Preise der Stadt Wien (02): "Wagemut, Wahrhaftigkeit und ästhetische Neugier" Gekürzte Laudationes auf die einzelnen PreisträgerInnen von Julia Danielczyk, Leiterin des Literaturreferats der Kulturabteilung der Stadt Wien Als dem Schauspieler Gert Voss 1992 der Fritz-Kortner-Preis verliehen wurde und der Schriftsteller und Regisseur George Tabori die Laudatio auf ihn hielt, wies dieser auf die Unmöglichkeit hin, Leistungen und damit auch die "Güte" von herausragenden Künstlern zu benennen und zu preisen. Dass es dem Künstler George Tabori dennoch gelang, für das außergewöhnliche Vermögen von Gert Voss die richtigen Worte zu finden, ist nicht nur Taboris Ausdrucksfähigkeit sowie der langjährigen Arbeitsbeziehung der beiden geschuldet, sondern vielleicht auch ein wenig den Kriterien des Fritz-Kortner-Preises, der für "besonderen Wagemut, Wahrhaftigkeit und ästhetische Neugier" vergeben wurde. Diese drei Eigenschaften sowie die Betonung der heute Ausgezeichneten auf die fruktifizierende Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen kennzeichnen auch die Personen, die wir heute ehren dürfen. Bei aller Unterschiedlichkeit der Tätigkeiten verbinden sie die genannten Ansprüche. Johanna Doderer ist die Ernst-Krenek-Preisträgerin für 2014. Sie zählt zu den renommiertesten Komponistinnen Österreichs. Sie studierte Klavier, Komposition und Musiktheorie u.a. bei Beat Furrer in Graz sowie Film- und Medienkomposition in Wien, vor allem bei Erich Urbanner. Ihr derzeitiges Werkverzeichnis umfasst 92 Stücke von Kammermusik und Orchesterwerken bis hin zu Opern. Doderer sieht in der Komposition von Opern und Orchesterwerken den Schwerpunkt ihrer Arbeit. Der Ernst-Krenek-Preis geht an die vielseitige und vielfach ausgezeichnete Musikerin für deren Oper "Der leuchtende Fluss", die im Jahr 2010 in Erfurt ihre Uraufführung erlebte. Im Mittelpunkt des Werkes steht die historische Figur des Pima Indianers Ira Hayes, der 1945 in seinem Reservat für den Krieg in Japan rekrutiert wurde. Die Demoralisierung durch den Krieg und die Frage nach den individuellen Zielen bildet die Erzähllinie der Oper. Die Arbeiten des Architektenteams PPAG gestalten und bereichern an vielen Orten das Stadtbild Wiens. PPAG: Das sind Anna Popelka und Georg Poduschka. Im Jahr 2013 wurden sie zu den best architects für den Dachausbau Radetzkystraße nominiert. Sie sind die Erfinder der Enzis, jener Elemente die nicht nur im Museumsquartier Wien zu einem Wahrzeichen für Wien geworden sind. Heuer erhielten PPAG den ersten Preis für die Umgestaltung des Restaurant Steirereck im Stadtpark, auch international finden PPAG Anerkennung, etwa für die Parkhaus Fassade in Skopje, (A+ Award Popular Choise) und 2010 waren sie für den Mies van der Rohe Award mit "Wohnen im Park", 2015 für den Bildungscampus Sonnwendviertel. Ästhetische Neugier verbindet und kennzeichnet die Arbeit der vier Bildenden Künstler und Künstlerinnen, die heute den Preis der Stadt Wien erhalten: Michaela Moscouw verfolgt seit über drei Jahrzehnten mit großer Dynamik die Möglichkeiten vor allem eines künstlerischen Mediums, der Fotografie. Ihre Arbeiten gehen dabei immer über die konventionelle Fotografie hinaus: Von Beginn an stand sie selbst vor und hinter der Kamera, seit 2007 ist es auch die Video- bzw. Filmkamera. Verhandlungen des eigenen Ich in der Gesellschaft spielen eine große Rolle in Moscouws Werk. Trotz vieler Bildsujets, die auf spezifische weibliche Zugangsweisen