SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen – Manuskriptdienst Bewegte Bilder im Ohr – Bemerkenswertes zu MP3 Autor: Marko Pauli Redaktion: Detlef Clas Regie: Autorenproduktion Sendung: Montag, 12. November 2012, 8.30 Uhr, SWR2 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen/Aula (Montag bis Sonntag 8.30 bis 9.00 Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 € erhältlich. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030 SWR 2 Wissen können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR 2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Manuskripte für E-Book-Reader E-Books, digitale Bücher, sind derzeit voll im Trend. Ab sofort gibt es auch die Manuskripte von SWR2 Wissen als E-Books für mobile Endgeräte im so genannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iPhone oder das iPad gibt es z.B. die kostenlose App "iBooks", für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen Moon-Reader. Für Webbrowser wie z.B. Firefox gibt es auch so genannte Addons oder Plugins zum Betrachten von E-Books. http://www1.swr.de/epub/swr2/wissen.xml Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de MANUSKRIPT Autor: Schon seit einigen Jahren führt der Wiener Musikwissenschaftler Emil Lubej ein Experiment mit seinen Studenten durch. Er spielt ihnen MP3-Musikdateien in unterschiedlicher Qualität und Musik von CD im Blindvergleich vor. Können die Studenten die Klangqualität unterscheiden, hören, was datenkomprimiertes MP3, was CD ist? Cut 1: Ton Lubej + Carmina Burana Eines, das ich sehr häufig verwende, ist von der Carmina Burana, der Beginn, so 30 Sekunden. Da hat man das ganze Spektrum Klang, Raum usw. Beispiel Carmina Burana unkomprimiert geht über in ... (weiter Cut 1) Da schaut dann so aus, ich hab nen vollen Hörsaal, um die 100 Leute, ich spiel diese Sachen im AB-Vergleich vor: Original, dann 56, 128, 256 k/bit. Die Frage ist nur: Ist dieses Paar das vorgespielt wird, gleich oder nicht gleich? Beispiel Carmina Burana stark komprimiert, darüber: Autor: Je höher die Bitrate, die Datenmenge pro Sekunde, umso besser kann die MP3-Datei klingen. Cut 1: Lubej In den ersten Jahren haben sie relativ gut unterscheiden können. Da hat die Mehrheit festgestellt, wo's nicht gleich ist. Mit den Jahren ist es dann immer schwieriger geworden für die Studenten, zu unterscheiden. Autor: Vor allem die jüngeren Generationen, die bereits mit MP3 aufgewachsen sind, haben sich anscheinend an den MP3-Klang als Standard gewöhnt. Manipulationen, selbst bei niedrigen Datenraten, werden nicht wahrgenommen. Cut 2: Lubej Und wenn man dann sagt, ja, jetzt hört's dann mal auf die Becken vielleicht, auf die Räumlichkeit. Und dann spiel ich nach dem Ergebnis ein paar Situationen vor, da finden sie's sehr interessant, wenn man weiß, worauf man hört, hört man die Unterschiede natürlich besser. Beispiel Beckenschläge in verschiedenen Kompressionsraten Ansage: Bewegte Bilder im Ohr – Bemerkenswertes zu MP3 Von Marko Pauli 2 Autor: Musik, Sprache, Geräusche in Radio, Fernsehen und Internet – unsere Ohren werden ständig mit akustischen Ereignissen konfrontiert und dabei meistens sehr geschickt getäuscht. Das geht schon am frühen Morgen los. Atmo: Musik aus dem Radiowecker Autor: Die Musik, die aus den Lautsprechern des Radioweckers ertönt, wird vom Hörfunk zumeist nicht als CD abgespielt und gesendet, sondern als mp2-Datei und von einer speziellen Rundfunk-Software. mpeg1-Layer2, kurz mp2, ist das dominierende Format in