VORKURS MATHEMATIK

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Johannes Kepler University Linz (JKU)
Research Institute for Symbolic Computation (RISC)
Lernunterlage zum
V ORKURS M ATHEMATIK
FÜR
W IRTSCHAFTSINFORMATIK
Wolfgang Windsteiger
1
Wintersemester 2015/16
1
Dieses Skriptum basiert im Wesentlichen auf den Unterlagen aus den Vorjahren von Veronika Pillwein.
I NHALTSVERZEICHNIS
1 Mengen
2
2 Logik
2.1 Aussagenlogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2 Prädikatenlogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10
10
15
3 Mathematische Beweise
3.1 Beweisen und Widerlegen von Quantoraussagen .
3.2 Modus Ponens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3 Fallunterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4 Induktionsbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.5 Widerspruchsbeweis . . . . . . . . . . . . . . . .
.
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19
19
19
22
24
28
4 Gleichungen und Gleichungssysteme
4.1 Quadratische Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2 Diophantische Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.3 Lineare Gleichungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
30
31
35
5 Funktionen
41
6 Relationen
6.1 Äquivalenzrelationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6.2 Ordnungsrelationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
49
52
1
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KAPITEL
1
M ENGEN
Eine Menge ist eine Zusammenfassung von Objekten, wobei klar sein muss, ob ein Objekt zur
Menge gehört oder nicht. Beispiele für Menge sind
• M = {1, 3, 7, 12, 47}
• M = {rot, schwarz, blau}
• M = {∆, , ♠, 2, ♦}
Diesen Beispielen ist gemeinsam, dass die Mengen aufzählend angegeben sind und die Mengen endlich sind. Die Reihenfolge der Objekte spielt in einer Menge keine Rolle, d.h., {a, b, c} =
{c, b, a}.
D EFINITION 1.1
Die Objekte einer Menge M heißen Elemente von M . Wir schreiben m ∈ M für “m ist
ein Element der Menge M ” und m ∈
/ M für “m ist kein Element der Menge M ”.
Unendliche Mengen sind zum Beispiel die natürlichen Zahlen
N = {1, 2, 3, 4, . . . }.
Für die natürlichen Zahlen inklusive 0 schreiben wir
N0 = {0, 1, 2, 3, 4, . . . }.
Die ganzen Zahlen bezeichnen wir mit
Z = {. . . , −5, −4, −3, −2, −1, 0, 1, 2, 3, 4, 5, . . . }.
Mengen können aufzählend oder beschreibend angegeben werden. Zum Beispiel sei G die
Menge der geraden natürlichen Zahlen (Beachte: 0 ist eine gerade Zahl!), einmal aufzählend
G = {0, 2, 4, 6, 8, 10, 12, . . . },
und einmal beschreibend
G = {m ∈ N0 | m ist gerade}.
2
Die rationalen Zahlen sind alle Zahlen, die sich als Bruch darstellen lassen
p
Q = { | p ∈ Z, q ∈ N}.
q
Die reellen Zahlen werden mit R bezeichnet. Weiters verwenden wir
R+ = {x ∈ R | x > 0},
R− = {x ∈ R | x < 0},
R+
0 = {x ∈ R | x ≥ 0},
R−
0 = {x ∈ R | x ≤ 0}.
bzw.,
Das geschlossene Intervall [a, b] für reelle Zahlen a, b bezeichnet die Menge aller reellen Zahlen,
die größer oder gleich als a und kleiner oder gleich als b sind, bzw. kurz:
[a, b] = {x ∈ R | a ≤ x ≤ b}.
Das offene Intervall ]a, b[ für reelle Zahlen a, b bezeichnet die Menge aller reellen Zahlen, die
größer als a und kleiner als b sind, bzw. kurz:
]a, b[ = (a, b) = {x ∈ R | a < x < b}.
Analog werden die halboffenen Intervalle ]a, b] und [a, b[ wie folgt definiert
]a, b] = {x ∈ R | a < x ≤ b} und
[a, b[ = {x ∈ R | a ≤ x < b}.
D EFINITION 1.2
1. Die leere Menge ist jene Menge, die kein einziges Element besitzt; in Zeichen: ∅
oder { }
2. Eine Menge A heißt Teilmenge der Menge B, wenn jedes Element der Menge A
auch ein Element der Menge B ist; in Zeichen: A ⊆ B
3. Zwei Mengen A, B sind gleich genau dann wenn sowohl A ⊆ B als auch B ⊆ A
gilt (d.h. sie enthalten die gleichen Elemente)
Es gilt A ⊆ A und ∅ ⊆ A für jede Menge A. Außerdem gilt, falls A ⊆ B und B ⊆ C, dann
ist auch A eine Teilmenge von C, d.h., A ⊆ C. Eigenschaften von Mengen werden oft mittels
Venn Diagrammen dargestellt, wie z.B. in Abbildung 1.1 links für A ⊆ B.
D EFINITION 1.3
Seien A, B Mengen. Dann definieren wir
• die Vereinigung von A und B als die Menge, die alle Element enthält, die in A oder
in B liegen in Zeichen: A ∪ B (“A vereinigt B”); d.h.,
A ∪ B = {x | x ∈ A oder x ∈ B}.
• den Durchschnitt von A und B als die Menge, die alle Elemente enthält, die sowohl
Element von A als auch Element von B sind, in Zeichen A∩B (“A geschnitten B”);
3
B
B
B
B
A
A
A
A
Abbildung 1.1: von links nach rechts: A ⊆ B, A ∪ B, A ∩ B und A\B
d.h.:
A ∩ B = {x | x ∈ A und x ∈ B}.
• die Differenzmenge von B in A als die Menge, die alle Element enthält, die in A
aber nicht in B liegen, in Zeichen A\B (“A ohne B”); d.h.:
A\B = {x | x ∈ A und x ∈
/ B}.
Zwei Mengen heißen disjunkt, wenn A ∩ B = ∅ gilt.
B EISPIEL 1.4
Seien A = {1, 2, 3, 4, 5, 6} und B = {4, 5, 6, 7, 8}, dann:
A ∪ B = {1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8},
A ∩ B = {4, 5, 6},
A\B = {1, 2, 3},
und
B\A = {7, 8}.
B EISPIEL 1.5
Seien A = N und B = Z, dann:
A ∪ B = Z,
A ∩ B = N,
A\B = ∅,
B\A = {. . . , −3, −2, −1, 0}.
B EISPIEL 1.6
Seien I1 = [0, 5], I2 = [2.4, 4], I3 = [3, 7]. Bestimme (a) I2 ∩ N0 (b) I1 ∪ I3 (c) I2 ∩ I3 (d)
I1 \I2 .
B EISPIEL 1.7
Seien A, B zwei Mengen, für die gilt: A ⊆ B. Was ist (a) A ∪ B (b) A ∩ B (c) A\B (d)
B\A?
Einige Rechenregeln für die Mengenoperationen aus Defintion 1.3 sind im folgenden Satz
zusammengefasst. Aus diesen können andere Rechenregeln abgeleitet werden.
4
S ATZ 1.8
Seien A, B, C Mengen. Dann gilt:
1. A ∪ B = B ∪ A und A ∩ B = B ∩ A (Kommutativgesetz)
2. (A ∪ B) ∪ C = A ∪ (B ∪ C) und (A ∩ B) ∩ C = A ∩ (B ∩ C) (Assoziativgesetz)
3. A ∪ (B ∩ C) = (A ∪ B) ∩ (A ∪ C) (Distributivgesetz)
4. A ∩ (B ∪ C) = (A ∩ B) ∪ (A ∩ C) (Distributivgesetz)
5. A\(B ∩ C) = (A\B) ∪ (A\C)
6. A\(B ∪ C) = (A\B) ∩ (A\C)
Beweis. Über Venn-Diagramme: die Venn-Diagramme für die rechte und die linke Seite der
Identität müssen übereinstimmen. Wir betrachten den Beweis für das Distributivgesetz (3):
Für die linke Seite beginnen wir mit drei Mengen und zeichnen zunächst B∩C ein, im zweiten
Schritt bilden wir die Vereinigung davon mit A:
A
B
A
B
A
C
C
B
C
Für die rechte Seite bilden wir zunächst die beiden geklammerten Ausdrücke A∪B und A∪C
und bilden dann den Durchschnitt:
A
B
C
A
B
C
5
A
B
C
B EISPIEL 1.9
Stellen Sie mittels Venn-Diagrammen fest, welche der folgenden Aussagen stimmen:
• (A ∩ B)\C = (A\C) ∩ (B\C)
• (A\B)\C = A\(B\C)
Oft kann man von einem “Universum” ausgehen, in dem gerechnet wird, d.h., es wird zum
Beispiel angenommen, dass wir über den natürlichen Zahlen operieren. Wenn klar ist, über
welcher fixen Grundmenge Ω (Universum) gerechnet wird, dann schreibt man einfach Ac für
Ω\A. Man nennt Ac das Komplement von A (bzgl. Ω). Es enthält alle Objekte von Ω, die nicht
in A liegen, d.h.,
Ac = {x ∈ Ω | x ∈
/ A}.
Mit dieser Notation gilt zum Beispiel
A\B = A ∩ B c .
Mit A = Ω können die Identitäten (5) und (6) aus Satz 1.8 auch so geschrieben werden:
(B ∩ C)c = B c ∪ C c
(B ∪ C)c = B c ∩ C c
(1.1)
D EFINITION 1.10
Die Kardinalität (oder: Mächtigkeit) einer Menge M ist definiert als
(
n, falls M genau n Elemente besitzt
|M | =
∞, falls M eine unendliche Menge ist.
B EISPIEL 1.11
|{1, 3, 7, 12}| = 4,
|∅| = 0,
|N| = ∞,
|[0, 1]| = |R| = ∞.
Die Kardinalität gibt die Anzahl der Elemente und nicht die Länge an. Die Kardinalität des
reellen Intervalls [0, 1] ist unendlich (die Länge ist 1). Die Kardinalität der reellen Zahlen ist
gleich der Kardinalität jedes (endlichen oder unendlichen) reellen Intervalls und echt größer
als die Kardinalität der natürlichen Zahlen.
S ATZ 1.12
Für endliche Mengen A, B gilt:
|A ∪ B| = |A| + |B| − |A ∩ B|.
6
Beweis. Sei A = {x1 , x2 , . . . , xm } und B = {y1 , y2 , . . . , yn } für beliebige aber fixe natürliche
Zahlen m, n. Dann gilt |A| = m und |B| = n.
Angenommen A und B sind disjunkt (A ∩ B = ∅). Dann gilt
A ∪ B = {x1 , x2 , . . . , xm , y1 , y2 , . . . , yn },
d.h. |A ∪ B| = m + n = |A| + |B|.
Andererseits, falls A ∩ B 6= ∅, dann gibt es Elemente, die im Durchschnitt liegen, z.B. A ∩ B =
{x1 , x2 , . . . , xk } = {y1 , y2 , . . . , yk } (beachte: bei Mengen spielt die Reihenfolge keine Rolle).
Dann gilt für die Vereinigung
A ∪ B = {x1 , . . . , xk , xk+1 , . . . , xm , yk+1 , . . . , yn }.
Wenn wir die Anzahl der Elemente in A ∪ B zählen, kommen wir auf
|A ∪ B| = k + (m − k) + (n − k) = m + n − k.
Wenn wir die rechte Seite der Identität betrachten, erhalten wir
|A| + |B| − |A ∩ B| = m + n − k.
D EFINITION 1.13
Sei A eine gegebene Menge. Die Potenzmenge (engl.: power set) von A (in Zeichen: P (A))
ist die Menge aller Teilmengen von A:
P (A) = {B | B ⊆ A}.
B EISPIEL 1.14
Sei A = {1, 2, 3}, dann ist
P (A) = {∅, {1}, {2}, {3}, {1, 2}, {1, 3}, {2, 3}, {1, 2, 3}}.
Es gilt immer ∅ ∈ P (A) und A ∈ P (A). Vorerst ohne Beweis notieren wir den folgenden
S ATZ 1.15
Sei A eine endliche Menge, dann gilt: |P (A)| = 2|A| .
D EFINITION 1.16
Seien A, B nichtleere Mengen. Die Produktmenge (oder das kartesische Produkt) A × B
von A und B ist definiert als
A × B = {(a, b) | a ∈ A und b ∈ B}.
Die Elemente (a, b) in A × B heißen Tupel oder geordnetes Paar. Zwei Tupel sind gleich,
7
wenn sie in allen Komponenten übereinstimmen, d.h., (a, b) = (c, d) genau dann, wenn
a = c und b = d.
Falls B = A ist, dann schreibt man für die Produktmenge A × A = A2 .
