Deutsches Ärzteblatt 1980: A-401

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Aufsätze • Notizen
FORUM
Aufgaben von Ethik-Kommissionen
Begründung ihrer Notwendigkeit am Beispiel
der In-vitro-Fertilisation
Fritz K. Beller
Die Austragung einer Schwangerschaft nach einem In-vitro-fertilisierten Embryo durch Implantation in
den Uterus ist geeignet, nach dem
Interesse, das dieses „Experiment"
in der Öffentlichkeit gefunden hat,
eine Kontrolle von reproduktiven Experimenten zur Diskussion zu stellen. Bei den bisherigen Diskussionen wurde der Begriff „Ethik" gebraucht, ohne daß so recht klar zu
sein scheint, worüber gesprochen
wird.
Aus der bisherigen Anwendung des
Begriffs und der Unbefangenheit,
mit der dieser Begriff verwandt wurde und wird, läßt sich der Schluß
ableiten, daß der Begriff „Ethik"
häufig mit dem Begriff „Moral"
gleichgesetzt wird. Da sich kaum jemand seine moralische Integrität absprechen lassen möchte, konnte die
ethische Seite gar nicht zur Diskussion gestellt werden. Die Sorge war,
und ist nicht unverständlich, daß
über die Ethik die Moral eines Forschers angezweifelt werden könnte.
Eine „Gebrauchsethik"
reicht nicht aus
Offensichtlich infolge eines Mangels
an philosophischen Grundkenntnissen hat sich eine „Gebrauchsethik"
herausgebildet, die zur Lösung der
heute anstehenden Probleme, die im
folgenden besprochen werden sollen, nicht ausreicht. Wenn — mit
Recht — Ethik-Kommissionen gefordert werden, dann müssen diese auf
Grund von Normen urteilen, die
nachvollziehbar sind.
Nicht ganz unbegründet wurde die
Frage gestellt, warum diese Diskussionen erst jetzt in Gang kommen.
Die Tabuisierung von Begriffen wie
„Experimente am Menschen" war in
Deutschland vermutlich eine Folge
der nationalsozialistischen Konzentrationslager-Versuche. Es wird vergessen, daß Mitscherlich und Mielke
noch während der Nürnberger Prozesse im Auftrage der deutschen
Ärzteschaft sich von diesen Versuchen distanziert haben. Es hätte also
eines Tabus gar nicht bedurft, denn
die Konzentrationslager-Versuche
(„Medizin ohne Menschlichkeit")
waren eindeutig kriminelle Verstöße
gegen die Menschlichkeit und nicht
nur Vergehen gegen ethische Verhaltensmuster.
Sie haben aber ein grundsätzliches
Problem zur Diskussion gebracht,
nämlich die Selbstbeschränkungen
des Arztes, um es allgemein auszudrücken. Sie werden umschrieben
mit einer Reihe von Verpflichtungen,
von denen der Eid des Hippokrates
der bekannteste ist. Solche Festlegungen gibt es meines Wissens in
keinem Beruf in dieser elementaren
Form, warum also für den Arzt? Marguerite Mead hat darauf hingewiesen, daß der Eid des Hippokrates
vermutlich Jahrtausende überdauert
hat, weil durch ihn aus einem Priester-Arzt, der je nach Willkür heilen
oder töten konnte, der moralische
Anspruch des Arztes entstand, der
nur noch heilen durfte. Tötung von
„lebensunwürdigem" Leben oder
die Konzentrationslager-Versuche
wären geeignet gewesen, diesen
Verhaltenscode aufzuheben, sofern
sie von einer größeren Gruppe von
Ärzten getragen gewesen wäre, als
das wirklich der Fall war.
„Nürnberg-Code" fast vergessen
Dennoch hat das Bekanntwerden
dieser Versuche zu einem tiefen Er-
schrecken vieler Ärzte geführt. Ihnen wurde bewußt, welche Verstrikkungen und Folgen sich aus Versuchen am Menschen ergeben können
und wie eng die Grenze zum ethisch
nicht mehr akzeptablen Versuch
sein kann. Als Folge entstand irn
Jahre 1947 der „Nürnberg-Code",
der in einer freiwilligen Verpflichtung die Grundlage dafür abgeben
sollte, unter welchen Bedingungen
Forschungen am Menschen erlaubt
sind.
Merkwürdigerweise aber haben sich
Wissenschaftler für über ein Jahrzehnt nicht an diesen Code gehalten. Offensichtlich glaubten sich
Ärzte und/oder Forscher berechtigt,
im Interesse eines fragwürdigen
Fortschritts Versuche an Menschen
auch ohne deren Einwilligung vorzunehmen. Eine lange Periode des
Umdenkens war notwendig, bis man
verstand, daß der Wunsch, ein bestimmtes Forschungsprojekt durchzuführen, bereits eine Einschränkung an Objektivität zugunsten eines subjektiven Wunsches beinhalten muß.
