3 Kreis und Kugel

Werbung
25
3 KREIS UND KUGEL
3
3.1
Kreis und Kugel
Die isoperimetrische Ungleichung
Bevor wir die isoperimetrische Ungleichung formulieren und beweisen, stellen wir einen
Begriff bereit, den wir beim Beweis dieser Ungleichung benötigen.
Def. 1 Die Folge P1 P2 . . . PN PN +1 von N Strecken P1 P2 , . . . , PN PN +1 ⊂ E2 , bei denen
je zwei aufeinander folgende Strecken genau einen Endpunkt gemeinsam haben, heißt
Streckenzug (von P1 nach PN +1 ) der Länge N . Er heißt einfach, wenn je zwei nicht
aufeinander folgende Strecken keinen Punkt gemeinsam haben. Er heißt geschlossen,
falls P1 = PN +1 gilt. Ein einfacher, geschlossener Streckenzug heißt Polygonzug.
Bei einem geschlossenen Streckenzug betrachten wir PN PN +1 = PN P1 und P1 P2 als aufeinander folgende Strecken.
Nach dem Jordan’schen Kurvensatz zerfällt das Komplement einer doppelpunktfreien,
geschlossenen Kurve c ⊂ E2 (etwa eines Polygonzugs) in zwei punktfremde, offene und
zusammenhängende Mengen, das unbeschränkte Äußere und das beschränkte Innere (siehe Abb. 3.1). Die Fläche A des von c berandeten inneren Gebietes wird uns im Folgenden
interessieren.
Inneres
Abbildung 3.1: Inneres einer Jordankurve
Def. 2 Das Innere eines Polygonzugs P1 P2 . . . PN P1 der Länge N heißt offenes Polygon oder offenes N -Eck, dessen abgeschlossene Hülle heißt Polygon oder N -Eck. Die
Punkte P1 , . . . , PN heißen die Ecken des [offenen] Polygons.
Künftig benennen wir sowohl den Polygonzug P1 P2 . . . PN P1 als auch das davon berandete
Polygon Π mit P1 P2 . . . PN . Man beachte, dass der Durchschnitt und die Vereinigung
zweier Polygone im Allgemeinen keine Polygone sind, da diese Mengen nicht notwendig
zusammenhängend sind. Dass die Reihenfolge der Ecken eines Polygons wesentlich ist,
zeigt die Abbildung 3.2.
Das folgende Problem und seine Lösung waren bereits den alten Griechen bekannt. Ein
erster vollständiger Beweis wurde jedoch erst 1870 von Weierstraß angegeben.
Satz Sind c eine doppelpunktfreie, geschlossene, ebene Kurve der Länge L und A die Fläche
des von c berandeten Gebietes, so gilt die isoperimetrische Ungleichung
L2 − 4πA ≥ 0 .
(18)
26
3 KREIS UND KUGEL
(a)
Pc 4
(b)
Pc 3
cP3
P1 c
Pc 4
c P2
P1 c
c P2
Abbildung 3.2: Polygone (a) P1 P2 P3 P4 und (b) P1 P3 P2 P4
In (18) gilt Gleichheit genau dann, wenn c ein Kreis ist.
Beweis: (Bol 1941) (i) Wir beweisen zunächst (18) für Polygone. Dabei können wir die
Polygone o. E. als konvex annehmen, da die konvexe Hülle eines nicht konvexen Polygons
kleineren Umfang besitzt (Dreiecksungleichung) und eine größere Fläche umschließt.
Für ein konvexes Polygon Γ erzeugen wir eine Polygonschar (Γj ), indem wir die Seiten
von Γ um den jeweils gleichen Betrag nach innen verschieben (siehe Abb. 3.3). Diese
Γ2
c
a
Γ1
a
Abbildung 3.3: Zur isoperimetrischen Ungleichung
Polygonschar konvergiert gegen den Kern von Γ, der aus einem Punkt oder einer Strecke
besteht. Einen Punkt erhält man zum Beispiel, wenn bei diesem Vorgang einmal ein
Dreieck auftritt (der Kern ist dann der Inkreismittelpunkt). Eine Gerade erhält man zum
Beispiel, wenn einmal ein Rechteck auftritt, das kein Quadrat ist. Wir betrachten das
isoperimetrische Defizit
∆(Γi ) := L2i − 4πAi (i = 1, 2)
zweier Polygone Γ1 und Γ2 dieser Schar, bei denen alle Zwischenlagen (nicht notwendig
aber Γ1 und Γ2 ) die gleiche Eckenzahl haben (siehe Abb. 3.3):
1
∆(Γ2 ) = L22 − 4πA2 = (L1 + L̃)2 − 4π(A1 + aL1 + aL̃)
2
27
3 KREIS UND KUGEL
= L21 − 4πA1 + 2L1 (L̃ − 2aπ) +L̃ (L̃ − 2aπ) > ∆(Γ1 ) .
| {z }
| {z }
>0
>0
Das isoperimetrische Defizit nimmt also nach außen streng monoton zu. Wegen ∆(Kern) ≥
0 gilt somit für Polygone L2 − 4πA > 0.
