FACHABITURPRÜFUNG 2014 Fach: Pädagogik/Psychologie

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FACHABITURPRÜFUNG 2014
AN DER BERUFLICHEN OBERSCHULE
(FACHOBERSCHULEN UND BERUFSOBERSCHULEN)
ZUM ERWERB DER FACHHOCHSCHULREIFE
Fach: Pädagogik/Psychologie
Freitag, 30. Mai 2014, 9:00- 12:00 Uhr
Aufgabenauswahl:
Die Schule legt den Schülerinnen und Schülern zwei Aufgaben zur Auswahl vor.
Es ist e i n e der vorgegebenen Aufgaben zu bearbeiten.
Aufgabe 1: Fallbeschreibung "Chantal und Kevin"
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Das Leben von Chantal änderte sich mit 15 Jahren schlagartig, als sie ungeplant
schwanger wurde. Der Vater des Kindes verließ sie sofort, die Realschule musste sie
kurz vor dem Abschluss abbrechen. Bei ihren Eltern konnte sie zwar weiterhin
wohnen, erhielt aber keinerlei Unterstützung von diesen. Anfangs freute sich Chantal auf
den Nachwuchs, doch der Alltag mit Kevin war schwierig und bald musste sie feststellen, dass sie ihr Kind nicht so lieben und annehmen konnte wie andere Mütter. Kevin
schrie oft stundenlang und beanspruchte ihre ganze Aufmerksamkeit. Immer öfter
fühlte sich Chantal verunsichert, war sogar mit der grundlegenden Pflege überfordert,
badete das Kind zu selten oder vergaß, Babynahrung nachzukaufen. Immer stärker
empfand sie das Kind als Last. Chantal beneidete ihre Freundinnen, die ein unabhängiges und freies Leben führen konnten. Ihre Nerven lagen oft blank und beim geringsten Anlass schrie sie ihr Kind an. Gerade abends, wenn sie sich mit dem Kind einsam
und in der Wohnung wie in einem Gefängnis fühlte, konnte sie manchmal nicht anders,
packte ihre Jacke, verließ fluchtartig die Wohnung, stürzte sich ins Nachtleben und
kam erst im Morgengrauen zurück. Erschrocken über sich selbst stand sie dann vor
Kevins Bett, der vom vielen Weinen gerötete und verklebte Augen hatte.
Als Einjähriger war Kevin immer noch ein anstrengendes Kind. Er schrie sehr viel und
war äußerst ängstlich. Auf andere Menschen reagierte er scheu und weinerlich. Er
zeigte kaum Neugierde und Interesse an seiner Umgebung. Auch mit Spielzeug oder
anderen Gegenständen wollte er nicht spielen. Daran änderte sich wenig.
Vom Eintritt in den Kindergarten versprach sich Chantal viel, aber auch hier gingen die
Probleme weiter. Kevin schrie und weinte, wenn sich seine Mutter aus dem Kindergarten entfernen wollte, umklammerte ihre Beine und war auch im Anschluss nur schwer
zu beruhigen.
Nun, nach der Eingewöhnungsphase bitten die Erzieherinnen Chantal zum Gespräch.
Sie berichten Folgendes: ,Jm Vergleich zu den anderen dreijährigen Kindern weist Kevin
deutliche Defizite auf. Er kann sich kaum in die Gruppe integrieren, da er sehr
gehemmt und zurückgezogen ist und sogar ängstlich auf die anderen Kinder und uns
Erzieherinnen reagiert. Kevin ist nicht in der Lage, längere Sätze zu bilden, er
30 antwortet nur sehr einsilbig, spricht hauptsächlich in Zweiwortsätzen und verfügt nur
über einen geringen Wortschatz. Bei kleinen Uneinigkeifen hat er seine Gefühle nicht
unter Kontrolle und wird plötzlich sehr wütend, tobt durch den Raum und ist nur noch
schwer zu beruhigen. Auch beim Turnen fällt Kevin auf. Er kann den Ball nicht mit den
Füßen schießen, ohne umzufallen, und stolpert auffallend häufig. Beim Malen
35 umklammert er mit der ganzen Hand angestrengt die Stifte und malt ständig über das
Papier hinaus. Bei Rollenspielen mit den anderen Kindern bringt er sich kaum ein, da
er nicht weiß, wie er Katzen oder Vögel darstellen soll. Es gelingt ihm nicht, in
Bauklötzen Autos zu erkennen oder sonstige Gegenstände mit anderer Bedeutung zu
belegen. Jede Hilfestellung von uns Erzieherinnen lehnt er ängstlich mit: ,Kevin mag
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40 nicht! Kann Kevin nicht!' ab."
