Tagungsbericht "Die Schaffung der deutschen Einheit im

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Tagungsbericht
Die Schaffung der deutschen Einheit
im Neunzehnten Jahrhundert
Benedikt Kellerer
Expertentagung
der Hanns-Seidel-Stiftung
am 20./21.4.1010
Bildungszentrum Kloster Banz
Datei eingestellt am 28.4.2010 unter
www.hss.de/downloads/100420_TB_Deutsche_Einheit_19._
Jahrhundert.pdf
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Tagungsbericht „Die Schaffung der deutschen Einheit im Neunzehnten
Das Neunzehnte Jahrhundert war wegweisend für den Aufbau einer
einheitlichen
und
modernen
deutschen
Staatlichkeit.
Damalige
Entscheidungen wie etwa die kleindeutsche Lösung unter Ausschluss
Österreichs oder die Festigung des föderalistischen Gedankens wirken bis
heute nach.
Dabei lohnt sich auch ein Vergleich mit dem Europa von heute. Die
politische Ordnungsidee einer nationalen Einheit hat immer noch einen
hohen Stellenwert. Solange kein europäischer Bundesstaat besteht, sind
immer noch die einzelnen Nationalstaaten die Herren über den
Integrationsprozess.
Daher versuchte die Akademie für Politik und Zeitgeschehen der HannsSeidel-Stiftung durch eine Expertentagung zum Thema „Die Schaffung der
deutschen Einheit im Neunzehnten Jahrhundert“ vom 20. bis 21. April
2010 in Kloster Banz die genauen Umstände und Gesetzmäßigkeiten
genauer zu beleuchten, die zu dieser Entwicklung führten. Dabei wurde
ein besonderer Akzent auf die internationalen Implikationen einer
großdeutschen Idee, einen Vergleich mit dem italienischen „Risorgimento“
und auf das Verhältnis zu Frankreich gelegt.
Zu Beginn leitete Prof. Dr. Ulrich Muhlack (em.), Universität Frankfurt,
die Entstehung der Forderung einer nationalen Einheit und eines
Nationalgefühls her. Um von einer Nation als Staatsnation zu sprechen,
gebe es verschiedene Merkmale, die allerdings nicht immer in gleichem
Ausmaß vorhanden sein müssten. Wichtig sei der politische Wille, eine
Nation zu schaffen. Muhlack spricht dabei von einer Nation als „politischer
Willensgemeinschaft“ oder auch als „geistigem Prinzip“. Dabei spiele der
Vernunftsgedanke der Aufklärung eine wichtige Rolle. Die außenpolitische
Seite einer Nation kennzeichnet demnach die Vereinheitlichung des
Territoriums mit klaren Grenzen sowie eine Politik, die deutlich vom
nationalen Interesse gekennzeichnet sei. Dennoch konstatierte Muhlack,
dass dieser Prozess nie statisch sein könne und immer wieder neu
hervorgebracht werden müsse. Die Nation sei daher eine „permanente
Auseinandersetzung mit der Nation“. Durch die Abkehr vom Willen der
Schaffung einer Nation würde auch das Ende der Nation besiegelt werden.
In Frankreich sei die Nation vom Staat gekommen und habe sich auf dem
alten System aufgebaut. Bereits zur Zeit der Monarchie war Frankreich ein
moderner Staat mit klar abgegrenztem Territorium und effektiver
Verwaltung gewesen. Durch Förderung des dritten Standes wurde aus
einer monarchischen Souveränität schnell eine nationale Souveränität.
Anders beschrieb Muhlack die Lage in Deutschland. Das Heilige Römische
Reich deutscher Nation sei ein archaisches Gebilde mit teilweise unklarem
Verlauf der Außengrenzen und nur wenigen gesamtstaatlichen
Institutionen gewesen. Der Kaiser besaß keine Macht, die Menschen waren
stets Untertanen der Landesherren. Dafür berief man sich in Deutschland
auf den Begriff der „Kulturnation“, deren Anfänge sich bereits im
Mittelalter finden ließen. Durch die gemeinsame Sprache konnte sich ein
deutsches kulturelles Selbstbewusstsein entwickeln als Kontrast zur
politischen Zerrissenheit. Die Intellektuellen arrangierten sich im Übrigen
mit den bestehenden politischen Verhältnissen.
