Pilze im Getreide – gelten die alten Regeln noch?

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Pilze im Getreide –
gelten die alten Regeln noch?
Sind gängige Aussagen zu Getreidekrankheiten
heute noch aktuell? Dr. Ute Kropf und Prof. Dr. Klaus Schlüter,
Fachbereich Agrarwirtschaft, FH Kiel, Osterrönfeld, haben das überprüft.
U
nsere Kenntnisse über wichtige
Krankheitserreger im Getreide
müssen laufend der biologischen
Entwicklung angepasst werden. Geradezu erschreckend wirken oft zitierte Aussagen in Lehrbüchern, die seit Jahrzehnten nicht mehr aktualisiert wurden. Einige der typischen „alten“ Kernaussagen
haben wir anhand heutiger Erkenntnisse
überprüft.
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kurrenzstarke Erreger wie Rhizoctonia
oder Fusarien zunehmend begünstigt.
Hinzu kommen einige anbautechnische Veränderungen: Die kontinuierliche
Vorverlegung der Weizensaat in den September lässt die Pflanzen in ein völlig anderes Witterungsgefüge hineinwachsen.
Bis Mitte der Bestockung sind die Bestände deutlich höheren Bodentemperaturen und trockeneren Bedingungen ausgesetzt. Dadurch hat sich das Erregerspektrum der Halmbasiserkrankungen zu
Rhizoctonia cerealis, dem Erreger des
„Spitzen Augenflecks“ verschoben.
Dass frühzeitiger Rhizoctonia-Befall
nicht unbedingt ertragsschädigend wird,
liegt meist in der guten Nebenwirkung einiger Blattfungizide, wenn sie zu Schossbeginn eingesetzt werden. In gesunden
(trockenen) Jahren wie 2006, kann es deshalb zu großflächigen Schäden kommen,
wenn die erste Fungizidmaßnahme weit
hinausgezögert wird. 2006 hatte dadurch
der Spitze Augenfleck – vor allem in Sorten wie Dekan – eine mehr als 50% stängelumfassende Ausbreitung erreicht. Der
Schaden liegt dann im günstigsten Fall
bei 10 bis 20 % Minderertrag.
Bricht der Halm,
ist es Halmbruch
Diese Aussage war in den 1970er und
1980er Jahren aktuell, als Halmbruch ein
verbreiteter Schadpilz war, der bei starkem Befall die Halmbasis durchmorschte
und zu vorzeitig abknickenden Halmen
führte. Aufgrund veränderter Anbaubedingungen stehen heute eher andere
Halmbasiserkrankungen im Fokus.
Der Halmbruchpilz (Pseudocercosporella herpotrichoides) verbreitet sich über
Sporen, die bei kühl-feuchtem Wetter (5 bis 10 °C) am Myzel auf den Stoppelresten gebildet werden, um dann durch
Regenspritzer an die Halmbasis zu gelangen. Frühe Infektionen in einem nasskalten Herbst führten zu höheren Ertragseinbußen als die Frühjahrsinfektionen.
Diese Bedingungen waren bei Oktoberund Novembersaaten in Verbindung mit
höheren Saatstärken und stärkerer Andüngung häufig gegeben.
Die wirksame Unterdrückung des parasitären Halmbruchs durch Fungizide in
den letzten Jahrzehnten hat dazu geführt,
dass er als schwacher Konkurrent ausgeschaltet wurde. Stattdessen werden kon-
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Weißährigkeit wird durch Pilze verursacht, die die Wurzeln und die Halmbasis
befallen. Neben Schwarzbeinigkeit kommen dafür aber auch parasitärer Halmbruch,
Rhizoctonia und Stängelfusarien in Frage.
Dieser Pilz überdauert nicht nur als
Myzel an Stoppelresten, sondern auch
mehrjährig durch langlebige Sklerotien
im Boden. Bodentemperaturen zwi- schen 15 und 20 ° C sind optimal für eine Infektion; trocken fallende Böden
(20 bis 50 % nutzbare Feldkapazität) fördern den Übergang des Erregers vom
Boden auf die Pflanze. Trockene Bedingungen während der Schossphase forcieren nach einer Herbstinfektion die mas- sive Ausbreitung am Halm bis zum zweiten und dritten Internodium.
