RNA-Technologien zur Bekämpfung der Influenza A

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MET H ODE N & AN WE N DU NGEN
Moderne Grippeforschung
RNA-Technologien zur Bekämpfung
der Influenza A
ALEXANDER KARLAS, NIKOLAUS MACHUY, THOMAS F. MEYER, VOLKER PATZEL
MAX-PLANCK-INSTITUT FÜR INFEKTIONSBIOLOGIE, BERLIN
Influenzaviren verändern sich stetig. Daher geht eine erworbene
Immunität immer wieder verloren; andererseits fördern aktuelle Grippemedikamente die Entstehung resistenter Viren. RNA-Technologien leisten
einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung neuer antiviraler Strategien
The Influenza virus is subject to permanent change. Thus, acquired
immunity is getting lost and available therapeutics support the emergence
of resistant viruses. RNA technologies significantly contribute to the
development of novel antiviral strategies.
Influenza – eine stetige Bedrohung
ó Die Influenza, auch „echte Grippe“
genannt, ist eine durch Viren der Gattungen
Influenzavirus ausgelöste Infektionskrankheit bei Menschen, Säugetieren und Vögeln.
Sie ist klar von den häufig im Volksmund mit
Grippe betitelten grippalen Infekten zu differenzieren, welche einen deutlich harmloseren Verlauf haben. Die jährlichen Epidemien erfassen fünf bis 15 Prozent der Weltbevölkerung. Sie führen nach Schätzungen
der WHO zu 250.000 bis 500.000 Todesfällen vor allem in Risikogruppen (Kinder, Ältere, chronisch Kranke) und verursachen
beträchtlichen ökonomischen Schaden in
Form von Gesundheitskosten und Arbeitsausfällen. Die aktuell zirkulierenden humanpathogenen Viren unterteilt man in zwei
Gruppen: A und B. Bei Influenza A sind vor
allem die Subtypen A(H3N2) und A(H1N1)
von Bedeutung für den Menschen. Die Klassifizierung erfolgt auf der Grundlage dornartiger Fortsätze auf der Virusoberfläche, die
aus den Proteinen (Antigenen) Hämagglutinin
¯ Abb. 1: Schematische Darstellung der RNAi-basierten
Identifizierung Influenza-Ainfektionsrelevanter menschlicher Target-Gene mithilfe von
Transfektions-Microarrays.
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(H) und Neuraminidase (N) aufgebaut sind.
Eine Impfung schützt jeweils nur vor Infektion durch das saisonale Virus. Häufige
Punktmutationen verändern die Oberflächenantigene permanent und schwächen die
durch Infektion oder Impfung erworbene
Immunität. Bei Infektion einer Zelle mit verschiedenen Subtypen erlaubt die aus acht
Segmenten bestehende genetische Organisation des Influenza-A-Virus außerdem die
Vermischung großer Abschnitte des Erbguts
beider Varianten. Besonders gefährlich sind
Vermischungen der Genome humaner
Influenzaviren mit Vogel- oder SchweinInfluenzaviren, bei welchen einerseits die
Übertragbarkeit auf den Menschen erhalten
bleibt und die andererseits vom humanen
Immunsystem zunächst nicht erkannt werden. Im vergangenen Jahrhundert führten
derart drastische Veränderungen des Virus
zu drei weltweiten Pandemien, welchen insgesamt 20 bis 40 Millionen Menschen zum
Opfer fielen. Auch der Verlauf der sich gegenwärtig ausbreitenden Influenza-A(H1N1)„Schweinegrippe“-Pandemie lässt sich nur
schwer vorhersagen. Die Herstellung eines
Impfstoffs aus dem jeweiligen Saatvirus
benötigt mehrere Monate und die alljährliche
Durchimpfungsrate in Deutschland liegt bei
ca. 25 Prozent. Im Pandemiefall bestehen
daher kaum Impfschutz einerseits und ein
enormer Bedarf an Virustatika andererseits
[1].
