143_146_ihg_inst.qxd 20.05.2005 9:31 Uhr Seite 143 Die Institute Institut für Humangenetik Institute of Human Genetics Neuherberg (Direktor / Director: Prof. Dr. Thomas Meitinger) D ie Identifizierung von Erkrankungsgenen und deren funktionelle Charakterisierung stehen im Mittelpunkt der Forschungsprojekte am Institut. Bei der Suche nach krankheitsrelevanten Sequenzvarianten werden genetische Kartierungsstrategien eingesetzt. Schwerpunkte bilden Untersuchungen über mitochondriale Funktionsstörungen und an zellulären Signalwegen bei Neurodegeneration. Am Institut werden außerdem Techniken zur Chromosomenanalyse für Fragestellungen im Bereich der zytogenetischen Diagnostik und der Tumorzytogenetik entwickelt. Die Forschungsarbeiten des Instituts für Humangenetik werden im Rahmen des HGFProgramms „Vergleichende Genomforschung“ des Helmholtz-Forschungsbereiches Gesundheit durchgeführt. Im Mittelpunkt der Forschungsaktivitäten des Instituts steht die Identifizierung krankheitsrelevanter Gene bei monogenen und komplexen Erkrankungen sowie funktionelle Untersuchungen solcher Gene. Den Arbeitsgruppen des Instituts steht ein breites Spektrum von genomweiten Untersuchungsmethoden zur Verfügung, das von Genombis zu Proteom-Analysen reicht. Es bestehen Kooperationen mit den HGF-Programmen „Herzkreislauf und umweltbedingte Störungen der Gesundheit“ des HGF-Forschungsbereiches Gesundheit. Die Projekte am Institut werden in den Arbeitsgruppen „Molekulare Zytogenetik“ (PD Dr. M. R. Speicher), „Genkartierung und funktionelle Analysen“ (PD Dr. T. M. Strom), „Mausaugengenetik“ (Dr. J. Favor), „Komplexe Erkrankungen“ (Prof. Dr. T. Meitinger) und „Funktionelle Proteinnetzwerke“ (Dr. M. Ueffing) durchgeführt. R esearch in the Institute focuses on the identification and functional characterisation of diseaseassociated genes. Genetic mapping and positional gene identification are used to search for disease-associated gene variants in man and mouse. Other research topics are concerned with the study of mitochondrial dysfunction and of cellular signal pathways in neurodegeneration. The Cytogenetics research group is developing new techniques for chromosome analysis in the field of cytogenetic diagnosis and tumour diagnosis and tumour cytogenetics. The research is carried out under the HGF programme on ‘Comparative Genomics’ in the research field ‘Health’. The central theme is the identification and functional investigation of disease relevant genes in monogene and complex diseases. The research groups in the Institute have a broad spectrum of genome-wide research methods available to them, ranging from genome to proteome analysis. There is collaboration with the HGF programme ‘Cardiovascular and Metabolic Disease Research’ also in the research field ‘Health’. The projects in the Institute are carried out within the research groups ‘Molecular Cytogenetics’ (PD Dr. M. R. Speicher), ‘Genetic Mapping and Functional Analysis’ (PD Dr. T. M. Strom), ‘Mouse Eye Genetics’ (Dr. J. Favor), ‘Complex Diseases’ (Prof. Dr. T. Meitinger), and ‘Functional Protein Networks’ (Dr. M. Ueffing). GSF 143 143_146_ihg_inst.qxd 20.05.2005 9:31 Uhr Seite 144 Insgesamt waren 2004 36 Mitarbeiter/innen (19 Wissenschaftler/innen, 6 Doktoranden, 11 technische Mitarbeiter/innen und 9 Gastwissenschaftler) am Institut beschäftigt. In 2004, there were 36 members of staff at the Institute: 19 scientists, 6 postgraduate students, 11 technicians, and 9 visiting scientists. Parkinson-Syndrom Das Parkinson-Syndrom ist eine häufige Erkrankung mit einer starken erblichen Komponente. Mehr als 1% der über 50-jährigen