Telefon: (089) 53 06-425 [email protected] Telefax: (089) 53 06-86 61 Münchner Merkur Nr. 7 | Mittwoch, 9. Januar 2013 MEDIZINKOLUMNE Leben ............................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................ Wir alle haben eine Krankenversicherung, die uns gegen jegliche Erkrankungen im Hinblick auf Diagnostik und Therapie versichert. Sie basiert auf einer Solidargemeinschaft, also einer Gruppe von Menschen, die sich für ein gemeinsames Ziel einsetzt und dafür auch die gemeinsamen Kosten und vor allem Pflichten trägt. Im Gesundheitssystem heißt das: Alle haben unabhängig von der Höhe ihres Einkommens im Krankheitsfall die Sicherheit ärztlicher Versorgung und die Sicherheit, ihren Lebensunterhalt weiter bestreiten zu können. Nur am Rande bemerkt: Das Prinzip der Solidargemeinschaft „einer für alle, alle für einen“ funktioniert in Amerika nicht. Dort steht jeder für sich alleine! Die meisten Erkrankungen kann man grob in zwei Kategorien einteilen: die schicksalhaft bedingten, wie zum Beispiel die meisten Tumorerkrankungen oder auch schwere Infektionen, und die nicht-schicksalhaft bedingten. Gerade die häufigsten Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ II, extremes Übergewicht oder Lungenkrebs sind zumindest teilweise durch persönliches Fehlverhalten bedingt. Und gerade jetzt wurden große internationale Studien veröffentlicht, die zu dem wenig überraschenden Ergebnis kommen, dass Rauchen, geringe körperliche Bewegung, ungesunde Ernährung und hoher Alkoholkonsum an der Entstehung und Progression dieser sogenannten „Volkskrankheiten“ ganz wesentlich beteiligt sind. Die durch diese Krankheiten entstehenden Kosten sind dramatisch. Angeblich sind es schon jetzt etwa 40 Prozent der Gesamtkosten im Gesundheitssystem – mit weiter steigender Tendenz. Einige Staaten versuchen deshalb jetzt per Gesetz regulierend einzugreifen. In Frankreich etwa sind bereits 43 Prozent SCHMERZEN OHNE URSACHE Hauptsache gesund Dr. Barbara Richartz Gesundheit per Gesetz? Priv.-Doz. Dr. med. habil. Barbara Richartz, Chefärztin in der Privatklinik Jägerwinkel in Bad Wiessee, erklärt, warum jeder im Sinne aller auf einen gesunden Lebensstil achten sollte. der Männer und 34 Prozent der Frauen stark übergewichtig. „Oh là là“, dachte sich da offensichtlich die französische Regierung und griff per Gesetz zu Gegenmaßnah- men. So sind in Frankreich alle Firmen der Nahrungsmittelbranche gesetzlich dazu verpflichtet, in der Werbung – staatlich vorgegebene – gesundheitsfördernde Slogans zu integrieren oder deutlich höhere Steuern zu zahlen. Umgekehrt ist Werbung für gesunde Nahrungsmittel wie unverarbeitetes Obst und Gemüse von diesem Gesetz ausgeschlossen. Das heißt: Lebensmittelunternehmer, die für ein gesundes Nahrungsmittel Werbung machen, müssen weder einen dieser Slogans in ihre Kampagne integrieren, noch eine ExtraSteuer zahlen. Sie werden so indirekt entlastet. Auch die Deutschen ernähren sich zu ungesund. Nicht zuletzt deshalb, weil auch hier die Lebensmittelindustrie ein gigantisches Marketing macht und immer neue, aber künstliche Produkte auf den Markt wirft. Deutschland ist zum Schlaraffenland geworden und seine Einwohner sind immer dicker geworden. Einige Experten sehen daher Pommes und Cola schon in einer Reihe mit Tabak und Alkohol. Sie fordern ein entschlossenes Eingreifen des Staates, um seine Bürger zu schützen und gesunde Entscheidungen zu erleichtern. Die Forderungen: hohe Steuern auf Fettiges, Salziges oder Süßes. Gewissermaßen eine „Staatsdiät“! Steigt der Preis, sinkt die Nachfrage. Ob eine Fett- oder Zuckersteuer aber dazu führt, dass die Menschen sich gesünder ernähren, ist ungewiss. Amerika, speziell New York, hat diesen Weg schon