Format de citation Röder, Max-Ferdinand: Rezension über: Christian Hartmann, Unternehmen Barbarossa. Der deutsche Krieg im Osten 1941-1945, München: C. H. Beck, 2011, in: Südost-Forschungen, 72 (2013), S. 481-483, http://recensio.net/r/383f8121041c41918af24b115790b6d9 First published: Südost-Forschungen, 72 (2013) copyright Cet article peut être téléchargé et/ou imprimé à des fins privées. Toute autre reproduction ou représentation, intégrale ou substantielle de son contenu, doit faire l'objet d'une autorisation (§§ 44a-63a UrhG / German Copyright Act). Rezensionen Christian Hartmann, Unternehmen Barbarossa. Der deutsche Krieg im Osten 19411945. München: C. H. Beck Verlag 2011. 128 S., ISBN 978-3-406-61226-8, € 8,95 „Kaum ein Krieg war wie dieser. Kaum einer […] hatte solche Wirkungen.“ (7) Dass der deutsche Angriff auf die Sowjetunion innerhalb des 2. Weltkrieges weitreichende Folgen hatte, lässt sich bereits an der Tatsache festmachen, dass die Erinnerung an diesen Feldzug dessen Zeitzeugen überdauert. Christian Hartmann, Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte in München, befasst sich im Rahmen seines Forschungsprojekts „Wehrmacht in der NS-Diktatur“ mit dem sog. Unternehmen Barbarossa. Sein Buch erschien 2011 zum Gedenken an den 70. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion. Auf etwas mehr als 100 Seiten, die er in neun Kapitel unterteilt, widmet er sich der im Prolog formulierten Frage, weshalb dieser Feldzug solch weitreichende Folgen nach sich zog und warum es zu dieser kriegerischen Auseinandersetzung kam. Den eigentlichen Beginn der Darstellung markiert das 2. Kapitel, das mit einer knappen Erläuterung der geographischen und politischen Ausgangslage Europas vor dem Unternehmen Barbarossa beginnt. Hier werden sozusagen im Galopp die einzelnen Stationen des außenpolitischen Vorgehens des NS-Regimes, beginnend mit der Vereinigung Deutschlands mit dem Saarland (Januar 1935) über den Überfall auf Polen (1.9.1939) bis hin zur deutschitalienischen Besetzung Jugoslawiens und Griechenlands (6.-23.4.1941) abgearbeitet. Dass die angesprochene Kürze der Ausführungen über die Vorgeschichte einem relativ langen Teil der Darstellung des Feldzuges selbst gegenübersteht, könnte man als Spiegelung zu den wirklichen Ereignissen vor und ab dem Unternehmen Barbarossa interpretieren. Denn vor dem Angriff auf die Sowjetunion wurde Europa geradezu von dem deutschen „Blitzkrieg“ überrannt, wohingegen in Russland zum ersten Mal eine deutsche Bodenoffensive steckenblieb, was letztlich seinen Teil zur Niederlage im Krieg und zum Untergang des Nationalsozialismus in Deutschland beitrug. Den Anschluss bildet ein Vergleich zwischen deutscher und sowjetischer Seite, wie er in allen Bereichen des Buches kontinuierlich gezogen wird. Dabei schafft es der Autor, neben zahlreichen Unterschieden immer wieder Gemeinsamkeiten aufzudecken. So habe vor allem das Gefühl der Isolation auf beiden Seiten im Vorfeld des Unternehmens Barbarossa zu der politischen Annäherung beider Parteien geführt und in deren Konsequenz zum HitlerStalin-Pakt (23.8.1939). Begründet wird dies auf der einen Seite mit den Kriegsplänen des deutschen Reiches und auf der anderen mit der prototypischen Staatsform in der Sowjetunion. Allerdings wird schon hier deutlich gemacht, dass es sich bei dieser Annäherung nur um zeitlich begrenzte taktische Kompromisse beider Seiten handelte, was bereits der nur 10-jährige Geltungszeitraum des erwähnten Vertrages impliziere. Doch welche Gründe bewogen Hitler dazu, den Pakt schon frühzeitig mit dem Angriff auf die Sowjetunion zu brechen? Da