reflektieren, lassen sich Moscouws Arbeiten nicht kategorisieren, zu vielschichtig und facettenreich ist ihre Kunst. Fritz Panzer ist hauptsächlich in der Malerei zu Hause. Er steht für außergewöhnliche Offenheit: Neben Zeichnungen fertigt Panzer seit Jahren Drahtskulpturen. Auffällig ist die optische Parallele zwischen Metalldraht und Bleistiftlinie. Das zeigt besonders die Einladungskarte des Linzer Nordico, die Panzers Zeichnung "Prenninger Küche" (2002) als Titelbild wählte und die in der Ausstellung: "Kunstgenuss Essen. Von der Linzer Torte bis zur Bosna" zu sehen ist. Im öffentlichen Raum gestaltete Fritz Panzer Skulpturen, etwa im Gefechtsturm im Arenbergpark in Wien, an der Alten Uni Graz oder auf Schloss Gleinstätten. Für eine Salzburger HTL entwarf er eine Spindeltreppe aus Draht. Wie eine räumliche Zeichnung zwischen den Stockwerken wird die Treppe zum vielfältig deutbaren Symbol -vielleicht als Motiv für Auf- und Abstieg, mit angedeuteten Türen zu noch unbekannten Räumen. Neue Räume und Assoziationen verbinden auch die Bilder von Frau Professorin Gabriele Rothemann. Sie widersetzen sich jeglicher klassifikatorischen Ordnung, sind Fotografie und Zeichnung, Dokumentation und Stillleben, Andachtsbild und Allegorie zugleich. Gabriele Rothemann vertritt eine minimalistische Ästhetik, mit sparsamen Mitteln und äußerster Genauigkeit erzeugt sie Bilder und verdichtet Bildvorstellungen, sammelt aus weiten Bereichen des Lebens, aus der "Geschichte der Welt". Sie arbeitet dabei mit kunstgeschichtlichen Bezügen und Zitaten, gesellschaftspolitischen Themen und sieht Kunst als Medium wie eine Sprache, um komplexe Inhalte neu bzw. anders zu formulieren. Poetik, Poetologie und Bild kennzeichnen das Werk von Prof. Gerhard Rühm. Er ist einer der wichtigsten Vertreter der Wiener Avantgarde. Rühm, der nächste Woche seinen 84. Geburtstag feiert, ist weiterhin hochproduktiv und kann heute leider nicht hier sein, weil er in Berlin mitten in einer Arbeit steckt. Wichtigstes Merkmal ist sein sparten- und genreübergreifendes Schaffen als Komponist, Autor und bildender Künstler. Prof. Rühm erhält zu zweiten Mal den Preis der Stadt Wien, da er bereits 1984 diese Auszeichnung für Literatur an ihn verliehen wurde. In beiden Kunstsparten zählt er zu den wichtigsten und innovativsten Künstlern des Landes. Diese Mehrfachbegabungen stellt er im Bereich der visuellen Poesie, in seinen Fotomontagen und Buchobjekten seit vielen Jahrzehnten immer neu unter Beweis. Nicht zufällig heißt ein Band des vielseitigen Künstlers "Bücher bilder bilder bücher". Neben (Schrift)zeichnungen lautet der Titel eines anderen Bandes von Rühm "Die Kunst der Fingerfertigkeit", die sich auf alle Bereiche bezieht, in welchen der universell ausgerichtete Künstler reüssiert. Wilhelm Pevny, dem heurigen Preisträger für Literatur, gratulieren wir zum Preis der Stadt Wien für Literatur sowie zum 70. Geburtstag, den er heuer feiert. Wilhelm Pevny trat in den 1970er Jahren mit zahlreichen Theatertexten hervor, aber auch mit Bearbeitungen von Klassikern, z. B. "Maß für Maß" von William Shakespeare. 1973 bis 1980 verfasste er zusammen mit Peter Turrini die Drehbücher zur bekannten Fernsehserie "Alpensaga", die ein sensationeller Erfolg wurde und mit üblichen Heimatklischees aufräumte. Wilhelm Pevny schrieb viele weitere Drehbücher, etwa "Der Bauer und der Millionär" (1975) und "Junge Leute brauchen Liebe" (1976) mit Käthe Kratz. Wilhelm Pevnys Arbeiten sind durch die wichtige Auseinandersetzung mit Politik gekennzeichnet, die auch zu einer Annäherung von Literatur und Politik vor allem in den späten 1970er und beginnenden 1980er Jahren führte. 