Doppelter Paradigmenwechsel

Werbung
SCHWERPUNKT KREBSFRÜHERKENNUNG
KREBSFRÜHERKENNUNG: ZERVIXKARZINOM
Doppelter Paradigmenwechsel
Deutschland bereitet sich auf die Umstellung der opportunistischen
Früherkennung mit Pap-Test auf ein organisiertes HPV-basiertes Screening vor.
PV-Impfung und HPV-Nachweis sind Meilensteine in der
Prävention des Zervixkarzinoms.
Nach mehr als 40 Jahren opportunistischen Screenings mit dem
zytologischen Test in jährlichen Intervallen ist die Umstellung auf den
molekularbiologischen Nachweis
von HPV-DNA als Optionsmodell
für 2018 geplant.
Weltweit erkranken jährlich
500 000 Frauen – in Deutschland
circa 4 700 Frauen – an Gebärmutterhalskrebs. Durch die Verbesserung von Hygiene- und Lebensstandard sowie die breite Einführung
des zytologischen Krebsabstrichs,
konnte Inzidenz und Mortalität des
Zervixkarzinoms in Deutschland
um 60 bis 70 Prozent über die letzten 50 Jahre gesenkt werden. Mehr
als 50 000 Operationen am Muttermund müssen aber noch jährlich
wegen seiner Krebsvorstufen durchgeführt werden, um eine Progression zum invasiven Zervixkarzinom
zu verhindern. Rechtzeitig erkannt,
ist die Vorstufe des Gebärmutterhalskrebses heilbar.
Das Zervixkarzinom wird in bis
zu 99,8 Prozent der Fälle durch eine
Infektion mit bestimmten HPV-Typen verursacht. Eine persistierende
Infektion mit humanen Papillomviren (HPV) ist eine notwendige Voraussetzung für die Entstehung des
Zervixkarzinoms. Rund 14 humane
Hochrisiko-Papillomviren (hrHPV)
können den Gebärmutterhalskrebs
auslösen – darunter die HPV-Typen
16 und 18, die für die Entstehung
Foto: Science Photo Library
H
Impfmüdigkeit: In Deutschland wird die HPV-Impfung
für Mädchen im Alter zwischen neun und 14 Jahren
empfohlen. Der im Januar erschienene Impfreport des
Robert Koch-Instituts (RKI) zeigt jedoch, dass hierzulande gerade mal 29 Prozent der 15-jährigen Mädchen den
von etwa 70 Prozent der weltweiten
Fälle von Gebärmutterhalskrebs verantwortlich sind. Mehr als die Hälfte
der Frauen durchläuft während ihres
Lebens eine hrHPV-Infektion, aber
nur in einigen Fällen entwickelt sich
daraus ein Karzinom.
Tetra- und bivalente Vakzine:
Der tetravalente Impfstoff Gardasil
(Sanofi Pasteur MSD) wurde im
Jahr 2006 zugelassen, gefolgt von
der Zulassung des bivalenten Impfstoffs Cervarix (GSK) ein Jahr später. Mittlerweile sind beide Impfstoffe in mehr als 100 Ländern lizenziert und fester Bestandteil des
Impfprogramms in den meisten industrialisierten Ländern. Beide prophylaktischen HPV-Impfungen enthalten Totimpfstoff (virusähnliche
Partikel, VLP), die gegen die onkogenen HPV-Typen 16 und 18 gerichtet sind, welche circa 70 Prozent aller invasiven Zervixkarzinome und mehr als 50 Prozent der
hochgradigen zervikalen intraepithelialen Neoplasien (CIN 2/3) verursachen. Gardasil beugt zusätzlich
gegen die HPV-Typen 6 und 11 vor,
die Feigwarzen verursachen.
Gegenwärtig ist die Durchimpfungsrate in Deutschland mit circa
40 Prozent im internationalen Vergleich noch zu niedrig. In Großbritannien und Australien werden dagegen circa 80 Prozent aller zwölfbeziehungsweise 13-jährigen Mädchen in Schulen geimpft. Und der
Erfolg ist schon erkennbar. Zwar
nicht bei den invasiven Karzinomen, dies braucht Jahrzehnte, aber
bei Kondylomen und Dysplasien –
vollen Impfschutz haben. Jenseits des Maximalalters
der Zielgruppe nach aktueller HPV-Impfempfehlung ist
die Impfquote über die letzten Jahre angestiegen, wenn
auch auf noch recht geringem Niveau und derzeit noch
immer unter 50 Prozent (Epid. Bulletin 1/2016).