Die Französische Revolution war auch in Deutschland wirksam. In den
Rheinbundstaaten wurden nach französischem Vorbild effiziente
Verwaltung und eine ent-feudalisierte Rechtsordnung eingeführt. Auch die
Bildung einer deutschen Nation wurde angestoßen. Die Kulturnation
entwickelte sich fortan zu einer politischen Nation, mit Stoßrichtung gegen
Frankreich.
Im Sieg über Napoleon in den Jahren 1813/15 sah Muhlack das
Gründungsdatum der deutschen Nation, aber die politischen Zielsetzungen
divergierten sehr. Durch die Schaffung des deutschen Bundes auf dem
Wiener Kongress 1815 wurde die Nationalbewegung stark enttäuscht, da
die Länder keinesfalls auf ihre eigene Souveränität verzichteten. Dennoch
entwickelte sich nun eine immer stärkere Forderung nach nationaler
Einheit.
Im Anschluss verglich Prof. Dr. Rainer S. Elkar, em. Universität der
Bundeswehr München, die beiden Revolutionen in Deutschland von 1848
und 1989. Er sprach von „Germania afflicta“ und betonte, dass einer
deutschen Einigung immer das Zerbrechen alter Formen vorausginge und
eine Neuorientierung stattfinde.
Gleichzeitig kam er zu dem Schluss, dass Nation und Freiheit immer
doppeldeutige
Begriffe
seien.
Nation
sei
prinzipiell
immer
gestaltungsoffen, allerdings nicht im Bereich der allgemeinen Werte. Auch
Freiheit sei gestaltungsoffen und als Teil des Bewusstseins im Sinne eines
„Strebens nach Freiheit“ zu sehen.
Im zweiten Teil versuchte Elkar, einige Revolutionstheorien vorzustellen.
Die Theorie eines Wechsels zu einem „besseren“ System sei häufig in der
Vergleichenden Politikwissenschaft vorzufinden. Demnach gelinge dieser
Wechsel nur bei funktionierenden Administrationen und könne durchaus
auch gewaltsam sein. Die Etablierung einer Demokratie bedeute dabei
aber auch gewissermaßen ein „Ende der Geschichte“.
Eine zweite Theorie sieht Ideen im Mittelpunkt. Dabei wird vor allem das
marxistische Revolutionsmodell abgelehnt, das dem Volk eine viel zu
große Bedeutung gebe. Vielmehr wird hier der Alltag mit all seinen
politischen und ökonomischen Problemen als entscheidende Phase für den
Wandel gesehen.
Als dritte Theorie stellte Elkar die Konfliktsoziologie vor, bei der die
gesellschaftliche Kommunikation im Mittelpunkt steht. Hier bilden sich vier
Entwicklungsstufen heraus, die letztendlich in einem Machtkonflikt enden.
Während bei den ersten beiden Theorien den internationalen
Rahmenbedingungen große Bedeutung zugemessen wird, liegt das
Augenmerk der dritten Theorie vielmehr auf dem inneren Konflikt, der
zum Teil durch Reformen lösbar wäre.
Bei beiden deutschen Revolutionen konnte Elkar Gemeinsamkeiten
bezüglich der Gegeneliten und der Oppositionskräfte feststellen. Deutliche
Unterschiede sieht Elkar allerdings bei der Rekrutierung der Gegeneliten.
Während in der DDR vor allem die evangelische Kirche Hilfe und
Plattformen für den Protest bereitstellte, war dies in der Zeit des Vormärz
nicht zu finden gewesen. Auch war die Freiheitsthematik deutlich
unterschiedlich. 1848 mussten für Deutschland erst die Freiheitsrechte
formuliert werden, während diese 1989 bereits vorhanden waren. Die
Bewegung von 1989 sei zunächst eine Friedensbewegung gewesen . Man
strebte nach einer komplexeren Freiheit, die im Einklang mit der Natur
und der Verbindung mit dem Frieden stünde.