(ii) Aus (i) erhält man durch (keineswegs trivialen!) Grenzübergang (18) für doppelpunktfreie, geschlossene, ebene Kurven.
(iii) Es bleibt zu zeigen, dass in (18) genau dann Gleichheit gilt, wenn c ein Kreis ist.
(⇐) ist klar.
(⇒) Wir zeigen mit Hilfe des Steiner’schen Viergelenkverfahrens:
c nicht Kreis ⇒ „=“ nicht erfüllt .
Sei also c kein Kreis, aber o. E. konvex (siehe oben). Dann gibt es P, Q ∈ c derart,
dass die beiden entstehenden Kurvenbögen c1 und c2 keine Halbkreise sind und P Q die
Kurve halbiert. Für die von ci und P Q begrenzte Fläche Ai (i = 1, 2) gelte A1 ≥ A2 .
Spiegelt man c1 an P Q, erhält man eine von c1 und dem Spiegelbild c1 zusammengesetzte
Kurve, die so lang ist wie c und mindestens die gleiche Fläche berandet (siehe Abb. 3.4).
Da c1 kein Halbkreis ist, gilt <) QRP 6= π2 für mindestens ein R ∈ c1 . Entfernt man
das Innere des Vierecks P RQR, so erhält man ein bewegliches Viergelenk. Bewegt man
es, bleibt die Länge der Randkurve gleich. Die berandete Fläche wird am größten für
Rc
c1
P c
cQ
c1
R
c
Abbildung 3.4: Das Steiner’sche Viergelenksverfahren
<) QRP =<) QRP = π2 (siehe 1.2 Bem. 4). Es gibt also eine Kurve gleicher Länge, die eine
größere Fläche berandet. Daher kann für c in (18) nicht „=“ gelten.
2
3.2
Die Inversion am Kreis
In diesem Abschnitt legen wir die euklidische Ebene E2 zu Grunde.
28
3 KREIS UND KUGEL
Def. Im E2 sei ein Kreis k = k(M, r) gegeben. Dann ist die Inversion am Kreis k
ι : E2 \ {M } → E2 \ {M }
durch folgende Abbildungsvorschrift definiert. Jedem Punkt P 6= M wird der Punkt
Tc
k
Mc
scP
c
scP
?
c
Abbildung 3.5: Inversion am Kreis
P ? ∈ M P + zugeordnet, für den
d(M, P ) · d(M, P ? ) = r 2
gilt. P ? heißt der zu P bezüglich k inverse Punkt.
Aus der Abbildungsvorschrift folgt unmittelbar der
Satz 1 Die Inversion ι am Kreis k = k(M, r) besitzt die folgenden Eigenschaften.
(i) ι ist eine Involution (ι ◦ ι = id), also insbesondere bijektiv.
(ii) Genau die Punkte von k sind Fixpunkte von ι.
(iii) Geraden durch M (ohne M ) werden auf sich abgebildet.
Bem. 1 Bei der Konstruktion des Bildpunktes P ? eines Punktes P ∈ E2 \ k unterscheiden wir zwei Fälle (siehe Abb. 3.5).
• Liegt P im Inneren von k und ist T ein Schnittpunkt von k mit dem Lot von M P
in P , so schneidet die Tangente von k in T die Gerade M P im Bildpunkt P ? . Da die
rechtwinkligen Dreiecke ∆M P T und ∆M T P ? ähnlich sind, gilt nämlich
d(M, P )
d(M, T )
r
d(M, P )
=
=
=
.
r
d(M, T )
d(M, P ? )
d(M, P ? )
• Liegt P außerhalb von k, so hat man obige Konstruktion umzukehren (da ι eine Involution ist). Ist T ein Schnittpunkt des (Thales)kreises über M P mit k, so ist P ? der
Fußpunkt des Lotes von T auf M P .
