Die Institute Institut für Humangenetik Institute of Human Genetics Neuherberg (Direktor / Director: Prof. Dr. Thomas Meitinger) ie Identifizierung von Erkrankungsgenen und deren funktionelle Charakterisierung stehen im Mittelpunkt der Forschungsprojekte am Institut. Bei der Suche nach krankheitsrelevanten Sequenzvarianten werden genetische Kartierungsstrategien eingesetzt. Schwerpunkte bilden Untersuchungen über mitochondriale Funktionsstörungen und an zellulären Signalwegen bei Neurodegeneration. Am Institut werden außerdem Techniken zur Chromosomenanalyse für Fragestellungen im Bereich der zytogenetischen Diagnostik und der Tumorzytogenetik entwickelt. Die Forschungsarbeiten des Instituts für Humangenetik werden im Rahmen des HGFProgramms „Vergleichende Genomforschung“ des Helmholtz-Forschungsbereiches Gesundheit durchgeführt und gefördert von EU, BMBF und DFG. Den Arbeitsgruppen des Instituts steht ein breites Spektrum von genomweiten Untersuchungsmethoden zur Verfügung, das von Sequenz- bis zu Proteom-Analysen reicht. Die Projekte am Institut werden in den Arbeitsgruppen „Molekulare Tumorzytogenetik“ (Michael Speicher), „Genkartierung und funktionelle Analysen“ (Tim-Mathias Strom), „Mausaugengenetik“ (Jack Favor), „Mitochondriale Erkrankungen“ (Thomas Meitinger) und „Funktionelle Proteinnetzwerke“ (Marius Ueffing) durchgeführt. Insgesamt waren 54 Mitarbeiter/innen (20 Wissenschaftler/innen, 6 Doktoranden, 13 technische Mitarbeiter/innen und 14 Gastwissenschaftler) im Institut beschäftigt. D esearch at the Institute focuses on the identification and functional characterisation of disease-associated genes. Genetic mapping techniques are used to search for disease-associated gene variants in man and mouse. Other research topics are concerned with the study of mitochondrial dysfunction and of cellular signalling pathways related to neurodegeneration. The tumor cytogenetics research group is also developing techniques for chromosome analysis. The research activities of the Institute of Human Genetics are embedded in the HGF-research programme “Comparative Genome Research” of the Helmholtz research area “Health” (Helmholtz Association of National Research Centres) and funded by EU, BMBF and DFG. The research groups at the institute are applying a wide spectrum of genome-wide experimental tools ranging from sequence analysis to proteome analysis. The research projects are carried out in the following research groups: molecular tumor cytogenetics (Michael Speicher), gene mapping and function analysis (Tim-Mathias Strom), mouse eye genetics (Jack Favor), mitochondrial diseases (Thomas Meitinger) and functional protein networks (Marius Ueffing). In 2005, there were 54 members of staff at the Institute: 20 scientists, 9 postgraduate students, 13 technical assistants, and 14 visiting scientists. R GSF " 179 Effektstärke Allelfrequenz Abb. 1: Beziehung zwischen Allelfrequenz von Sequenzvarianten im Humangenom und ihrem Effekt auf Krankheitsphänotypen. Häufige Sequenzvarianten haben in der Regel kleine Effektstärken, seltene Varianten dagegen starke Effekte. Die meisten Menschen sind gesund Die meisten Genvarianten im Genom finden sich außerhalb proteinkodierender Sequenzabschnitte und sind neutral. Sie haben keine messbaren Effekte auf Merkmale des Organismus, weil sie zelluläre Funktionen nicht beeinträchtigen. In konservierten Regionen des