«Akutpatienten nicht länger verwahren»

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asel.Stadt.
| Mittwoch, 22. Februar 2012 | Seite 26
«Akutpatienten nicht länger verwahren»
Die neue Psychiatrie-Chefärztin Undine Lang will die geschlossenen Stationen abschaffen
Basel. Seit dem 1. Januar hat die
­ rwachsenen-Psychiatrische Klinik der
E
Universitären Psychiatrischen Kliniken
eine neue Chefärztin: Undine Lang. Die
38-Jährige, die auch als Professorin an
der Uni wirkt, steht für eine offene Psychiatrie ein, sie hat in der Charité in
Berlin vier Jahre lang eine Akutstation
offen geführt.
BaZ: Frau Lang, Sie wollen die geschlos­
senen Stationen abschaffen. Wann sol­
len die Türen geöffnet werden?
Undine Lang: Am
liebsten schon gestern. Aber ja, man
kann die Türen
nicht von heute
auf morgen öffnen.
Man muss Schritt
für Schritt vor­
gehen: Als Erstes
werden wir mit der
Polizei, der Amtsvormundschaft, den
Zuweisern und den Angehörigengruppierungen an einem Tisch sitzen.
Offene Türen sind mehr als ein Konzept, sie sind eine Haltung.
500 Flaschen Rotwein
geschmuggelt
Was bedeuten offene Türen denn
genau?
Auf solchen Stationen kann thera­
peutisch und personell besser auf die
Patienten eingegangen werden: Man
kann Gruppentherapien anbieten, die
Patienten können sich austauschen,
beim medizinischen Personal findet
eine Spezialisierung statt.
Wieso sind Sie so strikt gegen geschlos­
sene Stationen?
Im Moment ist die geschlossene Station die Aufnahmestation schlechthin.
Leute mit verschiedenen Diagnosen
kommen auf engstem Raum zusammen, das ist ein unangenehmes Klima. Die Behandlung ist nicht individuell auf die Diagnosen abgestimmt.
Das Eingesperrtsein nehmen viele
­Patienten als Bedrohung wahr; viele
wollen nach einem Tag wieder gehen.
Auch gegen den ärztlichen Rat.
Und das kommt auf offenen Stationen
nicht vor?
Seltener. Eine Studie hat gezeigt, dass
über die Hälfte der Patienten weg­
läuft, weil sie in geschlossenen Stationen sind. Auf offenen Stationen wird
von vornherein ein Vertrauens­
verhältnis zum Patienten aufgebaut,
der Patient wird von Beginn an in die
Behandlung miteinbezogen. Da haben sie gar keinen Grund, vom ersten
Ausgang nicht mehr zurückzukehren.
Die Bindung zum Arzt ist viel wich­
tiger als Sicherheitsmassnahmen.
Sind offene Stationen für jeden Patien­
ten das Richtige?
Abgesehen von der forensischen Klinik, in der es geschlossene Stationen
Depression. Undine Lang (Bild links) will, dass Patienten künftig auf ihre Diagnose abgestimmt behandelt werden. Foto iStockphoto
braucht, weil die Patienten straffällig
wurden, ja.
Also auch für einen Schizophrenie­
patienten, der gerade einen Schub hat?
Ich habe in der Charité in Berlin während vier Jahren nur einmal erlebt,
dass die Angehörigen ihren Sohn in
eine geschlossene Station verlegen
wollten. Alle anderen schätzten die
gute Stimmung bei uns.
Können Psychiatriepatienten für die All­
gemeinheit, zum Beispiel die Nachbarn,
nicht gefährlich werden?
Die Patienten sind nicht per se ge­
fährlich. In unserer Studie kam es auf
geschlossenen Stationen öfter zu aggressivem Verhalten, was auch mehr
Zwangsbehandlungen nötig machte.
Erhebungen zeigen, dass es in einer
psychiatrischen Klinik nicht mehr
­Gewaltfälle gibt als in einem Café
oder auf einem Campingplatz.
Gibt es nicht auch Fälle, in denen man
die Angehörigen schützen muss?
