SWR2 Musikstunde

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SWR2 MANUSKRIPT
SWR2 Musikstunde
„Verschlüsselte Botschaften“ (3)
Kollegenwürdigungen und Autogramme
Mit Dagmar Munck
Sendung:
01. März 2017
Redaktion: Dr. Ulla Zierau
Produktion: SWR 2017
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw.
des SWR.
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„Verschlüsselte Botschaften“ - Kollegenwürdigungen und Autogramme (3)
Signet:
„Verschlüsselte Botschaften“ ist das Thema diese Woche. Gestern war teils die
weniger wertschätzende Abteilung dran, heute dürfen Komponisten hier mittels
Tonbuchstaben Kollegen würdigen oder – auch schön – sich selbst! Dazu begrüßt
Sie Dagmar Munck.
Titelmusik
Rätsel haben seit jeher etwas Faszinierendes. Von der Sphinx über das Orakel von
Delphi bis zum Rätsel „Um die Ecke gedacht“, ohne das die wöchentlich
erscheinenden „Zeit“ ihren Namen weniger verdient hätte. Denn daran knabbert man
am besten gemeinsam, wenn man noch Zeit für den Rest der Zeit haben möchte.
Es macht einfach Spaß, den Geist frei spielen zu lassen, sich in Witz,
Geistesgegenwart, Scharfsinn und Erfindungsgabe zu üben. Schiller und Goethe
haben kniffelige Rätselgedichte verfasst, auch Brentano und Mörike liebten
Umschreibungen, Andeutungen in allen Rätselformen, als Wort-, Sach- oder
Sinnrätsel, als Buchstabenrätsel, als Palindrom oder Anagramm, als Akrostichon
oder Silbenrätsel. In der Romantik war man dann natürlich für alles Geheimnisvolle
zu haben. Im Kreis um Robert Schumann übte man sich z.B. im Scharadespiel mit
Namen.
Das folgende, schlichte Rätsel ließ Schumann den Geiger Josef Joachim raten:
„3 Silben: die erst liebte ein Gott, die zwei andern viele Leser, das ganze lieben wir
alle.“
Die Auflösung am Ende dieser Musikstunde. Nein, das ist unfair, Sie werden es
kaum raten, denn es ist schon ein bisschen ein Insiderrätsel. Die erste Silbe liebte
ein Gott – das geht noch. Das ist Io, die Geliebte des Zeus – die zwei andern liebten
viele Leser – damit war Achim gemeint, Achim von Arnim, tja und das ganze lieben
wir alle, also Io + Achim – der Adressat des Rätsels: Josef Joachim natürlich.
Robert Schumann wohl einer der Chefverschlüssler in diesem Kreis. Seine Musik ist,
wie wir hier teils schon gesehen haben und auch noch weiter erleben werden, voller
Spielereien mit Tonbuchstaben. Vielleicht stehen ihm andere da nicht nach, aber
3
Schumann konnte oder wollte nicht dicht halten. Ist ja auch unerfreulich, wenn man
etwas versteckt und niemand sucht es! Schumann hat also gleich selbst
Lösungshilfen angeboten. In das Stammbuch seiner Schülerin Constanze Jacoby
schrieb er zur Erinnerung dieses achttaktigen Rebus – womit eigentlich ein
Bilderrätsel gemeint ist.
M0257501 ID 67
0‘58
Robert Schumann
Rebus aus Supplement zu „Album für die Jugend“ Für Klavier op. 68
Tobias Koch, Klavier
Das einzige Bild an diesem Noten-Rebus ist ein vorgemaltes großes L. Dann
erklingen in der Melodie die Töne a-es / d-a-es / f-a-d-e – sind sie noch dabei? Das
hieß bisher:“Lass das Fade“, und weiter geht es mit f-a-es / d-a-es / a-e-c-h-d-e
„Lass das Fade, fass das Aechte“ – der Poesiealbumsspruch fürs Leben. Und es
klingt zudem auch ganz nett.
