Sildenafil - Deutsches Ärzteblatt

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M E D I Z I N
ZUR FORTBILDUNG
Jochen Schopohl1
Ekkehard Haen2
Traugott Ullrich3
Roland Gärtner1
Serie: Sexuelle Funktionsstörungen
Sildenafil (Viagra)
ZUSAMMENFASSUNG
Die Erektionsstörung ist eine Erkrankung, die etwa zwei
Prozent aller Männer unter 40 Jahren, aber nahezu zwei
Drittel aller Männer über 65 Jahre betrifft. Die Ursachen
hierfür sind vielfältig, in den meisten Fällen aber ist jetzt
zum ersten Mal eine medikamentöse Behandlung möglich.
Seit 1998 steht Sildenafil, ein selektiver PhosphodiesteraseV-Inhibitor zur Verfügung. Es hemmt den Abbau von zyklischem GMP in den glatten Muskelzellen der Gefäßwände
im Schwellkörper und dadurch wird der Einstrom von arteriellem Blut und die Erektion ermöglicht oder verbessert. Es
ist kein Aphrodisiakum und steigert
auch nicht die Libido. Sildenafil ist
aber für viele Männer mit psychogener und organisch bedingter Erektionsstörung ein relativ nebenwirkungsarmes
Medikament mit einer Erfolgsrate von bis zu 85 Prozent.
Eine sorgfältige Indikationsstellung unter Berücksichtigung der Kontraindikationen ist die Voraussetzung zur Verordnung dieses Präparates.
Schlüsselwörter: Erektionsstörung, männliche Impotenz,
Sildenafil, Phosphodiesterase-V-Inhibitor
Sildenafil (Viagra)
Erectile dysfunction is a common sexual problem of men
which effects two per cent of men below 40 years of age, but
nearly two thirds of all men above 65. There are many reasons for erectile dysfunction, but now for the first time an effective medical treatment is possible in many cases. Sildenafil, a specific phosphodiesterase V-inhibitor has been available since last year. Sildenafil inhibits hydrolysis of cyclic
GMP in the smooth muscle cells of the corpus cavernosum
and its associated arterioles, thus increasing or improving
the blood flow into the corpus cavernosum and
enabling penile erection. Sildenafil is not an
aphrodisiac and does not improve libido. But for many men
with psychogenic or organic erectile dysfunction, it is a medication with a relative low incidence of side effects and a
therapeutic efficacy of up to 85 per cent. Before prescribing
this preparation, both the indications and contraindications
warrant careful consideration.
Key words: Erectile dysfunction, male impotence, sildenafil,
phosphodiesterase V-inhibitor
D
ie Erektionsstörung ist eine
außerordentlich häufige Erkrankung, deren Inzidenz
nach amerikanischen Schätzungen bei
Männern mit 40 Jahren bei 1,9 Prozent liegen soll und bei Männern mit
65 Jahren bei 65 Prozent (3). Die
NIH-Konsensuskonferenz von 1993
geht davon aus, dass etwa 30 Millionen Männer in den Vereinigten Staaten hiervon betroffen sind (11). Trotz
ihrer Häufigkeit war die Erkrankung
weitgehend tabuisiert, sie wurde in
der Öffentlichkeit kaum diskutiert.
Durch die Markteinführung von Sildenafil (Viagra) im Frühjahr 1998 in
den USA kam es zu ausführlichen Berichten in der Laienpresse über die
realen und vermeintlichen Wirkungen
des neuen Medikamentes.
pothalamus. Diese Zentren regulieren über das parasympathische beziehungsweise sympathische Nervensystem den Blutein- und Ausstrom in
die Schwellkörper des Penis.