Hörfunk und Fernsehen und wird auch üblicherweise bei der DVD eingesetzt. Es ist eines von drei Audiodatenkompressionsverfahren die Ende der 1980er Jahre entwickelt wurden. Schon das Kürzel mp, das für bewegte Bilder, für Moving Pictures, steht, lässt erahnen, dass es ursprünglich gar nicht um Musik ging. Frauenstimme: Eine Geschichte voller Zufälle Autor: 1988 traf sich die internationale Standardisierungsgruppe Moving Pictures Experts Group, kurz mpeg, in Hannover, eigentlich mit dem Ziel, Bildsignale für die heute längst vergessene Video-CD zu komprimieren. Cut 7: Edler Die CD war aber vom Ton belegt, also musste man erst mal die Tonsignale reduzieren, um Platz für Videosignale zu schaffen. Autor: Bernd Edler, heute Professor für Audio-Analyse, hat als junger Ingenieur und wissenschaftlicher Mitarbeiter maßgeblich zur Entwicklung von MP3 beigetragen. Die Expertengruppe, bestehend aus einigen Unternehmen und Instituten, die sich in Hannover traf, brachte damals verschiedene Vorschläge ein, auf welche Art AudioDatenreduktion erreicht werden kann. Die meisten wurden verworfen, einige andere zusammengefasst, sodass dann drei Verfahren, Layer genannt, als Ergebnis blieben. Cut 8: Edler Nachdem der Standard fertig war, war es so, dass Layer 1 und Layer 2 sehr schnell in Produkte gekommen ist. Layer 1 hat Philips in die digitale Compact Kassette eingebaut, die allerdings auf dem Markt nicht lange bestanden hat, Layer 2 ist genommen worden für den digitalen Rundfunk; Layer 3 hat sich dann letztendlich übers Internet verbreitet. Autor: Man könnte sagen, das sich Anfang der 90er-Jahre noch in den Kinderschuhen befindliche Internet hatte früh seine Stimme gefunden: MPEG-1 Audio Layer 3, kurz MP3. Purer Zufall. Cut 9: Edler Das war gar nicht geplant damals alles. Denn man hat eigentlich gar keinen Markt mehr gesehen, wo man den Layer 3 benutzen kann. Dann haben die Leute bei Fraunhofer ein paar Musiksignale mit MP3 codiert ins Internet gestellt und da haben die gesagt, 3 dann können die Leute es einfach mal ausprobieren und auf die Weise Werbung machen für das Verfahren. Das hat sich dann rumgesprochen und ganz plötzlich schneller verbreitet als man gedacht hat. Cut 10: Frauenstimme: MP3 – es funktioniert! Autor: Von der Funktionsweise unterscheiden sich MP3 und das Hörfunk-, TV- und DVDFormat mp2 nicht besonders voneinander, so Bernd Edler. Cut 11: Edler Layer 3 ist noch komplizierter und hat dafür eine noch höhere Effizienz in der Datenreduktion. Autor: Um das Ursprungssignal klein zu rechnen, nutzen beide Verfahren Methoden der Psychoakustik, die sich mit den Wechselbeziehungen zwischen dem subjektivem Erleben und tatsächlich messbaren Ereignissen beschäftigt. Verbunden mit dem Ziel, nur für den Menschen bewusst hörbare Audiosignale zu speichern, wird das Gehör ausgetrickst, sprichwörtlich übers Ohr gehauen. Und dass das so gut funktioniert, war alles andere als geplant. Cut 12: Grill Es ist ein glücklicher Zufall, dass zwei Effekte gut zusammenarbeiten. Autor: ... sagt, Bernhard Grill, Leiter der Abteilung Audio am Fraunhofer Institut. Er gehörte zur heute berühmten MP3-Entwicklergruppe um Karlheinz Brandenburg. Cut 13: Grill Der eine Effekt ist, dass jede Art von Audiosignal einfach Redundanz enthalten kann. Redundanz heißt, da sind Sachen, die sind einfach doppelt drin. Musikbeispiel Flöte http://www.youtube.com/watch?v=oXwKsAXyoLI (Telemann, Fantasie a-moll f. Blfl. solo ,M.Schneider) Cut 15: Grill Nehmen Sie eine Flöte. Wenn Sie