Abiturprüfung 2011 Leistungskurs Biologie (Hessen) A1: Genetik Kleinwuchs BE 1 Beschreiben Sie Transkription und Reifung der mRNA bei Eukaryoten. 7 2 Ordnen Sie den Genausschnitten in Material 2 die Aminosäurensequenzen im Wildtyp des SHOX-Gens sowie im mutierten SHOX-Gen zu. Benennen Sie den Mutationstyp und stellen Sie kurz die mögliche Auswirkung der Mutation auf den Aufbau und auf die Funktion des Genprodukts dar (Material 1, 2 und 5). 10 3 Beschreiben Sie die Entwicklung des Embryos von der Zygote bis zur Bildung der drei Keimblätter. Stellen Sie die Auswirkungen des mutierten SHOX-Gens auf die Individualentwicklung dar (Material 1). 10 4 Analysieren Sie unter Berücksichtigung des Ablaufs von Zellteilungen die Möglichkeiten für das Entstehen des Reintyps sowie des Mosaiktyps bei Frauen mit dem Turner-Syndrom sowie die Ursachen der unterschiedlichen Ausprägungen des Mosaiktyps (Material 3 und 4). 16 5 Vergleichen Sie die Ursachen von Kleinwüchsigkeit bei Frauen mit dem Turnersyndrom im Reintyp mit den Ursachen von Kleinwüchsigkeit aufgrund von Mutationen im SHOX-Gen (Material 1, 3 und 4). 7 50 Material 1 Kleinwuchs und SHOX-Gene Die humangenetische Grundlagenforschung beschäftigt sich seit einigen Jahren intensiv mit den Ursachen von Kleinwuchs. Dabei bestätigte sich die schon seit langem gemachte Vermutung, dass dabei die Geschlechtschromosomen besonders bedeutsam sind. Auf dem homologen Abschnitt der beiden Geschlechtschromosomen X und Y, dem sogenannten pseudoautosomalen Bereich („PAR1“, s. Abbildung 4.1), liegen Gene, die für normalen Körperwuchs verantwortlich sind und in ihrer mutierten Form sowohl bei Männern als auch bei Frauen Kleinwüchsigkeit verursachen. Sie werden SHOX-Gene (Short Stature Homebox-Containing-Gen) genannt. Die SHOX-Gene liegen an den Chromosomenenden (s. Abbildung 4.1) auf der PAR1-Region sowohl des X- als auch des Y-Chromosoms. Nach dem gegenwärtigen Forschungsstand handelt es sich bei der PAR1-Region um einen Chromosomenabschnitt mit ca. 2 600 Kilobasenpaaren, von denen mehrere Proteine gebildet werden 2011-1 können. Unter anderen Proteinen ist bislang ein SHOX-Protein mit 292 Aminosäuren entdeckt worden, das bei der Kontrolle der Transkriptionsregulation eine wichtige Rolle spielt. basierend auf: http://www.uni-heidelberg.de/press/ruca/ruca2_2002/rappold.html (abgerufen 15. 05. 2010); Knippers, R.: Molekulare Genetik, Stuttgart, 2006, S. 544; Lenz, W.: Medizinische Genetik, Stuttgart, 1976, S. 31 Material 2 Ausschnitt aus dem codogenen Strang des SHOX-Gens Gen-Ausschnitt ab Nukleotid Nr. 661 des SHOX-Wildtyps 3' … GTGGATCTGCGGACGGCTCAC… 5' Entsprechender Ausschnitt des mutierten SHOX-Allels 3' … GTGGATCTGCGGACGACTCAC… 5' Material 3 Turner-Syndrom und Kleinwuchs Patientinnen mit Turner-Syndrom haben nur ein X-Chromosom (Monosomie X0). Die Schlüsselsymptome sind Kleinwuchs und Sterilität durch Fehlbildungen der Keimdrüsen. Im Mutterleib heranwachsende Feten, deren Zellen ausschließlich eine Monosomie aufweisen (Reintyp des Turner-Syndroms), sterben in 99 % der Fälle ab. Die meisten lebenden Frauen mit Turner-Syndrom weisen ein chromosomales Mosaik auf, d. h., neben Zellen mit nur einem Geschlechtschromosom besitzen sie auch Zellen mit einem normalen Chromosomensatz (XX) sowie mit dem Chromosomensatz (XXX), weshalb man von einem Mosaiktyp spricht. Zellen mit (X0) und (XXX) treten dabei in gleichen Teilen auf. Das Verhältnis von (X0)- zu (XX)-Zellen ist von Frau zu Frau unterschiedlich, dementsprechend gibt es unter den verschiedenen Merkmalen, z. B. auch der Körpergröße, eine große Variationsbreite. basierend auf: Lenz, W.: Medizinische Genetik, Stuttgart, 1976, S. 48 /49 basierend auf: Knippers, R.: Molekulare Genetik, Stuttgart, 2006, S. 166, 544 Material 4 Struktur der Geschlechtschromosomen X und Y Bei Frauen mit normalem Chromosomensatz ist in allen Körperzellen nur eines der beiden X-Chromosomen aktiviert, sodass bei Frauen und Männern die Aktivität der X-chromosomal codierten Proteine gleich groß ist. Ausgenommen von dieser Inaktivierung eines X-Chromosoms sind unter anderem die Gene der PAR1-Region, sowohl der X- wie auch der Y-Chromosomen. Dadurch werden auch die Genprodukte dieser Region bei Männern und Frauen normalerweise in gleicher Dosis gebildet. 