B EISPIEL 1.17
Sei A = {a, b, c} und B = {1, 2}. Dann ist
3
A × B = {(a, 1), (b, 1), (c, 1), (a, 2), (b, 2), (c, 2)}.
A ‰B
B
2
B EISPIEL 1.18
Sei A = [1, 4] und B = [2, 3]. Dann ist
1
A
A × B = {(x, y) | 1 ≤ x ≤ 4 und 2 ≤ y ≤ 3}.
B EISPIEL 1.19
Seien A = [−2, 4) × [0, 2], B = [1, 2] × [−2, 2] und C = [4, 6] × [0, 2]. Bestimmen Sie die
Mengen A ∩ B, A \ B, A ∩ C, und A ∪ C.
D EFINITION 1.20
Produktmengen können auch aus mehr als zwei Mengen gebildet werden und analog
gilt
A1 × A2 × · · · × An = {(a1 , a2 , . . . , an ) | a1 ∈ A1 , a2 ∈ A2 , . . . , an ∈ An }.
Die Elemente dieser Produktemenge werden n-Tupel (oder nur Tupel) genannt. Zwei
Tupel (a1 , a2 , . . . , an ) und (b1 , b2 , . . . , bn ) sind gleich, wenn sie in allen Komponenten
übereinstimmen, d.h., wenn für alle Indizes k = 1, . . . , n gilt, dass ak = bk .
Wenn A1 = A2 = · · · = An = A gilt, dann wird die Produktmenge wieder kurz mit An
bezeichnet.
Im Dreidimensionalen lassen sich die Produktmengen auch noch graphisch veranschaulichen:
B EISPIEL 1.21
Gegeben sind die Mengen A = [0, 2] × [0, 2] × [0, 4] und B = [1, 2] × [1, 2] × [0, 2] wie im
Bild unten links skizziert. Die Menge A \ B ist zum Beispiel gegeben durch
A \ B = [0, 2] × [0, 1) × [0, 4] ∪ [0, 1) × [1, 2] × [0, 4] ∪ [1, 2] × [1, 2] × (2, 4],
siehe die Skizze ganz rechts. Die Flächen [1, 2] × {1} × [0, 2], {1} × [1, 2] × [0, 2] und
[1, 2] × [1, 2] × {2} sind nicht in der Menge A \ B enthalten.
8
4
z
z
z
A”B
A
B
y
x
y
x
y
x
Die Anzahl der Elemente in einer Produktmenge ist gleich dem Produkt der Kardinalitäten
der jeweiligen (endlichen) Mengen:
B EMERKUNG 1.22
Für endliche Mengen A, B gilt: |A × B| = |A| · |B|.
9
KAPITEL
2
L OGIK
2.1
AUSSAGENLOGIK
Eine Aussage ist jeder Satz (der Umgangssprache), dem die Eigenschaft wahr oder falsch
zugesprochen werden kann.
Beispiele für Aussagen sind
• Eine Minute hat sechzig Sekunden.
• 3<7
• 7<3
• Die letzte Stelle der 247. Primzahl ist 3.
Keine Aussagen sind
• Ist π eine ganze Zahl?
• (a + b)2
Aus gegebenen Aussagen können durch Negation oder Verknüpfungen (Junktoren) neue Aussagen gebildet werden.
Negation (Symbol: ¬) Gegeben eine Aussage A, dann ist ¬A (“nicht A”) die Aussage, die
genau dann wahr ist, wenn A falsch ist und genau dann falsch ist, wenn A wahr ist.
A
Wahrheitstafel: W
F
¬A
F
W
10
Konjunktion (UND) (Symbol: ∧) Seien A, B Aussagen, dann ist A ∧ B (“A und B”) die
Aussage, die genau dann wahr ist, wenn A und B wahr sind.
A
W
Wahrheitstafel: W
F
F
B
W
F
W
F
A∧B
W
F
F
F
Disjunktion (ODER) (Symbol: ∨) Seien A, B Aussagen, dann ist A ∨ B (“A oder B”) die
Aussage, die genau dann wahr ist, wenn mindestens eine der beiden Aussagen A,B wahr ist.
A
W
Wahrheitstafel: W
F
F
B
W
F
W
F
A∨B
W
W
W
F
Konjunktion und Disjunktion sind kommutativ und assoziativ, d.h.,
A∧B ≡B∧A
und
A ∨ B ≡ B ∨ A,
und
(A ∧ B) ∧ C ≡ A ∧ (B ∧ C) und
(A ∨ B) ∨ C ≡ A ∨ (B ∨ C).
Was aber bedeutet ≡ für Aussagen? Fürs Erste sagen wir, dass zwei Aussagen äquivalent
sind (A ≡ B), wenn ihre Wahrheitstafeln gleich sind. Später werden wir Äquivalenz durch
Äquivalenzumformungen basierend auf Grundregeln zeigen.
B EISPIEL 2.1
Wir zeigen (A ∧ B) ∧ C ≡ A ∧ (B ∧ C) und bestimmen dazu die Wahrheitstafeln für beide
Seiten.
A
W
W
W
W
F
F
F
F
B
W
W
F
F
W
W
F
F
C
W
F
W
F
W
F
W
F
A∧B
W
W
F
F
F
F
F
F
(A ∧ B) ∧ C
W
F
F
F
F
F
F
F
A
W
W
W
W
F
F
F
F
11
B
W
W
F
F
W
W
F
F
C
W
F
W
F
W
F
W
F
B∧C
W
F
F
F
W
F
F
F
A ∧ (B ∧ C)
W
F
F
F
F
F
F
F
Mit Hilfe von Negation, Konjunktion und Disjunktion können Komplement, Durchschnitt und
Vereinigung von Mengen auch wie folgt geschrieben werden: Seien A, B Mengen, dann gilt
Ac = {x | ¬(x ∈ A)}
A ∩ B = {x | x ∈ A ∧ x ∈ B}
A ∪ B = {x | x ∈ A ∨ x ∈ B}
Für Mengen haben wir unter anderem das Distributivgesetz (Satz 1.8(3))
A ∪ (B ∩ C) = (A ∪ B) ∩ (A ∪ C)
für Mengen A, B, C gezeigt. Analog gilt für Aussagen A, B, C
A ∨ (B ∧ C) ≡ (A ∨ B) ∧ (A ∨ C).
Wir zeigen diese Aussage jetzt über Wahrheitstafeln:
A
W
W
W
W
F
F
F
F
B
W
W
F
F
W
W
F
F
C
W
F
W
F
W
F
W
F
B∧C
W
F
F
F
W
F
F
F
A ∨ (B ∧ C)
W
W
W
W
W
F
F
F
A
W
W
W
W
F
F
F
F
B
W
W
F
F
W
W
F
F
C
W
F
W
F
W
F
W
F
A∨B
W
W
W
W
W
W
F
F
A∨C
W
W
W
W
W
F
W
F
(A ∨ B) ∧ (A ∨ C)
W
W
W
W
W
F
F
F
S ATZ 2.2
Seien A, B, C Aussagen, dann gelten die Distributivgesetze
A ∨ (B ∧ C) ≡ (A ∨ B) ∧ (A ∨ C),
und
A ∧ (B ∨ C) ≡ (A ∧ B) ∨ (A ∧ C).
Für die Aussagen (5) und (6) aus Satz 1.8 erinnern wir an die alternativen Formulierungen (1.1). Ihre Entsprechungen für Aussagen sind die Gesetze von De Morgan.
S ATZ 2.3: D E M ORGAN
Seien A, B Aussagen. Dann gilt
¬(A ∧ B) ≡ ¬A ∨ ¬B
(2.1)
¬(A ∨ B) ≡ ¬A ∧ ¬B
(2.2)
und
Beweis. Wir zeigen (2.1) mittels Wahrheitstafeln, der Beweis zu (2.2) geht analog.
12
A
W
W
F
F
B
W
F
W
F
A∧B
W
F
F
F
¬(A ∧ B)
F
W
W
W
A
W
W
F
F
B
W
F
W
F
¬A
F
F
W
W
¬B
F
W
F
W
¬A ∨ ¬B
F
W
W
W
Implikation (Symbol: ⇒) Seien A, B Aussagen, dann ist A ⇒ B (“A impliziert B” oder
“aus A folgt B”) die Aussage, die genau dann falsch ist, wenn A wahr und B falsch ist.
A
W
Wahrheitstafel: W
F
F
B
W
F
W
F
A⇒B
W
F
W
W
Äquivalenz (Symbol: ⇔) Seien A, B Aussagen, dann ist A ⇔ B (“A äquivalent zu B” oder
“A genau dann, wenn B”) die Aussage, die genau dann wahr ist, wenn A und B beide wahr
sind oder beide falsch sind.
A
W
Wahrheitstafel: W
F
F
B
W
F
W
F
A⇔B
W
F
F
W
Es gilt
A⇔B
≡
(A ⇒ B) ∧ (B ⇒ A).
Auch diese Aussage kann mittels Wahrheitstafeln bewiesen werden.
B EISPIEL 2.4
Was ist die Wahrheitstafel von ¬A ∨ B?
A B
W W
W F
F W
F F
¬A
F
F
W
W
¬A ∨ B
W
F
W
W
Wenn wir mit oben vergleichen, sieht man, dass diese Aussage zu A ⇒ B äquivalent ist.
Damit haben wir ein weiteres Gesetz:
13
L EMMA 2.5
Seien A, B Aussagen. Dann gilt: A ⇒ B ≡ ¬A ∨ B.
Wenn A ≡ B, dann gilt auch B ≡ A. Und wenn A ≡ B und B ≡ C, dann gilt auch A ≡ C.
Das heißt aber mit anderen Worten, dass wir A ≡ C durch eine Kette A ≡ B ≡ C herleiten
können. Betrachten wir nun eine Äquivalenz A ≡ B als „Umformungsregel“ von A zu B
(und daher auch von B zu A), dann kann eine Äquivalenz A ≡ C auch durch eine Kette von
„Umformungen“
A ≡ B1 ≡ · · · ≡ Bn ≡ C
hergeleitet werden. Vergleichen Sie dazu das Vereinfachen von algebraischen Ausdrücken
mittels Gleichheiten!
B EISPIEL 2.6
Zeigen Sie, dass A ⇒ B ≡ ¬B ⇒ ¬A einmal mittels Wahrheitstafeln und einmal durch
Anwenden von Umformungsregeln.
B EISPIEL 2.7
Seien A, B Aussagen: expandieren Sie ¬(A ⇒ B).
D EFINITION 2.8
Eine Aussage, die immer wahr ist, heißt Tautologie. Eine Aussage, die immer falsch ist,
heißt Kontradiktion.
Ein einfaches Beispiel für eine Tautologie ist A ∨ (¬A), ein einfaches Beispiel für eine Kontradiktion ist A ∧ (¬A).
B EISPIEL 2.9
Welche der folgenden Aussagen sind Tautologien, Kontradiktionen oder weder noch?
• A ∨ (A ⇒ B)
• (A ⇒ ¬A) ∧ A
• (A ⇒ ¬B) ∧ (A ⇒ B)
• (A ∧ (A ⇒ B)) ⇒ B
14
B EISPIEL 2.10
Wir betrachten noch einmal die Mengen aus Beispiel 1.21: A = [0, 2] × [0, 2] × [0, 4] und
B = [1, 2] × [1, 2] × [0, 2]. Die Menge A enthält alle Punkte (x, y, z) ∈ R3 , für die gilt
0 ≤ x ≤ 2 ∧ 0 ≤ y ≤ 2 ∧ 0 ≤ z ≤ 4,
und die Menge B enthält alle Punkte (x, y, z) ∈ R3 , für die gilt
1 ≤ x ≤ 2 ∧ 1 ≤ y ≤ 2 ∧ 0 ≤ z ≤ 2.
Für die Differenzmenge hatten wir angegeben, dass
A \ B = [0, 2] × [0, 1) × [0, 4] ∪ [0, 1) × [1, 2] × [0, 4] ∪ [1, 2] × [1, 2] × (2, 4],
d.h., alle Punkte (x, y, z) ∈ R3 , für die gilt
(0 ≤ x ≤ 2 ∧ 0 ≤ y < 1 ∧ 0 ≤ z ≤ 4)
∨ (0 ≤ x < 1 ∧ 1 ≤ y ≤ 2 ∧ 0 ≤ z ≤ 4)
(2.3)
∨ (1 ≤ x ≤ 2 ∧ 1 ≤ y ≤ 2 ∧ 2 < z ≤ 4) .
Die Menge A \ B enthält nach Definition alle Punkte (x, y, z), für die gilt, dass (x, y, z) ∈
A und (x, y, z) ∈
/ B, d.h., alle (x, y, z) ∈ R3 , für die gilt
(0 ≤ x ≤ 2 ∧ 0 ≤ y ≤ 2 ∧ 0 ≤ z ≤ 4) ∧ ¬ (1 ≤ x ≤ 2 ∧ 1 ≤ y ≤ 2 ∧ 0 ≤ z ≤ 2) .