sich die Frequenzzusammensetzung anschauen, also welche Tonhöhen da vorkommen, da werden Sie den Grundton finden und noch einige Obertöne. Und dazwischen ist gar nichts. Und an den Stellen, wo was passiert, ist es vorhersagbar. Flöte ist z.B. sehr gut zu komprimieren. Solche Anteile haben Sie immer irgendwo. Es reicht schon, wenn das auf 20 ms ein bisschen konstant ist. Autor: Verlustfreie Verfahren wie der Free Lossless Audio Codec, kurz FLAC, erzielen ihre Datenkompression ausschließlich über den Redundanzeffekt. Diese Verfahren können gegenüber der CD gut die Hälfte an Daten einsparen, werden aber als verlustfrei bezeichnet, weil die Tonqualität identisch mit dem Original ist. Beim im Gegensatz dazu verlustbehafteten MP3 müssen weitaus mehr Daten eingespart werden. Der 4 Redundanz-Effekt funktioniert dabei abhängig vom Charakter des Stückes. Man kann sagen, je weniger los ist, desto mehr Daten können dadurch eingespart werden. Wenn jedoch mehr Geräuschanteile dazu kommen … Musikbeispiel – Lauter moderner Pop … also, bei moderner Popmusik etwa, greift die Redundanz weniger. Cut 17: Grill Der glückliche Zufall ist jetzt, dass Signale mit wenig Redundanz, also so geräuschähnliche Sachen, dass die eine hohe Verdeckung im Ohr erzeugen. Autor: Das ist der zweite Effekt, den MP3 sich zunutze macht, um Daten einzusparen, die Irrelevanz, auch Verdeckungseffekt genannt. Spezielle Eigenschaften des menschlichen Gehörs werden ausgenutzt: Cut 19: Grill Das Innenohr wirkt wie ein Filter, das das reinkommende Schallereignis in verschiedene Frequenzen, in verschiedene Tonhöhen zerlegt. Autor: In der Gehörschnecke im Innenohr liegen mit etwa 15.000 Härchen besetzte Sinneszellen. Die hohen Töne werden von den Härchen am Eingang der Gehörschnecke aufgenommen, die tiefen von denen am Ende. Wenn das eintreffende Schallereignis einen hohen Geräuschanteil hat, sind alle Härchen gleichzeitig am Schwingen. Cut 20: Grill Dann sind da leisere Ereignisse, die da gleichzeitig stattfinden, die gehen einfach unter, weil das mechanische System da auch schon beschäftigt ist. D.h., wenn da ein zweites Schallereignis eintrifft, das nur ein bisschen leiser ist als das Hauptschallereignis, dann sind diese Haarzellen im Innenohr gar nicht mehr in der Lage, das aufzunehmen. D.h. Irrelevanz. Frauenstimme: MP3 – Pro und Contra Autor : Diskussionen in Internetforen über MP3 und dessen Audio-Qualität beginnen häufig damit, dass dazu wohl schon längst alles gesagt sei. Dennoch folgen oft so viele Einträge, dass sich dicke Bücher damit füllen ließen. In den Foren großer InternetKaufhäuser etwa gibt es häufiger Beschwerden über die Klangqualität mancher MP3Alben. MP3-Dateien, so eine der Antworten, seien heruntergerechnet, Datenskelette geradezu, und können sowieso keine gute Klangqualität liefern. Andere kontern dann mit dem Verweis auf Hörtests, in denen kein Unterschied zur CD ausgemacht werden konnte. Denen würde Bernhard Grill vom Fraunhofer-Institut, das jährlich übrigens über 100 Millionen Dollar an Lizenzgebühren für MP3-Patente erhält, auf jeden Fall zustimmen. 