Manuskriptservice - evangelische kirche im hr

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Manuskriptservice
Verkündigungssendungen der
Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau
Hessischer Rundfunk: Zuspruch am Morgen
Pfarrer Dr. Ulf Häbel
Laubach-Freienseen
Donnerstag, 6. April 2006
hr2 - 6:50 Uhr
Danke, Gegner!
Wie schwächlich wären wir geblieben, wenn uns das Leben nie einen Gegner geschenkt hätte. Diesen Satz habe ich irgendwo gelesen. Er wurde mit einer Alltagserfahrung, die wir alle kennen, kommentiert. Schon beim Aufstehen denkt man an den
alltäglichen Ärger. Wieder eine Sitzung in der Firma, in der dieselben Leute immer
dasselbe erzählen. Muss man sich das eigentlich antun?
Oder zu Hause die üblichen Reibereien: Wer ist mit dem Mülleimer dran? Wer mit dem
Holz holen, dem Straßekehren, dem Putzen? Da blühen einem jeden Tag dieselben
Auseinandersetzungen, dieselben Reibereien, der übliche Ärger. Wäre es nicht einfacher, allen aus dem Weg zu gehen oder sich zurückzuziehen statt zu streiten?
Einfacher wäre es vielleicht, sich aus allem raus zuhalten. Es gilt aber auch: Wer Auseinandersetzungen immer ausweicht, bleibt schwach und entwickelt sich nicht. Erst
am Widerstand wachsen wir; in der Auseinandersetzung wird der Mensch stark.
Wie schwächlich wären wir geblieben, wenn uns das Leben nie einen Gegner geschenkt hätte? Diese Wahrheit lässt sich an der so genannten antiautoritären Erziehung der 70er Jahre illustrieren. Damals gab es zunächst in den USA und dann auch
bei uns die Meinung, man sollte Kinder in größtmöglicher Freiheit erziehen. In der
Erziehung wurden kaum Grenzen gesetzt. Man wollte den Kindern Widerstände ersparen und damit Auseinandersetzungen bzw. Enttäuschungen.
Doch diese Kinder, die inzwischen längst erwachsene Menschen geworden sind,
haben sich als wenig lebenstüchtig erwiesen. Die non-frustration-children, die Niefrustrierten-Kinder, wie man sie in Amerika nennt weichen Schwierigkeiten aus und
scheitern oft. Sie haben nicht gelernt, mit Widerständen umzugehen, sich auseinanderzusetzen und Enttäuschungen zu ertragen. Doch um lebenstüchtig zu werden,
www.ekhn.de/rundfunk
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hr2 - 6:50 Uhr
braucht man die Widerstände. Die Gegner im Leben sind eben nicht nur Bösewichter,
sie sind Herausforderer, an denen man wachsen kann.
Widrige Umstände im Leben darf man nicht nur als Unglück verstehen, sondern auch
als Herausforderung, sich zu bewähren.
In einer Urgeschichte der Menschen kann man das nachlesen. Da wird erzählt, dass
die Menschen im Paradies gelebt hätten. Und das Leben war einfach schön. Sie hatten alles ohne sich zu mühen. Sie lebten ganz in der Nähe Gottes. Doch dann wollten
sie sein wie Gott und mussten das Paradies verlassen. Draußen begann der Kampf
des Lebens aber auch die Entwicklung der Menschen, das erzählt die alte Geschichte: Eva, die Frau, wird mit Anstrengungen und Schmerzen ihre Kinder gebären. Und
Adam, der Mann, wird gegen Dornen und Disteln auf dem Acker kämpfen. Im Schweiße seines Angesichts wird er das mühsam erworbene Brot essen. Es gehört offensichtlich beides zusammen, das Ringen um das Brot des Lebens, der Kampf gegen
die mühselige Erde und gleichzeitig die Sehnsucht danach, dass sie für uns Heimat
oder Paradies sein kann. Beides gilt: die Erde ist unsere vorübergehende Heimat, und
sie fordert uns heraus. Beides ist von Gott so gewollt. Im Lebenskampf ist erst der
Mensch lebenstüchtig geworden. Es musste den Sündenfall und den Rauswurf aus
dem Paradies geben. Im Paradies gab es keine Widerstände an denen wir wachsen
konnten, keine Gegner, an denen wir stark werden konnten.
In unserem Leben gibt es sehr unterschiedliche Herausforderungen: harte Arbeit und
manchmal vergebliche Mühe, Krankheit oder Schicksalsschlag, enttäuschtes Vertrauen oder zerbrochene Freundschaft. Doch alle Auseinadersetzungen, die uns auferlegt
sind, haben auch einen guten Aspekt: Wir können daran wachsen. Wie schwächlich
wären wir geblieben, wenn uns das Leben nie Gegner geschenkt hätte.
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