Somit kam Elkar auch zu dem Schluss, dass die Revolution von 1848
zuerst auf die deutsche Einheit ausgerichtet war. Die Revolution von 1989
hingegen sei zunächst an der Erlangung der Freiheit orientiert gewesen
und erst danach an der nationalen Einigung.
Daraufhin erörterte Prof. Dr. Günter Wollstein (em.), Universität zu
Köln, die Frage, ob das großdeutsche Projekt 1848/49 verträglich für
Europa gewesen sei. Die großdeutsche Idee unter der Führung Preußens
konkurrierte von Anfang an mit drei weiteren Möglichkeiten:
Großdeutschland unter Führung Österreichs, einer kleindeutschen Lösung
oder aber auch der Lösung eines Doppelbundes. Bei den Debatten in der
Paulskirchenversammlung war man sich allenfalls einig, ein starkes
Deutschland zu gründen und als fortschrittliches Zentrum Europas zu
etablieren. Dabei wurde vor allem massive Kritik am Deutschen Bund laut.
Dieser habe während der Rheinkrise (1840) versagt, da er den
Gebietsansprüchen Frankreichs nur wenig an Machtmitteln entgegen zu
setzten hatte.
Gleichzeitig konnte man ein Minderwertigkeitsgefühl der Deutschen
feststellen, die mit Blick auf das verklärte, mittelalterliche Reich eine
Erneuerung und Stärkung sowie Änderungen der Machtverhältnisse auf
dem Kontinent forderten.
Die Oktoberdebatte in der Paulskirche brachte eine Bewegung hervor, in
der der Nationalstaat als „Lenkungsmacht der germanischen Brüder“
fungieren und den deutschen Einfluss stärken sollte. Dennoch erkannte
man in dieser Zeit auch, dass die deutsche Einheit an Freiheit und Recht
gebunden sein müsse.
Innenpolitisch erreichte die Paulskirchenverfassung durch das Streben
nach einem föderalistischen Aufbau, vor allem aber durch den neuen
Minderheitenschutz große Akzeptanz. Seitens derr anderen europäischen
Mächte hingegen war das Bild von Skepsis und Distanz geprägt. Einzig die
USA und Schweden gewährten diplomatische Anerkennung. Die USA sah
in der neuen demokratischen Macht die Möglichkeit einer transatlantischen
Blockbildung und eine konstruktive Ordnungskomponente der Weltpolitik.
Für die europäischen Großmächte hingegen war Großdeutschland nicht
hinnehmbar, da es das Potential zu einer Hegemonie auf dem Kontinent
hatte. Daher sei die Chance auf die Akzeptanz einer großdeutschen
Lösung nur äußerst gering gewesen, so Wollstein.
Die Idee eines Großdeutschland blieb bis zum II. Weltkrieg in der
politischen Erinnerung. Bis zum Ende der I. Weltkrieges war
Großdeutschland ein „Schlagwort der Zeit“, und man hatte die Idee eines
deutschbeherrschten Mitteleuropa mit angeschlossenen Gebieten im Osten
und Südosten. Nach 1918 stand dieser Idee das Selbstbestimmungsrecht
der Völker entgegen, doch wurde dies in Österreich von vielen als das
Recht zum Anschluß an Deutschland ausgelegt. Man findet auch während
der Weimarer Republik immer wieder ein großdeutsches Stimmungsbild,
das vor allem durch das steigende Bewusstsein, in Versailles einen
ungerechten Frieden diktiert bekommen zu haben, Nahrung erhielt. Im
Dritten
Reich
sei
dann
diese
Selbstbestimmungspropaganda
instrumentalisiert worden, wobei das in Erfüllung der Absichten von
1848/49
geschaffene
Großdeutschland
eine
Basis
für
den
Weltanschauungskrieg im Osten abgeben sollte.
