Vortrag_Roots - Paul-Martini

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Diagnostik bei seltenen erblichen Stoffwechselstörungen
Prof. Dr. med. Ivar Roots
Institut für Klinische Pharmakologie und Toxikologie
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Seltene Erkrankungen
Als „selten“ wird in Europa eine Erkrankung definiert, wenn sie in
der Bevölkerung mit einer Häufigkeit von max. 1/2000 auftritt.
Der Status „selten“ kann sich mit der Zeit oder regional ändern.
Zur Zeit sind 6000-7000 seltene Erkrankungen bekannt.
80% der seltenen Erkrankungen haben einen genetischen Ursprung.
Über 50% der seltenen Erkrankungen manifestieren sich erst im
Erwachsenenalter.
www.orpha.net
Beispiele für seltene Stoffwechselerkrankungen
Name
Defekt
Mukoviszidose
Chloridkanäle
Phenylketonurie
Phenylalanin-Hydroxylase
Cystinurie
Renales Transportprotein für Cystin
Häufigkeit
1:2.500
1:6.000 – 1:7.000
1:10.000 – 1:15.000
Akute intermittierende Porphyrie URO-HMB-Synthetase
1:20.000
Hereditäre Fruktoseintoleranz
Fruktose-1,6-Biphosphataldolase
1:20.000
Hartnup-Krankheit
Transportprotein f. neutrale Aminosäuen
1:24.000
M. Wilson
Kupfertransportierende ATPase
1:30.000
M. Gaucher
Saure ß-Glukosidase
Smith-Lemli-Opitz-Syndrom
7-Hydroxysteroid-7-Sterolreduktase
Lesch-Nyan-Syndrom
Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyltransf.
Alkaptonurie
Homogentisinsäureoxidase
1:200.000
Homocystinurie
Cystathionin-ß-Synthetase
1:200.000
Crigler-Najjar-Syndrom
Bilirubin-UDP-Glucuronyltransferase
1:40.000 – 1:60.000
1:60.000
1:50.000 – 1:100.000
< 1:1.000.000
Zielkrankheiten des erweiterten Neugeborenenscreening
Krankheit
Häufigkeit (ca.)
Hypothyreose*
1:4.000
Phenylketonurie, Hyperphenylalaninämie ##
1:6.500
Adrenogenitales Syndrom*
1:10.000
Medium-Chain-Acyl-CoA-Dehydrogenase-Mangel##
1:10.000
Galaktosämie#
1:40.000
Isovalerianacidämie##
1:50.000
Biotinidasemangel**
1:80.000
Glutaracidurie Typ I##
1:80.000
Long-Chain-3-OH-Acyl-CoA-Dehydrogenase-Mangel, Very-LongChain-Acyl-CoA-Dehydrogenase-Mangel##
1:80.000
Carnitinzyklusdefekte##
a) Carnitin-Palmitoyl-Transferase-I-Mangel (CPT-I)
b) Carnitin-Palmitoyl-Transferase-II-Mangel (CPT-II)
c) Carnitin-Acylcarnitin-Translocase-Mangel
1:100.000
Ahornsirupkrankheit##
1:200.000
Angewendete Teste: *Immunometrisch, **photometrisch, # photometrisch und fluorometrisch,
## Tandemmassenspektrometrie
Bundesanzeiger60, 31.03.05
Erkennung seltener Stoffwechselkrankheiten beim Neugeborenen mit Hilfe der Kernmagnetresonanzspektroskopie
NMR-Spektren von Neugeborenenurin
Zaik et al.
Metagene – Software zur Erleichterung der Diagnose von angeborenen
Stoffwechselerkrankungen, enthält bislang Daten zu 423 Erkrankungen
Typisches Manifestationsalter von Stoffwechselerkrankungen bei Neugeborenen und
Säuglingen
Art der Erkrankung
Geburt
1Wo
1 Mo
1 Jahr
„Intoxikation“
Aminoazidopathien,
Harnstoffzyklusdefekte,
Galaktosämie, hereditäre
Fructoseintoleranz
Nüchternhypoglykämie
Fettsäureoxidationsdefekte,
Störungen der Ketogenese,
Glykogenese Typ I, Störungen
der Glukoneogenese
Energiestoffwechselstörung
Mitochondriopathien
Störung der Neurotransmission
Sulfitoxidasemangel, GABATransaminasemangel
Störung im Stoffwechsel
komplexer Moleküle
Lysosomale oder perioxisomale Erkrankungen, CDGSyndrome
Prietsch V et al., Mon Kinderh.2001; 149: 1078-90
Symptome angeborener Stoffwechselstörungen
Klinik
Apathie bis hin zum Koma, Muskeltonusveränderungen,
Nahrungsverweigerung, Erbrechen, Krampfanfälle
Ungewöhnlicher Geruch von Körper oder Urin
Labor
Hyperammonämie
Metabolische Azidose mit vergrößerter Anionenlücke
Hypoglykämie
Gelbsucht, Leberfunktionsstörungen
Hyperammonämie
>24h nach Geburt
Am ersten Tag nach Geburt
Frühgeburt
Vorübergehende
Hyperammonämie
Reifes Neugeborenes
Azidose
Angeborene
Stoffwechselstörung
Organoazidopathie
Keine Azidose
Harnstoffzyklusdefekt
1:8.000
Plasmaaminosäuren
Kein Citrullin
Orotsäure im Urin
?
Carbamylphosphatsynthetasemangel
Citrullin ?
Argininosuccinat+
Citrullin???
Argininosuccinat -
?
Ornithintranscarbamylasemangel
Argininbernsteinsäurekrankheit
Citrullinämie
1:14.000
Diagnose angeborener Stoffwechselstörungen beim Neugeborenen
anhand des Symptoms Hyperammonämie
BK Burton, Pediatrics, 1998
Angeborene Störungen des Harnstoffzyklus
5
4
6
3
1)
2)
3)
4)
5)
6)
N-Azetylglutamin-Synthetase-Mangel
Carbamylphosphatsynthetase-Mangel
Ornithintranscarbamylase-Mangel
Citrullimämie
Argininbernsteinsäurekrankheit
Argininämie
2
1
.
Roche Lexikon Medizin 4. Aufl
Ornithintranscarbamylase-Mangel
Möglichkeiten der molekulargenetischen Diagnose
Das OTC-Gen liegt auf dem kurzen Arm des X-Chromosoms. Es umfaßt 73 kb und hat 10
Exons und 9 Introns.
Bisher sind 370 Mutationen beschrieben, davon haben 29 keinen Krankheitswert. Viele
Mutationen finden sich nur in einer Familie.
Die meisten Varianten (84%) entstehen durch Austausch eines Nukleotids, die übrigen sind
Insertionen oder Deletionen.
Die genetischen Varianten haben unterschiedliche Auswirkungen auf die Enzymaktivität, von
keiner Beeinträchtigung bis zum vollständigen Mangel.
Männliche Neugeborene mit vollständigem OTC-Mangel zeigen in der ersten Woche
Symptome einer akuten Hyperammonämie. Bei Männern mit partialen Enzymdefekten und
20% der heterozygoten Frauen treten Symptome später im Leben auf.
Die molekulargenetische Untersuchung umfaßt eine Amplifikation der Exons und der
anschließenden Introns mittels PCR mit anschließender Sequenzierung bzw. gezielter Suche
nach Mutationen. Damit können bei ca. 80% der Betroffenen Varianten gefunden werden, die
für den Enzymdefekt verantwortlich sind.
Yamaguchi S et al., 2006
Phenylketonurie – molekulare Diagnostik
Ursache: Fehlende oder stark herabgesetzte Aktivität des Enzyms Phenylalaninhydroxylase (PAH), mehr als 400 krankheitswertige Mutationen bereits bekannt.
Erbgang autosomal-rezessiv.
Testmethode
Erfaßte Mutationen
Erfaßte Mutationen (%)
Gezielte Mutationsanalyse
4-15 häufigste PAHMutationen
30-50%
Mutationsscanning
Häufige und eigene PAHMutationen
99%
Sequenzierung aller 13
Exons
Häufige und eigene PAHMutationen
99%
Suche nach Duplikationen
und Deletionen
Duplikationen und Deletionen
im PAH-Gen
Selten
Indikationenfür molekulargenetische Untersuchng: Ermittlung von Trägern,
pränatale Diagnostik, (Bestätigung Diagnose, Prognosestellung)
www.genetests.org, NIH-funded
Interpretation von Sequenzanalysen
In der Sequenzanalyse wurden Varianten gefunden. Dabei kann es sich handeln um
- Pathogene, in der Literatur beschriebene Varianten
- Vermutlich pathogene, noch nicht beschriebene Varianten
- Varianten, deren klinische Bedeutung unbekannt ist
- Varianten, die vermutlich ohne Krankheitswert und noch nicht beschrieben sind
- beschriebeneVarianten ohne Krankheitswert
Es wurde keine Variation der Sequenz festgestellt. Ursachen:
- Der Patient hat keine Mutation in dem getesteten Gen.
- Der Patient hat eine Variante, die mit der Sequenzanalyse nicht festgestellt werden kann (z.B. große Deletion, Splice-Site-Deletion).
- Der Patient hat eine Veränderung in einer Region des Gens, die nicht untersucht
wurde (z.B. Intron, Regulator).
www.genetests.org, NIH-funded
Die dunkle Seite der Arzneitherapie
US-Daten von Lazarou et al. (JAMA 1998; 279: 1200)
Schwere Nebenwirkungen:
6,7% = 2,2 Mio Patienten/Jahr
Deutsche Daten von Schneeweiss et al. (Eur J Clin Pharmacol 2002)
Schwere Nebenwirkungen:
2,4%
Hauptursachen: Genetik und Komedikation
• Hohe interindividuelle Varianz der Arzneimittelwirkung
• Therapieerfolg häufig nicht sicher
• Nebenwirkungen häufig nicht vorhersehbar
Ca. 6% der Krankenhauseinweisungen aufgrund von
Arzneimittelnebenwirkungen (2,5 Mrd. €/Jahr)
Die Arzneimitteltherapie sicherer zu gestalten, ist quasi eine
„nationale Aufgabe“ (vergl. Verkehrsunfälle).
Plasmacholinesterase-Mangel
Succinylcholin und Mivacurium werden durch Plasmacholinesterase deaktiviert.
Bei erniedrigter Plasmacholinesteraseaktivität sind neuromuskuläre Blockade und
Apnoe verlängert.
Bisher sind über 20 Mutationen im BChE-Gen entdeckt, die die Enzymaktivität
beeinträchtigen.
Die „Routine“-Plasmacholinesterasebestimmung kann zwischen atypischer und
normaler Plasmacholinesterase nicht zuverlässig unterscheiden.
Spezialuntersuchungen zur Auffindung funktionsgeminderter Plasmacholinesterasevarianten sind Inhibitionsteste mit Dibucain und Fluoridverbindungen,
jedoch führen auch diese oft (1:6) zu nicht eindeutigen Ergebnissen (Cerf C et al.,
2002).
Varianten der Plasmacholinesterase
Name
Mutation Allelhäufigkeit
Wildtyp (U)
Atypisch (A)
A209G
Fluoridresistent (F) C728T,
G1169T
Eigenschaften
85%
Normal
1,8%
Aktivität ?,dibucainresistent
0,2%
Aktivität ?, fluoridresistent
Still (S)
Mehrfach
?
Fehlende Aktivität
H
G424A
?
10% der normalen Plasmakonzentration
J
A1490T
0,2%
33% der normalen Plasmakonzentration
K
G1615A
12,8%
66% der normalen Plasmakonzentration
Levano et al., 2005
Eigenschaften und Häufigkeit verschiedener Plasma-Cholinesterasevarianten
Genotyp
Häufigkeit
PCHE (U/l)
Dibucainzahl
Fluoridzahl
SuccinylcholinSensitivität
E1uE1u
95%
660-1620
79-86
56-65
Keine
E1uE1a
1:30
373-1191
56-72
41-53
Selten
E1uE1f
1:200
410-1255
73-80
41-54
Selten
E1uE1s
1:220
326-900
79-86
56-67
Selten
E1uE1k
4?
387-938
79-86
58-66
Selten
E1uE1h
Selten
370-706
80-86
59-64
Selten
E1aE1f
1:19.000
320-661
38-55
22-34
Leicht
E1fE1f
1:160.000
Niedrig
60-70
30-42
Leicht
E1fE1s
1:170.000
351-509
62-66
16-38
Leicht
E1aE1a
1:2.500
169-709
13-28
15-28
Schwer
E1aE1s
1:20.000
134-469
11-28
16-29
Schwer
E1sE1s
1:100.000
0-48
-
-
Schwer
E1aE1k
1:250
341-826
46-59
34-48
Leicht
E1aE1h
Selten
149-246
23-36
22-32
Schwer
E1u – normale Aktivität, E1a – atypisch, reduzierte Aktivität, E1f – fluoridresistent, reduzierte Aktivität, E1s
– keine Aktivität, E1j, E1k, E1h – normale Aktivität, reduzierte Menge
Nach Lang C et al., 2002
Maligne Hyperthermie – molekulare Diagnostik
Ursache: Pharmakogenetische Störung der Calciumregulation im Skelettmuskel, die
nach Gabe von Triggersubstanzen (z.B. Halothan, Isofluran) zu einem exzessiv
gesteigerten Metabolismus führt.
Genetische Prävalenz 1:10.000, Erbgang autosomal dominant.
Drei Gene - RYR1 (Ryanodin-Rezeptor-1), CACNA2D1 und CACNA1S (codieren
für Untereinheiten des Calciumkanals) sind identifiziert + drei weitere Genloci.
Testmethode
Gezielte Mutationsanalyse häufiger Mutationen im
Ryanodin-Rezeptor-1-Gen
Erfaßte Mutationen (%)
25-30%
Sequenzanalyse der Codierungsregion des RyanodinRezeptor-1-Gens
70%
Gezielte Untersuchung einer Mutation (R1086H) im
CACNA1S-Gen
1%
Bei bis zu 10% der Patienten bestehen zwischen dem In-vitro-Muskelkontrakturtest
und dem molekulargenetischen Test Diskrepanzen.
www.genetests.org, NIH-funded
Seltene, schwere Arzneimittelnebenwirkungen
Agranulocytose
Pankreatitis
Akutes Leberversagen
Lyell-Syndrom
Rhabdomyolyse
Maligne Hyperthermie
Verlängerte Apnoe nach Succinylcholin
Zusammenfassung
• Bei der Diagnostik seltener Stoffwechselerkrankungen dominieren zur Zeit noch phänotypische
Teste.
• Die molekulargenetische Diagnostik offenbart
die Vielfalt der ursächlichen Mutationen.
• Molekulargenetische Teste dienen der Ermittlung
von Trägern, der pränatalen Diagnostik sowie der
Bestätigung der Diagnose und der Prognosestellung.
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