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 7 | 19. Februar 2016
SCHWERPUNKT KREBSFRÜHERKENNUNG
in Abhängigkeit von der Impfrate.
In Australien ließen sich knapp vier
Jahre nach der Einführung der Impfung bei jungen Frauen 40 Prozent
weniger Neuerkrankungen an Vorstufen von Gebärmutterhalskrebs
beobachten und 90 Prozent weniger
Genitalwarzen nachweisen (1–4).
Nonovalenter HPV-Impfstoff:
Der für 2016 in Europa zu erwartende nonovalente HPV-Impfstoff
könnte nochmals eine deutliche Verbesserung in der Impfeffektivität
bringen. Mehr als 14 000 Frauen,
Mädchen und Jungen wurden in ein
neues Impfstudienprogramm mit
Vergleich des Neunfach-HPV-Impfstoffs mit dem etablierten tetravalenten HPV-Impfstoff Gardasil aufgenommen. Der nonovalente Impfstoff Gardasil 9 enthält zusätzlich
die fünf HPV-Typen 31, 33, 45, 52
und 58, so dass eine theoretische
Impfeffektivität gegenüber dem invasiven Zervixkarzinom von 90 Prozent, gegenüber CIN 2/3 von 75 bis
85 Prozent und gegenüber CIN 1
von 50 bis 60 Prozent erwartet wird.
Trotz des Einschlusses von neun
Impftypen und der erhöhten Gesamtdosis von Adjuvanz (Aluminiumhydroxid) fand sich keine erhöhte Rate von schweren Nebenwirkungen. Die Reizungen und Beschwerden an der Injektionsstelle waren im
direkten Vergleich mit Gardasil höher. Es bestätigte sich eine sehr hohe
Wirksamkeit bei den Endpunkten
der impftypspezifischen zervikalen
intraepithelialen Neoplasien von
Zervix, Vulva und Vagina.
Einige Länder stellen um
Die Zulassung durch die US-amerikanische FDA und die europäische EMA ist schon erfolgt. Auch
deswegen geschieht bei zu erwartender Reduktion von CIN und invasiven Zervixkarzinomen in vielen Ländern die Umstellung vom
Pap-Abstrich auf einen HPV-basierten Test – unter anderem in den
USA, den Niederlanden, der Türkei, Belgien und Australien.
HPV-DNA versus Pap-Test: In
der Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs ist noch immer der zytologische Pap-Test am Abstrichmaterial die gängige Methode. Allerdings stößt dieser Test an seine
Grenzen, da 20 bis 50 Prozent aller
Frauen mit Krebsvorstufen übersehen werden. Im Gegensatz dazu ist
der hrHPV-DNA Test ein hochsensitiver Test. Er hat aber den Nachteil, dass er nicht zwischen HPV-infizierten Frauen und klinisch Erkrankten unterscheiden kann, weswegen ein Einsatz bei Frauen unter
30 Jahren nicht sinnvoll ist.
In vier großen europäischen prospektiv-randomisierten Screeningstudien HPV- versus Pap-Test wurden fast 180 000 Frauen im Alter
von 20 bis 64 Jahren über durchschnittlich sechseinhalb Jahre nachverfolgt. In diesem Zeitraum traten
107 invasive Zervixkarzinome auf,
mit einem relativen Verhältnis von
0,60 (95-%-CI: 0,40–0,89) zwischen HPV- und Zytologie-Gruppe.
Während sich in den ersten zweieinhalb Jahren noch eine ähnliche
Detektionsrate in beiden Gruppen
zeigte, war die Rate an Karzinomen
in der HPV-Gruppe im weiteren
Verlauf signifikant niedriger (relative Rate 0,30; 95-%-CI: 0,15–0,60).