Das Königreich Bayern im Prozess der deutschen Einigung betrachtete
Prof. Dr. Dieter J. Weiß, Universität Bayreuth. Seit 1806 war Bayern ein
eigenständiges Königreich. Das Grundprinzip der bayerischen Politik war
stets der Erhalt der eigenen Souveränität, sowie der Aufbau eines
modernen Verwaltungs- und Rechtsstaats. Staatsminister Montgelas
formte einen Staat nach rein rationalen und aufklärerischen
Gesichtspunkten.
Bayern hatte starke Vorbehalte gegenüber dem Deutschen Bund was
zeitweilig zu einer drohenden Isolation führte. Da sich Bayern alleine nicht
behaupten konnte, war es, so Weiß weiter, an einem Trias-Gedanken
orientiert, der eine gemeinsame Führung Deutschlands durch Österreich,
Preußen und Bayern vorsah.
Nach dem Sturz von Montgelas (1817) erfolgte allerdings eine
Annäherung an den Deutschen Bund sowie die Einführung einer neuen
Verfassung mit Grundrechten bei fortbestehender monarchischer
Souveränität.
Bei König Ludwig I. (1825-48) sieht Weiß eine Neuorientierung der
bayerischen Politik. Bayern sollte zu einem „Kulturkönigtum“ geführt
werden. Die Förderung von Kunst und Kultur diente vor allem nationalbayerischen und katholischen Interessen, aber auch zur Stärkung der
Kulturnation Deutschland. Einen deutschen Nationalstaat hatte Ludwig I.
nicht im Sinn. Weiter sollten durch die gemeinsame Verfassung die neuen
bayerischen Volksstämme mit dem Königreich verschmolzen werden. Es
sollte sich ein deutsches Nationalgefühl, verbunden mit bayerischer
Identität, entwickeln.
Auch Maximilian II. (1848-64) bemühte sich um die Stärkung der
deutschen Kulturnation und der bayerischen Identität. Die bayerische
Politik wurde durch den Außenminister Ludwig von der Pfordten und
dessen Trias-Idee geprägt. Bei einer kleindeutschen Lösung fürchtete
Bayern ein deutliches Übergewicht des Nordens.
In der Person Ludwigs II. sieht Weiß eine starke Zerrissenheit. Einerseits
war er klar gegen die kleindeutsche Lösung, andererseits übernahm er
keinerlei persönliche Anstrengung zur Verhinderung. Das Ende der
Triaspolitik war besiegelt durch einen geheimen Bündnisvertrag mit
Preußen
nach
dem
Krieg
von
1866,
der
mit
bayerischem
Souveränitätsverlust einher ging. Während die Administration stärker
zentral ausgerichtet war, so konnte man im Landtag eine stärkere
patriotische
Einstellung
feststellen.
Zwar
wurde
anfangs
eine
kleindeutsche Lösung abgelehnt, doch änderte sich dies mit den
deutschen Siegen im Krieg gegen Frankreich, die den Beitritt Bayerns zum
Norddeutschen Bund und später die Kaiserproklamation nach sich zogen.
Damit wurde Bayern nun endgültig zum Gliedstaat des Reiches, das als
Bundesstaat der Fürsten konzipiert war,
und musste starke
Einschränkungen seiner Souveränität hinnehmen, mit Tendenz zur
Ausweitung des Übergewichtes des Bundes.
Prof. Dr. Dr. h.c. Friedrich-Christian Schroeder (em.), Universität
Regensburg, befasste sich mit der Schaffung der deutschen Rechtseinheit.
Seiner Ansicht nach waren weniger rationale Argumente als vielmehr das
emotionale Gefühl, nationale Einheit bedinge Rechtseinheit, die Triebkraft
dieser Entwicklung. Durch die starke Souveränität der Einzelstaaten und
deren eigene Gesetzgebung bestand eine große Notwendigkeit, den
Rechtsraum zu vereinheitlichen. Auch Bedürfnisse der Wirtschaft wirkten
dahin.
