„Der Weg ist weit“ Gespräch mit Karin Mölling, AIDS-Forscherin Universität Zürich, 31.10.2012 62 HLFS Ursprung im Zukunftsdialog Karin Mölling: Man hat HIV vor rund 30 Jahren entdeckt und das Virus hat die Welt insofern aufgeschreckt, als die Gefahr ansteckender Krankheiten seit etwa 1918 eher vernachlässigt worden war; man dachte, man habe ohnehin Antibiotika und virale Krankheiten waren kein größeres Thema. Nun plötzlich sah man sich mit einer Gefahr konfrontiert, die sich in großem Maßstab ausbreitete. HIV hat ja die große Besonderheit, dass es das Immunsystem der Patienten inaktiviert und damit die körpereigene Abwehr zerstört. Das Virus hat sich nun also ausgerechnet auf jenes System ausgerichtet, das der Mensch brauchen würde, um es abzuwehren. Worauf man im Gefolge dieser Krankheit aufmerksam wurde, sind diverse sexuelle Gep logenheiten, sowohl in der westlichen Welt als auch in Afrika, und natürlich in weiterer Folge die Ansteckungswahrscheinlichkeiten, die mit diesen einhergehen. Man hat außerdem gelernt, wie notwendig es ist, die Dritte Welt miteinzubeziehen: Die De izite der medizinischen Versorgung in den Ländern der Dritten Welt rückten ins weltweite Bewusstsein. In Afrika südlich der Sahara sterben schließlich ganze Generationen, weil es keine entsprechenden Strukturen im Gesundheitswesen und keine ausgebildeten Leute gibt. Hier sah man die Notwendigkeit weltweiter Initiativen, so haben sich etwa Bill Clinton und Bill Gates sehr in diese Richtung engagiert. Das Bewusstsein, in der Dritten Welt ein Gesundheitssystem au bauen zu müssen, ist also maßgeblich in Zusammenhang mit HIV entwickelt worden. Was speziell die Forschung anbetrifft, so ist HIV ein Paradebeispiel für eine Erfolgsgeschichte und eine Misserfolgsgeschichte. Luc Montagnier und Françoi- se Barré-Sinoussi wiesen das Virus 1983 am Institut Pasteur in Paris erstmals nach. Ich saß in der letzten Reihe, als es in Amerika vorgestellt wurde, und alles hat gelacht: Man hielt den Befund für eine Laborkontamination! Keiner glaubte daran. Im Folgejahr aber konnte Robert Gallo ebenfalls den Nachweis erbringen und alles, was wissenschaftlich erforderlich war, wurde erfüllt, es war für die Forschung eine Erfolgsgeschichte: Das Virus wurde charakterisiert, eine Anzuchtmöglichkeit war schnell gefunden, womit die Grundlage für die Erforschung von Ansteckung und Ausbreitung gegeben war, und damit war auch die Basis für die Impfung geschaffen; hier beginnt aber nun die Misserfolgsgeschichte: Diese Impfung gibt es bis heute nicht. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die heute an diversen Viren arbeiten, aber schauen auf die HIV-Forschung und versuchen, aus der Erfolgs- und der Misserfolgsgeschichte zu lernen und Schlüsse für ihre eigene Forschung zu ziehen. Karin Mölling HLFS Ursprung: Im Juli dieses Jahres fand die WeltAIDS-Konferenz in Washington statt, die Krankheit und ihre mannigfaltigen Auswirkungen wurden auch im Zusammenhang mit der Konferenz „Rio+20“ der Vereinten Nationen thematisiert. Wie hat das HI-Virus in den letzten Jahrzehnten die Menschheit verändert? HLFS Ursprung: HIV wird in der Presse häuϔig als eine „Geißel der Menschheit“ bezeichnet und dabei in einem Atemzug mit Malaria oder Tuberkulose genannt. Ist diese Bezeichnung im Lichte der heute verfügbaren medizinischen Möglichkeiten in den Industrienationen überhaupt noch zutreffend? Karin Mölling: Man kann sagen, dass sie das in den Industrienationen nicht ist; hier gilt HIV heute als kontrollierbar. Es gibt die Prophylaxe und es gibt die Therapie, die in der westlichen Welt auf jeden Fall drei Medikamente beinhaltet, in Afrika zwei, weil zu teuer, meint man. Die Lebenserwartung eines Menschen, der sich im Alter von 23 Jahren mit HIV in iziert, liegt in den Industrienationen heute bei 