Genitaler Herpes simplex

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SCHWERPUNKT
Genitaler Herpes simplex
Diagnose, Management und Beratung in der Praxis
Genitaler Herpes gehört zu den häufigsten sexuell übertragenen Infektionen im Genitalbereich. Diagnose
und Management sind komplex. Das Swiss Herpes Management Forum hat kürzlich eine neue Empfehlung
zu diesem Thema herausgegeben (1), welche hier mit den wichtigsten Aspekten resümiert ist – mit dem
Ziel, die Patientinnenbetreuung und -information zu verbessern sowie die horizontale und vertikale Transmission zu verringern. Eine Checkliste für die Beratung soll helfen, die psychosoziale Belastung der Betroffenen zu vermindern. Anhand klinischer Fallbeispiele wird die Vielfalt der Herpes-bedingten Probleme
dargestellt.
MARGARET HÜSLER UND URS LAUPER
Meist ist der Herpes genitalis durch eine Infektion mit
Herpes-simplex-Virus Typ 2 (HSV-2) verursacht. Zunehmend wird aber eine HSV-1-Infektion diagnostiziert, welche üblicherweise auch für den orolabialen
Infekt verantwortlich ist. Primärinfektionen können
schwer verlaufen. Durch Rezidive können Patientinnen psychosozial stark belastet werden.
Herpes genitalis ist in der Schwangerschaft und
insbesondere bei der Geburt gefürchtet, da eine
Übertragung auf des Kind möglich ist und zu einer
schweren neonatalen Herpesinfektion führen
kann.
Die Primärinfektion
Die genitale Primärinfektion mit dem Herpes-simplex-Virus ist eine sexuell übertragene Erkrankung.
Besteht noch keine Herpes-simplex-Virus-Immunität
durch eine vorausgegangene orale Infektion, kann
sie schwer verlaufen mit starken Schmerzen, fiebriger
Vulvitis, Kolpitis und Zervizitis (siehe Fallbeispiel 1 im
Kasten) bis zum Harnverhalten. 80 bis 90 Prozent der
Schweizer Gesamtbevölkerung besitzen gemäss
einer Studie mit Blutspendern Antikörper gegen Herpes-simplex-Viren (zirka 70% gegen HSV-1, zirka 20%
gegen HSV-2). Zwischen HSV-1 und HSV-2 besteht
eine partielle Kreuzimmunität, deshalb läuft eine genitale Primärinfektion oft auch asymptomatisch ab.
Man schätzt, dass von 25 SchweizerInnen eineR an
einem rezidivierenden Herpes genitalis leidet. Rezidive verlaufen milder, können aber durch ihre Frequenz psychosozial sehr lästig sein.
Sowohl HSV-1 als auch HSV-2 können für die genitale
Primärinfektion verantwortlich sein. Heute nimmt der
Anteil an genitaler HSV-1-Infektion stark zu (2, 3). Im
Genitalbereich führt eine HSV-2-Infektion häufiger zu
Rezidiven.
4
GYNÄKOLOGIE 4/2005
Übertragung
Eine Herpesübertragung auf den Partner (horizontal)
oder auf das Kind (vertikal) kann trotz fehlender
Symptome stattfinden. Die meisten Übertragungen
ereignen sich während einer asymptomatisch verlaufenden Virusausscheidung (4). Latexpräservative reduzieren das Infektionsrisiko von Mann zu Frau (5).
Die suppressive Behandlung mit Valaciclovir verringert die HSV-2-Übertragung bei Partnern mit diskordantem serologischem Status um 50 Prozent (6). Die
steigende Verbreitung orogenitaler Sexualpraktiken
erklärt die Zunahme der HSV-1-Infekte beim
primären Herpes genitalis. Ein vorgängiger Infekt mit
HSV-1 scheint nicht vor einer Infektion mit HSV-2 zu
schützen, vermindert jedoch die Wahrscheinlichkeit
einer symptomatischen Erkrankung.