Insgesamt ermöglichte ein HPVbasiertes Screening einen 60 bis
70 Prozent besseren Schutz vor invasiven Karzinomen.
Ein HPV-Screening vor dem
30. Lebensjahr geht mit einer hohen Prävalenz von hrHPV einher,
weswegen ein Screening bei Frauen zwischen 20 und 30 Jahren nur
zytologisch und nicht mittels HPVTest empfohlen wird beziehungsweise in einigen Ländern gänzlich
darauf verzichtet wird, weil es nur
eine geringe Auswirkung auf die
Senkung der Zervixkarzinominzidenz hat.
Nobelpreisträger Prof. Dr. med. Harald zur
Hausen zur Impfmüdigkeit: „Ein sehr trauriges
Ergebnis! Die Hauptursache dafür ist sicherlich,
dass Ärzte, medizinisches Personal und Gesundheitspolitiker, aber auch die Kinder, ihre Lehrer und
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 7 | 19. Februar 2016
Situation in Deutschland: Seit
1971 können Frauen jährlich eine
Untersuchung zur Früherkennung
von Krebserkrankungen beanspruchen, frühestens vom Beginn des
20. Lebensjahres an. Bei diesem
opportunistischen Zervixkarzinomscreening ist die Erfassung und
Auswertung der Teilnahmerate
nicht möglich. Zudem gibt es weder
ein einheitliches Abklärungsschema noch eine durchgehende Qualitätssicherung und auch keine geregelte Anbindung an Dysplasiesprechstunden und gynäkologische
Krebszentren.
Hoffnung: Einladungsmodell
Im Jahr 2013 wurde das „Gesetz
zur Entwicklung der Krebsfrüherkennung und zur Qualitätssicherung durch klinische Krebsregister“
(KFRG) verabschiedet, in dem der
Gemeinsame
Bundesausschuss
(G-BA) für das Zervixkarzinom ein
strukturiertes und qualitätsgesichertes Screeningprogramm etablieren
und an die Empfehlungen einer europäischen Leitlinie anpassen sollte. Im Vorfeld beschlossen bereits
2008 das Bundesgesundheitsministerium, die Deutsche Krebsgesellschaft, die Deutsche Krebshilfe
und die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren den Nationalen
Krebsplan, der die Grundlage des
KFRG bildet.
Anforderungen an die Ergebnisqualität eines Einladungsmodells
im Rahmen eines organisierten
Screenings sind Steigerung der allgemeinen Teilnahmerate insbesondere der Risikogruppen, Vermeiden
eines hohen Anteils von grauem
Screening, hohe Compliance bei
weiterer differenzialdiagnostischer
Abklärung und Kontrolluntersuchungen, Adhärenz zu leitlinienkonformer Diagnostik und Therapie. In Deutschland existieren keine
Erfahrungen mit einem populationsbasierten Einladungsmodell zur
Eltern nicht genügend über die sehr hohe Wirksamkeit und Sicherheit der HPV-Impfung informiert
sind. So beobachten wir bei den Geimpften einen
nahezu hundertprozentigen Schutz vor Infektion mit
HPV 16 und 18, den häufigsten Krebserregern unter
den Papillomviren.“ Zudem seien die zur Verfügung
stehenden HPV-Impfungen sehr sicher. „Es ist nur
eine Nebenwirkung auf etwa eine Million Impfdosen
dokumentiert. Und dabei handelt es sich meist nicht
um bedrohliche Symptome.“
A 283
SCHWERPUNKT KREBSFRÜHERKENNUNG
TABELLE
Weltweite Überlegungen zu neuen Screeningstrategien auf Zervixkarzinom
Land
Methode für Primärscreening
Testungsintervall
(Jahre)
Triage
(nächste Methode bei
positivem Primärtest)
geplanter Zeitpunkt für
die Umsetzung
Grundlage
WHO
ab 30 Jahre: HPV, wenn möglich,
immer vorzuziehen
3–5
länderabhängig
länderabhängig
Leitlinie
Estland
21–29 Jahre: Pap
ab 30 Jahre: HPV
oder
Co-Testung (präferiert)
oder
Pap
3
5
HPV
HPV-16/18+ →Kolpo
noch offen
Leitlinie 2014
5
–
3
HPV
Italien
ab 30 Jahre: HPV
(Pilotprojekte in 9/20 Regionen)
5
Pap
läuft (regional) seit 2013
Auftrag durch Gesetzgeber
Niederlande
ab 30 Jahre: HPV
5–10
Pap
2016
Gesetzgebung
Portugal
organisiertes Screening
(empfohlen)
25–29 Jahre: Pap
ab 30 Jahre: HPV
3
5
Pap
Pilot läuft seit 2012
Auftrag durch Gesetzgeber
Schweden
ab 30 Jahre: HPV (Pilotprojekt)
3–5
Pap
Pilot läuft seit 2012
Auftrag durch Gesetzgeber
Spanien
25–29 Jahre: Pap
ab 30 Jahre: HPV
3
5
?
