PRESSEMITTEILUNG - Universität Hohenheim

Werbung
UNIVERSITÄT HOHENHEIM
PRESSE UND ÖFFENTLICHKEITSARBEIT
Telefon: +49(0)711 459-22001/22003
Fax:
+49(0)711 459-23289
E-Mail: [email protected]
Internet: http://www.uni-hohenheim.de
24.09.2008
PRESSEMITTEILUNG
Noch 1 Jahr bis zur Bundestagswahl (27.9.09):
„Einen amerikanischen Wahlkampf wird es hier nicht
geben!“
Wahlkampf im Visier der Forschung: Universität Hohenheim liefert Themen, Analysen,
Hintergründe zur US-Präsidentschaftswahl (Teil 2)
Vollständiges Themenpaket unter www.uni-hohenheim.de/us-wahl
Inszenierung vor Inhalten, Persönliches vor Politischem, Personen vor Parteien – droht
auch im deutschen Wahlkampf der Einbruch amerikanischer (Un-)Sitten, wie Kritiker
befürchten? „Jein“, so die Analyse von Prof. Dr. Frank Brettschneider, von der Universität
Hohenheim, aus laufenden Forschungen zum US-Wahlkampf und neuen Trends in der
politischen Kultur der Bundesrepublik. Sein Urteil: Vor den auffälligsten Auswüchsen aus
den Staaten bewahren uns in Deutschland Parteiensystem, politische Tradition und
strengere Gesetze. Die tatsächlichen Gefahren der Amerikanisierung blieben von der
Öffentlichkeit eher unbeachtet: Auch hierzulande droht die schleichende Entwicklung hin
zum gläsernen Wähler.
Eine der zweifelhaftesten Errungenschaften des US-Wahlkampfs ist für Prof. Dr. Brettschneider,
vom Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft, das sogenannte Micro-Targeting: Dank lascher
Datenschutzbestimmungen in den USA können Parteien ihren Wahlkampf fast schon auf
Einzelpersonen ausrichten.
„So ist es zum Beispiel möglich, persönliche Daten von Kreditkartenunternehmen einzukaufen.
Zusammen mit Daten aus den öffentlich zugänglichen Wählerverzeichnissen der USA, gelänge
es den Parteien so, bis auf einzelne Häuserzeilen genau zu rekonstruieren, wo ihre potentiellen
Wähler wohnen, um diese dann mit einem maßgeschneiderten Wahlkampf zu umwerben.“
Werbeanrufe beim Gläsernen Wähler
Das Prinzip des Gläsernen-Wählers ginge soweit, dass Parteien am Nachmittag des Wahltags
einzelne Wähler, deren Profil ihnen Stimmen versprächen, anriefen, um sie zum Urnengang
aufzufordern. „Dabei bedienen Sie sich ganz legal der Wählerverzeichnisse, um die
Unentschlossenen herauszufiltern, die bis dahin noch nicht gewählt hatten.“
1/4
Unvorstellbar in Deutschland? „Noch“, warnt Prof. Dr. Brettschneider, „Doch schon jetzt bedienen
sich die Parteien aus Daten der Marktforschung, um gezielter werben zu können. Auch die
zahlreichen Direktmarketing-Institutionen verkaufen bereits Informationen über Alter, Geschlecht
und Milieu-Zugehörigkeit. Hier müssen wir wachsam bleiben.“
Nicht nur oberflächlich - Entwarnung bei weitverbreiteten Klischees
Zugegeben, es stehe außer Frage, dass sich der Wahlkampf in Deutschland verändert habe.
„Gerade auf den Privatsendern hat eine Boulevardisierung von Wahlkampfthemen stattgefunden,
die verstärkt Themen wie die Frisur der damaligen Kanzlerkandidatin Angela Merkel und
Verbraucherminister Horst Seehofers unehelichen Nachwuchs zum Berichtsinhalt werden
lassen“, bestätigt Prof. Dr. Brettschneider.
Gleichzeitig hätten sich die Politiker nicht nur darauf eingelassen, sondern bemüht, diesen Trend
zu ihren Gunsten zu instrumentalisieren: „Schon in den 80er Jahren ließ sich der damalige
Bundeskanzler Helmut Kohl im Umgang mit den Medien von bekannten Journalisten beraten – oft
verfügten diese über einen Boulevardzeitungs-Hintergrund“, berichtet Prof. Dr. Brettschneider.
Generell seien Inszenierung und Boulevardisierung in Deutschland von den US-Verhältnissen
jedoch „noch meilenweit entfernt“, so Brettschneider: „Ein Grund ist, dass die Organisation des
Wahlkampfs in den USA weitgehend in den Händen professioneller externer Berater liege. In
Deutschland wird der breite Wahlkampf von Parteimitgliedern getragen, das demokratisiert den
Wahlkampf – lässt ihn aber auch hausbackener erscheinen. In den USA fehle den Parteien
schlicht die Basis dazu.“ Ein weiteres Bollwerk gegen solche Tendenzen bildeten die
öffentlich-rechtlichen Sender, die für sachlichere Berichterstattung stünden und Sendezeit nach
Proporz zuteilten.