73 Jahren, das ist fantastisch! Und dieser Fortschritt wurde innerhalb von 30 Jahren erzielt! Die Molekularbiologie ist der Grund für diesen Erfolg. Und nicht zuletzt hat die ganze Welt mitgeholfen: Alle, die etwas von der Materie verstanden und dazu in der Lage waren, haben 63 HLFS Ursprung: Wie ist heute der Blick der Öffentlichkeit auf HIV und AIDS: Sind die Menschen in den westlichen Industrienationen zunehmend sorglos geworden? Vielleicht zu sorglos? sich engagiert, um nicht zusehen zu müssen, wie ein Teil der Menschheit zugrunde geht. Die Medikamente in der westlichen Welt werden fast überall von den Krankenkassen bezahlt, kosten allerdings immer noch rund 20 000 bis 25 000 Euro pro Jahr. Dass liegt daran, dass die Pharmaindustrie nun die getätigten Investitionen zurückbekommen möchte. Das treibt mitunter merkwürdige Blüten: Es gibt ein Medikament, das in der westlichen Welt in Gestalt einer dunkelblauen Pille vertrieben wird, in der subventionierten Dritten Welt in Gestalt einer hellblauen Pille. Und wenn jetzt Leute in Europa die hellblaue Pille nehmen, dann weil über fragwürdige Machenschaften die Pille aus Afrika, die hellblaue, für wenig Geld nach Europa transportiert wurde und sozusagen eine Art Zwischenhandel statt indet. 64 HLFS Ursprung im Zukunftsdialog Karin Mölling: HIV ist zweifellos noch immer ein Tabuthema in unserer Gesellschaft. Ich kenne sehr viele In izierte, die niemanden von ihrer Infektion wissen lassen wollen und insbesondere auch der Arbeitgeber soll nichts davon erfahren. Heutzutage existiert allerdings sicherlich auch eine gewisse Leichtfertigkeit im Verhalten. Es gibt alljährlich immer noch relativ hohe Zahlen von Neuin izierten in der Schweiz und im Hintergrund spielt sicherlich oft das Gefühl eine Rolle, dass nicht mehr die Gefahr einer sofort tödlichen Krankheit droht. Die ersten HIV-In izierten starben ja innerhalb von sechs Monaten, während man heute, wie bereits erwähnt, ein Alter von 73 Jahren erreichen kann. Eine gewisse Leichtfertigkeit ist also eingetreten, man hat offenbar das Gefühl, sich diese auch leisten zu können. Man überlebt. Die Krankenkassen zahlen in den meisten Ländern, das Gesundheitssystem trägt die Es ist mir ein Grauen, dass es so etwas gibt, weil es In izierten. Die heutigen Möglichkeiten dürften also sicherlich eine gewisse Grundlage für Sorglosigkeit zeigt, dass es wieder einmal nur ums Geld geht! Die von Ihnen auch angesprochenen Krankheiten sein. Malaria und Tuberkulose sind in der westlichen Welt HLFS Ursprung: Wie gestal- Karin Mölling: Es steweniger problematisch, aber ganz große Probleme in der Dritten Welt. Bill Gates mit seinen Forschungen tet sich heute die Behandlung hen heute in der westvon Inϔizierten in westlichen lichen Welt rund 30 und Förderungsorganen hat sich ja inzwischen mehr auf Tuberkulose und Malaria verlegt als auf HIV. Und Industriestaaten? Wie beein- Medikamente für die das Institut, in dem Sie sich gerade be inden, die Me- ϔlusst die Therapie das Leben Therapie zur Verfüder Betroffenen und welche gung. Als die Therapie dizinische Mikrobiologie der Universität Zürich, hat Nebenwirkungen sind zu noch in ihren Anfängen einen Tuberkuloseschwerpunkt, wo man versucht, befürchten? stand, gab es das Proneue Medikamente zu entwickeln und die Diagnostik blem, dass das Virus zu verfeinern. Das Problem der Tuberkulose wurde darüber hinaus durch HIV vergrößert, es ist in Afri- unter dem Druck eines Medikaments zwar reduziert ka mit HIV gewissermaßen zu einem potenzierten wurde, sich aufgrund der hohen Variabilität jedoch Problem geworden. AIDS, Malaria und Tuberkulose resistente Viren bildeten. Heute geht man mit einer Kombination aus drei Medikamenten gegen das Virus vor und drückt es so fast unter die Nachweisbarkeitsgrenze. Das Virus wird von drei