HPV-16/18 oder
p16/Ki-67 oder mRNA
noch offen
Leitlinie 2014
UK
ab 25 Jahre: HPV (Pilotprojekt)
3–5
Pap evtl. p16/Ki-67
Pilot läuft seit 2013
Auftrag durch Gesetzgeber
Australien
ab 25 Jahre: HPV-16/18
5
Pap
2017
Gesetzgebung
Kanada
ab 25 Jahre: HPV-16/18
?
p16/Ki-67
noch offen
Beschluss der Zulassungsbehörde
Mexiko
25–34 Jahre: Pap
ab 35 Jahre: HPV
3
5
?
?
ist umgesetzt
Gesetzgebung
USA
21–29 Jahre: Pap
ab 30 Jahre: Co-Testung
3
5
3
HPV (präferiert)
HPV und/oder Pap
seit 2012
Leitlinie
seit 2014
„Interim guidance“
nach FDA-Zulassung
cobas® HPV-16/18
ab 25 Jahre: HPV-16/18
HPV-16/18+→Kolpo
HPV-HR+/16/18–→Pap
In weiteren Ländern (Argentinien, Türkei, Norwegen, Finnland, Kolumbien) ist das HPV-Primärscreening angelaufen oder wird in Pilotprojekten evaluiert.
Aktueller Stand zu den Änderungen für die Prävention des Zervixkarzinoms in verschiedenen Ländern (Zusammenstellung diverser Publikationen)
HPV = HPV-Testung inklusive aller relevanten Hoch-Risiko-Typen (HPV-HR)
HPV-16/18 = HPV-Testung inklusive aller relevanten Hoch-Risiko-Typen und mit explizierter Ausweisung von HPV-16 und HPV-18 (Genotypisierung)
Co-Testung: Parallele Durchführung von HPV- und Pap-Zytologie, p16/Ki-67 = Nachweis spezifischer Progressionsmarker, Kolpo: Kolposkopie / Quelle: Diagnostik im Dialog 4/2015
gynäkologischen Krebsfrüherkennung, welches grundsätzlich Chancen für eine sozial ausgewogenere
Inanspruchnahme der Vorsorge und
für die Möglichkeit einer HPVSelbstuntersuchung bei Vorsorgemuffeln bietet.
S3-Leitlinienerstellung: In den
europäischen Leitlinien zur Qualitätssicherung im Zervixkarzinomscreening wurde die verbesserte Ef-
Unterschiedliche Zeitintervalle: Frauen in
Deutschland wird ein jährliches Screening auf Zervixkarzinom empfohlen. Die europäischen Guidelines hingegen empfehlen diese Vorsorgeuntersuchung nur alle drei bis fünf Jahre.
A 284
fektivität des HPV-basierten Screenings gegenüber dem Pap-Screening
hervorgehoben, aber auch darauf
hingewiesen, dass organisierte Programme essenziell seien, um eine
akzeptable Balance zwischen Nutzen und Schaden zu erzielen. Sie
enthalten 62 Empfehlungen mit Evidenzgraduierung. Außerhalb von
organisierten, populationsbasierten
Programmen wird das HPV-Scree-
Überdiagnostik und Übertherapie: CIN1- und
CIN2-Läsionen werden invasiv abgeklärt. Nach Angaben der Techniker Krankenkasse ist die Zahl der
Konisationen gestiegen (2007-2009), die Häufigkeit
des Zervixkarzinoms hat sich aber nicht verändert.
