Öffentlichkeitsarbeit der Regierung, Organstreitverfahren

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Prof. Dr. Gerhard Robbers
WS 2007/2008
Übung im Öffentlichen Recht für Anfänger
Fallbesprechung am 17. Januar 2008
Sachverhalt
Die O-Partei verfügt in verschiedenen Bundesländern über zahlreiche Landtagssitze und hat
laut Prognosen gute Aussichten, bei den nächsten Bundestagswahlen zum ersten Mal in den
Bundestag einzuziehen. Ihr ist jedoch die „Öffentlichkeitsarbeit” der Bundesregierung ein Dorn
im Auge. Die Bundesregierung hatte unter Aufwendung von 5 Millionen Euro aus dem Haushaltstitel „Öffentlichkeitsarbeit”, großformatige Anzeigenserien in Tages- und Wochenzeitungen sowie Zeitschriften veröffentlichen lassen. Außerdem wurden an die Bürger eine große
Menge Faltblätter und Publikationen mit Leistungs- und Erfolgsberichten der Regierung verteilt, in denen auch die Mitglieder der Bundesregierung abgebildet und deren besondere Qualitäten herausgestellt waren. Darin warb die Bundesregierung ausdrücklich auch für ihre Wiederwahl. Ein Teil der Broschüren wurde von der Bundesregierung der Regierungspartei M überlassen, die sie ihrerseits weiter verteilte.
Ohne dass ein aktueller Anlass gegeben wäre, intensiviert die Bundesregierung ihre Öffentlichkeitsarbeit gegen Ende des Wahlkampfes massiv. Die O-Partei, der derartige finanzielle Mittel
zur Wahlwerbung fehlen, hält die Wahlwerbung der Bundesregierung für verfassungswidrig.
Sie sieht sich insbesondere in ihrer Chancengleichheit verletzt. Eine kurzfristige Unterbindung
des Verhaltens der Bundesregierung sieht die O-Partei allerdings, aufgrund des bevorstehenden
Wahltermins und der durch diese Aktion bereits erfolgten massiven Beeinflussung der Wähler,
nicht als sinnvoll an. Sie möchte vielmehr, die Frage der Verfassungsmäßigkeit einer solchen
Vorgehensweise der Bundesregierung für die Zukunft geklärt wissen.
Frage 1: Welche prozessualen Möglichkeiten stehen zur Verfügung?
Frage 2: Prüfen Sie die Erfolgsaussichten der einschlägigen verfassungsprozessualen Verfahrensart.
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Lösungsvorschlag
Hinweis: Die nachstehenden Lösungshinweise fassen die wichtigsten Probleme des Falles zusammen,
ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Sie zeigen auf mögliche und vertretbare Lösungsund Argumentationsmöglichkeiten hin. Der Lösungsvorschlag ist nicht durchgängig im Gutachtenstil
verfasst; anders als der Verfasser sollten sich die Klausurbearbeiter jedoch unbedingt des Gutachtenstils bedienen.
Frage 1: Welche prozessualen Möglichkeiten stehen zur Verfügung?
Als möglicherweise einschlägige Verfahrensarten kommen die Verfassungsbeschwerde, das Organstreitverfahren sowie der einstweilige Rechtsschutz zu diesen Verfahrensarten in Betracht.
Die Parteien haben nach Art. 21 GG einen verfassungsrechtlichen Status. Sie sind nach der Rechtsprechung des BVerfG keine Staatsorgane, sondern vielmehr „frei gebildete, im gesellschaftlich-politischen
Bereich wurzelnde Gruppen, welche dazu berufen sind, in den Bereich der institutionalisierten Staatlichkeit hineinzuwirken, aber selbst nicht zu diesem Bereich gehören“ (vgl. Schwerdtfeger, Öffentliches
Recht in der Fallbearbeitung, 12. Aufl., Rn 571).
Bei der Abgrenzung der Verfahrensarten der Verfassungsbeschwerde und des Organstreitverfahrens
stellt die behauptete Verletzung von Rechten eine zentrale Rolle. Als Faustformel kann man diese
Abgrenzung wie folgt illustrieren:
-
Wird die Verletzung von Rechten der politischen Partei durch Verwaltungsbehörden gerügt,
steht der politischen Partei die herkömmlichen Rechtsmittel zur Verfügung (vgl. § 3 PartG).
Dazu zählen auch und insbesondere die Verfassungsbeschwerde beim BVerfG, Verpflichtungsund Anfechtungsklagen vor Verwaltungsgerichten sowie übliche zivilprozessuale Rechtsmittel.
-
Wird der verfassungsrechtliche Status einer politischen Partei durch eine Handlung oder Unterlassen eines Verfassungsorgans beeinträchtigt, steht der politischen Partei nach st. Rspr. des
BVerfG die Möglichkeit zu, ein Organstreitverfahren einzuleiten (vgl. Schwerdtfeger, Öffentliches Recht in der Fallbearbeitung, 12. Aufl., Rn 582 f.; Ipsen, in: Sachs, GG-Kommentar, 4.