(2.4)
Zeigen Sie durch logisches Umformen, dass die Formeln (2.3) und (2.4) logisch äquivalent sind.
2.2
P RÄDIKATENLOGIK
In der Aussagenlogik haben wir es immer mit fixen Aussagen A, B, . . . zu tun. Die Prädikatenlogik erweitert diese Sprache nun, indem es ermöglicht wird, Aussagen von Variablen
abhängig zu machen. Ein erstes Beispiel wäre folgende Aussage
x ∈ R =⇒ x2 ≥ 0,
(2.5)
die wir im Folgenden mit Ax abkürzen wollen. Hier ist x eine Variable, die in der Aussage Ax
frei vorkommt. In Worten: „Wenn x eine reelle Zahl ist, dann ist ihr Quadrat nichtnegativ“.
Für eine bestimmte Wahl von x erhält man eine Aussage, deren Wahrheitsgehalt bestimmt
werden kann. Tatsächlich gilt in diesem Fall sogar für alle reellen Zahlen x, dass ihr Quadrat
nichtnegativ ist. Um Allaussagen mathematisch beschreiben zu können, wird der Allquantor ∀
verwendet:
∀ x : x ∈ R =⇒ x2 ≥ 0
(2.6)
bedeutet „Für alle x gilt, wenn x eine reelle Zahl ist, dann ist ihr Quadrat nichtnegativ“. Mit
Ax wie oben lautet die Aussage kurz ∀ x : Ax . Diese Aussage enthält keine freien Variablen.
Die Variable x ist durch den Allquantor gebunden.
15
B EISPIEL 2.11
Was sind die gebundenen bzw. die freien Variablen der folgenden Aussagen:
• x ∈ N ∧ y ∈ R ⇒ −y 2 ≤ x
• ∀ x: x ∈ N ∧ y ∈ N ⇒ x + y ∈ N
• ∀ x : x ∈ R ∧ −1 ≤ x ≤ 1 ⇒ x2 ≥ 1
Was ist das Gegenteil einer Aussage: „Für alle x gilt Px “? Die Negation dieser Aussage ist
„Es gibt (existiert) ein x, für das ¬Px gilt“. Um Existenzaussagen zu beschreiben, wird der
Existenzquantor verwendet:
∃ x : ¬Px .
(2.7)
In diesem Fall wird die Variable x durch den Existenzquantor gebunden. Die Aussage in (2.7)
bedeutet „Es gibt mindestens ein x mit der Eigenschaft Px “.
In einer Allaussage ∀ x : Cx ⇒ Ax bzw. einer Existenzaussage ∃ x : Cx ∧Ax spielt Cx jeweils die
Rolle einer einschränkenden Bedingung an die Variable x. Wir schreiben dafür üblicherweise
etwas kürzer
∀ C x : Ax
∃ C x : Ax
bzw.
S ATZ 2.12: D E M ORGAN FÜR Q UANTOREN
¬(∀ Cx : Ax ) ≡ ∃ Cx : ¬Ax
¬(∃ Cx : Ax ) ≡ ∀ Cx : ¬Ax
Man beachte, dass die Eigenschaft Cx , die beim Quantor steht, nicht verändert wird.
Um auszudrücken „es existiert genau ein“, wird der Quantor ∃! verwendet, z.B.
∃! x ∈ R : x = −x2 .
B EISPIEL 2.13
Formulieren Sie die folgenden Aussagen mit Quantoren:
(a) Es gibt eine ganze Zahl, deren Quadrat 4 ist.
(b) Alle natürlichen Zahlen sind positiv.
(c) Alle reellen Zahlen sind kleiner als ihr Quadrat.
(d) Es gibt natürliche Zahlen, die gerade sind.
16
Antwort zu (d): Es stehe Gx für die (von x abhängige) Aussage „x ist eine gerade Zahl“.
Dann erhalten wir als Lösung
∃ x : x ∈ N ∧ Gx
bzw. in Kurzschreibweise
∃ x ∈ N : Gx .
Quantoren können auch kombiniert werden. Die Aussage (d) im letzten Beispiel kann umgeschrieben werden, wenn wir uns überlegen, was es für eine Zahl bedeutet, gerade zu sein:
Eine gerade natürliche Zahl ist durch 2 teilbar, oder anders gesagt, x ∈ N ist gerade, wenn es
in der Form x = 2y mit y ∈ N geschrieben werden kann. In Quantorenschreibweise erhalten
wir so:
∃ x : x ∈ N ∧ (∃ y : y ∈ N ∧ x = 2y)
oder kürzer
∃ x ∈ N : (∃ y ∈ N : x = 2y)
oder noch kürzer
∃ x ∈ N ∃ y ∈ N : x = 2y.
Wenn alle Quantoren vom gleichen Typ sind, dann kann die Reihenfolge der Quantoren vertauscht werden, d.h. wir können die Aussage auch so schreiben
∃ y ∈ N ∃ x ∈ N : x = 2y
und daher werden die Inhalte von Existenzquantoren häufig zusammengezogen:
∃ x, y ∈ N : x = 2y.
Betrachten wir ein Beispiel von kombinierten Allquantoren: „Das Produkt zweier beliebiger
natürlicher Zahlen ist nicht-negativ“:
∀ x : x ∈ N ⇒ (∀ y : y ∈ N ⇒ xy ≥ 0)
Wir kürzen ab:
∀ x ∈ N : (∀ y ∈ N : xy ≥ 0)
und kürzen weiter:
∀ x ∈ N ∀ y ∈ N : xy ≥ 0.
Auch für Allquantoren gilt (da sie vom gleichen Typ sind), dass die Reihenfolge vertauscht
werden kann. Daher ist die obige Aussage gleichbedeutend mit
∀ y ∈ N ∀ x ∈ N : xy ≥ 0
und man zieht die Inhalte von hintereinander stehenden Allquantoren oft zusammen, z.B.
∀ x, y ∈ N : xy ≥ 0.
Die Reihenfolge von Existenzquantor und Allquantor darf nicht vertauscht werden. Nur hintereinander gereihte Quantoren vom selben Typ dürfen vertauscht oder zusammengezogen
werden.
Wir betrachten ein einfaches Beispiel:
17
Zu jeder reellen Zahl gibt es eine größere reelle Zahl.
Zunächst schreiben wir diese Aussage mit Quantoren:
∀ x ∈ R ∃ y ∈ R : x < y.
Diese Aussage ist wahr, für jedes x ∈ R können wir für y beispielsweise x + 1 nehmen. Jetzt
vertauschen wir die Reihenfolge der Quantoren und betrachten die Aussage:
∃ y ∈ R ∀ x ∈ R : x < y.
In Worten: Es gibt eine reelle Zahl, die größer ist als jede andere reelle Zahl. Diese Aussage
ist falsch, da es keine größte reelle Zahl gibt. (Wenn Sie versucht sind, y = ∞ zu wählen,
dann haben Sie Pech, da leider y 6∈ R ist!)
B EISPIEL 2.14
Gegeben ist die folgenden Aussage: „Für alle natürlichen Zahlen gilt, dass sie entweder
gerade oder eine Primzahl sind“. (a) Geben Sie die Aussage mit Quantoren an. (b) Negieren Sie die quantifizierte Aussage. (c) Formulieren Sie die Negation als Satz in der
Umgangssprache.
B EISPIEL 2.15
Gegeben ist die folgenden Aussage: „Für alle ganzen Zahlen n, die größer als fünf sind,
gilt n2 − 4n − 3 > 0“. (a) Geben Sie die Aussage mit Quantoren an. (b) Negieren Sie die
quantifizierte Aussage. (c) Formulieren Sie die Negation als Satz in der Umgangssprache.
18
KAPITEL
3
M ATHEMATISCHE B EWEISE
Wir betrachten verschiedene grundlegende Beweistechniken, die auch kombiniert werden
können.
3.1
B EWEISEN UND W IDERLEGEN VON Q UANTORAUSSAGEN
Um zu beweisen, dass eine Aussage der Gestalt ∀ Cx : Ax wahr ist, geht man wie folgt vor:
1. Man wähle x beliebig (man darf über x nichts wissen!).
2. Annahme Cx
3. Zu zeigen ist: Ax (nicht mehr „für alle x“, sondern nur mehr für das fix gewählte!)
Um zu beweisen, dass eine Aussage der Gestalt ∃ Cx : Ax wahr ist, muss ein konkreter Wert
für x gefunden und angegeben werden, der sowohl Cx als auch Ax erfüllt.
Um eine Aussage A zu widerlegen (d.h. zu beweisen, dass A falsch ist), muss bewiesen werden, dass ihr Gegenteil ¬A wahr ist. Um also eine Allaussage ∀ Cx : Ax zu widerlegen, muss
∃ Cx : ¬Ax bewiesen werden, d.h. es muss ein Gegenbeispiel gefunden werden, also ein x, das
Cx erfüllt aber nicht Ax .
3.2
M ODUS P ONENS
Betrachten wir zwei Aussagen A, B. Wenn A gilt und B aus A hergeleitet werden kann, dann
gilt B. Dies ist ein elementarer Beweisschritt, der in Kombination mit anderen Schritten in
vielen Bewiesen zur Anwendung kommt. Basierend auf Modus Ponens werden Argumentationsketten gebildet: Wir gehen aus von A. Wenn aus A die Aussage B hergeleitet werden
kann, dann gilt auch B. Wenn aus B die Aussage C hergeleitet werden kann, dann gilt auch
C etc. Wichtig ist dabei die Rolle von A. Wenn wir nur wissen, dass aus A die Aussage B folgt,
19
und aus B die Aussage C folgt etc., dann wissen wir gar nichts! Erst durch das Wissen von A
können wir B herleiten, und erst dann können wir daraus C herleiten.
Wir führen einen Beweis dieser Art an einem konkreten Beispiel durch. Dazu benötigen wir
zwei einfache Definitionen.
D EFINITION 3.1
Eine ganze Zahl a ist gerade, genau dann, wenn es eine ganze Zahl b gibt, sodass a = 2b.
In dieser Definition steckt die Information
wenn es eine ganze Zahl b gibt mit a = 2b, dann ist a gerade.
(3.1)
D EFINITION 3.2
Eine ganze Zahl a ist ungerade, genau dann, wenn es eine ganze Zahl b gibt, sodass
a = 2b + 1.
In dieser Definition steckt die Information
wenn a ungerade ist, dann gibt es eine ganze Zahl b gibt mit a = 2b + 1.
(3.2)
Und hier der Satz, den wir beweisen wollen:
S ATZ 3.3
Die Summe zweier ungerader Zahlen ist gerade.
Beweis. Seien x, y ∈ Z beliebig (warum?). Wir nehmen an x ungerade und y ungerade. Zu
zeigen ist, dass x + y gerade ist.
Weil x, y ungerade sind, müssen wegen (3.2) ganze Zahlen m, n existieren mit x = 2m + 1
und y = 2n + 1. Wir setzen diese Darstellung ein und erhalten
x + y = 2m + 1 + 2n + 1 = 2m + 2n + 2 = 2(m + n + 1).
Da m, n ganze Zahlen sind, ist auch k := m + n + 1 eine ganze Zahl. Also gibt es eine ganze
Zahl k mit x + y = 2k, somit ist x + y wegen (3.1) eine gerade Zahl.
B EISPIEL 3.4
Zeigen Sie, dass das Quadrat einer ungeraden natürlichen Zahl ungerade ist.
20
D EFINITION 3.5
Seien a, b ganze Zahlen. Wir sagen, dass a teilt b, wenn eine ganze Zahl q existiert so
dass b = aq. In Zeichen a | b.
S ATZ 3.6
Eine natürliche Zahl ist genau dann durch drei teilbar, wenn ihre Ziffernsumme durch drei
teilbar ist.
Beweis. Dieser Satz besteht aus zwei Aussagen:
(a) Angenommen z ∈ N ist durch drei teilbar, dann ist die Ziffernsumme von z durch drei
teilbar.
(b) Angenommen die Ziffernsumme von z ∈ N ist durch drei teilbar, dann ist z durch drei
teilbar.
Wenn beide Aussagen gezeigt sind, dann ist der Satz bewiesen. Wir beginnen mit ein paar
grundlegenden Überlegungen. Jede natürliche Zahl z ∈ N kann in der Basis 10 mit Ziffern
zk ∈ {0, 1, 2, 3, . . . , 9} dargestellt werden. Sei also z ∈ N eine beliebige natürliche Zahl, dann
gibt es ein d ∈ N0 und Ziffern zk sodass
z = 10d zd + 10d−1 zd−1 + · · · + 10z1 + z0 .