So eingeschränkt sind die Möglichkeiten, mit Buchstaben etwas auszudrücken, also
nicht.
Und da es in der heutigen Musikstunde um die eigenen Unterschriften der
Komponisten geht und um buchstäbliche Widmungen an verehrte oder befreundete
Kollegen, hier gleich noch eine Verbeugung von Schumann vor dem dänischen
Komponisten Niels Wilhelm Gade. Gade kam mit Mitte 20 nach Leipzig.
Mendelssohn und Schumann waren von ihm begeistert und haben ihn kräftig
unterstützt. Als Gade zurück in die Heimat ging, hat Schumann ihm ein Albumblatt
übergeben, das er mit „Auf Wiedersehen“ übertitelt hat. Es beginnt gleich in der
Oberstimme mit den 4 Tönen des Namens GADE. Im zweiten Teil erscheinen sie im
Bass und weben sich dann durch das ganze Stück. Und in GADE steckt auch ADE,
Adé GADE.
M0257501 ID 42
2‘17
Robert Schumann
„Nordisches Lied“ aus dem Album für die Jugend op. 68
Tobias Koch, Klavier
4
GADE - ADE . Als „Nordisches Lied“ hat Robert Schumann diesen klingenden
Abschiedsgruß an und mit Niels W. Gade in sein „Album für die Jugend“
aufgenommen. Tobias Koch spielte ihn hier.
Fantastisch natürlich, wenn alle Buchstaben des Namens auch gleich Töne sind.
Was macht man aber z.B. mit einem Namen wie Haydn? Mit y und n?
Als sich 1909 Joseph Haydns 100. Todestag näherte, schrieb der umtriebige
Gründer und Herausgeber der Pariser Zeitschrift der „Société internationale de
musique“ Jules Ecorcheville verschiedene französische Komponisten an und bat sie
um eine Komposition auf den Namen Haydn.
Camille Saint-Saens wandte sich empört in einem Brief an Gabriel Fauré. „Ich habe
einen Brief von Ecorcheville erhalten, der Haydn feiern will. Damit hat er 100 Mal
recht! Aber er möchte, dass man Stücke über seinen Namen schreibt, über die Töne
H–A–D–D–G.
Niemals, absolut niemals habe ich gesehen, dass Y und N in der Notation
vorkommen und was soll die Zuordnung der deutschen Notennamen c-d-e-f-g-h- zu
do-re-mi-fa-sol ? Es wäre lächerlich, sich in ein Abenteuer einzulassen, das uns zum
Gespött der deutschen Musiker machen würde.“ Damit wollte auch Fauré nichts zu
tun haben, aber sechs andere Komponisten ließen sich darauf ein, allen voran
Debussy und Ravel, die auch für Ecorchevilles Zeitung arbeiteten und mit ihm
befreundet waren. Sie hat wohl das leicht skurrile Übertagungsverfahren nicht so
gestört. Zu den Tönen H–A–D–D–G für Haydn kam er nach folgender Methode:
man schreibe unter die Buchstaben a-b-c-d-e-f-g die nächsten 7, also h-i-j-k-l-m- n,
darunter die nächsten o bis u usw. und ordne jeweils die untereinander stehenden
einander zu. Es gibt eben leider nur 7 Töne in unserer diatonischen Tonleiter. Da das
Y dann unter D steht, wird es zu Ton D, und das N unter G eben zu Ton G.
Im Sonderheft der „Société Internationale de Musique“ erschien anlässlich des
Todestages von Josef Haydn im Januar 1910 zudem ein Prélude Elegiaque von Paul
Dukas, eine Fuge des Kompositionsprofessors Widor und diese sehr haydnsch
anmutenden Variationen von Reynaldo Hahn nebst einem Menuet von Vincent
D'Indy.
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19-003395 Track 3 2'28
Reynaldo Hahn
Thème varié
19-003395 Track 4 2'35
Vincent D'Iindy
Menuet
Margaret Fingerhut, Klavier
Mit dem Haydn-Thema im Ohr, das Reynaldo Hahn und Vincent D'Indy hier deutlich
herausgestellt haben, können Sie vielleicht leichter in Debussys Walzer auf
Themensuche gehen.