leben mit der Diagnose und 15–20% dieser Patienten haben mindestens einen Verwandten ersten Grades mit der gleichen Erkrankung. Neben der klinischen Diagnose der Bewegungsstörung können zunehmend bildgebende Verfahren eingesetzt werden, um den charakteristischen Verlust dopaminerger Neuronen vor allem in einer bestimmten Hirnregion, der Substantia Nigra, nachzuweisen. Über die molekularen Ursachen der Erkrankung wissen wir erst wenig. Die herkömmliche symptomatische Behandlung mit Dopaminagonisten garantiert in den meisten Fällen nur über einen begrenzten Zeitraum gute Erfolge. Umso dringender stellt sich in einer älter werdenden Gesellschaft die Frage nach den molekularen Ursachen der Erkrankung. Deren Aufklärung gilt als Voraussetzung für verbesserte Behandlungsstrategien. Monogen vererbte Formen des Syndroms lieferten bisher eine Reihe von Hinweisen auf die Ursache des Nervenzellverlustes bei Parkinson. Wie bei Alzheimer-Erkrankung scheint auch beim Parkinson-Syndrom eine Aggregation von Proteinen zur falschen Zeit am falschen Ort eine wichtige Rolle zu spielen. Dominante Mutationen im α-Synuklein-Gen sowie eine erhöhte Expression dieses Gens konnte bei familiären Formen des Parkinson-Syndroms nachgewiesen werden. Das α-Synuklein-Protein bildet fibrilläre Strukturen aus und findet sich in den für diese Erkrankung charakteristischen Proteinaggregaten im Gehirn von Parkinson-Patienten. Bei rezessiven Formen des Parkinson-Syndroms konnte gezeigt werden, dass der Abbau von Proteinen der Zelle gestört ist. Mutationen im Parkin-Gen beeinträchtigen die Proteindegradation in den dafür spezialisierten zellulären Strukturen, 144 GSF den Proteasomen. Schließlich konnte mit dem Nachweis von Mutationen in den Genen PINK1 und DJ-1 ein direkter ursächlicher Zusammenhang hergestellt werden zwischen Neurodegeneration und mitochondrialer Dysfunktion. Mitochondrien nehmen eine zentrale Stelle im Energiestoffwechsel der Zellen ein. Sie sind zudem eng verknüpft mit apoptotischen Signalwegen, mit der Entscheidung über Weiterleben oder Tod einzelner Zellen. Damit rückte einer der Forschungsschwerpunkte am Institut für Humangenetik in den Mittelpunkt der Untersuchungen zur Genetik des ParkinsonSyndroms: Die Rolle mitochondrialer Proteine, deren Gene, sowie die Sequenzvarianten dieser Gene und deren Beitrag zum Spektrum von Erkrankungen. Mutationen im LRRK2-Gen Neurologen der Universität Tübingen (Prof. T. Gasser) und der Mayo-Klinik in Jacksonville (Dr. Z. Wszolek) hatten mehrere Familien mit dominant vererbtem ParkinsonSyndrom untersucht und mit Hilfe einer Kopplungsuntersuchung einen Lokus auf dem Chromosom 12 bestimmt. Durch die Kartierung von Rekombinationsereignissen in den Familien konnte das mutierte Gen auf eine Chromsomenregion von 1 Million Basenpaaren eingegrenzt werden. In dieser Region waren zu Beginn der Untersuchungen in der Humangenomsequenz 56 Gene verzeichnet. Die erste Erfolgsmeldung von einer mutierten Sequenz in einem bis dahin in den Genomdatenbanken nur unvollständig beschriebenen Gen konnte im März 2004 an der GSF gemeldet werden. Saskia Biskup hatte das Mutationsscreening im Labor erfolgreich durchgeführt und ging jetzt daran, die genomische Struktur des Gens zu bestimmen. Zuerst aber musste über Isolie- 20.05.2005 9:31 Uhr Seite 145 1 2527 LRR ROC COR TK WD40 Abb. 1: Domänenstruktur des LRRK2-Proteins. Mutationsorte sind mit Pfeilen gekennzeichnet. LRR = leucine-rich repeat; ROC = RAS in complex proteins; COR = C-terminal of ROC; TK = tyrosine kinase; WD40 = protein-protein interaction domain. rung und Sequenzierung von RNA-Transkripten