Jetzt gilt: 10 = 9 + 1, 100 = 99 + 1, 1000 = 999 + 1 und allgemein
10d = |999{z
. . . 9} +1.
d mal
Die Zahlen, die nur aus den Ziffern 9 bestehen, sind trivialerweise durch 3 teilbar, da 9 =
3 · 3, 99 = 3 · 33, . . . . Zusammenfassend gilt:
z = 10d zd + · · · + 10z1 + z0
= (999
. . . 9} +1)zd + · · · + (9 + 1)z1 + z0
| {z
d mal
= (999 . . . 9zd + · · · + 9z1 ) + (zd + · · · + z1 + z0 )
= 3(333 . . . 3zd + · · · + 3z1 ) + (zd + · · · + z1 + z0 ).
Damit sind die Vorüberlegungen abgeschlossen, und wir beginnen mit dem Beweis. Zuerst
zeigen wir die Richtung (a): Angenommen z ist durch drei teilbar. Nach Definition 3.5 folgt
daraus, dass eine Zahl q ∈ Z existiert mit z = 3q. Mit der Darstellung von oben gilt damit
3(333 . . . 3zd + · · · + 3z1 ) + (zd + · · · + z1 + z0 ) = 3q.
21
Durch Umformen erhalten wir
zd + · · · + z1 + z0 = 3 q − (333 . . . 3zd + · · · + 3z1 ) .
|
{z
}
=: Q
Da q, zk ∈ Z sind, ist auch Q ∈ Z, und damit folgt, dass
zd + · · · + z1 + z0 = 3Q
für eine ganze Zahl Q und damit nach Definition, dass die Ziffernsumme durch drei teilbar
ist.
Jetzt die andere Richtung (b): Angenommen, die Ziffernsumme von z ist durch drei teilbar,
d.h., laut Definition, es existiert ein r ∈ Z sodass
zd + · · · + z1 + z0 = 3r.
Aus der Darstellung von oben folgt damit
z = 3(333 . . . 3zd + · · · + 3z1 ) + (zd + · · · + z1 + z0 ) = 3 (333 . . . 3zd + · · · + 3z1 + r),
|
{z
}
=: R
mit R ∈ Z. Damit ist nach Definition 3.5 z durch drei teilbar und der Satz ist gezeigt.
3.3
FALLUNTERSCHEIDUNG
Eine Fallunterscheidung wird typischerweise dann getroffen, wenn Wissen der Form X ∨ Y
zur Verfügung steht. Ein Beispiel dafür war der Beweis von Satz 1.12, wo das Wissen
(A ∩ B = ∅) ∨ (A ∩ B 6= ∅)
verwendet wurde, um die Fälle 1. A ∩ B = ∅ und 2. A ∩ B 6= ∅ zu unterscheiden. Es können
natürlich auch mehr als zwei Fälle unterschieden werden.
Eine andere Situation für Fallunterscheidung ist jene, wenn Funktionen auftreten, die durch
Fallunterscheidung definiert sind. Wir betrachten wieder ein einfaches Beispiel und führen
dazu zuerst den Absolutbetrag ein.
D EFINITION 3.7
Sei x eine reelle Zahl. Dann definieren wir den Absolutbetrag |x| als
(
x,
x ≥ 0,
|x| =
−x, x < 0.
22
S ATZ 3.8
Für alle reellen Zahlen x, y gilt: |x − y| = |y − x|.
Beweis. Seien x, y ∈ R. Dann ist auch die Differenz x − y ∈ R. Wir unterscheiden die Fälle (a)
x − y = 0, (b) x − y > 0 und (c) x − y < 0. Diese Fallunterscheidung deckt alle Möglichkeiten
ab.
Falls x − y = 0 dann gilt auch y − x = 0. Nach Definition des Absolutbetrags gilt außerdem
|x − y| = |0| = 0 und |y − x| = |0| = 0. Damit gilt |x − y| = |y − x|.
Falls x−y > 0 dann ist nach Definition des Absolutbetrags ist |x−y| = x−y. Aus x−y > 0 folgt
außerdem, dass y − x < 0. Damit gilt nach Defintion des Absolutbetrags |y − x| = −(y − x) =
x − y, somit folgt |x − y| = x − y = |y − x|, also |x − y| = |y − x|.
Falls x − y < 0 dann ist nach Definition des Absolutbetrags ist |x − y| = −(x − y) = y − x.
Aus x − y < 0 folgt außerdem, dass y − x > 0. Damit gilt nach Definition des Absolutbetrags
|y − x| = y − x, somit folgt |x − y| = y − x = |y − x|, also |x − y| = |y − x|.
S ATZ 3.9
Seien a, b ∈ N zwei natürliche Zahlen, die nicht durch drei teilbar sind. Dann gilt: entweder
ist a + b durch drei teilbar oder a + 2b ist durch drei teilbar.
Beweis. Die Menge der natürlichen Zahlen kann in drei Teilmengen aufgeteilt werden:
N = {3n | n ∈ N} ∪ {3n + 1 | n ∈ N} ∪ {3n + 2 | n ∈ N},
|
{z
} |
{z
} |
{z
}
T0
T1
T2
und diese Aufteilung ist disjunkt, d.h., jede natürliche Zahl liegt in genau einer der Mengen T0 , T1 , T2 . Die Menge T0 enthält alle natürlichen Zahlen, die durch drei teilbar sind. Seien
jetzt a, b ∈ N beliebigen natürliche Zahlen, die nicht durch drei teilbar sind. Dann können wir
die folgenden Fälle unterscheiden:
(1.1) a ∈ T1 und b ∈ T1 , d.h., es existieren k, m ∈ N sodass a = 3k + 1 und b = 3m + 1
(1.2) a ∈ T1 und b ∈ T2 , d.h., es existieren k, m ∈ N sodass a = 3k + 1 und b = 3m + 2
(2.1) a ∈ T2 und b ∈ T1 , d.h., es existieren k, m ∈ N sodass a = 3k + 2 und b = 3m + 1
(2.2) a ∈ T2 und b ∈ T2 , d.h., es existieren k, m ∈ N sodass a = 3k + 2 und b = 3m + 2
Jetzt gehen wir für den Beweis der Aussage alle möglichen Fälle durch:
23
(1.1) In diesem Fall gilt a + b = 3(k + m) + 2 ∈ T2 ist nicht durch 3 teilbar, aber a + 2b =
3k + 1 + 6m + 2 = 3(k + 2m + 1) ∈ T0 ist durch 3 teilbar.
(1.2) In diesem Fall gilt a + b = 3(k + m + 1) ∈ T0 ist durch 3 teilbar, aber a + 2b = 3k + 1 +
6m + 4 = 3(k + 2m + 1) + 2 ∈ T1 ist nicht durch 3 teilbar.
(2.1) Da Addition kommutativ ist entspricht dieser Fall dem Fall (1.2)
(2.2) In diesem Fall gilt a + b = 3k + 2 + 3m + 2 = 3(k + m + 1) + 1 ∈ T1 ist nicht durch 3
teilbar, aber a + 2b = 3k + 2 + 6m + 4 = 3(k + 2m + 2) ∈ T0 ist durch 3 teilbar.
Damit gilt in jedem der möglichen Fälle, dass entweder a + b oder a + 2b durch drei teilbar
ist.
3.4
I NDUKTIONSBEWEIS
Mathematische Induktion ist eine grundlegende Beweistechnik für Aussagen, die für alle natürlichen Zahlen gelten. Der Schlüssel dazu ist der spezielle Aufbau der natürlichen Zahlen:
• 0 ∈ N0
• für jedes n ∈ N0 gilt: n + 1 ∈ N0
Induktionsprinzip Gegeben eine Aussage Px . Falls
(1) Px→0 ist wahr (Induktionsanfang) und1
(2) Px→n ⇒ Px→n+1 für ein fixes n ∈ N0 (Induktionsschritt) (Px→n wird die Induktionsvoraussetzung oder Induktionshypothese genannt)
Dann gilt: Px ist wahr für alle x ∈ N0 .
Bevor wir ein Beispiel betrachten, führen wir das Summensymbol ein:
n
X
ak = a0 + a1 + a2 + · · · + an−1 + an
k=0
1
Ist Px eine Aussage mit freier Variable x, dann steht Px→y für die Aussage, die entsteht, wenn jedes freie
Vorkommen von x in P durch y ersetzt wird.
24
B EISPIEL 3.10
Einfache Beispiele sind:
5
X
k =0+1+2+3+4+5
k=0
7
X
k 2 = 12 + 22 + 32 + 42 + 52 + 62 + 72
k=1
n
X
(2k + 1) = 1 + 3 + 5 + 7 + · · · + (2n + 1)
k=0
Was ist
Pn
k=1 1?
Was
Pn
k=0 1?
Falls die untere Summationsgrenze
größer als die obere Summationsgrenze ist, dann hat die
P
Summe den Wert 0, z.B., 3k=7 ak = 0.
S ATZ 3.11
Für alle natürlichen Zahlen n gilt
n
X
k=
k=0
n(n + 1)
.
2
Beweis. Wir führen einen Induktionsbeweis durch:
Induktionsanfang: Wir zeigen, dass die Identität für n = 0 stimmt durch Einsetzen in beiden
Seiten:
0
X
0(0 + 1)
.
k=0=
2
k=0
Induktionsannahme: Wir nehmen an, dass die Formel für eine beliebige natürliche Zahl n gilt,
d.h., wir nehmen an, dass
n
X
n(n + 1)
k=
.
(3.3)
2
k=0
Induktionsschritt: (n → n + 1) Unter der Annahme, dass (3.3) gilt, zeigen wir, dass die
Aussage auch gilt, wenn n durch n + 1 ersetzt wird, d.h., wir zeigen:
n+1
X
k=0
k=
(n + 1)(n + 2)
.
2
25
Wir beginnen mit der linken Seite und formen schrittweise um. Zuerst kann der letzt Summand aus der Summe herausgezogen werden:
n+1
X
k=
k=0
n
X
k + (n + 1).
k=0
Für die verbleibende Summe kann die Induktionshypothese verwendet werden:
n+1
X
k=
k=0
n
X
k + (n + 1) =
k=0
n(n + 1)
+ (n + 1).
2
Im letzten Schritt fassen wir alles auf einen Bruch zusammen und heben heraus:
n+1
X
k=0
k=
n
X
k + (n + 1) =
k=0
n(n + 1) + 2(n + 1)
(n + 2)(n + 1)
n(n + 1)
+ (n + 1) =
=
.
2
2
2
B EISPIEL 3.12
Zeigen Sie, dass für alle n ∈ N0 gilt:
Pn
k=0 (2k
+ 1) = (n + 1)2 .
Analog zum Summensymbol definieren wir das Produktsymbol:
n
Y
ak = a0 · a1 · · · an−1 · an .
k=0
Wenn der untere Index größer als der obere Index ist, wird das Produkt als eins definiert:
o
Y
ak = 1,
falls u > o.
k=u
B EISPIEL 3.13
Einfache Beispiele sind:
5
Y
k=1
n
Y
k = 1 · 2 · 3 · 4 · 5 = 120
k = 1 · 2 · 3 · · · (n − 1) · n = n!
k=1
4
Y
(2k + 1) = 1 · 3 · 5 · 7 · 9 = 945
k=0
n
Y
(2k + 1) = 1 · 3 · · · (2n − 1) · (2n + 1)
k=0
26
S ATZ 3.14
Für alle n ∈ N gilt
n
Y
4n + 3
4k + 3
=
.
4k − 1
3
k=1
Beweis. Wir beweisen die Aussage mittels Induktion und in diesem Fall ist der Induktionsanfang bei n = 1.
Induktionsanfang: Für n = 1 gilt
4·1+3
= 73 .
3
Qn
=
4·1+3
4·1−1
Induktionsschritt: Angenommen
Zu zeigen ist, dass
Qn
=
4n+3
3
4k+3
k=1 4k−1
4k+3
k=1 4k−1
n+1
Y
k=1
=
7
3
und für die rechte Seite erhalten wir
(Induktionshypothese!) gilt für ein n ≥ 1.
4n + 7
4k + 3
=
.
4k − 1
3
Aus dem Produkt kann der letzte Faktor herausgezogen werden. Mit Hilfe der Induktionshypothese erhalten wir:
!
n+1
n
Y 4k + 3
Y
4k + 3
4(n + 1) + 3
=
·
4k − 1
4k − 1
4(n + 1) − 1
k=1
k=1
4n + 7
4n + 3 4n + 7
·
=
.
=
3
4n + 3
3
B EISPIEL 3.15
Wir zeigen, dass für alle n ∈ N0 gilt, 6 | 7n − 1 mittels Induktion.
