ihreHerkunft - Vivaldi Group

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Marketing Leadership
Im Focus
Haller
Kalbfell
Geopolitische Spannungen
Müssen die
Marken in Zukunft
ihre
Herkunft
verleugnen?
Was wäre Mercedes ohne Deutschland,
L’Oréal ohne Frankreich und Marlboro,
Coca-Cola oder McDonald’s ohne die USA?
Nichts. Auch im Zeitalter der Globalisierung
ist die Herkunft das Fundament für viele
Marken. Länder stehen für Qualität und
Identität, für Heimat und Lebensstil.
Doch stimmt diese gängige Meinung überhaupt? Was bringen die nationalen Gütesiegel tatsächlich? Was bringen sie für uns
Deutsche? Die absatzwirtschaft fragte
Manager und Experten.
Hier das verblüffende Ergebnis.
Aufgezeichnet von Martin Seiwert
Wittig
Wölfer
Brandmeyer
Neske
Reichardt
Turner
Plüss
14
Kaempfe
Simon
Hattig
Springer
absatzwirtschaft 5/2003
Dr. Klaus Brandmeyer
Direktor Institut für Markentechnik (Genf)
Über ein Land, das sich in der Vergangenheit regelmäßig durch Höchstleistungen hervorgetan hat, sind auch
international viele positive Vorurteile
in Umlauf. So gilt Deutschland als das
Land der Dichter und Denker, als ein
Land, das fleißig, zuverlässig und präzise
arbeitet – und auch als das Heimatland
der „Gemütlichkeit“. Derartige Vorurteile sind so stabil, dass sie auch durch
massive Krisen nicht ins Wanken geraten. Im Gegenteil, normale Menschen
blenden eher die von ihren Vorurteilen
abweichenden Erfahrungen aus. Deutsche Unternehmen sind also gut beraten, wenn sie ihre Angebote im Ausland
mit solchen positiven, für sie günstigen
Vorurteilsstrukturen verknüpfen.
Detlef Wittig
Vorstand Vertrieb und Marketing Pkw,
Volkswagen
Der spezifische kulturelle Ursprung und
der damit seit über einem Jahrhundert
im kollektiven Bewusstsein der internationalen Kunden verankerte Wert
von „Made in Germany“ spielt auch im
Rahmen der Globalisierung noch eine
wichtige Rolle. Im Zuge der damit verbundenen Verschärfung des Wettbewerbs hat sich gezeigt, dass Deutschland weiterhin für Spitzenqualität und
innovative Technologien steht und
somit die ursprünglichen Werte von
„Made in Germany“ weiterhin verkörpert. Es sind Unternehmen wie die
Volkswagen AG, die „Made in Germany“ über Jahrzehnte geprägt haben
und mit diesen Werten heute wie früher
assoziiert werden. Die mit dem Begriff
„Made in Germany“ verbundenen
Werte wie Spitzentechnologie, Innovation und Qualität werden von der
Volkswagen AG aktiv mitgestaltet und
ständig aufs Neue gehoben. Durch das
Zusammenwachsen der Märkte sehen
wir eine zunehmende Verpflichtung
und Notwendigkeit der deutschen
Industrie, den steigenden Ansprüchen
an Produkte „Made in Germany“ auch
in Zukunft nachzukommen. Aus dieser
Wechselwirkung steht „Made by Volks5/2003 absatzwirtschaft
wagen“ bzw. „Engineered by Volkswagen“ längst für die gleichen Werte
und Maßstäbe wie „Made in Germany“
und überträgt diese unabhängig vom
Produktionsstandort auf alle Produkte
der Volkswagen AG weltweit.
Florian Haller
Hauptgeschäftsführer Serviceplan
Agenturgruppe
Sicher. Unser Image im Ausland hat
Federn gelassen. Doch ich denke nicht,
dass dies einen nennenswerten Einfluss
auf den Absatz deutscher Marken im
Ausland hat. Warum? „Made in Germany“ ist der gängige Weg, um den
Benefit der „Marke Deutschland“ auf
die eigene Marke zu transferieren. Aber
mit stark abnehmender Tendenz. Zunächst einmal, weil „Made in Germany“
in Zeiten der Globalisierung kaum noch
zutrifft. Die wenigsten, international
ausgerichteten Unternehmen bauen so
weit auf den Standort Deutschland, dass
sie das Label „Made in Germany“ für
ihre Marke noch verwenden können.
