ABSTRACTS ZUSCHAUERN ZUSCHAUEN. AS-SOCIATIONEN DES FERNSEHENS Markus Stauff Universiteit van Amsterdam Die mediale Grundsituation des Fernsehens – dass es massenhaft aber meist in privaten Räumen rezipiert wird – wirft von vornherein die Frage nach der Beziehung zwischen häuslicher Intimität und gesellschaftlicher Öffentlichkeit, zwischen Individuum und Kollektiv auf. Das Fernsehen stellt dieses Problem aber nicht einfach in den Raum, sondern arbeitet sich in seiner historischen Entwicklung selbst immer wieder an diesem Problem ab und macht Vorschläge, wie As-Sociation im Zeitalter des Fernsehens aussehen könnte. Am deutlichsten wird dies, wenn das Fernsehen den Akt des Zuschauens zum Thema macht: In verschiedensten Programmformen zeigt sich die Tendenz nicht nur Dinge oder Ereignisse zu zeigen, sondern zugleich Zuschauer, die auf diese Dinge oder Ereignisse reagieren – insofern dieses ‘Zuschauern zuschauen’ in den gegenwärtigen Applikationen ‘neuer’ Medien sehr viel weniger als beim Fernsehen umgesetzt wird, kann es als eine für das Fernsehen charakteristische und eventuell vor der Ablösung stehende As-Sociationsform betrachtet werden. Der Vortrag wird zunächst unterschiedliche Varianten, Zuschauern zuzuschauen (etwa bei Medienereignissen, Reality TV, Talk Shows etc.), unterscheiden, um dann nach ihrer jeweiligen Modellierung des Sozialen zu fragen. KEYNOTE DIGITAL HOUSEWORK AND THE CHANGING AESTHETICS OF TELEVISION Charlotte Brunsdon University of Warwick Nicht verfügbar. DIE DYSTOPIE FERNSEHEN Vrääth Öhner Universität Wien Im Gegensatz zum Film, dessen utopisches Potenzial im Lauf seiner Geschichte immer wieder hervorgehoben wurde, hat man dem Fernsehen, abgesehen vielleicht von der Phase seiner Entwicklung, ein solches Potenzial nie zugetraut. Im Gegenteil. Von Günther Anders’ „Negativem Familientisch“ über Neil Postmans „Wir amüsieren uns zu Tode“ bis hin zur These von Gilles Deleuze, nach der das Fernsehen „die Sozialtechnologie im Reinzustand“ sei, artikuliert sich der immer wiederkehrende Verdacht, dass Fernsehen und Freiheit zwei grundverschiedene Dinge sind, die nicht zusammengehen. Die Extremposition hält in dieser Hinsicht Jerry Mander, der in seiner 1979 auch auf Deutsch erschienenen Streitschrift „Schafft das Fernsehen ab!“ dem Fernsehen vorwirft, es mache süchtig und eigne „sich eher zur Gehirnwäsche, zu künstlicher Einlullung oder Hypnotisierung denn als Mittel zur Anregung bewusster Lernprozesse.“ Wie die rezente Debatte über den Zusammenhang von Fernsehkonsum und sozialer „Unterschicht“ zeigt, fällt es bis zum heutigen Tag schwer, die „Tatsache des Fernsehens“ (Stanley Cavell) zu akzeptieren. Im Zentrum der Ausführungen wird deshalb die Frage nach den konkreten Einsätzen stehen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten von der umfangreichen dystopischen Literatur zum Fernsehen jeweils ins Spiel gebracht wurden. Ein Beitrag zur Archäologie der gouvernementalen Funktion von Angst. |1| FAKT, FETISCH, FAITICHE: FERNSEHEN Christina Bartz Universität Paderborn Der Beitrag möchte ausgehend von Bruno Latours Begriffspaar Fakt und Fetisch sowie dem damit verbundenen Neologismus Faitiche ein Konzept entwickeln, das der Analyse der Produktion von Wissen und Glauben über die Gesellschaft mittels des Fernsehens dient. Das Fernsehen hat in diesem Konzept die Position eines Fetischs. Damit ist gemäß Latour eine leere Form gemeint, mit der die Unterstellung verbunden ist, dass Glaubensvorstellungen auf das bedeutungslose Objekt projiziert würden. Dieser Fetischbegriff lässt sich für das Fernsehen produktiv machen, insofern die Medienkritik gegenüber dem Fernsehen entsprechende Vorwürfe äußert. Welche Konsequenzen die medienkritische Klage für die Wissensproduktion hat und wie sich Fernsehen, Medienkritik und gesellschaftliche Differenzen im Zuge dessen gegenseitig stabilisieren, sind Fragen, denen der Vortrag nachgehen wird. ÄSTHETISCHE KONZEPTE