Induktionsanfang: Für n = 0 haben wir 70 − 1 = 1 − 1 = 0 und 0 = 6 · 0, d.h., 6 | 0.
Induktionsschritt: Angenommen 6 | 7n − 1. Zu zeigen ist, dass 6 | 7n+1 − 1.
Aus der Induktionshypothese 6 | 7n − 1 folgt nach Definition, dass es eine ganze Zahl q
gibt, sodass 7n − 1 = 6q. Nun gilt:
7n+1 − 1 = 7 · 7n − 1 = (6 + 1) · 7n − 1 = 6 · 7n + 7n − 1 = 6 · 7n + 6q = 6(7n + q).
Da n ∈ N0 und q ∈ Z ist, ist auch q̃ = 7n + q ∈ Z. Damit haben wir gezeigt, dass
7n+1 − 1 = 6q̃, d.h., 6 | 7n+1 − 1.
Induktionsbeweise können auch verwendet werden, um Ungleichungen zu zeigen:
27
S ATZ 3.16
Für alle natürlichen Zahlen n ∈ N0 gilt n ≤ 2n .
Beweis. Induktionsanfang: Für n = 0 erhalten wir 0 ≤ 20 = 1.
Induktionsschritt: Angenommen für ein n ∈ N0 gilt n ≤ 2n (Induktionshypothese). Zu zeigen
ist, dass n + 1 ≤ 2n+1 .
Induktionsschritt: Aus der Induktionshypothese folgt, dass n + 1 ≤ 2n + 1. Wegen n ≥ 0
gilt außerdem 1 ≤ 2n (diese einfache Aussage könnte auch via Induktion bewiesen werden).
Damit gilt zusammenfassend
n + 1 ≤ 2n + 1 ≤ 2n + 2n = 2 · 2n = 2n+1 .
3.5
W IDERSPRUCHSBEWEIS
Die Grundidee ist es, statt die zu beweisende Aussage zu zeigen, ihr Gegenteil zu widerlegen.
Denn wenn ¬A falsch ist, dann muss A wahr sein. Wir illustrieren das an einem Beispiel.
S ATZ 3.17
√
Die Quadratwurzel aus 2 lässt sich nicht als rationale Zahl darstellen ( 2 ∈
/ Q).
√
Beweis.
Angenommen
2 ∈ Q. Dann existieren natürliche Zahlen p, q, mit q 6= 0, sodass
√
2 = pq . Wir nehmen an, dass p, q minimal gewählt sind, d.h., dass nicht mehr gekürzt werden
kann.
Aus
√
2=
p
q
folgt durch Quadrieren, dass 2 =
p2
q2
p2
p
q
p2
q2
ist. Wenn bei
dann kann auch bei q2 nicht mehr gekürzt werden. Da aber
Zahl ist, muss der Nenner eins sein, also q = 1.
nicht gekürzt werden konnte,
= 2, also gleich einer ganzen
√
Jetzt wissen
wir,
dass
wenn
2 eine rationale Zahl ist, dann muss es sogar eine ganze Zahl
√
√
sein ( 2 = p). Da 1 < 2 < 2 gilt, muss p eine ganze Zahl sein, die zwischen 1 und 2 liegt.
So eine ganze Zahl gibt es nicht, daher sind wir bei einem Widerspruch angekommen und die
Annahme muss falsch gewesen sein.
28
Beispiel 3.18. Wir betrachten ein Schachbrett, bei dem
zwei (weiße) Felder an gegenüberliegenden Ecken entfernt
wurden. Für dieses Brett gilt: Es gibt keine überlappungsfreie Überdeckung des Bretts mit 2×1-Dominosteinen (d.h.
von der Größe von zwei Feldern).
Wir zeigen diese Aussage mittels Widerspruch: Angenommen, es gibt eine überlappungsfreie Überdeckung. Jeder Stein in dieser Überdeckung müsste dann ein weißes und ein schwarzes Feld abdecken. Von den ursprünglich 64 Feldern sind noch 62 übrig (nach Wegnahme der zwei weißen
Felder). Damit brauchen wir 31 Steine um 32 schwarze Felder und 30 weiße Felder abzudecken.
Egal wie die Überdeckung gelegt wird, es wird mit jedem der 30 Steine jeweils ein weißes und
ein schwarzes Feld abgedeckt und am Ende bleiben zwei schwarze Felder übrig. Die können aber
nicht mit einem Stein abgedeckt werden, da sie nicht nebeneinander liegen.
29
KAPITEL
4
G LEICHUNGEN UND G LEICHUNGSSYSTEME
4.1
Q UADRATISCHE G LEICHUNGEN
In diesem Abschnitt wollen wir alle reellen Lösungen x von Gleichungen der Form
ax2 + bx + c = 0,
zu gegebenen
a, b, c ∈ R,
(4.1)
bestimmen. Wir werden im allgemeinen davon ausgehen, dass die Gleichung nicht degeneriert ist, d.h., a, b, c 6= 0 (wenn einer oder mehr dieser Parameter verschwindet ist die
Gleichung durch einfachere Schritte lösbar). Im folgenden leiten wir die Lösungsformel für
quadratische Gleichungen her. Die Grundidee dabei ist, die Ausdrücke in x zu einem „vollständigen Quadrat“ (x + α)2 zu ergänzen, und dann die Lösungen durch Wurzelziehen zu
erhalten. Zuerst wiederholen wir den binomischen Lehrsatz
(x + α)2 = x2 + 2xα + α2 .
Wir dividieren (4.1) durch a und erhalten
b
c
x2 + x + = 0.
a
a
Um ein vollständiges Quadrat zu erhalten, muss also
gewählt werden. Damit ist
b
a
= 2α gelten, d.h. es muss α =
b
2a
b
c
c
2
x2 + x + = x
+ 2xα
+ α}2 −α2 +
|
{z
a
a
a
=(x+α)2
und die Ausgangsgleichung (4.1) ist gleichbedeutend mit
c
(x + α)2 = α2 − .
a
Durch Wurzelziehen gelangen wir zur Lösungsformel für quadratische Gleichungen:
√
−b ± b2 − 4ac
.
1 x2 =
2a
(4.2)
Zur Erinnerung: wir sind an reellen Lösungen x interessiert. Ob 1 x2 eine reelle Zahl ist oder
nicht, hängt vom Ausdruck unter der Wurzel ab, der Diskriminante genannt wird:
∆ = b2 − 4ac.
30
Falls die Diskriminante negativ ist, dann kann keine reelle Wurzel gezogen werden, und die
Gleichung besitzt keine reellen Lösungen. Falls die Diskriminante gleich null ist, dann besitzt
b
die Gleichung genau eine Lösung, nämlich x = − 2a
. Falls die Diskriminante positiv ist, dann
besitzt die Gleichung zwei unterschiedliche reelle Lösungen.
4.2
D IOPHANTISCHE G LEICHUNGEN
D EFINITION 4.1
Seien a, b ∈ Z, nicht beide 0, dann ist der größte gemeinsame Teiler ggT(a, b) (engl.:
greatest common divisor, kurz gcd) die größte ganze Zahl d mit d | a und d | b.
Der ggT(a, b) ist nicht nur größer als jeder gemeinsame Teiler von a und b. Für jede ganze Zahl
q mit q | a und q | b gilt sogar, dass q | ggT(a, b). Nach Definition ist der größte gemeinsame
Teiler positiv, also eine natürliche Zahl. Außerdem gilt ggT(a, b) = ggT(|a|, |b|) = ggT(b, a).
D EFINITION 4.2
Zwei Zahlen a, b ∈ Z mit ggT(a, b) = 1 heißen relativ prim (oder teilerfremd).
S ATZ 4.3
Seien a, b ∈ Z. Dann gilt ggT(a, b) = ggT(a − b, b).
Beweis. Sei d = ggT(a, b), d.h. d | a und d | b und (∗) für jede ganze Zahl q mit q | a und q | b
gilt q ≤ d. Wir müssen beweisen, dass d = ggT(a − b, b), d.h. 1) d | a − b und 2) d | b und
3) für jede ganze Zahl p mit p | a − b und p | b gilt p ≤ d. 1) und 2) sind aufgrund unserer
Annahmen erfüllt. Sei nun p ∈ Z beliebig mit p | a − b und p | b. Dann gilt auch p | a und
wegen (∗) daher p ≤ d.
Noch allgemeiner gilt:
S ATZ 4.4
Seien a, b ∈ Z und z ∈ Z. Dann gilt ggT(a + zb, b) = ggT(a, b).
Aus diesem Satz folgt ein Algorithmus zur Bestimmung des ggT, der erstmals von Euklid (ca.
360 v. Chr. bis ca. 280 v. Chr.) schriftlich erwähnt wurde und der daher nach ihm benannt
ist. Bevor wir den Algorithmus anschreiben führen wir noch formal die Begriffe Quotient und
Rest einer Division ein.
31
D EFINITION 4.5
Seien x, y ∈ N. Dann gibt es eindeutig bestimmte Zahlen q, r ∈ N0 mit
x = qy + r,
und r < y.
Die Zahlen q und r heißen Quotient bzw. Rest der Division von x durch y.
Seien a, b ∈ N mit a > b gegeben. Die Division dieser beiden Zahlen liefert q, r ∈ N0 mit r < b
sodass
a = qb + r =⇒ r = a − qb.
Laut Satz 4.4 gilt
ggT(a, b) = ggT(a − qb, b) = ggT(r, b) = ggT(b, r).
Im letzten Schritt wird nur verwendet, dass der ggT symmetrisch ist, und wir ordnen die
Einträge in absteigender Größe an. Der ggT(a, b) ist auf den ggT der kleineren Zahlen b, r
zurückgeführt worden. Dieser Schritt kann rekursiv wiederholt werden: Wir berechnen den
ggT(34, 28):
1. Division liefert 34 = 28 · 1 + 6, d.h., q = 1 und r = 6. Dann gilt
ggT(34, 28) = ggT(34 − 28 · 1, 28) = ggT(6, 28) = ggT(28, 6)
2. Division liefert 28 = 6 · 4 + 4, d.h., q = 4 und r = 4. Dann gilt
ggT(28, 6) = ggT(28 − 6 · 4, 6) = ggT(4, 6) = ggT(6, 4)
3. Division liefert 6 = 4 · 1 + 2, d.h., q = 1 und r = 2. Dann gilt
ggT(6, 4) = ggT(6 − 4 · 1, 4) = ggT(2, 4) = ggT(4, 2)
4. Division liefert 4 = 2 · 2 + 0, d.h., q = 2 und r = 0. Dann gilt
ggT(4, 2) = ggT(4 − 2 · 2, 2) = ggT(0, 2) = ggT(2, 0) = 2.
In jedem Zwischenschritt sind die Einträge x, y im ggT(x, y) Linearkombinationen von den
Eingangszahlen a = 34 und b = 28, z.B. im ersten Schritt
ggT(a, b) = ggT(34, 28) = ggT(34 − 28, 28) = ggT(28, 34
− 28}) = ggT(b, 1 · a + (−1) · b).
| {z
=6
Im zweiten Schritt erhalten wir:
ggT(a, b) = ggT(b, r) = ggT(28, 34
− 28}) = ggT(28 − (34
− 28}) · 4, 34
− 28})
| {z
| {z
| {z
=6
=6
=6
− 28})
= ggT(−4
| · 34{z+ 5 · 28}, 34
| {z
=4
=6
= ggT(34
− 28}, 5| · 28 {z
− 4 · 34})
| {z
=6
=4
= ggT(1 · a + (−1) · b, (−4) · a + 5 · b).
In einer Tabelle können die Koeffizienten der Linearkombinationen mitberechnet werden:
32
I
34
1
0
II
28
0
1
III = I-II
6
1
-1
IV = II - 4 III 4
-4
5
V = III-IV
2
5
-6
VI = IV-2V
0 -14 17
Aus dieser Tabelle können die Koeffizienten 5 und −6 abgelesen werden, d.h. die Koeffizienten
für die Linearkombination
ggT(34, 28) = 2 = 5 · 34 − 6 · 28.
Diese Koeffizienten werden Bézout-Koeffizienten genannt. In der letzten Zeile können die Koeffizienten für die Linearkombination aus a, b, die 0 ergibt, abgelesen werden:
0 = −14 · 34 + 17 · 28.
Diese Koeffizienten werden auch Syzygien genannt.
S ATZ 4.6
Seien a, b ∈ N. Dann existieren ganze Zahlen s, t ∈ Z mit
ggT(a, b) = s · a + t · b.
Diese Zahlen (s, t) werden Bézout-Koeffizienten genannt.
