Urbanisierung der Maikäfer

Werbung
Urbanisierung der Maikäfer — DABonline.de – Deutsches Architektenblatt
http://www.dabonline.de/architektur-raum/dossiers/vorstadt-und-eigenheim/urbanisierung-de...
| Stellenmarkt |
Nachverdichtung
Urbanisierung der Maikäfer
Eine Münchener Siedlung zeigt Potenziale und Grenzen der Nachverdichtung locker bebauter Quartiere. | Cordula Rau
Foto: F. Holzherr
Randverdichtung: Der locker
bebaute Kern der Siedlung (Zeilen
oben rechts) soll nach dem Modell
von höheren Häusern eingerahmt
werden.
Maikäfersiedlung – das ist ironisch und liebevoll zugleich gemeint. Ironisch wegen der winzigen Häuser, Wohnungen und Gartenstückchen. Liebevoll
wegen der vorstädtischen Heimeligkeit im Grünen. Sicher nicht gemeint war ihr maikäferbrauner Ursprung: Die sogenannten „Volkswohnungen“
entstanden 1936 bis 1939 nach einem Konzept des NS-Reichsarbeitsministeriums und Plänen des Münchener Wohnungsbaudezernenten Guido Harbers
als „billigste Mietwohnungen in ein- oder mehrgeschossiger Bauweise“: 190 Eigenheime und 991 Kleinstwohnungen, die bei einer Grundfläche von rund 35
Quadratmetern über zwei Zimmer mit großer Küche und WC verfügen. Ihre Gartenanteile sind kaum doppelt so groß. Vermietet wurde hauptsächlich an
kinderreiche Familien.
Jetzt wird im Münchener Osten zwischen Ramersdorf und Berg am Laim nachverdichtet; das Maikäfermilieu verblasst mehr und mehr. Das Konzept des
Münchner Architekturbüros zillerplus Architekten und Stadtplaner, das als Sieger eines städtebaulichen Wettbewerbs von 2001 zum Neubau der
Maikäfersiedlung hervorging, versucht, die Identität der Siedlung als Gartenstadt beizubehalten. Gleichzeitig wird die Infrastruktur durch Geschäfte,
1 von 4
08.06.2009 21:11
Urbanisierung der Maikäfer — DABonline.de – Deutsches Architektenblatt
http://www.dabonline.de/architektur-raum/dossiers/vorstadt-und-eigenheim/urbanisierung-de...
Apotheke und Arztpraxen verbessert. Auf der überarbeiteten Grundlage des Wettbewerbs werden die meisten bestehenden Gebäude nach und nach
abgerissen. Der ganze Prozess ist nur möglich, weil die Siedlung nach wie vor in einer Hand liegt – der Hand der GWG, der Gemeinnützigen Wohnstättenund Siedlungsgesellschaft mbH der Stadt München.
Die Verdichtung ist seit Jahrzehnten geplant, kam aber lange Zeit nicht voran: Die Siedlung lag in der Einflugschneise des früheren Flughafens Riem. Später
protestierte die „Mieterinteressengemeinschaft Maikäfersiedlung“ (Mig) gegen den drohenden Verlust von Milieu und Wohnungen. Die Maikäfersiedlung
ist durch eine hohe Qualität an Freiräumen und wertvolle Grünausstattung geprägt, wozu auch die Mietergärten zählen. Unterstützt wurde die Mig von
einem jungen Mieteranwalt namens Christian Ude, heute Oberbürgermeister von München und Aufsichtsratsvorsitzender der GWG, die die Verdichtung
betreibt. Eine Zeit lang lief es auf Modernisierung hinaus, dann aber brach eine Kellerdecke ein. Schließlich kam es zum Konsens; die Architektin und
Siedlungsbewohnerin Bettina Seeger erinnert sich: „1995 wurde daraufhin eine Planung für die Sanierung des Innenbereichs verabschiedet, die die
Zustimmung der Mig und des Stadtrats fand.“
Das Siedlungsbild soll erhalten bleiben
Foto: B: Seeger
Die alten Siedlungsbauten sind
schadhaft, die Wohnungen klein und
veraltet. Die Zeile steht schon nicht
mehr.
Heute ist das Gebiet im Umbruch; die Wohnungen werden Stück für Stück abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Noch schlängeln sich romantisch
zugewachsene Fußpfade zwischen den verwunschenen Mietergärten und den kleinteiligen und auffallend niedrigen Häuserzeilen hindurch. Leider
entsprechen weder Wohnungsgrößen noch Raumhöhen heutigen Standards. Bebauungsdichte und Grundstücksausnutzung sollen steigen; die
ursprüngliche Maikäfersiedlung wird dem geopfert. Die neuen Baukörper – Blockrand und Zeile – orientieren sich mit Lage und Ausrichtung am Bestand,
um den Wohncharakter der Siedlung zu erhalten.
