Seminar PHYSIK IN DER GESELLSCHAFT Ethische Aspekte in der Physik. – Versuch einer Orientierung. I. Einleitung 1. Physik als Wissenschaft – Physik als gesellschaftlicher, kultureller Prozess. In der 1974 von UNESCO herausgegebenen „Recommendation on the status of scientific researchers“ wird Wissenschaft definiert als „the enterprise whereby mankind, acting individually or in small or large groups, makes an organized attempt, by means of the objective study of observed phenomena, to discover and master the chain ofcausalities”. Diese Definition enthält 3 wichtige Präzisierungen: dass Wissenschaft eine „organisierte Unternehmung der Gesellschaft“ ist, dass sie bestimmten Kriterien, sowohl in ihr Vorgehen als auch in ihren Ziele gehören muss, und dass alle Fragen sowohl einzelne Individuen als auch Gruppen (und damit Institutionen) betrifft. Auch wenn sie Platz für Fragen und Diskussion lässt (für welche Wissenschaften trifft sie zu, wie soll „Objektivität“ verstanden werden, usw) bietet sie den Rahmen, in dem man ethische Probleme in der Wissenschaft behandeln kann. 1 2. Ethik als Urteil und Handlung. In WSH2 gibt Resnik folgende Definition (nach Gert, 1988): „Ethics is a system of public, general rules for guiding human conduct“ Das weist darauf hin, dass in Ethik die Reflexionsebene und die Handlungsebene unzertrennbar verbunden sind. Die Frage der Handlung (aktuell oder hypothetisch) ist daher grundlegender Teil jeder ethischer Überlegung, in der Tat wird sie direkt in der Begründung der Ethik selbst mit einbezogen. Eine andere Verknüpfung wird zum Moralbegriff gemacht. Einerseits kann man Moral im Sinne moralischer Handlung einzelnen Handlungen zusprechen– dann wird man Ethik als System solcher Betrachtungen sehen. Andererseits kann man den Moralbegriff sowohl normativ als auch beschreibend verwenden (in Rahmen empirischen Wissenschaften, wie Sozialwissenschaft, Politikwissenschaft, etc: etwa „bürgerliche Moral“, „christliche Moral“, etc). Für Ethik ist allerdings der normative Charakter grundlegend. 2 II. Ethische Prinzipien: Versuch einer Orientierung. 1. Ethik als System moralischer Regeln Nach Resnik drückt sich Ethik in einer Reihe von mehr oder weniger allgemein anerkannte Regeln aus: - The non-malificence principle (das „nichts Böses tun“ Prinzip): Handle nicht in einer Weise, die anderen unnötig schaden kann - The benefice principle (das „Gutes tun“ Prinzip): Handle so, um das Wohl der anderen zu begünstigen - The principle of autonomy (das Autonomie-Prinzip): vernünftige Individuen sollen die Freiheit zur Selbstbestimmung haben - The formal principle of justice (das formelle Gerechtigkeitsprinzip): behandle Gleichen gleich und Ungleichen ungleich. - Material principle of justice (materielle Gerechtigkeitsprinzipien): Bestrafe oder belohne auf der Grundlage der Verfehlungen, bzw. der Verdienste, etc Weitere Regeln können daraus abgeleitet werden, so: Nicht töten, Nicht quellen, Nicht stehlen, Nicht lügen, Halte Deine Versprechen, Nicht täuschen, Sei fair, Respektiere Freiheit und Privatsphäre der anderen, ... 3 Es ist schon ersichtlich, dass für eine gegebene Handlung verschiedene Regeln wirken können, und das sowohl konstruktiv als auch in Gegensatz zu einander. Beispiel: In „Ghetto“ von Joshua Sobol muss im Warschauer Ghetto ein jüdischer Arzt entscheiden, wie er seine unzureichende Reserven an Insulin unter vielen Kranken von unterschiedlichen Alter, Familiensituation, etc verteilen soll. Der grundsätzlicher Fall ist daher der Konflikt. Dafür sind Regeln wie oben nur eine erste Aufstellung („prima facie“ Regeln). Sie müssen durch Methoden für Konfliktlösung ergänzt werden. Diese Methoden müssen sowohl weitere Kriterien zur Gewichtung beinhalten, als auch Verfahren zur Gegenüberstellung und für die Berücksichtigung der Regeln und schließlich zum Erreichen von Schlussfolgerungen und einer Handlungsentscheidung. Schließlich in meisten Fälle kommen solche Kriterien wie Verhältnismäßigkeit zum tragen, die sehr schwer operational formalisierbar sind. Das heißt, dass Konfliktlösung nicht als ein Problem sondern als das Grundsatzproblem der Ethik zu betrachten ist. Um sie zu lösen brauchen wir eine Begründung für moralische Regeln und Entscheidungsalgorithmen um ethische Konflikte zu lösen. 