BM Rigg: Hitlers `jüdische Soldaten` - H-Net

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Bryan Mark Rigg. Hitlers ’jüdische Soldaten’. Paderborn: Ferdinand Schöningh Verlag, 2003.
439 S. EUR 38.00 (gebunden), ISBN 978-3-506-70115-2.
Reviewed by Andreas Kunz
Published on H-Soz-u-Kult (January, 2004)
B. M. Rigg: Hitlers ’jüdische Soldaten’
Aufwand recherchierten Zeitzeugen befragte Rigg nach
”
ihrer persönlichen Familiengeschichte und ihrem jüdischen Hintergrund; […] über ihre Zeit in der Wehrmacht;
[…] was sie dazu bewog, in der Wehrmacht zu dienen;
und was sie damals vom Holocaust wussten“ (S. XIII).
Weiterführende Angaben über die von ihm angewandte Methodik wären sicherlich wünschenswert gewesen.
Doch darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt
bleiben, dass Rigg seine Interviewunterlagen sowie andere ihm überlassene Aufzeichnungen dem BundesarchivMilitärarchiv übergeben hat, damit diese als ein eigener
Sammlungsbestand verwahrt und für die historische Forschung dauerhaft gesichert werden.
Der Titel des Buches von Bryan Mark Rigg, Professor für Geschichte an der American Military University in Manassas/Virginia, lässt aufhorchen. Jüdische
Wehrmachtsoldaten, also Angehörige ausgerechnet einer Armee, deren Zweckbestimmung in der Durchführung einer rasseideologisch motivierten Kriegspolitik bestand, durch welche das NS-Regime Lebensraum’ im Os’
ten zu erobern beabsichtigte, eng verbunden mit dem
Ziel der physischen Vernichtung des europäischen Judentums? Damit hat sich Rigg einem Themenbereich zugewandt, der mehr als halbes Jahrhundert nach dem Ende
des Dritten Reichs’ nicht an Emotionalität verloren hat,
’
wie die öffentlichen Kontroversen beispielsweise um die
so genannte(n) Wehrmachtausstellung(en) und um das
in Bau befindliche Berliner Holocaust-Mahnmal zeigen,
oder wie unlängst die Debatte um die Äußerungen des
Bundestagsabgeordneten Hohmann eindringlich vor Augen geführt hat.
Mit relativ ausgreifenden Ausführungen grenzt Rigg
zunächst seinen Untersuchungsgegenstand definitorisch
ein und reflektiert dabei die ganze Widersprüchlichkeit
der nationalsozialistischen Diskriminierungs- und Verfolgungspolitik gegenüber denen, die das Regime als Ju’
den’ definierte. Die Nürnberger Gesetze von 1935 schufen die neuen rassischen’ Kategorien der Halbjuden’
’
’
oder jüdischen Mischlinge ersten Grades’ und der Vier’
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teljuden’ oder jüdischen Mischlinge zweiten Grades’. Als
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Halbjude’ galt demnach, wer zwei jüdische Großeltern
’
hatte, als Vierteljude’ mit nur einem jüdischen Großel’
ternteil. In den Statistiken der militärischen Bürokratie,
sofern derartige Unterlagen überhaupt geführt worden
waren, wurden nur diejenigen als Juden’ erfasst, die sich
’
explizit zum mosaischen Glauben bekannten. Dabei waren Juden’ bis 1933 ein hoch integrierter Teil der deut’
schen Gesellschaft. Zehntausende waren zum Christentum konvertiert oder hatten sich mit Nichtjuden’ ver’
Riggs Untersuchungsgegenstand sind Wehrmachtangehörige, die nach den Kriterien des Nationalsozialismus als Juden’ definiert und damit zur Zielschei’
be eines zum Gegenstand staatlichen Handelns gewordenen Rassenwahns wurden. Seine Arbeit stützt Rigg
nicht allein auf die einschlägige Schriftgutüberlieferung
ziviler, militärischer und parteiamtlicher Provenienzen
des NS-Staates ab. Denn zwischen 1994-1998 hat der
Autor mit über 400 Betroffenen Interviews geführt,
darunter ehemalige Mannschaftssoldaten wie Generälen, Truppen- wie Stabsoffiziere, Jagdfliegerasse und UBootkommandanten sowie Trägern hoher und höchster
militärischer Auszeichnungen. Die von ihm mit großem
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heiratet. Und aus diesen Verbindungen waren Nachkommen hervorgegangen. Besaß das Regime und mit ihm die
Wehrmachtführung über die in den Reihen des Militärs
dienenden jüdischen’ Soldaten zu keinem Zeitpunkt ei’
nen tatsächlichen Überblick, so machte erst die immer
systematischere Formen annehmende Repression vielen
Betroffenen die eigene Abstammung überhaupt erst bewusst oder bekannt.