Der Erweiterte Euklidische Algorithmus (EEA) folgt dem Vorgehen aus dem Beispiel und berechnet den größten gemeinsamen Teiler sowie die Bézout-Koeffizienten und die Syzygien:
Gegeben a, b ∈ N mit a > b:
1. Initialisierung: x0 = a, x1 = b, s0 = 1, s1 = 0, t0 = 0, t1 = 1 und k = 1
2. While xk 6= 0 Do
(i) qk = quot(xk−1 , xk ) (Quotient der Division von xk−1 durch xk , xk−1 = qk xk + rk )
(ii) xk+1 = xk−1 − qk xk (Rest der Division, rk = xk−1 − qk xk )
(iii) sk+1 = sk−1 − qk sk und tk+1 = tk−1 − qk tk (Bestimmung der Linearkoeffizienten)
(iv) k = k + 1
3. Return ggT(a, b) = xk−1 , Bézout-Koeffizienten (sk−1 , tk−1 ), Syzygien (sk , tk )
In jedem Schritt gilt xk = sk a + tk b.
B EISPIEL 4.7
Wir bestimmen den ggT(126, 81) mit dem EEA. Dazu notieren wir in der Tabelle zusätzlich den Schleifenindex k und den Quotienten q:
33
I
II
III = I-II
IV = II-III
V = III-IV
VI = IV-4 V
k
0
1
2
3
4
5
x
126
81
45
36
9
0
s
1
0
1
-1
2
-9
t
0
1
-1
2
-3
14
q
1
1
1
4
Das heißt,
ggT(126, 81) = 9 = 2 · 126 + (−3) · 81 und 0 = −9 · 126 + 14 · 81.
Der erweiterte Euklidische Algorithmus kann verwendet werden, um ganzzahlige Lösungen
von linearen Gleichungen mit ganzzahligen Koeffzienten zu bestimmen. Solche Gleichungen
werden diophantische Gleichungen genannt.
B EISPIEL 4.8
Ein Bauer hat 500 Taler gespart, um neue Hühner und Kühe zu kaufen. Auf dem Markt
stellt er fest, dass eine Kuh 17 Taler kostet und ein Huhn 5 Taler. Wie viele Hühner und
Kühe kann er kaufen, wenn er die ganzen 500 Taler ausgeben möchte?
Schritt 1: Wir berechnen mit EEA den ggT von 17 und 5 sowie die Bézout-Koeffizienten,
ggT(17, 5) = 1 = −2 · 17 + 7 · 5
(4.3)
0 = 5 · 17 − 17 · 5.
(4.4)
und die Syzygien
Wenn wir die Gleichung (4.3) mit 500 multiplizieren erhalten wir
500 = −1000 · 17 + 3500 · 5,
(4.5)
d.h. wenn der Bauer −1000 Kühe und 3500 Hühner kauft, gibt er genau 500 Taler aus.
Dieser Handel dürfte allerdings schwierig werden. Mithilfe der Syzygien kann man feststellen, ob ganzzahlige positive Lösungen existieren. Wenn wir (4.4) mit einer beliebigen
Zahl x multiplizieren, erhalten wir
0 = 5x · 17 − 17x · 5.
Diese Gleichung können wir zu (4.5) addieren und erhalten so
500 = (−1000 + 5x) · 17 + (3500 − 17x) · 5.
Jetzt bleibt festzustellen, ob es gannzzahlige Werte für x gibt, sodass sowohl −1000 +
5x ≥ 0 als auch 3500 − 17x ≥ 0. Wir bestimmen für beide Gleichungen, wann sie null
werden:
−1000 + 5x = 0
−→
x = 200,
und 3500 − 17x = 0
34
−→
x=
3500
17
' 205.882.
Das heißt, wenn 200 ≤ x ≤ 205 gilt, dann sind beide Koeffizienten nichtnegativ. Das sind
nur endliche viele Kombinationen, die wir ausprobieren können:
4.3
x = 200
−→
500 = 0 · 17 + 100 · 5
x = 201
−→
500 = 5 · 17 + 83 · 5
x = 202
−→
500 = 10 · 17 + 66 · 5
x = 203
−→
500 = 15 · 17 + 49 · 5
x = 204
−→
500 = 20 · 17 + 32 · 5
x = 205
−→
500 = 25 · 17 + 15 · 5
L INEARE G LEICHUNGSSYSTEME
Das Thema hier sind Systeme von linearen Gleichungen, wie man sie lösen kann, und wie
die Lösungsräume aussehen können. Wir beginnen mit einem Beispiel und suchen alle Paare
(x, y) ∈ R2 , die die beiden Gleichungen 5x + 2y = 8 und 2x − y = −4 erfüllen:
+ 2y = 8 | ·2
− y = −4 | ·(−5)
5x
2x
10x + 4y =
−10x + 5y =
16
20
9y =
36
|:9
y
4
=
⊕
Hier haben wir zuerst die Variable x eliminiert, indem wir beide Gleichungen mit einem entsprechenden Faktor multipliziert und dann addiert haben. Dann haben wir die verbleibende
Gleichung nach y gelöst. Um die Lösung des Gleichungssystems zu erhalten, müssen wir in
einer der beiden ursprünglichen Gleichungen für y einsetzen und nach x lösen, zum Beispiel
5x + 2 · 4 = 8
−→
5x + 8 = 8
−→
5x = 0
−→
x = 0,
oder
2x − 4 = −4
−→
2x = 0
−→
x = 0.
Die Lösung des Gleichungssystems ist also (x0 , y0 ) = (0, 4). Warum ist es erlaubt, Gleichungen zu multiplizieren und zu addieren, ohne die Lösung zu verändern? Betrachten wir ein
allgemeines Gleichungssystem:
ax + by = c
(4.6)
dx + ey = f
Wenn (x0 , y0 ) eine Lösung des Gleichungssystems ist, d.h. wenn
ax0 + by0 = c,
und dx0 + ey0 = f,
35
dann gilt für eine reelle Zahl q
qax0 + qby0 = q(ax0 + qby0 ) = qc
und für eine reelle Zahl r gilt
rdx0 + rey0 = r(dx0 + ey0 ) = rf.
Wenn diese beiden Gleichungen addiert werden, gilt
qax0 + qby0 + rdx0 + rey0 = qc + rf,
d.h. wenn bei den Gleichungen immer auf beiden Seiten mit dem gleichen Faktor multipliziert
wird, und wenn Gleichungen addiert werden, dann wird die Lösung nicht verändert. Wir
bestimmen eine Lösung des allgemeinen Gleichungssystems:
ax
dx
| ·d
| ·(−a)
+
+
by
ey
=
=
c
f
adx +
−adx −
bdy
aey
=
=
cd
−af
⊕
(bd − ae)y = cd − af
Die letzte Gleichung kann genau dann nach y aufgelöst werden, wenn bd − ae 6= 0 gilt.
S ATZ 4.9
Das lineare Gleichungssystem (4.6) besitzt eine eindeutig bestimmte Lösung genau dann,
wenn bd − ae 6= 0.
B EISPIEL 4.10
Bestimmen Sie alle (x, y) ∈ R2 , die die beiden Gleichungen 2x − y = 4 und −4x + 2y = 7
erfüllen.
2x − y =
4
| ·(−4)
−4x + 2y =
7
| ·(−2)
−8x + 4y = −16
8x − 4y = −14
0
⊕
= −30
Die letzte Gleichung ist offensichtlich falsch, d.h. unerfüllbar. Daraus folgt, dass das
gegebene System nicht erfüllbar und die Lösungsmenge leer ist.
Wir modifizieren die rechten Seiten des Beispiels und suchen alle (x, y) ∈ R2 , die die
36
beiden Gleichungen 2x − y = 4 und −4x + 2y = −8 erfüllen:
2x − y =
−4x + 2y =
4
−8
−8x + 4y = −16
8x − 4y = −16
0
=
| ·(−4)
| ·(−2)
⊕
0
Die letzte Gleichung ist offensichtlich immer wahr, d.h. dass jede Lösung der ersten
Gleichung 2x − y = 4 auch Lösung der zweiten Gleichung −4x + 2y = −8 ist. Damit
gibt es unendliche viele Lösungen, die wir parametrisiert beschreiben können, indem
wir zum Beispiel die erste Gleichung nach y auflösen
2x − y = 4
−→
y = 2x − 4
und erhalten so den Lösungsraum
L = {(t, 2t − 4) | t ∈ R}.
Zur Probe setzen wir in die zweite Gleichung ein:
−4t + 2(2t − 4) = −4t + 4t − 8 = −8.
Bei genauerer Betrachtung stellen wir fest, dass die beiden Gleichungen Vielfache voneinander sind, und mit den obigen Überlegungen müssen die Lösungsräume folglich
übereinstimmen.
Bei einem linearen Gleichungssystem mit zwei Gleichungen in zwei Variablen kann also einer
der drei Fälle auftreten: (a) es gibt genau eine Lösung (x0 , y0 ) ∈ R2 (b) es gibt keine Lösung
(c) es gibt eine parametrisierte Schar von unendlich vielen Lösungen. Das Verfahren, das wir
hier zur Lösung von linearen Gleichungssystemen eingeführt haben, wird Gaußsches Eliminationsverfahren genannt und kann auch auf lineare Gleichungssysteme in mehr Variablen
erweitert werden.
B EISPIEL 4.11
Gesucht sind alle (x, y, z) ∈ R3 , die die Gleichungen x + y + z = 7, 2x − 3y + z = 12,
4x+5y −z = 18 erfüllen. Dazu benutzen wir erst die erste Gleichung, um aus den beiden
zweiten x zu eliminieren. Dann erhalten wir ein System von zwei linearen Gleichungen
37
in zwei Variablen, das wie oben gelöst wird.
x + y +
2x − 3y +
4x + 5y −
z =
z =
z =
7 | ·2
12 | ·(−1)
18
2x + 2y + 2z =
14
−2x + 3y − z = −12
5y +
z =
x +
2x −
4x +
y +
3y +
5y −
4x +
−4x −
⊕
7 | ·4
12
18 | ·(−1)
z =
z =
z =
4y + 4z =
28
5y + z = −18
−y + 5z =
2
⊕
10
Nach den ersten Reduktionsschritten muss jetzt das System der Gleichungen 5y + z = 2
und −y + 5z = 10 nach (y, z) ∈ R2 gelöst werden:
5y +
−y +
z =
5z =
−5y −
5y −
2 | ·(−1)
10 | ·(−5)
z = −2
25z = −50
⊕
−26z = −52 | : (−26)
z =
2
Durch schrittweises Einsetzen,
−y + 5 · 2 = 10
−→
y = 0,
und x + 0 + 2 = 7
−→
x = 5,
erhalten wir die Lösung des Systems (x0 , y0 , z0 ) = (5, 0, 2).
B EISPIEL 4.12
Gesucht sind alle Lösungen (x, y, z) ∈ R3 , die die Gleichungen 2x + y + 3z = 6, −x −
3y + z = 2, und 2x + 6y − 2z = −4 erfüllen. Dazu gehen wir vor wie im letzten Beispiel.
2x + y + 3z =
−x − 3y + z =
2x + 6y − 2z =
−2x − y − 3z =
2x + 6y − 2z =
6 | ·(−1)
2 | ·(−2)
−4
2x +
−x −
2x +
y +
3y +
6y −
4x +
−4x −
2y +
12y +
−6
−4
⊕
5y − 5z = −10
3z =
6 | ·2
z =
2
2z = −4 | ·(−2)
6z =
4z =
12
8
−10y + 10z =
20
⊕
Bei der Elimination auf der rechten Seite könnte man den Schritt (und das Ergebnis)
vereinfachen, indem die erste Zeile unverändert bleibt, und die zweite Zeile nur mit
(−1) multipliziert wird. Im Moment sind wir nicht an einer Optimierung des Verfahrens
interessiert, deshalb folgen wir dem eingeführten Schema. Wir rechnen weiter mit dem
38
System in y und z.
5y − 5z =
−10y + 10z =
−10 | ·(−10)
20 | ·(−5)
−50y + 50z =
100
50y − 50z = −100
0 =
⊕
0
In diesem Fall gibt es wieder eine unendliche Schar von parametrisierte Lösungen für
dieses Teilsystem. Wir verwenden die erste Gleichung und formen um
5y − 5z = −10
−→
y − z = −2
−→
y = z − 2.
Das heißt, der Lösungsraum dieses Teilsystems ist {(t − 2, t) | t ∈ R}. Um die Lösung des
gesamten Systems zu erhalten, setzen wir die Parametrisierung in die zweite Gleichung
des Ausgangssystems ein:
−x − 3(t − 2) + t = 2
−→
−x − 2t + 6 = 2
−→
x = 4 − 2t.
Insgesamt erhalten wir so den Lösungsraum L = {(4 − 2t, t − 2, t) | t ∈ R}.