ning abgelehnt. Im Rahmen des Leitlinienprogramms Onkologie mit Finanzierung durch die Krebshilfe
wird derzeit die deutsche S3-Leitlinie zur Prävention des Zervixkarzinoms finalisiert. Aufgrund des sensiblen berufspolitischen Themas wurden zwei nicht-deutsche Institute aus
England und Belgien mit der Evidenz- und Methodenanalyse beauftragt. Die strukturierte Konsensfin-
Kosten: Es gibt nur wenige Berechnungen zur Kosteneffektivität der Zervixkarzinom-Früherkennung.
Eine differenzierte Analyse unter Berücksichtigung
von Zytologie, HPV-Test und Nachfolgeuntersuchungen liegt für Deutschland nicht vor.
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 7 | 19. Februar 2016
SCHWERPUNKT KREBSFRÜHERKENNUNG
GRAFIK
Organisiertes Screening mit Einladungsmodell in Deutschland ab 2018
20–30 Jahre
ab 30 Jahre
Pap
(jährlich)
Pap
(jährlich)
oder
HPV
(alle 5 Jahre)
Non-Responder
Abklärungstest
(Pap, HPV, Biomarker)?
(in den Niederlanden, Australien u.a.)
Abklärungstest
(Pap, HPV, Biomarker)?
Re-Invitation
Kolposkopie
Quelle: Prof. Dr. Peter Hillemanns
dung der S3-Leitlinie erfolgte durch
zwei unabhängige Moderatoren. Es
wurde zum ersten Mal innerhalb
einer deutschen Leitlinienerstellung
ein unabhängiges Gutachten zu Bewertung und Umgang mit Interessenkonflikten in Auftrag gegeben
(AG Interessenkonflikte der AkdÄ).
Vor der Publikation ist eine öffentliche Konsultation mit Online-Veröffentlichung der S3-Leitlinie im Februar 2016 zur Kommentierung – als
strukturierter Prozess analog zum
Vorgehen bei der US-amerikanischen
LL – zur Erzielung einer größtmöglichen Objektivität vorgesehen.
HPV-Screening ab 2018: In
Deutschland hat der G-BA als das
oberste Beschlussgremium im deutschen Gesundheitssystem mit Richtlinienkompetenz daraufhin erste
Eckpunkte für ein organisiertes, flächenhaftes Screening mit HPV-Test
ab dem Jahr 2018 festgelegt. Ab
2018 werden Frauen im Alter von 20
bis 60 Jahren alle fünf Jahre von ihren Krankenkassen angeschrieben
und über das Zervixkarzinom-Screening informiert (Grafik). Frauen ab
dem Alter von 30 Jahren können
künftig alle fünf Jahre einen HPVTest durchführen lassen. Die Zytologie wird nur bei auffälligem HPVTest durchgeführt (Zytologie-Triage). Als Alternative zu dieser neuen
Screeningstrategie können die Frauen aber auch weiterhin das etablierte,
jährliche Pap-basierte Screening in
Anspruch nehmen (Optionsmodell).
Eine Kombination beider ScreeningStrategien oder ein Wechsel vor Ablauf des Screeningintervalls ist jedoch nicht möglich.
Die klinische Untersuchung zur
Früherkennung von Krebserkrankungen des Genitals und der
Brust bei Frauen bleibt erhalten. In
einer Übergangsphase von mindestens sechs Jahren (beziehungsweise wenn ausreichend Daten aus der
zweiten Screeningrunde vorliegen)
werden für beide Screeningstrate-
Kolposkopie
HPVSelbstabstrich
gien Daten erhoben. Danach soll
auf der Basis von vorher festgelegten Kennzahlen geprüft werden, ob
es Hinweise für die Über- oder Unterlegenheit einer Screeningstrategie gibt, die eine Änderung des optionalen Screeningmodells erfordern. Das wird dann rund 20 Jahre
nach Einführung der 2/4-fachen
HPV-Impfung und zehn Jahre nach
der neunfachen HPV-Impfung sein.