HSV-2-Seropositivität begünstigt eine HIV-Übertragung (7). Eine Kontaktübertragung beispielsweise
durch Petting oder oralen Sex ohne Penetration, ist
möglich (siehe Fallbeispiel 2 im Kasten).
Abbildung 1: Primärer Herpes genitalis der Portio mit erosiver
Zervizitis
SCHWERPUNKT
Klinische Fallbeispiele: vielfältige Probleme bei Herpes genitalis
Fallbeispiel 1
Eine 21-jährige Portugiesin meldet sich mit Unterbauchschmerzen. Das Abdomen ist im Unterbauchbereich
dolent, weich, ohne peritonitische Zeichen. Inguinal zeigt sich eine dolente Lymphknotenschwellung beidseits. Die Vulva ist unauffällig ohne Hautveränderungen. In der Spekulumeinstellung zeigt sich eine stark
gerötete, erosive Portio (Abbildung 1). Im Abstrich dieser Läsion kann ein Herpes genitalis nachgewiesen
werden. Beurteilung: Erstmanifestation einer genitalen Herpesinfektion mit dem klinischen Leitsymptom Unterbauchschmerz ohne Vulvabefund.
Fallbeispiel 2
Eine 18-jährige Frau, anamnestisch Virgo, meldet sich wegen starker Schmerzen im Vulvabereich und Harnverhalten. Die Patientin wird von der sehr besorgten Familie begleitet. Klinisch bestätigt sich die Virginität
mit dem Nachweis eines intakten Hymens. Es zeigen sich eine schmerzhafte, massiv gerötete, ödematöse
Vulva mit konfluierenden Ulzerationen und geschwollene, dolente inguinale Lymphknoten. Klinisch weist dies
eindeutig auf eine Primärinfektion mit Herpes hin. Es kann eine HSV-1-Infektion nachgewiesen werden. Um
einen Dauerkatheter zu legen, ist eine Kurznarkose nötig. Da der Urethraeingang relativ unaffektiert ist,
wird ein urethraler Dauerkatheter gelegt.
Dieser Fall zeigt, dass Petting oder Kissing für eine schwere HSV-Primärinfektion reicht und dass gegebenenfalls eine Kurznarkose für die Kathetereinlage notwendig ist. Es soll zwischen urethralem Dauerkatheter
und suprapubischem Katheter abgewogen werden.
a
Fallbeispiel 3
Eine 33-jährige Zweitgebärende mit positiver Herpesanamnese und bisher 2 bis 3 Rezidiven: In dieser
Schwangerschaft traten bis anhin keine Rezidive auf. Die Patientin wünscht sich eine Spontangeburt. Sie hat
ab der 34. SSW prodromale Symptome ohne Hautläsionen. Deshalb wird sie ab der 36. SSW mit Valaciclovir
(2 x 250 mg/Tag) suppressiv behandelt. In der 39. SSW wird ein gesundes Kind durch eine vaginale Geburt geboren.
b
Fallbeispiel 4
Junge Primipara mit Herpes-genitalis-Rezidiv im ersten Trimenon und bis anhin unauffälligem Schwangerschaftsverlauf: In der Spontangeburt am Termin wird ein 3450 g schweres Mädchen geboren. Beim Kind
fallen an den oberen Extremitäten und im Gesicht multiple, teils verkrustete Vesikel mit gerötetem Grund
auf (Abbildung 2a und 2b). Das Kind ist sonst klinisch und neurologisch unauffällig. Mittels PCR kann ein
HSV-Typ 2 aus dem Bläscheninhalt nachgewiesen werden. Differenzialdiagnostisch kommt eine in der Spätschwangerschaft erworbene, auf die Haut lokalisierte Infektion in Frage.
Dieses Kind zeigt im MRI ausgedehnte Hirnläsionen. Es kann aufgrund der Ausdehnung des Befundes auf
eine Infektion des Kindes am Ende des zweiten Trimenons geschlossen werden mit einem kutanen Rezidiv
bei der Geburt. Das Kind wird hospitalisiert und für drei Wochen mit Aciclovir, 30 mg/kg/Tag, behandelt.