wurden (S. 253).
Trotz der Existenz klarer Richtlinien darüber, wie mit
nicht arischen’ Soldaten zu verfahren war, verfügte die
’
Wehrmacht nach Riggs Darstellung über keine zuverlässige Methode, die vom Autor auf eine Zahl von bis zu
190.000 geschätzten wehrpflichtigen Halb’- und Vier’
’
teljuden’ (S. 76) zu identifizieren. Die Soldaten mussten
zwar routinemäßig ihre Konfession angeben, waren aber
bis dahin nicht nach der Konfession ihrer Eltern und
Großeltern befragt worden. Seit 1935 musste jeder Offizier seinen Stammbaum und den seiner Ehefrau vorlegen. Jeder Wehrpflichtige musste bei der Musterung eine
so genannte Abstammungserklärung abgeben. Die umfassende Überprüfung der abgegebenen Erklärungen und
eingereichten Unterlagen war praktisch nicht durchführbar. Dies war auch den Betroffenen bewusst: Vielfach
kam es zu unwahren Angaben, welche die Betroffenen
mit drakonischen Strafen bedrohten und der Gefahr der
Denunziation aussetzten. Anhand von vier ausführlicher
beschriebenen Fallbeispielen gelingt es Rigg, das ganze
Spektrum von Hoffnungen, Ängsten, von Verzweiflung
und Demütigung der sich um eine Ausnahmegenehmigung Bemühenden aufzuzeigen.
Bei der Darstellung der staatlichen Diskriminierungsund Verfolgungspolitik im Militär ergänzt Rigg die Ergebnisse älterer Forschungen: Reichswehrminister Blomberg billigte im Kabinett nicht nur das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums (7.4.1933), das
zur Entlassung der nicht arischen’ zivilen Staatsdiener
’
mit Ausnahme der jüdischen Frontkämpfer führte. Eigenmächtig und ohne rechtliche Grundlage übertrug
Blomberg die entsprechende Bestimmung wenig später
auf die Wehrmachtsoldaten und -offiziere und verfügte,
über das Beamtengesetz hinausgehend, auch die Entlassung der jüdischen Frontsoldaten des Ersten Weltkrieges (28.2.1934). In der Reichswehr lassen sich Soldaten
mosaischen Glaubens gar nicht nachweisen. Nicht etwa
wegen ihres Bekenntnisses, sondern wegen ihrer jüdischen Herkunft wurden daraufhin schätzungsweise 70
bis 100 Reichswehrangehörige entlassen. Das im Zuge
der Wiedereinführung der Wehrpflicht 1935 erlassene
Wehrgesetz (21.5.) machte die arische’ Abstammung zur
’
Voraussetzung für den aktiven Wehrdienst. Juden’ wur’
den als wehrunwürdig’ stigmatisiert, jüdische Mischlin’
’
ge’ lediglich geduldet. Ein latenter Antisemitismus, der –
eingedenk der Schwierigkeit einer Pauschalisierung – die
politisch maßgebenden Spitzenmilitärs erfüllte, ließ die
Wehrmachtführung innerhalb kurzer Zeit auf die Linie
der Partei einschwenken. Aufgrund einer OKW-Weisung
vom Frühjahr 1940 wurden in den Folgemonaten schätzungsweise 70.000 Halbjuden’ und mit Jüdinnen oder
’
Halbjüdinnen’ verheiratete Soldaten aus der Wehrmacht
’
entlassen (S. 164). Analog zu den Radikalisierungsschüben der nationalsozialistischen Judenpolitik intensivierte
sich der Terror gegen die in der Wehrmacht verbliebenen jüdische’ Soldaten. Auf Drängen der Parteikanzlei
’
ordnete die Wehrmacht im Juni 1944 schließlich auch die
Entlassung aller in ihren Reihen befindlichen Viertelju’
den’ an (S. 288). Längst bewarb sich eine in die Tausende
gehende Zahl Betroffener um eine Ausnahmegenehmigung, die ihnen den Verbleib in der Wehrmacht gestattete. Hitler behielt sich die Entscheidung persönlich und im