Der wesentliche Neurotransmitter für die Relaxation der glatten
Schwellkörpermuskulatur und die
Erweiterung der penilen Arterien ist
Stickoxid (NO). Durch die Relaxation der glatten Schwellkörpermuskulatur und der penilen Arteriolen
kommt es zu einer Steigerung des arteriellen Bluteinstroms um bis zu 700
Prozent verglichen mit der Ruheperfusion. Der erhöhte Bluteinstrom
führt zu einer erheblichen Volumenund Drucksteigerung der Schwellkörper, dadurch wird der venöse Ab1
Physiologie
der Erektion
Erotische Stimuli, visueller, taktiler, auditiver oder imaginärer Natur
führen zu einer Aktivierung spezieller Regionen von Thalamus und Hy-
SUMMARY
Medizinische Klinik (Direktor: Prof. Dr.
med. Peter C. Scriba) der Ludwig-Maximilians-Universität, München
2 Klinische Pharmakologie (Direktor: Prof.
Dr. med. Helmfried Klein) der Universität Regensburg
3 Urologische Abteilung (Leiter: Prof. Dr.
med. Wolf F. Wieland) des Krankenhauses
St. Josef, Regensburg
strom deutlich reduziert (Grafik 1).
In der Endphase der Erektion führt
eine Kontraktion der Beckenbodenmuskulatur über eine Stimulation des
Nervus pudendus zur venösen Abflussblockade. Hierdurch erreicht der
intrakavernöse Druck suprasystolische Werte, die neben der vollständigen Erektion für die notwendige Rigidität des Penis sorgen. Unter dem
Einfluss des sympathischen Nervensystems kommt es nach erfolgter Ejakulation zu einer kontinuierlichen Rigiditätsabnahme.
Definition der
Erektionsstörung
Unter einer Erektionsstörung versteht man die Unfähigkeit, eine ausreichende Erektion für einen befriedigenden Vollzug des Geschlechtsverkehrs zu erreichen oder aufrechtzuerhalten (9). Die Libido ist hierbei erhalten. Bei Libido-Verlust infolge eines
Hypogonadismus sind die physiologischen Voraussetzungen zur Erektion
erhalten.
Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 6, 11. Februar 2000
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Ätiologie der
Erektionsstörung
Ging man früher davon aus, dass
psychogene Ursachen am häufigsten
für das Zustandekommen einer Erektionsstörung verantwortlich sind, hat
sich diese Vorstellung im letzten
Jahrzehnt stark gewandelt. Nach
vorsichtigen Schätzungen unter Zuhilfenahme standardisierter, diagnostischer Programme ist davon auszugehen, dass etwa 50 Prozent der Erektionsstörungen eine rein organische
Ursache haben, bei etwa einem Drittel ist von einer rein psychogenen
Störung auszugehen, und zirka 20
Prozent der Patienten weisen eine
Kombination aus organischen und
psychischen Störungen auf (12, 17).
Diese relativ schematische Einteilung vernachlässigt wahrscheinlich
die pathogenetische Bedeutung psychogener Faktoren, die bei kaum einer längerfristig bestehenden Erektionsstörung zumindest als sekundäre Komponente fehlen (5).
Die rein organischen Ursachen
der Erektionsstörung können wiederum unterteilt werden (Textkasten Organische Ursachen) in Veränderungen der arteriellen Strombahn (etwa
die Hälfte), kavernöse Insuffizienz,
Tabelle 1
Nebenwirkungsprofil von Sildenafil bei durchgeführten Studien (Dosierung 25, 50, 100 mg)
Unerwünschtes
Ereignis
Häufigkeit
(%)
Kopfschmerzen
15,8
Gesichtsrötung
10,5
Verdauungsstörung
6,5
verstopfte Nase
4,6
Atemwegsinfektion
4,2
Erkältungssymptomatik
3,3
Harnwegsinfekt
3,1
Sehstörungen
2,7
Diarrhöe
2,6
Schwindel
2,2
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neurogene und zu einem kleinen Teil
auch endokrine Störungen. Bei Veränderung der arteriellen Strombahn
kommt es in der Regel durch arteriosklerotisch bedingte Verengungen
des arteriellen Lumens zu einer ungenügenden Füllung der Sinusoide
mit fehlender Kompression der subtunikalen Venolen (9, 10). Die arteriellen Durchblutungsstörungen der
penilen Gefäße gehen in der Regel
mit einer generalisierten Arteriosklerose einher, die diesbezüglichen
Risikofaktoren
Fettstoffwechselstörungen, Hypertonie, Diabetes
mellitus, Nikotinabusus und familiäre
Belastung sind hierbei zu beachten.