Dazu kommt, dass der Herstellungsort
für den modernen Verbraucher immer
weniger Relevanz besitzt. Man hat sich
schon lange daran gewöhnt, dass ein
BMW sehr wohl auch in den USA und
Nike-Produkte auch in Taiwan gefertigt
werden können. „Made in Germany“ ist
schon lange tot. Und das nicht erst seit
Gerhard Schröder oder Pisa.
Viel moderner als der oben skizzierte
Herstelleransatz sind Positionierungen,
die das Lebensgefühl eines Landes für
die Marke kapitalisieren. Dabei spielt der
Herstellungsort eine untergeordnete Rolle: Pizza Alberto war italienisch positioniert, wurde aber in Berlin hergestellt, die
Marke Bresso ist so französisch, wie Leerdamer holländisch. Hier hat die Marke
„Deutschland“ seit jeher wenig zu bieten.
Deutschland gilt im Ausland bestenfalls
als effizient (und das immer weniger),
aber nicht als lifestylig. Deshalb stellt die
desolate Situation unserer Volkswirtschaft hier auch keine Bedrohung deutscher Lifestyle-Marken dar. Wo nichts
ist, kann auch nichts kaputtgehen.
Aber drehen wir den Spieß einmal um.
Zahlreiche große amerikanische Mar-
ken leben im hohen Maße von der
Attraktivität des US-amerikanischen
Way of Life: Jack Daniels, Coke,
Levis, Nike, Marlboro und viele andere
Marken beziehen ihre Faszination zum
großen Teil aus dem Mythos USA. Und
der ist zurzeit ernsthaft bedroht.
Josef Hattig
Wirtschaftssenator Bremen, Aufsichtsratsvorsitzender Deutsche Post AG, ehemaliger Geschäftsführer Brauerei Beck & Co.
Marke ist Qualität und Emotion. Eigenständig und kreativ verbunden, bewirkt
beides das Markenego, die erstrebte
Alleinstellung. In diesem Gestaltungsprozess hat die Emotion ein zunehmendes Gewicht. Selbst qualitativ und objektiv unterscheidbare Produkte bedürfen weithin der emotionalen Kommunikation, um den Verbraucher zu erreichen, also den Unterschied für ihn zu
bewirken. Produktspezifische Emotionen sind eine schwierige Herausforderung, an den Marlboro-Cowboy oder
etwa das grüne Beck’s-Schiff darf erinnert werden. Markengestaltung muss
unverwechselbar sein. Gattungsmerkmale sind insoweit kontraproduktiv.
„Herkunft“ kann emotional positiv
wirken, bleibt selbst dann aber Gattung.
Gute Markenführung wird somit die
Herkunft individualisieren, überhöhen.
Ein „Made in Germany“ ist vielleicht
Nährboden, aber nicht Markennahrung.
„Deutsches Auto“, „deutsches Bier“ sind
hilfreiche Hinweise, aber keine zentralen
Markenbotschaften. Im Übrigen handelt
die Wirtschaft heute global, Herkunft ist
damit ein Firmenversprechen, kein geographischer Standort- oder ProduktNachweis. Auf mögliche Stimmungen
und Verstimmungen mag über die Verbände, vielleicht auch mit genereller Firmen-PR reagiert werden. Die eigentliche
Markenführung sollte man damit nicht
befrachten. Denn: Emotionen kommen
und gehen.
Dr. Hasso Kaempfe
Vorstandsvorsitzender
Mast-Jägermeister AG
Je schwächer und fragwürdiger die
Marke „Deutschland“ ist, desto wichti15
Marketing Leadership
Im Focus
„Engineered by Volkswagen
steht für die gleichen Werte wie
Made in Germany“
Detlef Wittig
ger sind starke deutsche Produkt- und
Dienstleistungsmarken, die ihre
Heritage nicht verleugnen und die das
Vertrauen in den Wirtschaftsstandort
Deutschland zu retten helfen. Je unverkrampfter wir unsere Marken auftreten
lassen, desto eher werden Handel und
Endverbraucher in den internationalen
Märkten zwischen temporärer deutscher Politik und dauerhafter Produktleistung zu unterscheiden wissen.
