Geld, Liebe, Rache und das Lobpreis der Musik

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24.07.2013
Geld, Liebe, Rache und das Lobpreis der Musik
Zur erstmaligen Produktion der Oper Der Kaufmann von Venedig
(1968–1982) des polnischen Komponisten André Tschaikowsky
Etwas mehr als 30 Jahre nach dem Krebstod des zuletzt in England lebenden polnischen
Komponisten und Pianisten André Tschaikowsky (1935–1982, eigentlich Robert Andrzej
Krauthammer) brachten die Bregenzer Festspiele heuer die posthume Uraufführung von dessen
einziger Oper. Von dieser Shakespeare-Vertonung und den Eindrücken von der zweiten
Aufführung vom 21. Juli ist hier zu berichten.
Nach dem persönlichen Empfinden des Verfassers dieser Zeilen gibt es dramatisch-literarische
"Meisterwerke", welche mit Sicherheit zum Besten zählen, was die europäische Kulturgeschichte
in den letzten rund 1000 Jahren hervorgebracht hat. Allerdings haftet vielen von ihnen zeitgleich
der Makel an, dass sie von ungleich-unverhältnismäßiger Brutalität und der Darstellung von
blankem Antihumanismus1 gezeichnet sind. Unter solcherleih Dramen im weitesten Sinne fallen
die von William Shakespeare, dessen 450. Geburtstag die Literaturwelt im nächsten Jahr feiern
darf. Hervorzuheben ist dabei der Umstand, dass es nicht nur die Tragödien und Historiendramen,
wie Macbeth, King Lear und Richard III. sind, für die dies gilt, sondern auch, oder gerade, die
Komödien. Was wie ein krasser Widerspruch erscheint, erweist sich bei genauem Blick sogar als
konstitutiv für diese Theaterstücke. Man denke dabei an die Bosheiten, die von den lustigen
Weibern von Windsor an Sir John Falstaff verübt werden – nicht, dass er es nicht verdient hätte–,
oder an Oberons Umgang mit Titania und den jungen Menschen aus Athen im Midsummer Night's
Dream. Deutungsmöglichkeiten zum historischen Kontext dieser Stücke und die Wirkung der
ästhetischen Widerspiegelung realer Inhalte ergeben sich daraus zahlreiche, allerdings ist für
solche nun hier weder Ort, Platz noch Raum. Eines ist aber sicher: dieser Aspekt ist mitunter
dafür verantwortlich, dass die Werke Shakespeares in den letzten rund 400 Jahren immer wieder
Vorlagen für inter-, aber auch transmediale Verarbeitungen gewesen sind und, wohl auch eine
Erklärung für den Erfolg dieser Dramen, wie unter anderem auch Johann Wolfgang Goethe und
Hugo von Hofmannsthal gezeigt haben.2
Beispiele aus dem Bereich des Musiktheaters gibt es viele; gerade aus dem 20. Jahrhundert:
Zuförderst, da oft gespielt, wäre wohl Aribert Reimanns kongeniale Vertonung des King Lear (
Lear, 1976/78) als Oper für Dietrich Fischer-Dieskau zu nennen. Ebenso hat sich auch Benjamin
Britten mit seiner sehr worttreuen Vertonung des Midsummer Night's Dream (1960), einer der
ersten "modernen" Opern mit Countertenor, ins Shakespeare-Rezeptionsgedächtnis eingetragen,
und zuletzt ist The Tempest (2004) von Thomas Adès zu erwähnen, eine freie Bearbeitung des
Stückes, welches auch schon Frank Martin (1956) zum Opernstoff diente.
Beim Merchant of Venice verwundert das Interesse der Komponisten bei einem Blick auf den
Dramentext selbst nur wenig. Wie André Tschaikowsky fühlten sich zahlreiche seiner Kollegen
hier vor allen Dingen durch das "Musikpreisen" in der Rede Lorenzos inspiriert:
„How sweet the moonlight sleeps upon this bank! / Here will we sit and let the sounds of music /
Creep in our ears: soft stillness and the night / Become the touches of sweet harmony. / Sit,
Jessica. Look how the floor of heaven / Is thick inlaid with patines of bright gold: / There's not the
smallest orb which thou behold'st / But in his motion like an angel sings, / Still quiring to the
young-eyed cherubins; / Such harmony is in immortal souls; / But whilst this muddy vesture of
decay / Doth grossly close it in, we cannot hear it.“
Was machen nun André Tschaikowsky und der Schriftsteller John O'Brien als Bearbeiter des
Textes aus der Vorlage? Zunächst behandelte der Librettist Shakespeares Merchant sehr frei und
formte aus der fünfaktigen Comedy eine Oper in drei Akten und einem Epilog, die durch die
Überlänge des Nachspiels sich als dramaturgisch unglücklich erweist, wobei der Bruch zwischen
dem dritten Akt und dem Epilog klug und nachvollziehbar gewählt ist. Das (Haupt-)Stück des
Musiktheaters endet nämlich dadurch mit dem Prozess gegen Antonio und der Verurteilung
Shylocks durch den Dogen von Venedig, und am Anfang des Epilogs steht die wie entrückt
wirkende Szene im Garten von Belmont. Der Librettotext selbst ist durchtränkt vom Geiste
Shakespeares, aber nicht immer sein Text. Deutlich tritt immer wieder auch John O'Brien als
Kommentator Skakespeare entgegen, womit er jenes Problem auf seine indviduelle Art und Weise
löst, die schon Britten bei der Verarbeitung eines Sprachtheaterstückes hervorgehoben hat: einen
Satz zu singen dauert eben länger als denselben zu sprechen.