Ein vermehrter, venöser Abfluss
(„kavernöse Insuffizienz“) kann verschiedene Ursachen haben. Ein Defekt der Tunica albuginea, eine zu
hohe Zahl an abführenden Venen,
eine gestörte, kavernöse Neurotransmitterfreisetzung oder ein fibrotischer Umbau der Schwellkörpermuskulatur sind hier zu nennen.
Insbesondere der fibrotische Umbau
der Schwellkörpermuskulatur mit
bindegewebigem Ersatz der Muskelzellen durch Fibroblasten tritt häufig
im Gefolge langjähriger, arterieller
Perfusionsstörungen auf und weist
exemplarisch auf die multifaktorielle
Genese der Erektionsstörung hin.
Neurogen bedingte Störungen
der Erektion können auf zentrale
Prozesse zurückgehen wie bei M.
Parkinson oder Encephalitis disseminata. Häufig sind es spinale
Störungen, insbesondere im Bereich
des Sakralmarks.
Stoffwechselerkrankungen oder
toxische Schädigungen wie Diabetes
mellitus, terminale Niereninsuffizienz und chronischer Alkoholabusus
führen über Störungen des peripheren Nervensystems (Nervi cavernosi,
Nervus pudendus) oder des autonomen Nervensystems zur Erektionsstörung, die sich auch nach iatrogenen Läsionen dieser Strukturen nach
radikalen, beckenchirurgischen Eingriffen, beispielsweise aufgrund eines Prostatakarzinoms, finden.
Endokrine Ursachen, das heißt
ein primärer oder sekundärer Hypogonadismus mit einem Testosteronmangel, sind mit etwa fünf Prozent
relativ selten für Erektionsstörungen
verantwortlich, häufig steht bei die-
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Organische Ursachen der
Erektionsstörung
❃ Veränderungen der
arteriellen Strombahn
(50 Prozent)
❃ kavernöse Insuffizienz
(25 Prozent)
❃ neurogene Störungen
(20 Prozent)
❃ endokrine Störungen
(5 Prozent)
sen Patienten die mangelnde Libido
im Vordergrund der Beschwerden.
Eine Reihe von Medikamentengruppen können an der Entstehung
von Erektionsstörungen beteiligt
sein. Zu nennen sind hier zentral und
peripher wirkende Alpha- und Betasympatholytika wie sie oft zur Hypertoniebehandlung eingesetzt werden.
Hierbei ist allerdings immer auch in
Betracht zu ziehen, dass eine Normalisierung des Blutdrucks bei fortgeschrittener Arteriosklerose und erniedrigter Durchblutungsreserve der
penilen Gefäßstrombahn die Erektionsschwäche mit verursachen kann.
Psychotrope Medikamente wie Tranquilizer und Antidepressiva können
die Erektionsfähigkeit ebenso wie
H2-Blocker, Halluzinogene und Narkotika verschlechtern (Tabelle 2) (2).
Therapie
Da die Ursache der Erektionsstörung multifaktoriell ist, sollte
nach einer speziellen Diagnostik immer auch die Partnerin des Patienten
miteinbezogen werden (5). An speziellen therapeutischen Möglichkeiten
ergeben sich: Die SchwellkörperAutoinjektion (SKAT) mit vasoaktiven Substanzen, die alleine oder in
Kombination von dem Patienten
selbst in den Schwellkörper injiziert
werden. Zu nennen ist hier Papaverin, Phentolamin sowie Prostaglandin E1, das in den letzten Jahren zur
SKAT-Substanz der ersten Wahl geworden ist (14).
Die seit 1993 durchgeführte intraurethrale Applikation von Prostaglandin E1 wurde in Europa kürzlich
auch zugelassen. In bisherigen Studi-
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en zeigte sich bei etwa zwei Drittel
der Patienten ein gutes Ansprechen.