Seiten aus angegriffen und durch diese Form der Therapie, die Tripeltherapie, ist der Patient auch nicht mehr ansteckend. Ich kannte noch die Zeiten, wo die betroffenen Personen mehrere Uhren an den Armen trugen und versuchten, Schemata zu gehorchen, die man kaum durchhalten konnte. Mit der modernen Therapie hingegen ist ein fast normaler Lebensstil möglich. Karin Mölling: Man stelle sich vor, dass 800 000 Amerikaner gar nicht wissen, dass sie in iziert sind! Am ansteckendsten ist man unmittelbar nach der eigentlichen Infektion, das Virus wird hier sehr stark repliziert und genau hier möchte man mit Therapiemaßnahmen ansetzen. Das Problem ist in der Tat die Symptomatik, denn die Betroffenen leiden in dieser Phase meist an Kopfschmerzen, leichtem Fieber; manchmal verläuft diese Phase auch völlig asymptomatisch und gerade in dieser Zeit ist die betroffene Person aber hochansteckend! Wenn man sich dann die Frage stellt, wo man vorgestern war, könnte einem möglicherweise der Verdacht kommen, aber das passiert kaum, weil man alles verdrängt. Neben der Problematik der Symptome gibt es einen weiteren schwierigen Punkt, nämlich dass man das Virus so früh nicht in Routinetests inden kann; diese Tests beruhen auf Antikörpern, welche bei den Patienten erst nach rund vier bis sechs Wochen nachweisbar sind. Man hat es also mit einem höchst problematischen Zeitfenster zu tun! Man kann allerdings eine sehr aufwändige und teure Diagnostik machen, eine sogenannte Polymerasekettenreaktion. Diese setzt man übrigens auch beim Nachweis von Resistenzen ein; in diesem Fall muss man dann im Anschluss eine komplizierte Mathematik auffahren, um herauszuinden, welche von den 30 zur Verfügung stehenden HLFS Ursprung: Mit welchen Symptomen geht eine Infektion mit HIV einher und wie kann man diese nachweisen? Medikamenten im konkreten Fall die richtige Tripeltherapie darstellen. Die Phase unmittelbar zu Beginn ist also in vielerlei Hinsicht problematisch. Karin Mölling: Der AIDS-Test wird auf einer kleinen Plastikplatte mit 96 kleinen Löchern durchgeführt, es handelt sich um einen sogenannten ELISA-Test. In den Löchern der Platte be indet sich ein Protein aus dem HI-Virus, welches künstlich hergestellt wird. Man bringt dann einen Antikörper auf, den man aus dem Blut des Patienten gewinnt. Mit diesem Antikörper wiederum kann eine Farbreaktion nachgewiesen werden und dann wird gezeigt, ob diese Antikörperreaktion positiv oder negativ verlief. Dieser Test ist ziemlich gut, allerdings entgehen ihm immer ein paar Patienten; heute wird deshalb zwei Mal getestet, das bedeutet, der Patient muss meist nochmal kommen, um festzustellen, ob der der Test beim zweiten Durchgang wirklich das gleiche Ergebnis liefert. Zusätzlich dazu existieren inzwischen auch kleine Schnelltester, wie sie vom Prinzip her etwa bei Diabetes eine Anwendung inden. Diese schnellen Teststreifen funktionieren mit Blut und man erkennt einen Farbumschlag; hier erfolgt bereits nach etwa einer Stunde der Nachweis. HLFS Ursprung: Und wie sieht ein AIDS-Test aus, wenn er routinemäßig eingesetzt wird? Karin Mölling sind also in der Dritten Welt alle drei noch ein großes Problem! HLFS Ursprung: Und wie werden Patientinnen und Patienten in Ländern der Dritten Welt behandelt? Karin Mölling: Die Dritte Welt wird auf etwas billigere Weise als die westliche Welt behandelt. Es gibt immer noch Millionen in izierte Patienten, die überhaupt nicht behandelt werden. Immerhin fand aber mittlerweile eine Verbesserung in der Behandlungsrate in den Ländern der Dritten Welt statt. Die Patientinnen und Patienten dort bekommen aber keine Dreifachtherapie, wie in der westlichen Welt heute üblich, sondern „nur“ eine Doppeltherapie. Diese ist 65 Karin Mölling: HIV gehört zur Gruppe der RNA-Viren, wie In luenza oder HepatitisC, welche immer sehr variabel und gefährlich sind. Die Geschwindigkeit, mit der sich das HIVirus verändert, versetzt alle in Staunen: Innerhalb weniger Wochen verändert es sich so, dass es den Medikamenten gegenüber resistent ist. Darau hin behandelt man die Patienten mit anderen Wirkstoffen, worauf das Virus nach rund sechs Wochen wieder zur ursprünglichen Form zurückkehrt. Die hohe Änderungsrate des Virus ist darauf zurückzuführen, dass das Enzym Reverse Transkriptase beim Umschreiben der RNA in DNA Fehler macht, wodurch ein immunologisch beinahe neues Virus entsteht. Der Plan der Impfstoffentwickler war zunächst, ein Ober lächenmolekül abzutrennen, Antikörper dagegen zu entwickeln und diese Antikörper dem Patienten zu spritzen, was man eine „passive Impfung“ nennt. Es wurde auch ein weiterer Plan entwickelt, nämlich das Ober lächenmolekül direkt als Impfstoff zu injizieren, sodass der Mensch selbst Antikörper dagegen entwickelt. Diese Vorgangsweise nennt man HLFS Ursprung: Sie haben in einem Interview die Viren als „Lehrmeister der Molekularbiologie“ bezeichnet. Was konnten und können die Molekularbiologie und die molekulare Medizin von den Viren – und hier insbesondere von HIV – lernen? HLFS Ursprung: Seit vielen Jahren hofft die Menschheit auf eine Impfung gegen AIDS. Wie nahe ist die Wissenschaft heute diesem großen Ziel? 66 HLFS Ursprung im Zukunftsdialog „aktive Impfung“. Beides ist bisher nicht gelungen. Es gibt heute ganz neue Ansätze, die molekularbiologisch höchst interessant sind: Man kennt sogenannte Langzeitüberlebende, die nicht krank werden, da auf den für die HIV-Infektion relevanten Zielzellen, den CD4+-Lymphozyten, ein Rezeptor fehlt. Diese Menschen sind sozusagen „Mutanten“, sie verfügen über die genetische Disposition, durch HIV nicht krank zu werden. Man versucht also, dies nachzuahmen und besagten Rezeptor gentherapeutisch auszuschalten. Sogenannte „Elite Controllers“ überleben ebenfalls sehr lange dank Antikörper. Man versucht nun, von diesen Personen Antikörper zu isolieren und herauszu inden, warum sie nicht erkranken. Auch Affen nahm man als Modell: Was haben die Affen in ihrem Blut, um mit dem Virus fertigzuwerden? Genau diese Frage stellt man sich auch beim Menschen. Man fand bei Langzeitüberlebenden vier bis fünf Antigene, welche momentan auf die Verwendbarkeit in der Impfstoffentwicklung hin untersucht werden. Es könnten natürlich auch bei diesem Ansatz Probleme auftreten, die wiederum auf die Variabilität des Virus zurückzuführen sind. Die Vielfältigkeit des Virus könnte dazu führen, dass der Antikörper bei einem Patienten wirkt und beim anderen nicht. Dem müsste man ausweichen, indem man einen Cocktail verbreicht, den man mitunter auf das jeweilige geogra ische Gebiet bzw. auf die dort verbreiteten Virustypen abstimmen müsste, was natürlich eine sehr komplexe Situation bedeutet. Ich nehme an, dass es bis zu einer Impfung noch ungefähr 15 Jahre dauern wird. Der Weg ist weit! Karin Mölling: Ich bin ja Physikerin und in der Physik geht man für Untersuchungen von einem System aus. Meistens vereinfacht man dieses, so nimmt man beim Menschen zum Beispiel eine Zelle als Gegenstand der Betrachtung oder auch vielleicht nur ein paar Bausteine einer Zelle. Dieses System wird dann durch ein Virus gestört und man analysiert die Reaktionen des Systems auf diese Störung. Man kann heute bioinformatisch oder mit komplizierten experimentellen Methoden heraus inden, welche Konsequenzen eine Störung durch ein Virus nach sich zieht. Auf diese Weise lassen sich etwa Schlüsselgene bzw. übergeordnete Gene identi izieren. Gerade in der Krebsforschung waren Viren als Lehrmeister bedeutsam, man konnte rund hundert Krebsgene überhaupt erst über Viren identi izieren; man kann sogar sagen, die Krebsforschung ist über