die Genstruktur vervollständigt werden. Das war nicht einfach, da das Gen in allen untersuchten Geweben nur in sehr geringem Ausmaß exprimiert wird. Das Gen ist zudem ungewöhnlich groß. Ein 7500 bp langes Transkript, zusammengesetzt aus 55 Exonsequenzen kodiert für 2591 Aminosäuren. Ein Protein dieser Größenordnung ist in der Regel aus verschiedenen Domänen zusammengesetzt. Sequenzvergleiche mit bekannten Proteinen lieferten erste Hinweise auf eine mögliche Funktion, die dem Protein im Zusammenhang mit Neurodegeneration zugeschrieben werden kann (Abb. 1). Es fand sich eine Domäne mit Ähnlichkeiten zu so genannten Leucin-reichen-Repeats und eine Kinase-ähnliche Domäne (Abb. 2). Daher die Namensgebung LRRK2. (Ein Gen ähnlicher Struktur auf Chromosome 8 trägt den Namen LRRK1). Proteine mit Kinase-Domänen gibt es mehr als 1000 im Genom (Kinom). Eine dritte Domäne im LRRK2-Gen ist eine 300 AA lange Sequenz, die für ein kleines G-Protein kodiert. Kleine G-Proteine sind Abb. 2: Ausschnitt aus der vorhergesagten 3DStruktur der Kinase-Domäne des LRRK2-Proteins. Zu sehen ist das katalytische Zentrum mit einem gebundenen ATP-Substrat. bekannt dafür, dass sie Kinasen aktivieren. Die am besten untersuchte Wechselwirkung dieser Art betrifft die Proteine RAS, ein kleines G-Protein und RAF, eine Kinase. Das Proteinpaar steht im Zentrum eines weit verzweigten Proteinnetzwerkes, das über Proliferation, Differenzierung und Apoptose von Zellen entscheidet. Die Domänenstruktur des LRRK2 deutet eindeutig in Richtung einer Funktion bei der Signaltransduktion innerhalb der Zelle hin. Konkret bietet eine Einordnung des Proteins in das humane Kinom eine Lokalisierung im Umfeld von MLKs (Mixed lineage Kinase – u.a. MAP3Ks), RIPKs (Receptor interacting protein kinase) IRAKs (Interleucin receptor associated kinase), und RAF-Kinasen, die allesamt Elemente von Signalkaskaden darstellen (Abb. 3). Speziell die RAF-Kinasen interagieren mit Ras-Domänen innerhalb des MAPKinase-Signalwegs – im Fall von Die Institute 143_146_ihg_inst.qxd Abb. 3: Ausschnitt aus dem „Kinome-Poster“ nach G. Manning et al.: The Proteine Kinase Complement of the Human Genome. Science (2002), Vol.298, S.1912ff. LRRK2 findet sich im Geäst der an Signaltransduktion beteiligter Kinasen. GSF 145 143_146_ihg_inst.qxd LRRK2 LRRK1 MAP3K1 MAP3K3 C-JUN PAK1 Titin 20.05.2005 9:31 Uhr Seite 146 --IIAKIADYGIAQYCCR---INIKLSDYGISRQSFH---QRLRIADFGAAARLAS---GNVKLGDFGASKRLQT---CTLKILDFGLARTAGT---GSVKLTDFGFCAQITP---STIKIIEFGQARQLKP-- Abb. 4: Sequenzvergleich von Kinasen im Bereich des aktiven Zentrums. Die rote Markierung kennzeichnet das für Kinasen charakteristische Sequenzmotiv Asp-Phe/Tyr-Gly. LRRK2 findet sich eine solche Domäne als ROC (Ras in complex proteins) zusammen mit der Kinase-Domäne bereits auf einer Polypeptidkette. Mit der Identifizierung einer Kinase, die ein höchstwahrscheinlich aktivierendes G-Protein selbst trägt, startet ein neues Kapitel der Erforschung von Kinasen Zusammenarbeit Der Leiter des Instituts ist Lehrstuhlinhaber für das Fach Humangenetik am Klinikum Rechts der Isar der Technischen Universität München. Die Gruppe Molekulare Tumorzytogenetik (PD Dr. M. Speicher) ist in den Institutsräumen am Klinikum Rechts der Isar untergebracht. Mitarbeiter des Instituts sind am Lehrbetrieb der LMU München und der TU München beteiligt. Enge Kooperation besteht mit der Arbeitsgruppe der Universität Indianapolis (M. Econs) bei Untersuchungen zur Molekulargenetik des Phosphatstoffwechsels, die von der DFG gefördert werden. Im Rahmen der klinischen Kooperationsgruppe Ophthalmogenetik besteht eine enge