Deutsches Ärzteblatt 1991: A-475

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FORTBILDUNG
DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT
HIV-Infektion und AIDS
Frank-Detlef Goebel
ehr als 60 Prozent
der AIDS-Fälle in
der Bundesrepublik
werden in den Städffigb vg*4ä ten Berlin, München, Hamburg, Köln, Düsseldorf
und Frankfurt betreut. Doch breiten
sich HIV und AIDS auch außerhalb
von Großstädten aus. Fünfzehn Prozent der von uns behandelten AIDSPatienten wohnen nicht in München,
sondern in kleineren Städten in ganz
Bayern. Es besteht kein Zweifel daran, daß heute bei jedem niedergelassenen Arzt und in jedem Krankenhaus Patienten mit HIV-Infektionen erscheinen können. Es ist daher sinnvoll und notwendig, sich mit
den einer HIV-Infektion folgenden
Krankheitsbildern vertraut zu machen.
Die gewohnte Vorstellung, die
Zugehörigkeit zu einer sogenannten
Risikogruppe sei das wichtigste Indiz
für eine HIV-Infektion, verliert zunehmend an Bedeutung (Abbildung
1). Der Anteil der heterosexuell akquirierten Infektionen nimmt zu. Da
dies besonders für die noch nicht an
AIDS erkrankten Patienten gilt, ist
auf erste Symptome und Indikatoren einer HIV-Infektion zu achten.
Durch die heute verfügbaren präventiven Behandlungsmöglichkeiten
liegt ein rechtzeitiger Nachweis im
Interesse des Patienten, da die Lebenserwartung der Erkrankten von
dem frühzeitigen Erkennen opportunistischer Infektionen abhängig ist.
Erste klinische Symptome einer
HIV-Infektion sind bei etwa 10 bis
20 Prozent der Patienten als akute
HIV-Krankheit wenige Wochen
nach der Infektion zu beobachten.
Die Beschwerden entsprechen denen einer akuten Virusinfektion mit
Fieber, Gliederschmerzen, feinflekkigem Exanthem, eventuell Lymphknotenschwellung, Durchfällen, starken Kopfschmerzen. Im Differential-
Die HIV-Infektion ist heute auch in
Deutschland so verbreitet, daß
sich in jeder Praxis und Klinik
HIV-Patienten vorstellen können.
Die Beschäftigung mit den resultierenden Krankheitsbildern gehört daher zu den Fortbildungspflichten. Große Aufmerksamkeit
ist vor allem den „Markerkrankheiten" zu schenken, die früh auf
eine solche Infektion hinweisen.
Je früher die Diagnose einer opportunistischen Infektion gestellt
und eine adäquate Therapie eingeleitet werden, desto besser ist
die Prognose. Fortschritte werden
auch in der prophylaktischen Behandlung der Komplikationen des
Immundefektes erzielt. In der antiviralen Therapie ist AZT (Zidovudine) inzwischen etabliert, die Berichte über seine Effekte in der
Frühtherapie bei asymptomatischen Patienten zwar vielversprechend, aber noch nicht definitiv zu
beurteilen.
blutbild zeigt sich eine Mononukleose. Bei prospektiven Studien an Personen mit bekanntem Infektionszeitpunkt (zum Beispiel Nadelstichverletzungen bei medizinischem Personal) trat eine solche akute Krankheit
bei drei Vierteln der Betroffenen
auf, ein Hinweis darauf, daß diese
HIV-Krankheit wohl häufiger vorkommt, aber fehlgedeutet wird, zumal in diesem Stadium keine HIVAntikörper nachweisbar sind.
An diese Krankheit schließt sich
ein sehr unterschiedlich langer Latenzzeitraum an, in dem der Patient
subjektiv gesund ist, lediglich ein positiver HIV-Antikörpertest auf die
Infektion hinweist. Nach prospektiMedizinische Poliklinik (Vorstand:
Professor Dr. med. Nepomuk Zöllner),
Ludwig-Maximilians-Universität München
ven Kohortenstudien in den USA beträgt die mittlere Inkubationszeit,
das heißt von der HIV-Infektion bis
zum Vollbild AIDS etwa acht bis
zehn Jahre, die Manifestationsrate
ist hoch, nach zehn Jahren ist mehr
als die Hälfte der Infizierten an
AIDS erkrankt (1).
Solange der Patient klinisch gesund ist, sollte eine halbjährliche
Kontrolle mit Anamnese, körperlicher Untersuchung und Laborprogramm (Tabelle 1) sowie einem
Oberbauchsonogramm stattfinden.
