Nobelpreis-gekrönte Fallstricke

Werbung
Powered by
Seiten-Adresse:
https://www.gesundheitsindustriebw.de/de/fachbeitrag/aktuell/nobelpreis-gekroentefallstricke/
Nobelpreis-gekrönte Fallstricke
Der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin 2013 an James Rothman, Randy Schekman und
Thomas Südhof würdigt ihre Entdeckungen der Zellmaschinerie, die den Transport
sekretorischer Proteine durch intrazelluläre Vesikel kontrolliert. Eine zentrale Rolle nimmt
bei der Fusion der Membranen der von Rothman entdeckte SNARE-Komplex ein.
Wissenschaftler des Biochemie-Zentrums Heidelberg waren an diesen Entdeckungen
wesentlich beteiligt.
Prof. Dr. James E. Rothman, einer der drei Medizin-Nobelpreisträger 2013. © Yale University
Als das Nobelkomitee am Karolinska-Institut in Stockholm bekannt gab, dass James E.
Rothman, Randy W. Schekman und Thomas C. Südhof für ihre Entdeckungen eines der
grundlegenden Transportsysteme in unseren Zellen den diesjährigen Nobelpreis in Physiologie
und Medizin erhalten, richtete sich das Interesse der deutschen Medien fast ausschließlich auf
1
den in Deutschland geborenen Thomas Südhof. Ihm gratulierten auch
Bundesforschungsministerin Johanna Wanka und Bundespräsident Joachim Gauck, der
schrieb: „Deutschland freut sich mit Ihnen darüber, dass Ihre exzellenten Leistungen - …die
entscheidend dazu beigetragen haben, dass wir die Entstehung von neurologischen
Krankheiten, von Immunerkrankungen und Diabetes besser verstehen …- mit dem Nobelpreis
für Medizin ausgezeichnet werden.“ Südhof hatte Deutschland schon vor 31 Jahren verlassen,
direkt nach seiner Promotion an der Universität Göttingen; alle seine entscheidenden Arbeiten
über den Vesikeltransport und die kontrollierte Freisetzung von Neurotransmittern, den
Signalmolekülen an den Synapsen der Nervenzellen, sind in den USA entstanden. Er wies unter
anderem nach, dass die Fusion der Vesikel mit der Nervenzellmembran nach dem
Sekretionsmechanismus erfolgte, den Rothman und Schekman entdeckt hatten.
Schon in den 1970er-Jahren hatte Schekman in Stanford und Berkeley, California, begonnen,
die genetischen Grundlagen des Proteintransportsystems in Hefezellen zu untersuchen. Mit
Hilfe verschiedener defekter Mutanten gelang es ihm, drei Genklassen zu identifizieren, die
unterschiedliche Facetten der Transportmaschinerie kontrollierten. Als Rothman einige Jahre
später am gleichen Institut den Vesikeltransport in Zellkulturen von Säugetieren studierte und
einen Proteinkomplex entdeckte, der für das Andocken und die Fusion der Vesikel mit der
Plasmamembran verantwortlich ist, stellte sich heraus, dass einige der von Schekman in Hefe
identifizierten Gene für Proteine kodieren, die den von Rothman in Säugetierzellen
nachgewiesenen entsprachen. In der Zusammenarbeit der beiden Forscher wurden
nacheinander viele wichtige Komponenten dieses alten, in der gesamten Evolution der
Eukaryoten erhalten gebliebenen Transportmechanismus aufgespürt.
Der SNARE-Komplex
Einige dieser Komponenten bilden einen Proteinkomplex, den Rothman „SNARE“ nannte
(deutsch etwa: Fallstrick, Falle, Schlinge). Beim Fusionsprozess verbindet sich ein Paar von
SNARE-Proteinen auf der Vesikelmembran mit verwandten SNARE-Proteinen auf der
Zielmembran (zum Beispiel der Plasmamembran) unter Bildung eines stabilen Komplexes. Man
hat diesen Prozess mit dem Schließen eines Reißverschlusses verglichen. Nach Rothmans
„SNARE-Hypothese“ (die inzwischen glänzend bestätigt worden ist) gibt es viele solcher
Proteine , die sich mit ihren Rezeptoren nur in spezifischen Kombinationen miteinander
verbinden können und dadurch sicherstellen, dass die Vesikel mit hoher Präzision nur an
spezifischen Stellen der Plasmamembran fusionieren und ihren Inhalt – beispielsweise
Proteinhormone, Antikörper oder Neurotransmitter – freisetzen. Ein Prozess, der als regulierte
Exozytose bezeichnet wird. Die Auflösung des SNARE-Komplexes in seine Einzelkomponenten
nach der Membranfusion erfolgt durch den von Schekman entdeckten Faktor NSF, ein ATPspaltendes Enzym, das über den Kofaktor SNAP an den Komplex gebunden wird. Nach dem
gleichen Prinzip erfolgen Membranfusionen und -abspaltungen (Knospungen) nicht nur an der
Zelloberfläche, sondern auch innerhalb der Zelle, wie beim Vesikelfluss zwischen
Endoplasmatischem Retikulum (ER) und Golgi-Apparat.