Aufl., Art. 21 Rn 49).
Die O-Partei möchte eine Maßnahme der Bundesregierung, die keine Verwaltungsbehörde ist, unter
dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit vom BVerfG überprüfen lassen. Die Bundesregierung ge-
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hört nämlich zum Kreis der obersten Bundesorgane i.S.d. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG und ist somit ein
Verfassungsorgan.
Das BVerfG lokalisiert die Chancengleichheit als Grundrecht der politischen Parteien in Art. 21 Abs. 1
GG und rechnet sie dem verfassungsrechtlichen Status der politischen Parteien zu. Da die O-Partei die
Verletzung der Chancengleichheit rügt, ist hier der verfassungsrechtlichen Status der O-Partei möglicherweise betroffen, so dass die Verfassungsbeschwerde als statthafte Verfahrensart ausscheidet.
Einschlägig ist also ein Organstreitverfahren. Aufgrund des nahenden Wahltermins und der Wahlbezogenheit der gerügten Handlung der Bundesregierung (Wahlwerbung) stellt sich die Frage, ob aus Gründen der Sachgerechtigkeit der einstweilige Rechtsschutz vor dem BVerfG nicht besser in der Lage wäre, dem Rechtsschutzbedürfnis der O-Partei zu genügen.
Der einstweilige Rechtsschutz sichert und regelt eine Situation nur vorläufig. Damit soll verhindert
werden, dass durch längeren Zeitablauf oder rasche Entwicklung der Fakten die Entscheidung in der
Hauptsache zu spät käme (Robbers, Verfassungsprozessuale Probleme in der öffentlich-rechtlichen
Arbeit, 2. Aufl., S. 106). Dies ist jedoch nicht von der Rüge der O-Partei gedeckt; sie möchte laut
Sachverhalt ausdrücklich nicht die Wahlwerbung mit Blick auf die nahenden Bundestagswahlen verhindern, sondern die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Wahlwerbung durch die Bundesregierung
generell und für die Zukunft klären lassen. Dabei sind Merkmale eines regulären Verfahrens angesprochen und nicht die des einstweiligen Rechtsschutzes.
Frage 2: Erfolgsaussichten des Organstreitverfahrens
Das Organstreitverfahren hat Aussicht auf Erfolg, wenn es zulässig und begründet ist.
A. Zulässigkeit
Die Zulässigkeit eines Organstreitverfahrens richtet sich nach Art. 93 I Nr. 1 GG i.V.m. §§ 13 Nr. 5, 63
ff. BVerfGG.
I. Parteifähigkeit
Nach Art. 93 I Nr. 1 GG können oberste Bundesorgane sowie andere Beteiligte, die durch das Grundgesetz oder in einer Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet
sind, Partei des Verfahrens sein. Dagegen nennt § 63 BVerfGG verengend Bundespräsident, Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung und die im Grundgesetz oder in den Geschäftsordnungen des Bundes3
tages und des Bundesrates mit eigenen Rechten ausgestattete Teile dieser Organe. Es gibt aber noch
andere oberste Bundesorgane. Die weiter gefasste Verfassungsnorm besitzt insofern Vorrang vor der
einfachen Gesetzesbestimmung des BVerfGG (Robbers, Verfassungsprozessuale Probleme in der öffentlich-rechtlichen Arbeit, 2. Aufl., S. 49).
Parteifähig im Organstreitverfahren sind auch Fraktionen im Bundestag und in einzelnen Ausschüssen
(vgl. dazu BVerfGE 67, 100, 124), die Ausschüsse selbst, sowie - nach std. Rspr. des BVerfG - politische Parteien (vgl. Robbers, Verfassungsprozessuale Probleme in der öffentlich-rechtlichen Arbeit, 2.
Aufl., S. 50).
Die Parteifähigkeit der O-Partei ergibt sich aus der st. Rspr. des BVerfG, wonach eine Partei Antrag
auf Eröffnung eines Organstreitverfahrens stellen kann, wenn sie in ihrem verfassungsrechtlichen Status verletzt ist (vgl. BVerfGE 82, 322, 335; E 84, 290, 298; E 85, 264, 284); sie ist „anderer Beteiligter“
im Sinne des Art. 93 I Nr. 1 GG (vgl. BVerfGE 44, 125, 137 m.w.N.).
Exkurs: Einführung zum Recht der politischen Parteien
1. Begriff der politischen Partei
Art. 21 GG enthält selbst keine Definition des Parteibegriffs, sondern setzt sie voraus. § 2 I PartG definiert politische Parteien als „Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den
Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der
Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach
dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten“ (vgl. BVerfGE 47, 198, 222; E 89,
266, 269 f.; E 91, 262, 266 ff.; E 91, 276, 284 ff.).