4 2. Begründung moralischer Regeln Eine philosophische Fundierung für Ethik muss nach Resnik eine konzeptuelle, logische Basis für diese erschaffen. Der wichtigste Unterschied zu anderen Wissenschaften, in speziell zur Naturwissenschaften ist, dass wir hierzu keine richtige experimentelle Basis haben können. Aber auch die Beobachtung als Instrument ist viel weniger gut definiert als in Naturwissenschaften, weil sie von der Perspektive abhaengt. Eine Beobachtung wird erst in Angesichts der Empfindlichkeiten, Einstellungen, etc. des Beobachters - und nicht zuletzt seiner Beurteilung der materiellen Situation - moralisch relevant. (G. Harman, „Das Wesen der Moral“) Beispiel: ein 14-jähriges Mädchen, das spät abends mit seiner Geige aus der Musikstunde kommt und keinen Fahrschein hat, wird von der Schaffnerin zum Aussteigen aus der S-Bahn und damit zu einem 5 Km nächtlichen Laufen gezwungen. In diesem Fall scheint die Lösung des Konflikts als Frage der Verhältnismäßigkeit klar, allerdings ist es auch klar, dass die Frage vom Mädchen, von der Schaffnerin und vom Leser des Zeitungsberichts sehr unterschiedlich ausgelegt wird. 5 Hier betrachten wir 3 Ansätze. Wie schon gesagt, die Frage der Handlung („was wir tun sollen“) ist dieser Betrachtungen intrinsisch, sie unterscheiden sich darin, wie sie zum Tragen kommt. Einige Autoren unterscheiden auch eine „intuitive“ Ebene von einer „reflexive“ Ebene. a) Die deontologische Ethik b) Die Konsequenz-ialistische Ethik. c) Das reflexive Gleichgewicht. d) Wir sollen auch den Ansatz einer evolutionären Ethik erwähnen, wo Moral als Resultat der Evolution entstehen soll. Es gibt gegenwärtig viel Diskussion hierzu (siehe auch Soziobiologie, etc), sowohl positiv als auch negativ, die nicht ausgereift ist und deshalb hier auch nicht weiter verfolgt werden soll. 6 a) Die deontologische Ethik. Hier legt die Frage des „was wir tun sollen“-s einen abgeschlossenen Rahmen fest. In diesem Rahmen müssen wir imstande sein, grundsätzliche Kriterien für guten und schlechten Handlungen anzugeben. Diese Regeln sollen für sich selbst stehen und keine weitere Kriterien erlauben. Im Kant'schen Zugang, z.B., wird diese Frage durch den kategorischen Imperativ beantwortet, weil auf dieser Weise die Gültigkeit der Formel (das Imperativ) im Begriff selbst (als Kategorie) beinhaltet ist. Es gibt verschieden Versionen des kategorischen Imperatives (Kritik der praktischen Vernunft), z.B.: - „Handle nach der Maxime, die sich selbst zugleich zum allgemeinen Gesetze machen kann.“ - „Handle so, dass dein Wille durch seine Maxime sich selbst zugleich als allgemein gesetzgebend betrachten könne.“ - „Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte.“ Der kategorische Imperativ ist ein Kriterium zum Beurteilen von Aufstellung moralischer Gesetze. Für Kant Freiheit und das Kategorisches Imperativ implizieren sich einander: in Rahmen des kategorischen Imperativs findet der Mensch seine Freiheit. 7 Da der KI etwas abstrakt erscheint nehmen wir hier kurz die Rawls-sche Diskussion hinzu. Sie fängt an mit der Unterscheidung: moralisches Gesetz, KI, KI-Verfahren. Hier ist das moralisches Gesetz eine Idee der Vernunft. Damit stellt es ein Prinzip dar, das für alle vernünftigen und rationalen Wesen gilt. Für uns als endliche Wesen erscheint es zunächst als Einschränkung, daher gibt uns der KI, durch das KI-Verfahren, die Möglichkeit, das moralisches Gesetz in unserem Leben einzubinden. In Rahmen einer 1. Fassung wird z.B. das KI-Verfahren, um ein moralisches Gesetz X zu begründen, von Rawls so beschrieben: 1. Unter Umständen U muss ich X tun, um Y herbeizuführen (es sei denn Z ). 2. Unter Umständen U muss jeder X tun, um Y herbeizuführen (es sei denn Z ). 3. Unter Umständen U tut jeder X , um Y herbeizuführen (es sei denn Z ), als ob es einem Naturgesetz entspräche (das in uns durch Naturinstinkt eingepflanzt wäre). 4. Wir sollen dieses als ob Naturgesetz den anderen Naturgesetzen die wir kennen hinzufügen und überlegen, wie die neue Naturordnung nach einer „Stabilisierungszeit“ beschaffen wird. Kritik: Der KI wird unter anderem als „zu rigorös“, als nicht genügend begründet, als zu abstrakt und empiriefern kritisiert. Allerdings entspricht die deontologische Ethik einem sehr breiten Feld und als kritische Reflexion viele weitere Überlegungen der Ethik begleiten. 8 b) Die Konsequenz-ialistische Ethik. Hier müssen die Handlungen danach beurteilt werden, was für Zustände sie erzeugen. Damit unterscheidet sie sich vom deontologischen Zugang, wo die Regel für die Handlungen für sich selbst stehen sollen. Beispiele: Ein Chefarzt findet heraus, dass die Verwaltung seiner Klinik darauf besteht, Patienten länger als notwendig stationär zu behalten, um die Einnahmen zu verbessern. Daraufhin entscheidet er seine Stelle abzugeben (und in der Entwicklungsdienst zu gehen), weil er hier die Verletzung einer Regel aus dem ärztlichen Verhaltenskatalog findet, und trifft seine Entscheidung unabhängig davon was sie als Folge haben kann (etwa, dass die Klinik einen guten Arzt verliert, oder dass eine im Grunde gute Klinik geschlossen werden kann). Er handelt also deontologisch (in so fern das Verhaltenskatalog eine allgemeine, unverrückbare Regelsammlung darstellt) und nicht konsequenzialistisch. Ein Lehrer benotet die Arbeit der Schüler zu einem neuen, schwierigen Stoff positiver als verdient, um Motivation zu erzeugen. Dabei nimmt er in Kauf, dass die Schüler sich damit in falscher Sicherheit abfinden. Er muss also sehen, wie er im weiterem Verfahren, die (hoffentlich) erreichte Motivation nützt, um auch Strenge auszubauen. Die erste Entscheidung ist also nur der Anfang eines Prozesses.. Eine amerikanische Firma wurde für Gesundheitsschäden an viele Menschen zu einer so großen Strafe verurteilt, dass sie Insolvenz anmeldete und die Geschädigten keine Kompensationen erhielten. (Aber: Beispiel?) 