Hinzukomme noch eine gewisse Rest-Beißhemmung unter deutschen Kandidaten, die in den
USA viel geringer ausgeprägt sei. Was daran liege, dass „der Wettbewerbsgedanke tiefer in der
US-amerikanischen Mentalität verankert ist: Negative Campanging, also die verbalen Attacken
auf den politischen Gegner, wie sie dieses Jahr vor allem bei Hillary Clinton gegen Ihren
Parteikontrahenten Barack Obama zu beobachten war, wird von Amerikanern ganz anders
wahrgenommen als von Deutschen.“
Wahlentscheidend sei die neue Oberflächlichkeit jedoch weder in den USA noch in Deutschland:
„Studien belegen: TV-Duelle und Co führen nicht dazu, dass Amerikaner oder Deutsche in
Wahlkabine nach Aussehen und Auftreten entscheiden.“
Das US-Wahlsystem begünstigt Individualisten, das deutsche die Parteien
Auch die Furcht, dass der in Deutschland übliche Wettbewerb zwischen verschiedenen
Parteiprogrammen von einem Wahlkampf abgelöst würde, bei dem sich nur noch schillernde
Einzelpersonen präsentierten, sieht Prof. Dr. Brettschneider so nicht gegeben. „Bislang gibt es in
Deutschland keine nachweisliche Entwicklung hin zu einer personenfixierten Berichterstattung“,
so Prof. Dr. Brettschneider: „In einem Wahljahr wird ein Kanzlerkandidat zum Superstar stilisiert,
im nächsten steht dann wieder mehr die Partei im Vordergrund.“
Richtig sei dagegen, dass in US-amerikanischen Zeitungen immer weniger von Parteien die Rede
sei, berichtet der Kommunikationswissenschaftler: „Alles dreht sich um die Spitzenkandidaten.“
2/4
Ein wichtiger Grund dafür liege im US-amerikanischen Wahlsystem. Anders als in Europa wird
der Regierungschef und das Staatsoberhaupt – beides ist der US-Präsident – praktisch direkt
vom Volk gewählt.
„Die Parteien werden in den USA tatsächlich eher als Bündnisse auf Zeit angesehen“, weiß Prof.
Dr. Brettschneider. „Bizarrerweise denken ausgerechnet die Bürger der größten Macht der Erde
selten über den Lokalkreis hinaus: Es gibt die Politiker vor Ort und den Präsidenten als starkes
Individuum. Das Bewusstsein, dass eine Partei Bundespolitik macht und der Präsident nur ein
Repräsentant ist, fehlt." Entsprechend hätten Republikaner und Demokraten auch erst in den
1980er Jahren nationale Geschäftsstellen eingerichtet.
In Deutschland würden Kandidaten dagegen normalerweise nicht losgelöst von ihren Parteien
wahrgenommen, erklärt der Kommunikationswissenschaftler. Hierfür sorge auch auf absehbare
Zeit das parlamentarischen Wahlsystems der BRD.
Gleichzeitig verfügten Parteien der BRD nicht nur über eine größere Einheit, sondern seien auch
tiefer in der Gesellschaft verwurzelt: „Während die SPD in Deutschland beispielsweise unter
protestantischen Arbeitern und die CSU unter traditionsbewussten Katholiken Stammwähler
rekrutieren kann, ist die Zahl der Wechselwähler in den USA deutlich höher“, erklärt Prof. Dr.
Brettschneider. „Das führt automatisch zu einem heftigen Kampf um die Stimmen.“
Gebremste Macht der Meinungsumfragen
Außer auf die Spitzenkandidaten stürzen sich die US-Medien bis zur letzten Minute auch mit
Freude auf Umfrageergebnisse. „Dieser sogenannte Horserace-Journalismus nimmt auch in
Deutschland von Jahr zu Jahr zu“, so Prof. Dr. Brettschneider. Allerdings sei in Deutschland die
Veröffentlichung von Umfrageergebnissen unmittelbar vor der Wahl verboten. „So stehlen
Umfragen inhaltlichen Debatten zwar nicht vollkommen die Schau, andererseits werden
Wählerinnen und Wählern aber auch wichtige Informationen über die Stimmung in der
Bevölkerung vorenthalten.“
Zur Person:
Sein Freitag gehört der US-Präsidentschaftswahl: Jeweils zum Ende der Woche wertet Prof. Dr.
Frank Brettschneider gemeinsam mit dem Inhaltsanalyseinstitut Media Tenor International
Wahlumfragen und Berichterstattung von ABC, CBS, NBC, Fox News, Time und Newsweek über
den Wahlkampf jenseits des Atlantiks aus. In seinem DFG-geförderten Projekt „Die
Amerikanisierung der Medienberichterstattung über Wahlen“ geht der
Kommunikationswissenschaftler der Frage nach, ob sich die Wahlberichterstattung der deutschen
Massenmedien an die der amerikanischen Fernsehsender und Tageszeitungen angleicht und
welche Konsequenzen dies für das Wahlkampfmanagement in Deutschland hat. Zu seinen
generellen Forschungsschwerpunkten zählen die Medienwirkungsforschung, die Wahl- und
Einstellungsforschung, das Themenmanagement in Wirtschaft und Politik sowie das
Communication Performance Management. Ein zweites Forschungsprojekt beschäftigt sich mit
der Wirtschaftsberichterstattung der Massenmedien und ihren Konsequenzen für die
Wahrnehmungen und Verhaltensweisen der Menschen (u.a. Anleger- und
Konsumentenverhalten).
3/4
Text: Leonhardmair / Klebs
Kontaktadresse (nicht zur Veröffentlichung):
Prof. Dr. Frank Brettschneider, Universität Hohenheim, Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft
Tel.: 0711 459- 24030, E-Mail: [email protected]
4/4
Herunterladen