In der Verfassung vom März 1849 wurden Anklageprozess und
Schwurgericht verbindlich eingeführt. Im Norddeutschen Bund war das
Strafrecht zunächst nicht Kompetenz des Bundes, wurde allerdings später
in die Verfassung aufgenommen. Dabei orientierte man sich stark am
Preußischen Strafgesetzbuch von 1851. Im Süden hingegen dauerte es bis
1870, bis man mit dem Strafgesetzbuch Preußens, das starke
Übereinstimmung mit dem bayerischen Strafgesetzbuch aufwies, einen
einheitlichen Rechtsrahmen schaffen konnte.
In den Jahren 1873 bis 1879 wurden die unterschiedlichen
Gerichtsverfassungen vereinheitlicht. Die verschiedenen Bezeichnungen
der Gerichte der Länder wurden in ein vierstufiges System überführt, bei
dem einigen Ländern gewisse Eigenständigkeiten zugesprochen wurden.
Im Zivilrecht fehlte dem Reich zunächst die Kompetenz, die ab 1873 mit
der „Lex Lasker“ entstand. Ein einheitliches Bürgerliches Gesetzbuch trat
allerdings erst zum 1.1.1900 in Kraft. Mit der Einführung des Bürgerlichen
Gesetzbuches musste auch das Handelsgesetzbuch neu verkündet
werden, was den Verlust der Rechtseinheit mit Österreich zur Folge hatte.
Schroeder sprach vom Bürgerlichen Gesetzbuch als einem „Meisterwerk
der Abstraktion“, das einen Ausgleich zwischen Konservatismus,
Liberalismus und sozialen Forderungen herstellte.
Insgesamt konstatierte Schroeder, dass sich die Schaffung einer
deutschen
Rechtseinheit
in
mehreren
Etappen
vollzog,
deren
durchschlagende Gestaltungskraft bis heute nicht mehr erreicht worden
sei.
Einen Vergleich zwischen der deutschen Einheitsbewegung und dem
italienischen Risorgimento zog Prof. Dr. Günther Heydemann,
Universität Leipzig. Dabei seien auf den ersten Blick deutliche Parallelen
zu erkennen, wie etwa die Führungsrolle Preußens in Deutschland und
Piemont-Sardiniens in Italien. Gleichzeitig waren beide Staaten
monarchisch betont und gründeten sich auf starkes Militär und
korruptionsfreie, effiziente Verwaltung. Preußen und Piemont-Sardinien
befanden sich im Norden des zu schaffenden neuen Nationalstaates und
hatten die Funktion eines Pufferstaates inne, Preußen zwischen Frankreich
und Russland, Piemont-Sardinien zwischen Frankreich und Österreich.
Gleichzeitig einte 1866 der Kampf gegen Österreich, der mit territorialen
Gewinnen für beide Staaten endete. Mit Cavour und Bismarck verfügten
beide Staaten nicht zuletzt auch über herausragende Staatsmänner. Aber
es bestand ein Unterschied im Machtpotential zwischen der Großmacht
Preußen und der Mittelmacht Piemont-Sardinien.
Bei einer genaueren Betrachtung konstatierte Heydemann, dass die
internen Ausgangsbedingungen für die deutsche und die italienische
Einigung ziemlich analog gewesen seien. Deutschland und Italien lägen in
einer Instabilitätszone eines gewissermaßen „Kalten Krieges“ zwischen
den westeuropäischen Verfassungsstaaten und Russland, Österreich und
Preußen, die ihre Macht auf die dynastischen Strukturen gründeten. Es
musste sich also die politische Lage verändern, um einen Wandel
vollziehen zu können. Der Unterschied liege allerdings im Umgang mit
Frankreich.
Während
sich
in
Deutschland
immer
mehr
eine
antifranzösische Haltung etablierte, war in Italien ein Wandel ohne
Frankreich nicht möglich. Außerdem habe es deutliche ökonomische
Unterschiede gegeben. Während 1834 mit der Gründung des Zollvereins
die Grundlage für eine schnelle und flächendeckende Industrialisierung in
Deutschland gelegt wurde, so gab es im nur teilindustrialisierten Italien
nichts Vergleichbares.