9 Die Kritik am konsequenzialistischen Zugang betrifft vor allem drei Aspekte: – Zum einen ist er extrem anspruchsvoll, denn er genaue Beurteilung zukünftiger Situationen verlangt (siehe Göttinger 18 und die Atomenergie). Alternativ muss man immer die Entwicklungen verfolgen und Korrekturen vornehmen. Das macht ihn häufig unpraktisch, bzw. fehlerhaft. – Zum anderen werden die Schwierigkeiten zum Teil nur verschoben, denn man muss jetzt bestimmen, was eine „gute Situation“ ist: ist, z.B., der Gute Herrscher gegenüber einer schlechten Demokratie (etwa, Stammeskämpfen) vorzuziehen? – Schließlich können auf dieser Weise Entscheidungen getroffen werden, die nicht leicht zu akzeptieren sind. Ist, z.B. das Opfer weniger zur Rettung vielen erlaubt? (Schon beim Geiselnahme fängt hier die Diskussion an). 10 c) Das reflexive Gleichgewicht. Resnik greift auf Rawls zurück, um ethische Begründung als Prozess einzuführen. Demnach Wir starten von unseren kritischen, unverfälschten Urteile oder auch Intuitionen darüber, was in einer Reihe von Situationen gut oder schlecht zu tun wäre. Diese erste Überlegungen sind unser „Datenbasis“. Daraufhin versuchen wir Prinzipien zu finden und Theorien aufzubauen, die eine kohärente Darstellung dieser Überlegungen wiedergibt. Erwartungsgemäß werden wir dann gezwungen sein, unsere Überlegungen teilweise zu ändern, also unsere Datenbasis erneuert aufzustellen, was wiederum verlangen kann, unsere Prinzipien und Theorien zu ändern, und so weiter. Dieser Prozess wird iteriert bis wir den Idealzustand erreichen, wo wir keine weitere Änderungen machen müssen (oder auch können). Kritik an diesem Ansatz betrifft die Frage seiner Effektivität, aber auch die prinzipielle Frage, ob man auf dieser Weise nicht zum ethischen Relativismus kommen kann. Die letztere könnte man nur entgehen, wenn man die intersubjektive Basis des Prozesses groß genug macht (idealer weise global). Dann können aber andere Aspekte (politische Interessen, Macht, etc) in Spiel kommen. 11 3. Die Praxis ethischer Betrachtungen: Konflikt Lösung und Handlung Die unter 2. diskutierte Prinzipien, sowohl die allgemeinen als auch die weiter abgeleiteten, sind abstrakt und formell: sie können uns keinen Algorithmus gegeben, um Lebensfragen zu lösen. Sie bieten uns aber – Richtlinien, um moralische Problemstellungen anzugehen, und – Methoden, um Entscheidungsprozesse durch zu führen. Dabei muss man auch folgendes berücksichtigen: jeder von uns ist in verschiedenen „Lebenskreisen“ eingebunden: Familie, Sippe, Volksgruppe; Firmen, Organisationen; Berufsgilde; etc. Wenn wir diese alle mit dem Gesamtbegriff „Institutionen“ bezeichnen, müssen wir erkennen, dass die einzelne Institutionen eigene Regeln und Kodexe haben, die unter Umstände uns mit unterschiedlichen bis hin zu widersprüchlichen Ansprüchen konfrontieren. Ethische Konflikte entstehen also nicht nur dadurch, dass bestimmte ethische Prinzipien in einem realistischen Fall sich widersprechen können, sondern auch durch die Wechselwirkung der Institutionen. 12 Beispiele: Soll man einen wahnsinnigen Diktator, der sein Volk in Armut hält, „eliminieren“? Ist das erlaubt, wenn derselbe Diktator mein Land bedroht? Darf man jemanden töten, der einen Mitglied der Familie bedroht? Darf man einen Unbeteiligten gefährden, um seine eigene Familie vor einem Gefahr zu schützen? (Das ist nicht die Frage einer Affektaktion, sondern ihrer eventuellen, nachträglichen Begründung und Beurteilung.) Ärztliche Schweigepflicht, Datenschutz, etc kommen häufig in Widerspruch mit Verbrecher Verfolgung. Wissenschaftliche Kodexe enthalten meistens den Pflicht, wissenschaftliche Ergebnisse öffentlich zu machen. Ein Physiker, der in einer Firma arbeitet, kann für seine Arbeit zur Geheimhaltung verpflichtet sein, andererseits als Mitglied eines Fachverbandes eine Offenheitsklause anerkannt haben. Hier kommt auch die Frage der Durchführbarkeit in Spiel. Meisten dieser Konflikte entstehen in Wechselwirkung mit anderen Personen und mit Institutionen wodurch der Konzept von → „Kompromis“ wichtig wird. Für ein jeder bleibt es immer noch eine eigene Entscheidung, aber in dieser Entscheidung wirken jetzt nicht ethische Überlegungen, die aber die ethische Überlegungen beeinflussen. 