62 Geologie 63 Tears from Heaven Boten der Vergangenheit Text: Sabine Blöchl K ometen und Meteoriten spielen seit jeher eine wichtige Rolle in der Geschichte unseres Planeten und seiner Bewohner. Oft wurden sie als Zeichen für eine Prophezeiung gehalten. Manchmal haben sie faszinierende Andenken hinterlassen. Letzteres passierte, als vor rund 15 Millionen Jahren ein ca. 100 Meter langer Himmelskörper (wahrscheinlich ein Asteroid) im heutigen bayrischen Nördlingen einschlug. Durch den Druck der Stoßwelle und Temperaturen von bis zu 30.000 Grad schmolz ein Teil des Kratermaterials, bevor es mehrere hundert Kilometer in Richtung Norden und Nordosten durch die Luft geschleudert und als durchscheinende grüne und bräunliche Tropfen vom Himmel niederfiel. Schätzungsweise eine Million Tonnen soll es über mehrere Streuund Substreufelder zwischen der Lausitz, Cheb (Eger) und Brno (Brünn) niedergeregnet haben. Eines der größten Fundgebiete befindet sich im Flussgebiet der Moldau (tschechisch: Vltava). Deshalb werden die sonderbaren Gesteinsgläser auch „vltaviny“ – auf Deutsch Moldavit oder Moldauvittchen – genannt. Moldavite gehören zur Kategorie der Tektite. Das sind Reste geschmolzener Sande, Lehme und Gesteine, die unter besonders seltenen Bedingungen beim Einschlag von außerirdischen Geschoßen entstehen. Meist findet man sie als Tropfen, der durch die Bewegung in der Atmosphäre in die Länge gezogen, abgeflacht oder gebogen wurde. Aber auch mechanische und chemische Verwitterungsprozesse haben das Aussehen der seltenen Impaktgläser maßgeblich verändert. Sie wurden nämlich nicht nur in Flüssen und Sedimenten weitertransportiert, gebrochen und abgerundet, sondern auch durch zahlreiche Erdbewegungen in tiefere Bodenschichten verfrachtetet, wo sich die für Moldavite typische Oberfläche mit Rillen, Blasen und Einschlüssen herausbildete. Experten schätzen dieses bizarre Erscheinungsbild, weil es unter Minerali- en selten ist. Moldavite nehmen aber auch deshalb einen besonderen Stellenwert in der Mineralogie ein, weil es die einzigen Tektite in Europa sind. Die weltweiten Vorkommen beschränken sich auf wenige Fundorte. Das Gewicht der Moldavite variiert zwischen wenigen Gramm und maximal einem viertel Kilo. Die kleinsten stammen aus Südböhmen, die größten aus Westmähren – 259 und 233 Gramm. Letzterer befindet sich in der Sammlung des Westmährischen Museums in Trebíč. ˇ Auch an der tschechisch-österreichischen Grenze, im niederösterreichischen Bezirk Horn, haben Forscher Funde gemacht. Genauer gesagt in Eggenburg, Radessen, Altenburg, Straning und Mahrersdorf. „Die Ausbeute ist allerdings sehr gering“, berichtet der niederösterreichische Kulturgeologe Andreas Thinschmidt. Bisher wurden etwa dreißig Exemplare gefunden. Darunter befindet sich allerdings ein besonderes Schwergewicht – der „Straninger Moldavit“. Er wiegt 104 Gramm und wird im Krahuletzmuseum in Eggenburg aufbewahrt. In der Altsteinzeit nutzten die Menschen die siliziumhaltigen Tektite als Stein-Handwerkzeuge. Sogar bei der Venus von Willendorf und in der Gudenushöhle (beides in NÖ) fand man bearbeitete Bruchstücke. Weitere Informationen über die ungewöhnlichen, lichtdurchlässigen Glas­ objekte gibt es im weltweit ersten Moldavitenmuseum in Český Krumlov (Böhmisch Krumau) oder im Naturhistorischen Museum Wien. Letzteres beherbergt eine umfangreiche Sammlung mit über eintausend Stück. Einige ausgewählte Exemplare sind in der Meteoritensammlung (Saal 5) ausgestellt. Ω Moldavitenmuseum Český Krumlov: http://www.vltaviny.cz Ries-Krater-Museum Nördlingen: http://www.rieskrater-museum.de Moldavite bestehen hauptsächlich aus Quarz, lehmigen Mineralien und Karbonaten. Die ungewöhnlich hohe Transparenz hängt eng mit dem geringen Titangehalt zusammen. Über 80 Prozent aller gefundenen südböhmischen Moldavite sind flaschen- oder hellgrün. Und noch ein Alleinstellungsmerkmal haben Tektite: Ihr Wassergehalt ist so gering, dass sie das trockenste Naturmaterial auf diesem Planeten sind. Die grünliche Farbe ist ein Resultat des geringen Eisengehalts. 12 | 2015 Universum Magazin Universum Magazin 12 | 2015 MOLDAVITENMUSEUM/ VÍT KRŠUL LEXIKON