B EISPIEL 4.13
Wir verändern im letzten Beispiel die rechte Seite der dritten Gleichung zu 2x+6y−2z =
3. Damit wird der erste Lösungsschritt zu
2x + y + 3z =
−x − 3y + z =
2x + 6y − 2z =
−2x − y − 3z =
2x + 6y − 2z =
6 | ·(−1)
2 | ·(−2)
3
2x +
−x −
2x +
y +
3y +
6y −
4x +
−4x −
2y +
12y +
−6
−4
⊕
5y − 5z = −10
3z =
z =
2z =
6 | ·2
2
3 | ·(−2)
6z = 12
4z = −6
−10y + 10z =
⊕
6
Im zweiten Schritt erhält man dann
5y − 5z = −10 | ·(−10)
−10y + 10z =
6 | ·(−5)
−50y + 50z = 100
50y − 50z = −30
0 =
⊕
70
Diese Gleichung gilt offensichtlich nicht. Damit hat das System in zwei Variablen keine
Lösung und folglich besitzt das gesamte System keine Lösung und L = ∅.
39
B EISPIEL 4.14
Eine weitere Variante: Gesucht sind alle Lösungen (x, y, z) ∈ R3 , die die Gleichungen
3x + 9y − 3z = −6, −x − 3y + z = 2, und 2x + 6y − 2z = −4 erfüllen. Dazu gehen wir
vor wie im letzten Beispiel.
3x + 9y − 3z = −6 | ·(−1)
−x − 3y + z =
2 | ·(−3)
2x + 6y − 2z = −4
−3x − 9y + 3z = −6
3x + 9y − 3z = −6
0 =
⊕
3x +
−x −
2x +
9y − 3z =
3y + z =
6y − 2z =
−6 | ·2
2
−4 | ·(−3)
6x + 18y − 6z = −12
−6x − 18y + 6z =
12
0
0 =
⊕
0
Hier erhalten wir bereits nach dem ersten Eliminationsschritt zwei allgemeingültige Gleichungen. Bei genauerem Betrachten stellen wir wieder fest, dass die zweite und dritte
Gleichung Vielfache der ersten Gleichung sind. Damit erhalten wir einen parametrisierten Lösungsraum, der in diesem Fall von zwei Parametern abhängt. Wir formen die zweite Gleichung um, um die parametrisierte Darstellung zu erhalten:
−x − 3y + z = 2
−→
und damit L = {(−3s + t − 2, s, t) | s, t ∈ R}.
40
x = −3y + z − 2
5
KAPITEL
F UNKTIONEN
Es seien X, Y beliebige Mengen. Unter einer Funktion f von X nach Y wollen wir uns eine
„Zuordnung“ vorstellen, die jedem x ∈ X genau ein y ∈ Y zuordnet. Das einem x ∈ X durch
die Funktion f zugeordnete Objekt bezeichnet man mit f (x).
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, solch eine „Zuordnung“ zu definieren.
B EISPIEL 5.1
Absolutbetrag wie in Definition 3.7 eingeführt ist eine Funktion, zum Beispiel, von R
nach R:
f : R → R, x 7→ |x|
Diese Funktion kann in R2 graphisch dargestellt werden.
Wertetabelle:
x
-3
-2
-1
0
1
2
3
y
3
2
1
0
1
2
3
4
3
2
1
-4
-2
2
B EISPIEL 5.2
Eine Funktion kann auch nur auf diskreten Werten definiert sein, zum Beispiel
f : {−3, −2, −1, 0, 1, 2, 3} → {0, 1, 4, 9},
41
x 7→ x2
4
Wertetabelle:
x
-3
-2
-1
0
1
2
3
y
9
4
1
0
1
4
9
9
4
1
-3
-2
-1
1
2
3
Eine Funktion f : X → Y kann als eine Menge von eindeutig bestimmten Paaren (x, y) betrachtet werden mit x ∈ X und y ∈ Y , die Funktion aus dem letzten Beispiel etwa
f = {(−3, 9), (−2, 4), (−1, 1), (0, 0), (1, 1), (2, 4), (3, 9)} ⊆ {−3, −2, −1, 0, 1, 2, 3} × {0, 1, 4, 9}.
Damit ist f eine Teilmenge der Produktmenge X × Y .
D EFINITION 5.3
Seien X, Y Mengen. Man nennt f eine Funktion von X nach Y genau dann, wenn
1. f ⊆ X × Y und
2. ∀ x ∈ X ∃! y ∈ Y : (x, y) ∈ f .
Wir schreiben dafür f : X → Y .
B EISPIEL 5.4
Welche der folgenden Teilmengen von X × Y definiert eine Funktion von X nach Y ?
(a) f = {(x, 5) | x ∈ R} ⊆ R × R
(b) f = {(5, x) | x ∈ R} ⊆ R × R
(c) f = {(x, y) | x2 + y 2 = 1} ⊆ [−1, 1] × R
(d) f = {(x, x2 ) | x ∈ R} ⊆ R × R
D EFINITION 5.5
Sei f : X → Y eine Funktion. Die Menge X heißt der Definitionsbereich (engl.: domain)
von f . Die Menge
f (X) = {y ∈ Y | ∃ x ∈ X : f (x) = y} ⊆ Y
heißt das Bild oder der Bildbereich oder der Wertebereich (engl.: range oder image) von
f unter X. Ist y ∈ f (X), dann wird ein x ∈ X mit f (x) = y als Urbild bezeichnet. Sei
42
Z ⊆ Y . Die Menge
f −1 (Z) = {x ∈ X | ∃ y ∈ Z : y = f (x)} ⊆ X
heißt Urbildbereich (engl.: preimage) von f in Z.
B EISPIEL 5.6
Sei X = [−5, 5] und Y = R und f : X → Y die Abbildung x 7→ |x|.
(a) Was ist f (X)?
(b) Sei Z = [1, 3]. Was ist f −1 (Z)?
B EISPIEL 5.7
Seien X = {a, b, c, d}, Y = {1, 2, 3} und seien f1 = {(a, 1), (b, 3), (c, 2), (d, 3)} und f2 =
{(a, 1), (b, 2), (b, 3), (c, 1), (d, 3)} und f3 = {(a, 1), (b, 2), (c, 3)} gegeben. Welche dieser
Teilmengen von X × Y sind Funktionen?
B EISPIEL 5.8
Gegeben sind die Mengen X1 = [−2, 2], X2 = R+
0 , X3 =]−1, 1[ und Y1 = [−6, 6], Y2 = R,
Y3 = R. Wir betrachten die Abbildung f : Xk → Yk , x 7→ x3 − x für k = 1, 2, 3.
6
(a) Wie sieht der Funktionsgraph aus?
4
2
(b) Was ist jeweils der Bildbereich von f unter Xk
(k = 1, 2, 3)?
-2
-1
1
2
-2
-4
-6
D EFINITION 5.9
Sei f : X → Y eine Funktion.
(1) f heißt surjektiv, wenn jedes y ∈ Y im Bild von f liegt.
(2) f heißt injektiv, wenn jedes Element im Bild von f genau ein Urbild in X besitzt.
(3) f heißt bijektiv, wenn f sowohl injektiv als auch surjektiv ist.
B EISPIEL 5.10
Für welche Mengen Xk , Yk ist f ⊆ Xk × Yk aus Beispiel 5.8 (a) injektiv (b) surjektiv (c)
bijektiv?
43
Die Begriffe injektiv und surjektiv hängen mit der Lösbarkeit der Gleichung f (x) = y bei
gegebener Funktion f : X → Y und gegebenen y ∈ Y zusammen. Wenn f injektiv ist, dann
besitzt die Gleichung f (x) = y höchstens eine Lösung x ∈ X. Wenn f surjektiv ist, dann besitzt
die Gleichung f (x) = y mindestens eine Lösung x ∈ X. Diese Lösung kann gefunden werden,
indem die Kurve der Funktion mit der horizontalen Gerade durch y geschnitten wird.
1.00
1.0
1.0
h
0.95
0.8
0.5
g
0.90
0.6
-1.5
0.85
0.4
-1.0
-0.5
0.5
1.0
f
-0.5
0.80
0.2
1
2
3
4
5
6
-1.0
7
+
f : R+
0 → R0 ,
1
x 7→ 1 −
x+1
-0.5
0.5
-1.0
1.0
g : [−1, 1] → [ 43 , 1],
h : [− π2 , π2 ] → [−1, 1]
x 7→ x4 − x2 + 1
x 7→ sin(x)
D EFINITION 5.11
Sei X eine Menge. Die Funktion von X nach X, die jedes Element x ∈ X auf sich selbst
abbildet, heißt die identische Abbildung auf X und wird mit idX bezeichnet.
Die Identität idX : X → X, x 7→ x ist eine bijektive Funktion.
D EFINITION 5.12
Seien X, Y, Z Mengen und seien f : X → Y und g : f (X) → Z Funktionen. Dann ist die
Komposition (Hintereinanderausführung) von f und g definiert als
g ◦ f : X → Z,
x 7→ (g ◦ f )(x) = g(f (x)).
Für g ◦ f spricht man „g nach f “.
f
X
g
f HX L
Y
Z
gëf
S ATZ 5.13
Die Komposition von zwei Funktionen ist eine Funktion.
B EISPIEL 5.14
Seien X = [0, π], Y = [0, 2π], Z = [−1, 1] und seien die Funktionen f, g gegeben durch
f : X → Y,
x 7→ 2x,
und g : Y → Z,
44
x 7→ sin(x).
1.5
f
gëf
g
2Π
1
1
0.5
0.5
3Π
2
Π
2
Π
2
Π
2
Π
Π
3Π
2
Π
4
2Π
-0.5
-0.5
-1
-1
Π
2
3Π
4
Π
Die Hintereinanderausführung g ◦ f ist gegeben durch
g ◦ f : [0, π] → [−1, 1],
x 7→ sin(2x).
B EISPIEL 5.15
Die Funktionen f, g seien gegeben durch
f : R → R,
x 7→ x3 ,
und g : R → R,
x 7→ x + 1.
Bestimmen Sie g ◦ f und f ◦ g.
B EMERKUNG 5.16
Sei f : X → Y eine Funktion. Dann gilt:
(idY ◦ f ) (x) = idY (f (x)) = f (x),
∀ x ∈ X,
(f ◦ idX ) (x) = f (idX (x)) = f (x),
∀ x ∈ X.
und
D EFINITION 5.17
Sei f : X → Y eine Funktion. f heißt invertierbar, wenn es eine Funktion f −1 : Y → X
gibt, sodass
f −1 ◦ f = idX und f ◦ f −1 = idY .
f −1 heißt die inverse Funktion (oder Umkehrfunktion) zu f .
Eine Funktion ist also invertierbar, wenn jedem y ∈ Y ein eindeutig bestimmtes x ∈ X zugeordnet werden kann, für das f (x) = y gilt. Damit sind die invertierbaren Funktionen genau
die bijektiven Funktionen. Die Umkehrfunktion kann auch mittels Produktmengen definiert
werden: Sei f ⊆ X × Y eine Funktion. Wenn
f −1 = {(y, x) | y ∈ Y, x ∈ X und (x, y) ∈ f } ⊆ Y × X
eine Funktion ist, dann ist f invertierbar und f −1 heißt die inverse Funktion zu f .
Wie berechnet man die Umkehrfunktion? Wenn auf die Identität f (x) = y (für eine bijektive
Funktion f : X → Y ) auf beiden Seiten die Umkehrfunktion angewandt wird, dann erhalten
wir
f (x) = y
⇔
f −1 (f (x)) = f −1 (y)
⇔
45
idX (x) = f −1 (y)
⇔
x = f −1 (y).
B EISPIEL 5.18
x
−1 : [−1, 1] → [0, 4] zu
Sei f : [0, 4] → [−1, 1], x →
7
2 − 1. Um die Umkehrfunktion f
bestimmen, formen wir y = f (x) um auf x = f −1 (y):
y=
x
−1
2
→
y+1=
x
2
→
x = 2y + 2.
Damit erhalten wir die Umkehrfunktion
f −1 : [−1, 1] → [0, 4],
y 7→ 2y + 2.
Zur Probe berechnen wir f ◦ f −1 und f −1 ◦ f (ob da die Identität herauskommt):
2x + 2
−1=x
f ◦ f −1 (x) = f (f −1 (x)) = f (2x + 2) =
2
f −1 ◦ f (x) = f −1 (f (x)) = f −1 x2 − 1 = 2 x2 − 1 + 2 = x
B EISPIEL 5.19
Welcher der folgenden Funktionen ist invertierbar? Wie lautet die Umkehrfunktion der
invertierbaren Funktionen?
