Einführung - Universität Greifswald

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Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
Finanzwissenschaft 1
Einführung
 Wo begegnet uns der Staat?
 Rahmen für Tauschprozesse
• Rechtliche Voraussetzungen
– Schutz des Privateigentums
– (Einhaltung von) Vertragsbedingungen
• Gewährleistung und Sicherung von Wettbewerb auf den Märkten
 (Organisation der) Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen
• Energie- und Wasserversorgung
– Eigene Bereitstellung
– Regulierung der Bereitstellung durch private Unternehmen
• Infrastruktur
– Öffentlicher Nahverkehr
– Straßenbau
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Finanzwissenschaft 1
Einführung
• Bildung
– (Hoch-)Schulen
– BAFöG
 Stabilisierung
• im Falle von (starken) Konjunkturschwankungen
• im Falle von systemischen Krisen
 Einfluss auf die Tauschbedingungen
• Besteuerung oder Subventionierung von Gütern
• Mengen- oder Preisregulierungen
 Verteilung
• Korrektur der Verteilung der Markteinkommen
• Armutsbekämpfung
• Gewährleistung von Chancengleichheit
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Finanzwissenschaft 1
Einführung
 Zahlreiche und vielfältige Einflüsse auf
 Individuen
 Unternehmen und private Organisationen ohne Erwerbszweck
 Zentrale Aspekte:
 Ziele und Instrumente des staatlichen Handelns
 Vor- und Nachteile im Vergleich zu Alternativen
 Ausgangspunkt: Wohlfahrtsökonomik. Annahmen:
 Nutzenmaximierende Individuen. Jede Einheit eines Gutes kann jeweils nur einem
Individuum zusätzlichen Nutzen stiften, ansonsten keine weiteren Effekte
 Gewinnmaximierende Unternehmen. Jede Einheit eines Faktors liefert jeweils nur
einem Unternehmen ein (positives) Grenzprodukt, ansonsten keine weiteren Effekte
 Wesentliche Fragen:
 Welche Allokationen sind erreichbar?
 Welche Allokationen sind günstig (effizient)?
 Wie können effiziente Allokationen realisiert werden?
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Einführung
 Wie kann es zu einer effizienten Allokation kommen?
 1. Hauptsatz der Wohlfahrtstheorie:
• Wichtige Voraussetzung: Alle Güter und sämtliche Produktionsfaktoren werden
auf Wettbewerbsmärkten getauscht
• Aussage: Wettbewerbs-Gleichgewichte sind Pareto-effizient
 Zum Konzept des Wettbewerbsmarkts:
• Kennzeichen: Ein einzelner Anbieter oder ein einzelner Nachfrager übt keinen
spürbaren Einfluss auf den Marktpreis aus
• Folge: Preis als Datum für Anbieter und Nachfrager
 Welche effizienten Allokationen können realisiert werden?
 2. Hauptsatz der Wohlfahrtstheorie: Jede Pareto-effiziente Allokation kann als
Wettbewerbs-Gleichgewicht nach einer geeigneten Umverteilung der
Anfangsausstattungen realisiert werden
 Zusätzliche Voraussetzung: Konvexität der individuellen Präferenzen sowie der
Technologiemengen der Unternehmen
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Einführung
 Rolle des Staates in dieser „einfachen“ Welt:
 Bereitstellung eines funktionierenden rechtlichen Rahmens für Transaktionen
(Definition, Schutz und Überwachung z.B. von Eigentumsrechten)
 Organisation von Wettbewerbsmärkten (Verhinderung oder Beseitigung von
Marktmacht)
 (ggf.) Umverteilung durch Umverteilung der Anfangsausstattungen
 Aber: Die Voraussetzungen der o.a. Analyse nicht immer erfüllt!
 Probleme (Effizienz):
 Gleichzeitiger Konsum derselben Einheit eines Gutes durch mehrere Individuen
möglich (z.B. Straße, Deich)
 Die Produktion eines Gutes kann auch bei anderen, an einer Transaktion unbeteiligten
Wirtschaftseinheiten Effekte hervorrufen (z.B. Umweltverschmutzung)
 Informationsasymmetrien zwischen Anbietern und Nachfragern können dazu führen,
dass im Prinzip vorteilhafte Transaktionen auch auf Wettbewerbsmärkten unterbleiben
(z.B. adverse Selektion bei der Krankenversicherung)
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Finanzwissenschaft 1
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Einführung
 Probleme [(Um-)Verteilung]:
 Relevante Anfangsausstattungen der Individuen (z.B. mit Fähigkeiten) im allgemeinen
nicht bekannt
 Individuen haben außerdem ohne weitere Vorkehrungen keinen Anreiz, diese
Information zu enthüllen
 Tatsächliche Umverteilung
• muss daher auf Ergebnisse von Tauschprozessen (z.B. erwirtschaftete Einkommen)
zurückgreifen
• kann einen Anreiz schaffen, diese Ergebnisse zu „gestalten“
 Folgerungen:
 Potentiell größere Rolle des Staates, da auch Eingriffe zur Effizienzerhöhung denkbar
 Einsatz anderer Instrumente als der Umverteilung von Anfangsausstattungen nötig, falls
eine Korrektur der Verteilung gewünscht
 Der Nachweis von Effizienzmängeln bei Wettbewerbsmärkten reicht noch nicht aus, um
staatliches Handeln als vorteilhaft auszuweisen
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Finanzwissenschaft 1
Einführung
 Finanzwissenschaft
 Grundlage bildet der Begriff „Finatio“:
• Früher: Eine durch richterliches Urteil festgesetzte Zahlung
• Dann: Zahlungen und Leistungen
• Später: „Finanz“ als Einnahmen und Ausgaben des Staates
 Zunächst: „Finanzwissenschaft“ als Lehre von der öffentlichen Finanzwirtschaft
 Heute: „Finanzwissenschaft“ noch weiter gefasst → Ökonomik des Staates
 Die Inhalte des Fachs haben sich im Zeitablauf stark verändert:
 Gestiegene Bedeutung der sozialen Sicherung, der Regulierung (z.B. in der
Energieversorgung) oder intertemporaler Aspekte
 Gesunkene Bedeutung der Stabilisierungspolitik
 Wesentliche Merkmale staatlichen Handelns:
 Möglichkeit, Zwang auszuüben (z.B. bei der Besteuerung)
 Legitimation durch Wahlen (in Demokratien)
 Kollektive Willensbildung
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Finanzwissenschaft 1
Einführung
 Ziele der öffentlichen Aktivität:
 Früher:
• Fiskalisches Ziel vorrangig
• Sicherung der Finanzierung einer vorab festgelegten Staatstätigkeit
 Heute: Auf Musgrave zurückgehende Dreiteilung
• Allokationsziel: Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Effizienz, falls
Marktallokation nicht effizient
• Verteilungsziel: Korrektur der Verteilung der Einkommen oder der Vermögen
• Stabilisierungsziel: Sicherung eines hohen Beschäftigungsstands sowie der
Preisniveaustabilität (heute vornehmlich in der Makroökonomik untersucht)
 Instrumente (z.B. nach Andel):
 Kassenwirksame Einnahmen und Ausgaben
 Zuzurechnende Einnahmen und Ausgaben
 Gewährleistungen
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Einführung
 Kassenwirksame Einnahmen:
 Durch Beteiligung am Wirtschaftsprozess:
• Erwerbseinkünfte (z.B. aus Unternehmensbeteiligungen)
• Verkauf öffentlichen Vermögens
• Kreditaufnahme
 Durch hoheitlichen Zwangseingriff: Einnahmen
• aus Gebühren (individuelle Äquivalenz)
• aus Beiträgen (lediglich Gruppenäquivalenz)
• aus Zöllen
• aus Bußen und Strafen
• aus Zwangsanleihen
• aus währungspolitischen Maßnahmen (Münzgewinn, Bundesbank-Gewinn)
• aus Steuern
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Finanzwissenschaft 1
Einführung
 Gliederungsoptionen der kassenwirksamen Ausgaben:
 Administrative Zuständigkeit:
• Wer trägt die politische Verantwortung?
• „Ministerialprinzip“
 Zweck:
• Wofür wird eine Ausgabe getätigt?
• „Funktionalprinzip“
 Zeitliche Nutzenverteilung:
• Laufende Ausgaben
• Investitionsausgaben
 Ökonomische Gliederung:
• Transformationsausgaben als Ausgaben für Güter und Dienstleistungen
• Transferausgaben als Ausgaben für
– Subventionen (Empfänger: Unternehmen)
– Sozialleistungen (Empfänger: private Haushalte)
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Einführung
 Zuzurechnende Einnahmen:
 Kennzeichen:
• Der Staat beansprucht Ressourcen der privaten Wirtschaftseinheiten, ohne diese
dafür (in vollem Umfang) zu entgelten
• Dem Staat entstehen somit Einnahmen durch den Verzicht auf Ausgaben
 „versteckter Staatsbedarf“
 Bsp.: Wehrpflicht, Schöffentätigkeit,…
 Zuzurechnende Ausgaben:
 Entstehen, wenn der Staat auf Einnahmen (teilweise) verzichtet
 Beispiele:
• Steuervergünstigungen („tax expenditures“)
• Vergabe zinsverbilligter oder gar zinsloser Darlehen
 Folgerung: Zuzurechnende Einnahmen und Ausgaben
 stellen öffentliche Aktivität dar
 sind nicht (bzw. nicht vollständig) im öffentlichen Haushalt enthalten
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Einführung
 Gewährleistungen:
 Staat geht eine Verpflichtung ein, im Bedarfsfall Ausgaben zu leisten
 Zwecke:
• Absicherung von Risiken, die durch private Wirtschaftseinheiten gar nicht oder nicht
vollständig abgesichert werden (können)
• Wirtschaftsförderung
 Beispiele:
• Gewährleistungen für Exportgeschäfte
• Bürgschaften zur Absicherung von Krediten an inländische Unternehmen
• Gewährleistungen im Zusammenhang mit einer deutschen Beteiligung an
internationalen Finanzinstitutionen (z.B. Weltbank)
 Kennzeichen:
• Ausgaben unsicher
• Erfassung z.B. durch die erwarteten Ausgaben
 Es handelt sich um Eventualausgaben
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Einführung
 Einnahmen:
 Staat legt z.T. lediglich Parameter fest
 Beispiele:
• Steuertarife (ESt-Tarif, MwSt-Sätze)
• Gebührensätze
 Ausgaben:
 Ebenfalls teilweise unsicher
 Beispiele:
• Staat legt Kriterien für die Inanspruchnahme von Transfers und Zahlung fest
• Realisierung von Bauvorhaben
 Folgerungen:
 Die Einnahmen und Ausgaben stellen jeweils Plangrößen dar
 Haushaltsplan (Sollgrößen) und Haushaltsergebnis (Istgrößen) sind zu unterscheiden
 Bei starken Abweichungen kann ein Nachtragshaushalt notwendig werden
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Einführung
 Träger der öffentlichen Aktivität
 Gebietskörperschaften:
• Bund
• Länder
• Gemeinden und Gemeindeverbände
 Supranationale Organisationen: z.B. EU
 Intermediäre Finanzgewalten (Parafisci)
• Erfüllung öffentlicher Aufgaben
• Eigene Finanzquellen mit Zwangscharakter
• Beispiele:
– Träger der Sozialversicherung (Bundesagentur für Arbeit, Kassen der GKV,
Träger der GRV)
– Kredit- und Sonderfonds (Fonds deutsche Einheit)
– Berufsvertretungen (Industrie- und Handelskammern)
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Einführung
 Ansatz der normativen Finanzwissenschaft
 Ziele der öffentlichen Aktivität als Ausgangspunkt
 Leitfrage: Welcher Instrumenteneinsatz sichert die bestmögliche Zielerfüllung unter
den gegebenen Restriktionen?
 Ergebnis: Gesamtwirtschaftliche Rationalität staatlichen Handelns
 Traditioneller Ansatz
 Beispiel: Einsatz der Besteuerung, um Staatstätigkeit mit möglichst geringen
Wohlfahrtsverlusten zu finanzieren
 Folgerungen:
• Anreizstrukturen der politischen Entscheidungsträger irrelevant, so z.B.
– Wahltermine
– Struktur der Wählerschaft
– kollektive Entscheidungsregeln
• Die Fiktion des „wohlmeinenden Diktators“ kann zur Veranschaulichung dienen
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Einführung
 Ansatz der politischen Ökonomie („public choice“)
 Leitidee: Politiker und Bürokraten
• als nutzenmaximierende eigennützige Individuen
• versuchen eigene Ziele unter Nebenbedingungen (z.B. Wiederwahl) zu erreichen
 Übertragung des mikroökonomischen Entscheidungskalküls auf politische
Entscheidungsträger
 Ergebnis: (lediglich) Einzelwirtschaftliche Rationalität staatlichen Handelns
 Beispiel: Einsatz der Besteuerung, um Prestigebauten zu finanzieren
 Beide Ansätze nicht substitutiv, sondern komplementär
 Normativer Ansatz: Welche Ergebnisse kann das staatliche Handeln unter günstigen
Bedingungen – in Bezug auf die Anreizstrukturen – bewirken?
 Public choice: Welche Ergebnisse sind bei den gegebenen Anreizstrukturen zu
erwarten?
 Zusammenschau kann Hinweise auf sinnvolle Veränderung der Anreizstrukturen liefern
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Vertiefende Literatur
Andel, N., Finanzwissenschaft, 4. Aufl., Tübingen 1998, Teil I
Blankart, C.B., Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 8. Aufl., München 2011, Kap. 1-3
Brümmerhoff, D. und Büttner, T., Finanzwissenschaft, 11. Aufl., Berlin u.a.O. 2015, Kap. 1
Nowotny, E., Zagler, M., Der öffentliche Sektor: Einführung in die Finanzwissenschaft, 5.
Aufl., Berlin u.a.O. 2009, Kap. 1-4
Rosen, H.S. und Windisch, R., Finanzwissenschaft I, München und Wien 1992, Kap. 1-2.I
Scherf, W., Öffentliche Finanzen. Einführung in die Finanzwissenschaft, 2. Aufl., Konstanz
und München 2011, Kap. A.1-2
Zimmermann, H., Henke, K.-D., und Broer, M., Finanzwissenschaft. Eine Einführung in die
Lehre von der öffentlichen Finanzwirtschaft, 11. Aufl., München 2013, Kap. 1
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Zur Erfassung der öffentlichen Aktivität
 Haushaltsplan des Bundes:
 Ausgaben nach Einzelplänen für 2015 (Abb. 1a)
• Geplante Ausgaben (Soll)
• Gliederung nach dem Ressortprinzip
• Ausgaben für „Arbeit und Soziales“ (u.a. Bundeszuschüsse zur Gesetzlichen
Rentenversicherung) und den Schuldendienst machen mehr als 51 % aus
 Ergänzende Informationen:
• Gruppierungsplan (Ausgabe- und Einnahmearten)
• Funktionenplan (Gliederung nach Aufgabenbereichen)
 Einnahmenstruktur des Bundes 2015 (Abb. 1b):
 Jede geplante Ausgabe ist planmäßig durch eine Einnahme zu finanzieren
 Wesentliche Einnahmenquellen des Bundes:
• Steuern (insbesondere Umsatz- sowie Lohn- bzw. Einkommensteuer)
• Nettokreditaufnahme (neu aufgenommene abzüglich zurückgezahlter Kredite)
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Zur Erfassung der öffentlichen Aktivität
 Ausgaben und Einnahmen des Bundes (Abb. 1c):
 Tatsächliche (2009-2013) und geplante (2014-2018) Nettokreditaufnahme des Bundes
 Die Höhe der Nettokreditaufnahme ist relevant für
• die Beurteilung der Nachhaltigkeit der Finanzpolitik
• die Verfassungskonformität der Haushaltsplanung
• die Umsetzung bzw. Einhaltung der „Schuldenbremse“
 Verteilung des tatsächlichen Steueraufkommens 2014 (Abb. 2a):
 Kennzeichen:
• Jede föderative Ebene verfügt über eigene Steuern (Ertragskompetenz)
• Daneben gibt es Gemeinschaftsteuern, die
– auf mehrere (bzw. alle) föderativen Ebenen aufgeteilt werden
– weit mehr als die Hälfte des Aufkommens liefern
 Steueraufkommen vor der Verteilung der Einnahmen aus Gemeinschaftsteuern
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Zur Erfassung der öffentlichen Aktivität
 Verteilung des Aufkommens aus Gemeinschaftsteuern (Abb. 2b):
 Schlüssel
• unterschiedlich für Körperschaft-, Einkommen- und Umsatzsteuer
• teilweise als politische Verhandlungsmasse (Länder, Kommunen)
 Höhe des Anteils am Aufkommen
• für die Gemeinden jeweils am geringsten
• bei Bund und Ländern gleich (Ausnahme: Umsatzsteuer)
 Entwicklung der Anteile von Ländern und Kommunen (Auswahl):
• Anteil der Länder an der Umsatzsteuer im Zeitablauf häufig verändert
• Gemeinden mit
– Anteil an der Einkommensteuer seit 1970
– Anteil an der Umsatzsteuer seit 1998
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Zur Erfassung der öffentlichen Aktivität
 Aufgaben- und Ausgabenstruktur des öffentlichen Gesamthaushalts:
 Aufgabenverteilung auf die föderativen Ebenen (Abb. 3a)
 Verbindung Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen für B, L und G:
• Zur Erfüllung von Aufgaben müssen in der Regel Ausgaben geleistet werden
• Finanzierung überwiegend aus Steuern
 Aufteilung der Ausgaben auf die Kernhaushalte B, L, G sowie Extrahaushalte (Abb. 3b)
 Entwicklung der öffentlichen Schulden (Abb. 4):
 Bezug: Staat bzw. öffentliche Haushalte insgesamt
 Starker Anstieg seit 1970. Sonderfälle (Auswahl):
• 1995: „Treuhand-Schulden“ (zuvor: Unternehmensbereich) → Sondervermögen Bund
• 1999: Schulden des „Erblastentilgungsfonds“ (zuvor: eigener Fond) → Bund
• 2000: Rückgang der Bundesschuld aufgrund der UMTS-Lizenz-Einnahmen
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Zur Erfassung der öffentlichen Aktivität
 Empirische Daten für Deutschland:
 Grundlegende Rechnungen:
• Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen (VGR)
• Finanzstatistik
 Weitgehende Harmonisierung mit internationalen Rechnungen:
• VGR → „Europäisches System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen“ (ESVG)
• Finanzstatistik → „Government Finance Statistics“
 Unterschiede bestehen hinsichtlich
• der Verbuchung als Einnahme oder Ausgabe
• des Zeitpunkts der Verbuchung
• der Abgrenzung des öffentlichen Sektors (Staat vs. öffentlicher Gesamthaushalt)
 Zentrale Fragen:
 Welche Vorgänge werden wie verbucht?
 Welche Transaktionen wirken sich auf den jeweiligen Finanzierungssaldo aus?
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Zur Erfassung der öffentlichen Aktivität
 Vorgehensweise:
 Zunächst Erläuterung wesentlicher Aspekte der Verbuchung in den VGR
 Danach Erläuterung der Finanzstatistik anhand der Unterschiede zu den VGR
 Aufbau der Vermögensbilanz einer Wirtschaftseinheit (Abb. 5a):
 Vollständige Aufstellung der Aktiva und Passiva (zeitpunktbezogen)
 Aktivseite:
• Sach- oder Realvermögen
• Forderungen:
– Brutto
– Liquide Mittel
– Sonstige Forderungen
 Passivseite:
• Verbindlichkeiten (brutto)
• Saldo: Reinvermögen (der Wirtschaftseinheit, des Sektors,…)
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Zur Erfassung der öffentlichen Aktivität
 Zusammengefasste Darstellung (Abb. 5b):
 Aktivseite:
• Sach- oder Realvermögen
• Nettoposition als Saldo aus Forderungen und Verbindlichkeiten
 Passivseite: Reinvermögen als Saldo
 Prinzipien der VGR:
 Sachlicher Bezug: Betrachtung von
• Transaktionen
• Stromgrößen (Zeitraum z.B. ein Jahr)
 Verbuchung zum Zeitpunkt des Entstehens einer Forderung bzw. einer Verbindlichkeit
 Der Finanzierungssaldo
• bezeichnet den Saldo aus Einnahmen und Ausgaben
• gibt die Erhöhung der Nettoposition an
 Fokus auf Leistungstransaktionen, die Einfluss auf den Finanzierungssaldo haben
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Zur Erfassung der öffentlichen Aktivität
 Eine Einnahme kann entstehen als:
• Erhöhung der liquiden Mittel (Einzahlung)
• Erhöhung der sonstigen Forderungen
• Verringerung der Verbindlichkeiten
 Eine Ausgabe kann entstehen als:
• Abfluss von liquiden Mitteln (Auszahlung)
• Verringerung der sonstigen Forderungen
• Erhöhung der Verbindlichkeiten
 Beispiel einer Leistungstransaktion: Kauf eines Gutes gegen Forderung
 Zu beachten:
 Aufnahme neuer Kredite oder Rückzahlung von Darlehen ist jeweils keine Einnahme
 Tilgung von Krediten oder Gewährung von Darlehen ist jeweils keine Ausgabe
 Grund: Keiner dieser Vorgänge verändert den Finanzierungssaldo
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Zur Erfassung der öffentlichen Aktivität
 Mögliche Finanzierungssalden:
 Finanzierungsüberschuss
• Die Einnahmen übersteigen die Ausgaben
• Es kommt zu einer Erhöhung der Nettoposition
 Finanzierungsdefizit
• Die Ausgaben übersteigen die Einnahmen
• Es kommt zu einer Verringerung der Nettoposition
 Der Sektor Staat umfasst
 die Gebietskörperschaften: Bund, Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände
 die Sozialversicherung (z.B. Gesetzliche Rentenversicherung)
 Verbuchung der laufenden (d.h. nicht vermögenswirksamen) Vorgänge:
 Produktionskonto
 Einkommenskonten
 Saldo aller laufenden Konten: Ersparnis
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Zur Erfassung der öffentlichen Aktivität
 Produktionstätigkeit:
 Unternehmen:
• Nettowertschöpfung als Saldo
• Entspricht der Summe der erwirtschafteten Einkommen
 Staat:
• Marktproduktion:
– Geringer Umfang
– Differenz aus Erlösen und Aufwendungen als Betriebsüberschuss des Staates
• Nichtmarktproduktion:
– Überwiegender Teil der vom Staat bereitgestellten Leistungen
– Leistungen entweder unentgeltlich oder gegen geringes Entgelt (z.B. Bildung)
– Bewertung anhand des damit verbundenen „Herstellungsaufwands“
(Vorleistungen, Arbeitnehmerentgelte, Abschreibungen)
– Differenz aus Herstellungsaufwand und eventuellen Erlösen aus dem Verkauf
von Leistungen als „Staatskonsum“
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Zur Erfassung der öffentlichen Aktivität
 Die Verwendung der Ersparnis wird im Vermögensänderungskonto dargestellt
 Ein Vermögensänderungskonto enthält
• vermögenswirksame Einnahmen (rechte Seite) und Ausgaben (linke Seite)
• die Stromgrößen zu den Positionen einer Vermögensbilanz
 Eine positive Ersparnis kann
• den Bestand an Realkapital erhöhen (Nettoinvestitionen)
• die Nettoposition erhöhen (Finanzierungsüberschuss)
• das Reinvermögen erhöhen
• Vermögenstransfers an andere Wirtschaftseinheiten finanzieren
 Eine negative Ersparnis kann finanziert werden durch
• eine Verringerung des Bestands an Realkapital
• eine Verringerung der Nettoposition (Finanzierungsdefizit)
• eine Verringerung des Reinvermögens
• Vermögenstransfers von anderen Wirtschaftseinheiten
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Zur Erfassung der öffentlichen Aktivität
 Vermögensänderungskonto des Sektors Staat (Abb. 6a):
 Vermögenswirksame Einnahmen:
• Ersparnis
• Abschreibungen
• Abgang an nichtproduzierten Vermögensgütern (z.B. Verkäufe von Land)
• Empfangene Vermögensübertragungen, z.B. Einnahmen aus Erbschaftsteuer
 Vermögenswirksame Ausgaben:
• Brutto-Investitionen
• Zugang an nichtproduzierten Vermögensgütern (z.B. Käufe von Land)
• Geleistete Vermögensübertragungen (z.B. Investitionszuschüsse an Unternehmen)
 Saldo:
• Finanzierungsüberschuss als Erhöhung des Nettogeldvermögens
• Finanzierungsdefizit als Verringerung des Nettogeldvermögens
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Zur Erfassung der öffentlichen Aktivität
 Zusammengefasste Darstellung (Abb. 6b):
 Ersparnis als einzige vermögenswirksame Einnahme
 Als vermögenswirksame Ausgaben verbleiben:
• Nettoinvestitionen
• Netto-Zugang an nichtproduzierten Vermögensgütern
• Per Saldo geleistete Vermögensübertragungen
 Alternative Verwendungsmöglichkeiten der Ersparnis des Sektors Staat (Abb. 7):
 Die Ersparnis entspricht der Summe aus
• der Erhöhung des Reinvermögens und
• den per Saldo geleisteten Vermögensübertragungen
 Die Erhöhung des Reinvermögens entspricht der Summe aus
• der Erhöhung des Sachvermögens und
• der Erhöhung der Nettoposition (d.h. dem Finanzierungsüberschuss laut VGR)
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Zur Erfassung der öffentlichen Aktivität
 Die Erhöhung des Sachvermögens entspricht der Summe aus
• den Netto-Investitionen und
• dem Netto-Zugang an nichtproduzierten Vermögensgütern
 Beispiel 2010 (Abb. 8a):
 Deutlich negative Ersparnis
 Die Verringerung des Reinvermögens
• kam zustande aufgrund folgender Vorgänge:
– Negative Ersparnis („Entsparen“) des Staates
– Vermögensübertragungen an andere Sektoren
• war deutlich höher als das Entsparen, da der Staat per Saldo im Umfang von mehr
als 52 Mrd. € Vermögenstransfers geleistet hat
 Veränderung der Nettoposition des Staates:
• Stark negativ, d.h. per Saldo sind die Forderungen deutlich gesunken
• Verringerung des Sachvermögens
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Zur Erfassung der öffentlichen Aktivität
 Beispiel 2013 (Abb. 8b):
 Deutlich positive Ersparnis
 Die Ersparnis hat finanziert
• (netto geleistete) Vermögensübertragungen in Höhe von knapp 13 Mrd. Euro
• eine Erhöhung des Reinvermögens um mehr als 3 Mrd. Euro
 Die Erhöhung des Reinvermögens
• kam zustande aufgrund folgender Vorgänge:
– Verringerung des Sachvermögens um knapp 4 Mrd. Euro
– Erhöhung der Nettoposition um mehr als 7 Mrd. Euro
• fiel deshalb geringer aus als die Erhöhung der Nettoposition
 Finanzstatistik im Unterschied zu den VGR:
 Kassenwirksamkeit als Kriterium für die Verbuchung als Einnahme oder Ausgabe
• Einnahme i.S. der Finanzstatistik: Einzahlung
• Ausgabe i.S. der Finanzstatistik: Auszahlung
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Zur Erfassung der öffentlichen Aktivität
• Fokus auf Erhöhungen bzw. Verringerungen der liquiden Mittel
 Folge: Anderer Finanzierungssaldo
 Verbuchung zum Zeitpunkt der Kassenwirksamkeit
 Andere Abgrenzung (öffentlicher Gesamthaushalt anstelle des Sektors Staat)
 Aufbau:
 Einnahmen und Ausgaben der „laufenden Rechnung“
 Einnahmen und Ausgaben der „Kapitalrechnung“
 Saldo:
• Differenz aus Einnahmen und Ausgaben
• Finanzierungssaldo der Finanzstatistik
 Besondere Finanzierungsvorgänge: Verwendung eines Überschusses (bzw.
Finanzierung eines Defizits) z.B.
• zur Nettotilgung von Krediten (bzw. durch eine Nettokreditaufnahme)
• zur Erhöhung der Rücklagen (bzw. durch eine Entnahme aus Rücklagen)
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Zur Erfassung der öffentlichen Aktivität
 Die Aufnahme (bzw. Tilgung) von Krediten durch den Staat
 führt zu einem Zufluss (bzw. Abfluss) liquider Mittel
 wird aber dennoch nicht als Einzahlung (bzw. Auszahlung) verbucht:
• Besonderer Finanzierungsvorgang
• Finanzierung eines Defizits (bzw. Verwendung eines Überschusses)
 Unterschiede in den Finanzierungssalden der VGR und der Finanzstatistik:
 Diese können beruhen auf Unterschieden
• bei der zeitlichen Verbuchung
• in der Abgrenzung des öffentlichen Sektors
• in der Definition von Einnahmen und Ausgaben
 Empirische Daten (Abb. 9):
• Vorzeichen der Differenz beider Salden theoretisch unbestimmt
• Häufig größerer Finanzierungssaldo der Finanzstatistik
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Zur Erfassung der öffentlichen Aktivität
 Unterschiede aufgrund anderer Definition von Einnahmen und Ausgaben:
 Gewährung von Darlehen durch den Staat:
• Abfluss liquider Mittel → Ausgabe in der Finanzstatistik
• In den VGR keine Verbuchung, da die Nettoposition unverändert bleibt
 Rückzahlung von Darlehen:
• Zufluss liquider Mittel → Einnahme in der Finanzstatistik
• Keine Veränderung des Finanzierungssaldos der VGR
 Veräußerung von Beteiligungen an Unternehmen:
• Zufluss liquider Mittel → Einnahme in der Finanzstatistik
• In der VGR keine Verbuchung, da keine Veränderung der Nettoposition
 Erwerb von Beteiligungen an Unternehmen
• Abfluss liquider Mittel → Ausgabe in der Finanzstatistik
• Kein Effekt auf den Finanzierungssaldo der VGR
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Zur Erfassung der öffentlichen Aktivität
 Folgerungen: Im Vergleich zum Finanzierungssaldo der Finanzstatistik
 fällt der Finanzierungssaldo der VGR ceteris paribus größer aus, wenn der Staat
• anderen Wirtschaftseinheiten per Saldo Darlehen gewährt hat
• per Saldo Beteiligungen an Unternehmen erworben hat
 fällt der Finanzierungssaldo der VGR ceteris paribus geringer aus, wenn
• per Saldo Darlehen an den Staat zurückgezahlt wurden
• der Staat per Saldo Beteiligungen an Unternehmen verkauft hat
 Beispiel 1994:
 Per Saldo gewährte der Staat Darlehen im Umfang von 17 Mrd. DM
 Per Saldo veräußerte der Staat Beteiligungen im Umfang von 1,1 Mrd. DM
 Aufgrund dieser Vorgänge müsste das Finanzierungsdefizit der Finanzstatistik um
15,9 Mrd. DM höher ausfallen als das Finanzierungsdefizit der VGR