Dieser Aspekt führt nun weiter zur Musik des "Sommerkomponisten" Tschaikowsky, der den Rest
des Jahres als Pianist tätig war. Sie ist nicht leicht einzuordnen. Grundsätzlich handelt es sich um
ein musikalisches Gewebe, welches als moderat-modern zu bezeichnen wäre. Dabei ist eine
gewisse Nähe zu Alban Bergs Lulu und den späteren Sinfonien Shostakovichs mit einem Hauch
des mittleren Strawinsky zu diagnostizieren. Leider neigt die Vertonung trotz der reizvollen
Stilmischung vor allem in längeren Szenenabschnitten zur Monotonie. Akzente setzten dennoch
die porträtierenden Klangwelten und "Arien" von Antonio und Shylock, die Bühnenmusik des
zweiten Aufzuges in Belmont, das große Finalseptett ebendort, die Gerichtsszene mit der Rede
des jüdischen Geldverleihers und der Beginn des Epiloges mit der Liebes- und Musik-Anrufung
durch Jessica und Lorenzo.
Keith Warners Inszenierung hält, was sein Name, wohl einer der klingendsten unter den heute
tätigen Regisseuren, verspricht. Warner ist voll und ganz Theatermann und versteht sich darauf,
Musiktheater – und zwar tatsächlich in einem Wort – auf die Bühne zu bringen. Dabei hat er es
nicht nötig irgendwelche über-intellektualistischen Deutungen vorzunehmen, die ohne die Lektüre
des Programmheftes sich nie gänzlich erschließen lassen werden. Er setzt auf die Grundeffekte
des Theaters, die Emotionalität des Zuschauers, und zaubert in dieser Produktion in die
gelungenen, multifunktional offenen Räume seines Ausstatters Ashley Martin-Davies eine vor allen
Dingen unterhaltsame Inszenierung, die die Musik dort stützt, wo sie dies braucht, und sich dort
zurücknimmt, wo sie es sollte. Dabei liegt Warners und Martin-Davies' großer Einfall darin, ihre
Arbeit in die Zwischenkriegszeit des zwanzigsten Jahrhunderts anzusiedeln und die Banken- bzw.
Gentleman's Club-Atmosphäre zu unterstreichen. So präsentiert sich die Opernhandlung inklusive
des Epilogs als psychoanalytische Sitzung Antonios, die er, begleitet von Sigmund Freud (Juliusz
Kubiak, der auch als "kaisertreuer" Prinz von Aragon die Lacher auf seiner Seite hatte) durchlebt,
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und in der drei Panzerschränke als Leitmotiv dienen.
Aus der Perspektive der sängerischen Qualität der Aufführung bleibt ein geteiltes Bild zurück. Vor
allen Dingen Countertenor Christopher Ainslie als Antonio und Bariton Adrian Eröd als Shylock
ragen aus dem sonst etwas blassen Ensemble hervor. Eröd, sicherlich nicht erst seit Reimanns
Medea ein Spezialist auf dem Gebiet neuerer Musik, gibt die Cantilinen des Geldverleihers mit
schönem Schmelz, während er die Qualen seiner Figur mit stimmlicher Souveränität gestaltet.
Ainslie, der sich noch am Anfang etwas zu sehr zurückgenommen hatte (woran wohl die
Temperaturen nicht ganz unschuldig waren), blühte während der ca. 2 ½ stündigen Spieldauer
mit seiner sehr lyrischen Altstimme, die dennoch Durchschlagkraft besitzt, zur melancholischen
Hauptperson auf. Charles Workmann als Bassanio machte da leider genau den umgekehrten Weg
durch: nach einem glänzenden Anfang wies seine Tenorstimme zunehmend Zeichen einer
Ermüdung auf, die ihm im Epilog dann anzumerken war. Magdalena Anna Hofmann (Sopran) als
Portia, Kathryn Lewek (Sopran) als kindlich-feengleiche Jessica, der Tenor Jason Bridges als
Lorenzo und die Mezzosopranistin Vera Gunz als gewitzte Dienerin Nerissa gestalteten ihre
Partien mit Ausdruck und musikalischem Können, vermochten aber leider keinen bleibenden
Eindruck zu hinterlassen. Dies gilt auch für das restliche Ensemble mit Ausnahme des Basses
Richard Angas als körperlich wie stimmlich dominierendem Dogen von Venedig. Der Prager
Philharmonische Chor (Leitung: Lukáš Vasilek) agierte sowohl prägnant als auch routiniert, und
die Wiener Symphoniker belebten unter Erik Nielsen die farbenprächtige Partitur.
Alles in allem eine eindrückliche Produktion, die hoffentlich bald schon in Übernahmen an
verschiedene Theater zu erleben sein wird – es wäre schade darum, wenn nicht. Ob es sich beim
Kaufmann von Venedig von André Tschaikowsky allerdings um eine Entdeckung handelt, das wird
die Zeit zeigen müssen, es bleibt abzuwarten, da die Oper wohl aus verschiedenen Gründen nicht
zum Repertoirestück taugt.
1. Vgl. vom Verf.: „"Man
nimmt überhaupt keine Rücksicht". Zur Dialektik von Humanismus und
Antihumanismus auf der Opernbühne Gottried von Einems im Licht der Erfahrung der
Nachkriegszeit", in: terz magazin 3 (2/2013) - Themenschwerpunkt "Gottfried von Einem".
2. Vgl. Johann Wolfgang Goethe: Shakespeare und kein Ende (1813; 1816) und Hugo von Hofmannsthal: Shakespeare und
wir (1916).
terz : Haasis Bregenz
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