Klinische Symptome
einer HIV-Infektion
Zu den ersten klinischen Symptomen gehört das Lymphadenopathiesyndrom (LAS), charakterisiert
durch schmerzlose, über ein Zentimeter im Durchmesser vergrößerte
Lymphknoten an mindestens zwei
extrainguinalen Stationen länger als
drei Monate tastbar. Das Verschwinden früher palpabler Lymphknoten
ist als schlechtes Zeichen, nämlich
als beginnende lymphozytäre Depletion zu deuten. Eine Biopsie solcher
Lymphknoten ist in der Regel überflüssig, da die histologische Untersuchung nur eine unspezifische Adenitis ergibt. Eine Biopsie oder Exstirpation ist nur bei den üblichen —
HIV-unabhängigen — Kriterien notwendig, etwa bei derben, schnell
wachsenden Knoten mit Verdacht
auf Lymphom oder Tuberkulose etc.
Der AIDS-related complex
(ARC) ist definiert durch mindestens zwei pathologische Laborbefunde sowie klinische Symptome wie
Diarrhoe, Gewichtsabnahme, Fieber
etc. In dieser Phase treten vor allem
Haut- und Schleimhautveränderungen auf. Fast pathognomonisch ist
die orale Haarleukoplakie (Abbildung 2) als weißliche, nicht abstreif-
Dt. Ärztebl. 88, Heft 7, 14. Februar 1991 (51) A-475
bare Beläge an den Zungenrändern.
Mundsoor ist in diesem Stadium ein
häufiger und typischer Befund. Bei
allen Hauterscheinungen müssen
drei prinzipielle Gesichtspunkte an
HIV denken lassen:
CD ungewöhnliche Altersklasse,
zum Beispiel Deliwarzen bei Erwachsenen, @ seltene Manifestationsformen, zum Beispiel ulzerierender Herpes simplex, @ atypische Lokalisation, zum Beispiel symmetrischer oder mehrsegmentaler Befall
durch Herpes-zaster-Virus.
Das Vollbild AIDS ist von den
Centers of Disease Control (USA)
definiert worden. Kriterien sind bei
positiver HIV -Serologie das KaposiSarkom, das maligne Non-HodgkinLymphom und "opportunistische"
Infektionskrankheiten.
Kaposi-Sarkom (KS)
Das KS ist ein multifokal wachsender, gefäßreicher Tumor vor allem der Haut. In etwa 25 Prozent der
Fälle mit Hautbefall ist das KS im
Gastrointestinaltrakt nachweisbar.
Tabelle 1: Routinelaboruntersuchungen bei HN-Infektion
Basisuntersuchung:
- BKS
- großes Blutbild
- Thrombozyten
- alkalische Phosphatase
- Transaminasen
- GGT
- Serumelektrophorese
- Lymphozytensubsets
- Hepatitis-Serologie
- Lues-Serologie
- Toxoplasmose-Serologie
Kontrolluntersuchung:
- BKS
- großes Blutbild
- Thrombozyten
- alkalische Phosphatase
- Transaminasen
- GGT
- Serumelektrophorese
- Lymphozytensubsets
Besonders maligne ist die Lungenbeteiligung, häufig schnell wachsend
als disseminierter Befall beider Lungen (Abbildung 2) (Röntgenbild: diffuse , kleinknotige Infiltrationen).
Bei pulmonaler Insuffizienz kann die
Differentialdiagnose gegenüber diffusen Pneumonien schwierig sein,
besonders dann, wenn ein tumoröses und ein infektiöses Geschehen
gleichzeitig vorliegen.
~ Therapie: Die Behandlung
des Haut-Kaposi-Sarkoms besteht in
lokaler Exzision und/oder Laserbehandlung. In frühen Stadien kann eine Alpha-Interferon-Therapie zur
Remission führen. Eine vorsichtige
Chemotherapie mit Vinblastin oder
Kombinationsschemata zeigt auch
passagere Erfolge. Die Progression
bei Befall innerer Organe ist kaum
aufzuhalten.
Non-Hodgkin-Lymphom
(NHL)
Etwa drei bis fünf Prozent der
HIV-Infizierten
entwickeln
ein
NHL, davon sind etwa 70 Prozent hochmaligne B-Zell-Lymphome
(zum Beispiel Burkitt-Lymphom, immunoblastisches Lymphom) (2). 20
Prozent manifestieren sich primär im
zentralen Nervensystem, bei zwei
"Risikogruppe" in Prozent
100,-------.------.-------.------,l.------.-------~~----~~-------.