Es kann mit abgeheilten Hautläsionen, neurologisch unauffällig, entlassen werden. Aufgrund der Hirnläsionen ist aber eine psychomotorische Entwicklungsstörung zu erwarten.
Diagnose
Klinik
Bei über der Hälfte der Infizierten bleibt
der Primärinfekt asymptomatisch. Bei
symptomatischen Patienten können drei
Tage bis zwei Wochen nach Kontakt
gruppierte, schmerzhafte Bläschen auftreten, die nach mehreren Tagen in Ulzerationen übergehen. Zudem besteht eine
schmerzhafte, inguinale Lymphknotenschwellung. Bis zu 20 Prozent der Betroffenen weisen eine Dysurie auf, die im
schlimmsten Falle zu einem akuten
Harnverhalt führen kann (Fallbeispiel 2
im Kasten). Mehr als die Hälfte der Patienten leidet an Allgemeinsymptomen.
Bis zu ein Drittel der Frauen weist eine
aseptische Meningitis auf (8). Beide
HSV-Typen zeigen ein identisches klinisches Bild.
GYNÄKOLOGIE 4/2005
Rezidivierenden Herpes-genitalis-Infektionen geht oft ein Jucken oder Brennen
an der Ausbruchsstelle und/oder neuralgiforme Schmerzen voraus. Danach
folgen die klassischen Symptome mit
gruppierten, dolenten Bläschen, die
in Ulzerationen übergehen. Die Symptome sind milder als bei der Primärinfektion, und Allgemeinsymptome sind
seltener. Ein Rezidiv kann auch an atypischen Lokalisationen, wie im Gesäss-, im
Anal- oder im Oberschenkelbereich erfolgen, vor allem, wenn eine Immunschwäche besteht. Meistens bestehen
Rezidive auf dem Grund einer HSV-2-Infektion.
Virusnachweis im Abstrich
Es gibt drei Grundprinzipien des Virusnachweises (vgl. Tabelle 1):
Abbildung 2:
a) Multiple, teils verkrustete Vesikel mit gerötetem Grund auf Gesicht und oberer Extremität
b) Verkrustete Vesikel auf der Handfläche
(Bilder freundlicherweise von Dr. U. Zimmermann zur
Verfügung gestellt)
1. Zellkultur
2. Virusantigennachweis (Enzymimmunoassay oder Immunofluoreszenz)
3. Polymerasen-Kettenreaktion (PCR) mit
Nachweis von Teilen des Virusgenoms.
Antikörpernachweis im Blut
Mit dem Nachweis von typenspezifischen IgG gegen das Glykoprotein von
HSV-1 (gG-1) oder das Glykoprotein von
HSV-2 (gG-2) kann die Diagnose einer Infektion mit HSV-1 oder HSV-2 in Abwesenheit von Läsionen gestellt werden.
Sofern sich im Abstrich Herpesviren
nachweisen lassen, in der Serologie aber
der Herpes-IgG-Wert negativ ist, besteht
in der Regel eine Primärinfektion. Es
muss aber hinzugefügt werden, dass es
nach einer HSV-Primärinfektion Wochen
bis Monate dauern kann, bis die typenspezifische Immunantwort ausgebildet ist. Eine antivirale Medikation kann
zusätzlich die Serokonversion verzögern.
Bei längerer rezidivfreier Zeit ohne zusätzliche Exposition können die IgG allmählich wieder verschwinden.
In sehr seltenen Fällen ist die humorale
Immunantwort nicht gegen das in den
Tests verwendete gG-2 gerichtet.