29
3 KREIS UND KUGEL
Aufgabe: Für d(M, P ) > 2r konstruiere man den bezüglich k(M, r) zu P inversen Punkt
ausschließlich mit dem Zirkel. (Coxeter 1963, S. 106)
Aufgabe: Man zeige: Führt man zunächst eine Inversion am Kreis k(M, r) und anschließend eine Inversion am Kreis k(M, r 0 ) aus, so erhält man eine Streckung mit dem Zentrum
0 2
M und dem Streckungsfaktor rr . (Coxeter 1963, S. 106)
Nach Satz 1 werden Geraden durch M auf sich abgebildet. Die Frage nach Kreisen, die
auf sich abgebildet werden, beantwortet
Satz 2 Seien k = k(M, r) und k 0 zwei verschiedene Kreise sowie ι die Inversion am Kreis
k. Dann sind folgende Aussagen äquivalent.
(i) ι(k 0 ) = k 0 .
(ii) Es gibt Punkte P, Q ∈ k 0 (P 6= Q) mit ι(P ) = Q.
(iii) k und k 0 schneiden sich orthogonal.
k
T c
k0
c
c
M
P
c
c
Q
Abbildung 3.6: Orthogonale Kreise
Beweis: (i) ⇒ (ii)
√
(ii) ⇒ (iii) Wegen ι(P ) = Q liegt M nicht innerhalb von k 0 . Legt man von M aus eine
Tangente an k 0 (Berührpunkt T ), so folgt aus dem Sekanten-Tangenten-Satz (siehe Abb.
3.6)
r 2 = d(M, P ) · d(M, Q) = d2 (M, T ) .
Also gilt T ∈ k, weshalb sich k und k 0 orthogonal schneiden.
(iii) ⇒ (i) Klar nach dem Sekanten-Tangenten-Satz.
2
Aus dem Satz folgt unmittelbar das folgende Korollar (siehe Abb. 3.7).
Korollar (i) Alle Kreise des Büschels durch zwei zueinander inverse Punkte schneiden den
Inversionskreis orthogonal.
A
A
30
3 KREIS UND KUGEL
k
c
M
P
s
s
Q
Abbildung 3.7: Orthogonales Kreisbüschel
(ii) Der zu einem Punkt P bezüglich k = k(M, r) inverse Punkt Q ist der zweite Schnittpunkt
zweier zu k orthogonaler Kreise durch P .
Bem. 2 Das Korollar liefert folgende einfache Konstruktion der Geraden oder des Kreises, der durch einen gegebenen Punkt P geht und zwei gegebene Kreise k(M1 ), k(M2 )
orthogonal trifft. Man konstruiert die inversen Bildpunkte P1 , P2 von P bzgl. k(M1 ) bzw.
k(M2 ) und zeichnet den Kreis (oder die Gerade) durch P, P1 , P2 . Die Konstruktion scheitert für |k(M1 ) ∩ k(M2 )| = 2 und P ∈ k(M1 ) ∩ k(M2 ), da dann der zu konstruierende
Kreis in einen Punkt entartet.
Bisher haben wir lediglich die Bilder spezieller Geraden und spezieller Kreise bestimmt.
Nun soll die Frage nach der Gestalt der Bildmengen von Kreisen und Geraden allgemein
beantwortet werden.
Satz 3 Die Inversion am Kreis k(M ) bildet jede Gerade g nicht durch M auf einen Kreis
durch M (ohne den Punkt M ) ab (und umgekehrt).
Beweis: Es seien
- A ∈ g der Fußpunkt des Lotes von M auf g,
- P ∈ g beliebig,
- A? , P ? die Bilder dieser Punkte (siehe Abb. 3.8).
Dann kann man wie folgt schließen.
d(M, P ) · d(M, P ? ) = d(M, A) · d(M, A? )
⇒
d(M, P )
d(M, A? )
=
d(M, A)
d(M, P ? )
⇒ ∆M AP ∼ ∆M P ? A? (Winkel bei M stimmen überein)
π
⇒ <) M P ? A? = <) M AP =
2
31
3 KREIS UND KUGEL
s
k(M )
Mc
cA
cA
?
cP
s
g
cP
?
Abbildung 3.8: Inverses Bild einer Geraden
⇒ P ? liegt auf dem Thaleskreis kT über M A?
Also gilt ι(g) = kT \ {M }.
Satz 4
M ab.