Diese Erfolge wurden auch möglich, weil Rothman und seine Mitarbeiter „zellfreie Systeme“
entwickelt hatten, in denen verschiedene, für den Membranfluss notwendige, intrazelluläre
Komponenten miteinander wechselwirken konnten. So ließen sich manche Komplikationen, die
man beim Arbeiten mit ganzen Zellen hat, vermeiden. 1988 wurde Rothman, der damals am
2
Schema der Interaktion des SNARE-Komplexes mit den Membranen bei ihrer Fusion und Separation. © J.E. Rothman,
Yale University
Sloan Kettering Institute in New York arbeitete, mit dem Humboldt-Forschungspreis der
Alexander von Humboldt-Stiftung ausgezeichnet; als Humboldt-Gastprofessor forschte er
anschließend am Institut für Biochemie der Universität Heidelberg (heute Biochemie-Zentrum
Heidelberg, BZH) im Laboratorium von Prof. Felix Wieland. Diese Kooperation brachte wichtige
Erkenntnisse über die Funktion von NSF und die zentrale Rolle des Golgi-Apparates für den
Vesikelfluss zur Plasmamembran und die Sortierung der für den Export aus der Zelle
bestimmten Proteine . So gelang es den Heidelberger Forschern um Wieland, mit Hilfe von
Rothmans zellfreien Systemen die den Transport zwischen den einzelnen Zisternen des GolgiApparates vermittelnden Vesikel zu isolieren und biochemisch zu charakterisieren (s.
"Vesikeltransport in der Zelle – von der Analyse zur Biogenese“).
Von New York nach Heidelberg
Am Sloan Kettering Institute war Rothman dann Gastgeber von Wielands Postdoc Walter
Nickel, der später nach Heidelberg zurückkehrte und dort seit 2004 Professor für Biochemie
am BZH ist. Nickels Hauptforschungsgebiet sind heute die Mechanismen sogenannter
unkonventioneller Proteinsekretion, die am Golgi-Apparat vorbei führen. In den Fällen, in
denen ein Vesikeltransport direkt zwischen ER und Plasmamembran erfolgt, scheinen neben
den universellen Komponenten NSF und SNAP ganz spezielle SNARE- Proteine beteiligt zu sein.
Prof. Dr. Thomas Söllner, Biochemie-Zentrum Heidelberg. © BZH, Universität Heidelberg
3
Bereits vor Nickel war Thomas Söllner, der in München promoviert hatte, zu Rothman ans
Sloan Kettering Institute gekommen, um die SNARE-abhängige Membranfusions-Maschinerie
zu erforschen. Söllner blieb dort vierzehn Jahre; 2005 ging auch er als Professor ans Biochemie
-Zentrum Heidelberg. Sein Forschungsgebiet nahm er mit. Zahlreiche Erkenntnisse über die
molekularen Mechanismen sind mit seinen Arbeiten in New York und später in Heidelberg
verbunden, so die Reinigung und Charakterisierung von SNARE-Proteinen, die Anbindung der
Transportvesikel an die Zielmembran vor der Bildung des SNARE-Komplexes und die
Entdeckung von regulatorischen Faktoren, die den Fusionsprozess antreiben oder verhindern.
Heute untersucht Söllner unter anderem die Rolle der Lipide und der Membran-Mikrodomänen
(kleine Membranregionen mit speziellen, definierten Eigenschaften) im Verlauf der regulierten
Exozytose. Sein besonderes Interesse gilt der Freisetzung von Neurotransmittern, die nicht
zuletzt durch die Arbeiten von Thomas Südhof an Nervenzellen zum Paradebeispiel der
regulierten Exozytose geworden ist. In Söllners Arbeitsgruppe werden die exozytotischen
Prozesse an der neuronalen Synapse unter anderem durch Verwendung künstlicher
Membransysteme analysiert, in denen alle Lipid- und Proteinkomponenten bekannt sind. So
lassen sich die einzelnen Reaktionsschritte voneinander trennen und analysieren. Söllner ist
auch Koordinator des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten
Verbundprojektes „Molecular Architecture and Cellular Functions of Lipid/Protein Assemblies“
(SFB-TRR 83) zwischen den Universitäten Heidelberg, Dresden und Bonn sowie dem
Europäischen Molekularbiologischen Laboratorium und Max-Planck-Institut für Molekulare
Zellbiologie und Genetik.
James Rothman, der jetzt an der Yale University forscht und lehrt, ist seit seinem
Gastaufenthalt bei Felix Wieland vor fast 25 Jahren ein häufiger Teilnehmer und Referent bei
biologischen Kongressen in Heidelberg. Im Jahr 2011 waren sowohl er als auch Randy
Schekman eingeladen worden, am BZH im Rahmen des SFB-TRR 83 ihre Forschungen zur
Membrandynamik und der kontrollierten Sortierung von Exportproteinen in den
Transportvesikeln vorzustellen. In der Rückschau möchte man meinen, dass die Verleihung des
jetzigen Nobelpreises schon in der Luft gelegen hat.
Fachbeitrag
24.10.2013
EJ
BioRN
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen
Biochemie-Zentrum der Universität Heidelberg
(BZH)
4
Herunterladen