FORTBILDUNG SEMINAR Metabolisches Syndrom und Hypogonadismus Testosteron schützt das Diabetikerherz MMW-Fortbildungsinitiative: Diabetologie für den Hausarzt Regelmäßiger Sonderteil der MMW-Fortschritte der Medizin L. S c h a a f Herausgeber: Fachkommission Diabetes in Bayern – Landesverband der Deutschen Dia­betesGesellschaft, Dr. med. Andreas Liebl (1. Vorsitzender) m&i-Fachklinik Bad Heilbrunn Wörnerweg 30, D-83670 Bad Heilbrunn Leidet Ihr Patient unter Stimmungsschwankungen und sexueller Unlust? Und ist bei ihm zusätzlich ein metabolisches Syndrom bekannt? Dann sollten Sie einen Hypogonadismus abklären und eine Testosteronsubsti­ tution ins Auge fassen. Einer aktuellen Metaana­lyse zufolge profitieren adipöse Männer mit metabolischen Störungen von Testosteron im Hin­ blick auf ihr kardiovaskuläres Risiko. Max-Planck-Institut für Psychiatrie, München, und Klinikum München Schwabing −− Das metabolische Syndrom ist je nach Fachgesellschaft unterschiedlich defi­ niert (s. Tab. 2, S. 67). Da die abdominel­ le Adipositas mit einer Insulinresistenz korreliert, wird im Allgemeinen die Rol­ le der Insulinresistenz als pathophysio­ logische Grundlage des metabolischen Syndroms hervorgehoben [1]. Da jedoch nur 48% der Patienten mit einer Insulin­ resistenz wirklich ein metabolisches Syndrom aufweisen, wurde in jüngerer Vergangenheit das Konzept „einheitli­ che Pathogenese der einzelnen Fakto­ ren“ in Frage gestellt [2]. Das viszerale Körperfett ist ein endo­ krines Organ, das in enger Wechselwir­ kung mit Testosteron steht. Es gilt als hoch aktives endokrines Organ, sodass bei Männern ein Zusammenhang zwi­ schen viszeralem Fett und Testosteron­ produktion gezeigt werden konnte [3]. Eine weitere wichtige Rolle bei Testos­ teronmangel und metabolischem Syn­ drom spielen inflammatorische Stoffe/ Interleukine und Leptin, die von den MMW-Fortschr. Med. 2015; 157 (15) hormonell aktiven Zellen des Bauchfett­ gewebes ausgeschüttet werden. Zusätz­ lich fördert ein Mangel an Testosteron die weitere Akkumulation von viszera­ lem Fett [4]. Abb. 1 fasst die wichtigsten hormonellen Veränderungen bei Adipo­ sitas bzw. metabolischem Syndrom zu­ sammen. Die Wechselwirkungen zwischen Hy­ pothalamus-Hypophyse einerseits, dem viszeralen Fettgewebe andererseits und den Leydig-Zellen des Hodens sind sche­ matisch in Abb. 2 dargestellt. In Analo­ gie zu anderen endokrinen Störungen ist die Wahrscheinlichkeit für einen Hypo­ gonadismus mit zunehmendem Alter des Mannes erhöht. Allerdings gibt es keine sogenannte definierte Andro­pause [5]. Das Altern per se ist keine Ursache für ein Sinken der Testosteron-Serum­ konzentration [6]. Wie zeigt sich ein Testosteron­mangel? Typische Manifestationen des männli­ chen Testosteronmangels betreffen die Stimmung, insbesondere eine Neigung zur Depressivität, und es kann zu Ein­ schränkung der kognitiven Fähigkeiten kommen. Aber auch sexuelle Funktions­ störungen stehen im Vordergrund. Im weiteren Verlauf kann eine Umvertei­ lung der Körperzusammensetzung mit Verlust der Muskelmasse und Zunahme der Bauchfettdepots auffallen. Bei länger andauerndem Testosteronmangel wird die Knochendichte abnehmen und das Risiko für Frakturen steigen. Wichtige anamnestische Hinweise können Sie aus einer erweiterten Sexualanam­nese, evtl. zusammen mit der Partnerin des Patienten, erhalten. ©© Da1621 / iStock Prof. Dr. med. Ludwig Schaaf Redaktion: Priv.-Doz. Dr. M. Hummel, Rosenheim (Koor­dination); Prof. Dr. L. Schaaf, München (wissenschaftliche Leitung). Sexuelle Flaute: Ist Testosteronmangel die Ursache? 