Bei seiner weiteren Analyse beschränkte sich Heydemann auf interne
Entwicklungen und konnte dabei signifikante Unterschiede feststellen.
Während Italien eine klare Grenzführung aufweisen konnte, war diese in
Deutschland nicht durchgehend vorhanden. Die Alpen bildeten eine
natürliche Grenze, wie es sie im Westen Deutschlands und gegenüber dem
Zarenreich nicht gab.Innerhalb und außerhalb des Nationalstaates
bestanden Minderheiten. Der ideologische Anteil an der italienischen
Revolution war deutlich größer als der an der Einigungsbewegung in
Deutschland. Anders als die moderati in Italien wandten sich die
deutschen Liberalen der Machtpolitik von oben zu, um ihre Ideale
durchzusetzen. Auch konnten sich die italienischen Liberalen auf eine
starke Konsensfähigkeit berufen. Anders als in Deutschland gab es hier ein
Bündnis zwischen dem intellektuellen Bürgertum und dem Adel. Die
italienische Einheit wurde überdies durchwegs auf Plebiszite gestützt. In
Italien stand der Einigung der Kirchenstaat im Wege, also der etablierte
Katholizismus. Dieser setzte in Deutschland eher auf die großdeutsche als
die kleindeutsche Idee, ohne sonstige territoriale Interessen verteidigen
zu müssen.
Aus internationaler Sicht wurde die Einigung Italiens mit Wohlwollen
betrachtet, während dem deutschen Einigungsprozess auch im
kleindeutschen Falle die Gefahr preußisch-deutscher Hegemonie
anhaftete.
Am Ende seines Vortrags betrachtete Heydemann noch die Rolle von
Partizipation und Identifikation bei der Schaffung der nationalen Einheit.
In Italien war die Partizipation des Liberalismus deutlich stärker gegeben
als in Deutschland. Die Identifikation mit dem neuen System in Italien sei
zwar erst wenig erforscht, aber man könne von einer geringen
Identifikation
ausgehen.
In
Deutschland
hingegen
hätten
die
Zwangsintegration etwa der Polen und der deutschen Elsässer sowie der
Ausschluss deutscher Österreicher ebenfalls zu Spannungen geführt.
Als Fazit konnte Heydemann festhalten, dass es zwar oberflächlich
deutliche Gemeinsamkeiten zwischen der deutschen und der italienischen
Einigung gäbe, sich jedoch bei genauerer Betrachtung immer mehr
Unterschiede herausbildeten.
Über die deutsche Identitätsfindung und die Auseinandersetzung mit
Frankreich sowie die ambivalente Haltung vieler Publizisten referierte
Prof. Dr. Roland Höhne (em.), Universität Kassel. So stellte sich etwa
die frankophobe Haltung erst nach einer langen machtpolitischen,
territorialen und kulturellen Vorgeschichte ein. Bereits seit dem Mittelalter
(Philipp IV., 1285-1314, Lehensübernahme des zum Heiligen Römischen
Reiches gehörenden Herzogtums Bar 1302) habe Frankreich immer wieder
Expansion in Richtung Osten versucht. Auch die Besetzung Straßburgs
1681 oder der Pfälzische Erbfolge-Krieg mit der Zerstörung des
Kaiserdoms von Speyer 1689 brachten heftige antifranzösische
Reaktionen hervor. Gleichzeitig habe es eine gewisse Gallophobie auch im
deutschen Schrifttum gegeben. Nur eine Minderheitsströmung begrüßte
die Französische Revolution. Die Mehrheit waren Reichspatrioten, welche
Gewalt und Terror der Revolution ablehnten und sich auf dem „richtigen
Weg der Reform“ wähnten. Ein Wandel sollte in Deutschland nicht durch
das Volk, sondern durch die Fürsten angestoßen werden. Die ambivalente
Haltung vieler Autoren dieser Zeit zeigt sich darin, dass viele zwar den
Verlauf der Revolution ablehnten, dennoch aber in den neuen Ideen
durchaus positive Elemente erkannten.