Seit langem bekannt und häufig
oral angewendet wird Yohimbin,
pharmakologisch handelt es sich hier
um einen Alpha-2-AdrenorezeptorAntagonisten mit zentralnervösen
Angriffspunkten. Seine Wirkung
konnte vor allem bei geringgradigen
Störungen in doppelblinden, plazebokontrollierten Studien nachgewiesen werden (15). Seit Jahren stehen
auch mechanische Verfahren zur Behandlung der Erektionsstörung wie
die Vakuum-Erektionshilfe oder
chirurgisch eingesetzte Penisimplantate zur Verfügung. Die Testosteronsubstitution kommt nur bei nachgewiesenem Hypogonadismus mit endokriner Hodeninsuffizienz infrage.
Ob bei dem partiellen Androgen-Defizienzsyndrom älterer Männer (androgen deficiency syndrom of aging
men [PADAM]) eine Testosteronsubstition zur Besserung einer vorhandenen Erektionsstörung führt, ist
bisher nicht eindeutig geklärt (8).
Sildenafil
Das Molekulargewicht von Sildenafil beträgt 666,7 Dalton, die chemische Strukturformel ist in Grafik 2
dargestellt. Pharmakologisch gehört
Sildenafil zu den PhosphodiesteraseHemmern. Unselektive Phosphodiesterase-Hemmstoffe, wie Coffein
und Theophyllin sind seit Jahrzehnten bekannt. In den letzten Jahren haben selektive PhosphodiesteraseHemmstoffe wie Enoximon bei der
Therapie der terminalen Herzinsuffizienz zunehmend klinische Bedeutung erlangt. Die PhosphodiesteraseHemmstoffe verhindern den intrazellulären Abbau von Phosphodiestern, wie dem zyklischen Adenosinmonophosphat (cAMP) oder dem
zyklischen Guanosinmonophosphat
(cGMP). Diese beiden zyklischen
Nukleotide sind als so genannte „second messengers“ ganz wesentlich an
der intrazellulären Informationsübertragung von Hormonen und
Neurotransmittern beteiligt. Durch
die Blockierung ihres Abbaus wird
die intrazelluläre Wirksamkeit verlängert und verstärkt. Bisher sind sieben Isoenzyme der Phosphodiestera-
se bekannt, die sich sowohl molekulargenetisch, biochemisch und auch
bezüglich ihrer unterschiedlichen Gewebelokalisation unterscheiden lassen. Während die bisher zugelassenen Phosphodiesterase-Hemmstoffe
Amrinon, Enoximon und Milrinon,
selektiv die Phosphodiesterase III
hemmen, die insbesondere im Herzen
lokalisiert ist, hemmt Sildenafil selektiv die Phosphodiesterase V.
Stickstoffmonoxid (NO) vermittelt nach sexueller Stimulation die
Relaxation der glatten Schwellkörper und penilen arteriellen Gefäßmuskulatur. „Second messenger“
für diese Wirkung ist zyklisches Guanosinmonophosphat. Durch die
Phosphodiesterase V wird zyklisches
Guanosinmonophosphat
hydrolysiert und damit deaktiviert (Grafik
3). Sildenafil hemmt die Deaktivierung des cGMP, hierdurch wird die
intrazelluläre cGMP-Konzentration
erhöht, dies führt zu einer Verstärkung und Verlängerung der cGMPvermittelten Wirkungen. Zur Wirksamkeit von Sildenafil ist damit immer eine sexuelle Stimulierung und
die Freisetzung von NO notwendig,
ohne diese Stimulierung bleibt Sildenafil wirkungslos (1). Diese Beobachtung ist auch aus theoretischen
Überlegungen verständlich, da eine
Hemmung der Phosphodiesterasen
um so effektiver ist, je stärker gleichzeitig die Bildung der zyklischen Nukleotide stimuliert wird.