DES GEWÖHNLICHEN UND DAS NEBENSCHICHTENFERNSEHEN Herbert Schwaab Universität Regensburg Dieser Beitrag versucht im Gegensatz zu Jane Feuers Definition, nach der sich seit den 1970er Jahren Quality Television darüber bestimmt, sich eine ‚quality audience‘ konsumfreudiger und distinktionsichere Zuschauer zu schaffen, ein Genre zu skizzieren, das sich dieser Form der Adressierung verweigert und das Publikum als zugleich sozial und kulturell disparates als auch versammeltes Publikum anzusprechen versucht. Hierbei steht eine philosophische Reflexion des Begriffs Alltags im Mittelpunkt, die dem Fernsehen noch immer eine Rolle als seine Inhalte weit streuendes und im ‚flow‘ platzierendes Medium begreift. Der Beitrag bezieht sich auf Fernsehen, das seine Anbindung an Alltäglichkeit nicht aufhebt und ihr eine Deutung zu geben versucht, gleichzeitig aber die Brüche und Widersprüche im Alltag zum Gegenstand seiner Darstellung macht – etwa in der Anbindung einer Sitcom wie Home Improvement an die Fernsehwelt der Heimwerker-Sendungen, die zu einer verspielten und komplexen Auseinandersetzung mit dem ‚einfachen‘ Publikum und der Gewöhnlichkeit des Fernsehens führt, die in einer armseligen Ästhetik irritierende Momente zu integrieren vermag. Dieses Fernsehen wird als Negation des aktuellen Quality Television betrachtet, dem es um ein ‚brand marketing‘ seiner Produkte und ihrer Verwertung als Gegenstände des Bezahlfernsehens oder als DVD geht. Der Beitrag wird deutlich machen, wie hier der von den Serien angesprochene Zuschauer zu einem aktiven Beteiligten an der Zerstörung des Fernsehen und der Transformation der Medienkultur, der Konstitution und Naturalisierung eines neuen Fernsehen, das sich jeglichen Versuch der Versammlung eines sozial disparaten Publikums unter einem Medium verweigert und es zu einem von Irritationen bereinigten Feld werden lässt. SOZIALEXPERIMENTE IM FERNSEHEN Ramón Reichert Universität Wien Auf der Suche nach normen- und wertsetzender Selbstlegitimation hat das Fernsehen populärwissenschaftliche Formate televisueller Menschenversuche entwickelt, mit denen es versucht, Wahrheitsdiskurse mit spezifischen Machteffekten und Kontrollphantasien zu überlagern. Vor diesem Hintergrund haben sich in der gegenwärtigen Programmkultur des Fernsehens dokumentarisierende Formate etabliert, deren Versuchsanordnungen etwa die populären Dramen der sozialpsychologischen Episteme im Reenactement in Szene setzen (Obedience, 1961; Stanford Prison Experiment, 1971). Diese Formate befassen sich aber weniger – so meine These - auf neutrale Weise mit der Wissenschaftsgeschichte des Menschenversuchs im 20. Jahrhundert, sondern nehmen immer auch die grundsätzliche Konditionierbarkeit des Menschen durch mediale Anordnungen in den Blick. So versucht das Fernsehen in seiner Profilierung als zielgruppen-spezifische „Dienstleistungsagentur“ (Eggo Müller), den Experimentalkörper vor der Kamera nicht nur passiv auszustellen, sondern entwickelt auch darüberhinausgehend extradiegetische Adressierungs-funktionen, die auch das Fernsehpublikum in die Experimentalanordnung involvieren soll: Sozialexperimente im Fernsehen spekulieren folglich immer auch mit der Herstellung von Medienöffentlichkeit, Agenda Setting und sozialer Wirksamkeit. |2| DIE COUCH DER GESELLSCHAFT Matthias Thiele TU Dortmund In dem Beitrag wird es um das Sofa als zentralen Gegenstand und Ding des Fernsehens gehen, durch das das Medium in Shows, Magazinsendungen, Sitcoms und Fernsehserien sich selbst als Geselligkeit und Gesellschaft visuell hervorbringt. Zu denken ist an die berüchtigte Wetten, dass...