 Tatsächliche Differenz: 28,5 Mrd. DM, da noch weitere Unterschiede in der
Verbuchung (per Saldo) in dieselbe Richtung wirkten
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Zur Erfassung der öffentlichen Aktivität
 Tatsächlich ausgewiesene Staatsausgaben und Staatstätigkeit sind zu unterscheiden:
 Unterschiede zwischen tatsächlichen und ausgewiesenen Ausgaben:
• Die ausgewiesenen Ausgaben können geringer sein
• Grund: Direkte Verrechnung mit Einnahmen
• Beispiele: Verrechnung
– des ausgezahlten Kindergelds mit den Lohnsteuereinnahmen (ab 1996)
– der Ausgaben für die Eigenheimzulage (bis 2005) mit der Einkommensteuer
 Ferner sind zuzurechnende Ausgaben zu berücksichtigen
• durch den Verzicht auf Einnahmen:
– Der Verzicht auf eine Einnahme entspricht einer Ausgabe
– Beispiel: Steuervergünstigungen („tax expenditures“)
– Vollständige Erfassung im Haushalt durch
» Einnahmen im Umfang der regulären Steuereinnahmen
» Ausgaben im Umfang der Vergünstigungen
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Finanzwissenschaft 1
Zur Erfassung der öffentlichen Aktivität
• in Form des versteckten Staatsbedarfs:
– Verpflichtung privater Wirtschaftseinheiten, bestimmte Leistungen
unentgeltlich oder (deutlich) unter dem Marktpreis zu erbringen
– Beispiele: Schöffendienst, Wehrdienst im Rahmen der Wehrpflicht
 Verlagerung von Kosten auf private Wirtschaftseinheiten:
• Verpflichtung privater Wirtschaftseinheiten, Leistungen zu finanzieren
• Beispiel: Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
 Staatliches Vermögen:
• Bereitstellung von Leistungen durch die staatliche Infrastruktur
• Ausgaben bilden diese Kosten in der Regel nicht periodengerecht ab
 Nettobetriebe:
• Rechtlich unselbständige öffentliche Unternehmen
• Beispiel: Kommunale Verkehrsbetriebe
• Erscheinen in öffentlichen Budgets nur mit ihrem Finanzierungssaldo
• Ausgaben somit gar nicht oder nur sehr unvollständig abgebildet
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Finanzwissenschaft 1
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Zur Erfassung der öffentlichen Aktivität
 Ausgabenintensität der Staatstätigkeit:
 Konzept gibt an, mit welchem Anteil Staatstätigkeit durch Ausgaben erfolgt
 Die Ausgabenintensität ist z.B.
• hoch bei Subventionszahlungen
• gering bei staatlicher Normsetzung (Kosten primär bei anderen Wirtschaftseinheiten)
 Folgerungen: Die Staatsausgaben sind ein unvollkommener Indikator
 des Umfangs der Staatstätigkeit
 der Struktur der Staatstätigkeit, falls die Ausgabenintensität in den Aufgabenbereichen
unterschiedlich hoch ausfällt
 Unterschied Staatstätigkeit und öffentliche Aufgabenerfüllung:
 Andere Wirtschaftseinheiten erfüllen (freiwillig!) öffentliche Aufgaben
 Dabei handelt es sich
• um private Organisationen ohne Erwerbszweck
• beispielsweise um Kirchen oder Wohlfahrtsverbände
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Finanzwissenschaft 1
40
Vertiefende Literatur
Brümmerhoff, D. und Büttner, T., Finanzwissenschaft, 11. Aufl., Berlin u.a.O. 2015, Kap. 2
Deutsche Bundesbank, Monatsbericht, Öffentliche Finanzen (jeweils in den Monaten
Februar, Mai, August und November)
Nowotny, E., Zagler, M., Der öffentliche Sektor: Einführung in die Finanzwissenschaft, 5.
Aufl., Berlin u.a.O. 2009, Kap. 2 und 5
Rosen, H.S., Windisch, R., Finanzwissenschaft I, München und Wien 1992, Kap. 2.II
Scherf, W., Öffentliche Finanzen. Einführung in die Finanzwissenschaft, 2. Aufl., Konstanz
und München 2011, Kap. A.3
Schulze-Steikow, R. und Seese, O., Einnahmen und Ausgaben des öffentlichen
Gesamthaushalts im Jahr 2013, Wirtschaft und Statistik, Heft 5/2014, S. 316-323
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Finanzwissenschaft 1
Grundlagen der Wohlfahrtsanalyse
 Staatliche Maßnahmen können das Marktgeschehen beeinflussen, indem sie
 die Preise, zu denen Transaktionen erfolgen können, verändern
 den Umfang der Transaktionen verändern:
• Transaktionen finden eventuell nicht mehr statt
• Transaktionen, die zuvor nicht zustande kamen, finden nun eventuell statt
 Zu klären:
 Welche Wohlfahrtseffekte resultieren daraus?
 Wie sind diese Effekte zu bewerten
• bei Individuen bzw. Haushalten
• bei Unternehmen
• beim Staat?
 Arten der Wohlfahrtsanalyse:
 Individuelle Analyse: Effekte bei einer einzelnen Wirtschaftseinheit sind relevant
 Gesamtwirtschaftliche Analyse: Effekte bei allen Wirtschaftseinheiten sind relevant
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Finanzwissenschaft 1
Grundlagen der Wohlfahrtsanalyse
 Beispiel: Tausch einer Einheit eines Gutes zu einem Preis p
 Voraussetzung: Tausch freiwillig → kein Tauschpartner stellt sich schlechter
 Im Vergleich zur Ausgangslage kann eine ökonomische Rente entstehen
• beim Anbieter:
– Eine Verbesserung seiner Lage tritt auf, wenn p > pres
– Der Preis pres stellt den Reservationspreis des Anbieters dar, d.h.
» den niedrigsten Preis, zu dem er zu verkaufen bereit ist
» seine minimale Zahlungsakzeptanz
• beim Nachfrager:
– Eine Verbesserung seiner Lage tritt auf, wenn MMZB > p
– MMZB ist
» die maximale marginale Zahlungsbereitschaft des Nachfragers
» der höchste Preis, zu dem er zu kaufen bereit ist
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Finanzwissenschaft 1
43
Grundlagen der Wohlfahrtsanalyse
 Der Preis p, zu dem getauscht wird,
• ist für die Höhe des gesamten Wohlfahrtseffekts einer Transaktion irrelevant
• legt die Verteilung des Wohlfahrtsgewinns auf Anbieter und Nachfrager fest
• beeinflusst die Anzahl der Transaktionen und damit die Höhe des gesamten
Wohlfahrtsgewinns für Anbieter und Nachfrager
 Ökonomische Renten entstehen im allgemeinen
 nicht durch marginale Transaktionen:
• Für die marginale, d.h. die letzte getauschte Einheit, gilt: MMZB = pres
• Voraussetzungen: Freiwilliger Tausch und beliebige Teilbarkeit des Gutes
 durch inframarginale Transaktionen
 Arten ökonomischer Renten:
 Konsumentenrente (maximale Zahlungsbereitschaft größer als die tatsächliche Zahlung)
 Produzentenrente (tatsächlicher Erlös größer als die minimale Zahlungsakzeptanz)
 Faktorrente (tatsächliches Entgelt größer als die minimale Zahlungsakzeptanz)
 Fiskalische Rente (empfangene größer als geleistete Transferzahlungen)
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Konsumentenrente
 Wohlfahrtseffekte resultieren aus Veränderungen
 der Konsumenten- oder Faktorrente bei Individuen
 der Produzentenrente bei Unternehmen
 der fiskalischen Rente beim Staat
 Messung von Veränderungen der Konsumentenrente:
 Voraussetzungen:
• Statische Konsumentscheidung eines Individuums
• Individuum ist Preisnehmer auf allen (Güter-)Märkten
• 2 Güter (Mengen x1 und x2)
• „Innere“ Lösung: Es sei stets xi > 0 optimal
 Beispiel:
• In der Ausgangslage gelten die Preise p0 und es werde x0 gewählt
• Dann sinke der Preis des ersten Gutes auf p11 < p10
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Finanzwissenschaft 1
45
Konsumentenrente
 Welcher monetäre Wohlfahrtseffekt resultiert daraus?
• Erster Ansatz: Konsumentenrente nach Marshall (Abb. 10), KRM(p10→p11)
– Bezug: (Marshall-)Nachfragefunktion nach dem ersten Gut
– 2 Teileffekte:
» Geringere Ausgaben für die bisher nachgefragte Menge x10 (Fläche 1)
» Zusätzliche Nachfrage x11 – x10, wobei für die inframarginalen Einheiten
ein weiterer Wohlfahrtseffekt entsteht (Fläche 2)
– KRM(p10→p11) als Summe der beiden Teileffekte
– Problem: Die Marshall-Nachfrage
» setzt voraus, dass für alle Einheiten derselbe Preis zu entrichten ist
» erfasst die maximale Zahlungsbereitschaft für inframarginale Einheiten i.a.
nicht korrekt (Zahlungen > p können Einkommenseffekte auslösen)
– Folge: KRM(p10→p11) zur Wohlfahrtsmessung nicht allgemein geeignet
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Konsumentenrente
• Alternative 1: Die Kompensationsvariation (KV)
– Die KV ist grundsätzlich
» die maximale Zahlungsbereitschaft des Individuums dafür, dass die
„neue Situation“ beibehalten wird
» diejenige Zahlung, die ein Individuum in der „neuen Situation“ maximal
zu leisten bereit ist, ohne die Ausgangslage strikt vorzuziehen
– Kennzeichen: Bezug auf das Nutzenniveau der Ausgangslage
– Vorzeichen: Die KV ist
» positiv, wenn die „neue Situation“ besser ist als die Ausgangslage
» negativ, wenn die „neue Situation“ schlechter ist als die Ausgangslage
– Zur Interpretation einer negativen KV: Der Absolutbetrag
» ist diejenige Zahlung, die man dem Individuum mindestens geben
muss, damit es die Ausgangslage nicht strikt vorzieht
» ist somit die minimale Zahlungsakzeptanz für die „neue Situation“
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Konsumentenrente
• Graphische Veranschaulichung (Abb. 11a):
– KV(p10→p11) als Verzicht auf Pauscheinkommen, den das Individuum maximal
für die „neue Situation“ zu leisten bereit ist
– Analyse im Güterraum (oberes Diagramm):
» Ausgangslage: Bündel A ist optimal
» „Neue Situation“: Bündel C ist optimal
– Teileffekte in Einheiten von Gut 2 infolge der Preissenkung:
» Verringerung der Ausgaben für Bündel A (günstig)
» Verringerung der minimalen Ausgaben für das Nutzenniveau U0 (durch
den Wechsel von Bündel A zu Bündel B, ebenfalls günstig)
• Exkurs: Die Hicks-Nachfrage als alternatives Nachfrage-Konzept:
– Bezug: Nutzenniveau U wird für p mit minimalen Ausgaben erreicht
– Beispiele (Abb. 11a): Zur Realisierung des Nutzenniveaus U0
» ist Bündel A die Hicks-Nachfrage für p0
» ist Bündel B die Hicks-Nachfrage für p1
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Konsumentenrente
– Interpretation der Hicks-Nachfrage:
» Kurve der MMZB auch für inframarginale Einheiten eines Gutes
» Grund: Bezug auf ein festes Nutzenniveau
– Analyse im Preis-Mengen-Diagramm für das erste Gut (unteres Diagramm):
» Beim Preis p10 ist es optimal (sowohl gegeben U0 als auch gegeben Y0),
die Menge x10 (als Bestandteil des Bündels A) nachzufragen
» Beim Preis p11 ist es hingegen optimal (gegeben U0), die Menge x11,H (als
Bestandteil des Bündels B) nachzufragen
– Ermittlung der KV(p10→p11):
» Verringerung der Ausgaben für x10 (Fläche 1)
» Differenz aus MMZB und p11 für die Menge x11,H – x10 (Fläche 2)
» KV als Summe beider Teileffekte
– Ergebnis:
» Marshall-Konsumentenrente überschätzt hier die Kompensationsvariation
» Diese Eigenschaft gilt jedoch nicht allgemein (Abb. 12)
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Konsumentenrente
• Alternative 2: Die Äquivalenzvariation (ÄV)
– Die ÄV ist grundsätzlich
» die minimale Zahlungsakzeptanz eines Individuums dafür, dass die
Ausgangslage beibehalten wird
» diejenige Zahlung, die ein Individuum in der Ausgangslage mindestens
benötigt, um zum Verzicht auf die „neue Situation“ bereit zu sein
– Kennzeichen: Bezug auf das Nutzenniveau der „neuen Situation“
– Vorzeichen: Die ÄV ist
» positiv, wenn die „neue Situation“ besser ist als die Ausgangslage
» negativ, wenn die „neue Situation“ schlechter ist als die Ausgangslage
– Folgerung: Die Vorzeichen von KV und ÄV stimmen jeweils überein
– Zur Interpretation einer negativen ÄV: Der Absolutbetrag
» ist diejenige Zahlung, die das Individuum höchstens zu leisten bereit ist,
ohne die „neue Situation“ strikt vorzuziehen
» stellt die maximale Zahlungsbereitschaft für die Ausgangslage dar
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Konsumentenrente
• Graphische Veranschaulichung (Abb. 11b):
– ÄV(p10→p11) als Erhöhung des Pauscheinkommens, die das Individuum in der
Ausgangslage zum Verzicht auf die „neue Situation“ mindestens benötigt
– Teileffekte in Einheiten von Gut 2 (oberes Diagramm):
» Erhöhung der Ausgaben für Bündel C (ungünstig)
» Verringerung der minimalen Ausgaben für das Nutzenniveau U1 (durch
den Wechsel von Bündel C zu Bündel B, günstig)
• Zusammenhang zwischen KV und ÄV:
– Der Absolutbetrag
» einer negativen KV stellt eine minimale Zahlungsakzeptanz dar
» einer negativen ÄV stellt eine maximale Zahlungsbereitschaft dar
– Daher gilt:
» (Abb. 11b) ÄV(p10→p11) = – KV(p11→p10)
» (Abb. 11a) KV(p10→p11) = – ÄV(p11→p10)
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51
Konsumentenrente
• Exkurs: Analyse im Preis-Mengen-Diagramm des ersten Gutes (unteres Diagramm):
– Beim Preis p11 ist es optimal (sowohl gegeben U1 als auch gegeben Y0), die
Menge x11 als Bestandteil des Bündels C nachzufragen
– Beim Preis p10 ist es hingegen optimal (gegeben U1), die Menge x11,H als
Bestandteil des Bündels B nachzufragen
– Ermittlung der ÄV(p10→p11):
» Erhöhung der Ausgaben für x11 (Fläche 1)
» Differenz zwischen p10 und der MMZB für die nicht mehr nachgefragte
Menge x11,H – x10 als eingesparte Ausgaben (Fläche 2)
» ÄV als Saldo beider Teileffekte
– Ergebnis:
» Marshall-Konsumentenrente unterschätzt hier die Äquivalenzvariation
» Diese Eigenschaft gilt jedoch nicht allgemein (Abb. 12)
© Prof. Dr. Walter Ried
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Konsumentenrente
 Einkommenseffekte: Wenn die Nachfrage mit steigendem Nutzenniveau ceteris paribus
• stets steigt, handelt es sich um ein normales Gut
• stets unverändert bleibt, handelt es sich um ein neutrales Gut
• stets sinkt, handelt es sich um ein inferiores Gut
 KV, ÄV und KRM bei einer Preissenkung von p10 auf p11:
 Alle Größen sind jeweils positiv
 (Abb. 12) Bei Normalität gilt KV(p10→p11) < KRM(p10→p11) < ÄV(p10→p11)
 Bei Neutralität gilt KV(p10→p11) = KRM(p10→p11) = ÄV(p10→p11)
 Bei Inferiorität gilt KV(p10→p11) > KRM(p10→p11) > ÄV(p10→p11)
 Ebenso erhält man im Falle einer Preiserhöhung von p11 auf p10:
 Alle Größen sind jeweils negativ
 (Abb. 12) Bei Normalität gilt ÄV(p11→p10) > KRM(p11→p10) > KV(p11→p10)
 Bei Neutralität gilt ÄV(p11→p10) = KRM(p11→p10) = KV(p11→p10)
 Bei Inferiorität gilt ÄV(p11→p10) < KRM(p11→p10) < KV(p11→p10)
© Prof. Dr. Walter Ried
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Faktorrente
 Messung von Veränderungen einer Faktorrente (Abb. 13):
 Voraussetzungen:
• Konsum-Arbeitsangebots-Entscheidung
• Ein festes Zeitbudget Ω
– kann als Freizeitnachfrage F oder als Arbeitsangebot A genutzt werden
– erfüllt somit die Bedingung: Ω = F + A
• Das Individuum ist Preisnehmer auf beiden Märkten
• „Innere“ Lösung: Es sei stets optimal, Ω > F > 0 und damit C > 0 zu wählen
• Erhöhung des Lohnsatzes von w0 auf w1
 Welcher Wohlfahrtseffekt, gemessen anhand von ÄV, ergibt sich aufgrund w1 > w0?
• Analyse im Güterraum (vgl. oberes Diagramm):
– In der Ausgangslage ist die Wahl des Bündels a optimal
– In der „neuen Situation“ ist die Wahl von Bündel c optimal
• Die Netto-Ausgaben für ein festes Bündel (A´,C´), gegeben (w´,p´)
– sind als Differenz p´·C´ – w´·A´ definiert
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Faktorrente
– fallen höher aus, wenn w sinkt oder p steigt
• Teileffekte der ÄV(w0→w1) in Einheiten des Konsumguts:
– Erhöhung der Netto-Ausgaben für das Bündel c (ungünstig)
– Verringerung der minimalen Netto-Ausgaben zur Realisation des
Nutzenniveaus U1 (durch den Wechsel von c zu Bündel b, günstig)
• Exkurs: Analyse im Preis-Mengen-Diagramm (unteres Diagramm):
– Gegeben U1, ist es
» beim Lohnsatz w1 optimal, die Menge A1 anzubieten
» beim Lohnsatz w0 optimal, die Menge A1H nachzufragen
– Ermittlung der ÄV(w0→w1):
» Erhöhung der „Ausgaben“ für A1 (Flächen 1+2+3)
» Überschuss des Reservationspreises über den Lohnsatz w0 bei den nicht
mehr angebotenen Einheiten A1 – A1H als Einsparung (Flächen 2+3)
– ÄV jeweils als Saldo von zwei Teileffekten
© Prof. Dr. Walter Ried
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Konsumentenrente
 Marktanalyse (Abb. 14):
 Voraussetzungen:
• Nachfrager verhalten sich als Preisnehmer
• Marktnachfrage als horizontale Summe der individuellen Nachfragen
• Bezug: Individuelle Marshall-Nachfragen
• Interpretation: Keine (nennenswerten) Einkommenseffekte auf die individuellen
Nachfrageentscheidungen
 Beispiel: Wohlfahrtseffekte einer Preissenkung bei den Nachfragern
• 2 Teileffekte:
– Verringerung der Ausgaben für die ursprüngliche Menge x0 (günstig)
– Überschuss der MZB über den tatsächlichen Preis bei den zusätzlich
erworbenen Einheiten x1 – x0 (günstig)
• Gesamter Effekt:
– Summe der zusätzlichen individuellen Marshall-Konsumentenrenten
– Auf den Markt bezogen
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Produzentenrente
 Reservationspreis eines Unternehmens für ein produziertes Gut:
 Bezug auf eine marginale Einheit
 Abhängig von der betrachteten Frist
 Die kurzfristige Produzentenrente
 bezieht sich auf die kurzfristigen Kosten
 ist relevant, solange mindestens ein Produktionsfaktor fix ist
 Die langfristige Produzentenrente
 bezieht sich auf die langfristigen Kosten
 ist relevant, wenn alle Produktionsfaktoren variabel sind
 Kurzfristige Analyse:
 Bezug: Einzelnes Unternehmen
 Voraussetzungen:
• Unternehmen ist Preisnehmer auf allen Märkten
• Die Faktorpreise sind fix
© Prof. Dr. Walter Ried
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Produzentenrente
 Kurzfristiger Reservationspreis in Abhängigkeit von der produzierten Menge (Abb. 15):
• Das Minimum der kurzfristigen variablen Stückkosten (DVK) ist der minimale
Reservationspreis des Unternehmens für die Menge x´
• Weitere Einheiten: Kurzfristige Grenzkosten („S“) als marginaler Reservationspreis
 Erhöhung der Produzentenrente aufgrund einer Erhöhung des Preises von p1 auf p2:
• Höhere Erlöse für die ursprünglich angebotene Menge x1 (Fläche 1, günstig)
• Differenz aus Entgelt und marginalem Reservationspreis für die zusätzlich
angebotenen Einheiten x2 – x1 (Fläche 2, günstig)
 Veränderung der kurzfristigen Produzentenrente (Marktangebot)
 Bezug: Alle im Markt befindlichen Unternehmen
 Ermittlung in Analogie zur Vorgehensweise bei einer einzelnen Unternehmung
 Erhöhung des für die Anbieter relevanten Güterpreises als Vorteil, der durch die
zugehörige Fläche „links“ von der Marktangebotsfunktion gemessen wird
 Verringerung des für die Anbieter relevanten Güterpreises als Nachteil im Umfang der
Fläche „links“ von der Marktangebotsfunktion
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Produzentenrente
 Langfristige Analyse
 Weitere Voraussetzungen:
• Wettbewerbsmarkt
• Freier Marktzutritt und freier Marktaustritt
 „Ökonomischer Gewinn“: Differenz aus Erlösen und Opportunitätskosten aller Faktoren
 Folgerungen: Langfristig
• entspricht der Gleichgewichtspreis dem Minimum der langfristigen Stückkosten
• gilt p = min{LDK(x)}
• betragen die ökonomischen Gewinne jedes Anbieters Null
 Begründung:
• Im Falle von ökonomischen Verlusten kommt es zu Marktaustritten
• Im Falle von ökonomischen Gewinnen kommt es zu Markteintritten
• Im langfristigen Marktgleichgewicht kann keiner dieser Fälle vorliegen
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Produzentenrente
 Langfristige Produzentenrente:
• Diese beträgt unter den angegebenen Voraussetzungen stets Null
• Begründung: In einem langfristigen Wettbewerbsgleichgewicht
– erzielt jeder Anbieter stets einen ökonomischen Gewinn von Null
– erzielen deshalb alle Anbieter zusammen ebenfalls einen Gewinn von Null
• Der Übergang von einer Ausgangslage zu einer „neuen Situation“ hat daher keinen
Einfluss auf die Wohlfahrt der Anbieter
• Diese Aussage gilt für beliebige Preisänderungen
• Ergebnis:
– Die Flächen „links“ von der langfristigen Marktangebotsfunktion S können
nicht als Veränderung der langfristigen Produzentenrente interpretiert werden
– Grund: Die Marktangebotsfunktion zeigt nicht den (langfristigen)
Reservationspreis für inframarginale Einheiten an
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Produzentenrente
 Branche mit „konstanten Kosten“ (Abb. 16a):
 Voraussetzung: Veränderungen der Faktornachfragen infolge von Veränderungen des
langfristigen Marktangebots haben keinen Einfluss auf die Faktorpreise
 Dann hängt der langfristige Gleichgewichtspreis p = min{LDK(x)} nicht von der
getauschten Menge ab
 Abb. 16b: Branche mit „steigenden Kosten“ (Abb. 16b):
 Voraussetzung: Erhöhungen der Faktornachfragen infolge von Erhöhungen des
langfristigen Marktangebots bewirken (wenigstens teilweise) höhere Faktorpreise
 Dann fällt der langfristige Gleichgewichtspreis p=min{LDK(x)} umso höher aus, je
größer die getauschte Menge
 Erhöhung des langfristigen Gleichgewichtspreises von p1 auf p2: Die Flächen 1+2
• zeigen keine Veränderung der langfristigen Produzentenrente an
• zeigen stattdessen die Erhöhung von Faktorrenten an
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Finanzwissenschaft 1
61
Vertiefende Literatur
Besanko, D.A., Braeutigam, R.R., Microeconomics. An integrated approach, New York
u.a.O. 2002, Kap. 9.5
Pindyck, R.S., Rubinfeld, D.L., Mikroökonomie, 8. Aufl., München 2013, Kap. 4.4, 8.4-8.8
und 9.1
Varian, H.R., Grundzüge der Mikroökonomik, 8. Aufl., München und Wien 2011, Kap. 14, 22
und 23
Von Böventer, E., Illing, G., Einführung in die Mikroökonomie, 9. Aufl., München und Wien
1997, Kap. V.C
Wellisch, D., Finanzwissenschaft II, München 2000, Kap. 2
Wiese, H., Mikroökonomik. Eine Einführung, 6. Aufl., Berlin und Heidelberg 2014, Kap. F.1,
N.1 und N.2
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62
Grundzüge der Steuerlehre: Historisches
 Ausgangspunkt: Notwendigkeit der Finanzierung z.B.
 von Infrastruktur (Straßen, Brücken)
 des Militärwesens
 Im Laufe der Zeit sind Abgaben entstanden und haben an Bedeutung gewonnen:
 Der „Zehnte“: Bemessungsgrundlage bilden beim
• persönlichen Zehnt die Erträge aus Handel und Gewerbe
• Realzehnt die Erträge aus Viehhaltung („Blutzehnt“) oder Feldfrüchten („Feld-Zehnt“)
 Frondienste
• Handdienste (Einsatz eigener Arbeit)
• Spanndienste (Bereitstellung von Zugtieren und Geschirr)
 Zölle/Mauten: Straßen-, Brücken-, Torzoll
 Akzisen
• Spezielle Verbrauchssteuern
• Beispiele: Bier-, Salzzise
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Finanzwissenschaft 1
Grundzüge der Steuerlehre: Grundbegriffe
 Kennzeichen von „Steuern“ in §3 Abs. 1 der Abgabenordnung (Legaldefinition):
 Geldleistung (früher: auch Naturalleistungen)
 Keine Gegenleistung für besondere Leistung
 Allgemein
 Die Erzielung von Einnahmen kann Nebenzweck sein
 Abgrenzung zu anderen öffentlichen Einnahmearten: Kein Entgelt für die
 Inanspruchnahme einer Leistung (Gegensatz: Gebühr)
 vermutete oder mögliche Inanspruchnahme einer Leistung (Gegensatz: Beitrag)
 Anknüpfungspunkte der Besteuerung:
 Vermögen einer Wirtschaftseinheit (Bestand, Transaktion)
 Ertrag aus Vermögen (an der Quelle, ohne persönliche Zurechnung)
 Einkommen aus wirtschaftlicher Tätigkeit (personenbezogen)
 Einkommensverwendung
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Finanzwissenschaft 1
Grundzüge der Steuerlehre: Grundbegriffe
 Besteuerung im föderalen Staat:
 Gesetzgebungskompetenz (Artikel 105 GG):
• Wer darf eine Steuer einführen oder abschaffen?
• Entweder
– ausschließlich beim Bund oder
– konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zwischen Bund und Ländern
 Ertragskompetenz (Artikel 106 GG):
• Wem stehen die Erträge aus einer Steuer zu?
• Alternativen:
– Bund (z.B. Tabaksteuer)
– Länder (z.B. Erbschaftsteuer)
– Gemeinden (z.B. Gewerbesteuer)
– Gemeinschaftsteuern (z.B. Umsatzsteuer)
 Verwaltungskompetenz (Artikel 108 GG): Welche Ebene verwaltet eine Steuer?
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Grundzüge der Steuerlehre: Grundbegriffe
 Wichtige Begriffe (Abb. 17):
 Steuersubjekt (Zensit, Steuerpflichtiger): Natürliche oder juristische Person, auf die die
Steuerverpflichtung zutrifft
 Steuerzahler: Natürliche oder juristische Person, die die Steuer entrichtet
 Steuerträger: Wirtschaftseinheit, deren wirtschaftliche Dispositionskraft durch die
Steuer gemindert wird und die daher die Steuer im ökonomischen Sinne leistet
 Steuerdestinatar: Wirtschaftseinheit, die nach Ansicht des Gesetzgebers Steuerträger
sein soll
 Steuerobjekt (Steuergegenstand): Sache, Transaktion oder Geldsumme, auf die sich
die Steuerpflicht bezieht
 Bemessungsgrundlage (Besteuerungsmenge): In technischen, physischen oder
monetären Einheiten gemessene Größe, die der Ermittlung der Steuerschuld zugrunde
gelegt wird
 Steuertarif: Vollständige Zuordnung von Bemessungsgrundlage und Steuerbetrag,
jeweils für eine Einzelsteuer
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Grundzüge der Steuerlehre: Grundbegriffe
 Wichtige Begriffe (Fortsetzung):
 Steuerbetrag (Steuerschuld): In Geldeinheiten gemessener absoluter Betrag der zu
entrichtenden Steuer, ergibt sich durch Anwendung des Steuertarifs auf die
Bemessungsgrundlage
 Steuerfreibetrag (kurz: Freibetrag): Teil der Bemessungsgrundlage, der nicht besteuert
wird. Es wird nur derjenige Teil der Bemessungsgrundlage besteuert, der den
Freibetrag übersteigt
 Steuerfreigrenze (kurz: Freigrenze): Bis zu dieser Grenze wird – wie beim Freibetrag –
keine Steuer erhoben. Ansonsten unterliegt die gesamte Besteuerungsmenge der
Steuerpflicht
 Steuerabsetzbetrag (Abzug von der Steuerschuld): Betrag, der nach Ermittlung der
Steuerschuld davon abgesetzt wird
 Steuervermeidung (Steuerausweichung): Vermeidung des Steuertatbestands, ggf.
durch Verhaltensänderung
 Steuerhinterziehung: Nichterfüllung der Steuerpflicht, in der Regel durch falsche
Angaben zum Steuertatbestand
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Grundzüge der Steuerlehre: Grundbegriffe
 Mengen- und Wertsteuern:
 Mengensteuern:
• Die Besteuerung knüpft an technische oder physische Einheiten an
• Beispiel: Energiesteuer
 Wertsteuern:
• Die Besteuerung knüpft an eine Wertgröße an, wobei zu unterscheiden ist:
– Bruttowertsteuer (z.B. Einkommensteuer)
– Nettowertsteuer (z.B. Umsatz- bzw. Mehrwertsteuer)
• Bezeichnet werden:
– Y als Bruttobemessungsgrundlage, X als Nettobemessungsgrundlage
– t´ als Satz der Brutto-Wertsteuer, t als Satz der Netto-Wertsteuer
• Für den Steuerbetrag T gilt :
– T=Y–X
– X = Y·(1–t´)  T = Y·t´
– Y = X·(1+t)  T = X·t
© Prof. Dr. Walter Ried
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Grundzüge der Steuerlehre: Steuertarife
T ( B)  t d  B   B
 Allgemein gilt für einen Steuertarif:
 Hierbei bezeichnet
• B die Bemessungsgrundlage,
• td den durchschnittlichen Steuersatz und
• T das Aufkommen der Steuer
t d (B) 
 Für den durchschnittlichen Steuersatz td gilt:
 Die Definition des Grenzsteuersatzes tm lautet:
 Für den Grenzsteuersatz erhält man:
T (B)
B
t m ( B) 
T
B
T
td
d
 t  B
B
B
 Daraus folgt für die Differenz der beiden Steuersätze:
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td
T
d
t  B
B
B
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69
Grundzüge der Steuerlehre: Steuertarife
 Für B > 0 wird dies zur (lokalen) Einteilung der Steuertarife genutzt:
progressiv
Tarif proportion al
deg ressiv