90 -
------ - -- - ------ ----- - ------- - ---- -
80 -
----------
70 -
----- -- -- -
60 -
----- - ----
50 -
---- -- -- --
40 -
----------
30
-
----------
20
-
-- - --- ----
c:::::::J
Homo-/Bisexuelle
-
i.v. Drogenabhängige
-
Durch Bluttransfusion inf.
c::::J HWG
c::::J Haemophile
c::::J Sexualpartner aus .,Risikogruppen " c::::J Unbekannt (Patientenangaben)
10 -
h.
1984
1984
1985
1986
------ - -
--------
----- ----
-
- -------
--------
----- -- -
--- -----
-
fll r-~~
~
r1.
~-n-
1987
1988
1989
n
1990
(6 Monate)
Abbildung l: Zugehörigkeit HN-infizierter Patienten der Medizinischen Poliklinik München zu ,. Risikogruppen" von 1982 bis zum 1. Halbjahr
1990 (in Prozent)
A-478
(54) Dt. Ärztebl. 88, Heft 7, 14. Februar 1991
Dritteln der Patienten findet sich ein
extranodaler Befall. Die Diagnose
erfolgt histologisch oder bei ZNSBefall computer- oder kernspintomographisch. Bei leptameningealer
Infiltration lassen sich im Liquor mit
monoklonalen Antikörpern markierbare B-Lymphozyten nachweisen .
..,... Therapie: Die Behandlung
besteht aus Bestrahlung und/oder
Chemotherapie. Unter der Bestrahlung fallen regelhaft die Helferlymphozyten ab, so daß dadurch der
HIV -spezifische Immundefekt verstärkt wird. Auch die Polychemotherapie ist durch eine bereits bestehende Abwehrschwäche limitiert. Die
Prognose des Patienten hängt in erster Linie vom Stadium und histologischen Typ des Lymphoms ab, aber
auch davon, ob der Patient bereits
Opportunistische
Infektionen
Mit der Verminderung der CD4positiven Helferlymphozyten steigt
das Risiko einer opportunistischen
Infektionskrankheit. Zwar ist die
Anzahl der in Frage kommenden Er-
Abbildung 2: Orale
Haarleukoplakie an
den Zungemändem
eines HN-infizierten
Patienten
andere AIDS-definierende Krankheiten hatte. Die durchschnittliche
Lebenserwartung nach Diagnose eines hochmalignen Lymphoms liegt
zwischen drei und 18 Monaten.
reger relativ klein (Tabelle 2), doch
kann ihr Nachweis im Einzelfall sehr
schwierig sein. Die Inzidenz dieser
Erreger bei HIV hängt von ihrer Prävalenz in der Gesamtbevölkerung ab.
So manifestiert sich AIDS zum Beispiel in Afrika besonders durch gastrointestinale Erreger, die Toxo-
Tabelle 2: Häufige Erreger opportunistischer Infektionen
Erreger
bevorzugte Organmanifestation
- Protozoen
Pneumocystis carinii (Pilz?)
Taxaplasma gondii
Cryptosporidium
Isospora belli
Strongyloides
Pneumonie
Enzephalitis
Enteritis
Enteritis
Enteritis
- Viren
Cytomegalievirus
Herpes-simplex-Virus
Varizella-zoster-Virus
Papova-Virus
Retinitis, Enteritis, Pneumonitis
chronische Hautulzerationen
multidermale Gürtelrose
progressive multifokale Leukenzephalopathie
- Pilze
Candida
Cryptococcus neofarmans
Aspergillus fumigatus
Mundsoor, Oesophagitis, Pneumonie
Meningitis, Pneumonie, Prostatitis
Pneumonie, Karditis
- Bakterien
Mycobacterium tuberculosis
atypische Mykobakterien
Salmonellen
disseminierter Befall, Pneumonie
disseminierter Befall, Enteritis
Bakteriämie, Enteritis
A-480
(56) Dt. Ärztebl. 88, Heft 7, 14. Februar 1991
plasmose ist häufig in Europa, in den
USA seltener, Histoplasmose ist in
Europa kaum existent, in den USA
dagegen häufiger.
Die Diagnostik bei AIDS-Patieten wird dadurch erschwert, daß serologische Untersuchungen fast bedeutungslos sind, gleichzeitig Mehrfachinfektionen auftreten und die
Differenzierung zwischen Besiedlung und Krankheitserreger schwierig sein kann. Das klinische Bild der
AIDS-Manifestationen kann außerordentlich vielgestaltig sein. Prädilektionsstellen sind Gehirn, Lunge und Gastrointestinaltrakt. Auch
Herz, Nieren oder endokrine Organe können betroffen oder mitbeteiligt sein. Da nicht alle Variationen
beschrieben werden können, wird
das Schwergewicht auf die Darstellung der häufigsten Komplikationen
des Immundefektes gelegt.
