7. Kosmologie 7.1. Kosmologie auf der Basis der Einsteinschen Gravitationstheorie 7.1.1. Historische Einführung in die Kosmologie Verbunden mit der Reflektion des denkenden Menschen über sich selbst, grübelte dieser sicherlich auch über den nächtlichen Sternenhimmel insgesamt und die Rätsel der Bahnen der einzelnen Sterne nach. Als erstes Lehrgebäude ist wohl die in Griechenland entstandene Aristotelische Physik anzusehen, die zu verschiedenen qualitativen Erklärungsversuchen für manche beobachteten Phänomene der Natur vorstieß. Die Astronomie als die älteste Wissenschaft war bereits bei den Babyloniern, Ägyptern, Chinesen, Indern, Mayas und Griechen beachtlich hoch entwickelt. Während ursprünglich mehr der Lauf der Gestirne und die diesem zugrunde liegenden Bewegungsgesetze interessierten, begann mit der Nutzbarmachung des Fernrohrs die Frage nach der äußeren und inneren Struktur und schließlich nach der Entstehung und Entwicklung der Himmelskörper zu dominieren. Die Kosmogonie blühte auf. Bald wurden aber auch ernsthafte Probleme über den Kosmos als Ganzes aufgeworfen. Damit trat die Kosmologie in die Reihe der Wissenschaften. Sieht man von den aus der Antike tradierten, oft mystisch motivierten Weltmodellen ab, so muß man den ersten wissenschaftlichen Zugang zur Kosmologie mit der Newtonschen Physik verbinden. Bald fielen aber den Astrophysikern auch da unüberwindbare Schwierigkeiten auf: Berühmt geworden ist insbesondere das von H. Olbers (1826) formulierte Olberssche Paradoxon. Dieses basiert auf der Behauptung, daß nach der Newtonschen Konzeption eines euklidischen, ausgedehnten Raumes der Nachthimmel grell leuchten müßte. Nimmt man nämlich an, daß der Kosmos etwa gleichmäßig mit Sternen bevölkert ist, so wächst einerseits die Zahl der Sterne, die sich in einer um uns gedachten Kugelschale mit einer gewissen Dicke befinden, mit der Kugelfläche, also mit dem Quadrat des Kugelradius an. Andererseits nimmt die eingestrahlte Intensität bekanntlich mit dem Quadrat der Entfernung ab. Damit trägt jede Kugelschale mit derselben konstanten Gesamtintensität zur Einstrahlung bei uns bei. Offensichtlich führt die Integration über den unendlichen Raum zu einer ansteigenden Lichterregung, die so lange wächst, bis sich die Sterne überdecken. Insgesamt hätte man deshalb ein Millionenfaches der Sonnenintensität an Lichteinstrahlung zu erwarten. Das steht aber im Widerspruch zur Erfahrung. Das eben skizzierte Kosmosmodell eines euklidischen, unendlich ausgedehn- 302 7: Kosmologie ten Raumes mit gleichmäßiger Sternverteilung geriet auch mit der Newtonschen Gravitationstheorie in ernsten Konflikt. Diese Theorie liefert nämlich für eine homogene Massenkugel konstanter Dichte bei wachsendem Kugelradius ein unendlich großes Gravitationspotential. Auch dieses Ergebnis steht im Widerspruch zur Erfahrung. H. von Seeliger machte 1894 den Versuch, dieser Schwierigkeit durch Ersetzung der Newtonschen Gravitations-Feldgleichung (φ Newtonsches Gravitationspotential, γN Newtonsche Gravitationskonstante) ∆φ = 4πγN µ (7.1.1) durch die um ein Zusatzglied erweiterte Feldgleichung (k sehr kleiner Seeligerscher kosmologischer Parameter) ∆φ − k 2 φ = 4πγN µ (7.1.2) zu entgehen. Gegen diese abgeänderte Gleichung konnten aber andere Einwände geltend gemacht werden. Der Seeligerschen Korrektur der Newtonschen Feldgleichung entspricht die Korrektur der Einsteinschen Feldgleichungen durch das sogenannte kosmologische Glied mit der kosmologischen Konstanten λc (4.2.1), die Einstein 1917 versuchsweise einführte, um zu erreichen, daß die neuen Feldgleichungen einen statischen Kugelraum als Lösung besitzen. Auf diese Thematik werden wir gleich bei der Behandlung des Friedmanschen Weltmodells stoßen. In den letzten Jahrzehnten wurde das kosmologische Glied von einer Reihe von Forschern als durch die quantenfeldtheoretischen Vakuumschwankungen verursacht interpretiert. Die Einsteinsche Lehre mit ihrer Preisgabe der Euklidizität der Geometrie des Raumes hat eine Lösung dieser beiden historisch recht bemerkenswerten Widersprüche zur Erfahrung von selbst mit sich gebracht. 7.1.2. Wissenschaftliche Fundierung der Kosmologie A. Friedmansches Weltmodell und Hubblesche Weltexpansion Die eigentliche wissenschaftliche Basis für die Kosmologie wurde erst durch die Allgemeine Relativitätstheorie gelegt. Einstein selbst war es, der seine Gravitations-Feldgleichungen (1915) auf einen statischen 3-dimensionalen Kugelraum, also auf ein homogenes und isotropes Weltmodell anwandte. Homogenität und Isotropie bedeuten bezugsweise, daß im Raum kein Punkt und keine Richtung ausgezeichnet sind. Bei Einsteins Rechnungen zeigte sich allerdings, daß ein solcher statischer Kugelraum (zeitlich konstanter Radius) keine Lösung der Feldgleichungen ist. Wegen dieser Sachlage vollzog dann Einstein die oben bereits erwähnte Abänderung der Feldgleichungen durch das kosmologische Glied. Auf dieser neuen Basis entstand dann 1917 das Einstein-Modell eines 3-dimensionalen statischen Kugelraumes, dessen Krümmungsradius K0 mit der kosmologi1 schen Konstanten λc durch die Beziehung K0 = √ verknüpft ist. λc 7.1 Kosmologie auf der Basis der Einsteinschen Gravitationstheorie Das kosmologische Glied, das Einstein aufgrund der befriedigenden Friedmanschen Resultate später wieder fallen ließ, hat die Forscher bis heute immer wieder gereizt. Es konnte bis heute empirisch auch nicht ausgeschlossen werden. Allerdings kann jetzt eine obere Grenze für den Zahlenwert der kosmologischen Konstanten angegeben werden. Dabei zeigt sich, daß dieser Zahlenwert, falls dem Glied wirklich Wahrheitsgehalt zukommt, außerordentlich klein sein muß. Ein anderes