13 Eine klare und unbestrittene Methode zur Lösung ethischer Konflikte ist nicht zu finden. Trotzdem scheint für viele Autoren ein Verfahren durchführbar, das man nach Resnik so beschreiben kann: Als erstes muss die Situation so detailliert und in der Tiefe untersucht werden, dass man nach eigener Ermässen sicher sei, den Konflikt verstanden zu haben. Als zweiter Schritt müssen die für den Konflikt relevante ethische Konzepte und Prinzipien identifiziert werden. Als dritter Schritt muss man zurück zu der Details des Falles kehren, und versuchen weitere Aspekte und Details des Falles zu erkennen, die im Licht der erkannten ethischen Zusammenhänge wichtig geworden sein können. Wenn zu diesem Zeitpunkt sich noch keine Lösung auszeichnet soll man ein intuitives Urteil fallen. Solche intuitive Urteile sollen nicht als allgemeine Lösungsmodell verstanden werden, sie sind aber manchmal notwendig, wenn man sonst nicht weite kommt, denn: Zu irgend einem Punkt (und häufig, ziemlich früh) muss man die Reflexion beenden und handeln. Es ist wichtig zu vermerken, dass alle diese Überlegungen nicht nur für einen allein handelnden Individuum zutreffen: sie bestimmen ebenso das Handeln von Institutionen, von der Entwicklung von Verhaltenskodexen bis hin zu Stellungsnahmen und Entscheidungen. 14 III. Die ethische Problemstellung in der Physik. 1. Der Rahmen der ethischen Diskussion Wir haben hier mit 2 Perspektiven zu tun: Die „innere“ Perspektive betrachtet die Probleme aus der Sicht des Berufs: Motivationen, Ambitionen, Wettbewerb, Grundlagen (z.B., Freiheit der Forschung), Verpflichtungen. Man spricht hier von „Berufsethos“. Die „äußere“ Perspektive entspricht dem Gesichtspunkt der Gesellschaft: Ansprüche, Erwartungen, Vertrauen, Beurteilungen (wie Physiker gesehen werden), Verpflichtungen. Man spricht hier häufig von der „Verantwortung gegenüber der Gesellschaft“. In der Tat sind unsere Aktivitäten aus beiden Perspektiven zu sehen. Für ein Lehrer, z.B., berücksichtigt der Verhaltenskodex des Berufs zugleich die Grundlinien der Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft, die den Erziehungsantrag erteilt. Die Gewichte mögen aber in anderen Berufen unterschiedlich sein. Es ist nützlich die 2 Perspektiven zu unterscheiden, weil sie auch unterschiedliche Probleme mitbringen. 15 Als Physiker ist man in der Regel in einer oder mehreren Institutionen eingebunden: Institut/Schule/Betrieb,Berufsverbände, Wissenschaft/Lehre/Wirtschaft – und natürlich weitere, nicht berufliche aber in Wechselwirkung damit stehenden Bindungen: Familie, politische Parteien, etc. - Einerseits kann der einzelne Physiker mit einem ethischen Problem konfrontiert sein, zu dem er eine Lösung finden soll. Dabei kann seine Zugehörigkeit zu den verschiedenen „Institutionen“ Rahmenbedingungen stellen, die ihm eventuell eine Stellungnahme erleichtern (von Berufskodexen bis zum ethischen Beistand). Diese Zugehörigkeit kann allerdings auch zu Konflikte führen. - Andererseits sind Institutionen durch ihren Mitglieder definiert – auch wenn sie eine eigene Dynamik entwickeln können, etwa wenn Zugehörigkeit und Einfluss getrennt sind (Mitarbeitern vs Aktionären, z.B.). Das bedeutet, dass der Physiker als Mitglied einer Institution auch zu den ethischen Problemstellungen, die die Institution als Ganzes betreffen, mitwirkt – von der Entwicklung solcher Institution-Kodexe bis hin zur Abstimmung über oder sogar Initiierung von Stellungsnahmen. Das bedeutet, dass sich individuelle und institutionelle Problemstellungen in engen Wechselwirkung befinden. Trotzdem behandeln wir sie getrennt, weil Aufgaben wie Verfahren unterschiedlich sind. 16 2. Der individuelle Verantwortungsrahmen Ein Physiker - Forscher, Lehrer, Mitarbeiter in einem Unternehmen - befindet sich in einem Netz von Beziehungen. Für eine Systematik könnten wir einen dreifachen Bezug erkennen: - zu seinem Beruf und der Wissenschaft als solche; - zu seiner Zunft, seinen Kollegen, zu den beruflichen Strukturen in denen er eingebunden ist; - zur Gesellschaft – im Rahmen seines Berufs aber auch auf Grund seines Berufs, also innerhalb und außerhalb der formellen Verpflichtungen verbunden mit seiner beruflichen Situation. Diese verschiedene Rahmen bringen auch unterschiedliche Gesichtspunkte, Argumente, etc mit. In einem realistischen Fall sind sie allerdings häufig vermischt und eventuell in Widerspruch. Für der einzelne Physiker kann die Ethikproblematik als Frage der Verantwortung wirksam werden. Das trifft zu sowohl für die innere als für die äußere Perspektive: Verantwortung gegenüber seinem Beruf, seiner Zunft oder der Gesellschaft. Für H. Lenk ( Zwischen Wissenschaft und Ethik ), z.B., ist das der richtige Ansatz, weil er zugleich das Individuum anspricht und allgemeine Überlegungen und Kriterien zulässt (während etwa „das Gewissen“ zu individualistisch erscheint und „die Sittlichkeit“ zu allgemein - abstrakt). 