Wählervereinigungen, also Gruppen, die sich bei Wahlen zur Aufstellung eines Kandidaten konstituieren, fallen nicht unter den Begriff der politischen Partei, da es ihnen an der Voraussetzung der Dauer
fehlt (vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Auflage
1995, Rn 168). Dadurch soll ausgeschlossen werden, dass sich „Zufallsbildungen von kurzer Lebensdauer um Wähler bewerben“ (BVerfGE 91, 262, 270). Auch Kommunalparteien, d. h. Gruppen oder
Wählervereinigungen, deren Ziele sich auf die Mitwirkung bei der Willensbildung in den Gemeinden
und Gemeindeverbänden beschränken (sog.„Rathausparteien“), werden von dieser Begriffsbestim4
mung nicht umfasst. Das Gesetz folgt hier der Rechtsprechung des BVerfG, das den Kommunalparteien die Eigenschaft einer politischen Partei im Hinblick auf den begrenzten, auf örtliche Verwaltungsaufgaben beschränkten Wirkungskreis der Kommunalvertretungen abgesprochen hat. Allerdings weist
das BVerfG in diesem Zusammenhang auch auf die Bedeutung der Parteien für die Kommunalpolitik
hin und eröffnet deshalb denjenigen politischen Parteien, die mindestens auf Landesebene organisiert
sind, die Möglichkeit, ihr Recht auf Chancengleichheit bei Kommunalwahlen im Wege des Organstreits geltend zu machen (vgl. BVerfGE 6, 367, 372f.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der
Bundesrepublik Deutschland, 20. Auflage 1995, Rn 168 ).
2. Verfassungsrechtlicher Status
Das BVerfG hat in std. Rechtsprechung die Parteien in den Rang einer verfassungsrechtlichen Institution erhoben; sie sind jedoch nicht Teil der Staatsorganisation. Sie gehören an sich dem gesellschaftlichen Bereich an, wirken hieraus aber in den staatlichen Bereich ein, ohne dass sie diesem direkt zuzurechnen wären (vgl. hierzu Maurer, Staatsrecht I, 5. Auflage 2007, § 11, Rn 21 ff.; Schwerdtfeger, Öffentliches Recht in der Fallbearbeitung, 12. Aufl., Rn 571).
3. Rechtsschutzmöglichkeiten der politischen Parteien
• Verfassungsrechtsweg:
Durch Art. 21 GG wird den politischen Parteien eine Sonderstellung zugewiesen. Soweit sie an der
politischen Willensbildung des Volkes mitwirken, üben sie die Funktionen von Verfassungsorganen
aus. Die Verletzung dieses verfassungsrechtlichen Status durch ein anderes Verfassungsorgan können
sie nur im Wege des Organstreitverfahrens nach Art. 93 I Nr. 1 GG, nicht jedoch mit der Verfassungsbeschwerde, geltend machen (vgl. BVerfGE 82,322, 335; E 84, 290, 298; E 85, 264, 284; Robbers,
Verfassungsprozessuale Probleme in der öffentlich-rechtlichen Arbeit, 2. Aufl., S. 14).
Bsp.: Eine politische Partei wendet sich gegen die Regelung der Wahlkampfkostenerstattung
durch das PartG.
Rügt eine politische Partei allerdings die Verletzung von Grundrechten bzw. grundrechtsgleichen
Rechten, die – ihre wesensmäßige Anwendbarkeit vorausgesetzt – auch politischen Parteien zustehen
können, so wäre die Verfassungsbeschwerde die einschlägige Verfahrensart.
Bsp.: Eine Partei rügt die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip
(Art. 20 Abs. 3 GG) durch Verwaltungsmaßnahmen im Rahmen der Parteienfinanzierung (vgl.
Robbers, Verfassungsprozessuale Probleme in der öffentlich-rechtlichen Arbeit, 2. Aufl., S. 14).
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• Zivilrechtsweg: Streitigkeiten innerhalb der Partei, z. B. die Fragen der Rechtmäßigkeit eines Parteiausschlusses oder der Gültigkeit von innerparteilichen Wahlen, gehören vor die Zivilgerichte.
• Verwaltungsrechtsweg: Bei Verletzung von Rechten der Partei durch die Verwaltung, z. B. wenn
eine Stadt es ablehnt einer Partei die Stadthalle für einen Parteitag oder eine Wahlkampfveranstaltung
zu überlassen, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.
II. Antragsgegner
Antragsgegner können nur die in Art. 93 I Nr. 1 GG, § 63 BVerfGG genannten Organe oder anderen
Beteiligten sein. Antragsgegner ist hier die Bundesregierung (als Kollegialorgan).
III. Streitgegenstand
Gemäß § 64 I BVerfGG wird darüber gestritten, ob der Antragsteller oder das Organ dem er angehört,
durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch das Grundgesetz
übertragenen Rechten oder Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. Streitgegenstand ist hier
die Frage, ob eine derartige Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung – wie im Sachverhalt geschildert
- im Vorfeld der Wahlen mit dem Grundgesetz, insbesondere dem Recht auf Chancengleichheit, vereinbar ist.