Die gleiche Ambivalenz zeige sich laut Höhne auch während der
Revolutionskriege. Nicht nur im Königreich Westfalen brachte Frankreich
wirtschaftliche Reformen und damit verbunden einen deutlichen
ökonomischen Aufschwung. Andererseits forderte Frankreich auch hohe
Steuern und die Stellung von Truppen.
Auch am Beispiel Napoleons I. zeige sich deutlich eine ambivalente
Haltung der Deutschen gegenüber Frankreich. Einerseits wurde er wegen
seiner administrativen Reformen begrüßt, andererseits habe es auch eine
„Dämonisierung Napoleons“ gegeben, bei der er als Tyrann dargestellt
wurde, der die besetzten Länder schamlos ausbeute.
In der Literatur fand die deutsche Identitätsfindung durch Abgrenzung von
Frankreich statt. Es wurde gewissermaßen von einem „Freund-FeindVerhältnis“ gesprochen, welches Deutschland als tiefsinnige „Kulturnation“
und Frankreich als bloße äußerliche „Zivilisation“ verstand. Dennoch gab
es auch in Deutschland Sympathisanten Frankreichs. Bayern war hierfür
das beste Beispiel.
Am Ende konstatierte Höhneer, dass die Ambivalenz wohl ihren
Höhepunkt im II. Weltkrieg gefunden habe. Eine Kollaboration hätte
ansonsten nicht funktioniert. Gleichzeitig gebe es auch heute noch
durchaus ambivalente Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich.
Prof. Dr. Peter J. Brenner, TU München, befasste sich mit Kritikern der
deutschen Einheit in der Literatur. Die Frage der Einheit habe Literaten
bereits sehr früh beschäftigt. Christoph Martin Wieland etwa sah 1780 die
Möglichkeit, durch eine gemeinsame Sprache und Staatsverfassung eine
Einheit zu schaffen. In den unterschiedlichen Religionen, Regierungen,
Verwaltungen oder auch kulturellen Traditionen sah er kein ernsthaftes
Hindernis.
Auch Johann Gottfried Herder und später Friedrich Schlegel entwickelten
Gedanken zur deutschen Einheit. Sie sei wünschenswert und müsse auf
der gemeinsamen Sprache und Geschichte gegründet werden.
Von den Autoren des Vormärz griff sich Brenner Heinrich Heine heraus.
Dieser hatte ein sehr ambivalentes Verhältnis zu Deutschland. In seinem
„Wintermärchen“ von 1844 übte er eine Fundamentalkritik. Er kritisierte
den Nationalismus und den Katholizismus, die Obrigkeitshörigkeit der
Deutschen und deren antidemokratische und rückwärtsgewandte
Gedanken. Er entwickelte
ein sehr lyrisch-emotionales Bild von
Deutschland, um der politischen Frage der Einigung auszuweichen. Er
betrachtete die Einigung als nicht wünschenswert und stand damit im
Widerspruch zu vielen anderen Autoren dieser Zeit.
Für die Zeit nach der Reichseinigung 1871 stellte Brenner fest, dass die
Autoren nur sehr harmlose Kritik an der Einigung übten. Sie seien selbst
für eine Einigung Deutschlands gewesen, allerdings hätte sie sich eine
andere Ausführung gewünscht. Zu diesen Autoren zählten etwa Gustav
Freytag, Theodor Storm, Theodor Fontane, oder auch Wilhelm Raabe.
Fixpunkt sei stets die Auseinandersetzung mit Bismarck gewesen und die
Frage „quo vadis, Deutschland?“. Ihre Aussagen jedoch seien nie sehr klar
gewesen und von einer gewissen Ambivalenz geprägt. Die einzige
aggressive Kritik dieser Zeit stamme von Raabe. In der Novelle „Der
Dräumling“ kritisiere er die Anmaßung des deutschen Bildungsbürgertums,
welches in Wirklichkeit die deutsche Kultur nicht repräsentiere.