-Couch, an das rote und blaue Sofa von NDR-Magazinsendungen, an die Couch im Sat.1-Frühstücksfernsehen und ihren im Internet zelebrierten „Leg-Queens“, an die Konfiguration Couch-Fernseher-Kühlschrank in Sitcoms, die durch dieses Dreieck die Fernsehgesellschaft thematisieren, wobei sie nicht nur Ideen und Ikonografien der Zweisamkeit, der Familie und des Freundeskreises herstellen, sondern Gesellschaft auch als Konflikt und Störung (z.B. Streit um den Fernseher oder Präsenz der Nachbarn) problematisieren (Married with children, King of Queens, Friends, Frasier usw.). Von Relevanz werden ebenfalls das System und die Politiken der Sitzgelegenheiten sein, also die Opposition Couch vs. Stuhl oder Sofa vs. Lazy-Boy. So setzt die (Polit-)Talkshow als postdemo-kratisches Gesellschaftsbild des Meinungsstreits auf Stühle – Anne Will oder Maybrit Illner auf dem Sofa wären undenkbar. Selbstverständlich wird es schließlich auch um die Figur des Couchpotato und den mediopolitischen ‚Unterschichtenfernsehen‘-Diskurs gehen. Es soll also diskursanalytisch und praxeologisch die Couch als symbolisch aufgeladenes und wirkmächtiges Objekt und widerständiges Ding des Fernsehens, durch das Bilder des Sozialen der Fernsehgesellschaft erzeugt und Konzepte des Sozialen imaginiert und zirkuliert werden, in den Blick genommen werden. RAUS AUS DEN SCHULDEN“. APPLIKATIONSVORGABEN FÜR DAS ‚UNTERNEHMERISCHE SELBST’ Rolf Nohr HBK Braunschweig Die aktuelle Fernsehlandschaft zeichnet sich durch eine Vielzahl an ›Erzählformen‹ aus, in deren Zentrum einen Anleitung zur ›guten Lebensführung‹ zu stehen scheint: Erziehungsratgeber für Kind und Hund, Makeover-Shows für persönlichen Stil, Kosmetik, das eigene Heim oder das Auto bis hin zu Kochshows und Ernährungsratgebern. Diesen Formaten scheint allen gemein zu sein, dass sie Felder und Praktiken des Normalen definieren und in spielerischer Form an die Applikation der in dieses Formen vorgelegten Wissensformen heranführen. These des Vortrages ist es, dass einer der innerhalb dieser Artikulationspraktiken stabilisierten Wissenskomplexe das ›unternehmerische Selbst‹ ist, wie es innerhalb der auf Foucault rekurrierenden gouvernementalitystudies oder den Arbeiten Ulrich Bröcklings veranschlagt wird. Dahinter steht die Annahme, dass eines der verbindenden Elemente dieser disparaten Erzählformen das Primat des Ökonomischen ist. Durch die Bereitstellung unterschiedlichster und disparater Applikationsvorgaben formt sich ein diffuses und breit ausstreuendes Geflecht von Regierungspraktiken, die das Subjekt an Paradigmen effizienter und rationaler Steuerung und Kontrolle der Prozesse der eigenen Lebensführung adaptiert. Dies kann auch als ein Ergebnis der unterschiedlichen »Kontrollkrisen« (James R. Beniger) verstanden werden: Angesichts von Veränderung oder Verschiebungen des ökonomischen, sozialen und politischen Ordnungsgefüges (anlässlich beispielsweise der Industrialisierung oder des Umbaus von einer Produktions- zu einer Dienstleistungsgesellschaft) sind hier vor allem Veränderungen im ordnungs- und regierungspolitischen Sinn zu erwarten. Aktuell – so die These – sind es vor allem die medial zirkulierten naturalisierten Applikationsangebote, die dem Subjekt Orientierungsrahmen für eine spezifische Rationalitätskonstruktion von Ökonomie, Politik und Subjekt anbietet. Für das Verständnis der diesen ›Dokutainment‹-Formaten zugrunde liegenden Rationalität ist es notwendig, die maßgeblichen Steuerungstechniken und Handlungsmodelle zu identifizieren, die deren innere und (äußere Form) determinieren, um aufzeigen zu können, wie die ›Infiltration‹ von vorgeblich rein ›unterhaltenden‹ Praktiken durch spezialdiskursives Wissen stattfindet und wie die ›gute Lebensführung‹ als eine Formen der (ökonomischen) Handlungsoptimierung, der Selbstadaption und des Selbstmanagements verstanden werden kann. |3| ICH SEHE WAS, WAS DU (NOCH) NICHT SIEHST ZUR VERHANDLUNG DES MEDIAL-SOZIALEN Uwe Wippich Ruhr-Universität Bochum Das Fernsehen als Agentur des Sozialen setzt in seiner Produktivität auf mediale Konstellationen, die in ihrer Funktion und in ihrer Bedeutung durchaus als "Agenten" bezeichnet werden können. Was tun Agenten? Sie tauschen Informationen aus, beobachten und beobachten