Aktuelle Virustatika und Resistenzentwicklung: Zur Behandlung Infizierter als
auch zur Prophylaxe stehen neben unspezifischen Nukleosid-Analoga zwei Wirkstoffgruppen zur Verfügung, welche beide gegen
molekulare Zielstrukturen des Virus gerichtet sind: erstens die beiden Neuraminidasehemmer Oseltamivir und Zanamivir und
zweitens die M2-Membranproteinhemmer
Amantadin und Rimantadin. Alle Präparate
können bei der saisonalen Grippe zu einer
Verkürzung der Krankheitsdauer, einer Linderung der Symptome und der Vermeidung
gefährlicher Folgekomplikationen beitragen
und so auch die Sterblichkeit verringern. Beide Substanzklassen üben allerdings einen
Selektionsdruck auf das Virus aus und fördern die Entstehung von Resistenzen. Das
heißt im Zuge der Veränderung des Virus
entstehen zufällig resistente Viren, die sich
unter dem Einfluss dieser Medikamente
selektiv durchsetzen und verbreiten. Bei saisonalen A(H1N1)-Viren war in den Saisons
Juli 2008 und August 2009 eine Resistenz
gegenüber Oseltamivir (Tamiflu®) aufgetreBIOspektrum | 06.09 | 15. Jahrgang
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ten. Die Wirksamkeit des seltener verordneten Zanamivir blieb in beiden Wintern
erhalten. Auch bei dem aktuellen pandemischen A(H1N1)-Virus wurde Ende Juni
2009 in Dänemark bei einem Patienten
eine Oseltamivir-Resistenz gefunden. Mit
der Zunahme der Resistenzen gegen Oseltamivir und dem vermehrten Einsatz von
Zanamivir ist es eine Frage der Zeit, bis
auch Zanamivir-resistente Viren auftreten.
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der
aktuellen Pandemie besteht dringender
Bedarf an der Entwicklung effektiverer
und insbesondere resistenzsicherer Virustatika gegen Influenza A.
Entwicklung resistenzunempfindlicher Virustatika gegen die
Influenza
Aufspüren neuer Zielstrukturen (Targets)
mithilfe der RNA-Interferenz (RNAi): Die
von Thomas F. Meyer geleitete Abteilung
für Molekulare Biologie des Berliner MaxPlanck-Instituts für Infektionsbiologie
(MPIIB) befasst sich intensiv mit der Entwicklung neuartiger, gegen humane Zielstrukturen gerichteter Virustatika, die keinen direkten Selektionsdruck auf das
Virus ausüben und daher nicht oder nur
sehr langfristig zu Resistenzen führen.
Derartige Konzepte erscheinen auf den
ersten Blick problematisch, da man
befürchtet, der vorübergehende Verlust
einer Genfunktion könne negative Folgen
für den Organismus haben. Dem ist zu entgegnen, dass grundsätzlich alle Medikamente, die nicht gegen Mirkoorganismen
gerichtet sind, humane Genfunktionen,
deren Substrate oder Metaboliten blockieren, um eine Wirkung zu entfalten. Außerdem ist die Sicherheit eines Medikaments,
welches Epidemien oder gar Pandemien
verhindern soll, nicht nur durch das Ausbleiben von Nebenwirkungen, sondern
auch durch seine Wirksamkeit und Zuverlässigkeit definiert. In der Förderung von
Erregerresistenzen liegt ein hohes Maß an
Unsicherheit, die mit der neuen Strategie
auf ein Minimum reduziert werden soll.
Zur Identifizierung geeigneter humaner
Zielstrukturen haben wir eine genomweite Inhibitor(RNAi)-basierte Target-Suche
(Screen) durchgeführt. Hierfür wurden
Roboter-unterstützt 24.000 menschliche
Genfunktionen in Gewebekulturzellen mithilfe kleiner interferierender (si)RNAs
unterdrückt und die Folgen der Abschaltung jedes einzelnen Gens auf Infektion
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A
B
˚ Abb. 2: Beispiel für die siRNA-basierte
Abschaltung eines infektionsrelevanten
humanen Gens in Gewebekulturzellen.
A, normale Bedingungen. B, gehemmte
Virusvermehrung. Grün: virales Nukleokapsidprotein, immunohistochemische Darstellung; Blau: Zellkerne, DAPI-Färbung.
und Freisetzung neuer infektiöser Viren
quantitativ erfasst (Abb. 1). Insgesamt offenbarten die Screens ca. 300 Wirtszellfaktoren,
die für die Virusvermehrung von Bedeutung
sind (Abb. 2). Erste Tests mit ausgewählten
Targets haben gezeigt, dass deren Funktion
nicht nur für saisonale A(H1N1)-InfluenzaStämme, sondern auch für die Pandemie-assoziierten A(H5N1)- und die neuen pandemischen A(H1N1)-Stämme unabdingbar ist. Die
neuen Zielstrukturen sind im Rahmen einer
europäischen Patentanmeldung geschützt [2].
Identifizierung von Antagonisten zu den
neuen Targets: Zahlreiche der neuen humanen Zielstrukturen sind funktional der Gruppe der Kinasen zuzuordnen. Kinasen sind
Enzyme, die von einem Nukleosidtriphosphat
Phosphatgruppen auf andere Moleküle (z. B.