Weltmodell aus der ersten Zeit nach Aufstellung der Einsteinschen Theorie ist das von W. de Sitter in den Jahren 1916/1917 vorgeschlagene DeSitter-Modell, gegen das ebenfalls schwerwiegende physikalische Einwände (z. B. negativer Druck) geltend gemacht werden können. Das Einstein-Modell und das De-Sitter-Modell besitzen deshalb heute nur noch historisches und mathematisches Interesse. Der entscheidende theoretische Schritt nach vorn gelang im Jahre 1922 A. Friedman im damals durch die Interventionskämpfe stark bedrängten und ausgehungerten Petrograd. Zum Erstaunen von Einstein fand Friedman, daß die Einsteinschen Feldgleichungen ohne das kosmologische Glied doch den 3-dimensionalen homogenen und isotropen Raum (von Vorzeichenfragen abgesehen), also den Einsteinschen Kugelraum als Lösung besitzen, aber mit einem zeitlich variablen Radius. Damit war das Friedman-Modell als dynamisches Weltmodell geschaffen. Die kosmologische Erfahrung bis heute spricht für einen hohen Wahrheitsgehalt dieses sicherlich sehr groben Modells, das sich trotz Anfeindung und Mißdeutung als erste Annäherung an den wirklichen Kosmos gut bewährt hat. Wir werden uns später noch ausführlicher mit ihm beschäftigen. Daß das aus heutiger Sicht zu konstatierende Zweigestirn Friedman/Hubble für Jahrhunderte den Weg zur wissenschaftlichen Kosmologie erhellen wird, war E. Hubble im Jahre 1929 sicherlich nicht voll bewußt. Dieser wird damals auch kaum in der Lage gewesen sein, den von Friedman 1922 geschaffenen theoretischen Vorlauf voll zu übersehen. Hubble machte 1929 auf dem Mount Wilson in Kalifornien mit dem damals herausragenden Spiegelteleskop durch ein systematisches Studium der extragalaktischen Nebel zwei epochale Entdeckungen, die später von ihm und M. L. Humason noch weiter verfeinert wurden. Man kann die wichtigsten Ergebnisse in heutiger Einschätzung folgendermaßen zusammenfassen: 1. Mittelt man über den astronomisch bekannten Erfahrungsraum, der damals bis zu Entfernungen von 500 Millionen Lichtjahren reichte und heute Entfernungen bis zu mehr als 12 Milliarden Lichtjahre umfaßt, so kann man eine homogene (kein bevorzugter Punkt) und, soweit der Himmelsraum richtungsmäßig zugänglich ist, isotrope (keine bevorzugte Richtung) Massenverteilung mit einer mittleren Massendichte von etwa (1 bis 5) · 10−31 g/cm3 feststellen. Die Unsicherheit in der Massendichte resultiert aus mehreren Faktoren (z. B. Massen der Objekte, Entfernungsproblematik). Es ist klar, daß die Entdeckung neuer kosmischer Objekte (z. B. Dunkle Materie) zu einer Verschiebung der Massendichte zu größeren Werten führt. Die Extrapolation dieser Hubbleschen Entdeckung auf den gesamten Kos- 303 304 7: Kosmologie mos führt zu dem sogenannten kosmologischen Homogenitäts-IsotropiePostulat, das natürlich eine Hypothese ist, aber für ein grobes Kosmosmodell beachtlich gute Dienste leistet. 2. Die fernen Galaxien weisen unabhängig von ihrer Richtung eine alle Spektrallinien in gleicher Weise erfassende Rotverschiebung ∆λ auf, die näherungsweise dem Abstand ∆ der Galaxien von uns proportional ist: z= ∆λ H = ∆ λ c (7.1.3) (λ Wellenlänge des Lichtes). Den Proportionalitätsfaktor H in dieser für relativ kleine Wellenlängen-Verschiebungen gültigen linearen Hubbleschen Formel nennt man heute Hubble-Parameter. Der Zahlenwert für diese Größe unterlag infolge der laufenden Verbesserungen der Entfernungsskala einer ständigen Korrektur. Der heute weitgehend akzeptierte Wert beträgt etwa H ≈ 70 km/s Mpc = 2, 268 · 10−18 s−1 = 1 13, 97 · 109 y (7.1.4) ( Mpc Megaparsec). Hubbles erste grobe Abschätzung belief sich auf H = 600 km/s Mpc (1 Jahr [y] = 3, 156 · 107 Sekunden [ s], 1 parsec = 3, 086 · 1018 cm). Die Hubblesche Rotverschiebung der Spektrallinien wurde anfangs als einfacher Doppler-Effekt gedeutet. Nach diesem Effekt ist die Ursache für Rotverschiebung die Fortbewegung der Lichtquellen, also der fernen Galaxien, von uns. Da das kosmologische Homogenitäts-Isotropie-Postulat Gleichberechtigung aller Beobachter im Kosmos nach sich zieht, muß gemäß dieser Deutung jeder dieser Beobachter die fernen Galaxien von sich fort bewegen sehen. Aus dieser Überlegung resultierte dann die These von der Nebelflucht oder Weltexpansion. An dieser Stelle sei an das neue Beobachtungsmaterial, das die immense Rotverschiebung der Spektrallinien der Quasare betrifft, erinnert. Auch diese Fakten fügen sich gut in das entworfene Kosmosmodell ein. Wir können aber hier nicht weiter auf die empirische Seite eingehen. Die These von der Weltexpansion stieß aus verschiedenartigen Gründen auf beachtliche Ablehnung. Die historische Aufarbeitung dieses Tatbestandes ist noch nicht abgeschlossen. Selbst so weither geholte Ideen, wie die Alterung der Photonen auf ihrem langen Weg zu uns, wurden gegen die Weltexpansion ins Feld geführt. B. Thermische kosmologische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung Neben den Hubbleschen Entdeckungen ist wohl die Entdeckung der thermischen Hintergrundstrahlung des Kosmos durch A. A. Penzias und R. W. Wilson im Jahre 1965 die nächste epochale kosmologische Entdeckung. Beide bei den Bell Telephone Laboratorien beschäftigten Forscher wollten das Rauschen in ihrer 7.1 Kosmologie auf der Basis der Einsteinschen Gravitationstheorie Antenne vermindern, das die Verbindung zu Satelliten störte. Dabei stellten sie einen Rauschexzeß fest, der in den Grenzen ihrer Beobachtungsgenauigkeit einer isotropen, unpolarisierten elektromagnetischen Hintergrundstrahlung im Mikrowellengebiet entsprach, die frei von jahreszeitlichen Schwankungen war. Die genauere Analyse des Strahlungsspektrums ergab, daß es sich um die Plancksche