Tabelle 2
Medikamente, die Erektionsstörungen verursachen können
Art des Medikaments
Wirkstoffe
Antihypertensiva
Chinidin, Dihydralazin, Methyldopa, Reserpin
Diuretika
Thiazide, Spironolacton
Kardiaka
Digitalispräparate, Verapamil, Propafenon
Lipidsenker
Clofibrate
Magen-Darm-Mittel
Cimetidin, Ranitidin
Psychopharmaka
Neuroleptika
Antidepressiva
Hypnotika
Tranquillanzien
Butyrophenone, Phenothiazine, Thioxanthene
trizyklische Antidepressiva, Lithiumpräparate
Barbiturate
Benzodiazepine
Antiepileptika
Phenytoin
Psychoanaleptika
Amphetamine
Anorektika
Diverse
Opiate
Morphinderivate
Antiphlogistika
Indometacin, Naproxen, ASS
Migränemittel
Dihydroergotamin, Methysergid
Antimykotika
Diverse
Anthelmintika
Diverse
Anticholinergika
Diverse
Andere Medikamente
Antiandrogene, LHRH-(luteinizing hormone releasing
factor-)Analoga, Östrogene, Gestagene, Zytostatika
Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 6, 11. Februar 2000
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Sildenafil verhindert die Hydrolyse von cGMP durch die Phosphodiesterase V mit einem IC50-Wert
(Konzentration bei der die halbmaximale Hemmung erreicht wird) zwischen 3,5 und 3,9 nmol/l. Nach einer
oralen Dosis von 25 bis 50 mg Sildenafil werden maximale Plasmakonzentrationen in der Größenordnung
von 15 bis 30 nmol/l erreicht. Unter
Berücksichtigung einer Plasmaproteinbindung von 96 Prozent errechnet sich ein freier Anteil an Sildenafil, der dem IC50-Wert für die Hemmung der Phosphodiesterase V entspricht (1).
Die Selektivität mit der Sildenafil die Phosphodiesterase V hemmt
zeigt sich in den wesentlich höheren
Konzentrationen des Medikamentes, die notwendig sind, um eine
halbmaximale Hemmung der übrigen
Phosphodiesterase-Isoenzyme zu erreichen:
Zur halbmaximalen Hemmung
der Phosphodiesterase VI wird eine
zehnfach höhere Konzentration
benötigt, die Phosphodiesterase I
wird erst in etwa 100-fach höherer
Konzentration gehemmt. Zur Inhibition der Phosphodiesterasen II, III
und IV werden über 200-fach höhere
Konzentrationen
benötigt.
Die
Phosphodiesterase V wird außer in
der glatten Muskulatur des Corpus
cavernosum des Penis, auch an der
glatten Muskulatur anderer Blutgefäße, unter anderem auch der Koronararterien, gefunden. Das Enzym
kommt an der Trachea, den Thrombozyten und in der Niere vor (18).
Klinische Studien
zu Sildenafil
Die klinische Wirksamkeit von
Sildenafil wurde in den Dosierungen
25, 50 und 100 mg einmal täglich in
über 20 randomisierten, doppelblinden, plazebokontrollierten Studien
mit einer Dauer von maximal sechs
Monaten untersucht. Darüber hinaus liegen Ergebnisse aus zehn offenen Studien mit einer Dauer von bis
zu zwei Jahren vor. Insgesamt nahmen mehr als 4 500 Patienten im Alter zwischen 19 und 87 Jahren mit
Erektionsstörungen unterschiedlichen Schweregrades und unterschiedlicher Ätiologie an den Studien teil. Exemplarisch seien die Ergebnisse der Studie von Goldstein
und Mitarbeitern erwähnt (4). Bei
532 untersuchten Patienten zeigte
sich nach drei oder sechs Monaten
eine signifikante Verbesserung der
Erektionsfähigkeit, die mit der gegebenen Dosis korrelierte, verglichen
mit Plazebo. Während die Patienten
unter Plazebo nach sechs Monaten
eine Ansprechrate von zirka 24 Prozent zeigten, taten dies in der Verumgruppe 82 Prozent.