Enzyme) übertragen und diese dadurch aktivieren können. Den Proteinkinasen kommt
daher eine Schlüsselrolle in der zellulären
Signalvermittlung und in der Regulation des
Zellzyklus zu. Die Entwicklung spezifischer
Kinase-Inhibitoren hat das therapeutische
Armentarium in den letzten Jahren wesentlich
bereichert und Forscher können heute im Hinblick auf die Hemmung neuer Kinasen auf
umfangreiche molekulare Bibliotheken von
Inhibitoren zugreifen. Bei der Identifizierung
von Antagonisten zu unseren infektionsrelevanten Kinasen arbeiten wir eng mit der auf
die Kinase-Inhibitor-Chemie spezialisierten
ungarischen Firma Vichem Chemie zusammen, welche hierfür eine hoch diverse Kinase-Inhibitor-Bibliothek entwickelt hat. Mithilfe dieser Plattformtechnologie ist es uns
gelungen, neue Kinase-Inhibitoren zu identifizieren, die effektiv und selektiv die
Influenza-A-Virusreplikation in menschlichen
Zellen inhibieren. Diese Inhibitoren repräsentieren vielversprechende Leitstruktur-Kandidaten für die Wirkstoffentwicklung, und
gegenwärtig konzentrieren sich alle Bemühungen darauf, diese hinsichtlich Wirksamkeit, Bioverfügbarkeit und pharmakokinetischer Eigenschaften zu verbessern.
Unsere antivirale Strategie wird durch
RNAi-basierte Inhibitoren, wie siRNAs oder
deren endogen transkribierbare Vorläufer,
kleine Haarnadelschleifen-RNAs (small hairpin, shRNAs), komplettiert [3]. Diese sind
sowohl gegen die neuen humanen Targets
gerichtet als auch gegen konservierte und
daher mutationsintolerante, relativ resistenzsichere virale Sequenzabschnitte. Letztere haben die Virusreplikation in humanen
Zellen effektiv gehemmt (unveröffentlichte
Daten). Für in vivo-Applikationen bei Mäusen
haben wir die Sequenzen zur Erreichung
einer höheren intrazellulären Stabilität chemisch modifiziert und zur Steigerung der Aufnahme in die Zielzellen zusätzlich mit verschiedenen Polymeren konjugiert. Dabei
arbeiten wir eng mit dem Team um Jørgen
Kjems an der Universität von Aarhus, Dänemark, sowie anderen Partnern des im Rahmen vom FP6-Programm der EU geförderten
RIGHT (RNA Interference Technology as
Human Therapeutic Tool) Konsortiums [4]
zusammen.
Mittel- bis langfristig soll der aussichtsreichste Wirkstoffkandidat in klinischen Studien am Menschen getestet und zusammen
mit einem Partner aus der Pharmaindustrie
zu einem Produkt entwickelt werden.
Neue Perspektiven für die Impfstoffproduktion
Aus unserem Target-Screen ergeben sich auch
neue Perspektiven für die Impfstoffproduktion. Denn neben solchen Zielgenen, die Infektion oder Virusreplikation unterstützen,
haben wir auch humane Gene identifiziert,
deren Abschaltung eine Steigerung der Virustiter zur Folge hatte. Inhibitoren dieser Tar-
gets, z. B. siRNAs, shRNAs oder kleine Moleküle, können die Virus- und damit Impfstoffausbeuten bei den etablierten Zellkulturbasierten Produktionsverfahren erheblich
steigern. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Udo Reichl am Magdeburger MaxPlanck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme planen wir die Hochskalierung dieser Technologie der Virustitersteigerung vom kleinen Zellkultur- bis hin zum
Dekalitermaßstab.
Die RNAi-Technologie in Verbindung mit
Transfektions-Mikroarrays leistet gegenwärtig einen wesentlichen Beitrag bei der funktionalen Validierung Influenza-relevanter
Genfunktionen; zukünftig wird sie hochspezifische, resistenzsichere und nebenwirkungsfreie Virustatika liefern und entscheidend helfen, bestehende Engpässe bei der
Produktion von Influenza-Impfstoffen zu überwinden.
ó
Literatur
[1] Salomon R, Webster RG (2009) The influenza virus
enigma. Cell 136:402–410
[2] Meyer TF, Karlas A, Machuy N et al. (2006) Influenza
Targets. Patentanmeldung PCT/EP2007/008852
[3] Patzel V (2007) In silico selection of active siRNA. Drug
Discov Today 12:139–148
[4] www.ip-right.org
Nikolaus Machuy (RNAi-Screens), Alexander Karlas (Influenza), Thomas F. Meyer (Direktor), Volker
Patzel (RNA-Technologien) (v. l. n. r.).
Korrespondenzadresse:
Dr. Volker Patzel
Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie
Abteilung für Molekulare Biologie
Charitéplatz 1
D-10117 Berlin
Tel.: 030-28460463
Fax: 030-28460401
[email protected]
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