Pneumocystis-carinii-Pneumonie (PeP):
Führende Symptome der PeP
sind trockener Husten, Fieber und
Dyspnoe. Der Beginn ist meist
schleichend, die Anamnesedauer
kann Monate betragen (3). In späten
Pneumoniestadien ist die Diagnose
einfach: typische Symptome, im
Röntgenbild beidseits diffuse, interstitielle Infiltrate, Vitalkapazität reduziert, die Blutgasanalyse zeigt eine
Hypoxämie, BKS und LDH sind erhöht, dagegen die Leukozytenzahl
im Blutbild trotz Pneumonie normal.
Der Erregernachweis erfolgt im
spontanen Sputum (nur in fortgeschrittenen Fällen positiv), besser
und früher im Sputum, das durch 10-
bis 15minütige Inhalation von dreiprozentiger Kochsalzlösung induziert wird. Fällt diese Untersuchung
wiederholt trotz dringenden Verdachtes auf PeP negativ aus, wird eine bronchoalveoläre Lavage mit
transbronchialer Biopsie durchgeführt. Mit diesem Verfahren kann
man einen Pneumocystenbefall praktisch sichern oder ausschließen.
~ Therapie:
Therapie
der
Wahl ist hochdosiertes Cotrimoxazol
oral oder parenteral (Tabelle 3). Alternativ können Pentamidin intravenös, Dapsone oder Eflornithin oral
gegeben werden. Die Pentamidin-lnhalation bei "leichten Pneumonien"
ist noch nicht etabliert. Erfolgsparameter der Therapie ist die Besserung
des klinischen Bildes nach einigen
Tagen, Rückgang derLDH und Hypoxämie sowie allmähliche Zunahme
der Vitalkapazität. Bei klinischer
Besserung wird die Therapie über
drei Wochen fortgeführt, tritt diese
jedoch nicht innerhalb von sechs bis
sieben Tagen ein oder kommt es zu
Nebenwirkungen (häufig sind allergische Reaktionen und Leukopenien), so muß auf ein anderes Medikament umgesetzt werden.
Nach überstandener Pneumonie
sollte eine Rezidivprophylaxe durch
Pentamidin-Inhalation (4) oder mit
Cotrimoxazol forte (5) durchgeführt
werden. Entscheidend für die Effektivität der Inhalationsprophylaxe ist
die regelmäßige Anwendung sowie
die durch den Vernebler erreichbare
Teilchengröße von 2 f-t, um die Substanz bis in die Lungenperipherie zu
Abbildung 3: Röntgen-Thoraxbild eines
Patienten mit disseminiertem KaposiSarkom der Lunge
ohne Hautbeteiligung
applizieren. Gelegentlich auftretende Hypoglykämie-Symptome während oder kurz nach der Inhalation
lassen sich durch eine vorherige kleine Mahlzeit verhindern. Ideal wäre
eine ~ystemische präventive Behandlung mit einem Medikament, das sowohl gegen Pneumocystis carinii wie
auch Toxoplasma gondii wirksam
wäre. Damit ließen sich auch die in
der Literatur - sehr vereinzelt - beschriebenen Fälle einer Dissemination von Pneumocystis carinii zum
Beispiel in der Leber, im Knochenmark oder Herzmuskel etc. vermeiden.
Durch eine konsequente Rezidivprophylaxe beziehungsweise Anwendung bei allen HIV-Infizierten mit Helferlymphozyten unter
200/Mikroliter (6) wird die PeP ihren
Tabelle 3: Therapie der Pneumocystis carinii Pneumonie
Therapie
Prophylaxe
Cotrimoxazol 120 mg/kgKG/Tag
oral oder i.v.
Pentamidin-Aerosol 60-300 mg
alle 2-4
Wochen
Cotrimoxazol 960 mg 2 x /Tag
Dapsone 100 mg/Tag?
Pentamidin 4 mg!kgKG/Tag i.v.
Alternativen (zum Teil experimentell)
Trimethoprim 20 mg!kgKG/Tag
+ Dapsone 100 mg!Tag oral
Trimethrexat 30 mg/m 2 Körperoberfläche/Tag i. v.
Eflornithin 400 mg/kgKG/Tag i. v.
Pentamidin-Aerosol 600 mg!Tag
Stellenwert als häufigste opportunistische Infektion und als Erstmanifestation von AIDS verlieren.
Candidiasis:
Die Candidiasis der Mundhöhle
ist ein leicht zu erkennender Indikator für eine HIV-Infektion. Neben
den weißlichen, anfangs abstreifbaren Belägen an der Zunge, dem
Gaumen und besonders im Bereich
des Vestibulums klagt der Patient lediglich über Brennen bei~. Essen
und Alkoholkonsum. Bei Osophagusbefall treten typischerweise retrosternale Schmerzen vor allem beim
Schlucken auf. Differentialdiagnostisch kommen bei diesen Beschwerden vor allem CMV-, HSV- und seltener zum Beispiel Kryptokokkenbedingte Ulzerationen in Frage.