Ich kann nur sagen, dass die Angehörigen in Berlin mit diesem Konzept
zufrieden waren, weil sich die Patienten verstanden fühlten, die Behandlungserfolge höher sind und die Patienten länger in Behandlung blieben.
«In einer psychiatrischen
Klinik gibt es nicht mehr
Gewaltfälle als auf einem
Campingplatz.»
Und sie selber? Man hört immer wieder
von Psychiatriepatienten, die sich das
Leben nehmen.
Es gibt bis heute keine einzige wissenschaftliche Studie, die beweisen kann,
dass Einsperren Suizide verhindert.
Auf Foren kann man auch von Patienten
lesen, die geschlossene Stationen als
angenehm, als eine Art geschützten
Raum empfinden.
Zur Person
Basel. Undine Lang ist in Innsbruck
aufgewachsen. Nach dem Abitur zog
sie nach Tübingen, studierte Medizin
und arbeitete danach fast durchgehend
in der Psychiatrischen Klinik Charité in
Berlin – zuletzt als Oberärztin in der
Akut- und Aufnahmestation. Einer der
Forschungsschwerpunkte der Fach­
ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie ist die Untersuchung der Rolle von
Nervenwachstumsfaktoren bei psychischen Erkrankungen. mgn
Ich hatte in den vier Jahren in Berlin
vielleicht zwei, drei Patienten, die
mich baten, die Türe zuzumachen.
Aber das ist eine Rarität. Die meisten
Patienten werden lieber auf offenen
Stationen behandelt: Das Gefühl tut
ihnen gut, jederzeit rausgehen zu
können und nicht eingesperrt zu sein.
Führt das Öffnen der Türen denn in
der Akutphase nicht einfach zu einer
höheren Dosierung der Medikamente,
um die Patienten ruhig zu stellen?
Nein, es führt nur zu einem höheren
Personalaufwand. In manchen Fällen
macht es eine 1:1-Betreuung nötig,
aber nicht in allen.
Und das treibt dann die Gesundheits­
kosten in die Höhe.
Ja, das ist so. Aber nur kurzfristig.
Langfristig lohnt es sich auch finan­
ziell. Weil die Patienten auf offenen
Stationen in die Behandlung miteinbezogen werden, lassen sie sich nachher über einen längeren Zeitraum
ambulant behandeln. Das heisst, sie
müssen nicht mehr so schnell in die
Klinik, sie bleiben länger gesund; das
haben wir auch in Berlin festgestellt.
Zugleich haben sie auch eine gerin­
gere Hemmschwelle, in die Klinik zu
kommen, weil sie wissen, dass sie
wieder gehen können.
Sie sagen, dass man psychisch Kranke
von Beginn an in die Behandlung mit­
einbeziehen soll. Sind Patienten wäh­
rend eines Schubs überhaupt dafür
empfänglich?
Ja, davon bin ich überzeugt. Viele
Ärzte unterschätzen psychisch kranke
Patienten, wenn sie mit Zwangsmassnahmen oder geschlossenen Stationen auf sie reagieren.
Ja, das Wichtigste ist, dass der Patient
weiss, dass man auf seiner Seite steht
und ihn fördern will. Dann geht vieles
einfacher.
Sie lehnen geschlossene Stationen ab.
Sind Sie auch gegen Zwangseinweisun­
gen?
Die Zwangseinweisungen werden ja
nicht von uns veranlasst, sondern
von Angehörigen, der Polizei oder
anderen. Wenn man bedenkt, dass
sich zum Beispiel jemand in einer
manischen Phase massiv ver­schulden kann, finde ich es wichtig,
dass Zwangseinweisungen möglich
sind.
Wie stehen Sie zu den Isolierzellen?
Die Isolierzelle steht der Fixierung gegenüber. In der Charité in Berlin gab
es keine Isolierzellen, die Leute wurden ans Bett gebunden – das ist auch
nicht besser. Eine Isolierzelle muss
die Ultima Ratio sein. Wenn sich
­jemand selbst oder andere massiv
­bedroht, kann man es rechtfertigen.