sich beim Beobachten und agieren - je nach Auftraggeber - mit- oder gegen-einander. Doch die Agenten televisueller Mikropolitiken sind mehr als die Repräsentanten eines politischen oder wirtschaftlichen Systems oder die medial ausgewiesenen Experten für Fragen des sozialen (Über-)Lebens. Das televisuelle "Sich-Kümmern" und "Be-Sorgen" ist an mediale Konstellationen geknüpft, welche Verhandlungs-optionen etablieren, in die sich eine ganze Reihe von Akteuren bis hin zum Zuschauer strukturell integrieren lassen und die zugleich soziale Bewertungssysteme sowie Distinktionspraktiken aufrufen. Die dafür erforderlichen medialen Techniken ermöglichen Dynamisierungen televisueller Mikropolitiken, sie stoßen Prozesse an, verlangsamen und beschleunigen Handlungen, formieren mediale Arbeit und Affekte, liefern Beweise und evozieren Urteile. Dabei sind verschiedene Kategorien der Sichtbarkeit, der Unsichtbarkeit, des Sagens und des Sagbaren entscheidend, die jeweils medial konstruiert werden. Der Beitrag untersucht diese medialen Konstruktionen, Konstellationen und Arbeits-weisen televisueller Agenten des Medial-Sozialen im so genannten Reality-TV. REPRÄSENTATIONEN VON ‚WHITE TRASH’ IN US-AMERIKANISCHEN SERIEN Ralf Adelmann Universität Paderborn Im Film wird White Trash häufig durch exzessiven Fernsehkonsum und durch die Formate des tabloid television charakterisiert (siehe "Natural Born Killers"). Fernsehen ist im Film das Medium der 'Unterschicht'. In aktuellen US-amerikanischen Serien dringen die Stereotype des White Trash verstärkt in die Ästhetik und Narration des Fernsehens vor. Das Konzept des White Trash wird dabei neu ausgehandelt und erfährt eine Re-Aktualisierung oder Neujustierung. Auf Basis dieser medialen Diskursgeschichte des White Trash sollen Repräsentationsstrategien aktueller USamerikanische Fernsehserien untersucht werden. In den Narrationen von "Breaking Bad", "Dexter", "The Shield", "Weeds" oder "Battlestar Galactica" werden die Abstiegsszenarien und -ängste der Mittelklasse durchgespielt oder Versatzstücke der Ikonographie des White Trash aufgenommen. Insgesamt ermöglichen die seriellen Grenzgänge zur 'Unterschicht' eine Dynamisierung, durch die sich die ästhetische mit der sozialen Sphäre produktiv verbinden kann. ECHTE LESBEN?! KLASSENSPEZIFISCHE ADRESSIERUNG IN REALITY /QUALITY QUEER TV Andrea B. Braidt Universität Wien Die Geschichte der Konstruktion von lesbischen Charakteren im Fernsehen hat mit der Ausstrahlung von „The L-Word“ (Showtime, 2004-2009, 6 Staffeln) einen benchmark erhalten, der von einer prä- und post-Ära sprechen lässt. Gerade weil The L-Word die erste – und bis dato opulenteste - epische Erzählung lesbischer Lebensentwürfe darstellt, wurden die Erwartungen bezüglich der Konstruktionsleistung der Serie hinsichtlich Diversität der Charaktere, Repräsentation möglichst vieler „issues“ der „community“ und Inklusivität der Adressierung (alle Lesben sollten sich angesprochen fühlen) hoch geschraubt. Kaum ein anderes Format rang so augenfällig mit dem Anspruch von Authentizität, nach Ausstrahlung der letzten Staffel wurde mit „The Real L-Word: Los Angeles“ (Showtime, 2010, 9 Folgen) ein reality format der Serie nachgereicht. |4| Im Vortrag möchte ich untersuchen, wie die Frage der Klassenkonstruktion und –adressierung im Fernsehen angesichts erfolgt. Nach einer Klärung des Konzepts von Queer TV soll an The L-Word und The Real L-Word dargestellt werden, ob das Zielpublikum von Queer TV ähnlich „schichtspezifisch“ mit Quality oder Reality umgeht bzw. ob sich die Frage nach der Klassenproduktion im Queer TV nicht gänzlich anders zu stellen hat. Insbesondere das Konzept der „Telepistemology of the Closet“ (S. Chambers, 2003) – also die Erkenntnis über Versteck und Entdeckung von Homosexualität sowohl in den Formaten und deren Erzählkonstruktionen als auch an der Konsole vor den Bildschirmen – wird hierbei eine wesentliche Rolle spielen. |5|