zensur wieder eingeführt, am 17. April berief man Dubček von seiner Funktion als Generalsekretär des Zentralkomitees des KSČ ab. An seine Stelle wurde Gustáv Husák gewählt, dem es gelungen war, die Sowjets für sich einzunehmen. Die demokratischen Kräfte wurden immer mehr unter Druck gesetzt, Zeitschriften, die nicht bereit waren, im Sinne der Okkupanten zu berichten, wurden eingestellt, alle Politiker, die mit der vorangegangenen demokratischen Entwicklung in Verbindung gebracht werden konnten, mußte die Führungsebene der KSČ verlassen. Die angestaute Unzufriedenheit der Bevölkerung brach sich am 21. August 1969, dem Jahrestag der Okkupation, den Damm. In vielen Städten fanden Protestdemonstrationen statt. Als Ergebnis der brutalen Übergriffe der kommunistischen Machthaber gegen die Demonstrierenden waren fünf Tote zu beklagen. Das neue Regime gab klar zu erkennen, daß es bei der Die Prager versuchen die Panzer auf jede Art zu stoppen: auch dadurch, daß man ihnen Lastwagen und Autobusse in den Weg stellte. 35 Schloßgelände Kuks Die 8chten in der Geschichte Tschechiens 1228 ließ Přemysl Ottobedeutende Denkmäler, wie kar I. (Přemysl Otakar) seietwa das Schloßgelände in nen Sohn Wenzel (Václav) Kuks (Kukus) oder die Karlszum böhmischen König brücke in Prag. 1828 wurde krönen. Böhmen wurde zum eine der angesehensten MaErbkönigreich ausgerufen. schinenbaufabriken der öster1278 fiel Přemysl Ottokar reichischen Monarchie geII. auf dem Marchfeld. Dagründet, die Rudolfshütte durch kam Habsburg auf (Rudolfova huť) heute Vítden böhmischen Thron. kovické železárny. 1838 1348 wurde am 10. Juni unwurde in Chrlice (Chrlitz) ter Anwesenheit Kaiser bei Brünn der Philosoph Pardubitzer Lebkuchen Karls IV. der Grundstein zur Ernst Mach geboren. Er geReichsburg Karlstein gelegt. 1358 gründete hört zu den anerkanntesten Wissenschaftlern der Karl IV. die Stadt Karlsbad. Der Legende nach 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts auf dem Gebiet tat er dies der Heilquellen wegen, auf welche er der Experimentalphysik. Das Machsche Prinzip zufällig bei einem Jagdunfall stieß. Die Feierwird als erster Schritt auf dem Weg zur Relichkeiten zum 650. Jahrestag der Gründung lativitätstheorie angesehen, im Physikunterricht laufen am 1. Mai dieses Jahres an. Die Stadt ist spricht man von Machwellen und Machschen auch Schauplatz eines der bekanntesten euroStreifen, die Aerodynamik kommt insbesondere päischen Filmfestspiele, des Internationalen im Bereich der Überschallgeschwindigkeit Filmfestivals Karlsbad (Mezinárodní filmový nicht ohne Machschen Kegel, Mach-Winkel o- Burg Karlstein; Photos: CzechTourism festival Karlovy Vary). 1618 beginnt mit dem Prager Fenstersturz der Dreißigjährige Krieg. Obwohl das Königreich Böhmen von größeren Kriegszügen verschont blieb, sank die Anzahl seiner Bewohner auf ein Drittel. Der Krieg endete mit dem Westfälischen Frieden im Jahre 1648. 1628 genauer gesagt, am 4. Februar verließ der letzte Bischof der Böhmischen Brüder (Brüderunität) Jan Ámos Komenský († 1670 in Amsterdam), lat. Comenius, mährischer Theologe, Philosoph, Pädagoge und Schriftsteller mit dem Beinamen Lehrmeister der Nationen, auf immer seine Heimat. 1738 starb der berühmteste Bildhauer des Barock in Böhmen Matthias Bernhard Braun, seine Arbeiten schmücken zahllose 36 der Mach-Zahl aus. 1848 verabschiedete der Reichstag das Gesetz über die Abschaffung der Erbuntertänigkeit und der feudalen Fronarbeit. 1858, am 6. Juli, wurde Viktor Ponrepo, Pionier der tschechischen Kinematographie geboren. 1888 wurde am 1. April zum ersten Mal elektrischer Strom zur öffentlichen Beleuchtung eingesetzt. Teile des damaligen Elektrizitätswerks in Jindřichov Hradec sind bis heute in Betrieb. Am 7. März 1908 nahm in Prag die erste Autobuslinie den Fahrbetrieb auf. Im einzigen Wagen, Marke Laurin & Klement, der die Linie fuhr, hatten 22 Passagiere Platz. 1928 starb der Komponist, Dirigent und Chorleiter Leoš Janáček. Auch der Bau des Messepalastes in Karel IV. Prag-Holešovice wurde in jenem Jahr abgeschlossen, heute beherbergt er die Sammlung Moderne Kunst der Nationalgalerie. 1928 bei dem Unfall des Luftschiffes Italia über dem Nordpol rettete sich der einzige tschechische Polarforscher František Běhounek. 1938 starb der Schriftsteller, Journalist und Dramatiker Karel Čapek, in seinen Drama R.U.R. (Rossums Universal-Robots), 1920 (dt. 1922), verwendete er erstmals den Begriff Roboter, weitere weltweit bekannte Werke sind etwa die Dramen Věc Makropulos, 1922 (Die Sache Makropulos, 1927), Bílá nemoc, 1937 (Die weiße Krankheit, 1937) und Matka, 1938 (Die Mutter, 1957), Romane wie Továrna na absolutno, 1922 (Das Messegelände der Stadt Brünn (1968); Photos: CzechTourism tschechoslowakischen Sender des Radio Freies Europa leitete. Am 2. März flog Vladimír Remek, der erste nicht aus der Sowjetunion oder den USA stammende Astronaut an Deck des sowjetischen Raumschiffes Sojuz in das Weltall. 