Aber nur in diesen Fällen.
In welchen zum Beispiel?
Zum Beispiel, wenn jemand eine
schwere Vergiftung hat. Dabei denke
ich an Drogen oder Alkohol. Die einzige Alternative in einem solchen Fall
wäre, ihn festzuhalten, und das wäre
für den Patienten noch schlechter als
das Einsperren, das ebenfalls traumatisierend sein kann.
Undine Lang wünscht sich mehr akzeptierte Begriffe für psychische Erkrankungen
Basel. Die Ärztin Undine Lang hat sich
früh für die Psychiatrie entschieden. Bereits im Studium war ihr klar, dass sie
sich mit diesem Fachgebiet beschäftigen
wollte. Weil es ein Fach ist, das sich
rasch wandelt, weil sie es schätzt, für
die Patienten Zeit zu haben, und weil
sich oft Erfolg einstellt. «Den meisten
Patienten geht es nach dem Aufenthalt
in einer Klinik besser», sagt sie.
BaZ: Frau Lang, kann jeder Mensch
psychisch krank werden?
Undine Lang: Ich denke schon. Meist
kommen in einem solchen Fall viele
Faktoren zusammen. Und dann gibt
es natürlich sensiblere Menschen und
weniger sensible. Es gibt halt immer
solche, die auf Stress mit einer Psychose reagieren, andere reagieren
­darauf mit einer Manie oder einer
Schlafstörung, und wieder andere
­reagieren gar nicht. Eine sensible
­Person kann aber auch Glück haben:
Erlebt sie nie etwas Schlimmes, wird
sie auch nicht psychisch krank.
Am weitesten verbreitet ist wohl heute
das Burnout. Ist das einfach ein Nerven­
zusammenbruch oder die einzig sozial
akzeptierte psychische Erkrankung?
Das Burnout ist insofern eine gute
­Sache, als dass es positiv besetzt ist:
Burnouts haben die Fleissigen, Depressionen kriegen die Faulen. Aber
nicht jeder, der ein Burnout hat, ist
psychisch krank. Oft ist es auch einfach ein Alarmsystem, sich weniger
aufzuhalsen und sich in Behandlung
zu begeben, bevor der Stresszustand
in einer Depression mündet.
Würden Sie sich für andere psychische
Erkrankungen auch solche akzeptierte
Begriffe wünschen?
Ja, das wäre toll. Ich habe mal ein
Buch über Schizophrenie gelesen. In
diesem wird die Schizophrenie als
«Denkausbruch» bezeichnet. Das gefällt mir, weil die Patienten auch viele
Fähigkeiten haben. Eine Krankheit ist
Kunsteisbahnen zählen
mehr Besucher
Das alles klingt ein bisschen danach,
dass allein eine gute Behandlung alles
richten kann.
«Nicht jeder mit Burnout ist psychisch krank»
Von Muriel Gnehm
Basel. Bei einer Zollkontrolle in einem
Kleintransporter entdeckten Schweizer
Grenzwächter am Montag ­
500 Flaschen französischen Rotwein.
Das Auto hatte von Frankreich her den
Grenzübergang Burgfelderstrasse
­passiert und war der Grenzwache
­verdächtig vorgekommen, wie sie
­mitteilt. Gegen den Fahrzeuglenker,
einen 59-jährigen Schweizer, wurde ein
Strafverfahren eingeleitet, er muss mit
einer empfindlichen Busse rechnen. Die
Einfuhrabgaben von über tausend
F­ranken wurden sofort eingezogen.
nicht immer nur mit Defiziten verbunden.
Werden psychisch Kranke immer noch
stigmatisiert in der heutigen Gesell­
schaft?
Ich denke schon. Eine Umfrage in
Deutschland hat ergeben, dass sich
Menschen als Nachbarn zuletzt Neonazis und Schwerverbrecher wünschen. Dann kommen auch schon die
psychisch Kranken.
Wer trägt Schuld an diesem Bild?