Erleiden derart vermorschte Bestände
auch nur ein leichtes Unwetter, kommt es
zum Totallager. Anders als bei wetterbedingtem Lager strecken sich die krankhaft vermorschten Halme danach nicht
mehr nach oben, es kommt zu großflächigen Ausfällen.
Rhizoctonia hat einen großen Wirtspflanzenkeis, zu dem auch Ackerbohnen,
Rüben und Kartoffeln gehören. Getreide
in Hackfruchtfolgen ist deshalb gerade
bei früher Aussaat durch den Spitzen Augenfleck gefährdet.
Die wichtigsten Halmbasiserreger im Vergleich (von links): Parasitärer Halmbruch (Pseudocercosporella herpotrichoides), frühes
Symptom des Spitzen Augenflecks (Rhizoctonia), spätes Symptom von Rhizoctonia sowie Stängelfusarium.
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Verbräunte Knoten
sind Stängelfusarium
Fusarien, die den Halmgrund besiedeln, treten häufiger auf als oft angenommen wird. Sie sind aber sehr schwer zu diagnostizieren. Seitdem neue molekularbiologische Methoden auch zum Nachweis
von Pilzkrankheiten eingesetzt werden,
können Erreger in kleinsten Gewebestücken bestimmt oder ihr Wachstum in der
Pflanze durch raffinierte mikroskopische
Techniken verfolgt werden.
Bei unseren Freilanderhebungen waren in den zurückliegenden Jahren völlig
symptomfreie Halme immerhin zu 30%
von Fusarien befallen. Andere Halme, die
außen strichelartige bis flächige Verbräunungen und teilweise verbräunte Knoten
zeigten, waren ebenfalls nur zu 30% von
Fusarien besiedelt. Die Ergebnisse unserer Untersuchungen zeigen sehr deutlich,
dass eine Verbräunung allein kein sicheres
Indiz ist, denn auch symptomlose Pflanzen
können bereits infiziert sein.
Neuere Untersuchungen belegen unsere Befunde: Fusarien können zunächst
symptomlos in den Leitbahnen wachsen.
Erst wenn sie den Zellverband nach außen durchdringen, verursachen sie auch
Symptome. Die Pflanze reagiert auf den
Angriff des Pilzes nämlich mit der Abtötung ihrer Zellen, was sich in einer Verbräunung äußert. Die Symptome sind
sehr unspezifisch und können auch auftreten, wenn Sporen anderer Erreger von
den meist sehr steil stehenden Blättern
durch Tau oder leichte Niederschläge an
die Halmbasis gelangen – die Verwechslung ist vorprogrammiert!
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Weißährigkeit ist
Schwarzbeinigkeit
Weißährigkeit tritt nesterartig oder
verstreut über den Schlag auf. Die Symptome sind ein Zeichen dafür, dass die
Leitbahnen vorzeitig durch einen tief unten am oder im Halm sitzenden Schaderreger verstopft wurden. Beim Anbau von
Monoweizen ist die Weißährigkeit meist
eine Folge des massiven Befalls mit
Schwarzbeinigkeit (Gaeumannomyces
graminis). Hier trifft die obige Aussage
zu. Aber auch andere Erreger verursachen dieses Symptom.
In Fruchtfolgeweizen ist Rhizoctonia
cerealis, der Erreger des Spitzen Augenflecks, eine häufige Ursache für Weißährigkeit. Bei günstigen Befallsbedingungen
können vereinzelt auch parasitärer Halmbruch (Pseudocercosporella herpotricho-
ides) oder Stängelfusarium (Fusarium
culmorum) beteiligt sein.
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Gelbrost ist das Kind
der Küste …
„…und der Braunrost das der Wüste.“
Diese Aussage steht noch in so manchem
Lehrbuch. Aber auch hier sind Änderungen angebracht. Wegen der unterschiedlichen Klimaansprüche trat der Gelbrost
früher vorwiegend in den kühl-maritimen
Regionen auf, während Braunrost in den
Kontinentallagen zu Hause war. Seit dem
Jahr 2000 kommen über Nordamerika
und Dänemark neue Gelbrostrassen nach
Mitteleuropa. Diese entwickeln sich bei
deutlich wärmeren Temperaturen (12 bis
28 °C), haben eine um bis zu 3 Tage kürzere Generationsfolge und produzieren
50% mehr Sporen als der an kühle Witterung angepasste Gelbrost.