Im Bebauungsplan sind allgemeine und reine Wohngebiete ausgewiesen, die im Vergleich zum Bestand stärker verdichtet werden. Die überwiegend
geschlossene Bebauung entlang der verkehrsreichen Bad-Schachener-Straße sowie der Echardinger Straße soll, wie öfters im sozialen Wohnungsbau, den
Häusern dahinter als Lärmschutz dienen. Die Neuplanung versucht, das charakteristische Erscheinungsbild der Siedlung weitgehend zu erhalten, das
2 von 4
08.06.2009 21:11
Urbanisierung der Maikäfer — DABonline.de – Deutsches Architektenblatt
http://www.dabonline.de/architektur-raum/dossiers/vorstadt-und-eigenheim/urbanisierung-de...
bestehende Fuß- und Radwegesystem zu sichern und erforderliche Eingriffe in den Gehölzbestand durch Neupflanzungen wieder auszugleichen.
Den Auftakt der neuen Bebauung bildet ein parallel zum stark belasteten Mittleren Ring angeordnetes Wohn- und Geschäftshaus mit angegliedertem,
siebengeschossigem Turm. Neben Läden und den Büros der Hausverwaltung finden in diesem Ensemble 58 Sozialwohnungen Platz. Die -Lage der zwischen
eineinhalb und fünf Zimmer großen Wohnungen zur viel befahrenen Straße wird als Chance -begriffen, verschiedene Wohnformen wie Atrium-,
Maisonettewohnung oder Zentralgrundriss in horizontaler Schichtung zu kombinieren, um eine soziale Mischung bei gleichzeitigem Lärmschutz zu
ermöglichen. An der Straße sollen Grundriss und Detailausbildung starken Schallschutz bringen. Ebenfalls zum Schall-, aber auch zum Wärmeschutz sind
die Wände zu den Hauptverkehrsstraßen im Süden und Westen des Projekts mit 48 Zentimeter dicken Porenbetonsteinen ausgeführt; die Wände zum
Innenhof sind 36,5 Zentimeter dick. Sechs Quadratmeter große Abstellräume in den Wohnungen, Gemeinschaftsräume auf jeder Etage und die Möglichkeit
der temporären Einfügung von Mietergärten werten das Wohnen auf.
Lärmschutz prägt die Grundrisse
Foto: F. Holzherr
Abgeschirmt: Der Neubau grenzt das
Gebiet zu stark befahrenen Straßen
ab. Seine Bewohner haben jedoch
die Straße vor der Tür – und das auf
ihrer Haus-Südseite.
Der hybride Baukörper mischt verschiedene Nutzungen. Unten gibt es Gewerbe und Büros, in den Obergeschossen Wohnungen und Büros. Die Fassade
entlang der Bad-Schachener- und der Echardinger Straße wirkt durch eine horizontale Gliederung und leichte Verschiebungen von Öffnungen und
Wandstärken als verwobenes Muster. Die Typologie der Wohnungen ist auf Lärmschutz ausgelegt. Durchgesteckte Maisonetten und Atriumwohnungen
holen das Licht von der Südseite an der Straße und die Luft von der ruhigen Hofseite im Norden in die Räume. Im ersten und zweiten Geschoss sollen
Loggien entlang der Straße die Wohnqualität erhöhen, im oberen Geschoss Atrien. Die Loggien sind durch eine zu öffnende Einfachverglasung geschützt.
Sie funktionieren an der Stelle besser als offene Balkons. Die Wohnformen vermischen sich untereinander, um das Miteinander von Lebens- und
Altersstrukturen zu ermöglichen. In jedem Geschoss gibt es einen Gemeinschaftsraum. Unten sind Kinderwagen und Fahrräder gut unterzubringen. Über
den Turm und seinen Aufzug sind die Wohnungen barrierefrei erschlossen. Die langen Flure sind teilweise als geschlossene Laubengänge ausgebildet. Sie
3 von 4
08.06.2009 21:11
Urbanisierung der Maikäfer — DABonline.de – Deutsches Architektenblatt
http://www.dabonline.de/architektur-raum/dossiers/vorstadt-und-eigenheim/urbanisierung-de...
führen als Wege durch das Haus zu den Wohnungen und bilden eine zusätzliche Abstufung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Farbe und Material
im Inneren des Gebäudes passen sich an das Budget des geförderten Wohnungsbaus an. Hell und freundlich wirken einfache weiße, im Wechsel glatt und
glänzend verlegte Fliesen an den Wänden, Betonwerkstein als Stufenbelag in den Treppenhäusern, gemusterte Linoleumböden und der goldene Eloxalton
der Fensterrahmen. Die satte gelbe Farbe der Putzfassade wird auch im Inneren manchmal sichtbar. Der in München traditionell beheimatete Farbton
wurde mit einem Künstler entwickelt und leicht abgewandelt auf der gesamten Außenfassade aufgebracht. Je nach Lichtverhältnissen verändert er die
Nuance und verleiht dem Gebäude ein warmes Erscheinungsbild. Der Komplex an der Bad-Schachener-Straße stößt bei vielen früheren Bewohnern trotz
aller Bemühungen auf nicht allzu große Gegenliebe. Manch einer wird hier der heimeligen Maikäfersiedlung nachtrauern.
Cordula Rau ist Architektin und freie Journalistin in München.
Artikel veröffentlicht: 01.02.2009
namen+nachrichten |
architektur+raum |
beruf+politik |
büro+recht |
technik+innovation |
bildung+chancen |
service |
mediadaten |
impressum |
archiv |
Diese Seite bookmarken bei ...
4 von 4
08.06.2009 21:11
Herunterladen