65 FORTBILDUNG _ SEMINAR Abbildung 1 Tabelle 1 Hormonelle Veränderungen bei Adipositas Medikamente, die mit einer erektilen Dysfunktion assoziiert sein können Hypogonadotrope hyperöstrogenämische Hypoandrogenämie d.h.: GnRH-Pulse (Hypothalamus) LH, FSH (Hypophyse) Östradiol Testosteron (freies Testosteron ) Antihypertensiva Verschiedene −− Abbildung 2 −− −− −− −− −− Der Hypogonadismus bei Typ-2-Diabetes mellitus Antidepressiva Bei Insulinresistenz Bei Schlafapnoe sinkt SHBG (Testo ) morgendliche Testosteron-Serumkonzentration Inhibin B (entsprechende Effekte bei PCO-Syndrom der Frau) als Marker der Sertoli-Zell-Funktion/Spermatogeneseaktivität) Außerdem: Akkumulation von Toxinen und endokrinen Disruptoren im Fettgewebe (vor allem Beeinträchtigung der Fertilität) −− −− Suppression Hypothalamus Hypophyse Kisspeptin-System LH Leptin viszerales Fett LH-Empfindlichkeit Leydig-Zellen des Hodens Aromatase Testosteron Östradiol IL-6 Testosteron ==> z.B. Abnahme der Libido; erektile Dysfunktion Ergänzt werden sollte diese bei Diabe­ tikern immer durch ein Neuropa­ thiescreening. Bei entsprechenden anamnestischen oder klinischen Hinweisen sollten er­ gänzend Hormone bestimmt werden. Als Basis dient die GesamttestosteronSerumkonzentration. Die Blut­abnahme sollte möglichst morgens nüchtern erfol­ gen, und die Messung in Anbetracht nicht unerheblicher intraindividueller Schwankungen nach einigen Tagen wie­ derholt werden. Um keine anderen Hormonstörun­ gen zu übersehen, sollten Prolaktin, Lu­ teinisierendes Hormon (LH), Follikelsti­ mulierendes Hormon (FSH), Thyreoi­ dea-stimulierendes Hormon (TSH), fT3 und fT4 bestimmt werden. Zur Berech­ nung des freien Androgenindexes benö­ tigt man auch das sexualhormonbinden­ de Globulin (SHBG). Im Gesamtkontext von sexuellen Funktionsstörungen bzw. 66 Hypogonadismus sind darüber hinaus medikamentöse Einflüsse zu berück­ sichtigen. Medikamente, die mit einer erektilen Dysfunktion assoziiert sein können, sind in Tab. 1 zusammenge­ stellt. Im Einzelfall ist zu prüfen, ob ein entsprechendes Medikament möglicher­ weise in der Dosis reduziert oder gar er­ setzt werden kann. Testosteronmangel und kardiovaskuläres Risiko Eine aktuelle Metaanalyse von placebo­ kontrollierten Studien zu vaskulären Ef­ fekten einer Testosterongabe bei hypo­ gonadalen Männern zeigte, dass die Gabe von Testosteron bei Männern ohne Einfluss auf kardiovaskuläre Endpunkte war. Allerdings wurde für eine Subgrup­ pe von adipösen Männern mit metabo­ lischen Störungen ein Schutzeffekt der Testosterongabe beschrieben [7, 8, 9]. In Anbetracht der bekannten Effekte einer Thiazide Betablocker Kalziumkanalblocker ACE-Hemmer Clonidin Trizyklika Monoaminoxidasehemmer (beachten: SSRI können Ejakulation verzögern) Neuroleptika −− Phenothiazine −− −− −− −− −− −− 5-AlphaReduk­tasehemmer (Finasterid) Statine Fibrate Cimetidin Allopurinol NSAR Noxen −− −− −− −− −− −− −− Alkohol Nikotin Marihuana Amphetamine anabole Steroide Barbiturate Opiate Testosterongabe auf Inflammation und Adipositas war dies zu erwarten. Zu ei­ nem anderen Ergebnis kam eine Studie, die allerdings wegen gravierender me­ thodologischer Fehler kritisiert wurde [10]. Testosteron oral, transdermal oder intramuskulär verabreichen? Grundsätzlich kann Testosteron oral, transdermal oder intramuskulär verab­ reicht werden. Wegen unsicherer Re­ sorption hat sich die Tablettenform aber nicht durchgesetzt. Üblicherweise wird Testosteron heute als Gel (Testogel®, To­ stran®, Testotop®) appliziert, was neuer­ dings auch über die axilläre Haut mög­ lich ist (Axiron®). Ansonsten stehen mo­ natliche (Testoviron®) bzw. dreimonatli­ che (Nebido®) Präparate zur intramus­ kulären Injektion zur Verfügung. Bei transdermaler Applikation sollte die Testosteron-Serumkonzentration ca. MMW-Fortschr. Med. 2015; 157 (15) FORTBILDUNG _ SEMINAR Tabelle 2 Verschiedene Definitionen des metabolischen Syndroms Parameter NCEP/ATP II* 2009 gefordert IDF** 2005 WHO*** 1999 Taille > 94 cm (M) oder > 80 cm (F) Insulinresistenz in der oberen Quartile, Glukose > 110 mg/dl, 2-h-OGTT > 140 mg/dl Kriterien erfüllt ≥ 3 von: und ≥ 2 von: und ≥ 2 von: Glukose > 100 mg/dl oder antidiabetische Therapie > 100 mg/dl oder Diagnose Diabetes Glukose > 110 mg/dl 2-h-OGTT > 140 mg/dl Adipositas Taille >102 cm (M) oder > 88 cm (F) Taille > 94 cm (M) oder > 80 cm (F) WHR > 0,9 (M) WHR > 0,85 (F) oder BMI > 30 kg/m2 HDL-Cholesterin < 40 mg/dl (M) < 50 mg/dl (F) oder Therapie < 40 mg/dl (M) < 50 mg/dl (F) oder Therapie < 35 mg/dl (M) < 40 mg/dl (F) Triglyzeride > 150 mg/dl oder Therapie > 150 mg/dl oder Therapie oder > 150 mg/dl Hypertonie > 135 /85 mmHg oder antihypertensive Therapie > 135 /85 mmHg oder antihypertensive Therapie > 140 /90 mmHg * National Cholesterol Education Program/Adult Treatment Panel III; ** International Diabetes Federation; *** World Health Organisation; M = Männer, F = Frauen, WHR = waist to hip ratio Hypogonadismus Fazit für die Praxis 1. Der Hypogonadismus beim metabolischen Syndrom bzw. bei Adipositas und/oder beim Diabetes mellitus hat sowohl zentrale als auch periphere Komponenten. 2.Es handelt sich sowohl um einen primären als auch einen sekundären/ tertiären Hypogonadismus. 3.Beim metabolischen Syndrom sollten sexuelle Funktionsstörungen wie die erektile Dysfunktion, aber auch Symptome einer Depression anamnestisch immer im Hinblick auf einen möglicherweise bestehenden Hypogonadismus durch Testosteronmangel hinterfragt werden. 4.Eine Testosteronsubstitution bei metabolischem Syndrom und/oder Diabetes mellitus sollte nur nach leitliniengerechter Dia­gnostik und unter Berücksichtigung von wichtigen Begleiterkrankungen (z. B. Erkrankungen der Pros­tata, koronare Herzerkrankung) eingeleitet werden. MMW-Fortschr. Med. 2015; 157 (15) zwei Stunden nach dem Auftragen, bei Injektionspräparaten kurz vor der nächsten In­jektion überprüft werden. Regelmäßige Leber- und Hämatokrit­ kontrollen sind angezeigt. Literatur unter mmw.de Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. med. Ludwig Schaaf Max-Planck-Institut für Psychiatrie, Innere Medizin, Endokrinologie und Klinische Chemie Kraepelinstr. 2–10, D-80804 München und Klinikum München Schwabing Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Suchtmedizin Kölner Platz 1, D-80804 München E-Mail: [email protected] Keywords Metabolic syndrome and hypogona­ dism. Testosteron may protect the heart in type 2 diabetes mellitus Metabolic syndrome – testosterone – coronary heart disease – type 2 dia­ betes mellitus 67 Literatur 1. Balkau B, Charles MA: Comment on the provisional report from the WHO consultation. European Group for the Study of Insulin Resistance (EGIR). Diabet Med 1999; 16(5); 442443 2. McLaughlin T, Abbasi F, Cheal J et al: Use of metabolic markers to identify overweight individuals who are insulin resistant. Ann Intern Me 2003; 139(10); 802 – 809 3. Wu FC, Tajar A, Pye SR et al: European Male Aging Study Group. 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