Im Herbst und Frühjahr während der
Bestockungsphase sind Gelb- und Braunrost kaum voneinander zu unterscheiden.
Das Gewebe ist noch weich und beide
Rostarten präsentieren sich als wahllos
über das Blatt verteilte braune Pusteln.
Erst in der Schossphase bildet Gelbrost
die typisch gelbstreifigen Sporenlager.
Im Hinblick auf die Bekämpfung ist
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Mehltau tritt
immer
häufiger auf
der Blattunterseite auf,
wo er vom
Spritznebel
nicht erreicht
wird.
Fotos:
landpixel,
Kropf (3),
Schlüter (4)
Neue Gelbrostrassen kommen seit einigen Jahren über Nordamerika nach Europa. Sie sind an höhere Temperaturen besser
angepasst und haben eine schnellere Vermehrungsrate.
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Blattdürre (Septoria
tritici) und Spelzenbräune (Septoria
nodorum) sind erst
an fortgeschrittenen
Symptomen zu
unterscheiden.
Eine frühe Diagnose
ist nur anhand der
Sporen sicher möglich, nicht jedoch
durch die Farbe der
Pyknidien.
die genaue Differenzierung dieser Erreger nicht notwendig, da die relevanten
Wirkstoffe für beide Rostarten gleichermaßen wirksam sind. Allerdings machen
die veränderten Temperaturansprüche
und Vermehrungsraten eine Aktualisierung unseres Wissens über Bekämpfungszeitpunkt und -schwellen erforderlich.
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Mehltau wächst nur auf
der Blattoberseite
Echter Mehltau war bislang auf Getreideblättern überwiegend auf der Blatt­
oberseite zu sehen. Seitdem sich der
Wirkstoffeinsatz gegen Mehltau von den
Morpholinen zu anderen Wirkstoffen
verschoben hat, findet sich Echter Mehltau auch zunehmend auf der Blattunterseite. Auf der Oberseite ist oft nur ein
gelber Fleck zu erkennen, während sich
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auf der Unterseite die Mehltaupusteln
ungehindert entwickeln.
Die „alten“ Morpholine (z.B. Calixin,
Corbel) hatten einen deutlich höheren
Dampfdruck als Azole, Strobilurine und
moderne Wirkstoffe. Das schränkte ihre
Applikation bei wärmeren Temperaturen
zwar ein, hatte aber den Vorteil, dass die
Gasphase auch die unteren Blattseiten
erreicht.
Die Spritzbrühe aktueller Düsen benetzt die Oberflächen sehr gut und die
Wirkstoffe verrichten exakt dort ihre Arbeit. Tiefer gelegene Blattetagen, die
früher durch den verdampfenden Wirkstoff vom Mehltau befreit wurden, bleiben aber ungeschützt. Daher wird nicht
nur Mehltau am Halm (Blattscheiden),
sondern auch auf den Blattunterseiten zu einer ständigen Quelle für Neuinfek- tionen.
Blattseptoria verbreitet
sich nur bei Regen
Als in den 1980er Jahren die Populationsdynamik von Septoria tritici erforscht
und anhand von Witterungsdaten modelliert wurde, waren die Weizensorten noch
langstrohig und hatten überwiegend eine
waagerechte Blatthaltung. Damit die Septoria-Sporen von einer Blattetage zur
nächst höheren gelangen konnten, mussten sie durch Regenspritzer transportiert
werden. Deshalb galt damals in den Prognosemodellen eine Niederschlagsmenge
von 5 mm als Grenze für den Beginn einer epidemischen Verbreitung von einer
Blattetage zur anderen.
Die heutigen Kurzstroh-Sorten haben
meist eine aufrechte Blatthaltung und wesentlich kürzere Internodien. Dadurch berühren sich übereinander stehende Blattetagen direkt. Den Sporen reicht daher bereits ein kontinuierlicher Wasserfilm, um
auf das nächste Blatt zu gelangen!
