Pressespiegel Datum: Di, 11.4.2017 Medium: SB Thema: „Shylock!“/Rezension An der Grenze zum Kitsch – und dennoch mit Tiefe Theater Pforzheim führt das Musical „Shylock“ auf, und überzeugt auf ganzer Linie Von Dieter Schnabel Pforzheim. Antonio heißt der Titelheld in Shakespeares Drama »The merchant of Venice«. Bekannter als dieser Kaufmann von Venedig ist jedoch eine andere, in unseligen zwölf Jahren häufig zur Denunzierung eines ganzen Volkes missbrauchte Figur, die nicht nur interessanter ist, sondern eigentlich auch im Mittelpunkt des Geschehens steht. Diesen Juden Shylock machte die einst weltbekannte Mezzosopranistin Brigitte Fassbaender als Librettistin, in der Zeit als sie Intendantin des Landestheaters Innsbruck war, zum Titelhelden eines Musicals. Die Musik zu dem Musical »Shylock«, das an dem damals von ihr geleiteten Haus uraufgeführt wurde, steuerte der 1972 geborene Stephan Kanyar bei, der nicht nur Komponist, sondern auch Dirigent und Klavierbegleiter ist. Der rote Faden von Shakespeares Drama ist in dem Musical erkennbar. Doch »Shylock« ist bei Weitem keine Eins-zu-eins-Umsetzung vom »Kaufmann von Venedig«. Wohl spielt auch in diesem Fall das Pfund Fleisch, das Shylock aus Antonios Leib herausschneiden darf, wenn der Bürge nicht rechtzeitig das geliehene Geld zurückzahlt, eine entscheidende Rolle. Doch schon der Grund, wie es dazu kommt, dass Antonio für Bassanio bürgt, ist ein anderer. Sind bei Shakespeare der für Portia schwärmende Bassanio, der Geld braucht, um standesgemäß auftreten zu können, und der reiche Kaufmann Antonio, der es ihm nicht geben kann, weil er sein ganzes Vermögen in Schiffsladungen von Waren investiert hat, freundschaftlich miteinander verbunden. So lieben sich zum Auftakt des Musicals die beiden und Bassanio will Antonio verlassen, offensichtlich weil er sich sexuell umorientiert hat. Zum Schluss ist aber auch jetzt Shylock der Gelackmeierte. Der entscheidende Unterschied zwischen dem Drama und dem Musical ist jedoch der, dass jetzt die Motive von Shylocks Rache verdeutlicht werden. Und das geschieht in Form von fünf in den Gang der Handlung integrierten Rückblenden, in denen sich Shylock an die Ausgrenzung in seiner Kindheit und an das Mobbing in der gemeinsamen Studienzeit mit Antonio erinnert, an seine, im Gegensatz zu Antonio, erfolglose Stellungssuche nach dem Studium, an die schöne Kindheit seiner Tochter Jessica, die ihn jetzt wegen des Christen Lorenzo verlassen will und an die Hartherzigkeit Antonios, als seine Frau Leah im Kindsbett gestorben ist. Musikalisch verdeutlichen Klezmer-Anklänge Shylocks Judentum. Dazu kommen Jazz-Elemente, Big-Band-Sounds, Tanz-Rhythmen, PopBalladen, elegische Melodienbögen, opernhaft expressive Passagen, aber auch leise, innige Töne. Und schließlich ist dem Chor, nicht nur mit dem Rahmen-Song »Was gibt es Neues auf dem Rialto«, ein nicht unwesentlicher Part in dem bunten Spiel eingeräumt. Dreh- und verschiebbare Wände bestimmen das Bühnenbild der Ausstatterin Isabelle Kittner für die verschiedenen Orte der Handlung. Kostüme aus verschiedenen Epochen und in unterschiedlichen Stilen sollen das Zeitlose des Geschehens unterstreichen. Einfalls- und abwechslungsreich ist die zuweilen auch die Grenze des Kitsches streifende und erst nach der Pause der rund zweieinhalbstündigen Vorstellung die dem Ernst der Geschichte angemessene Tiefe gewinnende Inszenierung von Alexander May, bei der ihm Janne Geest mit ihrer musicalgerechten Choreografie zur Seite steht. Die Titelrolle singt und spielt Chris Murray als Jude in Schwarz, der sozusagen Gefangener in einem goldenen Tresorraum ist, ebenso intensiv engagiert wie expressiv den komplexen Charakter Shylocks verdeutlichend. Als Antonio wartet Paul Jadach mit einer resonanzkräftigen, tiefen, männlichen Stimme auf. Philipp Moschitz ist der schauspielerisch überzeugende Bassanio. Die Mezzosopranistin Danielle Rohr gibt der Portia Profil. Caroline Zins gefällt als sexy Jessica. Um Haupteslänge überragt sie Tobias Bode als ihr jünglingshafter Liebhaber Lorenzo. Die kompetent-passende musikalische Leitung der zum Schluss mit Standing Ovations bedachten deutschen Erstaufführung des Musicals »Shylock« im Theater Pforzheim hat Tobias Leppert.