Studien mit Viren auf den Weg gebracht worden. Man kann heute versuchen, das Spiel umzudrehen und Viren für therapeutische Zwecke zu nutzen: Viren sind modular aufgebaut und man kann ein Krebsgen durch ein Therapiegen ersetzen und so ein „Therapievirus“ bauen. Damit ist die Grundlage für Gentherapie geschaffen. Die Kunst besteht allerdings darin, herauszu inden, welches nun ein Therapiegen ist. Interessanterweise existieren tatsächlich Schlüsselgene, die man benutzen kann, um Tumorzellen in normale Zellen umzuwandeln, sogenannte Tumorsuppressorgene. Bringt man ein derartiges Gen in eine Zelle ein, so ist dieses – wenn man Glück hat – so dominant, dass eine Tumorzelle in eine normale Zelle zurückverwandelt werden kann. Eine große Herausforderung besteht allerdings darin, dass man diese Viren in sehr geringer Zahl einsetzen muss und sich diese im Körper des Patienten nicht vermehren dürfen. Neuerdings wird Gentherapie daher ex vivo durchgeführt: Man nimmt eine gewisse Zahl an Zellen, behandelt sie außerhalb des Körpers, um sie anschließend wieder dorthin zurückzugeben. Was die Molekularbiologen also von Viren lernen können, ist, wie Viren Gene in andere Zellen bringen können, wie sie unser Erbgut aufwirbeln, wie neue Information in unser Erbgut gekommen ist und durch die Evolution immer noch kommt. All diese Erkenntnisse können in weiterer Folge hoffentlich zur Entwicklung neuer Therapien beitragen. Eine sehr interessante Erkenntnis in diesem Zusammenhang ist übrigens, dass unser genetisches Material sehr viele tote Viren aus früheren Infektionen beinhaltet; diese lassen sich rund 35 Millionen Jahre zurückverfolgen. In Summe birgt unser Erbgut zu rund 50% tote Viren; dabei handelt es sich um Viren, die kaputt gegangen, verstümmelt oder mutiert sind und die keine Infektionen mehr verursachen. Eine spannende Frage ist, welche Rolle sie heute noch für den Menschen spielen. Hier muss noch Forschungsleistung erbracht werden. Karin Mölling gut, aber doch weniger ef izient und die Betroffenen sind sozusagen nicht virusfrei. Es handelt sich dabei schlicht um eine Sparmaßnahme. Bei einer Doppeltherapie erreicht die Lebenserwartung immerhin auch 40 oder 50 Jahre, aber eben nicht 73 Jahre, wie in unseren Breiten üblich. Die Therapie in der Dritten Welt hat allgemein eine grundlegende Zielsetzung: Man will die Kinder erreichen! Wenn man die Kinder rechtzeitig therapiert oder die Übertragung von der Mutter auf das Kind verhindert, dann haben diese eine Chance, gesund ins Leben zu gehen. Die Verhinderung einer Ansteckung bei der Geburt ist daher ein besonderer Schwerpunkt! Auf diese Weise wird die nächste Generation vielleicht überleben. Karin Mölling: Mich interessiert Wissenschaft, mich interessiert, was die Welt um mich herum ausmacht. Und mich hat auch immer das Kleinste interessiert, ich war einmal Elementarteilchenphysikerin. Als solche bin ich nach Amerika gegangen und habe dort in die Molekularbiologie gefunden, was ich nie bereut habe: Ich denke, wir leben heute im Zeitalter der Molekularbiologie! Und um uns herum gibt es noch so vieles zu entdecken! Für meine Zukunft wünsche ich mir unter anderem folgendes: Ich habe vor zehn Jahren begonnen, eine Substanz zu entwickeln, die das HI-Virus in den Selbstmord treibt. Dieser Hemmstoff wirkt auf die RNase H, ein Enzym im viralen Partikel, wodurch dieses nicht mehr infektiös ist. Der Weg vom Hemmstoff zum Medikament aber ist weit, kostet Millionen; ich würde ihn gerne noch gehen! HLFS Ursprung: Sie selbst haben viele Jahre Spitzenwissenschaft auf dem Gebiet der AIDS-Forschung betrieben. Wenn Sie zurückblicken, was hat Sie angetrieben? Und was wünschen Sie sich für die Zukunft? INTERVIEW Markus Fuchsreiter, Josef Gattringer, Manuela Maier, Fabian Prudky, Eva Schitter, Fabian Schweiger 67