Strahlung eines schwarzen Körpers (Hohlraumstrahlung) mit einer Strahlungstemperatur von 3 K handeln könnte. Allerdings waren die auf der Erde erhältlichen Meßdaten nur für einen Teilbereich des Spektrums schlüssig: Für Wellenlängen λ > 30 cm dominiert die Einstrahlung von der Galaxis und den Radioquellen; für Wellenlängen λ < 1 mm verhindert die Absorption der Atmosphäre den Empfang. Hier mußten indirekte Methoden herangezogen werden. Es ist interessant, daß bereits 1941 A. McKellar der die CN-Banden kosmischer Moleküle anregenden Strahlung eine Temperatur von 2, 3 K zuordnete. Seine Feststellung wurde vergessen. Später wurde die Anpassung des Spektrums der Hintergrundstrahlung an die Plancksche Strahlungsformel weiter verfeinert, so daß man (bei differierenden Werten in der Literatur) dieser Strahlung 2, 725 K (2003) zuschreibt. Ihre Energiedichte beträgt auf der Basis der Anwendung des Stefan-Boltzmannschen Strahlungsgesetzes auf den Gesamtkosmos 4, 17 · 10−13 erg/cm3 . Die zuzuordnende Massendichte ist 4, 635 · 10−34 g/cm3 . Auch der Isotropienachweis für die Strahlung konnte beachtlich weit vorangetrieben werden. Zur Erklärung der Hintergrundstrahlung wurden anfangs die verschiedensten Ideen entwickelt: 1. Strahlung eines heißen interstellaren Gases in frühen Entwicklungsstadien. Eine solche Strahlung besitzt aber ein anderes Spektrum. Außerdem fällt die integrale Intensität zu klein aus. 2. Strahlung von Galaxien-Staubkörnern, die durch das Sternenlicht induziert sei. Diese Erklärung scheidet ebenfalls aus, da die Energiedichte der integralen optischen Strahlung der Galaxien ungefähr 2, 4 · 10−15 erg/cm3 beträgt, also etwa 2 Größenordnungen unter der Energiedichte der Hintergrundstrahlung liegt. 3. Überlagerungs-Strahlung geeigneter kosmischer Strahlungsquellen. Es läßt sich keine Kombination finden, die das beobachtete Spektrum und die Energiedichte erklären könnte. Wir verzichten auf die Darlegung weiterer hypothetischer Erzeugungsmechanismen, sondern stellen fest, daß die natürlichste Erklärung darin besteht, daß diese Strahlung ein Relikt aus der Frühphase des Kosmos ist. Diese Idee trifft sich mit der von G. Gamov in den Jahren 1946 bis 1949 entwickelten und von seinen Mitarbeitern später weiter geführten Theorie eines heißen Weltalls in seiner Frühphase, wobei eine Reliktstrahlung mit einer Temperatur von 5 K vorausgesagt wurde. Leider wurde diese Theorie kaum beachtet. Die Entdeckung der thermischen Hintergrundstrahlung hat offensichtlich für das heiße Weltmodell 305 306 7: Kosmologie entschieden, das von Ya. Zeldovich und seinen Schülern weiter entwickelt und von St. Weinberg [34] sehr verfeinert wurde. C. Friedman-Modell und Standardmodell des Kosmos Daß sich heute kaum noch ernste Stimmen gegen die Weltexpansion erheben, ist der umfassenden theoretischen Fundierung der Kosmologie zu verdanken. Auf der Basis der Einsteinschen Gravitationstheorie begründeten A.Friedman und später in detaillierterer Weiterführung G. Lemaı̂tre durch Anwendung dieser Theorie auf ein homogenes und isotropes Weltmodell das Friedman-Lemaı̂treModell als Grundlage der theoretischen Kosmologie, deren Grundzüge wir im folgenden kurz darlegen wollen, wobei wir der Kürze halber von Friedman-Modell sprechen werden. Bekanntlich ist nach den heutigen Einsichten die Gravitation eine weitreichende universelle Wechselwirkung der Massen. Aus diesem Grund war es sinnvoll anzunehmen, daß das Wechselwirkungsverhalten der Himmelsobjekte aller Art auf große Distanzen wesentlich durch die Gravitation bestimmt wird. Will man die Einsteinschen Feldgleichungen der Gravitation lösen, so muß man einen geeigneten Energietensor als Quellterm vorgeben, wobei die strenge mathematischanalytische Behandlung die erwähnten kosmologischen Symmetrien der Homogenität und Isotropie des Kosmosmodells erfordert. Den physikalischen Inhalt des Energietensors betreffend, mußte man in erster Linie die Haupteffekte erfassen. Das war einerseits die zwischen den kosmischen Massen wirkende Gravitation und andererseits der sich eventuell in Stoßprozessen dieser Massen manifestierende Druck in einem kosmologischen Sinn. Auf diese Weise wurde man zu dem Staubkosmosmodell geführt, dessen Bestandteile die Himmelskörper sein sollten. Bei dieser Vorstellung ist natürlich stets an die riesigen räumlichen Distanzen kosmischen Geschehens zu denken, über die die Einzelereignisse zu mitteln sind. Die oben dargelegten Symmetrieaspekte induzieren für den Energietensor den Ansatz ⎛ ⎞ −P 0 0 0 j ⎜ 0 −P 0 0⎟ ⎟. Ti = ⎜ (7.1.5) ⎝ 0 0 −P 0 ⎠ 0 0 0 w Dabei ist P ein den Druck charakterisierender Parameter, w bedeutet die Energiedichte nichtgravitationellen Ursprungs. Man unterscheidet nun zwei verschiedene Grundtypen kosmologischer Modelle: Strahlungskosmos Bei diesem auch Lichtkosmos genannten Modell, das der Bildung von Galaxien und Sternen vorausgeht, existiert im Kosmos zunächst nur inkohärente elektro- 7.1 Kosmologie auf der Basis der Einsteinschen Gravitationstheorie magnetische Strahlung. Die Größe P erhält hier die Bedeutung des Strahlungsdrucks, der mit der Strahlungsenergiedichte gemäß P = 1 w 3 (7.1.6) verknüpft ist. Die Integration der Einstein-Gleichungen ergibt die folgende Formel für die Energiedichte in Abhängigkeit vom Krümmungsradius K (Weltradius beim geschlossenen Modell), der bei offenen Weltmodellen auch Skalenfaktor genannt wird: w= A K4 (A Integrationskonstante). (7.1.7) Bei kosmologischer Expansion (zeitliches Anwachsen des Krümmungsradius) nimmt also die Energiedichte mit der 4. Potenz des Krümmungsradius ab. Staubkosmos Dieses Modell, oft auch kurz als Materiekosmos (matter cosmos) oder Stoffkosmos