Einzelfall vor. Auf der Basis von Überlieferungssplittern
schätzt Rigg, dass etwa 60% der Gesuche von Viertelju’
den’, hingegen nur 10% derer von Halbjuden’ genehmigt
’
Im Ergebnis breitet Rigg eine Fülle individueller Erfahrungen der Betroffenen aus und skizziert ein weites
Spektrum damit verbundener Verhaltensweisen, die sich
jeder vorschnellen und pauschalen Kategorisierung oder
gar Typisierung entziehen. Die Bandbreite der Motive
zum Verbleib in der Wehrmacht reichte von Realitätsverdrängung und Selbsttäuschung über Hilf- und Ratlosigkeit bis hin zu konkreten Überlebensstrategien. Und
ebenso wenig homogen ist der Befund Riggs auf die sich
fast zwangsläufig stellende Frage, was jüdische’ Solda’
ten vom Holocaust insgesamt wussten. Natürlich erlebten viele, wie Bekannte, Freunde und Familienangehörige deportiert wurden. Auch wurden sie Zeugen von Ermordungsaktionen im Osten oder von der Gettoisierung
der Deportierten. Das ganze Ausmaß und die Reichweite des Genozids erkannten allerdings nur wenige. Als
vielschichtig und komplex stellt Rigg auch das soziale
Umfeld der jüdischen’ Soldaten und das Verhalten der
’
arischen’ Kameraden ihnen gegenüber dar. Zu größeren
’
und offen vorgetragenen Solidarisierungen ist es zu keiner Zeit gekommen. Es blieb bei vereinzelten Empörungen und Protesten in den ersten Monaten des Regimes,
und die waren nicht unbedingt gleich bedeutend mit einer grundsätzlichen Kritik an dem den Diskriminierungen zugrunde liegenden rassischen Prinzip. Das von den
Betroffenen geschilderte Verhalten ihrer Kameraden und
Vorgesetzten reichte von Gleichgültigkeit und verschäm2
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tem Wegsehen über stille Duldung und aktive Unterstüt- als eine abstrakte Größe, sondern sich konkret gegen
zung bis hin zu Denunziation und tatkräftiger Kompli- Deutsche aufgrund einer bestimmten Glaubenszugehözenschaft bei der Verfolgung.
rigkeit oder wegen ihrer Herkunft richteten. Die persönliche, menschliche Note als das Ergebnis einer intensiMit seiner Darstellung liefert Rigg einen wichtigen ven Oral-History kennzeichnet Riggs Arbeit, mit der dem
Beitrag zu den deutschen jüdischen Soldaten und knüpft Autor eine faszinierende Innenansicht der militärischen
damit an die Ergebnisse des gleichnamigen ForschungsGesellschaft des Dritten Reichs’ gelungen ist. Das Ab’
und Ausstellungsprojektes des Militärgeschichtlichen
bild einer historischen Wirklichkeit lässt sich nur aus der
Forschungsamtes an. Dabei überwindet Rigg unausge- unendlichen Vielzahl individueller Wahrnehmungen zusprochen auch die bislang die Beschäftigung mit dem sammensetzen und wird stets eine selektive Gedankennationalsozialistischen Genozid prägende Täter-Opfer- konstruktion bleiben müssen. Will man das Ergebnis der
Dichotomie. Überaus deutlich wird, dass sich Rassen- Untersuchungen Riggs aus der Sicht der Betroffenen zuwahn und Staatsterrorismus nicht nur gegen die Juden’
sammenfassen, so bleibt dafür allein das Wort Tragödie.
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Citation: Andreas Kunz. Review of Rigg, Bryan Mark, Hitlers ’jüdische Soldaten’. H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews. January, 2004.
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