5
SCHWERPUNKT
Tabelle 1:
Virusnachweis
Methode
Entnahmeort
Virusnachweis mittels
Zellkultur
Preis: 80 Taxpunkte
Hautläsionen (Stadium)
– Bläscheninhalt
– Ulzera
– Krusten
– ohne Läsionen
Biopsien
Konjunktivalabstrich
bei Neugeborenen
Abstriche von Läsionen,
Bläscheninhalt mit
Bläschengrund
Ausstriche, Gewebeschnitte
Abstriche von Bläschengrund
Antigennachweis
mittels ELISA
Preis: 35 Taxpunkte
Immunfluoreszenz
(Nachweis von
infizierten Zellen)
Preis: 25 Taxpunkte
«Polymerase chain
reaction» (PCR)
Preis: 170 Taxpunkte
Sensitivität
(17–19)
Spezifität
Vorteile
Nachteile
> 95%
– Einfache Entnahme
– Typisierung möglich
– Resistenzphänotyp möglich
– Virustransportmedium notwendig
– Transport schnell, gekühlt, lichtgeschützt
– Resultat nach 2–7 Tagen verfügbar
– Absprache mit Labor sinnvoll
41–80%
80%
– Nur für frische Läsionen
41–70%
> 95%
– Einfache Entnahme
– Schnell (< 4 h möglich)
– Typisierung möglich
– Anspruchsvoll
– Schnell (< 4 h möglich)
– Typisierung möglich
> 90%
80%
40%
< 40%
40–80%
Liquor
98%
Kammerwasser
(Hautläsionen und Bläscheninhalt *
möglich, aber nicht empfohlen)
> 95%
> 99%
– Empfindlichste Methode
– Typisierung möglich
– Resistenz Genotyp möglich
– Liquor als Probe validiert!
– Nur für frische Läsionen
–
–
–
–
Nur in spezialisierten Labors
Nicht standardisiert
Kontaminationsrisiko
Nicht für alle Proben validiert
*etwa 20% sensitiver als Zellkultur
Tabelle 2:
Behandlung immunkompetenter Patienten mit Herpes genitalis
Gilt für Registrierungen in der Schweiz
Episodische Therapie
Suppressive Terapie
(bei >6 x/Jahr od.
starker Auswirkung auf
Lebensqualität)
Schwangerschaft
Episodische Therapie
Suppressive Terapie
(ab der 36. SSW
bis zur Entbindung)
Sectio caesarea
Erstepisode
Aciclovir oral 5 x 200mg/d x 5–10d
Valaciclovir 2 x 500mg/d x 5–10d p.o.
Famciclovir 3 x 250mg/d x 5–10d p.o.
Aciclovir iv. 3 x 5mg/kg/d x 5d
Aciclovir oral 2 x 400mg/d
Valaciclovir 2 x 250mg/d (>10 Rezidive/Jahr)
Valaciclovir 1 x 500mg/d (<10 Rezidive/Jahr)
Famciclovir 2 x 250mg/d
Aciclovir oral 5 x 200mg/d x 10d
Valaciclovir 2 x 500mg/d x 10d
Aciclovir oral 3 x 400mg/d
Valaciclovir 2 x 250mg/d
Aciclovir oral 5 x 200mg/d x 5d
Valaciclovir 2 x 500mg/d x 5d
Aciclovir oral 3 x 400mg/d
Valaciclovir 2 x 250mg/d
Wenn klinische Episode innerhalb der Wenn Rezidive ≤ 7 Tage vor Entbindung
letzten 4 Wochen vor Entbindung
oder jederzeit, wenn eine
oder jederzeit, wenn eine Genitalläsion Genitalläsion bei Geburtsbeginn vorliegt.
bei Geburtsbeginn vorliegt.
Therapie
Systemische antivirale Therapien vermindern und verkürzen die Symptome; dies
gilt in der Behandlung der Erstepisode
und zu einem geringen Grad auch in der
Rezidivbehandlung. Als suppressive Therapie eingesetzt kann sie die Rezidivhäufigkeit signifikant senken. Nach dem Absetzen der suppressiven Therapie kehren
6
Rezidiv
Aciclovir oral 5 x 200mg/d x 5d
Valaciclovir 2 x 500mg/d x 3–5d
Famciclovir 2 x 125mg/d x 5d
GYNÄKOLOGIE 4/2005
die Rezidive mit gleicher Häufigkeit und
Stärke wieder zurück. Die latente Infektion kann nicht eradiziert werden.
Aciclovir, Valciclovir und Famciclovir zeigen in randomisierten Studien eine vergleichbare klinische Wirkung auf Herpes
genitalis. Valciclovir und Famciclovir weisen allerdings eine höhere Bioverfügbarkeit als Aciclovir auf, sodass die Einnah-
mehäufigkeit im Vergleich zu Aciclovir reduziert werden kann (9). Die Wahl des
Medikamentes richtet sich nach Aspekten der Verträglichkeit, der Compliance
und der Kosten.
Topische antivirale Therapeutika zeigen
in Studien keinen klinischen Nutzen und
werden nicht empfohlen (10).
Therapie der Erstperiode
Die antivirale Therapie soll wegen möglicher schwerer Symptome möglichst früh
begonnen werden. Laborresultate müssen nicht abgewartet werden. Die empfohlenen Therapien sind in Tabelle 2 zusammengefasst.
Bei persistierenden Symptomen und insbesondere bei immunsupprimierten Patienten beträgt die Behandlungsdauer
mindestens 14 Tage.
Die Behandlung der Erstepisode beeinflusst die Rezidivrate nicht.
Folgende Komplikationen erfordern eine
Hospitalisation: Harnverhalten, Meningismus, schwere Allgemeinsymptome,
Unmöglichkeit einer oralen Medikamenteneinnahme. Bei Harnverhalt muss
ein Dauerkatheter gelegt werden, wobei
zwischen einer suprapubischen und urethralen Ableitung abgewogen werden
muss (siehe Fallbeispiel 2 im Kasten).
Zusätzlich zur antiviralen Therapie müssen Analgetika und Antiphlogistika ein-
SCHWERPUNKT
gesetzt werden. Lokalanästhetika sollen
aufgrund einer Sensibilisierungsgefahr
nur mit Zurückhaltung benützt werden.
Empfohlen wird eine lokale antiseptische
und antiphlogistische Behandlung mit
iodhaltigen oder adstringierenden Lösungen (Gerbstoffe) mittels Sitzbädern
oder Kompressen.
Rezidivtherapie
Je nach Ausprägung der Rezidive wird zusammen mit der Patientin/dem Patienten
entschieden, ob eine episodische oder
eine suppressive Therapie erfolgen soll.
Eine episodische Behandlung soll innerhalb von 24 Stunden nach Eintreten der
Symptome begonnen werden. Sie dauert drei bis fünf Tage. Die Dauer einer
Episode kann so um ein bis zwei Tage
verkürzt werden. Damit die Therapie von
der Patientin selber sobald als möglich
eingeleitet werden kann, benötigt sie ein
Rezept oder eine Starterpackung.
Die suppressive Behandlung unterdrückt
rund 80 Prozent der Rezidive und ist besonders geeignet für Patientinnen mit
mehr als sechs Rezidiven pro Jahr. Da mit
der Zeit die Rezidivrate spontan abnimmt, kann die suppressive Behandlung nach sechs bis zwölf Monaten
probeweise abgesetzt werden. Treten
weiterhin häufige Rezidive auf, kann die
suppressive Therapie wieder aufgenommen werden.
Sonderfall: immunsupprimierte Patienten
Insbesondere bei fortgeschrittener HIVInfektion beobachtet man chronische
oder schwere Herpes-genitalis-Verläufe.
Es empfiehlt sich eine episodische oder
suppressive HSV-Therapie. Schwere Fälle
können eine intravenöse Verabreichung
notwendig machen. Die Wahrscheinlichkeit der Selektion resistenter Stämme
steigt mit dem Grad der Immunsuppression und der Anzahl der antiviralen Behandlungen. Ein Spezialist muss frühzeitig hinzugezogen werden.