Karl-Heinz Kalbfell
Leiter Group Marketing BMW Group
Deutschland hat als Standort weltweit
anerkannte Stärken: eine sehr gute Infrastruktur, eine große Dichte an besonders
qualifizierten Arbeitskräften, eine jahrzehntelange Tradition in Entwicklung,
Herstellung und Vermarktung von Produkten höchster Qualität und nicht zuletzt stabile ökonomische Rahmenbedingungen. Auch wenn sich die konjunkturelle Großwetterlage zurzeit eintrübt:
Im letzten Jahr (wie auch schon in 2001)
war die BMW Group das Unternehmen,
das in Deutschland die meisten neuen
Arbeitsplätze geschaffen hat. Das Bekenntnis der BMW Group zum Standort
Deutschland wird auch durch das neue
Werk in Leipzig unterstrichen, welches
sich gerade in der Bauphase befindet.
Im Zeitalter der globalen Mobilität von
Konsumenten, Konsumgütern und
Kapital spielt das Herkunftsland einer
Marke naturgemäß eine geringere Rolle, als dies noch vor Jahrzehnten der
Fall war. Im Marketing global präsenter
Marken hat sich seit langem eine weltweit kohärente Steuerung und Positionierung etabliert. Mini, BMW und
Rolls-Royce seien hier als Beispiele für
die Automobilbranche genannt. Dementsprechend hat sich für die Konsu16
menten die Bedeutung des Labels
„Made in …“ bereits seit vielen Jahren
relativiert: Längst orientieren sie sich an
der emotionalen Ausstrahlungskraft und
am konstant eingehaltenen Leistungsversprechen starker Premium-Marken.
Mit den derzeit geführten politischen
Debatten hat dies recht wenig zu tun.
Die BMW Group setzt fast drei Viertel
seiner Automobile außerhalb Deutschlands ab: Die Kunden finden sich auf
dem gesamten Globus. Konsequenterweise hat die BMW Group seit Beginn
der 90er-Jahre ihre internationale Ausrichtung weiter forciert. Das macht
unabhängig von lokalen Konjunkturzyklen und ermöglicht eine schnellere,
präzisere Reaktion auf Veränderungen
im Markt. Heute verfügt die BMW
Group über Entwicklungsstandorte in
drei Ländern, Produktions- und
Montagewerke in 14 Ländern und
Vertriebstochtergesellschaften in 27
Märkten weltweit. Diese internationale
Ausrichtung der BMW Group basiert
auf einer langfristigen, zukunftsorientierten Unternehmensstrategie, die sich
von temporären Stimmungsschwankungen der öffentlichen Meinung nicht
aus der Ruhe bringen lässt.
Rainer Neske
Mitglied des Group Executive Committee
der Deutsche Bank AG, Global Head of
Private & Business Clients
Die Zugkraft deutscher Markennamen
ist und bleibt unverändert hoch, national wie international. Denn: Starke
Marken sind in den Köpfen der Konsumenten langfristig verankert. Es geht
ihnen dabei in erster Linie um Qualität
und Service, weniger um gesamtwirtschaftliche oder politische Rahmenbedingungen. Neben den Fakten domi-
nieren bei der Marke emotionale Aspekte – auch und gerade in schwierigen Zeiten. Hier kommt starken Markennamen
eine besonders wichtige Bedeutung zu.
Sie sind es, die in der Krise Orientierung
geben und sowohl Kompetenz als auch
Commitment vermitteln, bei Verbrauchern wie bei unseren Mitarbeitern.
Jürgen Plüss
Leiter Geschäftsbereich Küchengeräte
International Miele & Cie. KG
Marken stehen für Werte, Bilder oder
Vorstellungen in den Köpfen der Käufer. Die Hausgerätemarke Miele steht
weltweit für Qualität und Langlebigkeit,
die Marke Mercedes für Sicherheit und
Zuverlässigkeit. Die internationale
Akzeptanz für solche Markenwerte ist
durch eine lange und kontinuierlich an
den Markenwerten ausgerichtete Produktleistung geschaffen worden. Glaubwürdig werden solche Markenbilder,
wenn sie einen Herkunftsbezug enthalten, der dem Markenbild entspricht.