19-003395 Track 1 2'05
Claude Debussy
Hommage à Haydn
Margaret Fingerhut, Klavier
Claude Debussy hatte seinem Walzer prophezeit, dass er sich alsbald „in Rauch
auflösen“ werde. Aber seine geistreiche und nie vorhersehbare Behandlung des
vorgegebenen Haydn-Motivs hat dem Stück doch einen Platz in den
Konzertprogrammen der Pianisten gesichert. Maurice Ravel dreht und wendet das
Haydn-Thema in seinem Menuett nach allen Regeln der Kunst, vorwärts, rückwärts,
gespiegelt, vorwärts und rückwärts.
19-003395 Track 5 2'02
Maurice Ravel
Menuet sur le nom de Haydn
Margaret Fingerhut, Klavier
Ein „Menuet sur le nom de Haydn“ von Maurice Ravel, wieder gespielt von Margaret
Fingerhut.
Weil die Idee, ein Thema vorzugeben und darüber von diversen Komponisten Stücke
zu erbitten, ja keine schlechte ist, hat sie 1922 auch der Herausgeber der „Revue
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musicale“ aufgegriffen. Jetzt sollte es nun ausgerechnet um Gabriel Fauré gehen,
der sich ja bei dem Haydn-Projekt herausgehalten hatte. Vorgegeben hat er ein
Bandwurmthema, nach dem gleichen Muster gestrickt, nur mit Vor- und Nachnamen:
die Töne GABDBEE für Gabriel und FAGDEE für Fauré. Ravels Beitrag, die
„Berceuse sur le nom de Gabriel Fauré“ für Violine und Klavier, werden sie vielleicht
kennen, aber auch die Beiträge von Florent Schmitt, Charles Koechlin, Roger
Ducasse und Paul Ladmirault sind interessant. Und der des rumänischen
Komponisten Georges Enescu. Enescu hatte Fauré als Kompositionslehrer am
Conservatoire kennengelernt. Die Bezeichnung „senza rigore“ notiert er mehrmals
zur Ausführung seines kurzen Stückes – „ohne Härte“: für Fauré, der ein
ausgesprochen sanftmütiger Mensch gewesen sein muss.
19-003395 Track 16
1'40
Georges Enescu
Pièce sur le nom de Fauré
Margaret Fingerhut, Klavier
Margaret Fingerhut spielte Georges Enescus „Pièce sur le nom de Fauré“.
Und damit genug der Hommagen über vorgegebene Themen. Obwohl der
Herausgeber ob dieses Erfolges 1929 nochmal zu Albert Roussels 60. Geburtstag zu
weiteren musikalischen Geschenken aufgerufen hat. Dieses Mal ganz liberal: die
Komponisten durften sich das Thema, das sie für Roussel passend finden, selbst
ausdenken. Nur ein Schüler von Roussel war unter den Komponisten: Conrad Beck.
Die anderen waren die Kollegen Honegger, Poulenc, Tansman, Hoerée, Ibert, und
Milhaud.
Im unaufgeforderten Verschlüsseln von Botschaften in der Musik war Alban Berg der
rechtmäßige Erbe Robert Schumanns. Nur war er verschwiegener. Seine
Geheimnisse hat man teils erst posthum herausgefunden - davon in der FreitagsMusikstunde mehr. Alban Berg liebte es, mit Buchstaben, Namen, Zahlen und
Zitaten zu operieren und sie geheimnisvoll in Beziehung zueinander zu setzen. Alle
möglichen ihm wichtigen Personen hat er in seiner Musik untergebracht, von seiner
Frau Helene und der fernen Geliebten Hanna Fuchs, über seinen Lehrer Schönberg,
Freund Webern, bis zu weiteren Personen aus dem Schönberg Kreis, Mathilde
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Schönberg, Manon Gropius , der verstorbenen Tochter Alma Mahlers etc. Dazu
dienten ihm Tonanagramme, Kryptogramme und auch Zitate aus anderen Werken.