1988 erschien etwa seine kritische Schrift "Die vergessenen Ziele. Wollen sich die 68-er davonstehlen?" Seit 2008 erscheinen Wilhelm Pevnys Bücher im Wieser-Verlag, zuerst der Roman "Palmenland", 2009 die Erzählungen "Luft", 2013 das vielgepriesene zweibändige Werk "Die Erschaffung der Gefühle" und der Roman "Im Kreis". Mit dem Preis für Musik wird Patrick Pulsinger ausgezeichnet, der im Bereich der Produktion von elektronischer Musik zu den wichtigsten Künstlern Österreichs zählt. Patrick Pulsinger gründete zusammen mit Erdem Tunakan das Label "Cheap Vienna Records", das die unterschiedlichsten Facetten elektronischer Musik verbindet. Patrick Pulsinger tritt auch als Produzent in Erscheinung und gilt als einer der Dreh- und Angelpunkte der Wiener Szene. 2013 zeichnete er auch als Kurator für das Popfest in Wien verantwortlich. Vielseitig fallen die Tracks aus, die Pulsinger veröffentlicht. Von Acid über House und Techno bis hin zu jazzigen Klängen reicht sein Spektrum, von dem wir im Rahmen der Preisverleihung einen Eindruck bekommen. Dr. Walter Schübler ist ein sprachvirtuoser Publizist, der seine Dissertation über den bedeutendsten Prosa-Autor der französischen Renaissance, Francois Rabelais, verfasste. Er konzipiert und verfasst seine Texte und vor allem seine Biografien abseits der ausgetretenen Pfade des Genres, er legte u.a. eine Short-cuts-Biografie über Johann Nestroy (2001) vor, eine Pasticcio-Biografie über Johann Heinrich Merck (2001) sowie eine Zoom-Biografie über den deutschen Dichter der Aufklärung Gottfried August Bürger (2012). Seit 2005 beschäftigt er sich mit dem jüdischen Literaten Anton Kuh und verfasste eine Personalbibliografie über diesen, ein Radio-Feature, ein Buch mit 47 Texten Kuhs zum Thema "Wien-Berlin" sowie wissenschaftliche Aufsätze und eine Werkausgabe, die im Frühjahr 2015 im Wallstein Verlag erscheint. Sehr viel mit Vermittlung hat auch Univ.-Prof. Roland Girtler zu tun, der den Preis für Volksbildung erhält. In seiner Arbeit beweist er, wie gut sich hervorragende wissenschaftliche Arbeit mit einem breiten Informationsangebot verbinden lässt. Roland Girtler ist ein echter Allrounder: Er studierte Ethnologie, Urgeschiche, Philosophie und Soziologie, er arbeitete in vielen verschiedenen Berufen und ist heute vor allem für seine Forschungen im Bereich städtischer Randkulturen bekannt. Nach seinen Studien in Indien, vor allem in den Slums von Mumbay, konzentrierten sich seine Untersuchungen auf sogenannten Randgruppen, wie Prostituierte, Sandler und Ganoven. In den letzten Jahren widmete er sich verstärkt dem Bauernstand in Österreich und Siebenbürgen. Seit 2000 leitet er das Museum "Wilderer im Alpenraum - Rebellen der Berge" in St. Pankraz bei Hinterstoder. Als höchst unkonventioneller Wissenschaftler, der sich außerdem für das Fahrrad als Transportmittel einsetzt, hat er sich den Ruf des vagabundierenden Kulturwissenschaftlers eingebracht bzw. selbst verliehen. Mit dem Bild des Fahrrads führt der Weg auch schnell zu unserem folgenden Preisträger: Auch Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist ein begeisterter Radfahrer, der mit dem Zweirad regelmäßig herausfordernde Pässe und Berge erklimmt. Und nicht nur diese, heute wird er für seine Spitzenleistungen im Bereich der