Bisher liegen nur beschränkte
Erkenntnisse über die Wirksamkeit
von Sildenafil bei speziellen Untergruppen mit organischer Erektionsstörung vor. Bei 257 Patienten mit
Typ-I- und Typ-II-Diabetes-mellitus
konnte eine Ansprechrate von 56
Prozent im Vergleich zu Plazebo
nachgewiesen werden (16). Auch Patienten, bei denen nach traumati-
Grafik 1
Indikationen
Bei rein psychogenen Erektionsstörungen, die nicht länger als sechs
Monate bestehen und eine intakte
Partnerschaft aufweisen, kann eine
begleitende Medikation mit Sildenafil die Dauer der Behandlungen verkürzen (7). Die Behandlung der psychogenen Ursachen muss jedoch unbedingt im Vordergrund stehen, hierbei sollte die Partnerin in die Therapie mit eingebunden sein.
Bei überwiegend organischer
Genese der Erektionsstörung hat Sildenafil die größte Wirksamkeit bei
Patienten mit arteriell bedingten
Durchblutungsstörungen des Corpus
cavernosum. Bei einer venösen oder
kavernösen Insuffizienz ist kein Effekt von Sildenafil zu erwarten (7).
Während nach Läsionen des ersten
Motoneurons eine Wirksamkeit von
Sildenafil gegeben ist, scheint bei
vollständiger Unterbrechung des
zweiten Motoneurons beispielsweise
Grafik 2
Schlaff
Kavernen des
Schwellkörpers
CH3CH2O
Dilatierte
Rankenarterie
N
HN
N
N
Kavernen des
Schwellkörpers
Zufluss
Trabeculae
glatter Muskel
Kollagen
Elastin
CH3
O
Dilatierte
kavernale
Arterie
Rankenarterie
Venole,
Abfluss
subtunikaler
Raum
Erigiert
Tunica albuginea
Kavernale
Arterie
CH2CH2CH3
O 2S
N
Abfluss
Komprimierte
subtunikale
Venole
Einfluss der glatten Muskulatur auf den Blutein- und Ausstrom in die Schwellkörper des Penis
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scher Querschnittlähmung eine reflexogene Erektion erhalten war,
zeigten unter Sildenafil eine signifikante Verbesserung der Erektion
nach taktilen Reizen (6). Keine eindeutige klinische Datenlage besteht
hinsichtlich der Wirksamkeit von Sildenafil bei Patienten mit iatrogener
peripherer Nervenläsion nach ausgedehnten beckenchirurgischen Eingriffen sowie bei Patienten mit arteriellem Hypertonus und Depressionen.
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N
Strukturformel von Sildenafil
CH3
M E D I Z I N
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Grafik 3
Endothelzellen
NO
NANC
Guanylatzyklase
GTP
Sildenafil
GMP
cGMP
Dilatation
Erektion
des Penis
PDE-5
Wirkmechanismus von Sildenafil. NO, Stickoxid; NANC, nichtadrenerge und nichtcholinerge Neurone; PDE-5,
Phosphodiesterase V
nach radikaler Prostataoperation
oder radikaler Rektumentfernung
kein Effekt zu bestehen (13). Bei
multifaktorieller Ätiologie der Erektionsstörung wie beim Diabetes mellitus, bei dem die Erektionsstörung
sowohl durch periphere als auch
durch autonome Neuropathie wie
auch durch Mikro- und Makroangiopathie verursacht sein kann, kommt
es langfristig auch zu einem fibrösen
Umbau der glatten Schwellkörpermuskulatur mit kavernöser Insuffizienz, die dann im Spätstadium einer
Behandlung mit Sildenafil nicht mehr
zugänglich ist. Hier muss aufgrund
der individuellen Gegebenheiten des
einzelnen Patienten die Indikation
gestellt werden.