• f = {(x, 5) | x ∈ R} ⊆ R × R
• g : ]1, ∞[→]1, ∞[, x 7→
x
x−1
• h : [−2, 2] → [0, 4], x 7→ 4 − x2
46
KAPITEL
6
R ELATIONEN
D EFINITION 6.1
Seien X, Y Mengen. Man nennt R eine (binäre) Relation auf X, Y genau dann, wenn
R ⊆ X × Y . Wir schreiben für x ∈ X und y ∈ Y
(x, y) ∈ R
oder xRy
für „x steht in Relation zu y“.
Jede Funktion ist somit auch eine Relation.
B EISPIEL 6.2
Seien X = {0, 1, 2}, Y = {a, b, c}. Dann definieren
R1 = {(0, a), (0, b), (2, c)} ⊆ X × Y,
und
R2 = {(0, c), (1, b), (2, a)} ⊆ X × Y,
Relationen auf X, Y .
B EISPIEL 6.3
Sei X = {1, 2, 3, 4, 6, 12}.Dann wird durch die Bedingung x teilt y eine Relation auf X
definiert. In Zeichen:
xR3 y ⇐⇒ x | y,
R3 ⊆ X × X.
Wir können R3 auch explizit anschreiben als Teilmenge des kartesischen Produkts X ×
X = X 2:
R3 ={(1, 1), (1, 2), (1, 3), (1, 4), (1, 6), (1, 12), (2, 2), (2, 4), (2, 6), (2, 12), (3, 3)(3, 6), (3, 12),
(4, 4), (4, 12), (6, 6), (6, 12), (12, 12)}
oder graphisch darstellen, wobei Pfeile x → y für xR3 y stehen:
47
12
4
6
2
3
1
B EISPIEL 6.4
Sei X eine Menge von Geraden im R2 und zu g, h ∈ X definieren wir gRh genau dann,
wenn g und h parallel sind.
B EISPIEL 6.5
Sei A = {1, 2} und X = P (A) (die Potenzmenge von A). Wir definieren die Relation
R ⊆ X × X durch aRb, genau dann wenn a ⊆ b.
D EFINITION 6.6
Eine Relation R auf einer Menge X heißt
• reflexiv, falls ∀ x ∈ X : xRx
• symmetrisch, falls ∀ x, y ∈ X : xRy ⇒ yRx
• antisymmetrisch, falls ∀ x, y ∈ X : xRy ∧ yRx ⇒ x = y
• transitiv, falls ∀ x, y, z ∈ X : xRy ∧ yRz ⇒ xRz
B EISPIEL 6.7
Wir betrachten wieder die Teilbarkeitsrelation R3 aus Beispiel 6.3. Wir untersuchen diese
Relation auf die Eigenschaften aus Defintion 6.6
• Reflexivität: Jede Zahl teilt sich selbst, daher gilt für jedes x ∈ X = {1, 2, 3, 4, 6, 12},
dass xR3 x ⇔ x | x. Somit ist R3 reflexiv.
• Symmetrie: Die Relation ist nicht symmetrisch, was durch ein Gegenbeispiel ge-
48
zeigt werden kann (Symmetrie müsste für alle Elemente der Relation gelten): 4 6 | 2
• Antisymmetrie: Seien x, y ∈ X mit x | y und y | x. Aus x | y folgt, dass es ein
p ∈ N gibt sodass y = px. Aus y | x folgt, dass es ein q ∈ N gibt mit x = qy.
Zusammengefasst heißt das, dass y = pq · y für natürliche Zahlen p, q. Das kann
nur gelten, wenn p = q = 1 ist, d.h., x = y. Die Relation ist also antisymmetrisch.
• Transitivität: Seien x, y, z ∈ X mit x | y und y | z. Analog zum letzten Punkt
bedeutet das, dass p, q ∈ N existieren mit y = px und z = qy. Folglich gilt z = qp·x.
Da qp ∈ N ist, folgt daraus, dass x | z. Die Relation ist also transitiv.
B EISPIEL 6.8
Die Relation aus Beispiel 6.4 ist reflexiv, symmetrisch und transitiv, aber nicht antisymmetrisch.
6.1
Ä QUIVALENZRELATIONEN
D EFINITION 6.9
Eine Relation R auf einer Menge X heißt Äquivalenzrelation genau dann, wenn R reflexiv, symmetrisch und transitiv ist. Für Äquivalenzrelationen wird häufig die Notation ∼
statt R verwendet.
Ein typisches Beispiel für eine Äquivalenzrelation ist die Kongruenz modulo einer natürlichen
Zahl:
D EFINITION 6.10
Seien n ∈ N∗ und a, b ∈ Z. Dann sind a und b kongruent modulo n genau dann, wenn
n | a − b (n teilt a − b). Man schreibt a ≡ b mod n.
B EISPIEL 6.11
Einige Beispiele:
7≡5
mod 2,
weil
1≡3
mod 2,
weil 1 − 3 = −2 und 2 | −2
27 ≡ 12
mod 5,
7 − 5 = 2 und 2 | 2
weil 27 − 12 = 15 und 5 | 15
S ATZ 6.12
Kongruenz modulo n, d.h. die Relation ∼n ⊆ Z × Z definiert durch
a ∼n b
⇐⇒
a ≡ b mod n.
49
ist eine Äquivalenzrelation auf Z.
Beweis. Sei n ∈ N. Zu überprüfen ist, ob die Relation ∼n reflexiv, symmetrisch und transitiv
ist.
• Reflexivität: Sei a ∈ Z. Dann gilt
n|a−a=0
⇔
a ≡ a mod n
⇔
a ∼n a.
Somit ist die Relation reflexiv.
• Symmetrie: Seien a, b ∈ Z und es gelte a ∼n b. Nach Definition von ∼n folgt, dass
n | a − b, d.h. es existiert ein q ∈ Z, sodass a − b = qn. Damit gilt b − a = (−q)n und
auch −q ∈ Z. Daraus folgt, dass n | b − a, was wiederum zu b ∼n a äquivalent ist. Somit
ist die Relation symmetrisch.
• Transitivität: Seien a, b, c ∈ Z mit a ∼n b und b ∼n c, d.h.
a ≡ b mod n
und
b ≡ c mod n.
Nach Definition bedeutet das, dass p, q ∈ Z existieren, sodass
a − b = qn und b − c = pn.
Zu zeigen ist, dass a ≡ c mod n, d.h. zu zeigen ist, dass ein r ∈ Z existiert, sodass
a − c = rn. Wir zählen bei der Differenz a − c einmal b dazu und ziehen es einmal ab
und verwenden, was wir bisher hergeleitet haben:
a − c = a − b + b − c = qn + pn = (q + p)n.
D.h. mit r = q + p ∈ Z folgt a ∼n c.
B EISPIEL 6.13
Sei f : X → Y eine Funktion. Dann ist ∼f ⊆ X × X definiert durch
a ∼f b
⇐⇒ f (a) = f (b)
eine Äquivalenzrelation.
Eine Äquivalenzrelation auf einer Menge X teilt X in Teilmengen auf, die Äquivalenzklassen
genannt werden.
50
D EFINITION 6.14
Gegeben eine Äquivalenzrelation ∼ auf einer Menge X und ein Element a ∈ X. Dann
ist die Äquivalenzklasse von a definiert als
[a] := {b ∈ X | a ∼ b}.
Jedes Element der Äquivalenzklasse [a] kann als Repräsentant der Klasse verwendet werden.
Äquivalenzklassen liefern disjunkte Zerlegungen der gegebenen Menge.
D EFINITION 6.15
Eine Partition einer Menge M ist eine Familie von Mengen {Pi | i ∈ I} sodass
1. ∀ i ∈ I : Pi 6= ∅,
2. ∀ m ∈ M ∃! Pi : m ∈ Pi .
B EMERKUNG 6.16
In Definition 6.15 bezeichnet I eine Indexmenge. Unter einer Indexmenge I versteht
man eine beliebige Menge, deren Elemente zur Nummerierung anderer Mengen (oder
Objekte) herangezogen werden. Ein Beispiel für eine Indexmenge ist I = N.
S ATZ 6.17
Für jede Äquivalenzrelation ∼ auf einer Menge X ist die Familie der Äquivalenzklassen
{[a] | a ∈ X} eine Partition von X.
B EISPIEL 6.18
Auf Z definieren wir die Äquivalenzrelation
a∼b
⇐⇒ a ≡ b mod 5.
Durch diese Relation werden die ganzen Zahlen in die folgenden fünf Äquivalenzklassen
partitioniert:
[0] = {5q | q ∈ Z} = {. . . , −10, −5, 0, 5, 10, . . . }
[1] = {5q + 1 | q ∈ Z} = {. . . , −9, −4, 1, 6, 11, . . . }
[2] = {5q + 2 | q ∈ Z} = {. . . , −8, −3, 2, 7, 12, . . . }
[3] = {5q + 3 | q ∈ Z} = {. . . , −7, −2, 3, 8, 13, . . . }
[4] = {5q + 4 | q ∈ Z} = {. . . , −6, −1, 4, 9, 14, . . . }
51
Jede ganze Zahl liegt in genau einer Äquivalenzklasse. Die Wahl der Repräsentanten aus
der jeweiligen Klasse ist dabei beliebig, z.B. gilt
[0] = [5] = [105] = [−45] = . . .
oder
[2] = [12] = [−38] = [−3] = . . .
Üblicherweise werden „einfache“ Repräsentanten gewählt, also zum Beispiel wie oben
[0], [1], [2], [3], [4]
oder alternativ
[−2], [−1], [0], [1], [2]
6.2
O RDNUNGSRELATIONEN
D EFINITION 6.19
Eine Relation R auf einer Menge X heißt eine Ordnungsrelation genau dann, wenn R
reflexiv, antisymmetrisch und transitiv ist. In diesem Fall heißt (X, R) eine geordnete
Menge. Gilt außerdem
∀ x, y ∈ X : xRy ∨ yRx
so heißt R Totalordnung.
D.h. eine Ordnungsrelation ist eine Totalordnung, wenn je zwei beliebige Elemente der Menge
X vergleichbar sind. Eine Ordnungsrelation, die keine Totalordnung ist, wird auch Halbordnung genannt.
B EISPIEL 6.20
Die Teilbarkeitsrelation aus Beispiel 6.3 ist eine Ordnungsrelation, aber keine Totalordnung. Die Eigenschaften einer Ordnungsrelation haben wir bereits gezeigt. Die Relation
ist keine Totalordnung, da nicht alle Elemente miteinander vergleichbar sind. Zum Beispiel gilt weder 3 | 4 noch gilt 4 | 3.
Ordnungsrelationen werden üblicherweise durch sogenannte Hasse-Diagramme dargestellt. Dabei wird auf die Kanten verzichtet, die sich durch Reflexivität oder Transitivität
ergeben:
52
12
4
6
2
3
1
B EISPIEL 6.21
Die Relation R aus Beispiel 6.5 auf X = P ({1, 2}) definiert als
aRb
⇐⇒ a ⊆ b
ist eine Ordnungsrelation, aber keine Totalordnung. Wir überprüfen die Eigenschaften
einer Ordnungsrelation:
• Reflexivität: Für jede Menge gilt, dass sie Teilmenge von sich selbst ist, d.h. a ⊆ a
und somit ist R reflexiv.
• Antisymmetrie: Seien a, b ∈ X mit a ⊆ b und b ⊆ a. Das ist genau die Definition
der Gleichheit von Mengen (siehe Kapitel 1, somit gilt a = b, und die Relation ist
folglich antisymmetrisch.
• Transitivität: Seien a, b, c ∈ X mit a ⊆ b und b ⊆ c. Sei x ∈ a ein beliebiges Element
aus a. Da a ⊆ b ist, gilt x ∈ b. Da b ⊆ c ist, gilt x ∈ c. Daher ist a ⊆ c, und die
Relation ist somit transitiv.
Die Relation ist keine Totalordnung, da nicht alle Mengen miteinander vergleichbar sind.
Zum Beispiel ist {1} weder eine Teilmenge von {2} noch ist {2} eine Teilmenge von {1}.
B EISPIEL 6.22
Die Relation ⊆ N2 × N2 definiert durch
(a, b) (c, d)
⇐⇒
(a < c) ∨ (a = c ∧ b ≤ d)
ist eine Totalordnung.
53
D EFINITION 6.23
Sei eine Ordnungsrelation auf X:
• Ein Element m ∈ X heißt minimales Element, wenn für alle x ∈ X mit x m gilt
x = m.
• Ein Element k ∈ X heißt kleinstes Element, wenn für alle x ∈ X gilt k x.
• Ein Element M ∈ X heißt maximales Element, wenn für alle x ∈ X mit M x gilt
x = M.
• Ein Element g ∈ X heißt grösstes Element, wenn für alle x ∈ X gilt x g.
54
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