Im Streichquartett op. 3, in der lyrische Suite, in der Kantate „Der Wein“ und im
Violinkonzert kann man z.B. fündig werden. Zum 50. Geburtstag seines Lehrers
Arnold Schönberg hat Alban Berg ihm ein Kammerkonzert für Klavier und Geige mit
13 Bläsern komponiert und dazu netterweise die folgende kleine Erläuterung
mitgeliefert:
„In einem musikalischen Motto, das dem ersten Satz vorangesetzt ist, sind die
Buchstaben Deines, Anton Weberns und meines Namens, soweit dies in der
Notenschrift möglich ist, in drei Themen (bzw. Motiven) festgehalten, denen eine
bedeutende Rolle in der melodischen Entwicklung dieser Musik zugefallen ist. Wurde
schon damit eine Dreiheit der Ereignisse angedeutet, so ist eine solche – handelt es
sich ja um Deinen Geburtstag, und aller guten Dinge, die ich Dir wünsche, sind drei –
auch sonst für das ganze Werk maßgebend. So beginnt das Klavier mit der Tonfolge
A-D /Es-C-H-B-E-G für ArnolD SCHönBErG, die Violine fällt mit dem Motiv A / E-B-E
für Anton WEBErn ein, und schließlich intoniert das Horn die Töne A-B-A /B-E-G für
AlBAn BErG.“
M0018393 ID 1
4’57
Alban Berg
1. Satz: Thema scherzoso con variazioni aus dem Kammerkonzert für Violine,
Klavier und 13 Bläser
Pinchas Zukerman (Violine)
Daniel Barenboim (Klavier)
Ensemble InterContemporain
Leitung: Pierre Boulez
Man ahnt schon in diesen wenigen Takten des Kammerkonzert für Violine, Klavier
und 13 Bläser, zu welch komplexer Verschlüsselungstechnik Alban Berg fähig ist,
und wie unmöglich es auch ist, Bezüge herauszufinden, auf die der Komponist nicht
selbst hinweist. Man kann sie nicht hören und auch kaum sehen – dann welche Töne
sind die zentralen, die, die etwas kund tun? Damit kann man sich genauso endlos
beschäftigen, wie mit der Ergründung möglicher Zahlenbezüge. Da gibt es schon bei
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Bach abenteuerliche Deutungen, die möglicherweise sogar stimmen. Es scheint
vielen Komponisten Spaß zu machen, sich selbst zu beschränken und den
vorgegebenen Rahmen dann auszuloten.
Wie sprach Goethe? „Das Muß ist hart, aber beim Muß kann der Mensch allein
zeigen, wie's inwendig mit ihm steht. Willkürlich leben kann jeder.“
Drum.
Nach den gegenseitigen Freundschaftsbekundungen in Tonbuchstaben
nun noch zu den eigenen Autogrammen der Komponisten. Zu Meister Bach würde
kein Name besser passen, als diese vier wunderbar dicht beieinanderliegenden,
ineinander verschränkten Töne, das chromatische Motiv. Bach, wenngleich
bescheidener Diener der Kunst und gläubiger Mensch, hat sich in seinem Oeuvre
zurückgehalten mit dem eigenen Namenszug. Sein bekanntestes B-A-C-H findet sich
im letzten Contrapunctus aus seiner Kunst der Fuge. Er blieb unvollendet. Bachs
Sohn Carl Philipp Emmanuel hat in der Handschrift vermerkt. „Über dieser Fuge, wo
der Name BACH im Contrasubject angebracht worden, ist der Verfasser gestorben.“
– Eine Bachsche Geschichtsverklärung, wie wir heute wissen…
M0339704 ID 17
0‘23
Johann Sebastian Bach
Contrapunktus 14 (unvollendet) aus der Kunst der Fuge
Delmé Quartett
Die Nachwelt stürzte sich nicht nur auf das Werk Bachs, sondern auch auf seinen
wunderbar dicht klingenden Namen: für Fugen bestens geeignet und somit das
Lieblingsmotiv aller Organisten für Improvisationen An die 500 Werke huldigen dem
B-A-C-H und zwar bereits seit Bachs Zeitgenossen Jean-Philippe Rameau über
Schumann, Liszt, Reger, Schönberg und Poulenc bis heute.