Zu diesem Bild tragen viele Filme bei
wie zum Beispiel «Shutter Island» mit
Leonardo DiCaprio. Meist sind sie
weit von der Realität entfernt – das
finde ich bedauerlich.
Foto Pino Covino
Was ist der Vorteil dieser «diagnose­
spezifischen Stationen»?
City Beach kommt
auf das Kuppel-Areal
Basel. Der City Beach öffnet seine
Türen in diesem Sommer auf dem Areal
der Kuppel an der Binningerstrasse.
Dies hat die BaZ schon am 1. Februar
als wahrscheinliche Variante bezeichnet. Jetzt ist das Baugesuch eingereicht worden, wie aus dem heutigen
Kantonsblatt hervorgeht. Das Projekt
wird als Provisorium mit Restaurationsbetrieben, Bars und Lounge bezeichnet, die von Mai bis September in
Betrieb sein sollen. Dabei werde
die bestehende Infrastruktur der
Kuppel mitbenutzt. Die Öffnungszeiten
richten sich nach den allgemeinen
Zeiten gemäss Gastgewerbegesetz,
also maximal bis 1 Uhr während der
Woche, bis 2 Uhr am Wochenende. Der
City Beach war in den vergangenen drei
Sommern auf dem Dach des Messeparkhauses, das nun wegen des Neubaus nicht mehr zur Verfügung steht.
Von Muriel Gnehm
Die Akutpatienten sollen nicht länger
verwahrt, sie sollen gefördert werden.
Dafür muss jedoch zuerst die Klinik
umstrukturiert werden: Die Patienten
sollen nach einem diagnosespezifischen Konzept behandelt werden. Das
heisst: Es muss eine Station für depressiv Erkrankte, eine für schizophrene Patienten und eine Kriseninterventionsstation eingerichtet werden. Erst
dann können wir die Türen öffnen.
Nachrichten
Basel. Die Kunsteisbahn Eglisee stellt
am kommenden Sonntag um 19 Uhr
ihren Betrieb ein. Die Kunsteisbahn
Margarethen ist noch zwei Wochen
­länger bis zum 11. März geöffnet. Wie
das Sportamt mitteilt, sind die beiden
Kunsteisbahnen häufiger besucht
­worden. Mit mehr als 140 000 Eintritten
nahm die Besucherzahl im Vergleich zur
Saison 2010/11 um acht Prozent zu.
Höhepunkte waren der Anlass «Gratis
aufs Glatteis» am 26. Dezember 2011
und eine Eisdisco am 14. Januar (Bild).
Die Saison 2012/13 beginnt auf der
Kunsteisbahn Margarethen vor­
aussichtlich am 13. Oktober 2012.
Energie-Ideen von
jungen Leuten prämiert
Basel. An der Swissbau konnten junge
Leute Ideen für Gebäude der Zukunft
eingeben, wie die Schweizerische
Metallunion jetzt mitteilt. Dabei hat in
der Kategorie Schüler der Informatikschüler Sidney Aebischer (16) aus
­Riehen gewonnen. Er schlägt vor,
Wohngemeinschaften zu bilden, die
Wind- und Sonnenenergie nutzen und
über das Abwassersystem Energie
­produzieren. Der zweitplatzierte Stefan
Sackmann (15) würde auf dem ehemaligen Schiessplatz Allschwilerweiher eine
überdachte Skateboard-Anlage mit
Flutlicht und einer Solaranlage auf dem
Dach bauen. In der Kategorie Metallbau
schlägt der Student Robert Acklin (24)
vor, einen mobilen Eiswagen mit Fotovoltaikzellen zu betreiben.
Sponsorenlauf für
die Pilgermission
Bettingen. Der neue Direktor der
­Pilgermission St. Chrischona, René
Winkler (51), tritt am 4. März sein Amt
an. An diesem Sonntag finden ein
­Gottesdienst und ein Sponsorenlauf
statt. Dessen Ertrag soll dem neuen
Leiter Startkapital bringen. Auf St.
Chrischona studieren 120 Personen
Theologie oder Gemeindepädagogik.
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