5 Cut 23: Grill Immer wenn Sie Leute in nen Blindtest schicken, d.h. wenn sie den Leuten MP3s und die CDs vorspielen und die nicht wissen, was sie hören, war das Ergebnis immer, wenn die Datenrate hoch genug war: keine Unterschiede hörbar. Wenn Sie 128er MP3 hören, dann werden Sie nen Unterschied, und bei 192 werden Sie noch einzelne Unterschiede finden, und bei 256 haben Sie eigentlich keine Chance mehr für den Löwenanteil des Materials. Autor: Doch selbst gut aufbereitete MP3s haben es bei vielen Musikliebhabern schwer. Dabei geht es nicht unbedingt immer um den Vergleich des Formats zur CD-Qualität. Der Musiker Neil Young z.B. hat in einem Interview gesagt, dass sich die vollständige Musik nur auf LP und Blue Ray hören lasse. Andere digitale Medien würden nur einen Bruchteil der Daten bieten, die aufgenommen wurden. Insofern seien es auch nicht die illegalen Downloads, die die Industrie bedrohten, sondern die technische Qualität des Produkts, das sie anbietet. Minderwertige Formate und Trägermedien wie MP3 und CD würden das Hörerlebnis ruinieren. Wer zwei gesunde Ohren hätte, so Neil Young weiter, müsste sich sagen: „Da mache ich nicht mit. Behaltet euren Dreck. Ich gehe lieber angeln.“ Atmo Plattenknistern Autor: Die CD erlaubt zwar einen größeren Frequenz- und auch Dynamikumfang als die LP, doch ist auf ihr nicht das ursprüngliche analoge Signal zu hören, und darauf spielt Neil Youngs radikale Aussage an, sondern eines, das zuvor in 44,1 kHz, also in 44.100 Samples, in Einzelteile pro Sekunde zerschlagen und dann wieder zusammengesetzt wurde. Atmo Stotterndes Plattenknistern, wie auseinandergerissen klingend, geht über in Musik – Afrika Autor: Doch zurück zu MP3. Wer sie nicht, wie Neil Young etwa, rundherum ablehnt, der nutzt vielleicht gerne die Möglichkeiten, die MP3 und andere Kompressionsformate bieten: verlustfreies Kopieren, Herunterladen oder auch das Streamen von Online-Radios und die damit verbundene Möglichkeit, Neues zu entdecken. Z.B. Musik, die den meisten ohne Internet und MP3 niemals zu Ohren kommen würde, wie beispielsweise auf der Website Awesometapes.org, wo alte afrikanische Musikkassetten veröffentlicht werden. Musik geht über in Atmobeispiel Aporee.org Autor: Audiosoftware und MP3-Kodierer sind heute für Jedermann verfügbar. Entsprechend leicht ist es, Musik, Geräusche und Wortbeiträge selbst zu produzieren. Unzählige Internetportale laden dazu ein, das eigene Werk öffentlich anzubieten, ob als Podcast oder Download. Da gibt es Musik, auf den Webseiten der Netlabels etwa, aber auch Geräusche, z.B. bei Radio Aporee, wo sich auf einer akustischen Weltkarte von den 6 Nutzern angefertigte Tonaufnahmen aus Natur und Umwelt entdecken lassen und zu deren Erweiterung jeder beitragen kann. Atmo Aporee Autor: Bei den neuen kommerziellen Online-Angeboten verlagert sich die Gewichtung in Richtung Streaming statt Download. Wenn sowieso alles virtuell abgerufen werden kann, braucht nicht mehr die eigene Festplatte mit Daten blockiert zu werden. Als ein Beispiel für solche Dienste sei hier der schwedische Anbieter Spotify genannt, der im März 2012 in Deutschland gestartet ist und seinen Nutzern die Auswahl aus etwa 13 Millionen Musikstücken bietet, die vom Computer oder Smartphone abrufbar sind. Per kostenpflichtigem Abo können die Songs in der höchsten MP3-Qualität heruntergeladen oder ebenfalls mit bis zu 320 Kilobit pro Sekunde gestreamt werden. Auch der kritische Wiener Professor Emil Lubej sieht die vielen Vorteile von MP3 und Co. Cut 29: Emil Lubej In meiner Brust wohnen zwei Seelen. Ich betreibe seit vielen Jahren ein Internetradio. Da haben wir viele Tests gemacht, welche Kompressionsraten und welche Encoder etc. Und da ist es schon wichtig, auch wenn man reduzierte Daten anbietet, dass sie in höchster Qualität einmal im Original vorliegen, und dann in einer Qualität, die für die jeweilige Situation optimal