Schönklingende Initialen hätte auch Bach Zeitgenosse Georg Friedrich Händel: GFH.
Mit denen unterschrieb er seine Werke. Wenn Sie interessiert, an welchen Stellen
die Buchstaben als Töne in seinen Werken auftauchen, dürfen sie sich gerne selbst
auf die Suche machen. Das hat meines Wissens noch niemand untersucht.
Oft müssen wir im Vermutungsbereich bleiben. Bei Franz Schubert z.B. da gäbe es
als Tonbuchstaben ein F, ein Es,C, H, B und E. Oder nur die Initialen? In dem EsDur Streichquartett, das er mit 17 geschrieben hat, ist die Keimzelle aller vier Sätze
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die aufsteigende große Sekunde Es – F. Zwei Töne, Schuberts Initialen - wir sind in
Österreich: Schubert Franz. Zufall? Alle vier Sätze beginnen damit. Im Scherzo stürzt
sich ein Auftakt-Es inklusive kurzem Vorschlag mit Schmackes eine Oktave abwärts
und löst sich sanft im F auf.
M0045179 ID 2+3? 1’55
Franz Schubert
Scherzo aus dem Streichquartett Es-Dur D 87
Hagen Quartett
ES -F– Schubert Franz. Mir scheint es möglich, dass Schubert hier seine Initialen
ausgetestet hat, zumal man ihm mit versteckten Tonnamen auch in Liebesdingen auf
die Schliche gekommen ist. Aber um die geht es hier in SWR2 erst in den nächsten
beiden Musikstunden dieser Woche. Das Hagen Quartett spielte hier das Scherzo
aus dem frühen Es-Dur Streichquartett.
Die deutsche Methode Buchstaben auf Töne zu übersetzen ist eindeutig
überschaubarer als die französische Übersetzungsmaschine: man nimmt entweder
die Anfangsbuchstaben des Namens, wie eben bei Schubert, oder zieht nur die
Buchstaben heraus, die Töne bezeichnen, und lässt die anderen weg – wie Berg es
eben schon vorgemacht hat.
Dadurch reduzieren sich auch die Möglichkeiten, dann klingt Arnold Schönberg
gleich oder ähnlich wie Robert Schumann. In beiden steckt das A-SCH, Arnold
SCHönberg oder SCHumAnn.
Schumann liebte es, mit seinem Namensstempel durch seine Klavierwerke zu
gehen.
Der Klavierzyklus Carnaval op. 9 verrät schon im Titel den Plan: „scènes mignonnes
sur quatre notes“. Diese 4 Töne erscheinen dann erst mitten im Stück, zwischen
Replique und dem Schmetterling, deklariert als „Sphinxes“: als mittelalterliche Brevis
im Bassschlüssel notiert. Bedeutungsvoll und schwer liegen die Notenrechtecke im
Notensystem.
Der gemeine Pianist übergeht das. Was soll man auch mit diesen „quatre notes“
machen? Herbert Schuch spielt die Sphinxes, geheimnisvoll verfremdet im Klang.
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M0343440.039
Anfang bis 0‘20
Robert Schumann,
Sphinxes aus Carnaval op. 9
Herbert Schuch, Klavier
Die Töne: Es-C-H-A mit Varianten. Schumanns Autogramm.
