SomeVelvetMourning_01

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Thomas Feuerstein
Some Velvet Mourning, 2009
Glas Edelstahl div. technische Geräte
200 x 120 x 120 cm
Feu/I 090002
Die Installation von Thomas Feuerstein vereint – in einem streng wissenschaftlichen Kontext –
das klassische Konzept der Ursuppe und Uratmosphäre mit der Wirkungsweise von Schwarzen
Rauchern als beschleunigende Katalysatoren der biomolekularen Genesis. Der technische Aufbau
spiegelt somit im Labormaßstab ein wahrscheinliches Szenario wider, wie es auf unserem
Planeten vor über 3 Mrd. Jahren zur Neogenese der molekularen Vorstufen komplexer
Lebensformen kommen konnte.
Die in der Biologie klassische Formulierung für den Beginn des Lebens lieferte der USWissenschaftler Stanley Miller. Gemäß seiner "Ursuppen-Theorie" entwickelten sich aus einem
Gemisch von Methan, Ammoniak, Wasser und Wasserstoff in Reaktion mit elektrischen Funken
organische Stoffe in den irdischen Ur-Ozeanen. Das klassische Experiment hatte das Ziel, in
einem einfachen Glaskolben die Verhältnisse auf der unwirtlichen Urerde nachzuahmen, über
deren Ozeane Schwaden dichter Vulkangase zogen, während Blitze die Atmosphäre
durchzuckten.
In der simulierten, brodelnden Ursuppe waren aber nicht einfach irgendwelche chemischen
Verbindungen entstanden, vielmehr ließen sich Aminosäuren, Ketone, Aldehyde oder Harnstoff
nachweisen - allesamt Schlüsselverbindungen lebendiger Organismen. Analog zu Millers
Experiment vor 57 Jahren, lässt auch Feuerstein in einem gläsernen Kreislauf Wasser kochen,
dessen Dampf sich mit dem zugeführten Gasgemisch vermengt. Elektrische Funkenschläge
bilden natürliche Blitze nach. Der Dampf kondensiert, tropft in den Kolben zurück und der
Kreislauf beginnt von neuem. Bereits nach zwei Tagen findet sich die einfache Aminosäure
Glyzin in seinem Reaktionsgemisch, ein Bestandteil von Proteinen. Zucken die künstlichen Blitze
eine Woche lang, überzieht sich die Innenwand des Kolbens mit einer öligen Flüssigkeit, das
Wasser selbst färbt sich gelblich-braun. Die automatische Probenanalyse zeigt, dass sich nun
neben Glyzin, weitere Aminosäuren und andere organische Verbindungen in der kondensierten
“Ursuppe“ angereichert haben.
Einen Teil des so gewonnenen Kondensats führt Feuerstein laufend dem zweiten funktionellen
Aufbau der Installation zu, einem Schwarzen Raucher im Labormaßstab. Die dabei abgezweigte
Flüssigkeit aus der experimentellen Ursuppe lässt Feuerstein kontinuierlich durch nachströmende
Mengen ersetzen: in Analogie zur globalen Vereisung der präkambrischen Urerde - in Form von
glazialem Schmelzwasser.
Schwarze Raucher sind natürliche, hydrothermale Quellen auf dem Meeresboden in mehreren
tausend Metern Tiefe. Sie entstehen, wenn Seewasser in die Kruste des Meeresbodens eindringt,
erhitzt wird, mit dem Krustengestein reagiert und mit bis zu 400°C wieder zum Meeresboden
aufsteigt. Entdeckt wurden sie erst 1977. Bis dahin war man davon ausgegangen, dass in der
völlig lichtlosen, nährstoffarmen und lebensfeindlichen Umwelt der tiefen Meere kaum Leben
existiere. Die Schwarzen Raucher aber reichern das umliegende Meerwasser mit einem Cocktail
aus verschiedenen chemischen Elementen an, vor allem mit Helium, Schwefel und Eisen, aber
auch mit wichtigen Spurenelementen wie Mangan, Kupfer und Zink sowie anderen Mineralien,
die als Katalysatoren die Neuentstehung und Veränderung von organischen Molekülen
ermöglichen. Nach neuesten Erkenntnissen bildeten vor allem die lehmartig strukturierten EisenSchwefel-Komplexe der unterseeischen Schlote die perfekten Keimzellen für die Entstehung der
allerersten Lebensform. In gewisser Weise entspräche dies sogar der Theorie von "Adam" zumindest wenn man seine Bedeutung aus dem Hebräischen herleitet: "adamah" gilt dort als
Bezeichnung für die rötlich-braune Erdschicht, also für Ackererde oder Humus.
Es ist jedenfalls höchst bemerkenswert, aber wissenschaftlich erklärbar, dass auch heute noch
eine erstaunliche Vielfalt an primitiven Lebensgemeinschaften rund um die heißen Tiefseeschlote
vulkanischen Ursprungs angesiedelt sind. Trotz der für höhere Lebensformen gänzlich
unwirklichen Bedingungen bei extremen Drücken und Temperaturen, in absoluter Finsternis,
ohne Sauerstoff, aber mit stark toxischen Gasen und Schwermetallen angereichertem
Meerwasser.
In der gezeigten experimentellen Anordnung ist den beiden Genesisprozessen ein fraktioniertes
Aufreinigungsverfahren für eine ausgewählte organische “Ursubstanz“ nachgeschaltet.
Exemplarisch wird hier dargestellt, wie aus dem Ursuppenmolekül Ethanal an der katalytisch
reduzierenden Matrix des Schwarzen Rauchers Ethanol, also Alkohol, generiert wird. In einem
mehrstufigen Destillationsprozess wird dieses Biomolekül von allen anderen de novo entstandenen
Verbindungen getrennt und als genussfähige Reinextrakt gewonnen.
Thomas Seppi
Labor für Strahlenbiologie, Medizinische Universität Innsbruck
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