1988, am 21. August und 28. Oktober fanden in Prag Demonstrationen gegen das kommunistische Regime statt, die als ein Vorspiel zu der Protestwelle in der Woche vom 15. bis zum 20. Januar 1989 zu sehen sind, in jenen Januartagen gedachten Tausende des tragischen Ablebens des Studenten Jan Palach (19. Januar 1969). 1998 wurden dem Tschechen Jan Pinkava für den Film Geriho hra (Geris Spiel) Absolutum oder die Gottesfabrik, 1924, auch: Die Fabrik des Absoluten), Krakatit, 1922 (Krakatit, 1949), Válka s mloky, 1936 (Der Krieg mit den Molchen, 1937) und viele andere. 1958 errang der phantastische Film Vynález zkázy (Die Erfindung des Verderbens) nach dem gleichnamigen Roman von Jules Verne (Face au drapeau) auf der Weltausstellung EXPO 58 den ersten Preis in der Kategorie wissenschaftlich-phantastischer Film, dank seiner Qualität und Kombination von Spiel- und Trickfilm erweckte der Film mehr als nur die gewöhnliche Aufmerksamkeit. An der Karls-Universität in Prag wurde das Tschechoslowakische Ägyptologische Institut eröffnet, ein Jahr später kam eine Außenstelle in Kairo hinzu; es widmete sich vor allem archäologischen Untersuchungen und heimste in Ägypten internationale Erfolge ein, die Forschungen konzentrierten sich vor allem auf die Mastaba des Ptahschepses und das Gebiet von Abusir. Auf dem Brünner Messegelände, welches am 26. Mai dieses Jahres sein achtzigjähriges Bestehen und zehn Jahre enge Fusion mit der Messe in Düsseldorf feiert, wurde die erste Internationale Maschinenbau-Messe, die in diesem Jahr zum 50. Mal stattfinden wird, veranstaltet. 1978 starb der tschechische Journalist und Schriftsteller Ferdinand Peroutka, eine der überragendsten Persönlichkeiten der tschechischen Journalistik, nach den Ereignissen im Februar 1848 emigrierte er in die USA, wo er Mitglied des Rates Freie Tschechoslowakei (Rada svobodného Československo) wurde und nachfolgend den ein Oscar in der Kategorie Kurze Trickfilme verliehen. Die tschechischen Eishockeyspieler gewannen im japanischen Nagano die Goldmedaille, in dem als Tournier des Jahrhunderts bezeichnetem Spiel schlugen sie Rußland im Finale 1:0, das Siegertor von Petr Svoboda fiel in der 8. Sekunde der 8. Minute des letzten Drittels. 2008 Die Sängerin und Pianistin Markéta Irglová errang zusammen mit ihrem Partner, dem irischen Musiker Glen Hansard, den Oscar für das Lied Falling Slowly aus dem Film Once; dieser in den Straßen von Dublin mit zwei Handkameras gedrehte 100-DollarFilm hat bereits mehr als 16,5 Millionen Dollar Litomyšl (Leitomischl); Photos: CzechTourism Aus dem Film Vynález zkázy (Die Erfindung des Verderbens) von Karel Zeman 37 Autobus der Firma Laurin & Klement Die Brüder Karel und Josef Čapek Ferdinand Peroutka eingebracht, vom Soundtrack verkauften sich allein in den USA über eine halbe Million, was ihn zu einem der erfolgreichsten Filme vom Ende des vergangenen und Beginn des neuen Jahrhunderts machte, und nicht nur das – Tschechien konnte die diesjährige OscarVerleihung so richtig auskosten, den Oscar für die beste Leistung als Hauptdarstellerin konnte Marion Cotillard für die Verkörperung der Edith Piaf in dem Film La Vie en Rose, einer tschechisch-französisch-britischen Koproduktion entgegennehmen, gedreht wurde der Film vor allem in Prag und Kutná Hora (Kuttenberg), Jan Archibald wurde für densel- ben Film der Oscar für die beste Maske zugesprochen; den Sieg in der Kategorie nichtenglischsprachiger Film trug der österreichische Film Die Fälscher, eine Adaption des Buches Ďáblova dílna (Werkstatt des Teufels) des neunzigjährigen Pragers Adolf Burger, davon; und endlich ist auch in diesem Jahr der Autor des erfolgreichsten Trickfilms Ratatouille ein Tscheche, nämlich der schon im Vorjahr gekürte Jan Pinkava. Die ostböhmischen Lebkuchenhersteller können ab diesem Jahr ihre Produkte unter dem geschützten Markenzeichen Pardubický perník (Pardubitzer Lebkuchen) verkaufen, das verzierte Gebäck wur- de von den Mitgliedstaaten der EU als einmaliges und traditionelles Erzeugnis anerkannt. Der Zeitschrift Travel in the Czech Republic zufolge ist seit dem 31.1.2008 Litomyšl (Leitomischl) nach Prag die touristisch anziehendste Stadt Tschechiens, sie übertrumpfte damit Kulturstädte wie Český Krumlov (Krumau), Kutná Hora (Kuttenberg) Telč (Teltsch) oder Karlsbad; die Stadt Litomyšl feiert in diesem Jahr das 50. Jubiläum des populären Opernfestivals Smetanas Litomyšl. Seit der feierlichen Amtseinführung am 7. März 2008 ist Václav Klaus bereits zum zweiten Mal Präsident Tschechiens. Nagano 1998 38 Markéta Irglová und Glen Hansard Václav Klaus