Obwohl der „Nürnberg-Code" durch
die Deklaration von Helsinki 1964
und schließlich in der Deklaration
von Tokio 1975 erneuert, verbessert
und erweitert wurde, blieb er doch
für viele nur ein Lippenbekenntnis.
Ausbildung für das Fach
„Ethik in der Medizin"
Als eine von vielen Folgen der Thalidomid-Katastrophe hat sich dieses
Umdenken ausgebreitet und zu der
Entwicklung von Ethik-Kommissionen geführt. In den USA wurde Ende
der 60er Jahre, aufgrund des Interesses und der finanziellen Möglichkeiten der Kennedy-Familie, ein Institut für Bioethics gegründet, das
der Georgetown University in Washington, D. C., angeschlossen ist.
In diesem Institut wurden in den letzten zehn Jahren Professoren für das
Fach „Ethik in der Medizin" ausgebildet. Daneben finden jährlich Intensivkurse statt, die es in der Vergangenheit erst ermöglicht haben,
daß für die Ethik-Kommissionen in
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 7 vom 14. Februar 1980
401
Aufsätze • Notizen
Ethik Kommissionen
-
den Kliniken der USA genügend Ärzte mit philosophischen Kenntnissen
und andererseits Philosophen mit
medizinischen Kenntnissen, zur Verfügung standen. Davon sind wir in
der Bundesrepublik noch weit entfernt.
Obwohl wir Ärzte dem zwiespältig
gegenüberstehen, steht im Vordergrund der Betrachtung die Bedeutung der Aufklärung vor jeder therapeutischen Maßnahme (nicht nur einer Operation). Versäumt sie ein
Arzt, hat er gegen ethische Grundregeln verstoßen. Das kann entweder
unwissentlich sein oder aber, wenn
es bewußt geschieht, „patronisiert"
er den Patienten und befindet sich in
einem ethischen Dilemma.
Welche Rechte aber haben in diesem Zusammenhang Strafgefangene, Geisteskranke, Kinder oder
schließlich das Ungeborene?
Nutzen von Ethik Kommissionen
-
Befassen wir uns mit der zuletzt genannten Gruppe besonders. Es ist
zu hoffen, daß es in einigen Jahren
als selbstverständlich gilt, daß ein
Forscher, der angewandte oder
Grundlagenforschung im reproduktiven Bereich betreibt, sich seiner
gesellschaftspolitischen Verantwortung bewußt ist und sich davon leiten läßt. Man kann nicht übersehen,
daß jeder experimentelle Erfolg der
Genmanipulation an Bakterien oder
der Geschlechtsmanipulation am
Warmblüter, um nur einige Beispiele
zu nennen, schließlich auch beim
oder am Menschen möglich sein
oder sich auf den Menschen auswirken wird. Armitai Etzioni hat sehr
eindrücklich die Forderung erhoben, daß jede Forschung, insbesondere aber diejenige, die mit reproduktiven Fragen des Menschen befaßt ist, kontrolliert werden muß.
Auf welche Weise diese Kontrolle erfolgen kann, ist dagegen strittig. Ich
glaube, daß hierfür Ethik-Kommissionen in Frage kommen, die aus
Ärzten, Biologen, Philosophen, Juristen und Politikern zusammengesetzt sind, wobei zu hoffen ist, daß
die moralische Integrität einer sol-
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chen Kommission dafür sorgen
wird, daß die Entscheidungen auch
ohne juristische Vollmacht durchgeführt werden können. Wenn es gelingt, das Übergehen einer solchen
Entscheidung von den Mitbürgern
als unmoralisch festzulegen, wäre
schon viel gewonnen. Aus diesem
Zusammenhang ergibt sich, daß unter bestimmten Umständen ethische
Normen zu moralischen Verpflichtungen führen können.
Nicht übersehen werden kann, daß
Ethik-Kommissionen unter Umständen forschungshemmend wirken
können. Ich glaube jedoch, daß das
in Kauf genommen werden muß,
weil in Zukunft in einigen Fällen die
Freiheit der Forschung im Interesse
der Menschenrechte eingeengt werden muß. Langsam setzt sich der
Gedanke durch, daß ein hemmungsloser Fortschrittglaube zum Schaden der Menschheit führen kann
und der Grundsatz der Freiheit der
Forschung einen sehr elitären Anspruch beinhaltet.