Herkunft und Herkunftskultur sind
normative Systeme. Das Bekennen einer
deutschen Marke zu ihrer nationalen
Herkunft stützt die Erwartung an
Qualität, Langlebigkeit, Sicherheit und
Zuverlässigkeit, die zum Beispiel mit
der Marke Miele oder der Marke Mercedes verbunden sind. Beide Markenbeispiele werden im Ausland wegen
ihrer Produktaussagen teilweise auch
als teutonisch bezeichnet. Im Sinne der
Herkunftskultur muss man das als
Kompliment akzeptieren. Miele-Produkte sind so zum Beispiel auch in
Italien oder in Japan oder in den USA
als deutsches Produkt eindeutig gegenüber lokalen Angeboten differenziert.
Um diese Herkunft spezifisch zu erhalten, muss man sich dazu auch ganz
absatzwirtschaft 5/2003
Marketing Leadership
Im Focus
„Die Marke Deutschland hat Angriffskriege überstanden, da wird sie auch eine
Kriegsverweigerung überstehen“
Sebastian Turner
bewusst und ausdrücklich bekennen,
zum Beispiel auch im Bereich Produktgestaltung oder Design. Mit modernem,
aber bewusst unmodischem Design, das
eher Maschinencharakter, Robustheit,
Bedienbarkeit und Langlebigkeit vermittelt, entsprechen zum Beispiel Miele-Produkte weltweit der Erwartung an
typisch deutsche Tugenden. Die Logikkette Miele = Qualität und die Herkunft
Deutschland = Qualität lässt zusätzliche
Energie in die Marke fließen, da sie
keinen Irritationen ausgesetzt ist.
Herkunft als kulturelles Marketinginstrument einzusetzen galt in den
90er-Jahren teilweise als überholt und
international als Wachstumsbremse.
Die Globalisierungsidee, das heißt weltweit auf allen Märkten präsent zu sein
und sich dort jeweils als Global Citizen
aufzustellen, wurde von vielen Großunternehmen als Zukunft gesehen. Für
Marken und Produkte musste man
vielfach diese Idee aufgeben, da relativ
schnell deutlich wurde, dass niemand
ein so genanntes Weltauto oder eine so
genannte Weltwaschmaschine für kompetent und hochwertig hielt.
Das ist auch auf vieles in Europa übertragbar. Wer möchte europäischen Rotwein kaufen (eher doch französischen
oder italienischen), wer eine europäische Uhr (eher doch eine Schweizer)?
Nationale Kulturen und Wurzeln sind
übertragbare Werte, die bei Käufern
Bilder und Vorstellungen auslösen. Sie
zu ignorieren heißt, Herkunftsenergie
nicht für seine Marke und sein Angebot
zu nutzen. Das heißt auch, im europäischen oder gar globalen Wirtschaftsraum sind nationale Wurzeln zu
berücksichtigende Parameter in der Angebotsgestaltung. Marken wie zum Beispiel Miele sind dafür das beste Beispiel.
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Holger Reichardt
Reinhard Springer
Vorstandsmitglied Heidelberger
Druckmaschinen AG
Als Vorstandsmitglied in einem globalen Unternehmen (ca. 85 Prozent der
Waren werden nicht in Deutschland
abgesetzt) ist für mich die global positionierte Unternehmensmarke „Made
by Heidelberg“ mittlerweile schwergewichtiger geworden als „Made in
Germany“. Wo produziert wird, wird
von unseren Kunden nicht mehr in
dem Maße wie früher honoriert, wenn
die Qualität stimmt. Erst wenn sich das
Image des Standorts Deutschland international nachhaltig und in vielen Bereichen verbessert, kann wieder eine
neue, wertstiftende Balance auch durch
„Made in Germany“ entstehen.