bezeichnet, wird dem jetzigen Zustand des Kosmos zugeordnet. Bei ihm ist der Parameter P mit dem mechanischen Druck p zu identifizieren, während die Energiedichte w mit der mechanischen Massendichte µ durch die Formel w = µc2 verknüpft ist. Um dieses Modell durchrechnen zu können, braucht man eine weitere Voraussetzung über die Zustandsgleichung des kosmologischen Staubes, also eine Annahme über die funktionale Verknüpfung p = p(w). Da das auf ein recht kompliziertes mathematisches Problem hinausläuft, schränken wir die weitere Diskussion auf den Spezialfall p = 0 ein, der bereits typische Züge dieses Modells wiedergibt. In die einheitlich dargestellte Theorie geht ein Vorzeichenparameter ε ein, der drei Zahlenwerte {+1, 0, −1} annehmen kann. Demgemäß existieren drei verschiedene Lösungsklassen, die drei topologisch unterschiedlichen Modellklassen entsprechen: ε=1: geschlossenes Modell (Kugelraum mit endlichem Volumen); ε = −1 : offenes Modell (Pseudosphären-Raum); ε=0: dazwischen liegender Grenzfall. Ziel der Integration der Einstein-Gleichungen ist es, neben einer Reihe anderer Dinge insbesondere das zeitliche Verhalten des Krümmungsradius des Modells K = K(t) zu ermitteln. Diese Integration ist Friedman gelungen. Für alle drei Modellklassen ergibt sich dabei folgende Formel für die Energiedichte w in Abhängigkeit vom Krümmungsradius K: w= B K3 (B Integrationskonstante). (7.1.8) 307 308 7: Kosmologie Im Unterschied zum Strahlungskosmos erfolgt also hier bei einer kosmologischen Expansion die Abnahme der Energiedichte mit der 3. Potenz des Krümmungsradius. ε = −1 K ε=0 ε=1 t tc Abbildung 7.1: Qualitativer zeitlicher Verlauf des Krümmungsradius für die drei Klassen von Kosmosmodellen. Die Abb. 7.1 gibt qualitativ das zeitliche Verhalten des Krümmungsradius wieder, wobei wir nur die der wachsenden Zeit t zugeordneten Lösungszweige eingezeichnet haben und ohne Beschränkung der Allgemeinheit die Kurven beim Zeitpunkt t = 0 einsetzen ließen: Beim offenen Weltmodell kommt die Expansion zu keinem Stillstand. Der Krümmungsradius wächst mit der Zeit über alle Grenzen. Beim geschlossenen Weltmodell wird das zeitliche Verhalten des Krümmungsradius durch eine Zykloide beschrieben. Nach einer Expansionsphase nimmt der Krümmungsradius den eingezeichneten Maximalwert an. Daran schließt sich eine Kontraktionsphase an. Die Zeitdauer vom Anfang der Expansion bis zum Ende der Kontraktion (Zykloidenperiode) beträgt (κ0 Einsteinsche Gravitationskonstante) tc = κ0 πB κ0 πwK 3 = . 3c 3c (7.1.9) Da dem geschlossenen Modell das endliche 3-dimensionale Volumen V = 2π 2 K 3 zukommt, resultiert für die rein mechanische Masse der zeitlich konstante Wert M = 2π 2 K 3 µ = 2π 2 B . c2 (7.1.10) Die mechanische Masse bleibt also während des Expansions- und Kontraktionsprozesses erhalten. In der Friedmanschen Theorie treten zwei für den Vergleich mit der Erfahrung wichtige Größen auf, nämlich der Hubble-Parameter, für den H= 1 dK K dt gilt, und der sogenannte Dezelerationsparameter (Bremsparameter) dK 2 d2 K . q = −K dt2 dt (7.1.11) (7.1.12) 7.1 Kosmologie auf der Basis der Einsteinschen Gravitationstheorie Dieser hat seinen Namen daher, weil er im wesentlichen durch die zweite zeitliche Ableitung des Krümmungsradius bestimmt wird. Bei gleichförmiger Expansion oder Kontraktion verschwindet er. Er stellt also ein Maß für die Abweichung von der gleichförmigen Expansion oder Kontraktion dar. Wir kommen auf ihn gleich wieder zurück. Vorher befassen wir uns jedoch mit der Ausbreitung einer elektromagnetischen Welle im Friedman-Modell. Die Rechnung zeigt im einzelnen, daß die Expansion zu der kosmologischen Rotverschiebung (λQ Wellenlänge am Ort der emittierenden Lichtquelle, ∆λ = λ − λQ ) z= 1 H ∆λ ∆ + 2 H 2 (1 + q)(∆)2 + · · · = λQ c 2c (7.1.13) führt. Diese theoretische Formel enthält als lineares Glied das Hubblesche empirische Resultat (7.1.3). Für den Hubble-Parameter bekommt man die theoretische Formel ε κ0 w − 2. H=c (7.1.14) 3 K Wir merken mit Nachdruck an, daß die hier erhaltene kosmologische Rotverschiebung ein unmittelbares Ergebnis der Zeitabhängigkeit des metrischen Feldes ist, so daß die Deutung über den Doppler-Effekt keine primäre Grundlage hat. Ehe wir zum Vergleich mit dem empirischen Material übergehen, halten wir noch die aus den Rechnungen resultierende interessante Formel K 2 H 2 (2q − 1) = εc2 (7.1.15) fest, die die obigen Parameter verknüpft und die für die Interpretation der Theorie eine grundsätzliche Bedeutung besitzt. Die bisherigen Darlegungen zum Friedman-Modell waren rein theoretischer Art und nahmen absichtlich keinen Bezug zu unserer realen Welt. Abgesehen vom physikalisch realistischen Ansatz für den Energietensor genügt das Friedman-Modell von seiner Konstruktion her dem Postulat der Homogenität und Isotropie, allerdings für den gesamten Raum. Es basiert also auf der Extrapolation der Entdeckung von der Homogenität und Isotropie. Ist diese Extrapolation gerechtfertigt? Die Antwort auf diese Frage kann nur die experimentelle Erfahrung geben. Schon an anderer Stelle haben wir unsere Meinung betont, daß die Gültigkeitsgrenzen einer Theorie aus der Theorie selbst heraus nicht festlegbar sind, sondern daß sie durch den Vergleich mit der Wirklichkeit zu bestimmen sind. Deshalb stellen wir im folgenden kurz das zum heißen Weltmodell erweiterte Friedman-Modell, heute als Standardmodell bekannt, der astrophysikalischen Erfahrung gegenüber: 1. Die erste große Stütze für das Friedman-Modell ist die von Hubble entdeckte kosmologische Rotverschiebung. Die empirische Formel (7.1.3) ist in der theoretischen Formel (7.1.13) enthalten. An der Realität der Weltexpansion (im groben) besteht kein Zweifel. 