Wenn wir auf die Rechte des Individuums zurückkommen und die Aufklärung, dann ist die Freiwilligkeit
ein ethisches Grundproblem. Im Falle der Versuche an Kindern wurde
1978 dem amerikanischen Repräsentantenhaus eine Gesetzesvorlage des Departments of Health, Education and Welfare betreffend „Research involving children" vorgelegt. In der sogenannten RyanCommission (for the protection of
Human Subjects and Biomedical
Behavioral Research), die für die
Vorlage federführend war, wurde
zunächst diskutiert, ob Versuche an
Kindern generell unethisch und daher abzulehnen wären.
Die Kommission kam jedoch zu dem
Schluß, daß eine Experimentation
auch an kranken Kindern für die Erhaltung der Gesundheit von Kindern
allgemein notwendig sein kann, wobei man sich in langer Begründung
darüber ausließ, was es bedeutet,
wenn ein etwaiges Risiko „nur wenig" über dem gesunder Kinder liegen darf. Wie steht es nun aber um
die Rechte der Ungeborenen? Damit
kommen wir zurück zu unserer Aus-
Heft 7 vom 14. Februar 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
gangsfrage. Wie kann man diese
Fragen beurteilen?
Ethik und Moral
Der Zugang zu einer „Ethik in der
Medizin" ist über die Philosophie,
und zwar die normative Ethik, möglich. Da die deutschsprachige Philosophie das Fach „angewandte
Philosophie" seit Jahrzehnten vernachlässigt hat, ist das gar nicht einfach. Gegenwärtig vertritt in der
Bundesrepublik kein Lehrstuhlinhaber das Fach Ethik in der Philosophie. Vielmehr wurde die Problematik von katholischen Moraltheologen
abgedeckt, was vermutlich dazu beigetragen hat, die bereits erwähnte
unglückliche Gleichsetzung der beiden Begriffe Ethik und Moral zu unterstützen. Das ist nicht etwa Schuld
der Moraltheologen, sondern Folge
der Unkenntnis der Situation durch
die Ärzte.
In der Tat ist es nicht so ganz einfach, die Begriffe zu trennen. Moral
und Ethik gehen ineinander über.
Aber es hilft gedanklich, der Moral
Begriffe wie „gut" und „böse" zuzuordnen und der Ethik solche wie
„richtig" und „falsch" (Schüller).
Damit können für den medizinischen Bereich die Emotionen geglättet werden.
Utilitarismus, Deontologismus,
Naturrecht
Welche Prinzipien der angewandten
Philosophie bzw. der normativen
Ethik kommen für die Lösung eines
ethischen Dilemmas in Frage? Hier
seien nur die wichtigsten kurz aufgeführt. Eine wichtige Theorie ist
der Utilitarismus, die sog. Nützlichkeitstheorie (Jeremy Bentham und
John Stuart Mill). Danach ist eine
Handlung ethisch gerechtfertigt,
wenn sie im Endeffekt mehr Gutes
erbringt als jede andere gleichwertige Handlung unter gleichen Umständen. Dabei werden unter „Gutes" Begriffe wie Glück, Wohlbefinden u. a. gesetzt, die Gegenstand
philosophischer Diskussion sind.
Das utilaristische Prinzip ist ein teleologisches Prinzip, das heißt es
wird durch einen Zweck begrenzt
Ethik Kommissionen
-
oder ist auf einen Zweck ausgerichtet. Das Sprichwort: „der Zweck heiligt die Mittel" kann sich aus diesem
Prinzip ergeben und ermöglicht eine
ganze Reihe von Gedankenspielen,
die verständlich machen, daß das
Nützlichkeitsprinzip anfechtbar ist.
Dieses Prinzip wurde daher erweitert oder vielleicht auch neu geformt
von E. D. Ross, der versucht, eine
verbindliche Reihenfolge von Pflichten einzuführen, ein subtiler Intuitionismus, der von R. L. Purtill als Situationsethik erweitert wurde.
Eine weitere Theorie ist der Deontologismus, die Pflicht der Sittenlehre.
Danach ist eine Aktion ethisch gerechtfertigt, wenn die sittliche Verpflichtung, aus der sie erfolgt, größer ist als alle ähnlichen Verpflichtungen, die sich aus gleichartigen
Möglichkeiten ergeben.
Zu diesen grundlegenden Theorien,
die mit einer Reihe von Abwandlungen verwandt werden, kommt das
Naturrecht hinzu, das vermutlich in
seiner christlichen Form auf Thomas
von Aquin zurückgeht und das sehr
viel schwerer in eine Kurzform zu
bringen ist.