~ Therapie: Bei entsprechenden Beschwerden und gleichzeitigem
Mundsoor wird ein Therapieversuch
mit Konazol-Derivaten durchgeführt. Nur bei Fehlen des Mundsoors
oder nach erfolglosem Behandlungsversuch führen wir zur Klärung eine
Endoskopie durch. Weitere Komplikationen durch Candida wie die sehr
seltenen Pneumonien oder Septikämien müssen mit Amphotericin B,
eventuell kombiniert mit Flucytosin
parenteral, behandelt werden.
Toxoplasmose:
In Abhängigkeit von der Lokalisation und Größe der zerebralen Toxoplasmoseherde kann die Sympto-
Dt. Ärztebl. 88, Heft 7, 14. Februar 1991 (57)
A-481
matik von diskreten Wesensveränderungen bis zur Hemiplegie gehen.
Der Nachweis erfolgt durch Computertomographie mit Kontrastmittel,
die in typischen Fällen multilokuläre
Defekte mit ringförmiger Kontrastmittelanreicherung und perifokalem
Ödem zeigt. Noch sensitiver ist die
Kernspintomographie. AntikörperTiter und Liquoruntersuchungen erbringen keinen Erkenntnisgewinn,
eine Hirnbiopsie ist nicht indiziert.
...,.. Gesichert wird die Diagnose
durch den Erfolg der Behandlung
mit Daraprim in Kombination mit einem Sulfonamid oder Clindamycin.
Während einer Pyrimethamin-Gabe
muß Polinsäure zur Verminderung
der myelotoxischen Nebenwirkungen
appliziert werden. Die Therapie erfolgt mindestens über drei bis sechs
Wochen. Erfolgskriterien sind Rückgang der neurologischen Symptome,
des Fiebers und Rückbildung der radiologischen Befunde innerhalb von
zwei bis drei Wochen. Eine Erhaltungstherapie ist wegen der Rezidivgefahr notwendig.
Bei Therapieversagen kann nach
sorgfältigem Abwägen des Gesamtzustandes des Patienten und der
vermuteten Prognose, aber auch in
Abhängigkeit von der Lokalisation
des Befundes eine Hirnbiopsie zur
Diagnose eines Non-Hodgkin-Lymphoms oder eines Hirnabszesses erwogen werden.
Cytomegalie-Virus (CMV):
Allgemeinsymptome der CMVKrankheit sind Fieber und Kachexie;
Organmanifestationen sind Retinitis, Gastroenteritis, Adrenalitis, seltener Pneumonitis und Enzephalitis.
Der Augenhintergrund zeigt ~elativ
typische Veränderungen mit Odem,
Cotton-woal-Exsudaten und Hämorrhagien. Der histologische Nachweis von sogenannten Eulenaugenzellen hat nur dann Relevanz, wenn
die Biopsie aus einem eindeutig pathologischen Befund, zum Beispiel
einer gastrointestinalen Ulzeration
entnommen ist. Auch bei CMV ist
ein positiver serologischer Befund
nicht diagnostisch eindeutig verwertbar, eine Virusanzucht aus Granulozyten kann auch bei Patienten ohne
CMV-Krankheit gelingen.
A-484
Tabelle 4: HIV-bedingte klinisehe Syndrome des zentralen
und peripheren Nervensystems
akute Enzephalitis
subakute Enzephalitis
aseptische Meningitis
AIDS-Demenz-Komplex
vakuoläre Myelopathie
chronische sensorisch-motorisehe Polyneuropathie
demyelenisierende Neuropathie
Mononeuritis multiplex
autonome Neuropathie?
...,.. Therapie: Die Therapie (7)
erfolgt mit Dihydroxypropoxymethylguanin (DHPG) oder alternativ
mit Foscarnet als täglicher Infusion.
Die notwendige Erhaltungstherapie
gestaltet sich wegen der regelhaft
auftretenden Leukopenie unter
DHPG beziehungsweise Niereninsuffizienz oder Hypokalzämie bei
Foscarnet sehr schwierig.
der Typisierung und Resistenzprüfung vorliegt. Je nach Resistenzmuster sollte eine 3- oder 4fach-Kombination versucht werden; die Behandlungsergebnisse sind jedoch unsicher. Eine effektive Therapie von
Mycobacterium avium intracellulare
ist bisher nicht bekannt.
Kryptokokkose:
Eintrittspforte für Cryptococcus
neofarmans ist die Lunge, von der
aus die Dissemination erfolgt.