kodiert sind. Autor: Wichtig ist zunächst die Quelle, aus der die MP3-Datei gemacht wird – die sollte am besten unkomprimiert, sprich z.B. eine Original-CD sein. Wer jetzt in einem Abspielprogramm wie z.B. iTunes diese CD zu einem MP3-Album machen will, kann bestimmen, welche Bitrate die MP3s haben sollen, welche Datenmenge pro Sekunde übertragen wird. Bei MP3 stellt die höchste Qualität 320 kBit in konstanter Bitrate dar. Wer seiner Musik nicht ganz so viel Datenplatz gönnen mag, könnte für eine dennoch gute Qualität einen hohen Wert, aber in einer variablen Bitrate, VBR abgekürzt, wählen. Bei dieser wird, je nach Komplexität der zu bearbeitenden Stelle innerhalb eines Musikstücks, mehr oder weniger Speicherplatz benötigt. Wer sorgfältig vorgeht, wird ein gut klingendes MP3Ergebnis erzielen. Wer hören möchte, wie das Gegenteil klingt, findet bei Youtube Tausende Beispiele – erkennbar an zischelnden Höhen, einem Verlust der Bässe und der Räumlichkeit und einem flachen Gesamtklang. Musik von Youtube (mit Bläsern) in schlechter MP3 Qualität Cut 31: Lubej Und auch bei bestimmten Instrumenten, da fehlt die Brillanz, wenn Sie irgendwo Bläser, Blechbläser haben, das wird dann stumpfer, trockener. Frauenstimme: MP3 verändert das Hören, verändert die Musik Autor: Zischelnde und verwaschen klingende MP3s bestimmen zu einem nicht geringen Anteil den Höralltag vor allem jüngerer Generationen. Sie werden zur Norm. So jedenfalls könnten die Ergebnisse der Versuche des Komponisten und Professors Jonathan 7 Berger interpretiert werden, der über mehrere Jahre mit den Studenten eines Kurses die Qualität von verschiedenem Audiomaterial verglich. In Blindtests und auf einer qualitativ hochwertigen Anlage spielte er ihnen Ausschnitte von Musikstücken in unterschiedlichen Bitraten vor. But 33: Berger We asked for preferences. We were a little bit surprised of the results. (…) It amplifies the sizzle. 00:05:22-1 The excitement of noise were beeing amplified by low bitrate audio. Übersetzer: Wir wollten wissen, was den Studenten besser gefällt. Und die Resultate waren durchaus überraschend. Denn die Musikausschnitte in der höheren Audioqualität erhielten nicht automatisch den Vorzug. Im Laufe der Jahre wurden sogar MP3s in niedriger Bitrate bevorzugt – was ich als Musiker einigermaßen erschütternd fand. Ich dachte darüber nach, woher das wohl kommt, und da fiel mir auf, dass in diesen bevorzugten Musikausschnitten viele hochfrequente Geräusche enthalten sind. Beckenschläge, Blechbläser, viel Percussion – wenn die laut vorkamen, wurden diese Musikausschnitte ganz klar in niedrigen Bitraten bevorzugt. Beispiel Youtube-Musik Autor: Demnach werden die zischeligen Artefakte, die bei der MP3-Kodierung entstehen, vom Ohr als Teil der in der Musik vorhandenen hohen Frequenzen interpretiert. Niedrigratige MP3s kreieren also ein verstärktes Zischeln und dadurch einen eigenen, charakteristischen Sound, der in den Tests von Jonathan Berger, quer durch alle Musikstile, von den Studenten bevorzugt wurde. Cut 37: Berger We have a syndrome that I call (...) So the way we hear things changes. Übersetzer: Wir haben ein Syndrom, das ich Fickle Ears, wechselhafte Ohren, nenne. Ich meine damit, dass die Art, wie wir Sachen hören, sich über die Jahre drastisch verändern kann. Ein Beispiel: Als die ersten Synthesizer rauskamen und diese Geigen und Streicherensembles nachbildeten, fanden wir das anfangs großartig und absolut glaubwürdig. Musik Streicher-Emulation von einem analogen Synthesizer Übersetzer: Zwei Jahre später fanden wir diese Emulation lächerlich. Die Wahrnehmung von dem, was wir hören, verändert sich. Cut 40: Berger I've been concerned that (…) and the aesthetics is then affecting the limiting technology. 