2
Die Inversion ι am Kreis k(M, r) bildet Kreise nicht durch M auf Kreise nicht durch
Beweis: Es sei k(C) ein Kreis nicht durch M . Sind P, Q die Schnittpunkte einer Geraden
g durch M mit k(C) (siehe Abb. 3.9), so ist nach dem Sehnen- bzw. Sekantensatz
Mc
cP
?
cQ
Pc
g
c
k(D)
c
C
k(C)
Abbildung 3.9: Inverses Bild eines Kreises
p := d(M, P ) · d(M, Q)
unabhängig von der Richtung der Geraden g. Die Streckung mit dem Zentrum M und dem
2
Streckungsfaktor ± rp bildet k(C) auf einen Kreis k(D) sowie den Radius CQ von k(C)
auf einen dazu parallelen Radius DP ? von k(D) ab. Dabei werde das positive Vorzeichen
genau dann gewählt, wenn M außerhalb von k(C) liegt. Aus
d(M, P ? )
d(M, D)
r2
r2
=
=
=
d(M, Q)
d(M, C)
p
d(M, P ) · d(M, Q)
32
3 KREIS UND KUGEL
folgt dann
d(M, P ? ) · d(M, P ) = r 2 .
Da die Vorzeichenwahl P ? ∈ M P + sichert, gilt P ? = ι(P ) und damit k(D) = ι(k(C)). 2
Man beachte, dass im Allgemeinen ι(C) 6= D gilt.
Bem. 3 k(D) = k(C) gilt genau dann, wenn
- k(C) orthogonal zu k(M, r) liegt (siehe Satz 2) oder
- k(C) mit k(M, r) zusammenfällt (siehe Satz 1 (ii)).
Betrachtet man als Winkel zwischen zwei Kurven in einem gemeinsamen Punkt P den
Winkel ihrer Tangenten in P , so gilt der folgende
Satz 5
Die Inversion ι am Kreis k ist winkeltreu.
Beweis: (i) Ist P ∈
/ k und t eine Tangente in P , so gilt t = ι(P )P (für M ∈ t) oder
es gibt einen Kreis durch P und ι(P ), der in P diese Tangente besitzt (für M ∈
/ t). Da
Geraden und Kreise durch P und ι(P ) nach Satz 1 (iii) und Satz 2 auf sich abgebildet
werden, bleibt der Schnittwinkel bei P unter ι erhalten.
(ii) Für P ∈ k betrachten wir die Inversion ι0 an einem zu k konzentrischen Kreis k 0 6= k.
Dann ist ι0 ◦ ι eine Streckung s. Mit ihr gilt
ι = ι0 ◦ ι0 ◦ ι = ι 0 ◦ s .
Da ι0 nach (i) in P winkeltreu ist, ist auch ι in P winkeltreu.
2
Bem. 4 Um eine einheitlichere Darstellung der Inversion am Kreis k(M ) zu erhalten,
führt man einen Punkt ∞ ein und bezeichnet Geraden vermehrt um den Punkt ∞ sowie
Kreise einheitlich als Möbius-Kreise. Mit ι(M ) := ∞ erhält man dann eine winkeltreue
und (Möbius-)kreistreue Abbildung E2 ∪ {∞} → E2 ∪ {∞}, welche zu k(M ) senkrechte
Möbius-Kreise auf sich abbildet. In diesem Sinn ist eine Geradenspiegelung eine spezielle
Inversion.
Aufgabe: Man erkläre den Inversor von Peaucellier. (Coxeter 1963, S. 111)
A
Aufgabe: Man erkläre den Inversor von Hart. (Coxeter 1963, S. 111)
A
Aufgabe: Man zeige: In jedem Dreieck berührt der Neunpunktekreis den Inkreis und die
drei Ankreise. (Coxeter 1963, S. 111)
A
Aufgabe: Man konstruiere einen Kreis, der drei gegebene Kreise berührt (Problem des
Apollonius). Wie viele solche Kreise gibt es?
A
33
3 KREIS UND KUGEL
R
s
Ac
s
cB
a
b
s
S
Abbildung 3.10: Orthogonale Kreise
3.3
Kreisscharen
Bem. 1 Sind k(A), k(B) orthogonale Kreise, so enthält der Thaleskreis kT über AB die
Kreisschnittpunkte R und S (siehe Abb. 3.10). Also gilt für jeden Punkt P ∈ kT genau
eine der folgenden Aussagen.
• P ∈ k(A) ∩ k(B)
• P liegt im Inneren von k(A) und im Äußeren von k(B)
• P liegt im Äußeren von k(A) und im Inneren von k(B)
Sind a, b Geraden mit A ∈ a, B ∈ b und a ⊥ b, so schneiden sie sich auf kT . Daher liegt
für a, b genau einer der folgenden Fälle vor.
(1)
a berührt k(B) und b berührt k(A)
(2)
a schneidet k(B) und b schneidet k(A) nicht
(3) a schneidet k(B) nicht und b schneidet k(A)
Bem. 2 Es gelte nun k(Ai ) ⊥ k(Bj ) (i, j = 1, 2). Für M ∈ k(A1 ) ∩ k(B1 ) betrachten
wir die Inversion an einem Kreis k(M ). Die inversen Bilder k(A1 )? , k(B1 )? sind dann
orthogonale Geraden a1 , b1 . Wegen k(A2 )? ⊥ b1 und k(B2 )? ⊥ a1 liegen die Mittelpunkte
von k(A2 )? und k(B2 )? auf b1 bzw. a1 . Man hat also die Situation von Bem. 1. Danach
liegt genau einer der folgenden Fälle vor.
(1)
a1 berührt k(A2 )? und b1 berührt k(B2 )?
(2)
a1 schneidet k(A2 )? und b1 schneidet k(B2 )? nicht
(3) a1 schneidet k(A2 )? nicht und b1 schneidet k(B2 )?
Da die Inversion bijektiv ist, folgt hieraus, dass für die gegebenen Kreise genau eine der
folgenden Situationen vorliegt.
(1)
k(A1 ) berührt k(A2 ) und k(B1 ) berührt k(B2 )
(2)
k(A1 ) schneidet k(A2 ) und k(B1 ) schneidet k(B2 ) nicht
(3) k(A1 ) schneidet k(A2 ) nicht und k(B1 ) schneidet k(B2 )
34
3 KREIS UND KUGEL
M
3
P
3
k(M )
1
2
2
4
1
4
5
6 s
s 1 2
3
P?
s
5
3
1
2
4
5
Abbildung 3.11: Kreisschar
Bem. 3 Wir betrachten nun die Inversion ι am Kreis k(M ) und die zueinander inversen
Punkte P und P ? . Die Menge der Kreise durch M und P (hyperbolisches Büschel ) wird
durch ι auf das Geradenbüschel durch P ? abgebildet (siehe die durchgezogenen Kreise und
Geraden in Abb. 3.11). Orthogonal zu diesen Geraden liegen die konzentrischen Kreise um
P ? . Ihre Urbilder sind Kreise, die zu allen Kreisen des hyperbolischen Büschels orthogonal
sind (elliptisches Büschel ). Nach 3.2 Satz 1 (i) sind je zwei dieser Kreise disjunkt.
Lässt man P gegen M gehen, wird aus dem hyperbolischen Büschel die Menge aller Kreise,
die eine feste Gerade g in M berühren (parabolisches Büschel ). Ihre Bilder sind die zu
g parallelen Geraden (g wird auf sich abgebildet; siehe Abb. 3.12). Die dazu orthogonale
Geradenschar besitzt als Urbilder wieder ein parabolisches Büschel, dessen Kreise zu allen
Kreisen des Ausgangsbüschels orthogonal sind.
Zwei im obigen Sinn orthogonale Kreisbüschel heißen konjugiert.
Satz 1 Zwei Kreise k1 , k2 gehören zu genau einem elliptischen, hyperbolischen oder parabolischen Kreisbüschel.
Beweis: Für |k1 ∩ k2 | ≥ 1 ist die Aussage klar. Für k1 ∩ k2 = ∅ bestimmt man gemäß 3.2
Bem. 2 zwei Kreise, die k1 und k2 senkrecht schneiden. Nach Bem. 2 schneiden sich diese
Kreise und ihre Schnittpunkte A, B sind sowohl bzgl. k1 als auch bzgl. k2 zueinander invers
(siehe 3.2 Kor. (ii)). Also stehen alle Kreise des hyperbolischen Büschels durch A und B
auf k1 , k2 senkrecht, die damit zum dazu konjugierten elliptischen Büschel gehören. Bleibt
noch die Eindeutigkeit zu zeigen. Sind k1 und k2 konzentrisch, so entartet das hyperbolische Büschel zum Geradenbüschel durch den gemeinsamen Kreismittelpunkt. Andernfalls
35
3 KREIS UND KUGEL
1
2
3
4
1
2
k(M )
2
1
2
1
s
4
3
g
4
3
3
4
Abbildung 3.12: Kreisschar
liegen A, B auf der Verbindungsgeraden der Kreismittelpunkte und sind damit eindeutig
bestimmt. (Da sich zwei beliebige Orthogonalkreise auf dieser Geraden schneiden müssen,
können diese Schnittpunkte nicht von der Wahl der Orthogonalkreise abhängen.)
2
Satz 2 (Schließungssatz von Steiner) Gegeben seien zwei Kreise k, k 0 so, dass k ganz
im Inneren von k 0 liegt. Gibt es eine berührende Kreiskette k1 , . . . , kN so dass
- ki den Kreis k von außen und k 0 von innen berührt (i = 1, . . . , N ),
- kj den Kreis kj+1 (j = 1, . . . , N − 1) sowie kN den Kreis k1 berührt,
so kann jeder Kreis, der k von außen und k 0 von innen berührt, zu einer solchen Kette ergänzt
werden.