Genoms, wie man sie zum Beispiel im Bereich von Genen findet, haben Sequenzvarianten dagegen Auswirkungen auf die zellulären Prozesse. Dabei gilt der in Abbildung 1 gezeigte Zusammenhang, dass seltene Varianten in der Regel mit starken Effekten einhergehen, während häufige Varianten nur geringe Effekte auf den Organismus zeigen. Dahinter steht ein einfacher evolutionärer Zusammenhang – natürliche Selektion wirkt in Richtung Gesundheit, sowie eine alltägliche Beobachtung – die meisten Menschen sind gesund, wenige sind krank. Sequenzvarianten halten zusammen Ein wichtiges Ereignis für die Genkartierung im Jahr 2005 war die Veröffentlichung einer Karte von häufigen Sequenzvarianten im Humangenom (HapMap Consortium, Nature Oct. 2005). Die Daten von mehr als 1 Million häufiger Varianten (>1%) wurden veröffentlicht. Im Durchschnitt findet sich damit alle 3000 Basenpaare eine dieser häufigen Sequenzveränderungen (auch SNPs genannt, für Single Nucleotide Polymorphisms). Auf einem Chromosom nebeneinander liegende 180 " GSF und gemeinsam vererbte Variantenpositionen werden als Haplotyp bezeichnet. Daher der Name HapMap, für Haplotypenkarte. Auf einem Chromosom benachbarte SNPs werden gemeinsam von Generation zu Generation vererbt. Sind die SNPs weit voneinander entfernt, oder liegen sie auf verschiedenen Chromosomen, werden sie von einer Generation zur nächsten voneinander getrennt und durchmischt. Das Ausmaß der Vermischung hängt neben der Entfernung der Variantenpositionen auch vom Zeitpunkt der Entstehung neuer Varianten ab. Die dabei verwendete Maßeinheit ist das so genannte Kopplungsungleichgewicht, das mit Zahlen von 0 bis 1 angegeben wird. Null bedeutet das vollständige Fehlen eines Kopplungsungleichgewichts zwischen zwei Positionen, zwei Varianten werden frei verteilt. Eins bedeutet vollständiges Kopplungsungleichgewicht, zwei Varianten werden gemeinsam vererbt. HapMap ist nichts anderes als ein genomweiter Katalog von Kopplungsungleichgewichten zwischen häufigen Sequenzvarianten. Als eine der Referenzpopulationen dienten dazu Proben von 30 Familien der CEPH-Sammlung, die im amerikanischen Bundesstaat Utah gesammelt und vom Centre d’Etude du Polymorphisme Humain (CEPH) in Paris für genetische Untersuchungen zur Verfügung gestellt werden. In einem Pilotprojekt für vergleichende HapMap-Karten europäischer Populationen hat die Arbeitsgruppe von Thomas Meitinger 8 verschiedene Bevölkerungsgruppen untersucht. In der Abbildung 2 sind die Unterschiede zwischen Populationen vom Norden bis zum Süden Europas in einer Farbkodierung dargestellt. Gezeigt ist eine einzige Genregion mit einer Ausdehnung von ca. 100 000 Basenpaaren. Der Vergleich zeigt sowohl die Gemeinsamkeiten als auch die Unterschiede zwischen den einzelnen Populationen. Das Projekt galt vor allem der Frage nach der Verwendbarkeit der von HapMap publizierten Referenzdaten für unterschiedliche europäische Populationen (Müller et al. 2005). Die Einführung der neuen Typisierungstechniken stellt genomweite Untersuchungen auf eine neue Stufe. Bei der Suche nach strukturellen Veränderungen der Chromosomen ergibt sich eine Kora Die Institute Ceph Est Vin Brisi Abb. 3: Kopplungsungleichgewichte in einer 100 kb Genregion vergleichend dargestellt in 5 europäischen Populationen (Ceph: Frankreich, Kora: Augsburg, Est: Estland, Vin: Vintschgau, Brisi: EmiliaRomagna). neue Auslösungsstufe. Die neuen Möglichkeiten auf dem Gebiet der molekularen Zytogenetik wurden in einer Übersichtsarbeit von Michael Speicher zusammengefasst (Speicher und Carter 2005). Sequenzvarianz erklärt EKG-Varianz Das Elektrokardiogramm (EKG) ist der wichtigste Vorhersage-Parameter für Herzrhythmusstörungen. In Kooperation mit den Instituten für Epidemiologie (KORA) und Medizinische Informatik der GSF sowie universitären Arbeitsgruppen aus der Kardiologie (LMU München) nutzen wir EKGDaten zur Identifizierung ursächlicher Genvarianten. Wir konnten zeigen, dass häufige Varianten in Genen, die für an der Erregungsleitung beteiligte Ionenkanäle im Herzen kodieren, die EKG-Signatur beeinflussen können (Pfeufer et al. 2005). Häufige Varianten machen kleine Effekte (Abb. 1). Die Effekte sind in diesem Fall so klein, dass sehr große Probenzahlen für die Experimente erforderlich sind. Für das Projekt wurden z. B. insgesamt 4000 KORA-Proben aus dem Institut für Epidemiologie ausgewertet. In noch unveröffentlichten genomweiten Analysen konnten mit EGK-Parametern assoziierte neue Genvarianten identifiziert werden. Eine Sequenzvariante macht Kopfweh Bei der Untersuchung einer familiären Form der Migräne konnte durch genomweite Kopplungsanalyse ein neuer Ionenkanal mit dieser Erkrankung in Verbindung gebracht werden (Dichgans et al. 2005). Die Arbeitsgruppe von Tim Strom identifizierte zusammen mit Martin Dichgans von der LMU München Mutationen im Natriumkanalgen SCNA1, in dem bereits Mutationen im Zusammenhang mit Epilepsie beschrieben sind. Die Mutationen sind in diesem Fall selten, die Effekte stark (Abb. 1). Die Mutationen werden mendelisch vererbt und Mutationsträger erkranken mit hoher Wahrscheinlichkeit. Die Identifizierung von Mutationen erlaubt Rückschlüsse auf den Entstehungsmechanismus der Erkrankung. Ob es sich bei den häufigen, in der Regel sporadisch auftretenden Fällen von Migräne um überlappende Pathomechanismen handelt, oder ob es sich um völlig unabhängige Entstehungsarten handelt, bleibt abzuwarten. Neue Wege in der Parkinson-Forschung Im Gen für die “Leucine rich repeat kinase 2” (LRRK2) finden sich Mutationen bei der Parkinson-Erkrankung. Auch in diesem Fall sind die Mutationen selten, die Effekte der GSF " 181 Mutationen sind stark (Abb. 1). Es kommt zu familiären gehäuften Formen der ParkinsonErkrankung. LRRK2-Genmutationen wurden 2004 in Zusammenarbeit mit Thomas Gasser von der Universität Tübingen und amerikanischen Neurologen der Mayo-Klinik an der GSF identifiziert. Jetzt gelang ein Jahr später der Arbeitsgruppe von Marius Ueffing, das vom identifizierten Gen exprimierte Protein, LRRK2, funktionell als katalytisch aktive Kinase zu charakterisieren. Dabei zeigte sich, dass erkrankungsassoziierte Mutationen in der MAP-Kinase-Domäne von LRRK2 zu erhöhter Kinaseaktivität führen (Glöckner et al., 2005). Mit diesem Befund wird LRRK2 zu einer attraktiven Zielstruktur für pharmakologische Interventionen. Inzwischen ist die Suche aufgenommen nach Proteinen, die von LRRK2 phosphoryliert werden. Die Aufklärung der mit LRRK2 assoziierten Signalübertragung soll Aufschluss über den Pathomechanismus der Erkrankung liefern. Dazu werden zusammen mit dem Institut für Entwicklungsgenetik (W. Wurst) Mausmodelle für die Erkrankung entwickelt. " " Zusammenarbeit Der Leiter des Instituts ist Lehrstuhlinhaber für das Fach Humangenetik am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München. Mitarbeiter