17 Beispiele: Sie haben ein Modell entwickelt, das das Verhalten einer Flüssigkeit in der Nähe eines Phasenübergangs beschreibt. Sie wollen das Modell mit Hilfe einer Simulation nachprüfen. Die Resultate stimmen nicht mit Ihren Erwartungen überein, Sie sind trotzdem überzeugt, dass das Modell richtig ist und die Simulation fehlerhaft. Sie möchten dass andere Forscher das Modell ernst nehmen und prüfen, wenn Sie aber Ihre Simulationsresultate erwähnen, wird das Modell vielleicht wenig Aufmerksamkeit finden. Ihr Freund arbeitet in einer Firma für medizinische Geräte und beobachtet, dass die Firma seine Entwicklungen überteuert verkauft. Hier gilt die Frage: Loyalität gegenüber der Firma und Loyalität gegenüber der Kunden – aber auch die Frage der weitere Auswirkungen, z.B. der Zukunft der Firma. Professor Möbius hat eine bahnbrechende Theorie entwickelt, die allerdings Anwendungen haben kann, die unvorhersehbare Folgen haben können. Erwarten Sie von ihm, dass er seine Arbeit veröffentlicht oder zurück hält? Hier gilt also die Frage der Verantwortung gegenüber der Wissenschaft und der gegenüber der Gesellschaft (Dürrenmatt). Wie würden Sie als Lehrer für Ihre Schüler/Innen diese drei Fälle präsentieren und beurteilen? 18 2. Der institutionelle Verantwortungsrahmen Wir erleben eine verstärkten Aktivität, institutionelle ethische Diskussionsrahmen zu entwickeln – von Verhaltenskodexe für die Mitglieder – bis hin zu Stellungsnahmen und Verhaltensanweisungen., die die Institution als Ganzes betreffen. Das ist als eine Reaktion darauf zu sehen, dass ethische Probleme verschärft mit der Anzahl von Beschäftigten, einerseits, und mit der Wichtigkeit der Auswirkungen in einer stark vernetzten Gesellschaft, andererseits, auftreten. Es ist auch ein Resultat des immer breiter akzeptierten Erkenntnis, - dass Wissenschaft als gesellschaftlicher Prozess nicht frei von Werte ist und auch - nicht neutral in einem sozialen Sinne. So werden wissenschaftliche Aussagen immer in normativen Zusammenhänge hineingezogen – von Weltund Menschenbild bis hin zur Anwendungsfragen. Und andererseits, „Forschungsstrategien“ ==> soziale Aspekt unübersehbar. 19 In der systematischen Beschäftigung mit der „Ethik der Wissenschaft“ beobachten wir Aktivitäten auf der „globalen“ Ebene, wie etwa der von UNESCO eingesetzten „World Comission on the Ethics of Scientific Knowledge and Technology“ (COMEST ) , genauso wie Aktivitäten auf nationalen Ebene, auf der Ebene von Berufsverbänden oder von einzelnen Institutionen. In dem 2009 Report von COMEST finden wir die Aussage: “Science ethics refers to the principles according to which scientific activity should be conducted and to the mechanisms by which conformity to such principles is promoted, fostered or ensured.“ Damit wird auch gleich den Auftrag klar, die diese Aktivitäten übernommen haben, nämlich die Aufstellung von Prinzipien und von Erfüllungsmechanismen. Diese Prinzipien und Mechanismen sind allerdings nicht als äußere Zwänge an der Wissenschaft zu sehen, sondern Diese wachsen aus der Selbstverständnis der Wissenschaft selbst, und aus ihrer Rolle in der Gesellschaft: Korrektheit in Handhabung und Erzeugung von Erkenntnisse, oder Verpflichtung zum Fortschritt der Gesellschaft. 20 Beispiel - DPG Stellungnahmen 1. Energiememorandum 1995 der DPG; Zukünftige klimaverträgliche Energienutzung und politischer Handlungsbedarf zur Markteinführung neuer emissionsmindernder Techniken / Phys.Bl. 51 (1995) 388 f 2. Erklärung der DPG zur bemannten Raumfahrt / Phys.Bl. 54 (1998) 64 (kritisch, aber aus Effektivitätsgrunde) 3. Stellungnahme der Deutschen Physikalischen Gesellschaft zur Energiepolitik und dem geplanten Ausstieg aus der Kernenergie / Phys.Bl. 55 (1999) (vorläufig unverzichtbar) 4. Stellungnahme der DPG zur Ablehnung der Ratifikation des Atomteststoppvertrages durch den US-Senat (2000) („Die von den CTBT-Kritikern vorgebrachte Begründung, ein umfassender Atomteststopp sei nicht effektiv verifizierbar, hält einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht stand. ...“) 5. Empfehlungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft für ein gestuftes Studium mit Bachelor- bzw. MasterAbschluß (2004) 6. Klimaschutz und Energieversorgung in Deutschland 1990 – 2020 (2005) (für Solarthechnik) 7. Thesen für ein modernes Lehramtsstudium im Fach Physik (2006) Diese Stellungnahmen betreffen nationale wie internationale Probleme. Sie behandeln Fragen, die man unter „Verantwortung gegenüber der Gesellschaft“ sehen könnte, allgemeine politische Fragestellungen, und Fragen der Forschungs- und Lehre-Politik. 21 Dasselbe trifft für den Kodex zu, wo sowohl die innere als auch die äußere Perspektive zum tragen kommen. Kodex ...Die Mitglieder der DPG verpflichten sich, im Sinn des Gesellschaftszwecks zu handeln. 1. Die Mitglieder der DPG verpflichten sich zur wissenschaftlichen Redlichkeit und Beachtung der Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis als unverzichtbare Voraussetzungen allen wissenschaftlichen Arbeitens. 2. Die Mitglieder der DPG verpflichten sich zu ethisch verantwortlicher Arbeit in der Wissenschaft. Sie bekennen sich zu einer besonderen Verantwortung der Wissenschaft dafür, dass die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit nicht missbraucht und zum Nachteil von Menschen, Gesellschaft und Natur eingesetzt werden. 3. Einzelheiten zu den Absätzen (1) bis (3) sind in den Ausführungsbestimmungen zum Verhaltenskodex festgelegt, die vom Vorstandsrat beschlossen werden. Sie bilden keinen Teil der Satzung. 