Sonderfall: Herpes genitalis in der Schwangerschaft
HSV-1 oder HSV-2 werden sehr selten
von der Mutter auf das Neugeborene
übertragen; sofern aber geschehen,
kann die Infektion das Kind schwer schädigen (11). Dabei bergen mütterliche
8
GYNÄKOLOGIE 4/2005
Tabelle 3:
Checkliste für die Beratung betroffener Patientinnen
(revidiert nach Swiss Herpes Management Forum)
●
Verursachende Viren
●
Übertragung
●
Vermeidung einer Übertragung
●
Verlauf und Formen der Erkrankung
●
Information der Sexualpartner
●
Schwangerschaft
●
Neonataler Herpes
●
Therapieoptionen
●
Suppressionstherapie
HPV 1 und 2
HPV 2 mit Rezidivpotenzial, wird häufiger asymptomatisch
ausgeschieden
– Durch sexuellen Kontakt
– Kontaktübertragung z.B. durch Petting, ohne Penetration,
ist möglich
– Orogenital
– Meistens erfolgt die Übertragung bei asymptomatischer
Virusausscheidung
– Häufiger bei Immunsupprimierten
– Häufiger bei Patienten mit > 12 Rezidiven/Jahr
– Kondome verringern die Übertragung einer Infektion vom
Mann auf die Frau
– Bei Prodromen oder Läsionen soll auf Sex mit Nichtinfizierten verzichtet werden (deshalb serologische
Abklärung des Partners hilfreich)
– Rezidivpotenzial (HPV 2)
– Asymptomatische Virusausscheidung, 80 Prozent der
Infektionen asymptomatisch, eine von 6 Personen
weltweit infiziert
– Atypische Symptome (serologisch HSV nachgewiesen)
– Motivation der Patientin, gegenwärtige und zukünftige
Sexualpartner über ihren Infektionsstatus zu informieren
– Sexualpartner sollen aufgeklärt werden, dass sie infiziert
sein können, ohne je Symptome gehabt zu haben
– Die typspezifische Serologie beim Partner ist wichtig für
notwendige Vorsichtsmassnahmen
– Information des betreuenden Arztes, Geburtshelfers und
Pädiaters bei HSV-2
– Nichtinfizierte Schwangere sollen keinen ungeschützten
Sexualkontakt (oral, genital) mit infizierten Partnern haben
– Schwer wiegende Komplikation
– Selten
– Episodische antivirale Therapie
– Suppressionstherapie
– Unspezifische Lokaltherapie
– Vereinzelt trotzdem Rezidive (kürzer, weniger schwer)
Medikamentendosis kann vorübergehend erhöht werden
– Keine Änderung des Krankheitsverlaufs nach Absetzen
der Therapie
– Mit der Zeit weniger Rezidive, Absetzversuche
– Signifikante Wirkung auf die Virusausscheidung,
Übertragungsrisiko reduziert
– Nebenwirkungen selten
– Keine Resistenzprobleme bei Immunkompetenten
Primärinfekte ein höheres Risiko als Rezidive und HSV-1- ein grösseres als HSV-2Infektionen. Bei einem positiven Virusnachweis zum Zeitpunkt der Geburt liegt
das Risiko einer Primärinfektion des Neugeborenen um 30 Prozent; besteht bei
der Mutter ein Rezidiv, liegt das Infektionsrisiko des Neugeborenen unter
1 Prozent. Die primäre Sectio caesarea
reduziert das Übertragungsrisiko signifikant (12a und 12b).
Zudem gilt: Die klinische Unterscheidung zwischen Primärinfektion und Reaktivierung in der Schwangerschaft ist
nicht möglich. Die meisten Primärinfektionen sind asymptomatisch.
Weder ein serologisches noch ein virologisches Screening vor der Geburt erlauben eine zuverlässige Erfassung der von
einer Herpesinfektion bedrohten Neugeborenen.
SCHWERPUNKT
Management bei Schwangeren
Schwangere mit einer ersten klinischen
Episode oder einem Rezidiv können mit
Aciclovir oder Valaciclovir in den empfohlenen Dosen behandelt werden (vgl.
Tabelle 2). Eine suppressive Therapie ab
der 36. Schwangerschaftswoche bis zur
Entbindung reduziert die Häufigkeit klinischer Manifestationen sowie die Virusausscheidung bei der Geburt, sodass gegebenenfalls eine vaginale Geburt erlaubt
ist (siehe Fallbeispiel 3 im Kasten [13]).