Exkurs: Der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien im Wahlkampf (Art. 3 I, III GG
i.V.m. Art. 21 I GG, Art. 38 I GG)
Dieser Grundsatz ist nicht ausdrücklich im Grundgesetz normiert, er ergibt sich jedoch aus der Bedeutung, die der Freiheit der Parteigründung und dem Mehrparteienprinzip für die freiheitliche Demokratie
zukommt. Der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien gilt nicht nur für den Bereich des Wahlrechts im engeren Sinne, sondern z.B. auch für die zur Wahlvorbereitung unerlässliche Wahlwerbung,
soweit sie durch Maßnahmen der öffentlichen Gewalt, wozu auch die Maßnahmen der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten gehören, beeinflusst werden (vgl. BVerfGE 69, 257, 268).
Beachte:
¾ Geht es etwa um die Zurverfügungstellung von Sendezeit für Wahlwerbung, so kann gleichwohl zulässigerweise nach der Bedeutung der Partei differenziert werden (Prinzip der abgestuften Chancengleichheit, vgl. § 5 I 2 PartG). D. h. den kleineren Parteien darf weniger Sendezeit für Wahlwerbesendungen zur Verfügung gestellt werden, als den großen Parteien (zum
Umfang der Gewährung vgl. § 5 I 4 PartG). Die Bedeutung der Parteien bemisst sich gemäß § 5
6
I 3 PartG insbesondere nach den Ergebnissen vorausgegangener Wahlen zu Volksvertretungen.
Daneben sind auch die Dauer ihres Bestehens, ihre Kontinuität, ihre Mitgliederzahl, der Umfang und Ausbau ihres Organisationsnetzes, ihre Vertretung im Parlament und ihre Beteiligung
an der Regierung in Bund und Ländern zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 14, 121, 137).
¾ Außerhalb von Wahlen ist der Grundsatz der Chancengleichheit aus Art. 21 I i.V.m. 3 I, III GG
herzuleiten.
¾ Im Verhältnis zum allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 I GG) ist die Chancengleichheit lex specialis (Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG-Kommentar, 9. Auflage 2007, Art. 21, Rn 17).
Exkurs:
Das BVerfG überprüft im Organstreitverfahren nur die vom Antragsteller behauptete Verletzung in
eigenen Rechten. Eine allgemeine verfassungsrechtliche Überprüfung der angegriffenen Maßnahmen
findet in diesem Verfahren nicht statt (Robbers, Verfassungsprozessuale Probleme in der öffentlichrechtlichen Arbeit, 2. Aufl., S. 54).
Der Streitgegenstand, der sich aus dem Antrag ergibt, bestimmt den Umfang der verfassungsgerichtlichen Prüfung. Die Aufrechterhaltung des Antrags ist keine zwingende Voraussetzung für die Durchführung des Verfahrens. Insbesondere wird die Verfügungsbefugnis des Antragsstellers über den
Streitgegenstand nach einer mündlichen Verhandlung dahingehend eingeschränkt, dass jede Verfügung
eine Zustimmung des BVerfG erforderlich macht (vgl. Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 2. Aufl.,
Rn 1046).
IV. Antragsbefugnis
Der Antragsteller muss schlüssig behaupten, dass er und der Antragsgegner an einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis unmittelbar beteiligt sind und dass der Antragsgegner hieraus folgende eigene
Rechte des Antragstellers durch die beanstandete Maßnahme oder durch sein Unterlassen verletzt oder
unmittelbar gefährdet habe. Die Verletzung oder Gefährdung muss entsprechend der Möglichkeitstheorie möglich, d. h. nicht von vornherein ausgeschlossen sein (vgl. Robbers, Verfassungsprozessuale
Probleme in der öffentlich-rechtlichen Arbeit, 2. Aufl., S. 54).
Die O-Partei nimmt an den nächsten Bundestagswahlen teil und steht somit in einem politischen Wettbewerb mit der Regierungspartei M. Während der O-Partei die finanziellen Mittel zur Wahlwerbung
fehlen, von denen aber die Regierungspartei M in großem Umfang Gebrauch macht, liegt die Annahme
einer Verletzung der Chancengleichheit nahe, wenn man insbesondere bedenkt, dass die fraglichen
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Mittel aus dem öffentlichen Haushalt stammen. Die für die „Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung“ vorgesehenen Gelder kommen der Wahlwerbung zu Gunsten der Regierungspartei M zu Gute,
während die anderen politischen Parteien davon nicht profitieren können. Insofern erscheint es hier als
zumindest nicht ausgeschlossen, dass die Bundesregierung mit ihrer Aktivitäten, die sie als „Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung“ bezeichnet, die Grenze zur parteiergreifenden Wahlwerbung überschreitet und somit die Regierungspartei im Vergleich zu anderen politischen Parteien bevorzugt. Diese
Privilegierung ist geeignet, das Recht der O-Partei auf Chancengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art.