das Vorgehen des NS-Regimes in dieser Angelegenheit wohl nicht auf eine einzige prägnante Ursache zurückgeführt werden kann, bildeten sich in den Reihen der Geschichtswissenschaftler zwei Lager, die sich auf zwei unterschiedliche Hauptgründe bezogen: 1. Umsetzung der nationalsozialistischen Ideologie; 2. Reaktion auf die vorherrschende politisch-militärische Situation. Hartmann beschreitet dabei einen Mittelweg zwischen den Fronten dieser Kontroverse, indem er beide Argumentationen miteinander kombiniert. So führt er aus, dass sich die Gewinnung des sogenannten „OstSüdost-Forschungen 72 (2013) 481 Geschichte: 1848/1878 bis 1989 raums“ und die Vernichtung der „Todfeinde“ des Nationalsozialismus (Bolschewisten, Juden, Slawen) schon in den 1920er Jahren in den Planungen Hitlers manifestierte, wenngleich als eigentliches Endziel. Daneben stellt er die Stagnation des Krieges mit Großbritannien, der durch die Einverleibung der riesigen Ressourcen der Sowjetunion endgültig in einen Sieg des Deutschen Reiches umgewandelt werden sollte. Laut Hartmann war ein Feldzug gegen die Sowjetunion für Hitler also unumgänglich, wurde aber durch die politisch-militärische Lage, in der sich das NS-Regime befand, früher als geplant vollzogen. Den beschriebenen Mittelweg verlässt Hartmann allerdings bei der Frage, ob der Angriff auf die Sowjetunion als Präventivkrieg anzusehen sei. Denn dies verneint der Autor ganz klar.1 Im weiteren Verlauf des Buches verlagert sich das Hauptaugenmerk vor allem auf die Frage, weshalb der Russlandfeldzug scheiterte. Auch hier verweist Hartmann folgerichtig oft auf die NS-Ideologie. Danach werden weitere bekannte Gründe wie ökonomische und klimatische Faktoren und die Ausrüstungsdefizite der deutschen Soldaten im Bezug auf langwierige Kampfhandlungen besprochen. Auch in diesem Zusammenhang findet das bereits erwähnte Vergleichsschema wieder Verwendung, wobei nach durchaus schlüssigen Argumenten festgestellt wird, dass innerhalb der obersten Riege der Befehlsgewalt beider Kriegsparteien oft gehöriger Dilettantismus herrschte. Im Anschluss befasst sich Hartmann einmal mehr mit der NS-Ideologie, auf deren Grundlage militärische Ziele ausgegeben wurden, die den Motor der Wehrmacht ins Stottern brachten. Aber auch die deutsche Besatzungspolitik findet der Autor geprägt von den ideologischen Vorstellungen Hitlers, wobei naturgemäß Parallelen zu seinem Werk „Wehrmacht im Ostkrieg“2 nicht zu verleugnen sind. Denn die Vorgaben für die Besatzer wären ganz klar umrissen: wirtschaftliche Ausbeutung sowie Deportation oder sogar Ermordung niederer „Rassen“. Alle drei genannten Punkte waren also auch gegen die verbliebene Zivilbevölkerung gerichtet, auf die meist keinerlei Rücksicht genommen wurde. Dabei war ein großer Teil der Menschen in den besetzten Gebieten keineswegs von Anfang an gegen eine deutsche Besatzung. Denn auch unter stalinistischer Herrschaft hatte die heterogene Gesellschaft der Sowjetunion, die in viele Ethnien gespalten war, oft leiden müssen und wäre folglich gegenüber dem Deutschen Reich offen gewesen. So aber machte man sich auch die Zivilisten zu Feinden, was in der Gründung vieler Partisanengruppen gipfelte, die es nach und nach schafften, aus der Besatzungszone ein Kampfgebiet zu machen. Ein anderer Themenbereich, der kontinuierlich aufgegriffen wird, sind die Verbrechen, die in diesem Konflikt begangen wurden – zum einen von deutscher Seite, die ihre Besatzungsgebiete ausplünderten und regelrecht ausbluten ließen und damit die Bevölkerung Hunger und Leid aussetzten, wobei auch Verschleppung und Mord an der Tagesordnung waren; zum anderen von sowjetischer Seite, die auch gegen ihre eigenen Landsleute rigoros vorging und, seit sich das Blatt im Krieg gegen die Deutschen gewendet hatte, auch Jagd auf Kollaborateure machte, schließlich in den eroberten deutschen Gebieten Willkür walten ließ und Vergewaltigung und Mord duldete. Selbstredend werden im Laufe der Darstellung auch die Kampfhandlungen geschildert, die zum Rückzug der Wehrmacht und schließlich bis hin zur bedingungslosen Kapitulation Nazi-Deutschlands führten. Auch hier werden immer wieder die begangenen Verbrechen behandelt und dabei erneut Vergleiche zwischen beiden Seiten angestellt. 482 Südost-Forschungen 72 (2013) Rezensionen Abgerundet wird das Werk durch eine Bilanz der Kriegsschäden, die noch einmal den Schrecken dieses Krieges eindringlich verdeutlicht. Aber auch den Folgen, die der Krieg im Osten mit sich zog, wird Rechnung getragen. Dabei wird klar, dass vor allem kurzfristig die Sowjetunion nach ihrem Sieg profitierte, zum einen durch erhebliche Gebietsgewinne in Mitteleuropa, zum anderen durch ihren Aufstieg zur Weltmacht, die von nun an das globale Geschehen mitbestimmten sollte. Dieses Buch schafft es also trotz seiner Kürze, nicht nur die Ereignisgeschichte abzuarbeiten, sondern auch bestimmte Themenbereiche detaillierter zu betrachten, die dem Verständnis der dargestellten Ereignisse zuträglich sind. Allerdings muss auch deutlich gesagt werden, dass viele Sachverhalte und Ereignisse hier nur auf wenigen Seiten oder innerhalb weniger Zeilen dargestellt werden, die auch ganze Bücher füllen könnten. Ein Paradebeispiel hierfür ist der Kampf um Stalingrad. Doch einem Buch, das als Überblicksdarstellung geschrieben wurde und einen großen Leserkreis erreichen soll, wäre eine überbordende Ausformulierung aller vorkommenden Themenbereiche abträglich. So wird es also seinem Anspruch als Überblickswerk gerecht, schafft es aber auch Zusammenhänge aufzuzeigen, die auf den ersten Blick nicht zu erkennen sind. Abschließend ist festzuhalten, dass dieses Buch trotz oder gerade wegen der unüberschaubaren Menge an trivialer wie auch wissenschaftlicher Literatur, die sich mit dem Unternehmen Barbarossa auseinandersetzt, durch die genannten Punkte ganz klar seine Berechtigung erhält. Regensburg M a x - Fe r d i n a n d R ö d e r Er vertritt damit die gleiche Meinung wie Rolf-Dieter Müller / Gerd Ueberschär, Hitlers Krieg im Osten 1941-1945. Ein Forschungsbericht. Darmstadt 2000. 2 Christian Hartmann, Wehrmacht im Ostkrieg. Front und militärisches Hinterland 1941/42. München 2009. 1 Simon Geissbühler, Blutiger Juli. Rumäniens Vernichtungskrieg und der vergessene Massenmord an den Juden 1941. Paderborn, München, Wien, Zürich: Schöningh 2013. 229 S., ISBN 978-3-506-77675-4, € 26,90 Herwig Baum, Varianten des Terrors. Ein Vergleich zwischen der deutschen und rumänischen Besatzungsverwaltung in der Sowjetunion 1941-1944. Berlin: Metropol 2011. 280 S., ISBN 978-3-940938-85-5, € 29,90 Wahrscheinlich kann man Simon Geissbühlers Monographie über die Verbrechen an den Juden im Juli 1941 in der Nordbukowina und Nordbessarabien ohne die Biographie des Autors nicht wirklich einordnen. Er ist in der Schweiz geboren, hat Geschichte und Politikwissenschaft studiert, arbeitete als Dozent für Sportgeschichte, wurde in den diplomatischen Dienst seines Landes aufgenommen. Zwischen 2007 und 2010 führte ihn der Weg an die Schweizer Botschaft in Bukarest. Von dort aus unternahm er Studienreisen und entdeckte, welch reiches jüdisches Erbe im Nordosten des Landes und in der Ukraine verloren zu gehen Südost-Forschungen 72 (2013) 483