4. Mitglieder, die gegen die Absätze (1) bis (3) oder gegen die Ausführungsbestimmungen zum Verhaltenskodex verstoßen, können aus der DPG ausgeschlossen werden. 22 I. Definition ethischer Mindestnormen Die in der Präambel und in § 12 der Satzung der DPG verankerten Grundsätze beinhalten folgende ethische Mindestnormen, zu deren Beachtung sich die Mitglieder der DPG verpflichten: Gemeinschaft der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Jedes Mitglied ist auch Mitglied der Gemeinschaft der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und teilt deren besondere Verantwortung gegenüber künftigen Generationen. Die Mitglieder unterstützen die Entwicklung der Wissenschaft. Dazu anerkennen und beachten sie das für alle Wissenschaften in allen Ländern gültige Grundprinzip der Ehrlichkeit gegenüber sich selbst und anderen. Die DPG verurteilt wissenschaftliches Fehlverhalten und ächtet sowohl Betrug in der Wissenschaft als auch deren vorsätzlichen Missbrauch. Forschungsergebnisse Forschungsergebnisse müssen reproduzierbar sein und nachvollziehbar dokumentiert werden. Die Leiterinnen bzw. Leiter von Forschungsgruppen sollen durch angemessene Organisation gewährleisten, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Forschungsergebnisse vor der Publikation ausreichend kommunizieren und diskutieren. Begründete Ausnahmen, etwa zum Patentschutz, müssen möglich gemacht werden. Nach der Publikation der Ergebnisse sollen die dokumentierten Daten für eine dem Fachgebiet angemessene Zeit aufbewahrt werden. Das Erfinden von Daten sowie das Fälschen und das Plagiieren von Daten und Texten ist wissenschaftliches Fehlverhalten oder Betrug in der Wissenschaft. Wissenschaftliche Veröffentlichungen Wissenschaftliche Veröffentlichungen gehören sowohl zu den Existenzgrundlagen der in der Wissenschaft Tätigen als auch zu ihrer Pflicht gegenüber der Gesellschaft, die ihre Forschung finanziert. In den Veröffentlichungen müssen die verwendeten Methoden und die Ergebnisse in angemessener Form beschrieben werden. Eigene und fremde Vorarbeiten müssen korrekt zitiert sein. 23 Alle Autorinnen und Autoren einer wissenschaftlichen Veröffentlichung tragen die Verantwortung für deren Inhalt gemeinsam. Ausnahmen sollen kenntlich gemacht werden. Alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die wesentliche Beiträge zur Idee, Planung, Durchführung oder Analyse der Forschungsarbeit geleistet haben, sollen die Möglichkeit haben, Koautorinnen bzw. Koautoren zu sein. Personen mit kleinen Beiträgen werden in der Danksagung erwähnt. Die Leitung eines Forschungsinstituts beinhaltet für sich noch nicht das Recht auf eine Koautorenschaft. Falls es sich ergibt, dass eine Publikation einen Irrtum enthält, soll dieser in einem Erratum veröffentlicht werden. Begutachtungen Die ehrenamtliche Begutachtung von Forschungsprojekten, von wissenschaftlichen Veröffentlichungen und von Prüfungsleistungen sowie die Mitwirkung an Berufungsverfahren sind wesentliche Elemente zur Erzielung eines hohen Standards in der Wissenschaft. Die Mitglieder verpflichten sich grundsätzlich zur Mitwirkung an Begutachtungs- und Berufungsverfahren und in jedem Falle zur Wahrung der Vertraulichkeit der ihnen anvertrauten Unterlagen. Sie müssen sich ihrerseits auf diese Unterlagen verlassen können. Sie dürfen an einem Begutachtungs- oder Berufungsverfahren nur mitwirken, wenn sie selbst zur gründlichen und fairen Beurteilung in der Lage sind. Anvertraute Unterlagen dürfen nicht zum gezielten eigenen Vorteil der begutachtenden Person verwendet werden. Interessenkonflikte Sachliche Interessenkonflikte sind auch unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nicht vermeidbar. Diese sollten offengelegt werden. Die Erklärung der eigenen Befangenheit darf einem Mitglied nicht zum persönlichen Nachteil gereichen. 24 Unter den Themen, die angesprochen werden, sind: - Die Bedeutung der physikalischen Erkenntnis – Welt und Menschenbild,Tragweite und Grenzen physik. Wissens - Das Sichern der Dignität der Wissenschaft – Autonomie, Freiheit, moralische Neutralität vs Verantwortung - Das Erreichen physikalischer Erkenntnis – Ethik der Wissenschaft, der Forschung und der Lehre - Das ethische Verhalten im wissenschaftlichen Betrieb als gemeinschaftliches Unternehmen - Ethische Implikationen aus beruflichen Verpflichtungen: TFA, Informationspflicht, Beratung - Ethische Implikationen über den beruflichen Verpflichtungen hinaus, gemäß der besonderen Fähigkeiten und Kenntnisse als Physiker: Erklärungen, Stellungnahmen, politische Einflussnahme (siehe z.B. das Manifest der Göttinger 18). Dieselbe kritische Haltung, die im normalen, wissenschaftlichen Betrieb gilt, soll auch gegenüber der Vertretung der Wissenschaft, der wissenschaftlichen Ergebnisse und derer Bedeutung „nach aussen“ gelten – von Menschen- und Weltbild bis hin zu TFA oder Politikberatung. NB: Keine Aktivität ist frei von Wertungen. 