Beweis: Sind k und k 0 konzentrisch, so ist die Aussage klar. Andernfalls betrachtet man
das elliptische Büschel, zu dem k, k 0 gehören, und das dazu konjugierte hyperbolische
Büschel. Führt man die in Bem. 3 beschriebene Inversion durch, werden k, k 0 auf zwei
konzentrische Kreise abgebildet, für die die Aussage wieder klar ist.
2
Aufgabe: Der Kreis k berühre den Kreis k 0 in einem Punkt P ∈ k 0 von innen. Man zeige,
dass jeder Kreis, der k und k 0 in einem von P verschiedenen Punkt berührt, auf genau
zwei Arten zu einer unendlichen berührenden Kreiskette gemäß Satz 2 ergänzt werden
kann. (Brannan et al., S. 260)
A
36
3 KREIS UND KUGEL
3.4
Die stereographische Projektion
In diesem Abschnitt legen wir den dreidimensionalen euklidischen Raum E3 zu Grunde.
Bem. Bevor wir uns der stereographischen Projektion zuwenden, sollen einige Begriffe
bereitgestellt bzw. wieder aufgefrischt werden. Wir gehen aus von einer Sphäre Σ mit dem
Mittelpunkt M und dem Radius R (siehe Abb. 3.13).
Csc
B̄ sc
csĀ
c
M
sc
sc
A
B
sc
C̄
Abbildung 3.13: Kugelzweieck und Kugeldreieck
(i) Ein Kugelkreis, dessen Radius mit dem Kugelradius übereinstimmt (dessen Mittelpunkt also mit dem Kugelmittelpunkt zusammenfällt), heißt Großkreis.
(ii) Sind A, B ∈ Σ keine Gegenpunkte oder Antipoden (ist also AB kein Kugeldurchmesser), so gibt es genau einen Großkreis durch A und B (nämlich den von der Ebene
ABM aus Σ ausgeschnittenen).
(iii) In der Differentialgeometrie wird gezeigt: Sind A, B keine Gegenpunkte, so ist die
kürzeste Verbindung von A und B (auf Σ) der eindeutig bestimmte kleinere Großkreisbogen zwischen A und B. Hat Σ den Radius 1, so hat dieser die Länge <) AM B, wenn man
diesen Winkel im Bogenmaß misst. Man bezeichnet daher
e(A, B) = <) AM B ∈ [0, π]
(19)
als sphärischen Abstand dieser Punkte.
(iv) Durch zwei Gegenpunkte A, B gehen unendlich viele Großkreise. Je zwei definieren ein
Kugelzweieck oder sphärisches Zweieck. Der Winkel α zwischen den Trägerebenen
der Großkreise, also der gemeinsame Schnittwinkel der (Tangenten der) Großkreise in A
und B, heißt der Winkel des Zweiecks. Durch α ist die Gestalt des Zweiecks festgelegt.
Seine Fläche F beträgt
α
F = 4R2 π ·
= 2R2 α .
(20)
2π
37
3 KREIS UND KUGEL
(v) Liegen A, B, C nicht auf demselben Großkreis, so definieren die Großkreise durch je
zwei dieser Punkte eine Kugeldreieck oder sphärisches Dreieck, das durch die Forderung (19) eindeutig wird. Die Seiten dieses Dreiecks sind dann a =<) BM C, b =<) AM C,
c =<) AM B. Die Winkel α, β, γ des Dreiecks sind definiert als die Winkel zwischen den
Trägerebenen der Großkreise (also die Winkel zwischen ihren Tangenten in den Schnittpunkten). Das Dreieck besitzt die Fläche
F∆ = R2 (α + β + γ − π) .
Zum Beweis betrachten wir neben A, B, C die Gegenpunkte Ā, B̄, C̄. ∆ABC bildet mit
∆ĀBC ein Zweieck mit dem Winkel α mit ∆AB̄C ein Zweieck mit dem Winkel β, und
mit ∆AB C̄ ein Zweieck mit dem Winkel γ. Vertauscht man gestrichene und ungestrichene
Größen, so erhält man kongruente Dreiecke und drei weitere Zweiecke mit diesen Winkeln.
Σ ist die Vereinigung der sechs Zweiecke, wobei ∆ABC und ∆ĀB̄ C̄ jeweils dreimal gezählt
wurden. Also gilt nach (20)
4R2 π + 4F∆ = 2 · 2R2 (α + β + γ) .