t
 0  t m ( B)  t d ( B)  0
B


d
 Aus der Gleichung für tm erhält man:
t m (B)
T B
td B

 d
 1
 d
 B T (B) t (B)
 B t (B)
 In Elastizitäten (mit T,B als Steuerbetragselastizität und  t d , B als Steuersatzelastizität):
T ,B 
T B

 1  t d , B
 B T B
 Dies impliziert für die Tarifeinteilung:
progressiv
Tarif proportion al
deg ressiv


 T ,B  1   t d ,B  0


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Grundzüge der Steuerlehre: Steuertarife
 Graphische Veranschaulichung der beiden Steuersätze (Abb. 18):
 Die Steigung der Ursprungsgerade durch T(B) an der Stelle B gibt td(B) an
 Die Steigung der Tangente an T(B) an der Stelle B gibt tm(B) an
 Proportionaler Tarif (Abb. 18):
 Jede Einheit der Bemessungsgrundlage wird in gleicher Weise besteuert
 Es gibt weder einen Freibetrag noch eine Freigrenze
 Folgen:
• Die Steuersätze tm und td sind positiv für B > 0 und stimmen stets überein
• Die Steuerbetragsfunktion ist eine Ursprungsgerade
 Progressive Tarife
 Offene bzw. direkte Progression (Abb. 19):
• Sowohl td als auch tm steigen mit der Bemessungsgrundlage
• Es gibt weder einen Freibetrag noch eine Freigrenze
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71
Grundzüge der Steuerlehre: Steuertarife
 Versteckte bzw. indirekte Progression (Abb. 20):
• Es existiert ein Freibetrag FB, oberhalb dessen mit festem tm > 0 besteuert wird
• Folge: td nimmt mit B zu (für B > FB) und strebt „von unten“ gegen tm
• Grund:
– Die Entlastung durch den Freibetrag beträgt jeweils tm · FB
– Je größer B, desto niedriger die relative Entlastung
 Degressive Tarife:
 Offene bzw. direkte Degression (Abb. 21):
• Sowohl td als auch tm sinken mit wachsender Bemessungsgrundlage
• Es gibt weder einen Freibetrag noch eine Freigrenze
 Versteckte bzw. indirekte Degression:
• Variante 1 (Abb. 22a):
– Es existiert ein Steuerbetrag T0, der bereits für B = 0 zu entrichten ist
– Zusätzlich wird mit konstantem tm > 0 besteuert
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72
Grundzüge der Steuerlehre: Steuertarife
– Folge: Der durchschnittliche Steuersatz td nimmt mit wachsendem B ab und
strebt „von oben“ gegen den Grenzsteuersatz tm
– Grund: Je größer B, desto niedriger die relative Belastung durch T0
• Variante 2 (Abb. 22b):
– Es existiert eine Beitragsbemessungsgrenze BBG
» Für B < BBG wird mit konstantem tm > 0 belastet
» Für B ≥ BBG gilt hingegen tm = 0
– Folge: Für B ≥ BBG nimmt td mit wachsendem B ab und strebt gegen 0
– Grund: Je größer B, desto weniger wirkt sich die Belastung bis BBG aus
– Beispiel: Beitragstarif in der Gesetzlichen Krankenversicherung
» Beitragserhebung ist mit der Besteuerung vergleichbar
» Grund: Beitrag steigt mit der Bemessungsgrundlage steigt, obwohl
dadurch keine Veränderung des Leistungsanspruchs entsteht
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73
Grundzüge der Steuerlehre: Steuertarife
 Umsetzung der Tarife durch Tarifformen:
 Stufentarife:
• Der Wertebereich der Bemessungsgrundlage wird in „Stufen“ unterteilt
• Stufenbetragstarif (Abb. 23a und 23b):
– Für jede Stufe wird ein Steuerbetrag festgesetzt (Treppenfunktion)
– Entweder gilt tm = 0 oder tm ist nicht definiert (an den „Rändern“ der Stufen)
– Innerhalb einer Stufe nimmt td mit wachsendem B ab („innere Degression“)
– Problem der „Reihenfolgeumkehr“:
» Bezug: Unterschiedliche steuerliche Belastung im Bereich der Ränder
» Es treten unterschiedliche Reihenfolge für Brutto- und Nettogrößen auf
– Verschiedene Entwicklungen von td sind möglich, z.B.
» kann td an den unteren Rändern der Stufen konstant sein, an den oberen
Rändern hingegen zunehmen (Abb. 23a)
» kann td an den oberen Rändern der Stufen konstant sein, an den unteren
Rändern hingegen abnehmen (Abb. 23b)
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74
Grundzüge der Steuerlehre: Steuertarife
• Stufendurchschnittssatztarif (Abb. 24):
– Für jede Stufe wird ein Satz td festgesetzt
– Steuertarif mit linearen Teilstücken und Sprüngen an den Stufenrändern
– Innerhalb einer Stufe gilt tm = td
– Bei (von Stufe zu Stufe) wachsendem td Problem der „Reihenfolgeumkehr“
• Stufengrenzsatztarif (Abb. 25):
– Für jede Stufe wird ein Satz tm festgesetzt
– Steuertarif ist stetig, mit linearen Teilstücken und Knicken an den Stufenrändern
– Erste Stufe: td = tm, ansonsten nähert sich td innerhalb einer Stufe tm an
 Formeltarif
• Darstellung des Tarifs
– durch eine Funktion oder
– durch stufenweise definierte Funktionen
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75
Grundzüge der Steuerlehre: Steuertarife
• Beispiel für letztere Variante: Tarif der deutschen Einkommensteuer
– Bemessungsgrundlage: Zu versteuerndes Einkommen X
– 5 Tarifzonen (Abb. 25a):
» In Zone 1 keine Besteuerung („Grundfreibetrag“)
» In den Zonen 2 und 3: Grenzsteuersatz linear in X („lineare Progression“)
» In den Zonen 4 und 5 Besteuerung mit festem Steuersatz
• Problem der „kalten Progression“ (Abb. 25b):
– Bezug auf Erhöhungen des nominalem Einkommens im Zeitablauf
– Insoweit das Preisniveau steigt,
» fällt die Erhöhung des Realeinkommens geringer aus
» entsteht eine Mehrbelastung durch die Progression
– Annahmen der empirischen Analyse:
» Jährlicher Anstieg der Einkommen in Höhe der Inflationsrate
» 2014/15: 1,8 %, 2015/2016: 1,7 %
– Die relative Mehrbelastung hängt dann von der Erhöhung von td ab
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76
Grundzüge der Steuerlehre: Beispiele
 Steuer auf Alkopops (seit 2004):
 Steuerobjekt: Alkoholhaltige Süßgetränke, die
• mit alkoholfreien oder gegorenen Getränken und branntweinsteuerpflichtigen
Erzeugnissen hergestellt werden
• einen Alkoholgehalt zwischen 1,2 und 10 Vol% aufweisen
• trinkfertig gemischt in geeigneten Behältnissen abgefüllt sind
 Weitere Kennzeichen:
• Geschmack von Alkohol wird durch die Zusätze überdeckt
• (dadurch) Abgrenzung von bier- und weinhaltigen Mixgetränken, bei denen bier- und
weintypische Geruchs- und Geschmacksmerkmale noch feststellbar sind
 Tarif:
• 5.550 € je Hektoliter reinen Alkohols (bei 20 Grad Celsius)
• Beispiel: Bei 0,275l-Flasche mit 5,5 Vol% Alkohol beträgt die Steuer ca. 84 Cent
• Mengensteuer, deren Steuersatz noch vom Alkoholgehalt in Vol% abhängt
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77
Grundzüge der Steuerlehre: Beispiele
 Energiesteuer (seit 2006, früher: Mineralölsteuer):
 Kennzeichen:
• Besteuerung des Verbrauchs von Energieerzeugnissen (z.B. Mineralöle, Kohle) als
Kraft- oder Heizstoff
• Erhebung aus „verwaltungsökonomischen“ Gründen beim Hersteller/Weiterverkäufer
 Tarif: verschiedene Steuersätze für
• Unverbleites Benzin (je nach Schwefelgehalt) und Dieselkraftstoff
• Flüssiggas und Erdgas (derzeit ermäßigte Steuersätze, die bis Ende 2018 gelten)
• Ermäßigter (gegenüber der Verwendung als Kraftstoff) Steuersatz für leichtes Heizöl
 Steuersätze (Auswahl):
• 654,50€ je 1.000 Liter für unverbleites Benzin mit hohem Schwefelgehalt
• 470,40€ je 1.000 Liter Dieselkraftstoff mit geringem Schwefelgehalt
• 61,35€ je 1.000 Liter leichtes Heizöl
 Mengensteuer mit differenzierten Sätzen und mit zahlreichen Steuerbefreiungen
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Grundzüge der Steuerlehre: Beispiele
 Erbschaftsteuer/Schenkungsteuer (2009, Neuregelung steht an):
 Grundsätzlich:
• Erbanfallsteuer, keine Nachlasssteuer
• Höhe des Erbes, nicht der Erbmasse ist maßgeblich für die Besteuerung
 Zur Vermeidung der Umgehung ergänzt durch die Schenkungsteuer (mit gleichem Tarif)
 Die Neuregelung betrifft die Bewertung von Vermögensgegenständen (insbesondere
Immobilien) und die Anpassung von Freibeträgen
 Tarif:
• Drei Steuerklassen (Steuerklassen I bis III), wobei die Zuordnung aufgrund des
Verwandtschaftsverhältnisses des Erwerbers zum Erblasser bzw. Schenker erfolgt
• Diverse Freibeträge
• Steuerpflichtiger Erwerb wird mit einem Stufendurchschnittssatztarif besteuert
• Steuersätze zwischen 7 und 30 % (Steuerklasse I), zwischen 15 und 43 %
(Steuerklasse II) und zwischen 30 und 50 % (Steuerklasse III)
 Härteausgleich, um eine (ansonsten mögliche) Reihenfolgeumkehr zu verhindern
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79
Grundzüge der Steuerlehre: Äquivalenzprinzip
 Äquivalenzprinzip der Besteuerung:
 Verlangt eine steuerliche Belastung der Individuen entweder
• nach dem Vorteil, den diese aus den Ausgaben des Staates für Güter und Dienste
ziehen (nutzenmäßige Äquivalenz) oder
• nach den Ausgaben für Güter und Dienste, die der Staat aufgrund des individuellen
Verhaltens aufwenden muss (kostenmäßige Äquivalenz)
 Beispiele:
• Finanzierung öffentlicher Güter über Lindahl-Steuern (nutzenmäßige Äquivalenz)
• Besteuerung von Kraftstoff (kostenmäßige Äquivalenz)
 Das Prinzip ermöglicht es, die absolute Höhe einer Steuer festzusetzen
 Beispiel „progressive Einkommensteuer“:
• Bezieher höherer Einkommen leisten überproportional höhere Zahlungen
• Dies ist mit dem Äquivalenzprinzip vereinbar, falls diese Individuen staatliche
Leistungen überproportional in Anspruch nehmen (z.B. Schutz des Eigentums)
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80
Grundzüge der Steuerlehre: Leistungsfähigkeitsprinzip
 Leistungsfähigkeitsprinzip der Besteuerung:
 Kennzeichen:
• Besteuerung der Individuen nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
• Erfassung der Leistungsfähigkeit
– in der Regel durch das Einkommen
– alternativ auch durch den Konsum oder durch das Vermögen möglich
 Wichtige Teilaspekte: Die Steuer fällt
• für Individuen mit gleicher Leistungsfähigkeit gleich aus (horizontale Gerechtigkeit)
• für Individuen mit größerer Leistungsfähigkeit höher aus (vertikale Gerechtigkeit)
 Das Prinzip zielt auf die relative steuerliche Belastung (nicht deren absolute Höhe) ab
 Eine „progressive Einkommensteuer“ ist mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip vereinbar,
wenn Bezieher höherer Einkommen überproportional leistungsfähig sind
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81
Grundzüge der Steuerlehre: Leistungsfähigkeits- und Äquivalenzprinzip
 Vergleich der beiden Prinzipien:
 Unterschiedliche Ansatzpunkte:
• Äquivalenzprinzip → Verteilung der absoluten Steuerzahlungen
• Leistungsfähigkeitsprinzip → Verteilung der relativen Steuerzahlungen
 Unterschiedliche Erfassungsprobleme:
• Äquivalenzprinzip:
– Nutzenmäßige Variante: Problem der Nutzenmessung
– Kostenmäßige Variante: Problem der Zuordnung der Kosten auf die Individuen
• Leistungsfähigkeitsprinzip:
– Messung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit schwierig
– Beispiel Einkommen:
» 2 Individuen, Individuum 1 mit geringfügig höherem Einkommen, aber
deutlich geringerem Freizeitkonsum
» Tatsächliches oder potentielles Einkommen als Bemessungsgrundlage?
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Finanzwissenschaft 1
82
Vertiefende Literatur
Andel, N., Finanzwissenschaft, 4. Aufl., Tübingen 1998, Kap. 16
Bohley, P., Die öffentliche Finanzierung. Steuern, Gebühren und öffentliche Kreditaufnahme,
München und Wien 2003, Kap. 2 und 3
Brümmerhoff, D. und Büttner, T., Finanzwissenschaft, 11. Aufl., Berlin u.a.O. 2011, Kap. 8
Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.), Steuern von A bis Z. Ausgabe 2013, Berlin 2013
Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Steuern und Finanzen, Informationen zur
politischen Bildung, Heft 288, Bonn 2012
Homburg, S., Allgemeine Steuerlehre, 7. Aufl., München 2015, Kap. 1 und 3
Nowotny, E., Zagler, M., Der öffentliche Sektor. Einführung in die Finanzwissenschaft, 5. Aufl.,
Berlin u.a.O. 2009, Kap. 9
Scherf, W., Öffentliche Finanzen. Einführung in die Finanzwissenschaft, 2. Aufl., Konstanz und
München 2011, Kap. D.1
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Finanzwissenschaft 1
Wohlfahrtseffekte der Besteuerung
 Die Besteuerung kann Wohlfahrtseffekte auslösen
 bei Individuen,
 bei Unternehmen, oder
 „beim Staat“
 Effekte „beim Staat“:
 Annahme: Eine Steuereinnahme stiftet einen Wohlfahrtseffekt in gleicher Höhe
 Alternativen:
• Senkung des Aufkommens einer anderen Steuer
• Zusätzliche Ausgabe
 Zentrale Fragen:
 (1) Umfang und Struktur des Wohlfahrtseffekts bei einer Wirtschaftseinheit?
 (2) Gesamtwirtschaftliche Relevanz?
 (3) Inzidenz einer Steuer?
 (4) Wovon hängt die Inzidenz ab?
 Hier werden (1) und (2) behandelt, (3) und (4) folgen im nächsten Kapitel
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84
Wohlfahrtseffekte der Besteuerung
 Annahme: Bei der betrachteten Wirtschaftseinheit (Individuum oder Unternehmen)
 falle jeweils der gesamte Wohlfahrtseffekt der Besteuerung an
 liege jeweils vollständig die effektive Inzidenz der betrachteten Steuer
 Grundsätzlich kann die Besteuerung zwei Arten von Wohlfahrtseffekten auslösen:
 Entzugseffekt:
• Höhe/Änderung des Steueraufkommens (bei Einführung/Änderung einer Steuer)
• Notwendige und in der Regel erwünschte Begleiterscheinung der Besteuerung
• Der Nachteil bei der Wirtschaftseinheit entspricht dem Vorteil „beim Staat“
 Zusatzlast:
• Wohlfahrtseffekt, der sich nicht als Steueraufkommen niederschlägt
• Beispiel „Einführung einer Prohibitivsteuer“ auf ein Gut:
– Die Besteuerung führe dazu, dass der Konsum eines Individuums auf Null sinkt
– Kein Entzugseffekt, gesamter Wohlfahrtseffekt als Zusatzlast
• Keine notwendige Begleiterscheinung der Besteuerung
• Nachteil, der durch keinen Vorteil anderswo kompensiert wird
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Einführung einer speziellen Verbrauchsteuer
 Wohlfahrtseffekte bei einem Individuum:
 Voraussetzungen:
• Statische Konsumentscheidung: 2 Güter, festes Pauscheinkommen
• Individuum ist Preisnehmer auf allen Märkten
• Einführung einer speziellen Verbrauchsteuer auf Gut 1:
– Der Preis des Gutes erhöht sich von p10 auf p11
– Die effektive Inzidenz liegt vollständig beim Individuum: Es gilt
» für eine Mengensteuer: p11 – p10 = t1Me
» für eine Netto-Wertsteuer: p11 – p10 = t1We·p10
– Hier bezeichnet p1 den Preis, der für den Nachfrager ökonomisch relevant ist
 Messung des Wohlfahrtseffekts:
• Anhand des Betrags der Äquivalenzvariation ÄV(p10→p11)
• Grund: –ÄV(p10→p11) ist die maximale Zahlungsbereitschaft des Individuums zur
Vermeidung des Nachteils infolge der Besteuerung
• Wohlfahrtsverlust als Vorteil, der bei Verzicht auf die Besteuerung entstehen würde
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86
Einführung einer speziellen Verbrauchsteuer
 Fallunterscheidung:
• Fall 1: Veränderungen des Relativpreises lösen – bei gegebenem Nutzenniveau –
einen Substitutionseffekt aus
• Fall 2: Die beiden Güter sind „perfekte Komplemente“
 Fall 1 (Abb. 26a):
• Optimale Wahl
– in der Ausgangslage: Bündel A
– nach Einführung der Steuer: Bündel C
– in der Ausgangslage, wenn –ÄV(p10→p11) gezahlt würde: Bündel B
• In Einheiten von Gut 2 umfasst der gesamte Wohlfahrtsverlust –ÄV(p10→p11)
– den realen Entzugseffekt in Höhe von T1/p20:
» Vertikaler Abstand zwischen der neuen und der ursprünglichen
Budgetgeraden, gemessen an der Stelle des Güterbündels C
» Eingesparte Ausgaben für Bündel C aufgrund der Verringerung von p1
© Prof. Dr. Walter Ried
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87
Einführung einer speziellen Verbrauchsteuer
– die reale Zusatzlast ZL (real):
» Vertikaler Abstand zwischen den Parallelen zur ursprünglichen
Budgetgeraden durch B und durch C
» Eingesparte Ausgaben (in Einheiten von Gut 2) zur Realisierung des
Nutzenniveaus U1 aufgrund des Wechsels von Bündel C zu B
 Zur monetären Zusatzlast ZL:
• Diese wird gemessen durch das Produkt p20·ZL (real)
• Alternative Interpretationen:
– Mit einer Pauschalsteuer könnte der Staat in Höhe der Zusatzlast zusätzliche
Einnahmen erzielen, ohne die Wohlfahrt des Individuums zu verringern
– Potentielles Steueraufkommen, das aufgrund des Unterschieds der
betrachteten zu einer Pauschalsteuer nicht realisiert werden kann
– Mit einer Pauschalsteuer in Höhe von T1 entstünde dem Individuum ein
Wohlfahrtsgewinn in Höhe der Zusatzlast
• Gesamtwirtschaftlicher Wohlfahrtsverlust, der beim Individuum anfällt
© Prof. Dr. Walter Ried
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88
Einführung einer speziellen Verbrauchsteuer
 Wann tritt eine Zusatzlast der Besteuerung auf?
• Zusatzlast tritt auf,
– (1) wenn die Besteuerung zumindest einen Relativpreis verändert
– (2) wenn die Veränderung eines Relativpreises das Bündel beeinflusst, mit
dem das Nutzenniveau U1 zu minimalen Ausgaben realisiert werden kann
• Zu diesen Voraussetzungen:
– (1) gilt in diesem Kapitel gemäß Annahme
– (2) bezieht sich auf die Präferenzen des Individuums: Die Veränderung des
Relativpreises muss einen Substitutionseffekt auslösen
 Pauschalsteuer:
• Entscheidungen des Individuums, die bei anderen Steuern die Höhe der
Steuerschuld beeinflussen können, bleiben hier ohne Effekt
• Kurz: Die Steuerzahlung ist unabhängig vom individuellen Verhalten
• Eine Zusatzlast tritt dann allgemein (unabhängig von den Präferenzen) nicht auf
© Prof. Dr. Walter Ried
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Einführung einer speziellen Verbrauchsteuer
 Fall 2 (Abb. 26b):
• Präferenzen:
– Beide Güter sind „perfekte Komplemente“
– Nutzenfunktion: U(x1,x2) = min{a·x1,b·x2}
– Nutzenmaximale Bündel enthalten die beiden Güter im Verhältnis x2/x1 = a/b
• Unterschied zu Fall 1:
– Das Güterbündel, mit dem ein vorgegebenes Nutzenniveau zu minimalen
Ausgaben erreicht werden kann, ist unabhängig von den herrschenden Preisen
– Veränderungen eines Güterpreises lösen keinen Substitutionseffekt aus
• Die Zusatzlast der speziellen Verbrauchsteuer auf Gut 1
– beträgt jetzt Null
– tritt nicht auf, weil die steuerlich bedingte Erhöhung des Relativpreises p1/p2
» nicht beeinflusst, wie U1 zu minimalen Ausgaben erreicht werden kann
» keinen Substitutionseffekt auslöst
© Prof. Dr. Walter Ried
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90
Einführung einer speziellen Verbrauchsteuer
 Wohlfahrtseffekte bei einem Unternehmen:
 Voraussetzungen:
• Kurzfristige Analyse
• Anbieter ist Preisnehmer
• Effektive Inzidenz beim Anbieter: Es gilt
– für eine Mengensteuer: p10 – p11 = t1Me
– für eine Brutto-Wertsteuer: p10 – p11 = t1We·p10
• Hier bezeichnet p1 den Preis, der für den Anbieter ökonomisch relevant ist
 Ergebnisse (Abb. 27):
• Die maximale Zahlungsbereitschaft zur Vermeidung der Preisänderung