21 Abs. 1 und Art. 38 Abs. 1 GG zu verletzen. Somit ergibt sich aus der Möglichkeit der Verletzung
der Chancengleichheit die Antragsbefugnis der O-Partei.
V. Rechtsschutzbedürfnis
Das Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers wird durch die Antragstellung indiziert. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt ausnahmsweise, wenn der Antragsteller durch eigenes politisches Handeln die
gerügte Verfassungsverletzung hätte verhindern können (vgl. BVerfGE 68, 1, 77).
Das Rechtsschutzbedürfnis der O-Partei wird hier durch die Antragstellung indiziert.
VI. Frist
Die O-Partei muss den Antrag innerhalb einer Frist von sechs Monaten stellen (§ 64 III BVerfGG). Die
Frist beginnt zu dem Zeitpunkt, in dem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekannt wurde. Hier spricht nichts für das Verstreichen der Frist.
VII. Zwischenergebnis
Das Organstreitverfahren ist zulässig.
B. Begründetheit
Der Antrag ist begründet, wenn und soweit die „Öffentlichkeitsarbeit“ der Bundesregierung verfassungswidrig ist und der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt wird (vgl. BVerfGE 44, 125).
I. Verfassungsverstoß
1. Art. 20 Abs. 2 GG
Aus Art. 20 Abs. 2 GG folgt, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht und vom Volk in Wahlen und
Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der
Rechtsprechung ausgeübt wird. Diese Grundentscheidung der Verfassung für die demokratische Staats8
form wird unter anderem in Art. 38 Abs. 1 GG dahingehend näher ausgestaltet, dass die Abgeordneten
des deutschen Bundestages in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt
werden, Vertreter des ganzen Volkes und an Weisungen und Aufträge nicht gebunden und nur ihrem
Gewissen unterworfen sind. Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG bestimmt zudem, dass die politischen Parteien bei
der Willensbildung des Volkes mitwirken.
Die in regelmäßig wiederkehrenden Abständen stattfindenden Wahlen verleihen den personellen Trägern der obersten politischen Staatsorgane demokratische Legitimation. Wahlen sind nur dann geeignet, die demokratische Legitimation zu verleihen, wenn sie frei sind (Freiheit der Wahl). Die Freiheit
der Wahl impliziert, dass sich die Entscheidungen der Wähler sich in einem offenen und freien Prozess
der politischen Auseinandersetzung bilden können. In diesem Prozess kommt den politischen Parteien
eine herausragende Bedeutung zu, die durch die Zuerkennung eines verfassungsrechtlichen Status (vgl.
Art. 21 GG) zum Ausdruck kommt. Dieser Status bewirkt nicht nur die Gewährleistung der freien
Gründung und Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes, sondern garantiert auch die
Einhaltung von Regeln, die den politischen Parteien gleiche Rechte und Chancen gewähren (vgl.
BVerfGE 44, 125, 138f.).
Dabei ist zu differenzieren zwischen der Willensbildung des Volkes und Willensbildung in den Staatsorganen, die sich in vielschichtiger Wechselwirkung vollziehen. Die damit einhergehenden wechselseitigen Einwirkungsmöglichkeiten erfahren ihre Grenzen jedoch durch das Grundsatz. Im der Lichte verfassungsrechtlich zu gewährleistenden Freiheit der Wahl muss sich im Wahlakt die Willensbildung
vom Volk zu den Staatsorganen vollziehen, und nicht umgekehrt (vgl. Art 20 Abs. 2 GG). Für die
Staatsorgane bedeutet dies, dass sie von Verfassungs wegen verpflichtet sind, von jedweder Identifizierung mit politischen Parteien Abstand zu nehmen. Sie dürfen die politischen Parteien nicht unter Einsatz staatlicher Mittel unterstützen oder bekämpfen. Insbesondere ist es ihnen versagt, durch Werbung
die Entscheidung des Wählers zu beeinflussen.
Es darf nicht außer Acht bleiben, dass der Bundestag und die Bundesregierung nach der Verfassung
einen zeitlichen begrenzten Auftrag haben. Dieser Auftrag muss sodann in Form von Wahlen dem Votum der Wähler unterbreitet werden. Diesem verfassungsrechtlichen Prinzip könnte widersprechen,
wenn sie die Bundesregierung gleichsam zur Wahl stellt und dafür wirbt. Unberührt hiervon bleiben
aber die Möglichkeit und das Recht, dass die Mitglieder der Bundesregierung außerhalb ihrer amtlichen
Funktion für eine Partei in den Wahlkampf eingreifen (vgl. BVerfGE 44, 125, 140f.). Mit dem in Art.
20 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommenden Gebot der Neutralität des Staates im Wahlkampf und der
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Integrität der Willensbildung des Volkes durch Wahlen und Abstimmungen ist es unvereinbar, wenn
die Staatsorgane zu Gunsten oder zu Lasten einzelner oder aller am Wahlkampf beteiligten politischen
Parteien oder Bewerber auf die Entscheidung der Wähler parteiergreifend einwirken und somit die
Wahlen beeinflussen (vgl. BVerfGE 44, 125, 144).