eingeschlagen: Restaurants dürfen Softdrinks nur noch in Bechern bis 0,47 Liter verkaufen. Darf der Staat den Menschen „ins Essen reinreden“? Meiner Meinung nach: Nein! Trotzdem hat jedes Mitglied der Solidargemeinschaft – neben seiner Beitragszahlung – auch die Pflicht, einen wirtschaftlichen Schaden von der Gemeinschaft abzuwenden. Das bedeutet: Eigenverantwortung durch einen gesunden Lebensstil zu übernehmen – sich selbst gegenüber und auch gegenüber der Solidargemeinschaft. .................................................................................................................................................................................................................................................................................................................. 17 DIE AKTUELLE MEDIZIN Studie: Fruchtzucker macht weniger satt Fruchtzucker ist in aller Munde – und er steckt längst nicht nur in süßen Früchten. Wer sich einmal die Mühe macht und beim Einkaufen auf die Zutatenlisten schaut, wird feststellen: Fructose, wie man den Fruchtzucker auch nennt, ist fast überall enthalten – egal ob in Softdrinks, Süßwaren oder Tomatenketchup. Sie lässt sich billig aus Maisstärke herstellen, hat eine größere Süßkraft als Traubenzucker (Glucose) und mit dem Wort „Frucht“ im Namen erscheint sie vielen auch gleich viel gesünder. Selbst Ernährungsexperten hielten sie erst für eine gute Alternative. Denn im Gegensatz zu Glucose lässt Fructose den Blutzucker nicht steigen. Die Bauchspeicheldrüse muss darum auch kein zusätzliches Insulin ins Blut abgeben. Fibromyalgie – keine eingebildete Krankheit Sie haben Schmerzen in Beinen, Knien und Rücken. Doch Ärzte finden keine Ursache: Bis die Diagnose Fibromyalgie gestellt wird, dauert es oft Jahre. Heilen lässt sich die Erkrankung nicht. Doch kann Sport die Beschwerden zumindest lindern. VON CARINA FREY, DPA Oft bekommen die Betroffenen zu hören, ihnen fehle gar nichts. Doch bilden sich Menschen, die am Fibromyalgie-Syndrom (FMS) leiden, den Schmerz nicht einfach ein. Sie sind zwar organisch gesund. Das ändert aber nichts daran, dass ihr Körper an den verschiedensten Stellen schmerzt: am Rücken, den Armen und Beinen, am Bauch. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) führt das FMS als Krankheit auf. In den westlichen Industrieländern leidet etwa ein bis zwei Prozent der Bevölkerung am „Faser-MuskelSchmerz“ – das bedeutet der Name Fibromyalgie übersetzt. Meist trifft es Frauen mittleren Alters. Die Krankheit setzt meist schleichend ein. „Manche Betroffene hatten schon als Kinder häufiger Schmerzen“, sagt Winfried Häuser von der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Schmerztherapie. Oft schmerzt am Anfang nur ein Körperteil. Erst nach und nach breite sich das Leiden auf andere Bereiche aus. Der schleichende Verlauf ist aber auch ein Grund dafür, dass das Fibromyalgie-Syndrom oft erst nach Jahren diagnostiziert wird. „Bei vielen Betroffenen schmerzt am Anfang das untere Kreuzbein. Dann geht man zum Arzt, be- MEDIZIN Die Schmerzen beginnen oft am Kreuzbein, später betreffen sie auch andere Bereiche. Eine organische Ursache dafür findet sich bei Fibromyalgie-Patienten jedoch nicht. DAK kommt eine Spritze, und das hilft erst mal“, erklärt Margit Settan, Vorsitzende der Deutschen Fibromyalgie Vereinigung in Seckach (BadenWürttemberg). Die Beschwer- den treten dann meist immer öfter auf – die Spritze hilft nicht mehr. Zudem schmerzt es meist bald auch an anderen Körperstellen. In der Vergangenheit habe ................................................................................................................................................................... es im Schnitt sieben bis neun Jahre