– entspricht der Verringerung der kurzfristigen Produzentenrente
– umfasst
» das Steueraufkommen T1 (verringerte Produzentenrente bzgl. x11) und
» die Zusatzlast ZL (entgangene Produzentenrente bzgl. x10 – x11)
• Keine Zusatzlast, wenn das kurzfristige Angebot vollkommen unelastisch ist
© Prof. Dr. Walter Ried
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Finanzwissenschaft 1
Einführung einer Steuer auf Arbeitseinkommen
 Voraussetzungen:
 Individuum ist Preisnehmer auf allen Märkten
 Preis des (einzigen) Konsumguts: p0
 Das Individuum trage vollständig die Last der Steuer: Für den Netto-Lohnsatz w gilt
• bei einer Mengensteuer: w0 – w1 = tAMe
• bei einer Brutto-Wertsteuer: w0 – w1 = tAWe·w0
 Graphische Analyse (Abb. 28):
 Konsum-Arbeitszeit-Entscheidung
 Budgetrestriktion: Nettoausgaben p·C – w·A = 0, mit 0≤A≤Ω
 Optimale Wahl
• in der Ausgangslage: Bündel a
• nach Einführung der Steuer: Bündel c
• in der Ausgangslage, wenn –ÄV(w0→w1) gezahlt würde: Bündel b
© Prof. Dr. Walter Ried
91
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Finanzwissenschaft 1
92
Einführung einer Steuer auf Arbeitseinkommen
 Wohlfahrtsverlust in Höhe von –ÄV(w0→w1):
• Erster Teileffekt:
– Entzugseffekt in Höhe von TA
– Eingesparte Nettoausgaben für Bündel c aufgrund des höheren Lohnsatzes w0
• Zweiter Teileffekt:
– Zusatzlast ZL
– Eingesparte Nettoausgaben, wenn U1 anstelle von c durch b erreicht wird
 In Abb. 28 sind diese Effekte jeweils real, d.h. in Einheiten von C dargestellt
 Die Zusatzlast beträgt Null
 wenn die betrachtete Steuer den realen Netto-Lohnsatz w/p nicht beeinflusst oder
 Freizeit und Konsum „perfekte Komplemente“ sind
 Wie wirkt eine allgemeine Verbrauchsteuer?
 Netto-Wertsteuer mit dem Satz t´ auf alle Konsumgüter
 Unter der o.a. Inzidenzannahme kein Einfluss auf die Relativpreise der Konsumgüter
 Wirkung wie eine Pauschalsteuer?
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Finanzwissenschaft 1
Wohlfahrtseffekte der Besteuerung
 Zusammenhang Besteuerung des Arbeitseinkommens und allgemeine Verbrauchsteuer:
 Besteuerung des Arbeitseinkommens:
• Budgetrestriktion: p·C – w·A = p·C – w´·(1–t)·A = 0
• t stellt den Satz der Brutto-Wertsteuer dar
• w´: Brutto-Lohnsatz, w: Netto-Lohnsatz, p: Preisvektor der Konsumgüter
 Allgemeine Verbrauchsteuer:
• Budgetrestriktion: p·(1+t´)·C – w·A = 0
• t´ ist der Satz der allgemeinen Verbrauchsteuer
• w: Lohnsatz, p·(1+t´): Vektor der Brutto-Preise der Konsumgüter
 Folgerungen:
 Für t´ = t/(1–t) sind beide Formen der Besteuerung äquivalent
 Eine allgemeine Verbrauchsteuer ist in der Regel mit einer Zusatzlast verbunden
 Bei unveränderten Relativpreisen der Konsumgüter verändert sich der Reallohn
© Prof. Dr. Walter Ried
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Finanzwissenschaft 1
Wohlfahrtseffekte der Besteuerung
 Ergebnisse:
 Die Einführung einer Steuer
• löst i.a. einen Entzugseffekt und eine Zusatzlast aus
• bewirkt eine Zusatzlast, die nichtnegativ ausfällt
 Ausnahmen:
• Pauschalsteuer: Keine Zusatzlast
• Prohibitivsteuer: Kein Entzugseffekt
 Allgemeiner: Eine Veränderung der Besteuerung
• löst i.a. eine Veränderung des Entzugseffekts sowie der Zusatzlast aus
• kann auch bei höherem Aufkommen eine geringere Zusatzlast bewirken
 Bei gleichem Entzugseffekt
• können Steuerstrukturen unterschiedliche Wohlfahrtseffekten auslösen
• kann die Zusatzlast mit einer anderen Steuerstruktur eventuell verringert werden
 Das letzte Ergebnis ist Ausgangspunkt der wohlfahrtsoptimalen Besteuerung
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Finanzwissenschaft 1
Die Zusatzlast von Preissubventionen
 Steuern und Subventionen bzw. Transfers:
 Richtung des Zahlungsstroms unterschiedlich, ansonsten sehr ähnlich
 Veranschaulichung: Einführung einer speziellen Preissubvention auf Gut 1
 Fall 1 (Abb. 29a):
 Voraussetzungen:
• Inzidenz vollständig beim Individuum
• Individuum ist Preisnehmer auf allen Märkten
• Einführung einer speziellen Preissubvention auf Gut 1:
– Der Preis des Gutes verringert sich von p10 auf p11
– Es gilt p10 – p11 = z1Me (Stücksubvention)
• Der Preis p1 bezeichnet den für das Individuum ökonomisch relevanten Preis
 Messung des Wohlfahrtseffekts:
• ÄV(p10→p11) als Zahlung, die das Individuum mindestens benötigt, um auf den
Vorteil durch die Preissubvention verzichten zu können
• Wohlfahrtsgewinn als Nachteil, der ohne die Preissubvention entstehen würde
© Prof. Dr. Walter Ried
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Finanzwissenschaft 1
Die Zusatzlast von Preissubventionen
 Optimale Wahl
• in der Ausgangslage: Bündel A
• nach Einführung der Preissubvention: Bündel C
• in der Ausgangslage, wenn das Pauscheinkommen um ÄV(p10→p11) erhöht
würde: Bündel B
 Die Subventionszahlung Z1 umfasst
• einerseits den Wohlfahrtsgewinn in Höhe von ÄV(p10→p11)
• andererseits die Zusatzlast ZL = p20·ZL(real)
 Begründung und Interpretation der Zusatzlast:
• Die spezielle Preissubvention löst einen Substitutionseffekt aus
• Gegeben die Preise der Ausgangslage, stellt C nicht das Bündel dar, das mit
minimalen Ausgaben das Nutzenniveau U1 realisiert
• Die Zusatzlast stellt einen gesellschaftlichen Wohlfahrtsverlust dar
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Die Zusatzlast von Preissubventionen
 Die Zusatzlast ZL
• kann unterschiedlich interpretiert werden:
– Mit einer Pauschalsubvention könnte der Staat seine Ausgaben um die
Zusatzlast verringern, ohne die Wohlfahrt des Individuums zu verändern
– Potentielle Ausgabeneinsparung, die wegen des Unterschieds der betrachteten
Subvention zu einer Pauschalsubvention nicht realisiert werden kann
– Mit einer Pauschalsubvention in Höhe von Z1 könnte der Staat die Wohlfahrt
des Individuums in dieser Höhe steigern
• zeigt einen sozialen Wohlfahrtsverlust an, der „beim Staat“ anfällt
 Wann tritt eine Zusatzlast der Subvention des Güterkonsums auf?
• Die Zusatzlast tritt auf, wenn die Veränderung eines Relativpreises das Bündel
beeinflusst, mit dem U1 zu minimalen Ausgaben realisiert werden kann
• Zwei Voraussetzungen:
– Subvention muss den (allgemeiner: zumindest einen) Relativpreis verändern
– Präferenzen: Die Preisänderung muss einen Substitutionseffekt auslösen
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Die Zusatzlast von Preissubventionen
 Fall 2 (Abb. 29b):
 Voraussetzungen:
• Inzidenz vollständig beim Anbieter, der Preisnehmer ist
• Kurzfristige Analyse
• Hier bezeichnet p1 den für den Anbieter ökonomisch relevanten Preis
• Es gilt: p11 – p10 = z1Me (Stücksubvention)
 Ergebnisse:
• Die subventionsbedingte Preiserhöhung führt zu einem höheren Angebot
• Die minimale Zahlungsakzeptanz zur Vermeidung der Preisänderung
– entspricht der Erhöhung der (kurzfristigen) Produzentenrente
– entsteht als Differenz aus
» der Subventionszahlung Z1 und
» den Produktionskosten für x11 – x10, soweit diese höher als p10 sind
 Keine Zusatzlast, wenn das kurzfristige Angebot vollkommen unelastisch ist
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98
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
Finanzwissenschaft 1
99
Literatur
Blankart, C.B., Öffentliche Finanzen in der Demokratie: eine Einführung in die
Finanzwissenschaft, 8. Aufl., München 2011, Kap. 11.A und 11.B
Cullis, J. und Jones, P., Public Finance and Public Choice, 2nd ed., Oxford University Press,
Oxford u.a.O. 1998, Kap. 7.1-7.2
Homburg, S., Allgemeine Steuerlehre, 7. Aufl., München 2015, §§30-32
Rosen, H.S., Gayer, T., Public Finance, 8. Aufl., Boston u.a.O. 2008, Kap. 15
Stiglitz, J.E., Economics of the public sector, 3. Aufl., New York und London 2000, Kap. 19
Wellisch, D., Finanzwissenschaft II. Theorie der Besteuerung, München 2000, Kap. 2 und 3.1
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Finanzwissenschaft 1
100
Inzidenz der Besteuerung
 Inzidenz und Überwälzung:
 Zwei Inzidenzkonzepte:
• Formale Inzidenz: Wer zahlt die Steuer?
• Effektive (oder: materielle) Inzidenz: Wer trägt die ökonomische Last der Steuer?
 Es kommt zu einer (teilweisen) Überwälzung einer Steuer, wenn formale und effektive
Inzidenz (teilweise) auseinander fallen
 Arten der Überwälzung anhand eines Beispiels:
• Voraussetzungen:
– Einführung einer speziellen Verbrauchsteuer auf ein (Konsum-)Gut
– Der Anbieter zahle die Steuer
• Vorwälzung: Inzidenz liegt wenigstens teilweise bei den Nachfragern des Gutes
• Rückwälzung: Inzidenz liegt wenigstens teilweise bei den Anbietern der
Produktionsfaktoren
• Querwälzung (auch: „schräge Überwälzung“): Inzidenz liegt wenigstens teilweise
bei den Nachfragern anderer Güter
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Finanzwissenschaft 1
101
Inzidenz der Besteuerung
 Voraussetzungen:
 Proportionale Steuern
• Mengensteuer mit dem Satz tMe
• (Netto-)Wertsteuer mit dem Satz tWe
 Partialmarktanalyse:
• Nur der Markt für das besteuerte Gut (bzw. den besteuerten Faktor) wird betrachtet
• Gegensatz: Allgemeine Gleichgewichtsanalyse
 Marktformen:
• Wettbewerbsmarkt: Keine Marktmacht
• (Angebots-)Monopol: Anbieter kann den Preis setzen
 Betrachtete Steuern:
• Spezielle Verbrauchsteuer
• Spezielle Faktorsteuer (nicht explizit, aber: Analyse und Ergebnisse vergleichbar)
 Kurz- versus langfristige Analyse
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Finanzwissenschaft 1
Inzidenz der Besteuerung
 Zwei relevante Preiskonzepte:
 Anbieterpreis p:
• Ökonomisch relevanter Preis für einen Anbieter
• Der Preis p entspricht den Grenzkosten der Produktion
 Nachfragerpreis q:
• Ökonomisch relevanter Preis für einen Nachfrager
• Der Preis q entspricht der maximalen Zahlungsbereitschaft
 Anbieter- und Nachfragerpreis sind unabhängig von der formalen Inzidenz
 Es gilt
 für eine Mengensteuer: q = p+tMe
 für eine (Netto-)Wertsteuer: q = p·(1+tWe)
 Formale Inzidenz beim Anbieter (Abb. 30a): Pro Einheit
 leistet ein Nachfrager eine Zahlung in Höhe von q an einen Anbieter
 erhält ein Anbieter per Saldo lediglich eine Zahlung in Höhe von p
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102
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Finanzwissenschaft 1
103
Inzidenz der Besteuerung
 Formale Inzidenz beim Nachfrager (Abb. 30b): Pro Einheit
 erhält ein Anbieter eine Zahlung in Höhe von p von einem Nachfrager
 leistet ein Nachfrager brutto eine Zahlung in Höhe von q
 Messung der effektiven Inzidenz
 auf der Angebotsseite anhand der Veränderung des Anbieterpreises
 auf der Nachfragerseite anhand der Veränderung des Nachfragerpreises
 Beispiel Einführung (bzw. Erhöhung) einer Mengensteuer:
 Effektive Inzidenz auf Anbieterseite:
• Für ∆p = 0 keine Inzidenz, für ∆p < 0 teilweise
• Für ∆p = –tMe (bzw. ∆p = –∆tMe) vollständig
 Effektive Inzidenz auf Nachfrageseite:
• Für ∆q = 0 keine Inzidenz, für ∆q > 0 teilweise
• Für ∆q = tMe (bzw. ∆q = ∆tMe) vollständig
 Eine vollständige Analyse würde noch die (Veränderung der) Zusatzlast berücksichtigen
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Finanzwissenschaft 1
104
Steuerüberwälzung auf Wettbewerbsmärkten
 Marktangebotsfunktion:
 bezogen auf den Anbieterpreis p:
• Normalfall: S(p) steigend in p, d.h. S(p) nimmt zu, wenn p steigt
• Spezialfälle:
– „Vollkommen preisunelastisches Angebot“: S(p) unabhängig von p
– „Vollkommen preiselastisches Angebot“: S(p) positiv und endlich (aber nicht
eindeutig bestimmt) lediglich für ein p>0
• S(p) ist unabhängig von der Besteuerung
 bezogen auf den Nachfragerpreis q:
• Es gilt für alle p mit S(p) ≥ 0
– bei einer Mengensteuer: S(p+tMe,2) = S(p+tMe,1)
– bei einer (Netto-)Wertsteuer: S[p·(1+tWe,2)] = S[p·(1+tWe,1)]
• Steuerbetrag pro Einheit legt das Marktangebot im q-Raum fest
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105
Steuerüberwälzung auf Wettbewerbsmärkten
 Folgerungen:
• Im Normalfall ist die Marktangebotsfunktion im Raum des Nachfragerpreises
– parallel „nach oben“ zu verschieben
» bei Einführung einer Mengensteuer (Abb. 31a)
» bei Erhöhung einer bereits bestehenden Mengensteuer
– „nach links“ um den (fiktiven) Schnittpunkt mit der horizontalen Achse zu drehen
» bei Einführung einer Wertsteuer (Abb. 32a)
» bei Erhöhung einer bereits bestehenden Wertsteuer
• Spezialfälle: Im q-Raum bewirkt die Erhöhung einer Mengen- oder Wertsteuer eine
– Verschiebung „nach oben“ bei vollkommen preisunelastischer Marktangebot
– Parallelverschiebung „nach oben“ bei vollkommen preiselastischem
Marktangebot
• Veränderungen einer Mengen- oder Wertsteuer haben keinen Einfluss auf die Lage
der Marktangebotsfunktion im Raum des Anbieterpreises
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106
Steuerüberwälzung auf Wettbewerbsmärkten
 Marktnachfragefunktion
 bezogen auf den Nachfragerpreis q:
• Normalfall: D(q) fallend in q, d.h. D(q) sinkt, wenn q steigt
• Spezialfälle:
– „Vollkommen preisunelastische Nachfrage“: D(q) unabhängig von q
– „Vollkommen preiselastische Nachfrage“: D(q) positiv und endlich (aber nicht
eindeutig bestimmt) lediglich für ein q > 0
• D(q) ist unabhängig von der Besteuerung
 bezogen auf den Anbieterpreis p:
• Es gilt für alle q mit D(q) ≥ 0:
– D(q–tMe,2) = D(q–tMe,1) bei einer Mengensteuer
– D[q/(1+tWe,2)] = D[q/(1+tWe,1)] bei einer (Netto-)Wertsteuer
• Der Steuerbetrag pro Einheit legt die Marktnachfrage im p-Raum fest
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Finanzwissenschaft 1
107
Steuerüberwälzung auf Wettbewerbsmärkten
 Folgerungen:
• Im Normalfall ist die Marktnachfragefunktion im Raum des Anbieterpreises
– parallel „nach unten“ zu verschieben
» bei Einführung einer Mengensteuer (Abb. 31b)
» bei Erhöhung einer bereits bestehenden Mengensteuer
– „nach links“ um den Schnittpunkt mit der horizontalen Achse zu drehen
» bei Einführung einer Wertsteuer (Abb. 32b)
» bei Erhöhung einer bereits bestehenden Wertsteuer
• Spezialfälle: Im p-Raum bewirkt die Erhöhung einer Mengen- oder Wertsteuer eine
– Verschiebung „nach unten“ bei vollkommen preisunelastischer Marktnachfrage
– Parallelverschiebung „nach unten“ bei vollkommen preiselastischer
Marktnachfrage
• Veränderungen einer Mengen- oder Wertsteuer haben keinen Einfluss auf die Lage
der Marktnachfragefunktion im Raum des Nachfragerpreises
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108
Steuerüberwälzung auf Wettbewerbsmärkten
 Inzidenz der Einführung einer Mengensteuer
 Graphische Analyse, um
• die Veränderung ∆p im Raum des Anbieterpreises zu ermitteln
• die Veränderung ∆q im Raum des Nachfragerpreises zu ermitteln
 Normalfall (Abb. 33):
• Marktangebotsfunktion steigend in p und Marktnachfragefunktion fallend in q
• Beispiel: Lineare Funktionen
• Resultate:
– Rückgang der getauschten Menge
– ∆p < 0 und ∆q > 0
– ∆p wird ceteris paribus betragsmäßig größer, wenn
» die Marktangebotsfunktion „steiler“ verläuft, d.h. weniger preiselastisch ist
» die Marktnachfragefunktion „flacher“ verläuft, d.h. stärker preiselastisch ist
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109
Steuerüberwälzung auf Wettbewerbsmärkten
– ∆q wird ceteris paribus größer, wenn
» die Marktangebotsfunktion „flacher“ verläuft, d.h. stärker preiselastisch ist
» die Marktnachfragefunktion „steiler“ verläuft, d.h. weniger preiselastisch ist
 Spezialfälle (Abb. 34):
• Inzidenz allein bei den Anbietern (keine Überwälzung):
– Dann gelten ∆p = –tMe und ∆q = 0
– Kommt zustande, wenn
» die Marktangebotsfunktion vollkommen preisunelastisch ist (Fall a) oder
» die Marktnachfragefunktion vollkommen preiselastisch ist (Fall d)
• Inzidenz allein bei den Nachfragern (vollständige Überwälzung):
– Dann gelten ∆p = 0 und ∆q = tMe
– Kommt zustande, wenn
» die Marktangebotsfunktion vollkommen preiselastisch ist (Fall b) oder
» die Marktnachfragefunktion vollkommen preisunelastisch ist (Fall c)
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110
Steuerüberwälzung auf Wettbewerbsmärkten
 Inzidenz der Erhöhung einer bereits bestehenden Mengensteuer im Normalfall (Abb. 35):
 Ausgangslage: Mengensteuer mit Satz tMe,1
• Ermittlung von p1 anhand von S(p) und D(tMe,1) im p-Raum
• Ermittlung von q1 anhand von S(tMe,1) und D(q) im q-Raum
• Es gilt: q1 – p1 = tMe,1
 Übergang zu einem höheren Satz tMe,2
• Rückgang der getauschten Menge von x*,1 auf x*,2
• Ermittlung von ∆p = p2 – p1 anhand von S(p) und D(tMe,2) im p-Raum
• Ermittlung von ∆q = q2 – q1 anhand von S(tMe,2) und D(q) im q-Raum
• Es gilt: q2 – p2 = tMe,2
 Inzidenz der Verringerung einer bereits bestehenden Mengensteuer im Normalfall:
 Grundsätzlich identische Vorgehensweise
 Abb. 35 kann verwendet werden, indem man die o.a. Chronologie „umkehrt“
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Finanzwissenschaft 1
111
Steuerüberwälzung auf Wettbewerbsmärkten
 Inzidenz der Erhöhung einer Mengensteuer (algebraische Analyse):
 Definition:
q  p  t Me


  D q 
S  p   D p  t Me
 Markt-Gleichgewicht (p-Raum):

S q  t Me
 Markt-Gleichgewicht (q-Raum):
 Veränderung des Anbieterpreises:
• Totales Differential:
• Umformen führt auf:
• Daraus folgt:
S
D
 dp 
 dp  dt Me
p
q


D
D q

q
q D
dp


dt Me  S  D  S q p  D q

  

 p q  p D p q D
dp

dt Me
 D ,q
S,p 
q
  D ,q
p
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
1
S,p q
 1
 D ,q p
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Finanzwissenschaft 1
112
Steuerüberwälzung auf Wettbewerbsmärkten
• Hierbei bezeichnet
– ηS,p die Elastizität des Marktangebots bezüglich des Anbieterpreises
– ηD,q die Elastizität der Marktnachfrage bezüglich des Nachfragerpreises
 Dies impliziert für die Veränderung des Nachfragerpreises:
dq
dp
 Me  1 
Me
dt
dt
S,p 
q
p
q
 S , p    D ,q
p

q
p
q  D ,q

p S, p
 Resultate:
• Die effektive Inzidenz hängt wesentlich von der Preiselastizität der
Marktangebotsfunktion relativ zur Preiselastizität der Marktnachfragefunktion ab
• Die effektive Inzidenz liegt primär
– bei den Anbietern, wenn die Marktnachfragefunktion relativ preiselastisch ist
– bei den Nachfragern, wenn die Marktangebotsfunktion relativ preiselastisch ist
• Die effektive Inzidenz ist unabhängig von der formalen Inzidenz
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Finanzwissenschaft 1
113
Steuerüberwälzung auf Wettbewerbsmärkten
 Spezialfälle:
• Einführung einer Mengensteuer:
 D ,q
1
dp


dt Me  S , p   D ,q  S , p
• Vollkommen preisunelastische Marktangebotsfunktion:
 D ,q
 S,p
dp
dq



1

0
dt Me  S , p   D , q
dt Me  S , p   D , q
 D ,q
1
• Vollkommen preiselastische Marktangebotsfunktion:
1
dq
 D ,q
dp