Das Schumann-Namensmotiv zieht sich in allen rhythmischen und
stimmungsmäßigen Variationen durch seinen Carnaval op. 9 und deutet damit auch
auf die autobiographische Dimension des Werkes. Auf dem Schumann‘schen
Carnavalsball tummeln sich zwischen den Gestalten der Comedia dell’Arte und der
französischen Stegreifkomödie, zwischen Figuren wie Pierrot, Arlequin, Coquette,
Pantalon und Columbine, die Gestalten seiner eigenen Fantasiewelt aus dem Umfeld
der Davidsbündler, Eusebius und Florestan, die zwei Seiten seiner eigenen
Persönlichkeit, und reale Figuren wie Chopin und Paganini. Und natürlich auch die
verehrten Frauen: die gerade mal 15-jährige Clara, spätere Frau Schumann, als
Chiarina und Schumanns aktuelle Verlobte Ernestine von Fricken als Estrella. Dem
Romantiker Schumann muss der Herkunftsort seiner Verlobten schicksalhaft
erschienen sein. Sie stammte aus dem böhmischen Ort Asch. Im Carneval lässt
Schumann im Stück A.S.C.H.-S.C.H.A., die seinen Buchstaben mit den ihren tanzen.
M0343440 ID 41-44
0’55 + 1’15 + 1’10 + 0’35 = 4‘00
Robert Schumann,
ASCH-SCHA, Chiarina, Chopin, Estrella aus Carnaval op. 9
Herbert Schuch, Klavier
Herbert Schuch mit den tanzenden Buchstaben A.S.C.H.-S.C.H.A., Chiarina, Chopin
und Estrella aus dem Carnaval op. 9, alle durchzogen von den Tonbuchstaben A-SC-H, selbst die kleine Clara und Estrella, die Noch-Verlobte Ernestine von Fricken
aus Asch, von der sich Schumann schon ein Jahr später wieder getrennt hat, 1835.
Die Töne ASCH sind – wir hatten es schon – auch in Arnold Schönbergs Namen
vertreten, der hat sogar noch ein paar mehr klingende Buchstaben: B, E und G.
Als Schönberg 1911 daran war, sein großes Oratorium Gurre-Lieder zu
orchestrieren, suchte er im Gegenzug nach einer radikalen Reduzierung der
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musikalischen Mittel. Die charakteristischsten Merkmale seiner sechs Klavierstücke
op. 19 sind „ihre äußerste Ausdrucksstärke und ihre außerordentliche Kürze“: Das
erste Stück ist mit 17 Takten schon das längste. In ihm hat Schönberg sich mit
seinem Tonnamen Aschbeg verewigt. Das wird leider kaum jemand hören können.
Selbst wenn man die Noten vor der Nase hat, bedarf es einiger Detektivarbeit.
M0054423 Track 9 1'30
Arnold Schönberg
Nr. 1 aus „6 kleinen Klavierstücke op. 19“
Markus Hinterhäuser, Klavier
„Leicht und zart“ hat er es überschrieben, das 1. der sechs Klavierstücke op. 19, das
Arnold Schönbergs Aschbeg-Signatur in Noten trägt.
Die Reihe der Autogramme in der Musik ließe sich noch lange weiterführen. Zu
reizvoll ist es für einen Komponisten, seinen Namen klingend in das musikalische
Geschehen einzuflechten: Brahms suchte aus seinem Nachnamen die Buchstaben
B-A-H-S und bastelte daraus seine Orgelfuge in as-moll, Bela Bartok erscheint als
Bartok, Bela, B-A-B-E,
und vielleicht hatte auch schon Josquin in seinem eigenen System sein Autogramm
untergebracht.
Manche Komponisten haben das Glück Namen wie Gade oder Fasch zu haben, oder
Cage oder eben Bach, der in seiner B-A-C-H Chromatik der dichteste und
eindringlichste aller möglichen Namen ist.
Da kommt nur noch Dmitri Schostakowitsch ran mit dem Namensmotiv, das er für
sich rausgesucht hat, das D-S-C-H.