gedauert, bis Patienten die Diagnose Fibromyalgiesyndrom bekamen. Jahre, in denen sie von einem Facharzt zum nächsten gingen, weil ih- BIOLOGIE nen keiner die Schmerzen nehmen konnte. Heute bekämen Betroffene im Schnitt nach drei bis fünf Jahren die richtige Diagnose. Damit das noch schneller geht, müssen Patienten offen mit ihrem Arzt sprechen. „Beim Fibromyalgie-Syndrom ist es besonders wichtig, dass der Patient alle Beschwerden schildert“, erklärt Häuser, der am Klinikum Saarbrücken arbeitet. Dazu gehören neben den Schmerzen zum Beispiel auch Schlafstörungen, Erschöpfung oder seelische Beschwerden wie Unruhe und Niedergeschlagenheit. Wer regelmäßig Medikamente einnimmt, sollte den Arzt darauf hinweisen. Die diffusen Schmerzen können nämlich auch eine Nebenwirkung von Arzneien sein, etwa der weit verbreiteten Cholesterinsenker, sagt Bernhard Arnold von der Deutschen Schmerzgesellschaft in Berlin. Über eine Laboruntersuchung des Blutes lässt sich klären, ob der Schmerz körperliche Ursachen hat. So kann etwa eine rheumatische Erkrankung oder eine Schilddrüsenfehlfunktion dahinterstecken. Sicher nachweisen lässt sich das FMS durch solche Untersuchungen nicht. Der Arzt kann damit nur andere Ursachen ausschließen. Das Fibromyalgie-Syndrom ist nicht heilbar. Die Lebenserwartung beeinflussen die Beschwerden aber nicht. Auch gibt es Möglichkeiten, die Beschwerden zu lindern, etwa regelmäßige Bewegung. „Es ist egal, ob die Patienten Samba tanzen, an Fitnessgeräten trainieren oder walken. Wichtig ist, dass sie Spaß dabei haben“, sagt Arnold, der an der Schmerztagesklinik am Klinikum Dachau tätig ist. Nur so bleiben sie regelmäßig dabei. Um einen Trainingseffekt zu erzielen, sollten sich die Betroffenen zwei- bis dreimal pro Woche bewegen. Auch bei schweren Formen des FMS raten Experten zu leichtem Ausdauer-, Funktions- oder Krafttraining sowie Sportarten wie Tai Chi oder Yoga. Empfehlenswert sei zudem Entspannungs- und Verhaltenstherapie, kombiniert mit Ausdauertraining. Denn oft hängen körperliche und seelische Beschwerden zusammen. Medikamente sollten indes nur zeitlich befristet eingenommen werden. Zu empfehlen sind einige physikalische Therapien, etwa Thermalbäder, Fango und Lymphdrainage. Gleiches gilt für Akupunktur. Bei anderen Behandlungsansätzen wie Laser- und Magnetfeldtherapie, Reiki und die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln ist die Wirksamkeit dagegen unklar oder es drohen gar Nebenwirkungen. Zu vielen Therapien fehlen aussagekräftige Untersuchungen zu ihrem Nutzen. Winfried Häuser hat deshalb gemeinsam mit Kollegen FMSPatienten zu ihren Erfahrungen mit bestimmten Behandlungen befragt. Wärmeanwendungen, Thermalbäder und Schulungsprogramme zum FMS bewerteten diese demnach als besonders hilfreich. Als Therapien mit besonders vielen unerwünschten Nebenwirkungen nannten sie die Behandlung mit Medikamenten wie Opioiden, Antiepileptika und Antidepressiva sowie die Kältetherapie. Margit Settan von der Deutschen Fibromyalgie-Vereinigung rät Patienten, sich regelmäßig mit anderen Betroffenen auszutauschen. „Wir haben Schmerzen, aber es sieht uns keiner an. In einer Gruppe bekommt man viele Informationen.