Geistes- und Kulturwissenschaften ausgezeichnet. Der hochdekorierte Wissenschaftler hat sich auch im Bereich Forschung und Vermittlung große Verdienste erworben: Nicht nur an der Universität Wien bringt er Studierenden Philosophie näher, er begeistert im Radio und mit CDs über Philosophen und philosophische Themen. Seit 1996 ist er wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech und fungiert auch als Herausgeber der gleichnamigen Buchreihe im Zsolnay Verlag. Seine wahrscheinlich im Moment meist beachtete Publikation, "Geisterstunde. Die Praxis der Unbildung, eine Streitschrift" erschien bei Hanser 2014. Prof. Konrad Paul Liessmann unterzieht in seinen Überlegungen aktuelle Bildungsdiskussionen einer scharfen Kritik. Hinter seiner Polemik steht ein ernstes Anliegen: der Bildung und dem Wissen wieder eine Chance zu geben. Univ.Prof. Dr. Josef Penninger erhält den Preis der Stadt Wien für Medizinische Wissenschaften. Josef Penninger ist Genetiker und Wissenschaftler aus Leidenschaft. Im oberösterreichischen Gurten geboren studierte er in Innsbruck Medizin und ging 1990 nach Kanada. Dort arbeitete er bis 2002 als Professor an der Universität Toronto, bis er dem Ruf der Österreichischen Akademie der Wissenschaften folgte, um das IMBA - Institut für Molekulare Biotechnologie, aufzubauen, das er bis heute als wissenschaftlicher Direktor leitet. In seiner außergewöhnlichen Forscherkarriere sind dem Wittgenstein-Preisträger durchschlagende sensationelle Erfolge gelungen, etwa in den Bereichen der Immunologie und der Herzregeneration, in der künftigen Behandlung von "Schmetterlingskindern" und der Brustkrebsforschung. Univ. Prof. Barry Dickson wird der Preis der Stadt Wien für Natur-und Technische Wissenschaften für seine überragenden Leistungen im Bereich der Genetik und Neurobiologie zuerkannt. Geboren wurde Prof. Dickson in Melbourne, dort studierte er Computer Sciences und Genetik, nach Stationen in San Diego, Zürich, wo er seinen PHd über die Drosophila melanogaster, die Fruchtfliege machte, ging er wieder nach Kalifornien, und wechselte schließlich 1996 als Group Leader ans Zoologische Institut nach Zürich. 2003 kam Prof. Dickson nach Wien, wo er am selben Institut wie Prof. Penninger, also am IMBA, wirkte und ab 2006 die wissenschaftliche Leitung des Forschungsinstituts für Molekulare Pathologie (IMP) übernahm. 2013 wechselte Prof. Barry Dickson an den Janelia Farm Research Campus, Virginia. Sein besonderes Interesse gilt der Untersuchung der Funktionen der Gene des sog. "Haustiers der Genetiker", der Fruchtfliege. In Wien entwickelte Barry Dickson ein internationales Herzeigeprojekt: Er legte eine "Bibliothek" an Drosophila-Fliegen an, bei denen jeweils eines ihrer rund 15.000 Gene gezielt ausgeschaltet wird. Was diese Arbeiten so wichtig macht: Für 70 Prozent der Gene der Fliegen gibt es beim Menschen entsprechende Erbanlagen. Dass Sie als Wissenschaftler Ihre Forschungen in Wien betreiben und damit maßgeblich zur Weiterentwicklung und einem verbesserten Renommee der Stadt als Forschungs- und Wissenschaftsstandort beitragen - und dass Sie, die Künstlerinnen und Künstler in Wien mit Wagemut und ästhetischer Neugier neue Ausdrucksformen finden, um den Fragen, die uns bewegen, zu begegnen, dafür bedankt sich die Stadt Wien ganz herzlich bei Ihnen. Vielen Dank! Rückfragehinweis für Medien • Renate Rapf Mediensprecherin StR. Andreas Mailath-Pokorny Telefon: 01 4000 81175 E-Mail: [email protected]