Haupt-, aber auch Spätmanifestation
ist bei drei bis fünf Prozent der
AIDS-Patienten die Meningitis mit
klassischen Symptomen, die jedoch
sehr diskret sein können. Der Kryptakokkennachweis erfolgt aus dem
Liquor im Tusche-Präparat, in der
Spezialkultur und auch durch eine
Antigenbestimmung im Serum beziehungsweise Liquor.
...,.. Therapie: Die Behandlung
(9) mit Amphoterkin B zusammen
mit Flucytosin über sechs Wochen ist
bei frühem Therapiebeginn erfolgreich. Alternativ kommt Fluconazol
in Frage. Nach Beendigung der
Akutbehandlung ist eine Erhaltungstherapie notwendig.
Kryptosporidien:
Mykobakterien:
Zahlreiche AIDS-Patienten erMit der Zunahme von AIDS kranken früher oder später an
steigt auch die Inzidenz der Tuber- Durchfällen wechselnder Intensität
kulose an. Mycobacterium tubercu- und Dauer. Diese erfordern eine oft
losis manifestiert sich häufig extra- schwierige Ursachensuche (10). In
pulmonal wie auch die verschie- etwa 20 Prozent der Fälle läßt sich
denen atypischen Mykobakterien. kein Erreger identifizieren. In Frage
Allgemeinsymptome wie Fieber, kommen zum Beispiel CMV, atypiGewichtsabnahme, Lymphknoten- sche Mykobakterien, Lamblien, Salschwellungen und Diarrhoe stehen . monellen, Campylobacter und andeim Vordergrund. Granulome als re Bakterien. Vor allem bei Nichtklassische Gewebereaktion können Europäern kommen auch Isospora
wegen des Immundefektes fehlen. belli und Amöben vor. Etwa zwei bis
Da Mykobakterien auch schon in drei Prozent der AIDS-Fälle erkranfrühen Stadien der HIV-Infektion ken an massiven wäßrigen, nicht bluauftreten können, sind bei unklarem tigen Diarrhoen durch KryptosporiFieber von allen Patientenproben dien. Dabei kann es zu extremen
entsprechende histologische und mi- Wasserverlusten kommen. Der Errekrobiologische Untersuchungen un- gernachweis erfolgt in der Stuhlproerläßlich.
be oder in der Darmbiopsie beson...,.. Therapie: Die übliche Korn- ders aus dem terminalen Ileum.
binationstherapie der Tuberkulose
...,.. Therapie: Eine effektive Theist auch bei HIV-Infizierten gut rapie ist nicht bekannt, Volumenwirksam (8). Bei atypischen Myko- und Elektrolytersatz stehen im Vorbakterien erfolgt zunächst die glei- dergrund. Ein Therapieversuch 'mit
che Behandlung, bis das Ergebnis dem
Somatostatin-Analog
SM
(60) Dt. Ärztebl. 88, Heft 7, 14. Februar 1991
201-995 zur Reduktion der sekretorischen Wasserverluste ist in einigen
Fällen erfolgreich.
Wie bei allen Fieberzuständen
unklarer Genese sind auch bei
AIDS-Patienten die Untersuchungen durch Blutkulturen notwendig.
Die häufigsten positiven Befunde ergeben sich durch Salmonellen, Mykobakterien, Enterokokken und Staphylococcus aureus.
Beteiligung
des Nervensystems
Eine ausreichende, den Folgen
des HIV-Lymphotropismus entsprechende Klassifizierung der neurologischen Komplikationen existiert bis
heute nicht (11). Eine — allerdings
grobe — klinische Einteilung zeigt die
Tabelle 4.
Erste klinische Symptome in
Form einer akuten Meningitis oder
Enzephalitis sind bereits im Zusammenhang mit der akuten HIVKrankheit beschrieben worden. Bei
vielen asymptomatischen Patienten
lassen sich im Liquor eine lymphozytäre Pleozytose und eine mäßige Eiweißvermehrung feststellen. Das klinische Bild der HIV-Infektion mit
ZNS-Beteiligung reicht von geringen Kopfschmerzen, diskreten Konzentrationsstörungen und eindeutigen Krankheitsbildern einer akuten
aseptischen Meningitis, Hirnnervenausfällen, Paresen und epileptischen
Anfällen bis hin zur mehr oder weniger schnell sich entwickelnden Demenz. Der Verlauf ist außerordentlich variabel, spontane Rückbildungen werden beobachtet wie auch eine in Schüben verlaufende Progredienz.