309 310 7: Kosmologie 2. Die Entdeckung der thermischen Hintergrundstrahlung bestätigt die Vorstellung von einem extrem heißen Weltall in früher Phase. Auf der Grundlage des Standardmodells gibt es eine auf elementarteilchentheoretischer Basis im einzelnen ausgearbeitete Theorie für die Zeit unmittelbar nach dem Urknall (big bang), in der der Kosmos eine extrem hohe Temperatur (etwa 1010 K) aufgewiesen haben soll und Vernichtungs-und Erzeugungsprozesse in Bruchteilen von Sekunden abgelaufen sein sollen, bis schließlich nach etwa einer Minute die Bildung von Deuterium, Helium und weiterer chemischer Elemente begonnen hat. Nach einer Woche soll dann die Temperatur so weit abgesunken gewesen sein, daß die Strahlung im Kosmos thermisch wurde, allmählich die Kondensation stofflicher Materie einsetzte und sich nach 3 · 105 Jahren der Übergang zur (durchsichtigen) stoffdominierten Phase vollzog, der die Abb. 7.1 entspricht. In dieser Phase, in der sich nach 109 Jahren die Sterne und Galaxien zu bilden begannen, befinden wir uns jetzt. Da die Verweilzeit des Kosmos in der (undurchsichtigen) strahlungsdominierten Anfangsphase unverhältnismäßig kurz war, gibt der Zahlenwert für die bisherige Verweilzeit des Kosmos in der stofflichen Phase im wesentlichen das sogenannte Weltalter an. Beim geschlossenen Weltmodell müßte unser heutiger Weltzyklus mit einem von uns früher als Schlußknall bezeichneten Abschluß (big crunch) enden, der in zeitlicher Umkehrung dem Urknall sehr ähnlich wäre. 3. Es ist erstaunlich, daß das letzten Endes doch recht grobe Standardmodell zu Aussagen führt, die sich beachtlich gut in das Mosaik der Empirie einfügen. Für das Weltalter folgen aus der Friedmanschen Theorie verschiedene komplizierte Formeln, abhängig davon, ob das geschlossene oder offene Modell betrachtet wird. Im Falle des geschlossenen Modells gehen in diese Formeln der Weltradius K und die Massendichte µ ein, zwei empirisch nicht besonders gut feststellbare Größen. Doch läßt sich sagen, daß das modellmäßige Weltalter fast von der Größenordnung des reziproken Wertes des Hubble-Parameters ist. Blicken wir auf den empirischen Wert des Hubble-Parameters (7.1.4), so können wir für das Weltalter etwa 14 Milliarden Jahre ablesen, falls man diese reziproke Zuordnung als grobe Orientierung nimmt. Die korrektere Behandlung dieses Gegenstandes führt allerdings auf einen wesentlich kleineren Wert, wenn man sich auf den oben angegebenen Zahlenwert für die Massendichte stützt. Im einzelnen führte das bisher zu Konflikten mit der Empirie, denn für die Kugelsternhaufen wurde ein damit vermeintlich nicht verträgliches Mindestalter angenommen. Geschlossenheit oder Offenheit des Kosmos Im weiteren wenden wir uns noch kurz den folgenden interessanten Problemen zu: Ist unsere Welt geschlossen oder offen? Wie groß ist der Welt- 7.1 Kosmologie auf der Basis der Einsteinschen Gravitationstheorie radius? Die Beurteilung dieser Fragen soll auch hier zunächst auf der Basis des auf der Friedman-Theorie basierenden Standardmodells erfolgen. Den Zugang zu dieser Thematik kann man so finden, daß man aus der kosmologischen Rotverschiebung gemäß Gleichung (7.1.13) zunächst den Hubble-Parameter H ermittelt. Leider reichen aber die heutigen Meßdaten nicht aus, um aus dieser Formel auch noch den Beschleunigungsparameter q genauer bestimmen zu können. Aus der Formel (7.1.15) erkennt man nun, daß das Vorzeichen von ε davon abhängt, je nachdem ob q > 1/2 (geschlossenes Modell) oder q < 1/2 (offenes Modell) ist, so daß wir wegen der erwähnten Unsicherheit feststellen müssen: Die Geschlossenheit oder Offenheit unseres Kosmos ist bis heute empirisch noch unentscheidbar. Es gibt eine Reihe kosmologischer Argumente für die Offenheit, aber auch ganz gute für die Geschlossenheit. Die Unsicherheit des Beschleunigungsparameters q macht gemäß Gleichung (7.1.15) dann auch die genaue Bestimmung des Weltradius K unsicher. Dennoch läßt sich daraus für ein geschlossenes Modell für den Weltradius K die Größenordnung K≈ c = 1, 32 · 1028 cm = 1, 4 · 1010 Lichtjahre H (7.1.16) angeben (1 Lichtjahr = 9, 461 · 1017 cm). Dieser Zahlenwert ist nicht so klein, als daß er mit der astronomischen Erfahrung im Widerspruch stehen würde. Wären Weltradius und Hubble-Parameter exakt genug bekannt, so könnte man die Formel (7.1.14) benutzen, um eine bessere Einsicht über die Energiedichte bzw. Massendichte zu erhalten. Unsere obigen Zahlenwerte liefern überschlagsmäßig für die Massendichte µ= w ≈ 9 · 10−30 g cm−3 . c2 (7.1.17) Dieser Wert liegt eine Größenordnung über den heutigen Abschätzungen. Könnte das ein ernsthaftes Zeichen dafür sein, daß das verwendete Staubmodell für die sichtbare stoffliche Materie nicht die Wirklichkeit trifft? Schließlich erwähnen wir in diesem Kontext, daß sich in der Einstein-Theorie (Staubkosmos) aus (7.1.14) für den Übergang vom geschlossenen zum offenen Weltmodell (ε = 0) die folgende Formel für die kritische Massendichte ergibt: µcrit = 3H 2 3H 2 = = 1.78 · 106 H 2 g cm−3 s2 . κ0 c4 8πγN (7.1.18) Wendet man diese Formel auf die Gegenwart bei Benutzung des numerischen Wertes (7.1.4) für den Hubble-Parameter an, so resultiert µcrit = 9.16 · 10−30 g cm−3 . (7.1.19) 311 312 7: Kosmologie Weitere Fragen aktueller kosmologischer Forschung sind heute: Warum ist der uns zugängliche Kosmos als Ganzes so beachtlich homogen und isotrop? Welche physikalischen Prozesse führten zu einer beachtlich glatten und geordneten Welt? Ist die Theorie der Accretion der Materie zur Bildung der Galaxien und Sterne schon Schlußpunkt in dieser Thematik? Bringt die Theorie der Dichtefluktuationen als Ausgangspunkt für diese Fragestellungen auch quantitativ eine akzeptable Lösung für diese Grundsatzfrage der Kosmologie und Kosmogonie? 