“ Und man werde akzeptiert, ohne viel erklären zu müssen. ................................................................................................................................................................. Niedriger Lohn – hoher Blutdruck Larvenspeichel als Bakterienkiller Sacramento – Wer wenig verdient, hat nicht nur öfter mit Miesen auf dem Konto zu kämpfen. Er neigt auch eher zu erhöhtem Blutdruck. Dies zeigt eine Studie im Fachmagazin European Journal of Public Health. Zu hoher Blutdruck ist der häufigste Risikofaktor für Erkrankungen von Herz und Kreislauf. Etwa jeder dritte Erwachsene soll betroffen sein. Dass sozial schwächer gestellte Menschen stärker dazu neigen, war bereits bekannt. Frühere Studien hatten bereits ei- ne Verbindung zu Stress, niedrigem Bildungsniveau oder einem unsicheren Versicherungsstatus hergestellt. Die neue Untersuchung zeigt jetzt, dass auch das Einkommen ein guter Gradmesser für das Hypertonie-Risiko ist. Die Forscher um J. Paul Leigh von der Davis School of Medicine in Sacramento werteten dazu eine Befragung von mehr als 5500 Personen aus. Am stärksten betroffen sind demnach junge Arbeitnehmer. Eine Verdoppelung des Gehalts senkte das Risiko für Bluthochdruck um mehr als ein Viertel. Noch stärker zeigte sich der Effekt bei Frauen: Bei doppeltem Gehalt hatten sie ein bis zu 35 Prozent niedriges Hypertonie-Risiko. Die Ursache sehen die Forscher allerdings nicht unmittelbar beim Einkommen. Aus anderen Studien ist bekannt, dass mit einem schwächeren sozialen Status oft ein ungesunder Lebensstil einhergeht. Menschen, die wenig verdienen, rauchen öfter, neigen stärker zu Übergewicht und bewegen sich weniger. sog Regensburg – Im Kampf gegen schädliche Mikroorganismen könnte eine Wespenlarve Vorbild für die Menschen sein. Die Larve der Juwelwespe (Ampulex compressa), die im Inneren einer Kakerlake heranwächst, sondert Stoffe aus ihrem Maul ab, um sich vor Erregern ihres Wirtes zu schützen. Dies berichten Forscher der Universität Regensburg in den „Proceedings“ der US-Akademie der Wissenschaften (PNAS). „Wir haben entdeckt, dass das Sekret der Wespenlarve Legt ihre Eier auf Kakerlaken: die Juwelwespe. FKN eine Breitbandwirkung gegen zahlreiche Mikroorganismen enthält“, sagte die Leiterin des Forschungsprojekts, Gudrun Herzner. Die Wespenweibchen, die unter anderem in Afrika und Indien vorkommen, sind bei der Verbreitung ihrer Art auf Kakerlaken angewiesen – sie nehmen sie quasi als Geiseln. Sie versetzen die Schabe durch Injektion eines Giftes in eine Art Lethargie. Die Wespe zieht die deutlich größere Kakerlake dann in eine Nisthöhle. Dort legt das Weibchen ein Ei auf die Schabe ab. Sie dient der Larve etwa eine Woche als Proviant. dpa Fruchtzucker steckt nicht nur in Früchten, sondern in vielen Produkten. DPA Hungrig ohne Insulin Doch zumindest unter Experten hat Fruchtzucker sein positives Image längst verloren: Das Hormon Insulin lässt nach dem Essen nicht nur den Blutzucker wieder sinken. Es erzeugt auch ein Gefühl der Sättigung, das bei Fructose fehlt – so der Verdacht. Forscher der Yale University School of Medicine in New Haven (USA) haben dies jetzt genauer untersucht, kann man in der Online-Ausgabe des Deutschen Ärzteblatts nachlesen. Für die Studie tranken demnach 20 Freiwillige auf nüchternen Magen entweder eine Glucoseoder eine Fructoselösung. Mit dem Kernspintomografen (MRT) untersuchten die Mediziner im Anschluss den Blutfluss im Hypothalamus, in dem das Hungerzentrum des Gehirns liegt. Mit dem MRT untersuchten US-Forscher wie satt Fructose macht. DPA Suchtmittel Fructose? Die MRT Untersuchung ergab: Eine Viertelstunde, nachdem die Testpersonen die Glucose-Lösung getrunken hatten, nahm der Blutfluss im Hungerzentrum des Gehirns ab. Die Mediziner interpretieren das als Sättigung. Hatten die Probanden indes eine Fructose-Lösung getrunken, ließ sich dieser Effekt nicht beobachten. Fructose macht also offenbar tatsächlich weniger satt als Glucose. Zudem schmeckt sie viel süßer, könnte daher dazu verleiten, mehr davon zu essen – auch darauf haben die US-Forscher Hinweise gefunden. Nach dem Fructose-Drink veränderte sich die Kommunikation der Nervenzellen im Hungerzentrum mit denen im Belohnungszentrum. Dies könnte auf eine Art Suchtwirkung hindeuten. ae