Während anfangs von 48 Stunden
Blattnässedauer ausgegangen wurde, weiß
man heute, dass die zur erfolgreichen Infektion notwendige Blattnässedauer mit
zunehmender Lufttemperatur sinkt. Bei
entsprechend warmem Wetter und Blattfeuchte reicht den Sporen schon eine Inkubationszeit von 20 Stunden! Für die erfolgreiche Besiedlung der nächsten Blattetage genügt dabei oft schon der direkte
Kontakt, z.B. bei Reibung durch Wind
oder beim Schieben des nächsten Blattes.
Auf vielen Standorten kommt Winterweizen bereits mit deutlich erkennbaren
Infektionen aus dem Winter, die sich bei
geeigneter Witterung weiter ausbreiten.
Mit Prognosesystemen (z.B. ProPlant)
lässt sich die Wahrscheinlichkeit der Infektion bestimmen und mit zeitgerechtem
Einsatz von breit wirkenden systemischen
Fungiziden eine lang anhaltenden Verringerung des Befallsdruckes erreichen.
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Fruchtkörper der Spelzenbräune sind honigbraun
Vor allem in den süddeutschen Anbaulagen ist eine Unterscheidung der
Septoria-Arten wichtig. Der Erreger der
Blatt- und Spelzenbräune (Septoria
­nodorum) kann auf die Ähre übergehen
und das Saatgut infizieren. Dagegen
wirkt sich der Schaden durch Blattdürre
(Septoria tritici) allein auf dem Blattapparat und die hier gebildeten Assimilate
aus.
Die Farbe der Fruchtkörper (Pyknidien) der Septoria-Arten hängt stark von
ihrem Reifezustand ab, nicht so sehr dagegen von der Art! Deshalb bereitet die
Unterscheidung der beiden Septoria-Arten im Weizen oft Probleme. Junge Pyknidien – auch der Blattseptoria – sind
heller und honigbraun und werden mit
zunehmendem Reifegrad dunkler und
braun bis schwarz.
Eine eindeutige Unterscheidung der
Septoria-Arten ist nur möglich, wenn
man einen Fruchtkörper aus dem Gewe-
be herausnimmt und die ausgequetschten
Sporen unter dem Lichtmikroskop analysiert. Diese Maßnahme ist aber auf dem
Feld gar nicht möglich. Deshalb verlässt
man sich oft auf die vermeintlich typische
Farbe der Fruchtkörper.
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Nur die obersten drei
Blätter gesund halten
Für die Kornausbildung ist das völlig
richtig: Die letzten drei Blätter und die
Ähre leisten den wesentlichen Beitrag
zur Kornfüllung. Ein großes Korn ist jedoch nur ein Teil des Ertrages, der bei
heutigen Sorten immer stärker von der
Korndichte (Körner/m2) bestimmt wird.
Mit dem alleinigen Blick auf die Gesundheit der drei obersten Blätter wurden die Bestände früher oft bis zum Fahnenblattschieben vernachlässigt. Dann
folgten aufwändige Fungizidbehandlungen, die aber aufgrund der schon vorhandenen Infektionen, keinen durchgreifenden Erfolg mehr bringen konnten.
Wichtig bleibt somit, Krankheitsepidemien rechtzeitig zu stoppen, um Infektionen auf den drei obersten Blättern vollständig zu verhindern!
Wir halten fest
n Gute Kenntnisse der Biologie unserer Krankheitserreger sind nicht nur die
Grundlage für einen effektiven Pflanzenschutz, sondern auch der Garant für
eine ökonomisch überzeugende Bestandesführung.
n Die optimale Korndichte wird für die
Ertragssicherung immer wichtiger. Ihre
Festlegung erfolgt zwischen Bestockung
und dem Ein- bis Zwei-Knoten-Stadium (BBCH 31/32). Bestände, die in dieser Phase in Krankheiten untergehen,
entwickeln keine ausreichenden Korndichten. Das kennen wir von Wintergerste, die seit der Indikationszulassung
im Herbst nicht mit Blattfungiziden behandelt werden darf.
n Fehlende Korndichte lässt sich nicht
kompensieren. Auch wenn man mit hohem Fungizidaufwand versucht, die
Kornausbildung zu verbessern, ist das
selten wirtschaftlich. Hinzu kommt das
Risiko, während der Kornfüllung in eine
Trockenphase zu geraten. Trotz des hohen Fungizidaufwands enttäuschen deshalb viele Bestände beim Ertrag.
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