25 3. Besondere Aspekte - Freiheit und Verantwortung sind verbunden, erst damit kann man für die Wissenschaft Dignität und Autonomie in Anspruch nehmen. - Entdeckung und Erfindung sind schwer zu trennen: man kann nicht von einem Physiker, der ein physikalisches Resultat erzielt oder auch nur lehrt verlangen, dass er die Folgen möglicher Anwendungen voraussieht – man kann aber erwarten, dass er dazu Stellung nimmt wenn diese sich auszeichnen, weil er sie durch seiner Arbeit ermöglicht hat. - Physik ist eine Wissenschaft mit einem sehr hohen Grad an Abstraktion. Es ist für die Einbettung der Physik in der Gesellschaft wichtig, Verständnis-mauern zu durchdringen: gegenüber der allgemeinen Publikums als auch gegenüber anderen Wissenschaften in interdisziplinären Zusammenhängen. 26 4. Beispiele - Born, Einstein, Teller - Klimaforschung und Politikberatung - Neue Technologien: Nanotechnologie, Computerentwicklung - Galilei Kann man Selbstopferung verlangen? Wie lautet der eigentliche Vorwurf (etwa, nach Brecht)? Wie hat sich die Verantwortungsfrage nach Galilei entwickelt? Ist die Entwicklung der Wissenschaft selbst davon beeinflusst worden? Die Frage der Rhetorik. - Planck – Mach Debate Wie weit darf man in der Verteidigung eigener Position gehen? Vergleich mit der Newton – Leibniz Debatte 27 - Göttinger 18 Beispiel für politische Einflussnahme. TFA – Frage (vergleiche Born bezüglich Raumfahrt). Die Göttinger Erklärung der 18 Atomwissenschaftler vom 12. April 1957 Die Pläne einer atomaren Bewaffnung der Bundeswehr erfüllen die unterzeichnenden Atomforscher mit tiefer Sorge. Einige von ihnen haben den zuständigen Bundesministern ihre Bedenken schon vor mehreren Monaten mitgeteilt. Heute ist eine Debatte über diese Frage allgemein geworden. Die Unterzeichnenden fühlen sich daher verpflichtet, öffentlich auf einige Tatsachen hinzuweisen, die alle Fachleute wissen, die aber der Öffentlichkeit noch nicht hinreichend bekannt zu sein scheinen. 1. Taktische Atomwaffen haben die zerstörende Wirkung normaler Atombomben. Als "taktisch" bezeichnet man sie, um auszudrücken, daß sie nicht nur gegen menschliche Siedlungen, sondern auch gegen Truppen im Erdkampf eingesetzt werden sollen. Jede einzelne taktische Atombombe oder -granate hat eine ähnliche Wirkung wie die erste Atombombe, die Hiroshima zerstört hat. Da die taktischen Atomwaffen heute in großer Zahl vorhanden sind, würde ihre zerstörende Wirkung im ganzen sehr viel größer sein. Als "klein" bezeichnet man diese Bomben nur im Vergleich zur Wirkung der inzwischen entwickelten "strategischen" Bomben, vor allem der Wasserstoffbomben. 2. Für die Entwicklungsmöglichkeit der lebensausrottenden Wirkung der strategischen Atomwaffen ist keine natürliche Grenze bekannt. Heute kann eine taktische Atombombe eine kleinere Stadt zerstören, eine Wasserstoffbombe aber einen Landstrich von der Größe des Ruhrgebietes zeitweilig unbewohnbar machen. Durch Verbreitung von Radioaktivität könnte man mit Wasserstoffbomben die Bevölkerung der Bundesrepublik wahrscheinlich schon heute ausrotten. Wir kennen keine technische Möglichkeit, große Bevölkerungsmengen vor dieser Gefahr sicher zu schützen. Wir wissen, wie schwer es ist, aus diesen Tatsachen die politischen Konsequenzen zu ziehen. Uns als Nichtpolitikern wird man die Berechtigung dazu abstreiten wollen; unsere Tätigkeit, die der reinen Wissenschaft und ihrer Anwendung gilt und bei der wir viele junge Menschen unserem Gebiet zuführen, belädt uns aber mit einer Verantwortung für die möglichen Folgen dieser Tätigkeit. Deshalb können wir nicht zu allen politischen Fragen schweigen. Wir bekennen uns zur Freiheit, wie sie heute die westliche Welt gegen den Kommunismus vertritt. Wir leugnen nicht, daß die gegenseitige Angst vor den Wasserstoffbomben heute einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung des Friedens in der ganzen Welt und der Freiheit in einem Teil der Welt leistet. Wir halten aber diese Art, den Frieden und die Freiheit zu sichern, auf die Dauer für unzuverlässig, und wir halten die Gefahr im Falle des Versagens für tödlich. Wir fühlen keine Kompetenz, konkrete Vorschläge für die Politik der Großmächte zu machen. Für ein kleines Land wie die Bundesrepublik glauben wir, daß es sich heute noch am besten schützt und den Weltfrieden noch am ehesten fördert, wenn es ausdrücklich und freiwillig auf den Besitz von Atomwaffen jeder Art verzichtet. Jedenfalls wäre keiner der Unterzeichnenden bereit, sich an der Herstellung, der Erprobung oder dem Einsatz von Atomwaffen in irgendeiner Weise zu beteiligen. Gleichzeitig betonen wir, daß es äußerst wichtig ist, die friedliche Verwendung der Atomenergie mit allen Mitteln zu fördern, und wir wollen an dieser Aufgabe wie bisher mitwirken. Fritz Bopp, Max Born, Rudolf Fleischmann, Walther Gerlach, Otto Hahn, Otto Haxel, Werner Heisenberg, Hans Kopfermann, Max v. Laue, Heinz Maier-Leibnitz, Josef Mattauch, Friedrich-Adolf Paneth, Wolfgang Pauli, Wolfgang Riezler, Fritz Straßmann, Wilhelm Walcher, Carl Friedrich Frhr. v. Weizsäcker, Karl Wirtz 28 Weitere Aspekte: – Kodexe in verschiedenen anderen beruflichen Organisationen (APS, EPA, etc). – Richtlinien für Entwicklung von Kodexe. – Freiwillige Organisationen: VDW, UCS, etc. Stärkere gesellschaftliche Bezug (Verantwortung). 