8 Übersetzer: Ich fand es beunruhigend, dass ein Großteil der Jugend Musik heute über billige Kopfhörer oder schlechte Computerlautsprecher hört. Es findet tatsächlich eine Rückentwicklung der gehörten Audio-Qualität statt. Sie hören wirklich niemals Musik in hoher Qualität. Andererseits gab es aber auch diesen hochinteressanten Aspekt, dass sich die Musik wiederum an diese neuen Hör-Gewohnheiten anzugleichen scheint. Die hochfrequenten Zischelanteile schlechter MP3s, die als attraktiv empfunden werden, werden von den Musikproduzenten aufgegriffen und absichtlich eingebaut. Musik http://www.youtube.com/watch?v=LRnSHbCzigg&feature=player_embedded Sprecher: Hinzu kommt eine Dynamikkompression, die keinen Unterschied mehr zwischen laut und leise kennt, sondern alles bloß nur noch laut macht. Letzterer Effekt ist nicht nur im Pop allgemein verbreitet und wird Loudness War, Lautheitskrieg genannt. Der Musiker Clams Casino setzt diesen bewusst ein, macht ihn zum Stilmittel, und spiegelt damit auch unsere mediale Hörwelt. Musik Clams Casino Atmo Musik geht über in Haustürklappen, Straßenlärm Frauenstimme: MP3 – überall und mobil Autor: Ein Grund für den Erfolg von MP3 liegt ganz sicher in der Mobilität des Formats. Unsichtbar kann da die ganze Popgeschichte auf dem kleinen Abspielgerät lagern. Die einzelnen MP3s entstammen dabei häufig verschiedensten Quellen und haben große Qualitätsunterschiede. Eine Information darüber könnten Bit- und Abtastrate des jeweiligen Songs bieten. Doch diese werden, auch von den am meisten genutzten Playern, nicht im Display abgebildet und so gar nicht erst zum Thema gemacht. Genauso sieht es bei Online-Anbietern wie Amazon oder iTunes aus: Eine Information über die Bitraten findet sich nur versteckt, und welche Ausgangsquelle die Grundlage war, wird gar nicht erwähnt. Cut 45 Umfrage: Junge a) Wenn ich'n guten Song finde, dann gleich Youtube, runterladen, hab ich'n MP3, kann ich im Auto hören. Atmo Kopfhörermusikzischeln, dann Überblendung vom Straßenlärm zur Musik: Autor: Wer mit Kopfhörern durch die Stadt läuft, dem fällt vielleicht auf, dass auf den Plakaten mit Konzertankündigungen auffallend viele Musiker zu sehen sind, die schon vor Jahrzehnten große Erfolge feierten: Bryan Adams, Die Ärzte, Lionel Ritchie, Pur – ein Blick auf die Litfaßsäulen der Städte kann geradezu eine Zeitreise auslösen. Es scheint tatsächlich nur wenige Musiker jüngeren Datums zu geben, die große Säle oder Arenen füllen. Dieser durchaus subjektive Eindruck erfährt Unterstützung bei einem Blick auf 9 die verkauften Tonträger weltweit, in denen zumindest bei den Wikipedia-Listen bis auf Rihanna und Lady Gaga keine Künstler dieses ja auch nicht mehr ganz so jungen Jahrtausends auftauchen. Ob das daran liegt, dass der Musikindustrie seit MP3 und den damit verbundenen illegalen Downloads weniger Geld zur Verfügung steht und jungen Künstlern dadurch weniger Förderung und Entwicklungszeit gegeben wird, kann kaum nachgewiesen, aber durchaus vermutet werden. Doch gibt es nicht weniger Veröffentlichungen als vor MP3. Cut 47 Umfrage: Junger Mann b) Es gibt so unendlich viele Leute, die es produzieren können. Deswegen geht die Qualität auch runter. Autor: Masse statt Klasse, nicht nur auf