7.1.3. Erweiterung des Standardmodells Seit einigen Jahrzehnten gibt es, insbesondere in letzter Zeit aktualisiert durch das hochinteressante empirische Material, das mittels des Hubble-Weltraumteleskopes und anderer Satelliten-Meßprogramme, aber auch durch neue extrem leistungsstarke terrestrische Observatorien gewonnen wurde, eine verstärkte theoretische Forschung auf dem Gebiet der Kosmologie und Kosmogonie. Hauptziele dieser Aktivitäten sind auf die Kosmologie in unmittelbarer Nähe des Urknalls, auf den Nachweis der Existenz der Schwarzen Löcher, auf die Accretionstheorie der Galaxien und Sterne sowie auf die Astrophysik der Quasare und Pulsare, aber auch auf den Nachweis der Gravitationswellen gerichtet. Insgesamt läßt sich einschätzen, daß trotz der oben herausgestellten denkbaren Unstimmigkeiten zwischen der Einstein-Theorie und der neueren empirischen Erfahrung, summarisch gesprochen, keine Zweifel an der zumindest näherungsweisen Zuständigkeit der Einstein-Theorie für das Herangehen an diese Problemkreise besteht. Deshalb geht man davon aus, daß der Ausbau des Friedman-Modells zum Standardmodell nicht weit genug geht, sondern daß dieses durch weitere dazugenommene Bereiche vervollständigt werden muß. Wir sind hier nicht in der Lage, auf diese immense internationale Forschungsarbeit weiter einzugehen, sondern möchten nur auf einige Schwerpunkte solcher Erweiterungen der Kosmologie hinweisen. A. Inflationäres Kosmosmodell für den frühen Kosmos Um die heute beobachtete Fast-Flachheit des Kosmos (ε ≈ 0) besser zu verstehen und um neben einer Reihe anderer Dinge auch die Diskrepanz zwischen dem aus dem Standardmodell gefolgerten, etwas zu klein ausfallenden Weltalter und dem darüber liegenden Alter des kosmischen mineralogischen Materials zu mindern, also um ein größeres Weltalter zu erhalten, wurde insbesondere von H. Guth (1980) und später von A. Linde, P. J. Steinhardt und A. Albrecht das Konzept einer zwischen dem als unbestritten angenommenen Urknall und dem Anlauf des Standardmodells eine exponentiell anwachsende Aufblähung (Inflation) des Kosmos einge- 7.1 Kosmologie auf der Basis der Einsteinschen Gravitationstheorie schoben. Dabei wurde für die Zeitabhängigkeit des Krümmungsradius ein Exponentialverhalten der Art K ∼ et/a (a Inflationskonstante) (7.1.20) gefunden. Dieses Resultat, das in theoretischer Hinsicht eng mit der Frage nach der Existenz der Higgs-Teilchen, für die man eine Ruhmasse von mehr als 63, 5 GeV/c2 = 1, 13·10−22 g erwartet, zusammen hängt, bedeutet einen starken theoretischen Eingriff in das kosmologische Geschehen, wenn man bedenkt, daß im Standardmodell folgende Zeitabhängigkeiten vorliegen: K ∼ t1/2 (Strahlungsmodell) , (7.1.21a) K∼t (Staubmodell) . (7.1.21b) 2/3 Abschätzungen ergaben, daß die Geschwindigkeit der Expansion um den Faktor 1043 gegenüber dem Standardmodell vergrößert ist. B. Quantenkosmos Bekanntlich ist das Grundproblem der Schaffung einer einheitlichen physikalischen Theorie mit Quantisierung des Gravitationsfeldes, für das trotz vielschichtiger, umfangreicher Forschungsarbeit bisher eine generelle Quantisierung nicht möglich war, und der anderen Quantenfelder noch nicht gelungen. Es wird teilweise sogar das Ziel der Quantisierung der Gravitation überhaupt als wissenschaftlich fraglich angesehen. Man kann aber andererseits gut verstehen, daß diese Problematik insbesondere auch in der Kosmologie geklärt werden sollte, ist doch der physikalische Zustand der Materie in der Frühphase des Kosmos derartig extrem, daß Quantenprozesse der Teilchenentstehung und Teilchenvernichtung eine fundamentale Rolle spielten. In der Quantenkosmologie geht es insbesondere auch um die Frage, ob die oben besprochenen Motivationen für die Theorie des inflationären Kosmos möglicherweise durch die Einbeziehung der Quantentheorie in die Kosmologie befriedigender realisiert werden können. Hauptidee ist dabei die Berücksichtigung der Energie der mit dem Grundzustand der Quantenfelder verbundenen Vakuumfluktuationen in der Einsteinschen Feldgleichung. Bekanntlich liefert die Quantisierung des freien elektromagnetischen Photonfeldes und des freien Diracschen Elektron-Positron-Feldes die folgenden im Vorzeichen verschiedenen Vakuum-Erwartungswerte der Energie pro Energiefreiheitsgrad (ω Kreisfrequenz des Zustandes): 1 ω + · · · 2 E0 = −ω + · · · E0 = (Photonfeld), (7.1.22a) (Elektron-Positron-Feld). (7.1.22b) 313 314 7: Kosmologie Als erster hatte wohl E. Streeruwitz (1975) gezeigt, daß sich für das quantisierte skalare Feld ein dem metrischen Tensor proportionaler Fluktuationsterm ergibt, der von der Struktur des kosmologischen Gliedes der Einstein-Theorie ist. Ya. B. Zeldovich hat sich im Zusammenhang mit einer denkbaren Vermeidung des Singularitätsproblems in der Kosmologie mit ähnlichen Fragen befaßt (1981). Eine Anregung zu diesem Ideenkreis kam insbesondere auch von dem durch H. Casimir (1954) vorausgesagten und inzwischen experimentell bestätigten Casimir-Effekt, der die durch die Vakuumfluktuationen des Photonfeldes zwischen zwei im Vakuum befindlichen parallelen Platten verursachte Anziehungskraft zwischen den Platten betrifft. Bei der Berücksichtigung der Vakuumfluktuationen des Elektron-PositronFeldes erwartete man wegen des in (7.1.22b) auftretenden negativen Vorzeichens eine die Expansion verstärkende Kraft mit der Konsequenz einer das Weltalter vergrößernden Auswirkung. Dieses interessante theoretischen Konzept stieß auf eine Reihe ernsthafter offener Fragen, auf die wir hier nicht