29 5. Motivation und Fragestellungen: Beispiele. Artikel aus WSH 7. PUBLIC SCIENCE Francis Slakey Office of Public Affairs American Physical Society 13.ETHICS, PHYSICS AND PUBLIC POLICY Tina Kaarsberg Senior Scientist, Vista Technologies, Inc. 14.ETHICAL PROBLEMS AND DILEMMAS IN THE INTERACTION BETWEEN SCIENCE AND MEDIA David Resnik Department of Philosophy and The Center for the Advancement of Ethics University of Wyoming 15.SCIENCE, ETHICS, AND GENDER Priscilla Auchincloss Department of Physics and Astronomy and The College University of Rochester 16.PUBLICATION PRACTICES IN PHYSICS Marshall Thomsen Department of Physics and Astronomy Eastern Michigan University Artikel aus der „Science and Engineering Ethics“ - Zeitschrift (SEE): 1. Managing Data for Integrity: Policies and Procedures for Ensuring the Accuracy and Quality of the Data in the Laboratory Chris B. Pascal 2. Authors and Publication Practices Michael J. G. Farthing 4. Research Ethics, Research Integrity and the Responsible Conduct of Research Stephanie J. Bird 30 5. Social and Ethical Dimensions of Nanoscale Science and Engineering Research Aldrin E. Sweeney 6. A new model for science communication that takes ethical considerations into account The Three-E Model: Entertainment, Emotion and Education Patricia Osseweijer 7. From Stratospheric Ozone to Climate Change: Historical Perspective on Precaution and Scientific Responsibility* Gérard Mégie 8. Climate Change: Do We Know Enough for Policy Action? Stephen H. Schneider 12.Questioning nuclear waste substitution: a case study Alan Marshall 13.Causal Factors Implicated in Research Misconduct: Evidence from ORI Case Files Mark S. Davis, Michelle Riske-Morris and Sebastian R. Diaz 14.Eighteen rules for writing a code of professional ethics Michael Davis 15.Moral Rules, Moral Ideals, and Use-Inspired Research Jeffrey Kovac 16.A comparison of conflict of interest policies at peer-reviewed journals in different scientific disciplines Jessica S. Ancker Æ Annette Flanagin 31 In einer Befragung über das Interesse für ethische Lehrveranstaltungen (WSH10) wurden 400 Physiker im akademischen Bereich und in der Industrie angeschrieben, davon melden sich 173 zurück. Die vorgeschlagen Themen sind breit verteilt und betreffen sowohl innen- als auch aussenwissenschaftlichen Fragen. Beispiele: Weapons/SDI/military (6) Public education/truth in media (5) Research credit (3) Risk assessment/effect of science on public (3) Policy advice in face of scientific uncertainty/statistical error/limits (3) Responsibility in review/proposals (2) Sexual harassment (2) Whistleblowing (2) Teaching all sides of an issue/academic standards (2) History of ethics (2) Practical consequences of ethical behavior Nuclear power/waste Honesty (data, fraud, uncertainties) (6) Conflict of interest (6) Treatment of co-workers, subordinates ... Das kann man als Beispiel von der Art von Problemen mit denen man konfrontiert werden kann, oder zu denen man Stellung nehmen muss. 32 6. Schlussbemerkungen. Im Forschungsbetrieb wird man in seiner Aktivität mit vielen ethischen Fragen konfrontiert – von „Kavalier-Delikte“ in der Präsentation von Ergebnisse bis hin zur Aufrichtigkeit der Forschung, von der Pflicht zur Information der Öffentlichkeit bis hin zur Verantwortung für die Folgen der Entwicklungen, an denen man beteiligt ist. Einige der Fragen sind leicht zu beantworten, viele der wichtigen aber nicht und viele täuschen. Im Lehrbetrieb ist man verantwortlich: für die Darlegung und Verbreitung von Erkenntnisse, für den Beitrag zum Aufbau eines Weltbildes, für den Ausbau der Empfänglichkeit und Sensibilität für ethische Fragestellungen bei der Lernenden. Jede Kommunikation führt – offen oder versteckt – Werte ein. In anwendungsorientierter Arbeit werden alle Fragen noch stärker durch Loyalität- und Bindungsfragen überlagert, die zu weiteren Konflikten führen können: Informationsoffenheit, Publikumsschutz, Gewissenskonflikte. Information und Training mit der Problematik kann zur Abbau der Unsicherheiten führen. Eine Beschäftigung mit ethischen Fragen hat das Ziel, Gesichtspunkte und Perspektiven zu liefern, Richtlinien zur Erkennung, Beurteilung und Behandlung von Konflikte anzudeuten, Übung in der Diskussion in einem systematischen Rahmen zu erlauben, und damit uns zu ermöglichen, unsere intellektuelle Pflicht (eine qualifizierte Diskussion führen und eine qualifizierte Stellungnahme erreichen zu können) zu erfüllen, was schließlich zu unserem Selbstverständnis und Selbstbild als Wissenschaftler/Innen gehört. Der institutioneller Rahmen (Kodexe) und die organisierte Diskussion (COMEST) kann sehr hilfreich sein und eine große Unterstützung bieten – verlangt allerdings auch Partizipation, Aufmerksamkeit und ggf. Mitarbeit. 33