Subsumtion
Hier wendet die Bundesregierung für ihre „Öffentlichkeitsarbeit“ eine Summe i.H.v. 5 Mio. € auf und
wirbt offenkundig in großformatigen Anzeigenserien in Tages- und Wochenzeitungen sowie Zeitschriften und in einer großen Menge an Faltblättern für die „Wiederwahl der Bundesregierung“. Dies bedeutet hier, dass ein Staatsorgan, die Bundesregierung in einer durch öffentliche Gelder finanzierten Werbekampagne für die Wiederwahl der Mitglieder einer bestimmten politischen Partei eintritt und somit
die Wahlentscheidung der Wähler beeinflusst. Dass diese Kampagne von der Bundesregierung durchgeführt wird, verleiht ihr insbesondere eine größere Breitenwirkung. Berücksichtigt man diese Aspekte,
lässt sich nur der Schluss ziehen, dass hier die Grenze einer zulässigen Öffentlichkeitsarbeit überschritten und eine im Lichte des Art. 20 Abs. 2 GG unzulässige Parteiergreifung gegeben ist.
2. Art. 20 Abs. 2 i.V.m. dem Grundsatz der Chancengleichheit
Bei einer Parteiergreifung der Staatsorgane zu Gunsten oder zu Lasten bestimmter politischer Parteien
oder von Wahlbewerbern ist möglicherweise auch das Recht der nachteilig betroffenen politischen Parteien auf Chancengleichheit bei Wahlen (Art. 3 I, III i.V.m. 21 I, 38 I GG) verletzt (vgl. BVerfGE
44, 125, 144 ff.).
In einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, in der es auf den Willen der Mehrheit innerhalb
der Grenzen der Rechtsstaatlichkeit ankommt, muss den Minderheiten die Möglichkeit geboten werden, zur Mehrheit zu werden. Demokratische Gleichheit fordert, dass der jeweils herrschenden Mehrheit und der oppositionellen Minderheit bei jeder Wahl aufs neue die grundsätzlich gleichen Chancen
im Wettbewerb um die Wählerstimmen zur Verfügung stehen. Dies stellt ein unabdingbares Element
des vom Grundgesetz gewollten, freien offenen Prozesses der Meinungs- und Willensbildung des Volkes. Dieser Prozess bedingt in einer parlamentarischen Demokratie die Existenz politischer Parteien,
deren herausragende Bedeutung in Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG ausdrücklich anerkannt ist und die den Rang
einer verfassungsrechtlichen Institution genießen.
Bei Wahlkämpfen müssen die politischen Parteien - unter dem Vorbehalt des Möglichen - die gleichen
Rechte und Chancen haben, damit die Freiheit der Wahlentscheidung gewährleistet werden kann. Des10
halb ist mit der in Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG gesicherten Freiheit der Gründung, im Grundsatz auch freie
Wirkung bei der Wahl, d.h. die volle Gleichberechtigung aller Parteien notwendigerweise verbunden.
Die Gleichberechtigung der politischen Parteien untersagt der öffentlichen Gewalt jede unterschiedliche Behandlung der Parteien, es sei denn, die Ungleichbehandlung ist durch einen besonderen zwingenden Grund gerechtfertigt. Es gilt dabei zu beachten, dass sich das Recht der Partei auf Chancengleichheit nicht nur auf den Wahlvorgang bezieht, sondern darüber hinaus auch auf die Wahlvorbereitung. Dazu gehört auch die zur Wahlvorbereitung in einer Massendemokratie erfolgende Wahlwerbung, soweit sie durch Maßnahmen der öffentlichen Gewalt beeinflusst wird. In diesem Sinn wird das
Recht auf Chancengleichheit beeinträchtigt, wenn Staatsorgane als solche parteiergreifend zugunsten
oder zu Lasten einer politischen Partei oder von Wahlbewerbern auf den Wahlkampf (etwa durch
Wahlwerbung etc.) einwirken, es sei denn, dies wird von der zulässigen Öffentlichkeitsarbeit der
Staatsorgane erfasst.
Hier stellt sich die Frage, ob die von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen von der Öffentlichkeitsarbeit gedeckt sind.
- Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit
Zunächst ist zu bemerken, dass die Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und gesetzgebenden Körperschaften in Grenzen nicht nur verfassungsrechtlich zulässig ist , sondern auch eine Notwendigkeit hierzu besteht. Die Staatsorgane sind befugt, der Öffentlichkeit - bezogen auf ihre Organtätigkeit - ihre
Politik, ihre Maßnahmen und ihr Vorhaben, sowie die künftig zu lösenden Fragen darlegen und erläutern. Dies ist nicht zuletzt von der Notwendigkeit einer Teilhabe der Bürger an der politischen Willensbildung des Volkes gefordert. Der Einzelne muss in der Lage sein, von den zu entscheidenden Sachfragen, von den durch die verfassten Staatsorgane getroffenen Entscheidungen, Maßnahmen und Lösungsvorschlägen Kenntnis zu nehmen, um sie beurteilen, billigen oder verwerfen zu können. Dies gilt
allerdings nur dann, die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung ist also nur dann zulässig, wenn
und soweit sie sich im Rahmen des vom Grundgesetz der Bundesregierung zugewiesenen Aufgabenund Zuständigkeitsbereiches hält.