AIDS Dementia Komplex:
-
-
Die häufigste Komplikation des
HIV am ZNS ist der AIDS-DemenzKomplex, der viele AIDS-Patienten
in fortgeschrittenen Stadien mehr
oder weniger ausgeprägt betrifft.
Dieser Begriff aus dem englischen
Sprachgebrauch definiert einen Zustand mit kognitiven und motorischen Defekten sowie schweren Verhaltensstörungen. Im Computertomogramm zeigt sich eine zunehmen-
Abbildung 4: Zunahme der mittleren Lebenserwartung HIVinfizierter Patienten
nach Diagnosestellung „AIDS" bzw.
„AIDS-related complex" mit mindestens
halbjähriger Behandlung mit AZT und
Pentamidin-Aerosol
im Vergleich zu
unbehandelten
„matched controls".
In jeder Gruppe 30
Patienten, insgesamt
120 Patienten. Die
Unbehandelten sind
historische Kontrollen.
Mittlere Überlebensdauer in Monaten
26
24
i
22-
nach der Diagnosestellung "ARG"
nach der Diagnosestellung "AIDS"
--
20 18 --16 --14
-
12
10
86420
AZT und
Pentamidin
de Hirnatrophie. Dieses Krankheitsbild bedarf noch einer klareren nosologischen Beschreibung.
Periphere Neuropathie:
Im Krankheitsverlauf zunehmend finden sich periphere Neuropathien mit ausgeprägten sensiblen,
sensomotorischen und auch ausschließlich motorischen Störungen.
Auch neurogene Myopathien sind
beschrieben. Eine HIV-assoziierte
autonome Neuropathie ist bisher
noch nicht bewiesen. Zunehmende
Bedeutung erhalten die peripheren
Neuropathien im Zusammenhang
mit der Therapie der Malignome,
der opportunistischen Infektionen
wie auch der HIV-Infektion selbst.
Therapie der
HIV-Infektion
Seit 1986 ist eine signifikante
Lebensverlängerung mit verbesserter
Lebensqualität durch Azidothymidin
(AZT, Zidovudine) bei Patienten
Ohne AZT und
Pentamidin
mit ARC und AIDS nachgewiesen
worden. Für diese Stadien ist AZT
auch in Deutschland zugelassen.
Klar indiziert ist AZT auch in früheren Stadien als ARC und AIDS bei
Thrombozytopenie, wenn die Alternativbehandlung lediglich in langfristiger Kortikosteroidgabe oder Splenektomie besteht. Nach mehreren
Einzelbeschreibungen hat AZT auch
einen positiven Effekt bei dem
AIDS-Demenz-Komplex. Bei deutlichen kognitiven, motorischen oder
Verhaltensstörungen ist ein Therapieversuch mit AZT auch dann angezeigt, wenn noch kein fortgeschrittener Immundefekt vorliegt.
Unter der AZT-Therapie lassen
sich Besserung des Allgemeinbefindens, Abnahme neurologischer Störungen einschließlich Beschwerden
der peripheren Neuropathie sowie
ein Anstieg der Thrombozyten und
vorübergehend der Helferlymphozyten (12) beobachten. Nach einer
Konsensuskonferenz (13) hat die
amerikanische Food and Drug Administration zur Dosis folgende Therapieempfehlung herausgegeben:
Dt. Ärztebl. 88, Heft 7, 14. Februar 1991 (61)
A 485
-
..,.. Bei HIV-infizierten Patienten
mit eindeutiger klinischer Symptomatik sollten in den ersten vier Wochen täglich 1200 mg AZT, verteilt
auf fünf Einzeldosen, gegeben werden. Danach Dauertherapie mit 500
mg/die in fünf Einzeldosen.
Die Nebenwirkungsrate von
AZT bei AIDS-Patienten ist hoch
(14). An su~jektiven Beschwerden
kann es zu Ubelkeit, Magendruck,
Erbrechen, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit und vielem anderen kommen. Die Entscheidung jedoch, ob
die Beschwerden eines Patienten unter AZT Folge dieses Medikamentes
oder der Grundkrankheit und ihrer
zahlreichen Komplikationen sind, ist
im Einzelfalle sehr schwer zu treffen.
Zu Therapiebeginn werden vor allem gastrointestinale Erscheinungen
registriert, die sich jedoch im Verlauf der Therapie häufig verlieren.
Der limitierende Faktor besteht in
den myelotoxischen Effekten.
Eine Makrozytase des roten
Blutbildes ist bei über 90 Prozent der
Patienten zu registrieren und kann
als brauchbarer Complianceparameter angesehen werden. Bei Patienten
mit dem Vollbild AIDS entwickelt
sich bei langfristiger Gabe eine makrozytäre Anämie in bis zu 40 Prozent der Fälle. In 20 bis 30 Prozent
der Patienten in den Spätstadien
kommt es zu einer Granulozytopenie, die zum Therapieabbruch zwingen kann.