2011-2 Abbildung 4.1 geändert nach: http://www.klinikum.uni-heidelberg.de/Shox-Datenbank-neu-test.1201.0.html (abgerufen 24. 05. 2010) Material 5 Die Code-Sonne der m-RNA Lösungsvorschläge In der Aufgabe thematisierte Unterrichtsinhalte sind: – Transkription und Reifung der mRNA bei Eukaryoten – Translation, genetischer Code, Arbeit mit der Code-Sonne – Mutationsformen und deren Wirkung auf die Proteinfunktion – Frühe Embryonalentwicklung bei Säugetier und Mensch – Non-Disjunction in der Meiose und mögliche Krankheitsbilder r1 r r r r r r r Mit dem Operator „beschreiben“ ohne Einschränkungen wird von Ihnen eine sachlich und fachsprachlich richtige, zusammenhängende Darstellung des Ablaufs der Bildung einer prä-mRNA als Kopie eines DNA-Abschnitts und deren nachfolgender Reifung zur mRNA gefordert. Die Vollständigkeit und Richtigkeit des zeitlichen Ablaufs der Darstellung erreicht man am einfachsten, wenn man zunächst alle beteiligten Strukturen und Stoffe benennt (in der Lösung fett) und sie der Reihenfolge des Geschehens nach anordnet. Der Ort des Geschehens sollte am Anfang genannt werden. 2011-3 Bei der Transkription, die während der Interphase im Zellkern stattfindet, erfolgt die Übertragung der genetischen Information einer Sequenz der doppelsträngigen DNA auf eine einsträngige mRNA. In der Interphase liegen die Chromosomen entspiralisiert vor und die Öffnung des DNA-Doppelstrangs durch das Enzym RNA-Polymerase ist möglich. Die zu kopierende Basensequenz des codogenen DNA-Strangs ist durch eine Promotorsequenz markiert, an die die RNAPolymerase andockt. Im Kern vorhandene RNA-Nukleotide, die im Gegensatz zu den DNA-Nukleotiden Ribose statt Desoxyribose und die Base Uracil statt Thymin enthalten, werden nun komplementär zur DNA-Vorlage des codogenen Stranges fortlaufend in 5' → 3'-Richtung miteinander verknüpft. Das Ende der RNA-Synthese wird durch eine bestimmte Basensequenz, den Terminator, markiert. Die entstandene prä-mRNA besteht aus codierenden (Exons) und nicht codierenden Abschnitten (Introns). Am 5'-Ende wird nun ein besonderes Nukleotid als Kappe (cap) und am 3'-Ende eine Sequenz aus 100 – 200 Adenin-Nukleotiden (Poly-A-Schwanz) angefügt. Im letzten Schritt des RNA-Reifungsprozesses erfolgt das Spleißen, bei dem die Introns herausgeschnitten und die Exons miteinander verknüpft werden. Die auf diese Weise stark gekürzte, gereifte mRNA verlässt den Zellkern durch die Kernporen ins Zytoplasma. r2 r r r r r r r r r r r r r r r Diese Teilaufgabe beinhaltet drei Arbeitsaufträge mit unterschiedlichen Anforderungsbereichen: – Grundlage für die Zuordnung der Aminosäuresequenzen (AS-Sequenzen) zu den DNA-Ausschnitten des SHOX-Wildtyps (W) und des mutierten SHOX-Allels (M) ist zunächst die richtige Ableitung der mRNA-Sequenzen für diese Genabschnitte. Notieren Sie die in Material 2 angegebenen DNA-Sequenzen dazu jeweils getrennt voneinander. Schreiben Sie die zugehörigen mRNA-Sequenzen in eine zweite Zeile darunter und beachten Sie die korrekten Basenpaarungen (A – U; T – A; G – C; C – G). In einer dritten Zeile leiten Sie anschließend die AS-Sequenzen mithilfe der Code-Sonne (Material 5, Leserichtung von innen [5'] nach außen [3']) ab. Die AS-Sequenzen für den Wildtyp und das mutierte Allel müssen sich voneinander unterscheiden. – Der Mutationstyp muss benannt werden. – Mögliche Auswirkungen der Mutation auf Aufbau und Funktion des Genprodukts (Protein) sind darzustellen. Dazu ist es nötig, sich die Funktion von Proteinen, speziell der Enzyme, in Erinnerung zu rufen. Ableitung der AS-Sequenzen: DNA (W) 3' … GTG GAT CTG CGG ACG GCT CAC … 5' mRNA (W) 5' … CAC CUA GAC GCC UGC CGA GUG … 3' Leu Asp Ala Cys Arg AS (W) … His Val … DNA (M) 3' … GTG GAT CTG CGG ACG ACT CAC … 5' mRNA (M) 5' … CAC CUA GAC GCC UGC UGA GUG … 3' Leu Asp Ala Cys Stopp AS (M) … His 2011-4 …