- Grenzen der Öffentlichkeitsarbeit
Hier ist eine Abgrenzung zwischen der zulässigen Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung und dem
parteiergreifenden Einwirken auf den Wahlkampf vorzunehmen. Konkret bedeutet dies, dass die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung schon ihrer Funktion nach auf den Bereich ihrer Sachverantwortung gegenüber dem ganzen Volk und Parlament beschränkt ist, während sie sich stets der offenen
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oder versteckten Werbung für einzelne der miteinander konkurrierenden politischen Parteien oder sonstigen an der politischen Meinungsbildung beteiligten Gruppen enthalten muss.
Unberührt bleibt allerdings, dass die in der Öffentlichkeitsarbeit der Regierung getroffenen Aussagen
sich mit den Stellungnahmen und Programmen der Regierungspartei (en) übereinstimmen. Dies ist häufig der Fall. Dennoch ist eine parteiergreifende Öffentlichkeitsarbeit zu vermeiden. Sie darf nicht unter
Einsatz öffentlicher Mittel die Regierungspartei(en) begünstigen und die anderen politischen Parteien
bekämpfen. Dies wäre mit den Grundsätzen eines freien und offenen Prozesses der Meinungs- und
Willensbildung des Volkes und der Gleichberechtigung der politischen Parteien nicht vereinbar.
Das gilt in besonderem Maße für Maßnahmen, die - gewollt oder ungewollt - geeignet sind, der Wahlwerbung zu dienen oder den Wahlkampf zu beeinflussen. Daraus folgt, dass die Öffentlichkeitsarbeit
der Bundesregierung ihre Grenze grundsätzlich dort findet, wo die Wahlwerbung beginnt. Anzeichen
dafür können unter anderem der Inhalt sowie die äußere Form und Aufmachung von Anzeigen und
Druckschriften sein (vgl. BVerfGE 44, 125, 145ff.). Insbesondere wenn der sachlich-informative Gehalt
einer Druckschrift oder Anzeige eindeutig hinter die reklamehafte Aufmachung zurücktritt, ist die
Grenze zur unzulässigen Wahlwerbung überschritten.
Außerdem kann der parteiergreifende Charakter einer im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung erfolgenden Veröffentlichung daran erkennbar werden, dass die Bundesregierung - offen
oder versteckt - für die Wiederwahl ihrer Mitglieder wirbt, die bestimmten Parteien angehören, und
sich gegen die Wahl anderer politischer Kräfte äußert.
Ein weiteres Indiz wäre der Umstand, dass sich im Vorfeld der Wahl Druckschriften oder Anzeigen so
sehr häufen, dass bei unbefangener Betrachtung nicht mehr die Befriedigung sachlicher Informationsbedürfnisse der Bürger im Vordergrund steht, sondern die Steigerung des Bekanntheitsgrades und der
Sympathiewerbung für Mitglieder der Bundesregierung. Besonders deutlich wird dies, wenn die regierungsamtlichen Veröffentlichungen in der Vorwahlzeit mit Abbildungen der Mitglieder der Bundesregierung versehen und deren persönliche Qualitäten besonders herausgestellt werden, wie dies vorliegend durch die amtierende Bundesregierung in ihren Publikationen geschah. Auch ein Anwachsen der
Öffentlichkeitsarbeit in Wahlkampfnähe, das sowohl in der größeren Zahl von Einzelmaßnahmen
ohne aktuellen Anlass, wie in deren Ausmaß und dem gesteigerten Einsatz öffentlicher Mittel für derartige Maßnahmen zum Ausdruck kommen kann, stellt ein Anzeichen für eine Grenzüberschreitung hin
zur unzulässigen Wahlwerbung dar (vgl. BVerfGE 44, 125, 150f.).
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Eine besondere Schwierigkeit ist es, allgemeingültige Maßstäbe festzulegen, um die Grenzen zwischen
der zulässigen und der unzulässigen Öffentlichkeitsarbeit zu bestimmen. Die Häufigkeit und der Umfang solcher Maßnahmen, die Nähe des Wahlzeitpunktes und die Intensität des Wahlkampfes
spielen eine nicht unterschätzende Rolle. Je näher die Veröffentlichungen an den Beginn der „heißen
Phase“ des Wahlkampfes heranrücken, desto weniger können ihre Auswirkungen auf das Wahlergebnis
ausgeschlossen werden. Deshalb tritt in dieser Phase die Aufgabe und Kompetenz der Regierung, den
Bürger auch über zurückliegende politische Tatbestände, Vorgänge und Leistungen sachlich zu informieren, zunehmend hinter das Gebot zurück, die Willensbildung des Volkes vor den Wahlen nach
Möglichkeit von staatlicher Einflussnahme freizuhalten. Das grundlose und massive Anwachsen der
„Öffentlichkeitsarbeit“ kurz vor der Wahl deutet daher im Fall auf die Überschreitung der Grenze zur
unzulässigen Wahlwerbung hin.