1


0
Me

Me
dt
D
,
q
 S , p   D ,q
dt
1
 S,p
• Vollkommen preisunelastische Marktnachfragefunktion:
 D ,q
S, p
dp
dq


0

1
dt Me  S , p   D , q
dt Me  S , p   D ,q
• Vollkommen preiselastische Marktnachfragefunktion:
dp
1
S,p
dq



1

0
Me
S,p
dt Me



dt
S,p
D ,q
1
 D ,q
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Finanzwissenschaft 1
114
Steuerüberwälzung auf Wettbewerbsmärkten
 Inzidenz einer Wertsteuer im Normalfall
 Einführung der Steuer (Abb. 36):
• Ermittlung von ∆p (bzw. ∆q) im Raum des Anbieterpreises (bzw. Nachfragerpreises)
• Darstellung des Steuerbetrags pro Einheit p1·tWe im p-Raum
• Qualitativ gleiche Resultate wie für die Einführung einer Mengensteuer
– Es gelten ∆p < 0 und ∆q > 0 (Bezug auf den Normalfall!)
– Die effektive Inzidenz hängt wiederum von den Preiselastizitäten der
Marktangebots- und der Marktnachfragefunktion ab
 Veränderung einer Steuer durch Erhöhung des Satzes von tWe,1 auf tWe,2 (Abb. 37)
• Rückgang der getauschten Menge von x*,1 auf x*,2
• Ermittlung von ∆p = p2 – p1 anhand von S(p) und D(tWe,2) im p-Raum
• Ermittlung von ∆q = q2 – q1 anhand von S(tWe,2) und D(q) im q-Raum
• Es gilt: q2 – p2 = p2·tMe,2
• Darstellung der Steuerbeträge pro Einheit p1·tWe,1 und p2·tWe,2 jeweils im p-Raum
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Finanzwissenschaft 1
115
Steuerüberwälzung auf Wettbewerbsmärkten
 Inzidenz der Erhöhung einer Wertsteuer (algebraische Analyse):


S  p   D  p  1  t 
q  p  1  t We
 Definition (Netto-)Wertsteuer:
 Markt-Gleichgewicht (p-Raum):
 Markt-Gleichgewicht (q-Raum):
We
 q 
S
 D q 
We 
1 t 
 Veränderung des Nachfragerpreises:
• Totales Differential:
• Umformen führt auf:
• Daraus folgt:
 D
 dq
 dt  
2

q

S
S
1
1
q



q
q
2
2
p
p
dq


1  t We 
1  t We  S


S
D
S
1
1
q D q
dt We






We
We
 p 1 t
q
S
q D
 p 1 t
S  1
q
dq



 p 1  t We
1  t We

S, p  p
dq


dt We  S , p   D , q
p
1
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 D ,q
S, p

We
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Finanzwissenschaft 1
116
Steuerüberwälzung auf Wettbewerbsmärkten
 Was gilt für die Veränderung des Anbieterpreises?
• Aus der Definition der Wertsteuer folgt:
• Dies impliziert:
1  t   dp  p  dt
We
We
 dq
S , p  p
dq
 p    p
We
dp
S,p
D ,q
dt


dt We
1  t We
1  t We
• Nach Umformung erhält man:
dp

dt We
 D ,q  p
 S , p   D ,q
1  t We

 D,q 
S, p
p
p
1  t We  1  t We
S,p
  D ,q
1
 D ,q
 Speziell gilt für die Einführung einer Wertsteuer:
 D ,q  p
dp
p


 S,p
 S , p   D ,q
dt We
 D ,q
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1
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Finanzwissenschaft 1
117
Steuerüberwälzung auf Wettbewerbsmärkten
 Zwischenergebnisse:
 Das Verhalten
• der Anbieter wird durch die Marktangebotsfunktion S(p) beschrieben
• der Nachfrager wird durch die Marktnachfragefunktion D(q) beschrieben
 Die Einführung einer (oder Veränderung einer bereits bestehenden) Steuer löst in
diesem Sinne keine Verhaltensänderung aus
 Die Wirkungen einer Steuer kommen zustande,
• weil ihre Einführung einen Keil zwischen Anbieter- und Nachfragerpreis treibt
• weil ihre Änderung einen bereits bestehenden Keil zwischen Anbieter- und
Nachfragerpreis verändert
• weil bei gegebenem Verhalten von Anbietern und Nachfragern die Bedingung
eines Markt-Gleichgewichts
– eine Veränderung von Anbieter- oder Nachfragerpreis erfordert
– in der Regel auch eine Veränderung der getauschten Menge nach sich zieht
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Finanzwissenschaft 1
118
Steuerüberwälzung auf Wettbewerbsmärkten
 Die effektive Inzidenz auf Nachfragerseite hängt maßgeblich davon ab, ob und in
welchem Umfang Substitutionsmöglichkeiten bestehen
 Grund: Je mehr Substitution möglich ist, desto preiselastischer die Nachfragefunktion
 Überwälzung bei Einführung oder Erhöhung einer Steuer:
• Wenn die formale Inzidenz bei den Anbietern liegt, kommt es
– zu einer teilweisen Überwälzung auf die Nachfrager, wenn ∆q positiv, aber
kleiner als der Steuerbetrag pro Einheit ist
– zu einer vollständigen Überwälzung auf die Nachfrager, wenn ∆q dem
Steuerbetrag pro Einheit entspricht
• Wenn die formale Inzidenz bei den Nachfragern liegt, kommt es
– zu einer teilweisen Überwälzung auf die Anbieter, wenn ∆p betragsmäßig
größer als Null, aber kleiner als der Steuerbetrag pro Einheit ist
– zu einer vollständigen Überwälzung auf die Anbieter, wenn ∆p betragsmäßig
mit dem Steuerbetrag pro Einheit übereinstimmt
© Prof. Dr. Walter Ried
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Finanzwissenschaft 1
Steuerüberwälzung auf Wettbewerbsmärkten
 Äquivalenz von Mengen- und Wertsteuer (Abb. 38):
 Ausgangslage:
• Mengensteuer mit dem Satz tMe > 0
• Die Besteuerung führt allgemein zu ∆p ≤ 0 und ∆q ≥ 0
• Die Abbildung zeigt den Normalfall (mit ∆p < 0 und ∆q > 0)
• Es gilt: q1 = p1+tMe, D(q1) = S(p1+tMe), D(q1 – tMe) = S(p1)
 Wechsel zu einer (Netto-)Wertsteuer, deren Satz die Bedingung p1·tWe = tMe erfüllt
• Dann gilt
– für Anbieter- und Nachfragerpreis q1 = p1·(1+tWe)
– für Marktangebots- und Marktnachfragefunktion D(q1) = S[p1·(1+tWe)]
• Ergebnis: Kein Einfluss auf das Gleichgewicht
 Umgekehrt übt folgender Wechsel keinen Einfluss auf das Gleichgewicht aus:
• p1 bezeichne den Anbieterpreis in der Ausgangslage mit Wertsteuer
• Es gelte tMe = p1·tWe
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119
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Finanzwissenschaft 1
120
Steuerüberwälzung im Monopol
 Voraussetzungen:
 Angebotsmonopol
• Der (einzige) Anbieter kann den Preis seines Gutes setzen
• Die (zahlreichen) Nachfrager verhalten sich als Preisnehmer
 Spezialfall zur Veranschaulichung:
• Lineare Preis-Absatz-Funktion (inverse Marktnachfragefunktion)
• Konstante Grenzkosten
 Da eine Angebotsfunktion des Monopolisten nicht existiert, sind die Steuerwirkungen
im Raum des Anbieterpreises zu analysieren
 Inzidenz der Einführung einer Mengensteuer (Abb. 39):
 Für jede mögliche Absatzmenge gilt:
• Der Anbieterpreis p (und damit der durchschnittliche Erlös) verringert sich um tMe
• Ebenso verringert sich der Grenzerlös um tMe
 Parallelverschiebung von Marktnachfragefunktion und Grenzerlöskurve um tMe „nach
unten“ im Raum des Anbieterpreises
© Prof. Dr. Walter Ried
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Finanzwissenschaft 1
121
Steuerüberwälzung im Monopol
 Resultate:
• Verringerung der getauschten Menge
• Der Nachfragerpreis steigt (∆q > 0) und der Anbieterpreis sinkt (∆p < 0)
• In dem hier untersuchten Spezialfall gilt: ∆q = –∆p = tMe/2
• Monopolist und Nachfrager tragen die ökonomische Last jeweils zur Hälfte
 Inzidenz der Einführung einer (Netto-)Wertsteuer (Abb. 40):
 Für jede mögliche Absatzmenge gilt:
• Der Anbieterpreis und der Durchschnittserlös sinken auf das 1/(1+tWe)-fache
• Ebenso verringert sich der Grenzerlös auf das 1/(1+tWe)-fache
 Im Raum des Anbieterpreises erhält man
• die „neue“ Marktnachfragefunktion durch eine Drehung um den Schnittpunkt mit der
Mengenachse „nach unten“
• die „neue“ Grenzerlöskurve durch eine Drehung um den Schnittpunkt mit der
Mengenachse „nach unten“
© Prof. Dr. Walter Ried
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
Finanzwissenschaft 1
122
Steuerüberwälzung im Monopol
 Resultate:
• Verringerung der getauschten Menge
• Der Nachfragerpreis steigt (∆q > 0) und der Anbieterpreis sinkt (∆p < 0)
• Unter den zur Veranschaulichung gewählten Bedingungen gilt: ∆q < p1·tWe/2 < –∆p
• Der Monopolist trägt den größeren Teil der ökonomischen Last
 Ergebnisse:
 Trotz maximaler Marktmacht trägt der Monopolist einen Teil der ökonomischen Last
 Wenn eine Mengen- und eine (Netto-)Wertsteuer dieselbe Allokation auf dem
betrachteten Markt erzeugen, gilt:
• Es wird jeweils dieselbe Menge zu demselben Nachfragerpreis getauscht
• Die Inzidenz der Wertsteuer liegt stärker beim Monopolisten, d.h.
– der zugehörige Anbieterpreis fällt geringer aus
– das Steueraufkommen der Wertsteuer fällt größer aus
 Im (Angebots-)Monopol gilt somit die Äquivalenz von Mengen- und Wertsteuer nicht!
© Prof. Dr. Walter Ried
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Finanzwissenschaft 1
123
Kurz- versus langfristige Inzidenz
 Auf Wettbewerbsmärkten ist diese Unterscheidung wichtig
 für die effektive Inzidenz auf Seiten der Anbieter von Gütern
 für die effektive Inzidenz auf Seiten der Anbieter von Faktoren
 Einführung einer speziellen Verbrauchsteuer auf ein Gut, das auf einem Wettbewerbsmarkt
mit freiem Marktzutritt und freiem Marktaustritt angeboten wird:
 Kurzfristige Effekte:
• Verringerung der Produzentenrente infolge der Verringerung des Anbieterpreises
• Die effektive Inzidenz auf Anbieterseite fällt bei den Unternehmen an
 Langfristige Effekte:
• Abhängig vom Zusammenhang zwischen langfristigem Angebot und Faktorpreisen
• Die langfristige Produzentenrente (die seinem ökonomischen Gewinn entspricht)
eines Anbieters beträgt stets Null
• Die effektive Inzidenz auf Anbieterseite kann nicht bei den Unternehmen anfallen,
sondern bestenfalls bei den Anbietern von Produktionsfaktoren
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Finanzwissenschaft 1
124
Kurz- versus langfristige Inzidenz
 Fall 1: Faktorpreise unabhängig von der langfristig getauschten Menge (Abb. 41a):
• Die langfristige Marktangebotsfunktion ist vollkommen preiselastisch
• Die steuerliche Maßnahme ruft keine Veränderung des Anbieterpreises hervor
• Keine ökonomische Last bei den Anbietern der Produktionsfaktoren
• Die langfristige Inzidenz liegt vollständig bei den Nachfragern
 Fall 2: Eine Erhöhung der im langfristigen Gleichgewicht getauschten Menge bewirkt
eine Erhöhung zumindest eines Faktorpreises (Abb. 41b):
• Die langfristige Marktangebotsfunktion ist steigend im Anbieterpreis
• Die steuerliche Maßnahme ruft eine Verringerung des Anbieterpreises hervor
• Die Verringerung der getauschten Menge führt zu einer Verringerung der
Faktornachfragen, was eine Verringerung zumindest eines Faktorpreises auslöst
• Daraus resultiert ein Wohlfahrtsverlust bei den Anbietern dieses Faktors
• Die langfristige Inzidenz fällt teilweise bei den Anbietern derjenigen Faktoren an,
deren Preise infolge der steuerlichen Maßnahme gesunken sind
© Prof. Dr. Walter Ried
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Finanzwissenschaft 1
125
Literatur
Blankart, C.B., Öffentliche Finanzen in der Demokratie: eine Einführung in die
Finanzwissenschaft, 8. Aufl., München 2011, Kap. 16.A-C
Bohley, P., Die öffentliche Finanzierung, München und Wien 2003, Kap. 4
Brümmerhoff, D. und Büttner, T., Finanzwissenschaft, 11. Aufl., Berlin u.a.O. 2015, Kap. 9
Homburg, S., Allgemeine Steuerlehre, 7. Aufl., München 2015, Kap. 4
Stiglitz, J.E., Economics of the public sector, 3. Aufl., New York und London 2000, Kap. 18
Wellisch, D., Finanzwissenschaft II. Theorie der Besteuerung, München 2000, Kap. 6.1
Zimmermann, H., Henke, K.-D., Broer, M., Finanzwissenschaft: eine Einführung in die Lehre
von der öffentlichen Finanzwirtschaft, 11. Aufl., München 2013, Kap. 6.B
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Finanzwissenschaft 1
126
Reine öffentliche Güter
 Bisher wurden reine private Güter betrachtet, mit den konstitutiven Eigenschaften:
 Rivalität im Konsum:
• Der Konsum einer Einheit durch ein Individuum verhindert den gleichzeitigen
Konsum derselben Einheit durch ein anderes Individuum
• Mit anderen Worten: Ein gleichzeitiger Konsum derselben Einheit eines Gutes durch
mehrere Individuen ist unmöglich
 Ausschließbarkeit (Ausschlussprinzip):
• Es ist (zu geringen Kosten) möglich, potentielle Nutzer vom Konsum auszuschließen
• Der Ausschluss kann erfolgen
– über den Preis
– anhand anderer Kriterien (z.B. numerus clausus beim Hochschulstudium)
 Beispiele: Nahrungsmittel, Kleidung
 Ergebnisse der Wohlfahrtstheorie (Kap. 1): Bereitstellung
 durch Märkte möglich (da ein Ausschluss z.B. über den Preis möglich ist)
 durch Wettbewerbsmärkte ohne staatlichen Einfluss effizient
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127
Reine öffentliche Güter
 Genauer gilt auf einem Wettbewerbsmarkt px = MCx = MMZBx
• MCx bezeichnet die Grenzkosten der Produktion des Gutes
• MMZBx bezeichnet die maximale marginale Zahlungsbereitschaft eines
Nachfragers, der das Gut in positiver Menge konsumiert
 Bei manchen Güter sind diese Eigenschaften nur teilweise oder gar nicht erfüllt:
 Keine Rivalität im Konsum, aber Ausschließbarkeit:
• Club- oder Mautgüter
• Beispiel: Autobahn
 Rivalität im Konsum, aber keine Ausschließbarkeit:
• Allmende-Güter oder kollektiv nutzbare Ressourcen (common pool resources)
• Beispiel: Hochseefischerei
 Weder Rivalität im Konsum noch Ausschließbarkeit: Reine öffentliche Güter
 Konstitutive Eigenschaften reiner öffentlicher Güter:
 Nicht-Rivalität im Konsum:
• Der Konsum einer Einheit durch ein Individuum behindert nicht den gleichzeitigen
Konsum derselben Einheit durch ein anderes Individuum
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Reine öffentliche Güter
• Diese Definition umfasst mehrere Aspekte (Abb. 42):
– Ein gemeinsamer Konsum ist möglich
– Keine gegenseitigen Beeinträchtigungen
– Jeder Nutzer kann dieselbe Menge konsumieren
• Beispiele: Deich, Leuchtturm, innere und äußere Sicherheit
• Sonderfall partielle Rivalität im Konsum:
– Ein gemeinsamer Konsum
» ist möglich
» kann aber gegenseitige Beeinträchtigungen bewirken
– Beeinträchtigungen treten erst oberhalb einer Kapazitätsgrenze auf
– Beispiele: Konzert, Vorlesung
 Nicht-Ausschließbarkeit (Abb. 43):
• Ein Ausschluss potentieller Nutzer ist nicht möglich
– (entweder) aus technischen Gründen
– (oder) aufgrund zu hoher Kosten
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Reine öffentliche Güter
• Die Eigenschaft kann abhängen
– von rechtlichen Voraussetzungen (sind Eigentumsrechte zugewiesen?)
– vom Stand des technischen Wissens
• Beispiele: Luftqualität, Hochseefischerei, TV-Programme (früher)
 Fehlender Ausschluss und Nicht-Ausschließbarkeit:
• Die Nicht-Ausschließbarkeit impliziert, dass kein Ausschluss praktiziert wird
• Die Umkehrung gilt jedoch nicht
 Private und öffentliche Güter:
 Öffentliche Güter:
• Die Nicht-Rivalität im Konsum liegt vor (ggf. innerhalb einer Kapazitätsgrenze)
• Diese Kategorie umfasst
– reine öffentliche Güter
– Mautgüter
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Reine öffentliche Güter
 Private Güter:
• Die Rivalität im Konsum liegt vor
• Diese Kategorie umfasst
– reine private Güter
– Allmende-Güter
 Im Folgenden werden reine öffentliche Güter untersucht. Zentrale Fragen:
 Wie lassen sich effiziente Allokationen kennzeichnen?
 Unterschiede zur effizienten Allokation reiner privater Güter?
 Wie können diese implementiert werden?
 Modell:
 Zwei Güter
• X: aggregierte Menge des reinen privaten Gutes
• Y: aggregierte Menge des reinen öffentlichen Gutes
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131
Reine öffentliche Güter
 Zwei Individuen
• (Y,xi) bezeichnet das Güterbündel von Individuum i
• Aufgrund der konstitutiven Eigenschaften konsumiert jeder dieselbe Menge Y
• Präferenzen jeweils
– darstellbar durch Nutzenfunktion Ui(Y,xi)
– mit abnehmender Grenzrate der Substitution (entlang einer Indifferenzkurve)
• Grenzrate der Substitution GRS: Absolutbetrag der Steigung einer Indifferenzkurve
 Unternehmenssektor:
• Die Transformationskurve X(Y)
– gibt die Produktionsmöglichkeiten bei effizienter Produktion an
– weist eine zunehmende Grenzrate der Transformation auf
• Grenzrate der Transformation GRT: Absolutbetrag der Steigung von X(Y)
 Präferenzen für das reine öffentliche Gut (Abb. 44a – 44c):
 Es geht um Einkommenseffekte, die hier anhand von GRS beschrieben werden
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132
Reine öffentliche Güter
 Die Grenzrate der Substitution GRSxi,Y
• bezieht sich auf Individuum i und jeweils ein festes Nutzenniveau
• gibt den Verzicht auf das reine private Gut an, den i für eine zusätzliche Einheit des
reinen öffentlichen Gutes maximal zu leisten bereit ist
• ist die MMZBi für das öffentliche Gut in Einheiten des privaten Gutes
 Reines öffentliches Gut normal (Abb. 44a):
• Die GRSxi,Y nimmt zu, wenn nur die Menge des reinen privaten Gutes erhöht wird
• Übliche mikroökonomische Definition:
– Bei höherem Nutzenniveau und gleicher Grenzrate der Substitution
– enthält das optimale Bündel eine größere Menge des reinen öffentlichen Gutes
• Bei abnehmender GRSxi,Y sind beide Bedingungen äquivalent
 Präferenzen quasi-linear in Bezug auf das reine öffentliche Gut (Abb. 44b):
• Die GRSxi,Y bleibt konstant, wenn nur die Menge des reinen privaten Gutes steigt
• Äquivalent dazu: Bei höherem Nutzenniveau und gleicher Grenzrate der Substitution
enthält das optimale Bündel dieselbe Menge des reinen öffentlichen Gutes
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Reine öffentliche Güter
 Reines öffentliches Gut inferior (Abb. 44c):
• Die GRSxi,Y nimmt ab, wenn nur die Menge des reinen privaten Gutes steigt
• Äquivalent dazu: Bei höherem Nutzenniveau und gleicher Grenzrate der Substitution
enthält das optimale Bündel eine geringere Menge des reinen öffentlichen Gutes
 Ermittlung und Beschreibung effizienter Allokationen
 Effiziente Allokationen:
• Pareto-Effizienz:
• Es ist nicht möglich, den Nutzen eines Individuums ohne Nutzeneinbuße des
anderen Individuums zu erhöhen
• Bezug auf die gesamte Gesellschaft bzw. die gesamte Volkswirtschaft
• Vorgehensweise:
– Maximierung des Nutzens eines Individuums
– Restriktionen:
– Effiziente Produktion
– Vorgabe eines (Mindest-)Nutzenniveaus für das andere Individuum
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134
Reine öffentliche Güter
 Graphische Analyse (Abb. 45)
• Oberes Diagramm:
– Darstellung der Produktionsmöglichkeiten durch die Transformationskurve X(Y)
– Darstellung des Konsums von Individuum 2,
» der ein fest vorgegebenes Nutzenniveau U 2 sichert
» wobei das erste Individuum noch das reine private Gut konsumieren kann
– Letzteres trifft zu, wenn die Menge Y die Restriktionen Y´ ≤ Y ≤ Y´´ erfüllt
• Unteres Diagramm:
– Darstellung der verbleibenden Konsummöglichkeiten von Individuum 1
– Konzept der Residualkurve x1(Y):
» Bezug jeweils auf eine mögliche Menge Y
» Die Residualkurve gibt für jedes Y den für Individuum 1 maximal
möglichen Konsum des reinen privaten Gutes an
– Die Residualkurve stellt eine „Budget“-Kurve für Individuum 1 dar
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135
Reine öffentliche Güter
• Wie findet man eine effiziente Allokation?
– Unteres Diagramm: (Y*,x1*) auf der Residualkurve ist optimal für Individuum 1
– Man erhält im oberen Diagramm für das reine private Gut
» die zugehörige aggregierte Menge: X* = X(Y*)
» den zugehörigen Konsum von Individuum 2 aus:

U 2  U 2 Y * , x2*
 Algebraische Analyse
• Es gilt für die Steigung der
– Transformationskurve:
X
 GRT X ,Y Y , X 
Y T
– Indifferenzkurve von Individuum i:
• Residualkurve für Individuum 1:
– Definition:
– Steigung:
x1 Y 
R
 xi
 GRS xi ,Y Y , xi 
Y U i
 X Y   x2 Y 
T
U2
 x1
X
x

 2
 GRTX ,Y Y , X   GRS x2 ,Y Y , x2 
Y R Y T Y U 2
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
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136
Reine öffentliche Güter
• Optimalitätsbedingung:
• Dies ist äquivalent zu:



Y , x   GRS Y

 
, x   GRT Y , X 
 GRT X ,Y Y * , X *  GRS x 2 ,Y Y * , x2*  GRS x1 ,Y Y * , x1*
GRS x1 ,Y
*
*
1
x2 ,Y
*
*
2
*
*
X ,Y
 Kennzeichnung effizienter Allokationen:
• Die Summe der Grenzraten der Substitution GRSxi,Y stimmt mit der Grenzrate der
Transformation GRTX,Y überein
• Alternativ: Die Summe der MMZBi stimmt mit den volkswirtschaftlichen Grenzkosten
von Y überein, jeweils gemessen in Einheiten des privaten Gutes
• „Samuelson-Bedingung“
 Wie (wenn überhaupt) ändert sich die effiziente Menge des reinen öffentlichen Gutes, wenn
eine andere Nutzenallokation betrachtet wird?
 Allgemein:
• Eine Erhöhung (bzw. Verringerung) des Nutzenniveaus von Individuum 2 erzwingt
eine Verringerung (bzw. Erhöhung) des maximalen Nutzenniveaus von Individuum 1
• Grund: Pareto-Effizienz der Ausgangslage
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Reine öffentliche Güter
 Beispiel (Abb. 46):
• Erhöhung des Nutzenniveaus von Individuum 2
• Annahmen bezüglich der Präferenzen:
– Für Individuum 1 ist das reine öffentliche Gut normal
– Individuum 2: Quasi-lineare Präferenzen für das reine öffentliche Gut
• Daraus folgt zunächst:
– Die GRSx2,Y für die Bündel (Y*,x2*) und (Y*,x̃2) sind identisch
– Die Residualkurve für Individuum 1 verändert sich
– Die GRSx1,Y für das Bündel (Y*,x̃1) ist geringer als für das Bündel (Y*,x1*)
• Und weiter:
– Für die Allokation [(Y*,X*),(Y*,x̃1),(Y*,x̃2)] gilt, dass
» die Summe der GRS kleiner als die GRT ausfällt
» sie nicht die Samuelson-Bedingung erfüllt da
– Die Menge Y* kann somit nicht mehr effizient sein
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138
Reine öffentliche Güter
• Resultate:
– Die effiziente Menge Y** fällt nun geringer aus
– Ferner: Die effiziente Menge des reinen öffentlichen Gutes
» bliebe konstant, wenn auch Individuum 1 quasi-lineare Präferenzen hätte
» würde steigen, wenn das reine öffentliche Gut für Individuum 1 inferior wäre
– Nachweis der letzten beiden Aussagen jeweils wie im o.a. Fall
 Ferner gilt, wenn die Voraussetzung eines höheren Nutzenniveaus von Individuum 2
beibehalten wird (Abb. 47):
• Wenn das reine öffentliche Gut für Individuum 2 normal ist,
– steigt die effiziente Menge dieses Gutes, wenn
» es inferior für Individuum 1 ist oder
» dessen Präferenzen quasi-linear bezüglich Y sind
– bleibt die Veränderung der effizienten Menge unbestimmt, wenn es für
Individuum 1 ebenfalls ein normales Gut darstellt
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139
Reine öffentliche Güter
• Wenn das reine öffentliche Gut für Individuum 2 inferior ist,
– sinkt die effiziente Menge dieses Gutes, wenn
» es normal für Individuum 1 ist oder
» dessen Präferenzen quasi-linear bezüglich Y sind
– bleibt die Veränderung der effizienten Menge unbestimmt, wenn es für
Individuum 1 ebenfalls ein inferiores Gut darstellt
 Allgemeine Resultate (für N ≥ 2 Individuen):
 Die Samuelson-Regel ist eine notwendige Bedingung für effiziente Allokationen
 Wenn die Präferenzen aller Individuen bezüglich des reinen öffentlichen Gutes quasilinear sind, enthalten alle effizienten Allokationen dieselbe Menge dieses Gutes
 Weiteres zur Samuelson-Bedingung:
 Die Analyse hat lediglich folgende Eigenschaften verwendet:
• Rivalität im Konsum bei Gut X
• Nicht-Rivalität im Konsum bei Gut Y
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Finanzwissenschaft 1
140
Reine öffentliche Güter
 Also gilt die Effizienz-Bedingung allgemeiner für öffentliche Güter, wenn
• die individuellen MMZBi und die volkswirtschaftlichen Grenzkosten
• jeweils in Einheiten eines privaten Gutes gemessen werden
 Welche Bedeutung hat die Nicht-Ausschließbarkeit bei reinen öffentlichen Gütern?
• Die MMZBi stellen private Information dar
• Eine Entscheidung über die Bereitstellung kann
– nur die Angaben der Individuen über ihre MMZB berücksichtigen
– die Samuelson-Bedingung nicht umsetzen, wenn die Individuen einen Anreiz
haben, anstelle ihrer wahren MMZB eine andere Angabe zu machen
• Bei Nicht-Ausschließbarkeit
– werden alle Individuen die bereitgestellte Menge konsumieren
– können Individuen einen Anreiz haben, durch die Angabe einer falschen MMZB
die Bereitstellung zu ihren Gunsten zu beeinflussen
• Grund:
– Die Angabe eines Individuums kann Folgen für alle potentiellen Nutzer haben
– Strategische Interdependenz der individuellen Angaben
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141
Reine öffentliche Güter
 Ausschließbarkeit bei öffentlichen Gütern:
• Wenn Ausschluss praktiziert werden kann,
– ist Freifahrer-Verhalten nicht möglich
– gibt es keine grundsätzlichen Effizienzprobleme
• Beispiele: Konzerte, Sportveranstaltungen
 Vergleich der Effizienz-Bedingungen für (reine) private und (reine) öffentliche Güter:
 Darstellung jeweils in einem „Preis-Mengen“-Diagramm
 (Reine) öffentliche Güter (Abb. 48a und 48b):
• Die Kurve „S“
– gibt die GRT in Abhängigkeit von der Menge des (reinen) öffentlichen Gutes an
– kann als (reale) Marktangebotsfunktion interpretiert werden, wenn der
Unternehmenssektor wettbewerblich organisiert ist
– weist eine positive Steigung auf, da steigende reale Grenzkosten des (reinen)
öffentlichen Gutes angenommen werden
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142
Reine öffentliche Güter
• Eine Kurve „Di“
– gibt die MMZBi für das (reine) öffentliche Gut an, gegeben ein Nutzenniveau Ui
– ist als „Pseudo-Nachfrage“ von Individuum i zu interpretieren,
» die sich auf die wahre MMZBi und damit auf seine Präferenzen bezieht
» da nicht unbedingt ein Anreiz besteht, diese zu offenbaren
– dient daher primär zur Veranschaulichung der Effizienz-Bedingung
• Die Kurve „D1+2“
– entsteht durch vertikale Summation der individuellen Pseudo-Nachfragen
– gibt die aggregierte MMZB der beiden Individuen an
– bezieht sich auf eine unterstellte Nutzenallokation
– kann nicht als (reale) Marktnachfragefunktion interpretiert werden
• Effiziente Allokation: Die Individuen
– konsumieren dieselbe Menge des (reinen) öffentlichen Guts
– können (und werden im allgemeinen) unterschiedliche MMZBs aufweisen
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Finanzwissenschaft 1
143
Reine öffentliche Güter
• Eine Implementierung über Wettbewerbsmärkte ist nicht möglich:
– Es besteht kein Anreiz, die Pseudo-Nachfrage tatsächlich zu äußern
– Grund: Strategische Interdependenz der individuellen Angaben
• Vergleich der Abb. 48a und 48b:
– Die Kurven „S“ und „D2“ stimmen jeweils überein
– Die Pseudo-Nachfrage „D1“ zeigt nun für jede Menge Y eine höhere MMZB an
– Interpretation:
» Abb. 48b liegt eine andere Nutzenallokation zugrunde
» Die Präferenzen der beiden Individuen implizieren dann Y** > Y*
 (Reine) private Güter (Abb. 49):
• Die Menge des (reinen) privaten Gutes werde mit Z bezeichnet
• Nun werden in Einheiten eines anderen (reinen) privaten Gutes gemessen:
– Die Grenzrate der Transformation GRTX,Z
– Die MMZBi bzw. die GRSxi,zi der Individuen
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Finanzwissenschaft 1
144
Reine öffentliche Güter
• Für eine gegebene Menge Z gibt
– die Kurve S jeweils die Grenzrate der Transformation GRTX,Z an
– eine Kurve Di jeweils die MMZB von Individuum i an, gegeben einen Nutzen Ui
• Die Kurve D1+2
– entsteht durch horizontale Summation der Di
– gibt die Menge des Gutes Z an, welche die Individuen insgesamt „nachfragen“
• Effiziente Allokation: Die Individuen mit positivem Konsum
– weisen alle dieselbe MMZB bzw. GRSxi,zi auf
– können (und werden im allgemeinen) unterschiedliche Mengen konsumieren
• Eine Implementierung über Wettbewerbsmärkte ist grundsätzlich möglich:
– Individuen haben einen Anreiz, ihre wahren Präferenzen zu äußern
– Begründung:
» Sie müssen die Konsequenzen ihrer Äußerung alleine tragen
» Es liegt somit keine strategische Interdependenz vor
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145
Reine öffentliche Güter: Lindahl-Lösung
 Voraussetzungen (Abb. 50a):
 Produktion des reinen öffentlichen Guts:
• Konstante Grenz- und Durchschnittskosten in Höhe von p
• Zu diesen Kosten können beliebige Mengen – gemäß S – bereitgestellt werden
 Eine Kurve „Di“
• gibt die Nachfrage an, die Individuum i entfalten würde
– bei gegebenem Einkommen und gegebenen Preisen anderer Güter
– in Abhängigkeit vom Preis pi gemäß seinen Präferenzen
• gibt zugleich die maximale Zahlungsbereitschaft pi(Y) von Individuum i pro Einheit
des reinen öffentlichen Gutes an
• ist konzeptionell mit der Nachfrage nach einem reinen privaten Gut vergleichbar
• stellt die Pseudo-Nachfrage von Individuum i nach dem reinen öffentlichen Gut dar
 Die Kurve „D1+2“ gibt für jede Menge des reinen öffentlichen Gutes die maximale
Zahlungsbereitschaft p1(Y) + p2(Y) beider Individuen pro Einheit an
 Informationslage: Die individuellen Zahlungsbereitschafts-Kurven sind allgemein bekannt
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Finanzwissenschaft 1
146
Reine öffentliche Güter: Lindahl-Lösung
 Interpretation 1: Verhandlung zweier Individuen (Abb. 50b)
 Aus der Zahlungsbereitschaftskurve „D2“ kann eine Kurve „S2“ konstruiert werden,
• die für jede Menge des reinen öffentlichen Gutes eine Zahlung angibt, die
– sich auf Individuum 1 bezieht und p1 = p – p2(Y) beträgt
– zusammen mit der Zahlung p2 pro Einheit gerade die Stückkosten p deckt
• die als „Angebotskurve“ von Individuum 2 an Individuum 1 zu interpretieren ist
 Gleichgewicht bzw. Verhandlungslösung:
• Bezug auf die wahren MMZBi
• Bereitstellung einer Menge Y*, wobei für p1* = p1(Y*) und p2* = p2(Y*) gilt: p1* + p2* = p
• Wenn für ein privates Gut px = MCx gilt, folgt daraus:
– pi* = GRSxi,Y* · px
– P = GRTX,Y · px
• Folgerung: Die Verhandlungslösung erfüllt dann die Samuelson-Bedingung
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Reine öffentliche Güter: Lindahl-Lösung
 Interpretation 2: Besteuerung durch den Staat (Abb. 50a)
 Der Staat gibt individuelle Steuerpreise pi vor, deren Summe p ergibt
 Wenn Individuum i eine Nachfrage gemäß seiner Pseudo-Nachfrage „Di“ entfaltet,
• muss es pro Einheit Steuern in Höhe von pi entrichten
• stellt pi den (individuellen) Steuerpreis des reinen öffentlichen Guts dar
 Lindahl-Gleichgewicht:
• Verteilung von Steuerpreisen pi* derart, dass gilt:
– p1* + p2* = p
– Beide Individuen fragen jeweils gemäß „Di“ dieselbe Menge Y* nach
• Wenn private Güter auf Wettbewerbsmärkten getauscht werden,
– ist die Samuelson-Bedingung erfüllt
– liegt Effizienz vor
 Besteuerung nach dem Äquivalenzprinzip:
• Die Steuerzahlung von Individuum i entspricht seiner MMZBi in Geldeinheiten
• Marginale Nutzenäquivalenz
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148
Reine öffentliche Güter: Lindahl-Lösung
 Lindahl-Gleichgewicht:
 Die bereitgestellte Menge hängt von der herrschenden Einkommensverteilung ab
 Eine andere effiziente Menge
• ist möglich, wenn die Präferenzen der Individuen nicht (sämtlich) quasi-linear sind
• kann dann erreicht werden durch eine Korrektur der Einkommensverteilung, indem
geeignete individuelle Pausch-Transfers und –Steuern angewendet werden
 Die individuellen Steuerpreise
• haben (gerade) nicht die Aufgabe, unterschiedliche „Nachfragen“ auszulösen
• besitzen eine rein distributive Funktion
 Zentrales Problem:
• Die zur Implementierung nötige Information ist nicht vorhanden
• Die Individuen haben ohne weitere Vorkehrungen keinen Anreiz, die private
Information über ihre Präferenzen zu offenbaren
• Fehlende Anreiz-Kompatibilität des Gleichgewichts
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Finanzwissenschaft 1
Reine öffentliche Güter: Implementierungsprobleme
 Anreiz zum Trittbrettfahrer-Verhalten (Abb. 51):
 Bezug: Zwei Individuen A und B, die jeweils
• zum Preis von 100 Geldeinheiten eine Einheit eines reinen öffentlichen Gutes
erwerben oder darauf verzichten können
• einen Beitrag leisten oder nicht beitragen können
 Die maximalen Zahlungsbereitschaften pro Einheit (MMZB)
• fallen für die erste Einheit jeweils größer aus als für die zweite Einheit
• sind jeweils geringer als die Kosten des reinen öffentlichen Gutes
 Die Individuen
• entscheiden darüber, ob sie einen Beitrag leisten oder nicht
• können ihre Strategie nicht verbindlich (für das andere Individuum) festlegen
 Die maximale Bereitstellungsmenge
• beträgt zwei Einheiten
• kommt genau dann zustande, wenn beide Individuen einen Beitrag leisten
© Prof. Dr. Walter Ried
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Finanzwissenschaft 1
150
Reine öffentliche Güter: Implementierungsprobleme
 Der Vorteil aufgrund einer Strategie für das Individuum
• wird gemessen durch die Differenz aus der Summe der eigenen MMZB für die
bereitgestellten Einheiten und eventuellen Kosten in Höhe des (eigenen) Beitrags
• hängt davon ab, welche Strategie das andere Individuum wählt
 Die Strategie „kein Beitrag“
• stellt ein Individuum stets besser als die alternative Strategie
• ist daher eine dominante Strategie
 Ergebnisse:
• Beide Individuen wählen die Strategie „kein Beitrag“
• „Trittbrettfahrer-“ oder „Freifahrer-Verhalten“: Jeder hofft auf den Beitrag des Anderen
• Obwohl eine Pareto-Verbesserung zustande käme, wenn beide einen Beitrag leisten
würden, wird das reine öffentliche Gut nicht bereitgestellt
• Private Entscheidungen können eine ineffizient geringe Bereitstellung eines reinen
öffentlichen Gutes bewirken
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Finanzwissenschaft 1
151
Literatur
Blankart, C.B., Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 8. Aufl., München 2011, Kap. 4
Brümmerhoff, D. und Büttner, T., Finanzwissenschaft, 11. Aufl., Berlin u.a.O. 2015, Kap. 4.4
Connolly, S. und Munro, A., Economics of the public sector, Prentice Hall, London England
u.a.O. 1999, Kap. 4
Rosen, H., Gayer, T., Public Finance, 8. Aufl., Boston u.a.O. 2008, Kap. 4
Rosen, H., Windisch, R., Finanzwissenschaft I, München und Wien 1992, Kap. 5
Wellisch, D., Finanzwissenschaft I. Rechtfertigung der Staatstätigkeit, München 2000, Kap. 3.1
© Prof. Dr. Walter Ried
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Finanzwissenschaft 1
152
Unreine öffentliche Güter: Ballungskosten
 Unreine öffentliche Güter:
 Kennzeichen: Partielle Rivalität im Konsum
• Ab einer Mindestanzahl von Nutzern
– treten gegenseitige Beeinträchtigungen beim gemeinsamen Konsum auf
– entstehen „Ballungskosten“
• Beispiele: Straßen, Ausstellungen, …
 Ausschluss
• kann zu teuer oder nicht möglich sein (früher: Straßen)
• kann praktiziert werden
– über eine Nutzergebühr (staatliche oder staatlich autorisierte Bereitstellung)
– über den Preis bzw. den Wettbewerb (private Bereitstellung: Clubgüter)
 Staatliche Bereitstellung unreiner öffentlicher Güter
 Nutzung ohne weitere Vorkehrungen: „Markt-Lösung“
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Finanzwissenschaft 1
Unreine öffentliche Güter: Ballungskosten
 Effiziente Nutzung bei gegebener Kapazität:
• Kennzeichen?
• Umsetzung?
 Effiziente Anpassung der Kapazität:
• Kennzeichen?
• Umsetzung?
 Beispiel „Nutzung einer Straße“
 Voraussetzungen:
• Analyse von „Standardfahrten“, die
– sich z.B. auf eine gegebene Wegstrecke beziehen können
– die jeweils fixe Kosten in Höhe von C verursachen
• X: Anzahl der gleichzeitig unternommenen (Standard-)Fahrten
• K: Ausbaustufe der Straße
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153
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154
Unreine öffentliche Güter: Ballungskosten
• Die Funktion Z(X,K)
– gibt die Zeitkosten pro (Standard-)Fahrt in Abhängigkeit von X und K an
– hat folgende Eigenschaften: Für X > X0(K)
» steigen (bzw. sinken) die Zeitkosten mit höherem X (bzw. höherem K)
Z
Z
» gelten
 0 und
 0
X
K
• C + Z(X,K): Gesamtkosten einer (Standard-)Fahrt
 Individuelles Kalkül für eine gegebene Ausbaustufe K  K :
• Die marginale maximale ZB für eine Nutzung gegeben X wird mit p(X) bezeichnet
• Die eigene Nutzung hat keinen spürbaren Einfluss auf die Kosten pro Fahrt
 
• Die Nutzung ist vorteilhaft, wenn p X   C  Z X , K erfüllt ist
 „Markt-Lösung“ ohne weiteren staatlichen Eingriff (Abb. 52a):
• Alle Individuen, für die dies vorteilhaft ist, befahren die Straße
• „Gleichgewichtige“ Nutzung:
• Annahme:
 
p( X e )  C  Z X e , K 
X e  X0 K
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155
Unreine öffentliche Güter: Ballungskosten
 Ist die Nutzung Xe gesellschaftlich effizient?
• Für X Fahrten und eine gegebene Ausbaustufe K  K betragen
X  C  Z X , K 
– die gesellschaftlichen Gesamtkosten
– die gesellschaftlichen Grenzkosten für X > X0(K)




SMC X , K  C  Z X , K  X 



Z
X,K  C  Z X,K
X

• Somit gilt speziell für Xe, dass
– die gesellschaftlichen Grenzkosten SMC größer sind als der Grenzvorteil pe
– die Nutzung der Straße ineffizient hoch ausfällt
• Grund:
– Die Individuen berücksichtigen nicht die (Grenz-)Kosten, die ihre eigene
Entscheidung bei anderen Nutzern verursacht
– Strategische Interdependenz der individuellen Entscheidungen
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Finanzwissenschaft 1
156
Unreine öffentliche Güter: Ballungskosten
 Wohlfahrtseffekte der „Markt-Lösung“ (Abb. 52b):
• Für X < X*
– ist p(X) größer als die gesellschaftlichen Grenzkosten einer Fahrt
– entspricht der Netto-Wohlfahrtsgewinn aufgrund von X demjenigen Teil der
Fläche 2, der sich auf das Intervall [0, X] bezieht
• Für X = X*
– entspricht p(X) gerade den gesellschaftlichen Grenzkosten einer Fahrt
– entspricht die Differenz


p( X * )  C  Z X * , K

gerade den gesellschaftlichen
Zusatzkosten aufgrund aller Fahrten
– gibt die Fläche 2 den Netto-Wohlfahrtsgewinn aufgrund aller Fahrten an
• Für X* < X ≤ Xe
– ist p(X) kleiner als die gesellschaftlichen Grenzkosten einer Fahrt
– gibt der Saldo aus der Fläche 2 und demjenigen Teil der Fläche 1, der sich auf
[X*, X] bezieht, den Netto-Wohlfahrtsgewinn aufgrund aller Fahrten an
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Finanzwissenschaft 1
157
Unreine öffentliche Güter: Nutzergebühren
 Effiziente Nutzung der Straße bei gegebener Ausbaustufe (Abb. 53):
• Für die effiziente Anzahl X* der Fahrten gilt:
– Die gesellschaftlichen Grenzkosten der marginalen Fahrt entsprechen p* = p(X*)
– Der Grenzvorteil des „marginalen“ Nutzers entspricht der Summe aus eigenen
Kosten und gesellschaftlichen Zusatzkosten
– Alternativ: Der Grenznachteil aus dem Verzicht auf die marginale Fahrt
entspricht der Summe der Grenzvorteile aller Nutzer
– „Samuelson-Bedingung“
• Die Kosten pro Fahrt an der Stelle X* betragen p̃
 Wie kann die effiziente Nutzung erreicht werden?
• Nutzergebühr t* in Höhe der Differenz aus p* und p̃
• Probleme: Die Erhebung dieser Gebühr
– verursacht selbst Kosten
– setzt voraus, dass p(X) und die Gesamtkosten bekannt sind
• Annahme: t* sei bekannt und könne ohne (Zusatz-)Kosten erhoben werden
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158
Unreine öffentliche Güter: Nutzergebühren
 Gesellschaftliche Wohlfahrtseffekte der effizienten Nutzergebühr t* (Abb. 54a):
• Vorüberlegung:
– Die Gesamtkosten von X Fahrten können äquivalent ermittelt werden als

» Produkt der Anzahl X und der Stückkosten C  Z X , K



» Integral von (bzw. als Fläche unter) SMC X , K über den Bereich [0, X]
– Folgerung: Die Flächen 4 und 5 sind gleich groß
• Für die Anzahl X* der unternommenen Fahrten gilt:
– Konsumentenrente brutto: Flächen 2 + 3 + 4 = 2 + 3 + 5
– Konsumentenrente netto: Flächen 2 + 4 – 5 = 2
– Einnahmen aufgrund der Nutzergebühr (Staat):
» Flächen 3 + 5
» Transfer, daher für die Gesellschaft insgesamt irrelevant
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Finanzwissenschaft 1
159
Unreine öffentliche Güter: Nutzergebühren
– Der gesellschaftliche Wohlfahrtseffekt entspricht
» der Brutto-Konsumentenrente
» der Fläche 2 + 3 + 5
• Für den Verzicht auf Xe – X* Fahrten gilt:
– Saldo aus
» vermiedenen gesellschaftlichen Kosten und
» nicht entstandenen privaten Vorteilen
– Entspricht der Fläche 1
 Gesellschaftliche Wohlfahrtsrelevanz der Nutzergebühr t*:
• Bezogen auf X*, signalisiert die Gebühr tatsächlichen und potentiellen Nutzern die
tatsächlichen gesellschaftlichen Zusatzkosten einer Fahrt
• Eine Fahrt wird genau dann unternommen, wenn sie effizient ist:
– Gesellschaftlich effiziente Fahrten werden ohne Ausnahme unternommen
– Auf gesellschaftlich ineffiziente Fahrten wird verzichtet
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160
Unreine öffentliche Güter: Nutzergebühren
 Vergleich anderer Gebühren mit der effizienten Nutzergebühr t*:
• Eine höhere Nutzergebühr t (mit t > t*)
– verhindert ebenfalls alle gesellschaftlich ineffizienten Fahrten (Effekt 1)
– verhindert außerdem einige gesellschaftlich effiziente Fahrten (Effekt 2)
– bewirkt im Vergleich zu der „Markt-Lösung“
» eine Verbesserung, wenn der Wohlfahrtsgewinn aufgrund von Effekt 1
größer ausfällt als der Wohlfahrtsverlust aufgrund von Effekt 2
» möglicherweise eine Verschlechterung
• Eine geringere Nutzergebühr (mit t < t*)
– sorgt ebenfalls dafür, dass alle gesellschaftlich effizienten Fahrten
unternommen werden (Effekt 1)
– bewirkt zusätzlich, dass einige gesellschaftlich ineffiziente Fahrten
unternommen werden (Effekt 2)
– führt stets zu einer Verbesserung gegenüber der „Markt-Lösung“
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161
Unreine öffentliche Güter: Nutzergebühren
 Wohlfahrtseffekte für die Autofahrer (Abb. 54b):
• Annahme: Aus den Gebühreneinnahmen erwachse den Autofahrern kein Vorteil
• Option 1: „Markt-Lösung“:
– Vorteil der (Gruppe der) Autofahrer: 2 + 3 + 4 – 1 = 2 + 3 + 5 – 1
– Entspricht dem gesellschaftlichen Vorteil aufgrund von Xe Fahrten
• Option 2: Erhebung der Nutzergebühr t*:
– Der Vorteil der (Gruppe der) Autofahrer
» entspricht der Fläche 2 + 4 – 5 = 2
» ist geringer als der gesellschaftliche Vorteil bei X* Fahrten
– Die Differenz entspricht den Einnahmen aus der Nutzergebühr
• Folgerungen:
– Die „Markt-Lösung“ kann für die Autofahrer die bessere Option darstellen
– Dazu müssen die Gebühreneinnahmen (Flächen 3 + 5) höher sein als der
gesellschaftliche Wohlfahrtsgewinn aufgrund des Übergangs von Xe zu X*
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Finanzwissenschaft 1
162
Unreine öffentliche Güter: Kapazitätsplanung
 Effiziente Anpassung der Ausbaustufe:
 Annahmen:
• Betrachtet werden effiziente Nutzungen X*(K) für jede Ausbaustufe K
• Es gelte jeweils: X*(K) > X0(K)
 Gesellschaftlicher Vorteil aufgrund der Nutzung X* (Abb. 55):
X*
• Umfang:
 p X   dX  X  C  ZX , K
*
*
0
• Entspricht der Konsumentenrente (brutto)
 Effekte einer marginalen Erhöhung der Ausbaustufe:
• Vorteil der geringeren Zeitkosten aller Nutzer: 
• Nachteil in Höhe der Grenzkosten:
 Effiziente Ausbaustufe K*:
• Notwendige Bedingung:
• „Samuelson-Bedingung“
Z *
X ,K  X*
K


