Poetisch-musikalische Miniaturen von Peter Tschaikowsky und John Cage Mit Tschaikowskys Musik durch das Jahr, so lautete die Idee des Petersburger Verlegers Nikolai M. Bernhard. Der bestellte beim Komponisten 1875 zwölf kleine Klavierstücke, die Monat für Monat in der Notenzeitschrift »Nouvelliste« herausgegeben werden sollten. So schlug Bernhard für jeden Monat einen assoziativen Untertitel vor, der den »Inhalt« des Stückes andeuten sollte. Um die musikalischen Kalenderblätter noch besinnlicher zu machen, veröffentlichte Bernhard die einzelnen Stücke zusammen mit Drei- oder Vierzeilern, die er den Gedichten russischer Poeten entnommen hatte. So wie Bernhards Titel Tschaikowsky bei Komponieren geleitet hatten, so leiteten diese Motto-Texte die Abonnenten der poetisch-musikalischen Miniaturen beim Spielen und Hören. In »November – Troika« etwa hatte der Komponist die musikalische Illustration einer Fahrt im Dreispänner eingefasst zwischen zwei elegische Rahmenteile. Bernhard fügte dem drei Zeilen von Nikolai Nekarasov hinzu: »Starre nicht auf die Straße in Deiner Einsamkeit, / Und laufe nicht der Troika hinterher, / Unterdrücke ein für alle Mal die Angst und die Sehnsucht in deinem Herzen.“ An vier Stellen werden die Musiker Tschaikowskys Zyklus spannungsvoll mit den vier Sätzen von John Cage interpunktieren. John Cage schreibt: »Das Thema des »String Quartet in Four Parts« sind die Jahreszeiten, aber es beschäftigt sich auch mit Orten. So ist das Thema des ersten Satzes »Sommer in Frankreich«, das des zweiten hingegen »Herbst in Amerika«. Der dritte und vierte Satz beziehen sich auch auf musikalische Themen, »Winter« wird als Kanon ausgedrückt. »Frühling« als Quodlibet. Das Tempo bleibt das Werk hindurch konstant (die halbe Note = 54), doch die dominierenden Zeitdauern wechseln von Satz zu Satz. Die Bezugnahme auf die Jahreszeiten ist nicht als programmatisch mißzuverstehen; die Absicht des Komponisten zielt vielmehr in Richtung fernöstlicher Philosophien: Sommer bedeutet Erhaltung, Herbst Zerstörung, Winter Beruhigung und Frühling Erneuerung, Schöpfung. Die Gedichte von Sarah Kirsch entstanden in Tieshemme, einem Dorf bei Heide in Dithmarschen und beschreiben Naturerlebnisse der Monate des Jahres. Die Liebesgedichte von Anna Aschmatowa, einer Freundin von Sarah Kirsch, beziehen sich auf die Charaktere der einzelnen Sätze von Tschaikowsky. Sie wurden von den beiden Dichterinnen gemeinsam übersetzt. Das Streichquartett der HAMBURGER CAMERATA besteht aus Mitgliedern des NDRs und Stimmführern der HAMBURGER CAMERATA. Dem Kammerorchester ist es seit seiner Gründung 1986 gelungen, sich weit über Hamburgs Grenzen hinaus einen ausgezeichneten Ruf zu erwerben. Souveräne technische Präzision und unkonventionelle Lebendigkeit des Spiels und zeichnen das Ensemble ebenso aus wie Stiltreue, flexibler kammermusikalischer Klang und vitale Spielfreude.