Fragenkomplex der „Bioethik"
Das in vitro fertilisierte Baby beinhaltet nun eine ganze Reihe von Problemen, die in den Fragenkomplex
der „Bioethik" gehören. In den Vereinigten Staaten ist in den letzten
Jahren jede Experimentation an der
Schwangeren, vor allem aber am
Ungeborenen, unterblieben. Dies
wurde dadurch erreicht, daß das National Institute of Health keine Forschungsunterstützungen für derartige Vorhaben vergeben hat. Zweifellos werden die Rechte des Ungeborenen offene Fragen beinhalten, die
weder vom religiösen noch vom juristischen Standpunkt aus gelöst werden können. Beim „Retortenbaby"
ist schon der Begriff falsch, weil nur
der Befruchtungsvorgang in vitro erfolgt, der Foet aber dann in utero
ausgetragen und geboren wird.
Demgegenüber steht der Begriff des
„Cloning", das heißt der asexuellen
Reproduktion, bei der identische
Zellen oder Lebewesen beliebig dupliziert werden. Ich hoffe, daß die
Anwendung beim Menschen nie gelingen und die entsprechende Forschung mit allen Mitteln unterbunden wird, da ich die beliebige Herstellung von identischen Lebewesen
mit Mensch-Sein auf dieser Erde
nicht für vereinbar halte.
Der Erfolg von Edwards und Steptoe
ist ohne Frage therapeutisch ein wesentlicher medizinischer Durchbruch, wenn er sich reproduzieren
läßt. Viele Frauen werden ein eigenes Kind austragen können, die bisher hierzu nicht in der Lage waren.
Das würde im Sinne aller normativen
ethischen Prinzipien akzeptabel
sein, mit Ausnahme vielleicht des
christlich determinierten Naturrechts, obwohl es auch da andere
Auffassungen gibt.
Kontrolle
neuer reproduktiver Techniken
Das ethische Dilemma entwickelt
sich aus den Möglichkeiten, die sich
aus der Anwendung dieser neuen
reproduktiven Technik ergeben. Um
das zu erklären, muß man auf das
neue Abortgesetz zurückkommen.
Der Neufassung des § 218 liegt die
Feststellung aller Fachgesellschaften der westlichen Länder zugrunde,
nach der eine Schwangerschaft
nicht mit der Befruchtung, sondern
erst mit der Einnistung des Eies in
die Gebärmutter (Implantation) beginnt. Das erschien seinerzeit notwendig, um die vermutliche Wirkung
der Intrauterinpessare (Spirale)
nicht unter dem Begriff des frühen
Abortivums einordnen zu müssen.
Dieser an sich logische Gedanke
führt unter den neuen Gesichtspunkten der In-vitro-Fertilisation zu
einem schweren Konflikt.
Der wesentliche Erfolg der Technik
von Edwards und Steptoe besteht
darin, daß das im Reagenzglas befruchtete Ei nach einer gewissen
Zeit im Reagenzglas in der Gebärmutter zur Implantation gebracht
wird. Nach dem Gesetz wird aber
erst von der Implantation an die
Schwangerschaft gerechnet, mit all
den — wenigen — Rechten, die der
Gesetzgeber einem Embryo zubilLebeligt. Ein in vitro.
wesen ist aber demzufolge bis
zur Implantation rechtlich völlig
schutzlos.
Abgesehen davon, daß die bisher
aufgezählten Probleme ein rechtliches Eingreifen erfordern, sind ethische Normen zu berücksichtigen.
Man bedenke beispielsweise, ein
Arzt könnte inhumane In-vitro-Fertilisationen unkontrolliert durchführen und das neue Lebewesen, das
möglicherweise bewußt oder unbewußt manipuliert worden ist, zur Implantation bringen. Des weiteren ist
es nicht nur eine Frage des Geschmacks oder der Ästhetik, wenn
ein überflüssiger in-vitro-fertilisierter menschlicher Embryo in den
Ausguß gespült wird. Insofern widerspricht der Respekt vor der besonderen Leistung von Edwards und
Steptoe in keiner Weise der ethischen Forderung nach Kontrolle
dieser Versuche oder von Personen,
die sie durchführen.
So lange, bis der Gesetzgeber diesen Mangel im Gesetz korrigiert,
müßten Ethik-Kommissionen den
Schutz des neuen, in-vitro-fertilisierten Lebewesens übernehmen.
Eine solche Kontrolle könnte z. B.
darin bestehen, nur Laboratorien
zuzulassen, die von einer EthikKommission überwacht werden.
Aufgaben von Ethik-Kommissionen
Eine Selbstlimitierung erscheint
aber auch deshalb notwendig, um
die unsachgemäße Anwendung von
reproduktiven Techniken vor Mißbrauch zu schützen. Auch dafür gibt
das „Retorten-Baby" ein gutes Beispiel ab. Diese neue reproduktive
Technik ermöglicht es, einen Menschen ohne Eltern herzustellen. