Fibromyalgie – keine eingebildete Krankheit

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Münchner Merkur Nr. 7 | Mittwoch, 9. Januar 2013
MEDIZINKOLUMNE
Leben
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Wir alle haben eine Krankenversicherung, die uns gegen
jegliche Erkrankungen im
Hinblick auf Diagnostik und
Therapie versichert. Sie basiert auf einer Solidargemeinschaft, also einer Gruppe von
Menschen, die sich für ein gemeinsames Ziel einsetzt und
dafür auch die gemeinsamen
Kosten und vor allem Pflichten trägt. Im Gesundheitssystem heißt das: Alle haben unabhängig von der Höhe ihres
Einkommens im Krankheitsfall die Sicherheit ärztlicher
Versorgung und die Sicherheit, ihren Lebensunterhalt
weiter bestreiten zu können.
Nur am Rande bemerkt:
Das Prinzip der Solidargemeinschaft „einer für alle, alle
für einen“ funktioniert in
Amerika nicht. Dort steht jeder für sich alleine!
Die meisten Erkrankungen
kann man grob in zwei Kategorien einteilen: die schicksalhaft bedingten, wie zum
Beispiel die meisten Tumorerkrankungen
oder
auch
schwere Infektionen, und die
nicht-schicksalhaft bedingten. Gerade die häufigsten Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes
mellitus Typ II, extremes
Übergewicht oder Lungenkrebs sind zumindest teilweise durch persönliches Fehlverhalten bedingt. Und gerade jetzt wurden große internationale Studien veröffentlicht, die zu dem wenig überraschenden Ergebnis kommen, dass Rauchen, geringe
körperliche Bewegung, ungesunde Ernährung und hoher
Alkoholkonsum an der Entstehung und Progression dieser sogenannten „Volkskrankheiten“ ganz wesentlich
beteiligt sind.
Die durch diese Krankheiten entstehenden Kosten sind
dramatisch. Angeblich sind es
schon jetzt etwa 40 Prozent
der Gesamtkosten im Gesundheitssystem – mit weiter
steigender Tendenz. Einige
Staaten versuchen deshalb
jetzt per Gesetz regulierend
einzugreifen. In Frankreich
etwa sind bereits 43 Prozent
SCHMERZEN OHNE URSACHE
Hauptsache gesund
Dr. Barbara Richartz
Gesundheit per Gesetz?
Priv.-Doz. Dr. med. habil. Barbara Richartz,
Chefärztin in der Privatklinik Jägerwinkel in
Bad Wiessee, erklärt, warum jeder im Sinne aller
auf einen gesunden Lebensstil achten sollte.
der Männer und 34 Prozent
der Frauen stark übergewichtig. „Oh là là“, dachte sich da
offensichtlich die französische Regierung und griff per
Gesetz zu Gegenmaßnah-
men. So sind in Frankreich
alle Firmen der Nahrungsmittelbranche gesetzlich dazu
verpflichtet, in der Werbung –
staatlich vorgegebene – gesundheitsfördernde Slogans
zu integrieren oder deutlich
höhere Steuern zu zahlen.
Umgekehrt ist Werbung für
gesunde Nahrungsmittel wie
unverarbeitetes Obst und Gemüse von diesem Gesetz ausgeschlossen. Das heißt: Lebensmittelunternehmer, die
für ein gesundes Nahrungsmittel Werbung machen,
müssen weder einen dieser
Slogans in ihre Kampagne integrieren, noch eine ExtraSteuer zahlen. Sie werden so
indirekt entlastet.
Auch die Deutschen ernähren sich zu ungesund. Nicht
zuletzt deshalb, weil auch
hier die Lebensmittelindustrie ein gigantisches Marketing macht und immer neue,
aber künstliche Produkte auf
den Markt wirft. Deutschland
ist zum Schlaraffenland geworden und seine Einwohner
sind immer dicker geworden.
Einige Experten sehen daher
Pommes und Cola schon in
einer Reihe mit Tabak und Alkohol. Sie fordern ein entschlossenes Eingreifen des
Staates, um seine Bürger zu
schützen und gesunde Entscheidungen zu erleichtern.
Die Forderungen: hohe Steuern auf Fettiges, Salziges oder
Süßes. Gewissermaßen eine
„Staatsdiät“!
Steigt der Preis, sinkt die
Nachfrage. Ob eine Fett- oder
Zuckersteuer aber dazu führt,
dass die Menschen sich gesünder ernähren, ist ungewiss. Amerika, speziell New
York, hat diesen Weg schon
eingeschlagen:
Restaurants
dürfen Softdrinks nur noch in
Bechern bis 0,47 Liter verkaufen.
Darf der Staat den Menschen „ins Essen reinreden“?
Meiner Meinung nach: Nein!
Trotzdem hat jedes Mitglied
der Solidargemeinschaft – neben seiner Beitragszahlung –
auch die Pflicht, einen wirtschaftlichen Schaden von der
Gemeinschaft abzuwenden.
Das bedeutet: Eigenverantwortung durch einen gesunden Lebensstil zu übernehmen – sich selbst gegenüber
und auch gegenüber der Solidargemeinschaft.
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DIE AKTUELLE
MEDIZIN
Studie: Fruchtzucker
macht weniger satt
Fruchtzucker ist in aller
Munde – und er steckt
längst nicht nur in süßen
Früchten. Wer sich einmal
die Mühe macht und beim
Einkaufen auf die Zutatenlisten schaut, wird feststellen: Fructose, wie man den
Fruchtzucker auch nennt,
ist fast überall enthalten –
egal ob in Softdrinks, Süßwaren oder Tomatenketchup. Sie lässt sich billig aus Maisstärke herstellen, hat eine größere Süßkraft als Traubenzucker
(Glucose) und mit dem
Wort „Frucht“ im Namen
erscheint sie vielen auch
gleich viel gesünder. Selbst
Ernährungsexperten hielten sie erst für eine gute Alternative. Denn im Gegensatz zu Glucose lässt
Fructose den Blutzucker
nicht steigen. Die Bauchspeicheldrüse muss darum
auch kein zusätzliches Insulin ins Blut abgeben.
Fibromyalgie – keine eingebildete Krankheit
Sie haben Schmerzen in
Beinen, Knien und Rücken. Doch Ärzte finden
keine Ursache: Bis die Diagnose Fibromyalgie gestellt wird, dauert es oft
Jahre. Heilen lässt sich die
Erkrankung nicht. Doch
kann Sport die Beschwerden zumindest lindern.
VON CARINA FREY, DPA
Oft bekommen die Betroffenen zu hören, ihnen fehle gar
nichts. Doch bilden sich
Menschen, die am Fibromyalgie-Syndrom (FMS) leiden,
den Schmerz nicht einfach
ein. Sie sind zwar organisch
gesund. Das ändert aber
nichts daran, dass ihr Körper
an den verschiedensten Stellen schmerzt: am Rücken,
den Armen und Beinen, am
Bauch. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) führt
das FMS als Krankheit auf.
In den westlichen Industrieländern leidet etwa ein bis
zwei Prozent der Bevölkerung
am
„Faser-MuskelSchmerz“ – das bedeutet der
Name Fibromyalgie übersetzt. Meist trifft es Frauen
mittleren Alters. Die Krankheit setzt meist schleichend
ein. „Manche Betroffene hatten schon als Kinder häufiger
Schmerzen“, sagt Winfried
Häuser von der Deutschen
Interdisziplinären
Vereinigung für Schmerztherapie.
Oft schmerzt am Anfang nur
ein Körperteil. Erst nach und
nach breite sich das Leiden
auf andere Bereiche aus.
Der schleichende Verlauf
ist aber auch ein Grund dafür,
dass das Fibromyalgie-Syndrom oft erst nach Jahren diagnostiziert wird. „Bei vielen
Betroffenen schmerzt am Anfang das untere Kreuzbein.
Dann geht man zum Arzt, be-
MEDIZIN
Die Schmerzen beginnen oft am Kreuzbein, später betreffen sie auch andere Bereiche. Eine organische Ursache dafür findet sich bei Fibromyalgie-Patienten jedoch nicht.
DAK
kommt eine Spritze, und das
hilft erst mal“, erklärt Margit
Settan, Vorsitzende der Deutschen Fibromyalgie Vereinigung in Seckach (BadenWürttemberg). Die Beschwer-
den treten dann meist immer
öfter auf – die Spritze hilft
nicht mehr. Zudem schmerzt
es meist bald auch an anderen
Körperstellen.
In der Vergangenheit habe
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es im Schnitt sieben bis neun
Jahre gedauert, bis Patienten
die Diagnose Fibromyalgiesyndrom bekamen. Jahre, in
denen sie von einem Facharzt
zum nächsten gingen, weil ih-
BIOLOGIE
nen keiner die Schmerzen
nehmen konnte. Heute bekämen Betroffene im Schnitt
nach drei bis fünf Jahren die
richtige Diagnose.