des Instituts sind am Lehrbetrieb der TU München und der LMU München beteiligt. Ein im Deutschen Genomforschungsnetz (NGFN) gefördertes Forschungsprogramm zur molekularen Pathogenese von mitochondrialen Erkrankungen wird in Zusammenarbeit mit den Instituten für Entwicklungsgenetik (W. Wurst), Epidemiologie (E. Wichmann) und der Mausklinik (M. Hrabe de Angelis) durchgeführt. HGF-Institute am MDC in Berlin, am DKFZ in Heidelberg und an der GBF in Braunschweig sind an gemeinsamen Projekten beteiligt im Rahmen des Kernbereichs des Deutschen Genomforschungsnetzes. Dabei geht es um die Erstellung von SNP-Genotypen sowie zytogenetischer Mutationsscreening-Verfahren mit den Schwerpunkten Herzerkrankungen und neuropsychiatrische Erkrankungen. Gemeinsame Projekte werden auf diesem Gebiet auch dem GenNova-Projekt, Bozen (P. Pramstaller) durchgeführt. Die krankheitsbezogenen Netze im NGFN sind über diese Kernbereichsaktivitäten in gemeinsame Projekte miteinbezogen. Untersuchungen zum Pathomechanismus des Phosphatstoffwechsels werden zusammen mit H. Clausen von der Universität Copenhagen durchgeführt. Das Thema Neurodegeneration bei Augenerkrankungen wird gemeinsam mit den Universitäten Tübingen (B. Wissinger, E. Zrenner), Dublin (P. Humphries), TIGEM Neapel (V. Marigo), Mainz (U. Wolfrum), Nijmegen (F. Cremers, R. Roepman) sowie dem Wallenberg Center in Lund, Schweden (T. van Veen, P. Ekstrom) durchgeführt. Diese Kooperationen sind eingebunden in drei EU geförderte Projekte des 6. Rahmenprogramms. Die Untersuchungen zur Pathogenese und Funktion von LRRK2 sind eingebunden in die NGFN Systematisch Methodische Plattform “Human Brain” an der auch das GSF-Institut für experimentelle Genetik beteiligt ist (J. Beckers). Innerhalb des EU-finanzierten Integrierten Projects “Interaction Proteome” besteht eine Zusammenarbeit mit der Gruppe von W. Kolch, Beatson Institute, Glasgow. 182 " GSF Ausgewählte Veröffentlichungen Dichgans, M., Freilinger, T., Eckstein, G., Babini, E., Lorenz-Depiereux, B., Biskup, S., Ferrari, M.D., Herzog, J., van den Maagdenberg, A.M., Pusch, M., Strom, T.M.: Mutation in the neuronal voltage-gated sodium channel SCN1A in familial hemiplegic migraine. Lancet. 366, 371-377 (2005) Gloeckner, C.J., Kinkl, N., Schumacher, A., Braun, R.J., O’Neill, E., Meitinger ,T., Kolch, W., Prokisch, H., Ueffing, M.: The Parkinson disease causing LRRK2 mutation I2020T is associated with increased kinase activity. Hum Mol Genet. 15, 223-32 (2006 Epub Dec 1, 2005) Mueller, J.C., Lohmussaar, E., Magi, R., Remm, M., Bettecken, T., Lichtner, P., Biskup, S., Illig, T., Pfeufer, A., Luedemann, J., Schreiber, S., Pramstaller, P., Pichler, I., Romeo, G., Gaddi, A., Testa, A., Wichmann, H.E., Metspalu, A., Meitinger, T.: Linkage disequilibrium patterns and tagSNP transferability among European populations. Am J Hum Genet. 76, 387-398 (2005) Pfeufer, A., Jalilzadeh, S., Perz, S., Mueller J.C., Hinterseer, M., Illig, T., Akyol, M., Huth, C., Schopfer-Wendels, A., Kuch, B., Steinbeck, G., Holle, R., Nabauer, M., Wichmann, H.E., Meitinger, T., Kääb, S.: Common variants in myocardial ion channel genes modify the QT interval in the general population: results from the KORA study. Circ Res. 96, 693-701 (2005) Speicher, M.R., Carter, N.P.: The new cytogenetics: blurring the boundaries with molecular biology. Nat Rev Genet. 10, 782-92 (2005)