den Playern, auch bei den Produzierenden – meint dieser junge Mann. Cut 48 Umfrage: Junge b) Ich erstell immer Playlists, nach Gefühlslage. Lieder, die ich ausgewählt habe, die ich gut finde und jetzt gerade hören möchte. Alles bunt gemischt. Autor: Mit MP3 hat sich der Musikkonsum und damit auch das Konzept vom Tonträger verändert. Die Musik erscheint da häufig nicht als Teil eines Albums, sondern als einzelner Song, der eingebaut wird in den Soundtrack zum eigenen Alltag. Das Konzept vom Album ist nicht mehr zeitgemäß. Alben als in sich geschlossene Werke, haben aber auch aus einem anderen Grund einen schwierigen Stand auf den Playern, wie sich der Musiker und Produzent Brian Eno in einem Interview mit der Musik-Webseite Pitchfork beklagt hat. Sobald er etwas höre, was er mag, möchte er wissen, welche Gedanken dahinterstecken und wer mitgewirkt hat – wer Bassist, wer Ton-Ingenieur usw. war. Die Song-Dateien aus dem Internet aber kämen ganz selbstverständlich ohne jede Nennungen daher, so Brian Eno. Und auch wenn es bei einigen Online-Geschäften Zusatzinformationen gibt, sind sie später auf dem Player doch maximal auf die Abbildung des Covers reduziert. Doch apropos: Frauenstimme: MP3 und die Geschäfte Atmo Plattenladen Autor: Cover, Booklets, Labelinformationen – all das findet sich auf den CDs und LPs im Tonträgergeschäft Zardoz in Hamburg. Vor ein paar Jahren gab es noch drei Filialen, heute ist eine übrig geblieben. André Sorgenfrei arbeitet seit mehr als 25 Jahren für das Geschäft. Er meint, die Wertschätzung musikalischer Werke sei geringer geworden, das sei allerdings schon vor MP3 losgegangen. Cut 51: Sorgenfrei Ich bin damals eingestiegen, da gab's noch keine CDs. Da ging's der Plattenindustrie noch wahrscheinlich sehr, sehr gut. Die haben das Geld ordentlich verprasst. Dann kam unglücklicherweise, wie ich finde, die CD auf den Markt, die, wie ich finde, Musik ein 10 bisschen entwertet hat. Weil ich schon immer noch die vielleicht etwas altmodische Auffassung hab, dass bei ner Schallplatte doch mehr das Haptische da ist, dass man mehr in der Hand hat, dass es aufregender ist, ne Schallplatte aufzulegen, die Nadel aufzusetzen. Autor: Immer mehr Musikliebhabern bringt die LP eine Wertigkeit, die eine MP3-Datei auf einer Festplatte nicht bieten kann. Der Absatz von Schallplatten steigt seit einigen Jahren an, 2011 allein um 20 Prozent, macht allerdings insgesamt nur etwa ein Prozent am Gesamtumsatz mit physischen Tonträgern aus. Doch im Gegensatz zu den 1980erJahren, als man mit dem Erscheinen der CD glaubte, die LP demnächst zu Grabe tragen zu können, muss man heute eher das Ende der CD befürchten. Eine bemerkenswerte Folge von MP3. Cut 52 Umfrage: Junge d) Ich hab Freunde, die auch Platten noch hören. Aber die meisten hören MP3. Tapes überhaupt nicht mehr, CDs auch nicht mehr. Nur noch MP3 oder oldschool halt Platten. Autor: Oldschool ist womöglich auch das Konzept von Hifi, von der hohen Klangtreue in den eigenen vier Wänden. Mächtige Stereoanlagen und mannshohe Lautsprecher, das war vor einigen Jahren noch Normalität in deutschen Wohnzimmern. Hifi hat dafür gesorgt, dass beinahe alle – auch die, die es nicht interessierte – mit hochwertigem Klang versorgt wurden. Doch wer interessiert sich in den heutigen Zeiten von MP3 und dem vermehrt mobilen Musikkonsum noch dafür? Wenn man die Zahlen der GFU, der Gesellschaft für Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik, nimmt, dann gibt es da wohl einige. Beim Verkauf