Damit das noch schneller
geht, müssen Patienten offen
mit ihrem Arzt sprechen.
„Beim Fibromyalgie-Syndrom
ist es besonders wichtig, dass
der Patient alle Beschwerden
schildert“, erklärt Häuser, der
am Klinikum Saarbrücken arbeitet. Dazu gehören neben
den Schmerzen zum Beispiel
auch Schlafstörungen, Erschöpfung oder seelische Beschwerden wie Unruhe und
Niedergeschlagenheit.
Wer regelmäßig Medikamente einnimmt, sollte den
Arzt darauf hinweisen. Die
diffusen Schmerzen können
nämlich auch eine Nebenwirkung von Arzneien sein, etwa
der weit verbreiteten Cholesterinsenker, sagt Bernhard
Arnold von der Deutschen
Schmerzgesellschaft in Berlin. Über eine Laboruntersuchung des Blutes lässt sich
klären, ob der Schmerz körperliche Ursachen hat. So
kann etwa eine rheumatische
Erkrankung oder eine Schilddrüsenfehlfunktion dahinterstecken. Sicher nachweisen
lässt sich das FMS durch solche Untersuchungen nicht.
Der Arzt kann damit nur andere Ursachen ausschließen.
Das Fibromyalgie-Syndrom
ist nicht heilbar. Die Lebenserwartung beeinflussen die
Beschwerden aber nicht.
Auch gibt es Möglichkeiten,
die Beschwerden zu lindern,
etwa regelmäßige Bewegung.
„Es ist egal, ob die Patienten
Samba tanzen, an Fitnessgeräten trainieren oder walken.
Wichtig ist, dass sie Spaß dabei haben“, sagt Arnold, der
an der Schmerztagesklinik am
Klinikum Dachau tätig ist.
Nur so bleiben sie regelmäßig
dabei. Um einen Trainingseffekt zu erzielen, sollten sich
die Betroffenen zwei- bis dreimal pro Woche bewegen.
Auch bei schweren Formen
des FMS raten Experten zu
leichtem Ausdauer-, Funktions- oder Krafttraining sowie
Sportarten wie Tai Chi oder
Yoga. Empfehlenswert sei zudem Entspannungs- und Verhaltenstherapie, kombiniert
mit Ausdauertraining. Denn
oft hängen körperliche und
seelische Beschwerden zusammen. Medikamente sollten indes nur zeitlich befristet
eingenommen werden.
Zu empfehlen sind einige
physikalische Therapien, etwa Thermalbäder, Fango und
Lymphdrainage. Gleiches gilt
für Akupunktur. Bei anderen
Behandlungsansätzen wie Laser- und Magnetfeldtherapie,
Reiki und die Einnahme von
Nahrungsergänzungsmitteln
ist die Wirksamkeit dagegen
unklar oder es drohen gar Nebenwirkungen.
Zu vielen Therapien fehlen
aussagekräftige Untersuchungen zu ihrem Nutzen. Winfried Häuser hat deshalb gemeinsam mit Kollegen FMSPatienten zu ihren Erfahrungen mit bestimmten Behandlungen befragt. Wärmeanwendungen,
Thermalbäder
und
Schulungsprogramme
zum FMS bewerteten diese
demnach als besonders hilfreich. Als Therapien mit besonders vielen unerwünschten Nebenwirkungen nannten
sie die Behandlung mit Medikamenten wie Opioiden, Antiepileptika und Antidepressiva sowie die Kältetherapie.
Margit Settan von der Deutschen Fibromyalgie-Vereinigung rät Patienten, sich regelmäßig mit anderen Betroffenen auszutauschen. „Wir haben Schmerzen, aber es sieht
uns keiner an. In einer Gruppe bekommt man viele Informationen.“ Und man werde
akzeptiert, ohne viel erklären
zu müssen.
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Niedriger Lohn – hoher Blutdruck Larvenspeichel als Bakterienkiller
Sacramento – Wer wenig verdient, hat nicht nur öfter mit
Miesen auf dem Konto zu
kämpfen. Er neigt auch eher
zu erhöhtem Blutdruck. Dies
zeigt eine Studie im Fachmagazin European Journal of Public Health.
Zu hoher Blutdruck ist der
häufigste Risikofaktor für Erkrankungen von Herz und
Kreislauf. Etwa jeder dritte Erwachsene soll betroffen sein.
Dass sozial schwächer gestellte Menschen stärker dazu neigen, war bereits bekannt. Frühere Studien hatten bereits ei-
ne Verbindung zu Stress,
niedrigem
Bildungsniveau
oder einem unsicheren Versicherungsstatus
hergestellt.