(vi) Ist Z ∈ E3 ein Punkt außerhalb von Σ, so bilden die Tangenten von Z an Σ einen
Drehkegel mit der Spitze Z und der Achse ZM , der Σ längs eines Kreises berührt. Für
beliebige Berührpunkte A, B gilt daher d(A, Z) = d(B, Z).
Def. Im E3 seien gegeben
- eine Sphäre Σ (Mittelpunkt M ),
- ein Punkt N ∈ Σ („Nordpol“),
- eine zu M N senkrechte Ebene π, die N nicht enthält, also eine zur Tangentialebene an
Σ in N parallele, aber davon verschiedene Ebene (etwa die „Äquatorebene“ oder die im
„Südpol“ berührende Ebene).
Dann ist die stereographische Projektion aus N
σ : Σ \ {N } → π
durch folgende Abbildungsvorschrift definiert (siehe Abb. 3.14). Jedem Punkt P ∈ Σ\{N }
wird der Schnittpunkt der Geraden P N mit π als Bildpunkt P ? = σ(P ) zugeordnet. (σ
ist wohldefiniert, da P N für kein P ∈ Σ \ {N } zu π parallel ist.)
Um Eigenschaften dieser Abbildung nachzuweisen, liegt es nahe, analytisch vorzugehen,
also ein Koordinatensystem einzuführen und damit Gleichungen von Σ und π aufzustellen.
Dass es auch koordinatenfrei (und damit anschaulicher) geht, zeigen wir im Beweis des
folgenden Satzes.
Satz Die stereographische Projektion
σ : Σ \ {N } → π
besitzt die folgenden Eigenschaften.
(i) σ ist bijektiv.
38
3 KREIS UND KUGEL
c
N
c
P
π
c
Pc ?
M
c
c
cS
Abbildung 3.14: Stereographische Projektion in die Äquatorebene
(ii1 ) Kugelkreise durch N (ohne N ) werden auf Geraden abgebildet.
(ii2 ) Das Urbild jeder Geraden in π ist ein Kreis durch N (ohne N ).
(iii) σ ist winkeltreu.
(iv1 ) Kugelkreise, die N nicht enthalten, werden auf Kreise abgebildet.
(iv2 ) Das Urbild jedes Kreises in π ist ein Kreis, der nicht durch N geht.
Beweis: (i)
√
(ii) Jeder Kugelkreis durch N (ohne N ) wird auf die Schnittgerade seiner Trägerebene
mit π abgebildet. Umgekehrt ist das Urbild einer Geraden g ⊂ π der Kreis, den die von
N und g aufgespannte Ebene aus Σ ausschneidet (ohne N ).
(iii) Wir betrachten Kurven c1 , c2 ⊂ Σ \ {N }, die sich im Punkt P schneiden und dort
die Tangenten tP1 , tP2 besitzen. Für i = 1, 2 schneidet dann die von N und tPi aufgespannte
Ebene einen Kreis ki aus Σ aus, der in P ebenfalls die Tangente tPi besitzt, dort also ci
berührt. Wir können daher für die Untersuchung der Winkeltreue ci durch ki ersetzen.
k1 und k2 schneiden sich in P und N unter demselben Winkel. Für die Tangenten tN
i von
ki in N (i = 1, 2) gilt daher
N
α := <) (tP1 , tP2 ) = <) (tN
1 , t2 ) .
σ(ki \ {N }) ist die Schnittgerade der Trägerebene εi von ki mit π. tN
i ist die Schnittgerade
von εi mit der Tangentialebene τ von Σ in N . Wegen τ kπ gilt also
tN
i k σ(ki \ {N })
und damit
α = <) σ(k1 \ {N }) , σ(k2 \ {N }) .
(iv) Sei k ⊂ Σ \ {N } ein Kreis und Γ der zugehörige Berührkegel (Spitze Z). Ferner sei
D der Durchstoßpunkt der Geraden N Z durch Σ \ {N }. Für P ∈ k schneidet die Ebene
N ZP aus Σ einen Kreis kP (durch D, N, P ) aus, der in P die Tangente P Z besitzt (siehe
39
3 KREIS UND KUGEL
cN
c
kP
D
c
c
Γ
P
Σ
k
cZ
c
Abbildung 3.15: Zur Kreistreue der stereographischen Projektion
Abb. 3.15; in dieser Abbildung blicken wir so auf Σ, dass k als Strecke erscheint und N auf
dem Kugelumriss liegt). Da P Z den Kreis k senkrecht trifft (in einem Drehkegel trifft jede
Erzeugende jeden Breitenkreis rechtwinklig), trifft auch kP den Kreis k senkrecht. Wegen
der Winkeltreue von σ schneidet somit auch die Bildgerade σ(kP ) die Bildkurve σ(k)
rechtwinklig. Jede Bildgerade σ(kP ) enthält außerdem den Punkt σ(D). Die Bildkurve
σ(k) isth daher Orthogonaltrajektorie der Geraden durch den festen Punkt σ(D), also ein
Kreis. Wir betrachten ohne Einschränkung die Geraden
λ
cos t
sin t
, λ ∈ R , t ∈ [0, 2π[
durch O. Eine Orthogonaltrajektorie ~x (t) besitzt die Darstellung
cos t
~x (t) = λ(t)
sin t
d~x
mit ~x˙ :=
⊥ ~x , also mit
dt
cos t
sin t
i
woraus λ̇ = 0 oder λ = const folgt.