Eine positive Anamnese ohne klinische
Symptome zum Geburtsbeginn ist keine
Indikation für eine Sectio caesarea. Bestehen bei Geburtsbeginn Symptome
(Läsionen oder prodromale Schmerzen
oder Brennen) und/oder ein positiver
Virusnachweis, ist ein Kaiserschnitt indiziert.
Bei Blasensprung und anzunehmender
fötaler Lungenreife ist ein Kaiserschnitt
möglichst rasch durchzuführen, spätestens innert vier bis sechs Stunden. Bei unreifer Lunge gibt es keine gesicherten
Entscheidungsgrundlagen. Das Frühgeburtsrisiko muss gegen ein geringes vertikales Übertragungsrisiko trotz antiviraler
Therapie abgewogen werden. Das Risiko
eines expektativen Vorgehens bei
Schwangeren mit rezidivierendem Herpes
genitalis und vorzeitigem Blasensprung
scheint gering zu sein. In diesen komplexen Fällen ist die sofortige Verlegung in
ein Perinatalzentrum zu empfehlen (14).
Nach einem klinischen Rezidiv während
der Schwangerschaft ist eine vaginale
Geburt möglich, solange keine klinischen Symptome mehr vorhanden sind.
Für den Fall einer Primärinfektion oder
einer Initialinfektion mit dem anderen
HSV-Typ ist die optimale Vorgehensweise momentan noch nicht definiert.
Die meisten Guidelines empfehlen eine
Sectio caesarea bei allen Frauen, die vier
bis sechs Wochen vor der Geburt eine
klinische Erstmanifestation aufweisen
(15). Einige Experten denken jedoch,
dass der Fötus bei einer vaginalen Geburt bis zum Erscheinen von typspezifischen Antikörpern einem Risiko ausgesetzt ist, das noch acht bis zwölf Wochen
postpartal erhöht sein kann. Seronegative Patientinnen mit einem seropositiven Partner (HSV-1 oder HSV-2) sollen
während der Schwangerschaft mit Kondomen verhüten.
10
GYNÄKOLOGIE 4/2005
Die neonatale Infektion
mit Herpes simplex
In der Hälfte der Fälle manifestiert sich die
kindliche Infektion lokalisiert auf Haut,
Augen und/oder auf den Mundbereich
(siehe Fallbeispiel 4 im Kasten). In 33 Prozent liegt vorwiegend ein ZNS-Befall vor
mit einer neonatalen Herpesenzephalitis.
Diese führt häufig zu bleibenden Schäden.
In 17 Prozent zeigt sich die disseminierte
Form, welche mit einer Hepatitis, Pneumonie und einer disseminierten intravasalen Gerinnung und Schock einhergeht,
was eine hohe Letalität zur Folge hat.
Da der grösste Teil der neonatalen Herpesinfektionen nach negativer mütterlicher Anamnese auftritt, muss an eine
neonatale Herpesinfektion gedacht werden, wenn beim Neugeborenen folgende Symptome auffallen:
■ Charakteristische Haut- oder Schleimhautläsionen
■ Konjunktivitis (insbesondere bei Injektion der Conjunctiva bulbi) bzw. Keratitis
■ Krämpfe und/oder Lethargie ohne andere Erklärung
■ Fieber
■ Andere systemische Symptome ohne
andere Erklärung.
Beratung der Patientin
und ihres Partners
Die psychosoziale Belastung insbesondere des rezidivierenden Herpes genitalis muss ernst genommen werden. Auch
der Sexualpartner soll einbezogen und
bei Symptomen behandelt werden.
Als Informationsquelle für die Betroffenen können zusätzlich zu Drucksachen
auch folgende Internetsites nützlich sein:
■ www.herpes-help.ch
■ www.herpesalliance.org.
Auf welche Aspekte in der Beratung speziell eingegangen werden soll, ist in Ta■
belle 3 zusammengefasst.
Dr. med. Margaret Hüsler
und Dr. med. Urs Lauper
Geburtshilfliche Klinik
UniversitätsSpital Zürich
Frauenklinikstrasse 10
8091 Zürich
E-Mail: [email protected]
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