Die neue Untersuchung zeigt
jetzt, dass auch das Einkommen ein guter Gradmesser für
das Hypertonie-Risiko ist.
Die Forscher um J. Paul
Leigh von der Davis School of
Medicine in Sacramento werteten dazu eine Befragung von
mehr als 5500 Personen aus.
Am stärksten betroffen sind
demnach junge Arbeitnehmer. Eine Verdoppelung des
Gehalts senkte das Risiko für
Bluthochdruck um mehr als
ein Viertel. Noch stärker zeigte sich der Effekt bei Frauen:
Bei doppeltem Gehalt hatten
sie ein bis zu 35 Prozent niedriges Hypertonie-Risiko.
Die Ursache sehen die Forscher allerdings nicht unmittelbar beim Einkommen. Aus
anderen Studien ist bekannt,
dass mit einem schwächeren
sozialen Status oft ein ungesunder Lebensstil einhergeht.
Menschen, die wenig verdienen, rauchen öfter, neigen
stärker zu Übergewicht und
bewegen sich weniger.
sog
Regensburg – Im Kampf gegen schädliche Mikroorganismen könnte eine Wespenlarve
Vorbild für die Menschen
sein. Die Larve der Juwelwespe (Ampulex compressa), die
im Inneren einer Kakerlake
heranwächst, sondert Stoffe
aus ihrem Maul ab, um sich
vor Erregern ihres Wirtes zu
schützen. Dies berichten Forscher der Universität Regensburg in den „Proceedings“ der
US-Akademie der Wissenschaften (PNAS).
„Wir haben entdeckt, dass
das Sekret der Wespenlarve
Legt ihre Eier auf Kakerlaken:
die Juwelwespe.
FKN
eine Breitbandwirkung gegen
zahlreiche Mikroorganismen
enthält“, sagte die Leiterin des
Forschungsprojekts, Gudrun
Herzner.
Die Wespenweibchen, die
unter anderem in Afrika und
Indien vorkommen, sind bei
der Verbreitung ihrer Art auf
Kakerlaken angewiesen – sie
nehmen sie quasi als Geiseln.
Sie versetzen die Schabe
durch Injektion eines Giftes
in eine Art Lethargie. Die
Wespe zieht die deutlich größere Kakerlake dann in eine
Nisthöhle. Dort legt das Weibchen ein Ei auf die Schabe ab.
Sie dient der Larve etwa eine
Woche als Proviant.
dpa
Fruchtzucker steckt nicht
nur in Früchten, sondern
in vielen Produkten.
DPA
Hungrig ohne Insulin
Doch zumindest unter Experten hat Fruchtzucker
sein positives Image längst
verloren: Das Hormon Insulin lässt nach dem Essen
nicht nur den Blutzucker
wieder sinken. Es erzeugt
auch ein Gefühl der Sättigung, das bei Fructose
fehlt – so der Verdacht.
Forscher der Yale University School of Medicine in
New Haven (USA) haben
dies jetzt genauer untersucht, kann man in der
Online-Ausgabe des Deutschen Ärzteblatts nachlesen. Für die Studie tranken demnach 20 Freiwillige auf nüchternen Magen
entweder eine Glucoseoder eine Fructoselösung.
Mit dem Kernspintomografen (MRT) untersuchten die Mediziner im Anschluss den Blutfluss im
Hypothalamus, in dem das
Hungerzentrum des Gehirns liegt.
Mit dem MRT untersuchten US-Forscher wie satt
Fructose macht.
DPA
Suchtmittel Fructose?
Die MRT Untersuchung
ergab: Eine Viertelstunde,
nachdem die Testpersonen
die Glucose-Lösung getrunken hatten, nahm der
Blutfluss im Hungerzentrum des Gehirns ab. Die
Mediziner interpretieren
das als Sättigung. Hatten
die Probanden indes eine
Fructose-Lösung getrunken, ließ sich dieser Effekt
nicht beobachten.
Fructose macht also offenbar tatsächlich weniger
satt als Glucose. Zudem
schmeckt sie viel süßer,
könnte daher dazu verleiten, mehr davon zu essen
– auch darauf haben die
US-Forscher Hinweise gefunden. Nach dem Fructose-Drink veränderte sich
die Kommunikation der
Nervenzellen im Hungerzentrum mit denen im Belohnungszentrum.
Dies
könnte auf eine Art Suchtwirkung hindeuten.
ae
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