M0097407 ID 7 Anfang bis 0‘06
Dmitri Schostakowitsch
Streichquartett Nr. 8 c-Moll, op. 110
Kronos Quartet
Die Töne D-S-C-H für Dmitri Schostakowitschs sind chromatisch genauso dicht, wie
Bachs B-A-C-H: Halbton hoch, kleine Terz runter und nochmal ein Halbton runter,
also vorne Sekundschritt nach oben, hinten ch wie Bach.
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Von seinem D-S-C-H Autogramm macht Schostakowitsch in seinem Werk regen
Gebrauch. Exzessiv allerdings erst nach Stalins Tod 1953. Davor war
Schostakowitsch gebeutelt von wechselnder Anerkennung und Abmahnung in einer
Abfolge, die nicht vorherzusehen war, in Stalins bekannter Verunsicherungstaktik.
Die 1936 erfolgreich aufgeführte Oper Lady Macbeth musste nach einem Besuch
von Stalin abgesetzt werden, 1948 stand er dann als Formalist auf der schwarzen
Liste – prominent neben Pokoffieff und Kabalewski. Über Nacht wurde er aller
Professuren enthoben. Gleichzeitig schickte man ihn aber als russisches
Komponisten-Aushängeschild ins Ausland, in die USA, im Gepäck Reden, die er zu
verlesen hatte und die das imperialistische Gehabe der Gastgeber anprangerten.
Kein schöner Auftritt, auch für die Gastgeber nicht! Schostakowitschs persönliche
Gefühle standen im krassen Widerspruch zu seinem öffentlichen Auftreten. Es wäre
ihm sofort als egomanischer Verrat an der sozialistischen Idee ausgelegt worden,
wenn er in seiner Musik Persönliches erkennbar geäußert, z.B. seine Initialen
lauthals verkündet hätte. Umso mehr hatte Schostakowitsch nach dem Ableben des
Diktators das Bedürfnis „ich“ zu sagen. Seine 10. Sinfonie erscheint als Abrechnung
mit Stalin. Auch im 1. Cellokonzert tauchen seine Initialen auf. Das 8. Streichquartett
– 1960 geschrieben - ist in allen 5 Sätzen durchdrungen vom D-S-C-H-Motiv. Er hat
es als Requiem für sich selbst gedacht.
Auf Druck war er kurz vor seiner Abreise in die DDR, wo er an einer Filmmusik
arbeiten sollte, in die KPdSU eingetreten, weil man ihn zum Vorsitzenden des
Komponistenverbandes der Russischen Republik ernennen wollte. Das hat
Schostakowitsch als schwere moralische Niederlage empfunden. Nach einem
Nervenzusammenbruch plagten ihn Selbstmordgedanken. An einen Freund schrieb
er:
„… Wie sehr ich auch versucht habe, die Arbeiten für den Film im Entwurf
auszuführen, bis jetzt konnte ich es nicht. Und stattdessen habe ich ein niemandem
nützendes und ideologisch verwerfliches Quartett geschrieben. Ich dachte darüber
nach, dass, sollte ich irgendwann einmal sterben, kaum jemand ein Werk schreiben
wird, das meinem Andenken gewidmet ist. Deshalb habe ich beschlossen, selbst
etwas Derartiges zu schreiben. Man könnte auf seinen Einband auch schreiben:
‚Gewidmet dem Andenken des Komponisten dieses Quartetts’.“
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Er beginnt gleich mit den Initialen D-S-C-H. In geradezu demütiger Kontrapunktik
sind die Töne gesetzt, beinahe archaisch, mit gleichbleibenden Notenwerten
durchziehen sie alle Stimmen.
M0097407 ID 7
4‘57
Dmitri Schostakowitsch
1.Satz aus dem Streichquartett Nr. 8 c-Moll, op. 110
Kronos Quartet
Das hat Dimitri Schostakowitsch sich selbst zum Andenken geschrieben hat. Das
Kronos Quartet spielte den 1. Satz aus Schostakowitschs c-moll-Quartett op. 110.
Morgen an dieser Stelle geht es in der SWR2 Musikstunde endlich um Liebesdinge verschlüsselt in Noten. Bis dahin verabschiedet sich Dagmar Munck.
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