Chairman reinhards., Gründer und Aufsichtsrat Springer & Jacoby
Schwierigkeiten sind dazu da, dass man
sie meistert. Das gilt umso mehr, wenn
es sich um hausgemachte Schwierigkeiten handelt. Die Deutschen haben mit
viel Spaß verfrühstückt, was die Nachkriegsgeneration Stein auf Stein solide
aufgebaut hat. Vergnügungssucht, Faulheit und Schlendrian fordern nun ihren
Tribut. Zu Recht. Darum kann nicht
Flucht die Lösung sein, sondern nur Besinnung. Wenn wir uns auf das besinnen, was Marken stark und groß macht,
wird das Vertrauen der Konsumenten
wieder wachsen und die deutsche Wirtschaft wieder in Gang kommen. Unsere
Herausforderung kann nur sein, „Made
in Germany“ wieder zu einem strahlenden Gütesiegel zu machen. Alles andere
outet uns als Feiglinge. Und Feigling
will doch hier wohl keiner sein, oder?
Prof. Dr. Hermann Simon
Vorsitzender der Geschäftsführung
Simon, Kucher & Partners
Deutsche Marken haben weltweit
nach wie vor eine sehr hohe Wertigkeit. Die momentanen politischen
Spannungen wirken sich meiner
Ansicht nach mittel- und langfristig
nicht negativ auf deutsche Marken
aus. Kurzfristig verstärken sich bei
einigen Amerikanern möglicherweise
ohnehin vorhandene Vorurteile, und
das kann dann für deutsche Marken
zu gewissen Nachteilen führen. Dieser
Effekt könnte aber dadurch kompensiert werden – und das darf man nicht
vergessen –, dass es in anderen Teilen
der Welt zu positiven Reaktionen
kommt, weil man dort der deutschen
Haltung folgt. Hinzu kommt, dass
viele deutsche Marken so stark und
international sind, dass sie auf das
Standort-Image nicht mehr angewiesen sind.
Sebastian Turner
Vorstandsvorsitzender Scholz & Friends AG
Die Marke Deutschland hat Angriffskriege überstanden, da wird sie auch
eine Kriegsverweigerung überstehen.
Uwe Wölfer
Vorstandsmitglied Beiersdorf AG
Zunächst stellt sich immer die Frage, ob
die eigene Wahrnehmung mit der
Wahrnehmung anderer übereinstimmt.
Werden also die imageabträglichen
Faktoren Deutschlands im internationalen Bereich so auch nachvollzogen?
Langfristfaktoren spielen da, wie bei der
Markenbildung, eine wesentlichere Rolle. Deutsches Bier und deutsche Technik, deutsche Philosophie und deutsche
(klassische) Musik sind für die entsprechenden Zielgruppen bestehende Gröabsatzwirtschaft 5/2003
Marketing Leadership
Im Focus
ßen. Auch vermutete Sekundärtugenden wie deutsche Pünktlichkeit oder
deutsche Ordnung sind im Bewusstsein
von Freunden und Feinden in aller
Welt fest verankert. Natürlich kann es
problematisch werden, wenn die Einschätzungen der Kompetenzen eines
Landes sich verschlechtern und schleichend verfestigen. Umso wichtiger ist es
dann, wenn einzelne Produkte und
Marken bei den Konsumenten eine
hohe Wertschätzung besitzen, sie
können dann das ins Wanken geratene
Image eines Staates stabilisieren. Bei
Nivea, der Hauptmarke des BeiersdorfKonzerns, kommt noch eine Besonderheit hinzu: Sie wird in den einzelnen
Ländern oft als ein Produkt des jewei-
ligen Landes empfunden. Nivea ist für
einen Franzosen durchaus eine französische Marke, für den Italiener eine italienische, und jeder Mexikaner schwört
Stein und Bein, dass es sich hier um ein
urmexikanisches Produkt handelt. Ach
so: In Deutschland weiß man natürlich,
dass Nivea eine deutsche Marke ist.
Und das ist auch gut so!
Stimme aus Amerika
Erich Joachimsthaler
CEO Vivaldi Brand Leadership (New
York, München)
Ist die „Marke Deutschland“ am Ende?
Müssen wir das Gütesiegel „Made in
Germany“ endgültig ad acta legen? Viele Unternehmen beklagen derzeit das
schlechte internationale Image Deutschlands. Ist das Herkunftsland für deutsche Marken also eher Ballast als Stütze?