MCK
 
MCK K *  
Z * *
X ,K  X*
K
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

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Finanzwissenschaft 1
163
Unreine öffentliche Güter: Kapazitätsplanung
 Problem:
• Die Konsumentenrente der Individuen ist nicht beobachtbar
• Die effiziente Ausbaustufe ist daher im allgemeinen Fall schwierig zu ermitteln
 Spezialfall:
• Konstante Grenzkosten MCK einer Ausbaustufe
• Zeitkostenfunktion Z(X,K) null-homogen, d.h. für λ > 0 gilt:
Z  X ,   K  Z X , K
• Bei einer gleichen relativen Erhöhung von X und K gleichen sich somit gerade aus:
– Kostensteigerung aufgrund der höheren Anzahl von Fahrten
– Kostensenkung aufgrund der größeren Ausbaustufe
• Für die effiziente Ausbaustufe gilt: Die Einnahmen aus der (zugehörigen) effizienten
Nutzergebühr reichen gerade zur Finanzierung der Kapazität aus
 Ergebnis: Für eine effiziente Bereitstellung muss der Staat
• die effiziente Kapazität festlegen und ihre Nutzung effizient steuern
• das Ausschlussprinzip anwenden
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Finanzwissenschaft 1
164
Unreine öffentliche Güter: Finanzierung von Autobahnen
 Die bisherige Analyse verdeutlicht die Relevanz
• der (Grenz-)Kosten einer Erweiterung der Ausbaustufe
• der Eigenschaften der Zeitkostenfunktion
 Autobahngebühren
• können ein Instrument sein, die effiziente Nutzung dieser Straßen zu erreichen
• können dazu führen, dass
– die Nutzung von Autobahnen zu Lasten anderer Straßen zurückgeht
– die Ballungskosten und die ineffizient hohe Nutzung anderer Straßen steigen
 Folgerungen:
• Autobahngebühren reichen nicht aus, um eine effiziente Nutzung des gesamten
Straßennetzes zu erreichen
• Isolierte Erweiterungen des Autobahnnetzes durch private Investoren und ihre
Finanzierung durch Nutzergebühren können problematisch sein
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165
Unreine öffentliche Güter: Clubgüter
 Private Bereitstellung unreiner öffentlicher Güter
 Voraussetzungen:
• Clubgut (z.B. Tennisanlage):
– Partielle Rivalität im Konsum (oberhalb einer Kapazitätsgrenze)
– Ausschluss möglich
• Identische Individuen (Präferenzen, Pauscheinkommen I)
• Präferenzen:
– Bezug auf
» die Qualität (nicht Menge oder Kapazität) G des Clubguts und
» den Konsum x eines reinen privaten Gutes mit px = 1
– Nutzenfunktion U(G,x) mit UG = U/G > 0 und Ux = U/x > 0
• Kosten der Bereitstellung des Clubguts:
– Kostenfunktion C(G,N), wobei N die Anzahl der Mitglieder bezeichnet
– Positive Grenzkosten der Qualität: CG = C/G > 0
– Positive Ballungskosten: Es gilt CN = C/N > 0, d.h. N ist groß relativ zu G
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Finanzwissenschaft 1
Unreine öffentliche Güter: Clubgüter
• Die Finanzierung des Clubguts erfolgt durch
– Beiträge der Mitglieder
– einen einheitlichen Mitgliedsbeitrag in Höhe von [C(G,N)]/N = C/N
• Budgetrestriktion eines Individuums: I = x + [C(G,N)]/N
 Zu untersuchen:
• Effizienz:
– Welche Anzahl der Mitglieder eines Clubs ist optimal?
– Welche Qualität des Clubguts ist optimal?
• Implementierung: Möglichkeit der „Dezentralisierung“ durch Wettbewerb?
 Optimierungsproblem eines (repräsentativen) Clubmitglieds
 Allgemein:
• Maximierung von U(G,x) unter der Nebenbedingung I = x + [C(G,N)]/N
• Äquivalent dazu: Maximierung von U{G,I – [C(G,N)]/N}
• Wahl von G, x und N
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166
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Finanzwissenschaft 1
Unreine öffentliche Güter: Clubgüter
 Im Folgenden wird
• angenommen, dass der Konsum von x stets optimal gewählt wird
• daher nur die Entscheidung über N und G explizit untersucht
 Effizienzanalyse:
 Entscheidung über die Anzahl N der Mitglieder (bei gegebener Qualität G̃):
• Ein zusätzliches Mitglied löst zwei gegenläufige Effekte aus:
– Beitragssenkung bei gegebenen Bereitstellungskosten (Grenzvorteil)
– Erhöhung der Bereitstellungskosten, um G̃ zu halten (Grenznachteil)
• Optimale Mitgliederzahl:
– Notwendige Bedingung: [C(G̃,N)/N]/N = 0
– Daraus folgt: CN = C/N
– Interpretation:
» Minimaler Beitrag zur Finanzierung des Qualitätsniveaus G̃
» Der Beitrag entspricht gerade den marginalen Ballungskosten
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167
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Finanzwissenschaft 1
168
Unreine öffentliche Güter: Clubgüter
 Entscheidung über das Qualitätsniveau G (bei gegebener Mitgliederzahl Ñ):
• Eine zusätzliche Qualitätseinheit löst zwei gegensätzliche Effekte aus:
– Eine Erhöhung der Bereitstellungskosten, die
» durch CG = MCG gemessen werden
» einen Grenznachteil darstellt
– Eine Erhöhung des Nutzens aller Clubmitglieder, was
» bei einem Individuum durch die Grenzrate GRSx,G = UG/Ux erfasst wird
» jeweils einen Grenzvorteil darstellt
• Ein optimales Qualitätsniveau
– ist dadurch gekennzeichnet, dass
» die Grenzvorteile den Grenznachteil gerade kompensieren
» die Bedingung GRSx,G = UG/Ux = CG/N erfüllt ist
– erfüllt somit die Samuelson-Bedingung: N · GRSx,G = CG = MCG
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Finanzwissenschaft 1
169
Unreine öffentliche Güter: Clubgüter
 Insgesamt:
• Für eine effiziente Bereitstellung des Clubguts sind die Anzahl der Mitglieder und
das Qualitätsniveau optimal zu wählen
• Dazu sind N* und G* anhand der folgenden Bedingungen festzulegen:
– Für G* entspricht der Mitgliedsbeitrag den marginalen Ballungskosten
– Für N* erfüllt das Qualitätsniveau die Samuelson-Bedingung
 Implementierung:
• Die individuellen Grenzraten der Substitution stellen private Information dar
• Ohne weitere Vorkehrungen gibt es keinen Anreiz, diese zu offenbaren
• Wie kann eine effiziente Bereitstellung erreicht werden?
 Dezentrale Bereitstellung bei Wettbewerb unter den Clubs:
 Es gibt viele „kleine“ Clubs (relativ zur Bevölkerung)
 Diese maximieren jeweils ihren Überschuss N · p – C(G,N)
 Ein Club entscheidet über die Anzahl N seiner Mitglieder und das Qualitätsniveau G
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Finanzwissenschaft 1
170
Unreine öffentliche Güter: Clubgüter
 Mitgliederzahl:
• Kurzfristig ist es optimal, die Mitgliederzahl des Clubs gemäß p = CN zu wählen
• Langfristig sorgt vollkommener Wettbewerb dafür, dass
– jeder Club einen Überschuss von Null erzielt
– für den Beitrag p = C/N und damit für die Mitgliederzahl CN = C/N gilt
 Qualität des Clubguts:
• Langfristig können verschiedene Qualitätsniveaus zu Beiträgen bereitgestellt
werden,
– die jeweils durch die zusätzliche Bedingung p = C/N ermittelt werden
– die (in der Regel) unterschiedlich ausfallen werden
• Es ist dann optimal, eine Qualität anzubieten,
– für die GRSx,G = CG/N gilt
– die den Nutzen eines Individuums maximiert
 Langfristig kann vollkommener Wettbewerb für eine effiziente Bereitstellung sorgen!
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Finanzwissenschaft 1
171
Literatur
Arnold, V., Theorie der Kollektivgüter, München 1992, Kap. 4
Blankart, C.B., Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 8. Aufl., München 2011, Kap. 4
Corneo, G., Öffentliche Finanzen: Ausgabenpolitik, 3. Aufl., Tübingen 2009, Kap. II.6
Gawel, E., Private Finanzierung von Fernstraßen – Erfahrungen und Probleme,
Wirtschaftsdienst 2005, S. 173-181
Hartwig, K.-H., Marner, T., Maut für alle? – Straßenbenutzungsgebühren auch für PKW,
Wirtschaftsdienst 2005, S. 102-108
Hindriks, J., Myles, G.D., Intermediate public economics, MIT Press, Cambridge/Mass. und
London 2006, Kap. 6
Wellisch, D., Finanzwissenschaft I. Rechtfertigung der Staatstätigkeit, München 2000, Kap. 3.2
© Prof. Dr. Walter Ried
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Finanzwissenschaft 1
172
Externe Effekte: Arten
 Externe Effekte:
 Kennzeichen:
• Die Effekte entstehen bei
– Einheiten, die an der verursachenden Transaktion nicht beteiligt sind
– sogenannten „Dritten“
• Die Effekte können
– direkt auf das Nutzenniveau von Individuen oder den Gewinn von Firmen
wirken (technologische externe Effekte)
– über Änderungen von (Güter- oder Faktor-)Preisen indirekt den Nutzen oder
den Gewinn beeinflussen (pekuniäre externe Effekte)
 Beispiele:
• Umweltbelastung durch FCKW („Ozonloch“)
• Umweltverschmutzung in der Produktion eines Gutes
• Rauchen von Tabakwaren
• Preisverfall bei Musik- und Videokassetten
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Finanzwissenschaft 1
173
Externe Effekte: Arten
 Zu klären:
• Wann, weshalb und in welchem Sinne resultiert daraus ein Allokationsproblem?
• Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es?
 Pekuniäre externe Effekte
• bewirken eine Veränderung von Allokation und Verteilung
• sind allokativ unproblematisch, da sie
– nicht die Pareto-Effizienz beeinträchtigen
– Ausdruck eines funktionierenden Preissystems sind
 Technologische externe Effekte
• entstehen als Kuppelprodukte von Konsum- oder Produktionsaktivitäten
• verursachen in der Regel Allokationsprobleme, da
– die Beteiligten nicht alle Folgen ihres Handelns berücksichtigen:
» Eigene Kosten und Erträge werden berücksichtigt
» Gesellschaftliche Zusatzkosten oder Zusatzerträge jedoch nicht
– Pareto-Effizienz nicht (mehr) gewährleistet ist
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Finanzwissenschaft 1
Externe Effekte: Arten
 Arten technologischer externer Effekte:
• Nach der Art des Einflusses:
– Positiver externer Effekt:
» Erhöhung des Nutzens von Individuen oder
» Verbesserung der Produktionsmöglichkeiten von Firmen
– Negativer externer Effekt:
» Verringerung des Nutzens von Individuen oder
» Beeinträchtigung der Produktionsmöglichkeiten von Firmen
• Nach dem „Ort“ des Einflusses:
– Im Produktionsbereich: Bei gegebenem Faktoreinsatz
» Erhöhung der Ausbringungsmenge (positiver externer Effekt) oder
» Verringerung der Ausbringungsmenge (negativer externer Effekt)
– Im Konsumbereich: Bei gegebenem Güterbündel
» Erhöhung des Nutzenniveaus (positiver externer Effekt) oder
» Verringerung des Nutzenniveaus (negativer externer Effekt)
© Prof. Dr. Walter Ried
174
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Finanzwissenschaft 1
175
Externe Effekte: Internalisierung
 Beispiel:
 Bezug:
• Negativer technologischer externer Effekt
• Produktionsbereich
 Akteure:
• Chemie-Unternehmen,
– das ein Gut
» in der Menge x zu steigenden Grenzkosten MCx produzieren kann
» zu einem festen Nachfragerpreis px absetzen kann (Wettbewerbsmarkt)
– dessen Produktionsaktivität einen See verschmutzt
• Fischerei, deren
– Output y auch vom Verschmutzungsgrad des Sees abhängt
– Grenzschaden durch eine Funktion MDy beschrieben wird
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Finanzwissenschaft 1
176
Externe Effekte: Internalisierung
 Annahme:
• Der (gesamte) Schaden in der Fischerei ist umso größer, je höher die Menge x
• Konkret: Die Grenzschadensfunktion MDy verläuft (ebenfalls) steigend in x
 Eigenschaften der „Markt-Allokation“ (Abb. 56):
• Das Chemie-Unternehmen produziert eine Menge xe,
– bei der seine (privaten) Grenzkosten mit dem Grenzerlös px übereinstimmen
– die seinen Gewinn maximiert und somit einzelwirtschaftlich optimal ist
– die aus der Perspektive der Gesellschaft sub-optimal ist
• Die sozialen Grenzkosten der Produktion von x sind gegeben durch MCx + MDy
– MCx: Private Grenzkosten
– MDy: Soziale Zusatzkosten
• Eine gesellschaftlich effiziente Produktion x*
– gleicht soziale Grenzkosten und soziale Grenzerträge gerade aus
– erfüllt hier die Bedingung MCx(x*) + MDy(x*) = px
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Finanzwissenschaft 1
177
Externe Effekte: Internalisierung
• Daher bewirkt die Produktion von xe einen gesellschaftlichen Wohlfahrtsverlust, der
– marginal bei den Einheiten xe – x* durch [MCx(x) + MDy(x) – px] erfasst wird
– insgesamt graphisch durch die Fläche 1 beschrieben wird
 Weshalb ist die „Markt-Allokation“ ineffizient?
• Das Chemie-Unternehmen
– kann eine Ressource kostenfrei nutzen,
– die ein anderes Unternehmen in seiner Produktion einsetzt
• Das Allokationsproblem entsteht aufgrund eines fehlenden Marktes
 Lösung:
• Internalisierung des externen Effekts, die
– dazu führt, dass jeder Akteur sämtliche Folgen seines Handelns berücksichtigt
– durch mehrere Instrumente bewirkt werden kann
• Preisliche Instrumente:
– Besteuerung des Gutes x
– Subvention einer Verringerung des Outputs von x
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Finanzwissenschaft 1
178
Externe Effekte: Internalisierung
• Marktorganisation: Definition und Zuweisung von Eigentumsrechten an dem See, um
– Verhandlungen zwischen den beiden Unternehmen ermöglichen
– (allgemeiner) den Handel mit diesen Rechten ermöglichen
• Fusion der beiden Unternehmen
• Gemeinsame Kennzeichen:
– Das Chemie-Unternehmen erhält einen finanziellen Anreiz, bei der Entscheidung
über seinen Output die Schädigung der Fischerei zu berücksichtigen
– Effizienz kommt zustande, wenn die finanzielle Belastung gerade den sozialen
Zusatzkosten MDy(x*) entspricht
 Internalisierung durch Besteuerung (Abb. 57):
• Die effiziente Stücksteuer
– wird mit dem Satz t* = MDy(x*) auf das Gut x erhoben
– ist vom Chemie-Unternehmen zu zahlen (und hier auch ökonomisch zu tragen)
– heißt Pigou-Steuer
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Finanzwissenschaft 1
179
Externe Effekte: Internalisierung
• Bei gewinnmaximierendem Verhalten produziert das Chemie-Unternehmen
– eine Menge, bei der MCx(x) + t* = px gilt
– die Menge x*
• Wohlfahrtseffekte
– aufgrund der Output-Senkung
» beim Chemie-Unternehmen: Verlust an Produzentenrente (Fläche 2)
» bei der Fischerei: Gewinn an Produzentenrente (Flächen 2+3)
– bezüglich des Outputs x*
» beim Chemie-Unternehmen: Verlust an Produzentenrente (Fläche 1)
» beim Staat: Aufkommen der Pigou-Steuer (Fläche 1)
– Saldo: Gesellschaftlicher Wohlfahrtsgewinn (Fläche 3)
 Internalisierung durch Besteuerung – Effekte eines zu hohen Steuersatzes (Abb. 58):
• Erhebung einer Stücksteuer
– mit dem Satz t > t* = MDy(x*) auf das Gut x
– die das Chemie-Unternehmen zu zahlen (und ökonomisch zu tragen) hat
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Finanzwissenschaft 1
180
Externe Effekte: Internalisierung
• Folge: Das Chemie-Unternehmen produziert
– eine Menge, bei der MCx(x) + t = px gilt
– eine Menge x´ < x*
• Wohlfahrtseffekte
– aufgrund der Output-Senkung (von xe auf x´)
» beim Chemie-Unternehmen: Verlorene Produzentenrente (Flächen 2+3+4)
» bei der Fischerei: Erhöhung der Produzentenrente (Flächen 3+4+5)
– bezüglich des Outputs x´
» beim Chemie-Unternehmen: Verlust an Produzentenrente (Fläche 1)
» beim Staat: Zusätzliches Steueraufkommen (Fläche 1)
– Saldo:
» Gesellschaftlicher Wohlfahrtsgewinn als Differenz der Flächen 5 und 2
» Vorzeichen unklar
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Externe Effekte: Internalisierung
 Funktionsweise der Steuer-Lösung:
• Das Steueraufkommen
– stellt einen Transfer dar
– ist gesellschaftlich irrelevant
• Der gesellschaftliche Wohlfahrtseffekt beruht auf der Veränderung
– der finanziellen Anreize für das Chemie-Unternehmen
– des Outputs x und damit der Allokation
• Effizienz
– wird nur erreicht bei korrekter Wahl des Steuersatzes
– erfordert die Kenntnis der Funktionen MCx und MDy
• Wenn der Steuersatz t niedriger als t* ist, fällt die gesellschaftliche Wohlfahrt
– geringer als bei effizienter Besteuerung aus
– in jedem Fall größer als bei der „Markt-Lösung“ aus (solange t > 0 gilt)
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181
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Finanzwissenschaft 1
182
Externe Effekte: Internalisierung
 Alternative: Subventions-Lösung
• Zahlung einer Stücksubvention z an das Chemie-Unternehmen
• Bemessungsgrundlage: Verringerung des Outputs gegenüber xe
• Folge: Im Bereich x < xe gilt für eine Erhöhung des Outputs um eine Einheit, dass
– dem Chemie-Unternehmen Subventionen in Höhe des Satzes z entgehen
– die Grenzkosten des Chemie-Unternehmens sich daher um z erhöhen
 Internalisierung durch eine Subvention (Abb. 59):
• Die effiziente Stücksubvention wird
– mit dem Satz z* = MDy(x*) auf die Verringerung des Outputs xe – x erhoben
– an das Chemie-Unternehmen gezahlt, bei dem auch der Vorteil anfällt
• Folge: Das Chemie-Unternehmen produziert
– eine Menge, bei der MCx(x) + z* = px gilt
– die Menge x*
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Finanzwissenschaft 1
Externe Effekte: Internalisierung
• Wohlfahrtseffekte aufgrund der Output-Senkung
– beim Chemie-Unternehmen:
» Subventionszahlung abzüglich des Verlusts an Produzentenrente
» Saldo: Fläche 2
– bei der Fischerei:
» Erhöhung der Produzentenrente infolge des vermiedenen Schadens
» Flächen 1+2+3
– beim Staat:
» Verlust infolge der höheren Transferausgaben
» Flächen 1+2
• Saldo: Gesellschaftlicher Wohlfahrtsgewinn (Flächen 2+3)
• Im Vergleich zur Pigou-Steuer
– andere einzelwirtschaftliche Effekte
– gleicher gesellschaftlicher Saldo
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183
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184
Externe Effekte: Internalisierung
 Übergang zur Marktanalyse:
• Bisher:
– Einzelner Anbieter, der (alleine) einen externen Effekt verursacht
– Keine Auswirkung der Internalisierung auf den Markt- bzw. Nachfragerpreis
• Neue Voraussetzungen:
– Alle Anbieter lösen durch ihre Produktion einen negativen externen Effekt aus
– Der gesellschaftliche Grenzschaden hängt
» nicht von der Verteilung von x auf die einzelnen Anbieter ab
» nur vom Output x insgesamt ab
• Folge: Die Internalisierungsstrategien können
– eine andere Inzidenz aufweisen
– auch den Markt- bzw. Nachfragerpreis verändern
– sich auch auf die Konsumentenrente auswirken
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185
Externe Effekte: Internalisierung
• Eigenschaften der „Markt-Lösung“ (Abb. 60):
– Im Markt-Gleichgewicht wird die Menge xe getauscht
– Bei dieser Menge gilt:
» Privater und gesellschaftlicher Grenzvorteil stimmen überein
» Der gesellschaftliche Grenznachteil ist größer als die privaten Grenzkosten
– Die Allokation ist ineffizient, da
» die sozialen Grenzkosten höher sind als der soziale Grenzvorteil
» die Bedingung SMCx(xe) > p(xe) gilt
• Internalisierung durch die Pigou-Steuer (Marktanalyse, Abb. 61):
– Der effiziente Steuersatz
» ist durch t* = SMCx(x*) – MCx(x*) definiert
» entspricht den marginalen gesellschaftlichen Zusatzkosten der Produktion
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186
Externe Effekte: Internalisierung
– Effektive Inzidenz bei Nachfragern und Anbietern:
» Erhöhung des Nachfragerpreises um ∆q = q1 – p0
» Verringerung des Anbieterpreises um –∆p = p0 – p1
– Wohlfahrtseffekte aufgrund der Verringerung des Outputs von xe auf x* bei den
» Anbietern: Verlust an Produzentenrente (Fläche 4)
» Nachfragern: Verlust an Konsumentenrente (Fläche 3)
» Geschädigten: Verringerung des Schadens (Flächen 3+4+5)
– Wohlfahrtseffekte bezüglich der getauschten Menge x*
» bei den Anbietern: Verlust an Produzentenrente (Fläche 2)
» bei den Nachfragern: Verlust an Konsumentenrente (Fläche 1)
» beim Staat: Zusätzliches Steueraufkommen (Flächen 1+2)
– Saldo: Gesellschaftlicher Wohlfahrtsgewinn (Fläche 5)
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Finanzwissenschaft 1
187
Externe Effekte: Allmende-Ressourcen
 Allmende-Ressourcen:
 Kennzeichen:
• Rivalität im Konsum
• Keine Ausschließbarkeit
 Beispiele:
• Nutzung eines Gewässers durch Fischereibetriebe
• Nutzung einer Dorfwiese, die allen Bewohnern zur Verfügung steht („Allmende“)
 Veranschaulichung anhand eines Beispiels:
 Voraussetzungen:
• Mehrere Fischereibetriebe, deren Ertrag jeweils abhängt
– vom eigenen Faktoreinsatz und
– von der gesamten Nutzung eines Sees (durch alle Betriebe)
• Der Ertrag des eigenen Faktoreinsatzes fällt umso geringer aus, je höher die
Faktoreinsätze der übrigen Betriebe sind
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Finanzwissenschaft 1
Externe Effekte: Allmende-Ressourcen
• Die gemeinsame Nutzung des Sees verursacht wechselseitige externe Effekte
• Absatzmarkt:
– Wettbewerbsmarkt oder
– Angebotsmonopol
 Graphische Veranschaulichung (Abb. 62):
• Voraussetzungen:
– Der Absatzmarkt der (lokalen) Fischereiindustrie ist ein Wettbewerbsmarkt
– Jede beliebige Menge kann zum herrschenden Preis px abgesetzt werden
• Kostensituation der (lokalen) Fischereiindustrie:
– Die Grenzkosten des Fischfangs steigen mit der Fangmenge x
– Die Stückkosten steigen ebenfalls mit der Fangmenge x
• Effiziente Produktion:
– Fangmenge x*, bei der
» die sozialen Grenzkosten SMC(x*) dem Ertrag px entsprechen
» ein ökonomischer Gewinn in Höhe der Fläche EAFD entsteht
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189
Externe Effekte: Allmende-Ressourcen
– Umsetzbar durch Konsortium („gemeinsame Gewinnmaximierung“)
– Ökonomischer Gewinn als Rente der knappen Ressource See
• Wettbewerbs-Lösung:
– Voraussetzungen:
» Ein Betrieb berücksichtigt nur die privaten Grenzkosten in Höhe von AC(x)
» Dezentrales Verhalten der einzelnen („kleinen“) Fischereibetriebe
– Die Fischereibetriebe wählen ihre Faktoreinsätze so, dass
» die (gesamte) Fangmenge xe die Bedingung ACx(x) = px erfüllt
» jeweils gerade ein ökonomischer Gewinn in Höhe von Null erzielt wird
– Ergebnisse:
» Die Fischereiindustrie realisiert eine ineffizient hohe Fangmenge xe
» Die Allmende-Ressource wird zu stark genutzt
» „Tragödie der Allmende“ bzw. „tragedy of the commons“
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Finanzwissenschaft 1
190
Externe Effekte: Allmende-Ressourcen
• Sozialer Wohlfahrtsverlust aufgrund der ineffizient hohen Fangmenge xe:
– Graphisch gegeben durch die Fläche 2
– Fällt vollständig in der (lokalen) Fischereiindustrie an
 Internalisierungsstrategien (Auswahl):
• Bildung eines Konsortiums (wettbewerbspolitisch problematisch)
• Besteuerung:
– Erhebung einer Stücksteuer auf Fisch
» mit dem Satz t* = SMCx(x*) – ACx(x*)
» deren formale und materielle Inzidenz bei den Fischereibetrieben liegt
– Diese Pigou-Steuer
» führt dazu, dass ein Fischereibetrieb den negativen externen Effekt seiner
Fangentscheidung bei allen übrigen Betriebe berücksichtigen muss
» bewirkt die Fangmenge x*
» transferiert den zugehörigen ökonomischen Gewinn an den Staat
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Finanzwissenschaft 1
191
Externe Effekte
 Ein anderer Fall (Abb. 63):
• Voraussetzungen: Die (lokale) Fischereiindustrie
– nimmt eine Monopolstellung auf dem Absatzmarkt ein
– ist als Konsortium organisiert
• Gewinnmaximierung führt zu einer ineffizient geringen Fangmenge xeM
• Begründung:
– Das Konsortium wählt eine Fangmenge, bei der die Grenzkosten SMCx des
Fischfangs mit dem Grenzerlös übereinstimmen
– Der Grenzerlös ist nun geringer als der Marktpreis
• Wohlfahrtseffekte relativ zur effizienten Fangmenge x*:
– Die (lokale) Fischereiindustrie erzielt einen höheren Gewinn
– Die Konsumenten erleiden einen Verlust an Konsumentenrente
» bei den nicht getauschten Einheiten x* – xeM
» bei den getauschten Einheiten xeM
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Finanzwissenschaft 1
192
Externe Effekte
– Per Saldo entsteht ein gesellschaftlicher Wohlfahrtsverlust (Fläche 2)
• Im Vergleich dazu: Wohlfahrtseffekte relativ zur Fangmenge xeC
– für die (lokale) Fischereiindustrie: Höherer (gesamter) Gewinn
– für die Konsumenten: Größerer Verlust an Konsumentenrente
» bei den nicht getauschten Einheiten xeC – xeM
» bei den getauschten Einheiten xeM
• Saldo:
– Gesellschaftlicher Wohlfahrtsgewinn in Höhe der Differenz
» aus dem Wohlfahrtsgewinn aufgrund des Übergangs von der
Fangmenge xeC zu x* (Fläche 1)
» und dem Wohlfahrtsverlust aufgrund des Übergangs von der effizienten
Fangmenge zu xeM (Fläche 2)
– Das Vorzeichen ist allgemein unbestimmt!
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Finanzwissenschaft 1
193
Literatur
Hindriks, J., Myles, G.D., Intermediate public economics, MIT Press, Cambridge/Mass. und
London 2006, Kap. 7
Rosen, H., Windisch, R., Finanzwissenschaft I, München und Wien 1992, Kap. 7
Stiglitz, J.E., Economics of the public sector, 3rd ed., New York 2000, Kap. 9
Wellisch, D., Finanzwissenschaft I. Rechtfertigung der Staatstätigkeit, München 2000, Kap. 4
Wigger, B.U., Grundzüge der Finanzwissenschaft, 2. Aufl., Berlin u.a.O. 2006, Kap. 4
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Finanzwissenschaft 1
194
Staatsverschuldung
 Effekte einer Aufnahme von Krediten durch eine Wirtschaftseinheit:
 Bezug: Unternehmen, privater Haushalt, Staat
 Kurzfristig: Erweiterung des Ausgabenspielraums, z.B. zur
• Anschaffung dauerhafter Konsumgüter
• Finanzierung von Investitionen
 Längerfristig:
• Schuldendienst und Tilgung verringern den Ausgabenspielraum ceteris paribus
• Der Gesamt-Effekt auf den Ausgabenspielraum bleibt zunächst unklar, falls
– zusätzliche Erträge aufgrund von Produktivitätssteigerungen entstehen
– andere finanzielle Entlastungen in der Zukunft auftreten
 Gefahren einer dauerhaft (zu) hohen Kreditaufnahme:
 (zu) Geringer künftiger Ausgabenspielraum
 Handlungsunfähigkeit aufgrund von Überschuldung
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Finanzwissenschaft 1
195
Staatsverschuldung
 Staatsverschuldung in Deutschland
 Bund der Steuerzahler:
• „Schuldenuhr“, Stand: 10.04.2016 (bzw. 13.04.2015):
– Schuldenstand insgesamt: 2.026.605.017.330 € (bzw. 2.049.201.280.447 €)
– Schuldenstand pro Kopf: 24.879 € (bzw. 25.371 €)
– Schuldenzuwachs pro Sekunde: 115 € (bzw. 173 €)
• „Zinsuhr“: Erfasst die
– Zinszahlungen des Bundes und der Länder seit Anfang des Jahres
– Zinszahlungen pro Sekunde und pro Kopf
 Derzeit sind die Zinszahlungen niedriger als in den Vorjahren:
• Schuldenstand zwar höher
• Zinssätze derzeit historisch gering
 Sind die Schulden von heute die Steuern von morgen?
• Gefahr einer hohen Steuerbelastung
• Andere Optionen?
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Finanzwissenschaft 1
196
Staatsverschuldung
 Begrenzung der Staatsverschuldung:
 Früher:
• Artikel 115 GG (alte Fassung, gültig bis 31. Juli 2009):
– Investitionsausgaben als Obergrenze für die Nettokreditaufnahme des Bundes
– „Objektgebundene Verschuldungsgrenze“
• Ähnliche Regelungen für die Bundesländer
 Aktuell:
• „Maastricht“-Kriterien (EU): Obergrenzen für
– den Schuldenstand relativ zum Bruttoinlandsprodukt (BIP)
– das Finanzierungsdefizit relativ zum BIP
• Artikel 115 GG (neue Fassung)
– Regelungen für die Nettokreditaufnahme:
» In konjunktureller Normallage Begrenzung auf 0,35 % des BIP
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Finanzwissenschaft 1
197
Staatsverschuldung
» Konjunkturbedingte Abweichungen sind zulässig, unterliegen aber
Ausgleichsregelungen über den Konjunkturzyklus
» In Notsituationen ist eine zusätzliche Nettokreditaufnahme möglich (in
Verbindung mit einem Tilgungsplan)
– „Schuldenbremse“ für den Haushalt des Bundes
• Ergänzende Regelungen der „Schuldenbremse“ für die Länder:
– Keine strukturelle Nettokreditaufnahme
– Konjunkturbedingte Abweichungen sind zulässig (wie beim Bund)
• Übergangsregelung bis 2016 (Bund) bzw. bis 2020 (Länder)
 Wichtig für die Nachhaltigkeit der Finanzpolitik:
• Eine Finanzpolitik ist nachhaltig, wenn sie dauerhaft beitrieben werden kann
• Relevant z.B. für:
– Orientierung und Beurteilung der Finanzpolitik
– Handlungsfähigkeit des Staates in der Zukunft
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Finanzwissenschaft 1
Die Budgetrestriktion des Staates
 Die Budgetrestriktion des Staates:
 Beschränkung der Finanzpolitiken des Staates
• Nicht sämtliche Ausgaben und Einnahmen können frei gewählt werden
• Mögliche zeitliche Bezüge:
– Kurzfristig (eine Periode)
– Mittelfristig (mehrere Perioden)
– Langfristig (über alle künftigen Perioden hinweg)
 Kurzfristig:
• Es gilt: Dt+1 – Dt + Tt = Ct + It + r·Dt + Trt
• Auf der Einnahmenseite bezeichnet
– Dt den Schuldenstand zu Beginn der Periode t
– Dt +1 – Dt die Nettokreditaufnahme (NKA) in Periode t
– Tt die Steuereinnahmen in Periode t
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198
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Finanzwissenschaft 1
199
Die Budgetrestriktion des Staates
• Auf der Ausgabenseite bezeichnet
– Ct die Ausgaben für den Staatskonsum in Periode t
– It die Investitionsausgaben in Periode t
– r den Nominalzinssatz in Periode t
– Trt die Transferausgaben in Periode t
• Primärüberschuss des Staates:
– Für die weitere Analyse ist es hilfreich, Einnahmen und Ausgaben ohne die
Staatsverschuldung („sonstige“ Einnahmen und Ausgaben) zu betrachten:
» Die „sonstigen Einnahmen“ entsprechen den Steuereinnahmen Tt
» Die Summe Ct + It + Trt entspricht den „sonstigen Ausgaben“
– Der Saldo Tt – Ct – It – Trt
» erfasst die Differenz aus sonstigen Einnahmen und Ausgaben
» bezeichnet den Primärüberschuss Pt des Staates in Periode t
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Finanzwissenschaft 1
200
Die Budgetrestriktion des Staates
– Wenn der Primärüberschuss positiv ausfällt, reicht Tt aus,
» um die Summe Ct + It + Trt zu finanzieren
» um auch (zumindest) einen Teil des Schuldendiensts zu finanzieren
– Wenn der Primärüberschuss negativ ausfällt,
» liegt ein Primärdefizit in Höhe von –Pt vor
» reicht Tt nicht aus, um die Summe Ct + It + Trt vollständig zu finanzieren
• Somit gilt für den Primärüberschuss:
– Dt+1 – Dt = r·Dt – Pt
– Daraus folgt:
» Pt = r·Dt – (Dt+1 – Dt)
» Pt = r·Dt + (Dt – Dt+1)
» r·Dt = Pt + (Dt+1 – Dt)
– Interpretation
» Primärüberschuss und NKA können den Schuldendienst finanzieren
» Pt ↑ bewirkt Dt+1 – Dt ↓ (und umgekehrt)
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Finanzwissenschaft 1
201
Die Budgetrestriktion des Staates
• Ein positiver Primärüberschuss finanziert
– für Pt < r·Dt teilweise den Schuldendienst
– für Pt > r·Dt den Schuldendienst und eine Verringerung der Staatsschuld
• Spezialfälle:
– Im Zeitablauf bleibt die Staatsschuld konstant, wenn
» jeweils die Bedingung Dt+1 = Dt erfüllt ist
» für den Primärüberschuss stets Pt = r·Dt gilt
– Im Zeitablauf wächst die Staatsschuld mit der Rate r, wenn
» jeweils die Bedingung Dt+1 = (1+r)·Dt erfüllt ist
» der Primärüberschuss stets Null beträgt
 Mittelfristig:
• Vorgehensweise:
– Kurzfristige Budgetrestriktion als Ausgangspunkt
– Berücksichtigung weiterer Perioden
• Umformen der kurzfristigen Budgetrestriktion führt auf:
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Dt 
1
1
 Dt 1 
 Pt
1 r
1 r
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Finanzwissenschaft 1
202
Die Budgetrestriktion des Staates
• Wenn man eine weitere Periode berücksichtigt, erhält man:
1
1
1
Dt 