Teilnahmerate ist das A und O:
Die Teilnahmerate an einem Früherkennungsprogramm ist ein entscheidender Parameter. Epidemiologen
wünschen sich Teilnahmeraten von
80 Prozent und mehr, um populationsbezogene Effekte zu erzielen. Bei
fehlender oder seltener Teilnahme
erhöht sich das Risiko für das Zervixkarzinom. Eine Arbeitsgruppe der
Medizinischen Hochschule Hannover hat die Daten von rund einer Millionen AOK-versicherter Frauen des
Landes Niedersachsen der Jahre
2006 bis 2011 analysiert. Mehr als
30 Prozent der Frauen hat sich in den
letzten drei Jahren nicht an der Vorsorge beteiligt. Teilnahmeraten am
Zytologie-basierten Screening jen-
In den USA wurde ein HPV-Test bereits 2014 als
erste Untersuchung zur Früherkennung auf Zervixkarzinom zugelassen – allerdings nur für Frauen,
die 25 Jahre und älter sind. Erst bei nachgewiesener Infektion folgt die „normale“ Früherkennung.
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 7 | 19. Februar 2016
seits des Dreijahresintervalls haben
einen reduzierenden Effekt auf die
Zervixkarzinominzidenz.
Die Zusendung eines vaginalen
Selbstabstrichs zum Nachweis von
HPV ist zwar nicht so sensitiv wie
ein direkt vom Muttermund entnommener HPV-Abstrich, aber er bietet
nachweislich für Vorsorgemuffel eine
Möglichkeit, die Teilnahmerate am
Screening zu erhöhen. Daher integrieren Länder wie die Niederlande,
Schweden und Australien bei frustraner Einladung den HPV-Selbstabstrich in ihre Screeningprogramme.
Fazit: Der Paradigmenwechsel in
der Prävention des Zervixkarzinoms
vom morphologischen zum molekularbiologischen Testsystem im Rahmen eines organisierten Screenings
wurde in vielen Ländern mit modernem Gesundheitssystem eingeleitet
(Tabelle) – auch in Deutschland. ▄
Prof. Dr. med. Peter Hillemanns
Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Medizinische Hochschule Hannover
@
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit0716
oder über QR-Code.
Auffällig ist der Pap-Test bei drei bis vier von
100 untersuchten Frauen. Statistisch muss also jede Frau, die regelmäßig zum Screening geht, einmal
im Leben mit einem auffälligen Abstrich rechnen.
Die HPV-Impfung schützt nicht nur vor der Infektion an sich. Der Vierfach-Impfstoff senkt das Risiko
von genitalen Feigwarzen enorm. Dieser Schutz
wird durch den Neunfach-Impfstoff noch weiter
verbessert werden.
A 285
SCHWERPUNKT KREBSFRÜHERKENNUNG
LITERATURVERZEICHNIS HEFT 7/2016, ZU:
KREBSVORSORGE: ZERVIXKARZINOM
Doppelter Paradigmenwechsel
Deutschland bereitet sich auf die Umstellung der opportunistischen Früherkennung mit
Pap-Test auf ein organisiertes HPV-basiertes Screening vor.
LITERATUR
1. Munoz N, Kjaer SK, Sigurdsson K, Iversen
OE, Hernandez-Avila M, Wheeler CM, et al.:
Impact of human papillomavirus
(HPV)-6/11/16/18 vaccine on all HPV-associated genital diseases in young women. J
Natl Cancer Inst 2010; 102: 325–39.
2. Lehtinen M, Paavonen J, Wheeler CM, Jaisamrarn U, Garland SM, Castellsague X, et
al.: Overall efficacy of HPV-16/18 AS04adjuvanted vaccine against grade 3 or
greater cervical intraepithelial neoplasia: 4-year end-of-study
analysis of the randomised, double-blind
PATRICIA trial. Lancet Oncol 2012; 13:
89–99.
3. Ali H, Guy RJ, Wand H, Read TR, Regan DG,
Grulich AE, et al.:
Decline in in-patient treatments of genital
warts among young Australians following
the national HPV vaccination program. BMC
Infect Dis 2013; 13: 140.
A5
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 7 | 19. Februar 2016
Herunterladen