Zusammenarbeit mit zwei Forschungsgruppen (G. Rudolph, U. Welge-Lüssen) an der Augenklinik der LMU München (A. Kampik). Untersuchungen zu Pathomechanismen der Neurodegeneration bei Augenerkrankungen werden gemeinsam mit den Augenkliniken der Universitäten Strassburg (J. Sahel) und Tübingen (E. Zrenner), unterstützt von EU, durchgeführt. Ein im Deutschen Humangenomprojekt (DHGP) gefördertes Forschungsprogramm zur molekularen Pathogenese von mitochondrialen Erkrankungen wird gemeinsam mit biochemisch und klinisch orientierten Arbeitsgruppen an der LMU München (W. Neupert) und am Institut für Klinische Chemie am Krankenhaus Schwabing (K. D. Gerbitz) bearbeitet. HGF-Institute am MDC in Berlin, am DKFZ in Heidelberg und an der GBF in Braunschweig sind an gemeinsamen Projekten beteiligt im Rahmen des Kernbereichs des Deutschen Genomforschungsnetzes. Dabei geht es um die Erstellung von SNP-Genotypen sowie zytogenetischer Mutationsscreening-Verfahren mit den Schwerpunkten Herzerkrankungen und neuropsychiatrische Erkrankungen. Gemeinsame Projekte werden auf diesem Gebiet auch mit dem Humangenetischen Institut 146 GSF und deren Rolle bei der Aufrechterhaltung dopaminproduzierender Neuronen. Bei den bisher gefundenen Mutationen handelt es sich um AminosäureaustauschMutationen, die in der Evolution konservierte Positionen betreffen (Abb. 4). Ob diese zu einem Funktionsverlust oder zu einem Funktionsgewinn führen, bleibt vorerst ungeklärt. Eins ist allerdings schon klar: Die Mutationen sind relativ häufig. Ein Jahr nachdem die ersten Mutationen im Gen von Saskia Biskup entdeckt wurden, zeigen Untersuchungen in internationalen Parkinsonstudien mit großen Probenzahlen von Parkinson-Erkrankten und Kontrollen, dass sich LRRK2-Mutationen in mehr als 5% der familiären Fälle (erkrankte Geschwister) und mehr als 1% von sporadischen ParkinsonFällen finden lassen (Lancet Jan 2005). Das macht das Gen zum bisher am häufigsten mutierten Gen bei der Parkinson-Erkrankung. der Universität Bologna (G. Romeo) und dem GenNovaProjekt, Bozen (P. Pramstaller) durchgeführt. Die krankheitsbezogenen Netze im NGFN sind über diese Kernbereichsaktivitäten in gemeinsame Projekte miteinbezogen. Ausgewählte Veröffentlichungen Andreoli, C., Prokisch, H., Hörtnagel, K., Mueller, J.C., Munsterkotter, M., Scharfe, C., Meitinger, T.: MitoP2, an integrated database on mitochondrial proteins in yeast and man. Nucleic Acids Res. 32:D459-62 (2004) Benet-Pages, A., Orlik, P., Strom, T.M., Lorenz-Depiereux, B.: An FGF23 missense mutation causes familial tumoral calcinosis with hyperphosphatemia. Hum Mol Genet. 14:385-90 (2005) Epub Dec 2004 Geigl, J.B., Langer, S., Barwisch, S., Pfleghaar, K., Lederer, G., Speicher, M.R.: Analysis of gene expression patterns and chromosomal changes associated with aging. Cancer Res. 64:8550-7 (2004) Prokisch, H., Scharfe, C., Camp, D.G. Xiao, W., David, L., Andreoli, C., Monroe, M.E., Moore, R.J., Gritsenko, M.A., Kozany, C., Hixson, K.K., Mottaz, H.M., Zischka, H., Ueffing, M., Herman, Z.S., Davis, R.W., Meitinger, T., Oefner, P.J., Smith, R.D., Steinmetz, L.M.: Integrative analysis of the mitochondrial proteome in yeast. PLoS Biol. 6:795-804 (2004) Zimprich, A., Biskup, S., Leitner, P., Lichtner, P., Farrer, M., Lincoln, S., Kachergus, J., Hulihan, M., Uitti, R.J., Calne, D.B., Stoessl, A.J., Pfeiffer, R.F., Patenge, N., Carballo Carbajal, I., Vieregge, P., Asmus, F., Müller-Myhsok, B., Dickson, D.W., Meitinger, T., Strom, T.M., Wszolek, Z.K., Gasser, T.: Mutations in LRRK2 cause autosomal dominant Parkinsonism with pleomorphic pathology. Neuron 18:601-7 (2004)