D


P

P
1  r 2 t  2 1  r t 1  r 2 t 1
• Insgesamt folgt für die nächsten J Perioden:
J 1
1
1
Dt 

D

 Pt  j
j 1
1  r J t  J 



r
1
j0
• Dies ist äquivalent zu:
1
Dt 
D

1  r J t  J
J 1
1
 1  r 
j0
j 1
 Pt  j
• Ergebnisse:
– Die Primärüberschüsse beeinflussen die Entwicklung der Staatsschuld
– Wenn die Summe der Barwerte der Primärüberschüsse
» positiv ist, sinkt der Barwert der Staatsschuld entsprechend
» negativ ist, steigt der Barwert der Staatsschuld entsprechend
» gerade Null beträgt, bleibt die Staatsschuld im Barwert unverändert
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Finanzwissenschaft 1
203
Die Budgetrestriktion des Staates
 Langfristig:
• Zunächst erhält man aus der mittelfristigen Budgetrestriktion:
D t J

D t  lim
J   1  r J

Pt 
 1  r 
j0
j
j 1
• Annahme „keine Ponzi-Spiele“:
– Es gelte:
lim
J
1
D
 0
1  r J t  J
– Interpretation:
» Langfristig wächst die Staatsschuld mit einer Rate, die niedriger ist als
der Zinssatz
» Es ist nicht möglich, den Schuldendienst auf Dauer vollständig durch die
NKA zu finanzieren
• Damit gilt für die langfristige Budgetrestriktion:

1
Dt  
 Pt  j
j 1


1

r
j 0
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Finanzwissenschaft 1
204
Die Budgetrestriktion des Staates
• Ergebnisse:
– Aufgrund des Bezugs auf alle künftigen Perioden stellt dies
» eine Restriktion für den Primärüberschuss im Zeitablauf dar
» keine Restriktion für den Primärüberschuss in einzelnen Perioden dar
– Eine höhere Staatsschuld heute ist durch höhere Primärüberschüsse in der
Zukunft zu finanzieren, also durch
» höhere künftige Steuereinnahmen oder
» geringere künftige Ausgaben für Güter und Dienste oder für Transfers
 Ergebnisse:
• Kurz- und mittelfristig können Primärdefizite durch eine NKA finanziert werden
• Langfristig sind Primärüberschüsse notwendig, um Dt zu finanzieren
• Die Nettokreditaufnahme des Staates stellt somit
– kurz- und mittelfristig eine Einnahme dar
– langfristig keine Einnahme dar
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Finanzwissenschaft 1
205
Die Budgetrestriktion des Staates
• Die Nettokreditaufnahme stellt ein Instrument dar, um bei gegebener Summe der
Barwerte aller künftigen Primärüberschüsse
– die Entwicklung des Primärüberschusses im Zeitablauf zu steuern
– die zeitliche Verteilung der Steuereinnahmen und der sonstigen
Staatsausgaben (jeweils im Barwert) zu steuern
 Dynamik:
• Eine höhere Staatsschuld heute bedeutet, dass (in Barwerten gerechnet)
– in der Vergangenheit geringere Primärüberschüsse erzielt worden sind
– in Gegenwart und Zukunft höhere Primärüberschüsse zu erreichen sind
• Eine höhere Staatsschuld heute ist mit vielen (künftigen) Finanzpolitiken vereinbar
• Veranschaulichung anhand eines Beispiels:
– In Periode t–1
» sei eine um ∆Dt = Dt(2) – Dt(1) > 0 höhere Nettokreditaufnahme erfolgt
» gilt daher für die Veränderung des Primärüberschusses: ∆Pt-1 = – ∆Dt < 0
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Finanzwissenschaft 1
Die Budgetrestriktion des Staates
– Für die Finanzierung ab Periode t gelte:
» ∆Pt+j = α·r·∆Dt+j für j ≥ 0
» mit den Restriktionen 0 < α·r ≤ 1 + r
– Aus der Budgetrestriktion Pt = r·Dt + (Dt – Dt+1) folgt:
» Dt+1 = (1+r)·Dt – Pt
» ∆Dt+1 = (1+r)·∆Dt – ∆Pt = (1+r–α·r)·∆Dt
– Und ebenso folgt aus Pt+1 = r·Dt+1 + (Dt+1 – Dt+2):
» Dt+2 = (1+r)·Dt+1 – Pt+1
» ∆Dt+2 = (1+r)·∆Dt+1 – ∆Pt+1 = (1+r–α·r)·∆Dt+1
– Insgesamt erhält man für die o.a. Klasse von Finanzierungsalternativen:
» ∆Dt+j = (1+r–α·r)j·∆Dt
» Und damit: ∆Pt+j = α·r·∆Dt+j = α·r·(1+r–α·r)j·∆Dt
– Diese Beziehungen verdeutlichen die künftige Entwicklung
» der Staatsverschuldung
» des Primärüberschusses
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206
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Finanzwissenschaft 1
207
Die Budgetrestriktion des Staates
– Spezialfall 1: Es gelte α = 1, d.h. α·r = r
» Die Erhöhung des künftigen Primärüberschusses finanziert jeweils gerade
die Erhöhung des Schuldendienstes
» Dann gelten ∆Dt+j = ∆Dt und ∆Pt+j = r·∆Dt
» Feste Erhöhung der künftigen Staatsschuld im Zeitablauf
– Spezialfall 2: Es gelte α = (1+r)/r und damit α·r = 1+r
» Die Erhöhung des Primärüberschusses in Periode t finanziert die Erhöhung
des Schuldendienstes und die Tilgung von ∆Dt
» Dann gelten ∆Dt+j = 0, ∆Pt+j = 0 für j ≥ 1 und ∆Pt = (1+r)·∆Dt
» Staatsschuld und Primärüberschuss bleiben nach Periode t unverändert
– Fall 3: Es gelte 1 < α < (1+r)/r und damit r < α·r < 1+r
» Die Erhöhung des Primärüberschusses finanziert jeweils mehr als die
Erhöhung des höheren Schuldendienstes
» Für j ≥ 0 gelten dann ∆Pt+j > r·∆Dt+j, ∆Dt+j < ∆Dt und ∆Pt+j < ∆Pt
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Finanzwissenschaft 1
208
Die Budgetrestriktion des Staates
» Im Zeitablauf fällt die Erhöhung der künftigen Staatsschuld geringer aus
» Ebenso wird die Erhöhung des künftigen Primärüberschusses geringer
– Fall 4: Es gelte 0 < α < 1 und damit 0 < α·r < r
» Die Erhöhung des Primärüberschusses reicht jeweils nicht aus, um die
Erhöhung des Schuldendienstes zu finanzieren
» Für j ≥ 0 gelten dann ∆Pt+j < r·∆Dt+j, ∆Dt+j > ∆Dt und ∆Pt+j > ∆Pt
» Im Zeitablauf nimmt die Erhöhung der künftigen Staatsschuld zu
» Ebenso nimmt die Erhöhung des Primärüberschusses zu
• Ergebnisse:
– Die Finanzierung einer einmaligen Erhöhung der Staatsschuld kann sich ganz
unterschiedlich auf Staatsschuld und Primärüberschuss im Zeitablauf auswirken
– Ein Verzicht auf Tilgung und Schuldendienst heute impliziert künftig
» einen höheren Schuldendienst
» einen höheren Primärüberschuss
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Finanzwissenschaft 1
209
Ricardianisches Äquivalenztheorem
 Die These der Ricardianischen Äquivalenz
 Inhalt:
• Bezug:
– Langfristige Budgetrestriktion des Staates
– Änderungen des Zeitpfads der Staatsschuld werden jeweils durch
entsprechende Anpassungen des Steueraufkommens finanziert
• Aussage: Die Höhe der Staatsschuld
– hat keine realen Auswirkungen auf die Volkswirtschaft
– beeinflusst insbesondere nicht die Konsumpläne der privaten Haushalte
• Konkret: Es entstehen keine realwirtschaftlichen Effekte,
– wenn Steuersenkungen in einzelnen Perioden durch eine höhere
Nettokreditaufnahme finanziert werden
– wenn Steuererhöhungen in einzelnen Perioden zur Tilgung der Staatsschuld
verwendet werden
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Finanzwissenschaft 1
210
Ricardianisches Äquivalenztheorem
 Diese These der „Neutralität der Staatsschuld“ bzw. der „Ricardianischen Äquivalenz“
• wurde von Ricardo formuliert und dann verworfen (!)
• würde implizieren, dass die (Höhe der) Staatsschuld heute und künftig irrelevant ist
 Skizze einer Begründung:
• Annahme: Vorgegebener Zeitpfad der sonstigen Staatsausgaben in der Zukunft
• Dann folgt aus der langfristigen Budgetrestriktion des Staates, dass
– der Barwert aller künftigen Steuereinnahmen vorgegeben ist
– eine höhere Nettokreditaufnahme in einer Periode eine gleichzeitige
Steuersenkung in gleicher Höhe erlaubt
– diese Steuersenkung durch künftige Steuererhöhungen zu finanzieren ist
• Die Ricardianische Äquivalenz gilt, wenn nur der Barwert der künftigen
Steuerzahlungen, nicht jedoch deren zeitliche Verteilung
– die realwirtschaftlichen Entscheidungen der Wirtschaftssubjekte beeinflusst
– insbesondere die Konsumpläne der privaten Haushalte beeinflusst
© Prof. Dr. Walter Ried
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Finanzwissenschaft 1
211
Ricardianisches Äquivalenztheorem
 Vorgehensweise:
• Erläuterung der These anhand eines Szenarios
• Prüfung der These, wenn der Barwert künftiger Steuerzahlungen
– für jeden privaten Haushalt unverändert bleibt
– für einzelne private Haushalte vom Zeitpfad der künftigen Staatsschuld abhängt
• Welche Umstände bewirken, dass eine Veränderung des Zeitpfads der Staatsschuld
reale Auswirkungen hat und damit die Äquivalenzthese nicht (mehr) gilt?
 Das Szenario:
• Voraussetzungen:
– Die Individuen besitzen perfekte Voraussicht
– Die Individuen leben lange genug, um alle steuerlichen Konsequenzen einer
höheren bzw. geringeren Neuverschuldung heute zu erleben
– Im Prinzip unendliche Lebensdauer
– Betrachtung eines repräsentativen Individuums
© Prof. Dr. Walter Ried
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Finanzwissenschaft 1
212
Ricardianisches Äquivalenztheorem
• Graphische Veranschaulichung eines Spezialfalls (Abb. 64):
– Die Individuen
» leben über zwei Perioden
» erzielen in jeder Periode ein positives Arbeitsentgelt nach Steuern
– Soll- und Habenzins sind identisch
– Das künftige Nettoeinkommen ist in vollem Umfang beleihbar
– Pauschalbesteuerung
• Ausgangslage:
– Intertemporale Wahlmöglichkeiten:
» „Ausstattungspunkt“, der durch c1 = Y – T1, c2 = Y – T2 gegeben ist
» Güterpreis in jeder Periode auf Eins normiert
» Zinssatz durch r gegeben
» Ein ∆c1 > 0 „heute“ erfordert einen Verzicht auf ∆c2 = (1+r)·∆c1 „morgen“
» Ein Verzicht –∆c1 > 0 „heute“ ermöglicht ∆c2 = (1+r)·(–∆c1) > 0 „morgen“
© Prof. Dr. Walter Ried
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Finanzwissenschaft 1
213
Ricardianisches Äquivalenztheorem
– Optimale Entscheidung:
» Konsumplan (c1*,c2*), der GRS2,1 = (c2)/(c1)│U* = (1+r) erfüllt
» An der Stelle (c1*,c2*) stimmt die MMZB für c1 – in Einheiten von c2 – mit
dem tatsächlich zu leistenden Verzicht überein
» Ersparnis B1 > 0 „heute“, um c2* = Y – T2 + (1+r)·B1 > Y – T2 „morgen“
finanzieren zu können
• Änderung der Finanzpolitik:
– Verringerung der Steuerzahlung um T1 – T1´, die zu finanzieren ist
» „heute“ durch eine höhere NKA des Staates
» „morgen“ durch eine um (1+r)·(T1 – T1´) höhere Steuerzahlung
– Keine Veränderung
» des Barwerts der individuellen Steuerzahlungen
» der intertemporalen Wahlmöglichkeiten des Individuums
» des optimalen Konsumplans
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Finanzwissenschaft 1
214
Ricardianisches Äquivalenztheorem
– Veränderungen der Ersparnis:
» Das Individuum spart „heute“ nun B2 = B1 + T1 – T1´ > B1
» ∆B > 0 finanziert gerade die höhere Nettokreditaufnahme des Staates
• Ergebnis:
– Keine realen Effekte der (Änderung der) Finanzpolitik:
» Unveränderte Güternachfragen des Staates und der privaten Haushalte
» Unveränderte gesamtwirtschaftliche Ersparnis „heute“
» Keine Veränderung der Gleichgewichte auf Güter- und Kapitalmarkt
» Keine Veränderung der (Gleichgewichts-)Preise
– Die Ricardianische Äquivalenz gilt!
 Modifikationen der Voraussetzungen:
• Erste Modifikation (Abb. 65):
– Der Zinssatz ist nun für den Staat niedriger als für die privaten Haushalte
– Der Grund kann z.B. eine höhere Bonität des Staates sein
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Finanzwissenschaft 1
215
Ricardianisches Äquivalenztheorem
– Die langfristige Budgetrestriktion des Staates fordert einen konstanten Barwert
der Steuereinnahmen, gegeben den für den Staat relevanten Zinssatz
– Folgen: Je niedriger T1,
» desto geringer der Barwert der Steuerzahlungen für ein Individuum
» desto größer der Barwert seiner Nettoeinkommen
– Eine Verringerung der Steuerzahlung um T1 – T1´ > 0 „heute“
» vergrößert die Menge der finanzierbaren intertemporalen Konsumpläne
» bewirkt einen höheren Konsum „heute“, wenn c1 ein normales Gut ist
– Eine Erhöhung der Steuerzahlung um T1´ – T1 „heute“
» verringert die Menge der finanzierbaren intertemporalen Konsumpläne
» bewirkt einen geringeren Konsum „heute“, wenn c1 ein normales Gut ist
– Ergebnis:
» Die betrachteten Änderungen der Finanzpolitik lösen reale Effekte aus
» Die Ricardianische Äquivalenz gilt nicht
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Finanzwissenschaft 1
216
Ricardianisches Äquivalenztheorem
• Zweite Modifikation (Abb. 66):
– Soll- und Habenzinssatz unterscheiden sich derart, dass rS > rH gilt
– Die Budgetgerade weist nun einen Knick an der Stelle (Y – T1,Y – T2) auf
– Entscheidung (c1*,c2*) des Individuums in der Ausgangslage:
» Wenn B1 > 0 gilt, dann auch GRS2,1 = (c2)/(c1)│U* = (1+rH)
» Wenn B1 < 0 gilt, dann auch GRS2,1 = (c2)/(c1)│U* = (1+rS)
» Wenn B1 = 0 gilt, dann (1+rH) ≤ GRS2,1 = (c2)/(c1)│U* ≤ (1+rS)
» In der Abbildung liegt eine „echte“ Randlösung bezüglich B1 vor, d.h. es
gilt (1+rH) < GRS2,1 = (c2)/(c1)│U* < (1+rS)
– Eine Verringerung der Steuerzahlung um T1 – T1´ > 0 „heute“
» erweitert die finanzierbaren Konsumpläne des Individuums
» bewirkt eine Erhöhung von c1, wenn in der Ausgangslage c1* = Y1 – T1
und GRS2,1(Y – T1,Y – T2) > (1+rH) gegolten hat
» hat keinen Effekt auf den Konsum, wenn der in der Ausgangslage
optimale Konsumplan GRS2,1 = (c2)/(c1)│U* = (1+rH) erfüllt
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Finanzwissenschaft 1
217
Ricardianisches Äquivalenztheorem
– Die Erweiterung der Wahlmöglichkeiten lohnt sich nur für Individuen, die in der
Ausgangslage für rS = rH einen höheren Konsum „heute“ gewählt hätten
– Eine Erhöhung der Steuerzahlung um T1´ – T1 > 0 „heute“
» schränkt die finanzierbaren Konsumpläne des Individuums ein
» bewirkt auf jeden Fall eine Verringerung von c1, wenn der ursprünglich
optimale Konsumplan GRS2,1 = (c2)/(c1)│U* > (1+rH) erfüllt
» hat keinen Effekt auf den Konsum, wenn in der Ausgangslage die
Bedingung c1* ≤ Y – T1´ war
– Die Einschränkung der Wahlmöglichkeiten schadet nur denjenigen Individuen,
die in der Ausgangslage c1* > Y – T1´ gewählt haben
– Ergebnisse:
» Jeweils unveränderter Barwert der individuellen Steuerzahlungen
» Die Ricardianische Äquivalenz gilt nicht mehr allgemein
» Ob es zu einer Verletzung kommt, hängt von den individuellen
Präferenzen und der betrachteten Finanzpolitik ab
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Finanzwissenschaft 1
218
Ricardianisches Äquivalenztheorem
• Dritte Modifikation (Abb. 67):
– Voraussetzungen:
» Die Staatsschuld wird durch verzerrende Besteuerung finanziert
» Die aktuelle Staatsschuld beträgt D/n pro Kopf
» Die individuellen Präferenzen lassen Substitution zu (Konsum „heute“
und Konsum „morgen“ sind keine perfekten Komplemente)
– Die Finanzierung durch eine Besteuerung des Konsums „heute“ bewirkt
» eine Verteuerung des Konsums „heute“ relativ zum Konsum „morgen“
» einen Substitutionseffekt zu Gunsten des Konsums „morgen“
– Die Finanzierung über eine Besteuerung des Konsums „morgen“ bewirkt
» eine Verteuerung des Konsums „morgen“ relativ zum Konsum „heute“
» einen Substitutionseffekt zu Lasten des Konsums „morgen“
– Die Graphik geht davon aus, dass jeweils derselbe Nutzen U1 erreicht wird
– Dies ist möglich, aber nicht zwingend (und ohne Einfluss auf die Ergebnisse)
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Finanzwissenschaft 1
219
Ricardianisches Äquivalenztheorem
– Ergebnisse:
» Jeweils unveränderter Barwert der individuellen Steuerzahlungen
» Eine Besteuerung des Konsums „morgen“ bewirkt tendenziell ∆c1 > 0
» Eine Besteuerung des Konsums „heute“ bewirkt tendenziell ∆c1 < 0
» In Abb. 67 kommen diese Effekte eindeutig zustande, da der Wechsel in
der Besteuerung keinen (Real-)Einkommenseffekt auslöst
» In jedem Fall hängt der optimale Konsumplan von der Besteuerung ab
» Die Ricardianische Äquivalenz gilt deshalb nicht
 Allgemeine Ergebnisse: Die Ricardianische Äquivalenz
• kann vorliegen, wenn Änderungen der Finanzpolitik den Barwert der individuellen
Steuerzahlungen nicht beeinflussen
• wird ansonsten verletzt sein
 Allerdings:
• Im Prinzip wurde bislang eine unendliche Lebenszeit der Individuen unterstellt
• Grund: Planungshorizont des Staates
© Prof. Dr. Walter Ried
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
Finanzwissenschaft 1
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Die öffentliche Kreditaufnahme II
 Was gilt bei endlicher Lebenszeit der Individuen, wenn Änderungen der Finanzpolitik den
Barwert der individuellen Steuerzahlungen beeinflussen?
• Barro hat gezeigt, dass Ricardianische Äquivalenz auch dann noch vorliegen kann
• Begründung (Skizze):
– Individuen verschiedener Generationen können über ein wirksames
Vererbungsmotiv (das Erbe fällt dann positiv aus) verbunden sein
– Dann kann es möglich und eventuell auch optimal sein, finanzpolitisch bewirkte
Änderungen der individuellen Steuerzahlungen zu „neutralisieren“
 Rolle der Ricardianischen Äquivalenz heute:
 Irrelevanz der Staatsschuld als sehr starke These, die nicht allgemein gelten dürfte
 Die These dient jedoch als Ausgangspunkt zur Analyse der Staatsverschuldung
 Grund:
• Die These gibt Bedingungen an, die eine Neutralität der Staatsschuld bewirken
• Aus der Verletzung einzelner Voraussetzungen lassen sich Hinweise auf die
Wirkungen der Staatsschuld gewinnen
© Prof. Dr. Walter Ried
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
Finanzwissenschaft 1
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Literatur
Blankart, C.B., Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 8. Aufl., Verlag Franz Vahlen,
München 2011, Kap. 17
Brümmerhoff, D. und Büttner, T., Finanzwissenschaft, 11. Aufl., Berlin u.a.O. 2015, Kap.
23 und 24
Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.), Dritter Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen
Finanzen, Berlin, Oktober 2011
Wellisch, D., Finanzwissenschaft III. Staatsverschuldung, Verlag Franz Vahlen, München
2000, Kap. 4
Wigger, B.U., Grundzüge der Finanzwissenschaft, 2. Aufl., Springer Verlag, Berlin u.a.O.
2006, Kap. 11
Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Nachhaltigkeit in der
Finanzpolitik. Konzepte für eine langfristige Orientierung öffentlicher Haushalte,
Gutachten, Berlin 2001
© Prof. Dr. Walter Ried
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