von Hifi-Komponenten gab es in den vergangenen Jahren jeweils hohe Zuwachsrate. Auch das Hifi- und Hi-End-Geschäft Audiophonie laufe gut, sagt Jörg Schütt, einer der beiden Geschäftsführer: Atmo Audiophonie Cut 54: Schütt 80er-Jahre, 90er war Hifi Kult. Man brauchte ne große Anlage, je höher, desto besser. Heute gehen unsere Kunden gehen gezielt Richtung Qualität und wenig sichtbares Hifi. Das heißt, All in One Geräte, wo CD, Radio, Verstärker in hoher Qualität in einem Gerät integriert werden, das findet hohen Zuspruch. Autor: Doch mussten die meisten Hersteller mit MP3 umdenken und es, ob gewünscht oder nicht, auch irgendwie in die Produkte integrieren. Mit-Geschäftsführer Joachim Kock zeigt ein wie ein Zeppelin aussehendes und auch sogenanntes Lautsprechersystem mit MP3-Dockingstation. Cut 55: Kock Das ist ein typisches Beispiel für ne Firma, die Lautsprecher baut, die aber gemerkt hat, dass man mit iPod-Zubehör gutes Geld verdienen kann. 11 Autor: Gut laufen auch externe Verstärker und Wandler, die die minderwertigen Bauteile in den MP3-Abspielgeräten umgehen und so das Klangergebnis aufwerten. Cut 56: Kock Wenn man gute Bausteine in der Wiedergabekette hat, klingt es fast wie ne CD. Autor: Das größere Problem aus klangqualitativer Sicht sei, dass vieles von dem was heute an Musik produziert wird, im Hifi-Sinne einfach nicht gut klingt. Das hat viel mit der maximalen Dynamikeinschränkung in modernen Produktionen zu tun, dem erwähnten Loudness War, bei dem sowohl Musiker als auch Produzenten versuchen, im Endergebnis ein möglichst hohes Lautstärkeempfinden beim Hörer zu erreichen. Die Klangqualität belibt dabei auf der Strecke. Cut 57: Schütt Ich hab viele Kunden zum Musikhören und die merken dann, wenn sie hier sitzen, dass 80 oder 70 Prozent aller CDs unhörbar, katastrophal schlecht aufgenommen wurden, Und das merken sie dann bei einer hochwertigen Anlage und finden es furchtbar. Autor: Wenn der Massenmarkt keine vernünftige Klangqualität mehr bietet, müssen es die HifiHersteller halt selber machen. Die renommierte britische Firma Naim-Audio hat ein eigenes Label gegründet, bei dem die Musik in bestmöglicher Qualität aufgenommen wird. Nach Meinung von Naim geschieht das am besten ganz ohne Digitaltechnik, rein analog. Cut 58: Schütt Die sind berühmt für natürlich gute Aufnahmen. Autor: Auf der Naim-Label-Website lassen sich CD und Vinyl erwerben, aber auch verschiedene Download-Varianten, die bis hin zur Möglichkeit des sogenannten HiDefinition Downloads gehen, der einer Auflösung von 24bit und 88.2kHz entspricht und bei einem Album etwa einer Datenmenge von 1,5 GB. Lohnt sich auf jeden Fall, sagt Jörg Schütt: Cut 59: Schütt Es klingt noch natürlicher, es ist noch weniger Technik im Ton. Es ist die Technik, die im Studio genommen wird. Das kann man auf die Festplatte packen oder auf einen USB-Stick, dann geht man direkt in einen hochwertigen DA-Wandler, und hat dann die Möglichkeit, die bestmögliche Auflösung einer Aufnahme zu hören. Die Unterschiede sind dann nochmal deutlich zu einer CD und MP3 sowieso. Atmo Park und Gitarre Autor: In Zeiten von MP3 ist Hifi zur Nische geworden. Doch braucht sich niemand Sorgen zu machen, dass die Ohren irgendwann nur noch Klänge hören könnten, die von Kompressionsverfahren möglichst klein gerechnet sind. Denn das Live-Konzert, aber 12 auch die Vögel im Park, der Gitarrenspieler auf der Bank – sie alle sind garantiert datenunkomprimiert. Ganz natürlich, und ohne Technik im Ton. ***** 13