Aus der Verpflichtung der Bundesregierung sich jeder parteiergreifenden Einwirkung auf die Wahl zu
enthalten, folgt schließlich das Gebot äußerster Zurückhaltung und das Verbot jeglicher mit Haushaltsmitteln betriebener Öffentlichkeitsarbeit in Form von sog. Arbeits-, Leistungs- oder Erfolgsberichten. Denn in der „heißen Phase des Wahlkampfes“ gewinnen solche Veröffentlichungen in aller
Regel den Charakter parteiischer Werbemittel, in die einzugreifen der Regierung von Verfassungs wegen versagt ist. Von diesen Beschränkungen der Öffentlichkeitsarbeit unberührt bleiben dagegen auch
im Vorfeld der Wahl informierende, wettbewerbsneutrale Veröffentlichungen, die aus aktuellem Anlass geboten sind.
Ein genauer Stichtag von dem an das Gebot äußerster Zurückhaltung strikt zu beachten ist, lässt sich
nicht eindeutig bestimmen. Als Orientierungspunkt kann etwa der Zeitpunkt gelten, an dem der Bundespräsident den Wahltag bestimmt (vgl. dazu § 16 BWahlG). Während der so eingegrenzten Vorwahlzeit darf die Bundesregierung - ebenso wie die übrigen verfassten Staatsorgane des Bundes und
der Länder - sich nicht unmittelbar durch Anzeigen oder durch Versendung von Druckschriften, Faltblättern, Postwurfsendungen und ähnlichem in den Wahlkampf einschalten. Ebenso darf sie - entgegen
der hier geübten Praxis - keine dafür geeigneten Druckwerke zur Verwendung im Wahlkampf zur Verfügung stellen.
Die Bundesregierung muss außerdem Vorkehrungen dagegen treffen, dass die von ihr für die Zwecke
der Öffentlichkeitsarbeit hergestellten Druckwerke nicht von den Parteien selbst (insbesondere der Regierungspartei, für die Oppositionspartei dürften sie in der Regel als Wahlkampfmaterial ungeeignet
13
sein) oder von anderen sie bei der Wahl unterstützenden Organisationen oder Gruppierungen zur
Wahlwerbung eingesetzt werden (vgl. BVerfGE 44, 125, 152ff.).
Subsumtion
Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung zielt im konkreten Fall auf eine intensive Profilierung und
Werbung der Mitglieder der Bundesregierung ab. Sie trägt die Züge einer Reklame, indem bspw. die
Mitglieder der Bundesregierung abgebildet sind und deren besondere Qualifikationen herausgestellt
werden. Weiterhin zu beachten ist der finanzielle Umfang. Die Bundesregierung wendet 5 Mio. € auf
und zieht hierbei eine Vielzahl verschiedener Werbungsmodelle heran (großformatige Anzeigenserien,
Faltblätter und andere Publikationen). Es fällt auf, dass die Öffentlichkeitsarbeit einen frappierenden
Zusammenhang und Nähe zum Wahlkampf aufweist. Dies zeigt auch die grundlose Intensivierung der
Öffentlichkeitsarbeit. Des Weiteren erfolgt die Darstellung der Erfolgsberichte der Bundesregierung in
der „heißen Wahlkampfphase“, in der solchen Berichte aufgrund ihrer hohen Breitenwirkung der Charakter parteiischer Werbemittel zukommt. Zu guter Letzt hat die Bundesregierung einen Teil der Broschüren der Regierungspartei M überlassen, damit sie sie im Wahlkampf weiter verteilt. Diese Gesichtspunkte sprechen hier eindeutig für eine sachlich ungerechtfertigte Privilegierung der Regierungspartei im Vergleich zu anderen politischen Parteien, darunter auch der O-Partei. Ein zwingender sachlicher Grund, der diese Ungleichbehandlung rechtfertigen könnte, ist zudem nicht ersichtlich. Folglich
hat die Bundesregierung mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit das Recht der O-Partei auf Chancengleichheit
aus Art. 3 Abs. 1, 3 i.V.m. Art. 21 Abs. 1, Art. 38 Abs. 1 GG verletzt.
II. Verletzung der Rechte der O-Partei
Wie oben bereits aufgeführt, liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit vor, da die
Bundesregierung parteiergreifend zu Gunsten der Regierungspartei M und somit zu Lasten der politischen Parteien, die mit der Regierungspartei M im politischen Wettbewerb stehen, darunter O-Partei,
eingewirkt hat.
C. Gesamtergebnis
Das Organstreitverfahren der O-Partei hat Aussicht auf Erfolg.
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