Nebenwirkungen und
Kontraindikationen
Ein großer Teil der Patienten mit
einer Erektionsstörung weist eine erhebliche Multimorbidität auf. So besteht bei bis zu 60 Prozent der Patienten mit organisch bedingter Erektionsstörung eine koronare Herzerkrankung. In diesem Zusammenhang
muss berücksichtigt werden, dass eine vermehrte sexuelle Aktivität bei
Patienten mit schwerer Arteriosklerose das Risiko beispielsweise für
einen Herzinfarkt erhöhen kann (19).
Aus den bisher durchgeführten Studien ergibt sich ein relativ harmloses
Nebenwirkungsprofil für Sildenafil
(Tabelle 1). Am häufigsten traten
Kopfschmerzen und Gesichtsrötung
auf, dies sind vermutlich Folgen der
gefäßerweiternden Wirkung, die
durch die Hemmung der Phosphodiesterase V der gesamten Gefäßmuskulatur zustande kommt. Der Abfall
des Blutdrucks mit den Nebenwirkungen Schwindel und Benommenheit ist ebenfalls auf die vasodilatierende Wirkung des Medikamentes
zurückzuführen (19). Die Ursache
der beschriebenen Magen- und Verdauungsbeschwerden ist Folge der relaxierenden Wirkung von Sildenafil
an der Muskulatur des unteren Ösophagussphinkters. Bei weniger als
drei Prozent der Patienten, die Sildenafil einnahmen, kam es zu Sehstörungen, diese Nebenwirkungen
traten bei höheren Dosen auf und
sind vermutlich Folge einer Hemmung der Phosphodiesterase VI an
der Retina.
Eine retrospektive Analyse in den
USA seit der Zulassung im Frühjahr
1998 zeigte keine vermehrten Nebenwirkungen bei gleichzeitiger Einnahme von Betablockern, Alphablockern,
Diuretika, Hemmern des AngiotensinConverting-Enzyms und Kalziumantagonisten. Die Inzidenz von schweren
kardiovaskulären
Nebenwirkungen
wie Schlaganfall und Myokardinfarkt
unterschied sich in den vorliegenden
Studien nicht zwischen Verum- und
der Plazebogruppe (19).
Die Kombination von Nitraten
und Sildenafil ist wegen des gleichartigen Wirkungsmechanismus kontraindiziert. Es liegen hierüber auch
keine Studienergebnisse vor. Eine
Kombination von Nitraten und Sildenafil sollte daher nicht erfolgen.
Bei den bisher durchgeführten
klinischen Studien wurden Patienten, die innerhalb der letzten sechs
Monate einen Herzinfarkt, einen
Schlaganfall oder eine lebensgefährliche Herzrhythmusstörung erlitten
hatten, ausgeschlossen. Auch Patienten mit einem Ruheblutdruck
über 170 zu 110 mm Hg oder einer
Hypotonie unter 90 zu 50 mm Hg,
schwerer Herzinsuffizienz, instabiler
Angina pectoris und Retinitis pigmentosa wurden bisher unter Studienbedingungen nicht untersucht. Bei
diesen Patientengruppen sollte Sildenafil daher weiterhin nicht angewendet werden.
Aus theoretischen Überlegungen wäre ein Priapismus als Nebenwirkung bei der Einnahme von Sildenafil zu erwarten, während der
klinischen Studie trat dies nicht auf,
seit der Zulassung in den Vereinigten Staaten sind vereinzelte Fälle beschrieben worden. Die Ausscheidung von Sildenafil war bei Patienten über 65 Jahren, bei Patienten mit einer Niereninsuffizienz und
einer Kreatinin-Clearance unter 30
ml/min sowie bei bekannter Leberzirrhose vermindert. Bei diesen Patientengruppen sollte eine Dosis von
25 mg/Tag nicht überschritten werden (7).
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 2000; 97: A-311–315
[Heft 6]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf
das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet
(www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.
Anschrift für die Verfasser
Priv.-Doz. Dr. med. Jochen Schopohl
Medizinische Klinik
Klinikum Innenstadt der LMU
Ziemssenstraße 1
80336 München
E-Mail: Jochen.Schopohl@medinn.
med.uni-muenchen.de
Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 6, 11. Februar 2000
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