Das eigentliche Terrain der Autoren dieser Zeit sei der historische Roman
gewesen. Hier hätten sie den Versuch unternommen, in der Geschichte ein
Idealbild gegen das 1871 etablierte System zu finden. Dieses sei von
altständischen Vorstellungen geprägt gewesen, bei Fontane etwa in der
Beschwörung der Zustände in der alten Mark Brandenburg.
Gustav Freytag versuchte in seinem Werk „Bilder aus der deutschen
Vergangenheit“ in der deutschen Geschichte eine Legitimation der Einheit
zu finden. Gleichzeitig beschrieb er in dem mehrbändigen Werk „Die
Ahnen“ wichtige Stationen in der deutschen Historie und entwarf ein Bild,
wie das deutsche Volk sein sollte. Er lehnte die Revolution von 1848 ab
und sah nur im deutschen Bürgertum die Grundlage für eine
Reichsgründung. Das Reich hätte nicht aus Kriegen oder militärischen und
politischen Aktivitäten hervorgehen sollen, sondern vielmehr aus den
Sitten und der Tradition des Bürgertums.
Am Ende der Tagung widmete sich Prof. Dr. Heinz Hürten (em.),
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, den zentrifugalen Kräften im
deutschen Kaiserreich. Diese würden sich nicht nur in den einzelnen
Territorien wiederfinden, sondern auch im Aufbau des Kaiserreichs. In
Deutschland habe es ein großes Problem der Nichtintegration von
verschiedenen Volksgruppen wie etwa Dänen, Polen oder auch Elsässer
gegeben. So hätten etwa in den polnischen Gebieten Preußens loyale
preußische Staatsbürger gelebt. Durch eine Germanisierungspolitik, die
etwa die verbindliche Einführung der deutschen Sprache bereits in der
Volksschule oder auch die Ansiedelung deutschen Bauern in den Provinzen
Posen und Westpreußen mit sich brachte, seien allerdings die
zentrifugalen Tendenzen unter der polnischen Bevölkerung stetig
angewachsen. Ähnliches gelte für das Elsass. Die Annexion sei aus
national-politischer Überzeugung zustande gekommen. Im Inneren hätte
es kein Zugehörigkeitsgefühl zu Deutschland gegeben. Da eine Integration
nur teilweise stattgefunden habe, sei auch eine große gesellschaftliche
Distanz zwischen der Verwaltung und der Bevölkerung geblieben.
Zusätzlich trug der Sonderstatus Elsass-Lothringens als Reichsland ohne
eigene Landeshoheit ebenfalls zu den zentrifugalen Tendenzen bei.
Auch im Inneren des Reiches gab es von Anfang an durch die sogenannten
„Reichsfeinde“ immer wieder zentrifugale Kräfte. Zu diesen Reichsfeinden
zählte Bismarck die bereits genannten Minderheiten im Reich, die
Katholiken, die Sozialdemokraten sowie die „Welfen“.
Am Ende konstatierte Hürten, dass für die bürgerliche Nationalbewegung
mit der Reichseinheit nicht das Ziel erreicht worden sei, denn noch fehlte
die Freiheit. Bismarck hingegen sah in der Schaffung der Einheit
Deutschlands das Ende der Entwicklung. Daher gab es immer wieder ein
Spannungsfeld zwischen einem Nationalbewusstsein auf der einen Seite
und dynastischer Treue auf der anderen Seite. Hier zeige sich, dass keine
dieser Kräfte zu einer Sprengung des Reiches führte, sondern nur zu einer
Abschwächung und teilweise Veränderung der Grundlagen, auf denen das
Reich gegründet wurde. Dennoch trugen später auch die soziale Frage und
die Forderung nach Demokratie weiter zu zentrifugalen Strömungen bei.
Mit der Integration der alten Reichsfeinde nach dem I. Weltkrieg seien
zwar keine starken zentrifugalen Kräfte mehr zu erkennen, dennoch sei
auch die Weimarer Republik von einer hohen Instabilität bedroht gewesen.
Die letzten gesetzlichen Benachteiligungen aus der „Kulturkampfzeit“
seien erst vor wenigen Jahren abgeschafft worden.
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