weiter eingehen können. Wir verlassen unsere Darlegungen zur Erweiterung des kosmologischen Standardmodells mit einem wichtigen Hinweis zur Singularitätsproblematik der Kosmologie. St. W. Hawking und R. Penrose haben ein Theorem über die Unvermeidbarkeit der Singularität beim Gravitationskollaps und in der Kosmologie im Rahmen der Einsteinschen Gravitationstheorie bewiesen (1970). Dabei gehen sie von den folgenden physikalisch akzeptablen Voraussetzungen aus: Erfüllung der Energiedominanzbedingung ε + 3p 0 (ε kosmologische Energiedichte, p Druck), Gültigkeit der Kausalität sowie Überschreitung eines Schwellenwertes der Energiedichte von Strahlung und stofflicher Materie (matter). Eine singularitätsfreie kosmologische Lösung ist nur bei Anerkennung der physikalisch wohl kaum akzeptablen Voraussetzung eines negativem Druckes unter Erfüllung der Ungleichung 1 p < − ε in der Frühphase des Kosmos möglich. 3 C. Skalar-Tensor-Theorie zur theoretischen Fundierung der Hypothesen über die Existenz von Dunkler Materie, Quintessenz und Dunkler Energie Die eben genannte Thematik zielt unter anderem auf folgende dringliche Fragen: Wie erhalten wir eine bessere Einsicht in die Eigenschaften der hypothetischen Dunklen Materie und der Dunklen Energie, wobei ein entscheidender Beitrag dazu durch die Klärung der Existenz einer Ruhmasse der Neutrinos kommen könnte? Sollte man auch an ein eventuelles Versagen der Einsteinschen Gravitationstheorie in der Frühzeit des Weltalls denken? 7.1 Kosmologie auf der Basis der Einsteinschen Gravitationstheorie Bekanntlich erfuhr die Kosmologie infolge des weiteren Ausbaus von Satellitensystemen und Weltraumstationen gegen Ende des 20. Jahrhunderts eine immense empirische Bereicherung, die nun besser verstanden werden muß. Diesem Zweck dienten einerseits Einbeziehung des kosmologischen Gliedes mit seiner kosmologischen Konstanten in die Einsteinschen Feldgleichungen und andererseits als Alternative die Erweiterung der EinsteinTheorie durch ein skalares Zusatzfeld im Sinne der Jordan-Brans-DickeTheorie, wobei die Feldgleichungen für dieses Skalarfeld so beschaffen sein sollen, daß diesem eine negative Feldenergiedichte zukommt, die repulsive Expansionskräfte nach sich zieht. Denselben Effekt erreicht man auch durch eine Zustandsgleichung mit negativem Druck oder durch eine geeignet angepaßte Wahl des Vorzeichens der kosmologischen Konstanten. Aus dieser nur skizzenhaft beschriebenen Skalar-Tensor-Theorie resultieren dann die früher erwähnten Begriffe Quintessenz und Dunkle Energie. Überblickt man die umfangreiche kosmologische Literatur der letzten Jahre einigermaßen, so gewinnt man den Eindruck, als wäre damit der Schlußpunkt zu einem tiefen theoretischen Verständnis der neuen kosmologischen Fakten gesetzt. Es ist uns hier nicht möglich, auf eine Reihe uns dabei offen bleibender Fragen näher einzugehen. Unsere eigene Theorie einer Kosmologie ohne Urknall, die wir im Rahmen unserer 5-dimensionalen Projektiven Einheitlichen Feldtheorie (PUFT) entwickelt und seit 1995 durch mehrere Veröffentlichen bekannt gemacht haben, wodurch auch etliche der oben aufgeworfenen Fragen eine Antwort erhalten, wird im nachfolgenden Abschnitt 7.2 detailliert dargestellt werden. Im folgenden wollen wir aber vorher noch auf eine Reihe sehr interessanter neuerer Publikationen zur aktuellen empirischen Situation eingehen. Anfang des Jahres 2003 entstand eine seitdem theoretisch noch nicht umfassend genug bearbeitete Sachlage, hervorgerufen durch die mit einer gewissen Bestimmtheit vorgetragene Bekanntgabe neuer, anschließend aufgelisteter empirischer Daten, erhalten von C. L. Bennett et al. vom Goddard Space Flight Center mittels des Satellitenprogramms Wilkinson Microwave Anisotropy Probe (WMAP) [35]: H ≈ 71 km s Mpc t AW ≈ 13, 7 · 109 Jahre t BG ≈ 3, 8 · 10 Jahre 5 (Hubble-Parameter), (7.1.23a) (Weltalter), (7.1.23b) (Bildung der ersten Atome und damit Anfang der Entkopplung der kosmologischen MikrowellenHintergrundstrahlung), (7.1.23c) 315 316 7: Kosmologie Tph = 2, 725 K (Temperatur der Hintergrundstrahlung). (7.1.23d) Dabei ist die Zeitangabe auf den Urknall (big bang) als den Zeitnullpunkt bezogen. Diese von den genannten Autoren publizierten Zahlenwerte werden im Zusammenhang mit folgendem Kosmosmodell gesehen: – inflationäres heißes Standardmodell mit kosmologischem Glied, – Urknallphänomen, – flache Geometrie (also keine Krümmung des Kosmos), – negativer Druck oder in anderer äquivalenter Sicht dazu Verwendung des kosmologischen Gliedes, – akzelerierende Expansion in alle Ewigkeit (also kein big crunch). Trotz dieser herausragenden neueren Meßergebnisse bedarf es natürlich noch weiterer unabhängiger Meßmethoden zur Bestätigung der obigen kosmologischen Meßdaten. Dabei geht es um eine Reihe von Fragen prinzipieller Natur, insbesondere um die weitere Verbesserung der Sicherheit bei der Entfernungsbestimmung kosmischer Objekte und damit des Wertes des Hubble-Parameters. In diesem Zusammenhang verweisen wir auf einen ebenfalls vor kurzem erschienenen neueren zusammenfassenden Artikel von J. B. Jensen, J. L. Tonry und J. B. Blakeslee, in dem die gegenwärtige Situation um die mit verschiedenen Meßmethoden erhaltenen Werte für den Hubble-Parameter detailliert dargelegt wird. Die Schwankungsbreite beträgt etwa 10 Prozent [36]. Diese Aussage veranlaßt uns, darauf hinzuweisen, daß es weitere, über den kosmologischen elektromagnetischen Mikrowellen-Hintergrund als Meßobjekt hinaus gehende unabhängige Meßmethoden gibt, von denen wir im folgenden zwei Zugänge zur gestellten Thematik herausstellen wollen: Zum einen ist es besonders auffallend, daß die von