0 = h~x˙ , ~x i = hλ̇
+λ
− sin t
cos t
,λ
cos t
sin t
i = λ̇λ ,
40
3 KREIS UND KUGEL
Ist umgekehrt k ⊂ π ein Kreis, so betrachten wir drei verschiedene Punkte A, B, C ∈ k.
Die Ebene durch ihre Urbilder schneidet Σ in einem Kreis k, dessen Bildkreis die Punkte
A, B, C mit k gemeinsam hat, also mit k zusammenfällt. Somit gilt k = σ −1 (k).
2
Grundkonstruktionen zur stereographischen Projektion
Bei den folgenden Konstruktionen seien stets der Radius von Σ, das Bild S ? des Gegenpunkts S von N (also der Fußpunkt das Lotes von N auf π) sowie die Abstände der
Punkte N und M von der Bildebene π gegeben.
cN
cA
Mc
G c
?
G c s
cS
c
c
?
s
cA
M
N
?
π
Abbildung 3.16: Zur Grundkonstruktion (a)
(a) Zu einem Bildpunkt A? ist das Bild G? des Gegenpunkts G von A zu konstruieren.
Als Schnittpunkt der Geraden AM mit Σ liegt G in der Ebene N AM . Diese klappt man
um ihre Schnittgerade S ? A? mit π in die Ebene π hinein. Die Abbildung 3.16 zeigt den
Sachverhalt. In Abbildung 3.17 ist die Konstruktion durchgeführt.
G?c
G
cS
?
cA
?
c
cM
c
A
c
N
Abbildung 3.17: Grundkonstruktion (a)
(b) Zu den Bildern A? , B ? ist das Bild k ? des Großkreises k von Σ durch A und B zu
konstruieren.
Der gesuchte Kreis k hat den Mittelpunkt M und enthält daher auch die Gegenpunkte
von A und B. Man konstruiert nach (a) das Bild G? eines Gegenpunktes und dann k ? als
41
3 KREIS UND KUGEL
Kreis durch A? , B ? , G? .
(c) Zu den Bildern A? , B ? der Punkte A, B ist der wahre sphärische Abstand von A und
B (also der Großkreisbogen von A nach B) zu konstruieren.
Bild des Äquatorkreises
c
cs c
S?
G?c
c
cA
c
c
?
A?0
s
c
c
M
c
c
B0?
N
k?
B? c
Abbildung 3.18: Grundkonstruktion (c)
Da der Großkreisradius bekannt ist, genügt es, den Winkel <) AM B in wahrer Größe zu
konstruieren. Der Großkreis k durch A und B trifft den Äquatorkreis in zwei Gegenpunk_
ten U, V . Um den wahren Winkel des Bogens AB zu erhalten, dreht man k um U V in
den Äquatorkreis. Die Tangente t von k im Punkt A trifft U V in einem Punkt Z. Bei
der Drehung bleibt Z fest. t wird daher zur Tangente an den Äquatorkreis durch Z. Ihr
Berührpunkt ist die Drehlage A0 des Punktes A. In Abb. 3.18 ist die Konstruktion durchgeführt. Zu Grunde liegen die Gegebenheiten von Abb. 3.17. Die Gegenpunkte U ? , V ?
sind schwarz eingezeichnet.
(d) Es ist der Schnittwinkel zweier Kreise zu konstruieren.
Wegen der Winkeltreue ist dies der Schnittwinkel der Bilder.
(e) Aus den Bildern A? , B ? , C ? ist die wahre Gestalt des Kugeldreiecks ABC (also die
Seitenlängen und Winkel) zu konstruieren (siehe Bem. (v)).
Konstruktion (b) liefert die Bilder der Großkreise und damit (siehe (d)) die Winkel des
Dreiecks; (c) liefert die Seitenlängen.
Herunterladen