Lange Zeit hat sich Chantal eingeredet, dass sich die Probleme mit Kevin schon im
Laufe der Zeit von selbst geben werden. Durch das offene Gespräch mit den Erzieherinnen muss sie aber erkennen, dass sie in der Vergangenheit viele Fehler gemacht und
sich selbst belogen hat. Angesichts der vielen Probleme von Kevin wird sie blass und
45 spürt ein flaues Gefühl im Magen sowie ein Stechen im Herz. Chantal ist entsetzt. Ist
womöglich ihr Verhalten schuld an Kevins Defiziten? Beschämt, voller Selbstzweifel und
Schuldgefühle fährt sie angespannt nach Hause. Sie hat ein schlechtes Gewissen und
macht sich selbst Vorwürfe. Ihre Gedanken kreisen nur noch darum, wie sie ihre
Fehler aus der Vergangenheit wieder gut machen kann. Chantal beschließt, sich Hilfe zu
50 holen. Sie will unbedingt, dass Kevin ein glückliches Kind wird und seine Verzögerungen
aufholen kann. Aus diesem Grund informiert sie sich im Internet über Möglichkeiten, wie
ihrem Sohn geholfen werden kann. Sie besucht einen Vortrag zum Thema
Entwicklungsdefizite im Mutter-Kind-Haus und geht auch zu einer Erziehungsberatungsstelle. Dort werden ihr Adressen von Ergotherapeuten und Logopäden
55 gegeben, die sie unmittelbar kontaktiert. Sie erhält allerdings nicht sofort Termine.
Chantal ist enttäuscht, lässt sich aber nicht entmutigen und fragt immer wieder nach.
Endlich erhält sie die lang ersehnten Termine für Kevin. Jetzt ist sie sich
sicher, dass in Zukunft Kevins Entwicklung eine positive Wendung nehmen wird.
Ihr fällt ein Stein vom Herzen und sie entspannt sich merklich.
Aufgaben:
1) Psychoanalytische Theorien erfassen auch Auswirkungen von Erziehungs-
fehlern, wie sie im vorliegenden Fall beschrieben werden.
Erklären Sie die Auswirkungen der Erziehungsfehler der Mutter auf Kevin mithilfe relevanter Annahmen zur oralen Phase der psychesexuellen Entwicklung
nach S. Freud.
2) Die Erzieherinnen berichten von Kevins Entwicklungsstand in mehreren Ent-
wicklungsbereichen (z. B. Motorik, Sprache, Emotion, Kognition, Sozialverhalten).
Erläutern Sie - ausgehend vom Text - die Merkmale Differenzierung und Integration am Beispiel eines Entwicklungsbereiches von Kevin.
3) Das Gespräch mit den Erzieherinnen löst bei Chantal Emotionen aus und
mo-
tiviert sie zum Handeln.
Verdeutlichen Sie an entsprechenden Textstellen (Z. 41 ff.) die Merkmale von
Emotion und Motivation sowie die Wechselwirkung zwischen Emotion und
Motivation am Beispiel von ChantaL
Bitte umblättern zur Aufgabe II
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Aufgabe II:
1) Um psychische Störungen zu verstehen, ist es wichtig, Kenntnisse über deren
Erscheinungsformen und Ursachen zu gewinnen.
a) Verdeutlichen Sie den Begriff "Psychische Störung" nach der internationalen
Klassifikation von Krankheiten (ICD) am Beispiel einer Person mit einer
emotionalen Störung oder einer Verhaltensstörung.
b) Stellen Sie zwei Ziele der wissenschaftlichen Pädagogik/Psychologie am Beispiel dieser Störung dar.
2) Erklären Sie die mögliche Entstehung der in Teilaufgabe 1a gewählten Störung
mithilfe einer wissenschaftlichen Theorie (Lerntheorie, psychoanalytische
Theorie oder personenzentrierte Theorie).
3) Beschreiben Sie - ausgehend von der in Teilaufgabe 1 dargestellten Person ein günstiges Entwicklungsgeschehen.
Verdeutlichen Sie dabei zwei Entwicklungsbedingungen und deren Wechselwirkungen .
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