Schon in den ersten AZT-Studien hat sich gezeigt, daß die Nebenwirkungen auf das Knochenmark um
so stärker sind, je weiter fortgeschritten das Krankheitsstadium bei Therapiebeginn war. In einer placebokontrollierten Studie an asymptomatischen HIV-Infizierten mit einer
Helferzellzahl unter 500/Mikroliter
wurde eine signifikante Verzögerung
der Krankheitsprogression unter
AZT beschrieben (15). Die myelotoxische Nebenwirkung zeigte sich bei
zwei bis drei Prozent der Behandelten. Dieses Studienergebnis sowie
der Befund einer Progressionsverzögerung in einer weiteren Studie bei
Patienten mit einem "milden ARC"
*) Nach Drucklegung: Inzwischen wurde AZT
auch in der Bundesrepublik für die Behandlung
asymptomatischer Patienten mit Helferzellzahlen < 500/ml zugelassen.
A-488
hat die FDA bewogen, generell eine
AZT-Therapie mit 500 mg/die bei
Patienten mit einer Helferzellzahl
unter 500/Mikroliter auch ohne klinische Symptome zu empfehlen. In
mehreren Ländern hat man sich dieser Empfehlung offiziell angeschlossen. *)
Welchen Einfluß eine Frühtherapie auf die gesamte Lebenserwartung der Behandelten hat, ist ebenso
unklar wie Ausmaß und klinische
Bedeutung der in einigen Untersuchungen nachgewiesenen Resistenzentwicklung des HIV gegen AZT.
Eine endgültige Beurteilung der
Langzeiteffekte einer Frühtherapie
mit Nutzen- und Risikoabwägung ist
derzeit nicht möglich. Wir selbst haben unter dem Eindruck der beschriebenen Krankheitsverzögerung
in der amerikanischen Studie die
Tendenz, nicht immer mit dem Therapiebeginn bis zu Entwicklung des
AIDS-related complex oder des
Vollbildes AIDS zu warten. Hat ein
Patient weniger als 500 Helferlymphozyten pro Mikroliter und zeigt
sich bei kurzfristigen Wiederholungen eine klare Tendenz zur Abnahme, diskutieren wir mit ihm einen
früheren Therapiebeginn. Da bei
Resistenzentwicklungen gegen AZT
keine Abnahme der Empfindlichkeit
gegenüber anderen Nukleosidanaloga bisher zu beobachten waren, sehen wir zum Beispiel im Dideoxyinosin (16) bei AZT-Versagen eine relativ bald verfügbare Alternative.
Die Zahlen in Klammem beziehen sich
auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über den Verfasser.
FUR SIE REFERIERT
Pankreaserkrankungen:
Ultraschall und
ERCP
Die Sonographie ist als Screening-Verfahren bei Verdacht auf
Pankreaserkrankungen weitgehend
akzeptiert, vielerorts wird jedoch eine Computertomographie angeschlossen, bevor eine endgültige Klärung der Diagnose durch eine endoskopisch retrograde Cholangiopankreatikographie (ERCP) erfolgt.
In einer prospektiven Studie untersuchte der Autor die diagnostische Wertigkeit der modernen Sonographie bei 208 Patienten, bei denen eine ERCP durchgeführt wurde.
15 Patienten mit erweiterten Gallengängen, für die sich mit beiden Untersuchungsverfahren keine Erklärung fand, wurden ausgeschlossen.
Bei 120 Patienten fand sich ein pathologischer ERCP-Befund. Bei 101
Patienten stimmte der Ultraschallbefund überein, was eine Sensitivität
von 84 Prozent ergibt. 73 Patienten
boten einen unauffälligen ERCP-Befund, bei 70 war auch das Sonagramm als unauffällig beurteilt worden (Spezifität 95 Prozent).
Der Autor kommt zu dem
Schluß, daß man bei Einsatz moderner Ultraschallgeräte direkt zur
ERCP zur diagnostischen Bestätigung und, wenn indiziert, zu Papillotomie oder Implantation gehen und
keine weiteren bildgebenden Verfahren mehr einsetzen sollte.
W
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Frank-Detlef Goebel
Medizinische Poliklinik
der Universität München
Pettenkoferstraße 8a
W-8000 München 2
(64) Dt. Ärztebl. 88, Heft 7, 14. Februar 1991
Lindsell, D. R. M.: Ultrasound imaging of
pancreas and biliary tract. Lancet 1:
390-393, 1990
Radiology Department, John Radcliffe
Hospital, Headington, Oxford OX3 9DU,
UK
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