Ich denke nicht! Zwar mag es in der momentan angespannten politischen Lage zu Problemen für deutsche Marken im
Ausland, speziell den USA kommen, jedoch sind diese meines Erachtens lediglich als vorübergehendes Phänomen zu
sehen. Eines zeigen die aktuellen Diskussionen jedoch ganz
deutlich. Die „Marke Deutschland“ ist für alle Beteiligten von
enormer Bedeutung. Sie ist letztendlich unsere eigene Identität, das, was uns von anderen Nationen unterscheidet und
uns nachhaltig prägt. Sie ist das, wofür wir alle stehen. Andererseits bedeutet das aber auch eine große Verantwortung
für uns alle. Wir müssen dafür sorgen, dass die „Marke
Deutschland“ in ihrer Stärke und Einzigartigkeit erhalten
bleibt.
Jeder von uns weiß, wie schwierig es ist, eine einzelne Produktmarke aufzubauen. Aber eine starke Ländermarke zu
entwickeln ist noch viel schwieriger. Das größte Problem sind
die unzähligen Einflüsse, denen eine nationale Marke ausgesetzt ist. Da sind zum einen die einheimischen Produkte, aber
auch Politiker, Sportler, Literaten, Wissenschaftler und alle
anderen Gruppen, die Deutschland im Ausland repräsentieren. Unternehmen können es durch ein klares und konsequentes Markenmanagement schaffen, den Aufbau ihrer
Marken relativ genau zu steuern. So ein „proaktives Management“ ist aber bei einer Ländermarke wegen der enormen
Anzahl von Repräsentanten der Marke nahezu unmöglich.
Und das bringt mitunter große Probleme mit sich. Wenn beispielsweise vertrauliche Details aus dem Privatleben eines
Superstars wie Boris Becker an die Öffentlichkeit kommen
und international für Aufsehen sorgen, dann zeigt das deut-
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lich, welchen schwer zu kontrollierenden Einfluss eine einzelne Person auf die „Marke Deutschland“ haben kann.
Heißt das aber dann, dass man eine Ländermarke einfach nicht
steuern kann und soll? Gibt es denn gar keine positiven Beispiele mehr? Doch! Finnland war noch vor zehn Jahren für
viele ein weißer Fleck auf der Weltkarte, nicht viel mehr
als ein Haufen Schnee und Bäume. Doch dann kam Nokia.
Und der weltweite Erfolg dieses Telekommunikationsunternehmens (dessen Wurzeln übrigens tatsächlich in der Holzverarbeitung liegen) war auch der Erfolg des gesamten Landes. Dieses Beispiel zeigt, und viele andere auch, dass es
immer die Erfolge der starken Marken und Unternehmen
eines Landes waren, die zugleich die Marke des Landes selbst
aufgebaut haben. Irgendwelche staatlichen oder privaten
Werbekampagnen, die mit Hilfe hochtrabender Markenversprechen, das Image eines Landes für ausländische Anleger
oder Touristen attraktiver zu machen, sind deshalb vergebene
Mühe und verschwendetes Geld.
Und da also die Produkte und Unternehmen eines Landes die
zentrale Rolle beim Aufbau dessen Marke spielen, ist mir auch
zu keinem Zeitpunkt um die Zukunft Deutschlands bange.
Denn meine täglichen Erfahrungen in Europa und den USA
zeigen mir deutlich, dass die Marke Deutschland wenig von
ihrer Kraft verloren hat. Starke Produktmarken sind beständig, und das Gleiche gilt auch für Ländermarken. Das Ziel
deutscher Unternehmen sollte also nicht sein, so global wie
möglich zu agieren, sondern vielmehr so deutsch wie nötig.
Das heißt, sie müssen sich darüber klar werden, was die zentralen und beständigen Elemente der „Marke Deutschland“
sind. Denn genau diese Werte unterstützen auch in Zukunft
die Erfolge deutscher Produkte auf der ganzen Welt. Und
wenn wir die Einzigartigkeit und Stärke der „Marke Deutschland“ auch weiterhin sichern wollen, dann muss sich jeder
einzelne Unternehmer fragen, wie er mit seinen Produkten
dazu beitragen kann, das Markenkapital unseres Landes zu
erhalten und zu steigern. Oder, um es in den Worten von John
F. Kennedy zu sagen: „Ask not what your country can do for
you – ask what you can do for your country.“
absatzwirtschaft 5/2003
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