B. R. Parodi, A. Saha, A. Sandage und G. A. Tammann auf der Basis der bewährten Cepheid-Entfernungsbestimmung beruhenden Entfernungsmessungen von in Spiralgalaxien befindlichen Supernovae vom Typ SNeIa zu dem wesentlich kleineren Zahlenwert H = 58, 5 km sMpc für den gegenwärtigen Hubble-Parameter führen [37]. (7.1.24) 7.1 Kosmologie auf der Basis der Einsteinschen Gravitationstheorie Zum anderen weisen wir auf die Ausnutzung des Gravitationslinsen-Effektes zur Bestimmung des Hubble-Parameters hin, die kürzlich Ch. S. Kochanek und P. L. Schechter [38] auf den Wert H = 48 km sMpc (7.1.25) schließen ließ. Diese Autoren knüpften an die Rechnungen von S. Refsdal (1964) an, der auf der Basis der Einstein-Theorie einen wichtigen Grundstein zu diesem Gegenstand gelegt hat. Einstein, der die richtige Lichtablenkung an der Sonne aus seiner neuen Gravitationstheorie bereits 1915 berechnet hatte, verstand natürlich auch das Prinzip des Gravitationslinsen-Effektes. Allerdings meinte er in einem Artikel (1936), daß der durch einen Stern erzeugte Abbildungseffekt angesichts der relativ schwachen Lichteinstrahlung viel zu klein ist. Durch die Entdeckung der extrem lichtstarken Quasare von Maarten Schmidt (1963) war dann natürlich eine völlig neue Situation entstanden. In der Tat konnte schließlich auch der vorausgesagte GravitationslinsenEffekt 1979 entdeckt werden. Im einzelnen handelt es sich bei diesem Effekt im Idealfall um die Erzeugung eines ringartigen Bildes (Einstein-Ring) des als Lichtquelle dienenden Quasars oder sogar um mehrere derartige Bilder desselben Quasars infolge der mit Laufzeitverzögerung verbundenen Ablenkung des Lichtes im starken Gravitationsfeld einer massiven Galaxie (Gravitationslinse), die zwischen dem Quasar und dem Beobachter liegt. Diese Ausführungen abschließend, weisen wir hier noch einmal darauf hin, daß über die zeitgenössische kosmologische Forschung immens viel Literatur in Form von Einzelartikeln und auch Monographien existiert. Wir können hier nur einige zusammenfassende Bücher zitieren [34, 39, 40]. D. Ausblick Aus der oben dargestellten Skizze zur Kosmologie auf der Basis der Einsteinschen Gravitationstheorie nehmen wir die Einsicht mit, daß diese großartige Theorie uns zwar einerseits eine sehr gute Grundlage für die wissenschaftliche Fundierung der Kosmologie geboten hat, daß aber andererseits durchaus die Frage legitim ist, ob beim Rückblick um Milliarden von Jahren in die kosmologische Vergangenheit möglicherweise die Gültigkeitsgrenzen dieser Theorie überschritten werden, so daß man vielleicht eine ihr übergeordnete Theorie, in der letztere als Spezialfall enthalten sein müßte, heranziehen sollte, auf deren Basis eventuell eine bessere Übereinstimmung mit der Erfahrung in extrem weit zurückliegenden Zeiten möglich wäre. Als Alternative bieten wir im folgenden im Sinne eines Versuches unsere Projektive Einheitliche Feldtheorie an. Bevor wir uns dieser Aufgabe zuwenden, wollen wir mit einigen gewichtigen Vorbemerkungen aufwarten. 317 318 7: Kosmologie 1. Die mit der Einstein-Theorie anscheinend immanent verbundene Unentrinnbarkeit aus der kosmologischen Singularität sollte gemäß unserem Verständnis von Physik, Philosophie und Weltanschauung von einer übergeordneten Theorie vermieden werden. Den Schöpfungsakt der Welt durch Urknall aus dem Nichts in Gestalt einer Urexplosion, heraussteigend aus einer mathematischen Punktsingularität, sehen wir nicht als Lösung des Welträtsels der Existenz unseres Kosmos an. Deshalb beurteilen wir die daraus entstandene Urknallphilosophie mit all ihren ausgeschmückten Konsequenzen mit Skepsis. 2. Sicherlich ist unsere Welt mehr als nur das bis heute bekannte Ensemble von Galaxien und Galaxienhaufen, für das der Name Metagalaxis benutzt wird. Wir glauben nicht, daß es richtig ist, diese mehr kosmologischinselförmige Metagalaxis mit dem Friedman-Modell oder diesem philosophisch gleichgeordneten Modellen, die ihrem Wesen nach eine Ganzheitsstruktur besitzen, zu identifizieren. 3. Bisher haben wir für unser Weltall die Bezeichnung Kosmos gewählt. Mit Absicht haben wir den sonst parallel dazu benutzten Begriff Universum vermieden, da wir nicht ausschließen wollen, daß es, über unser Weltall hinausgehend, weitere Existenzformen der objektiven Realität geben kann, für die der alles umfassende Begriff Universum zuständig wäre. Es ist nicht nur denkbar, sondern durch philosophische Weisheit nahegelegt, die Vorstellung, selbst wenn es dafür bis heute keinerlei empirische Hinweise gibt, zuzulassen, daß die Welt in ihrer universalen Gesamtheit (Universum) mehr ist als nur unser Weltall (Kosmos), daß also das Universum aus einer nicht einmal notwendigerweise endlichen Gesamtheit von Kosmen bestehen könnte. Der Weg von der Erdscheibe weg zum Himmelsraum wurde dem Menschen durch ein besseres Verständnis der dritten räumlichen Dimension erschlossen. Wir können heute noch nicht einmal ahnen, welche Art von Dimension die Erkenntnis der kommenden Jahrtausende freilegen wird, wodurch viele heute noch unvorstellbare Zusammenhänge des Universums aufgedeckt werden könnten. Wer vermag es auszuschließen, daß sich Kosmen in ihrem Entwicklungsprozeß vereinigen oder teilen, kollabieren oder explodieren? Lassen wir mit Geist und Herz unsere wissenschaftliche Phantasie für die Zukunft geöffnet. 7.2. Grundlegung der Kosmologie auf der Basis der Projektiven Einheitlichen Feldtheorie 7.2.1. Geschlossenes homogenes und isotropes Kosmosmodell A. Kosmologisches Zweikomponentenmodell Zur Entlastung des mathematischen Apparates von Parametern, aber auch in gewisser Weise unserer inneren Sympathie folgend, beziehen wir uns auf ein ge-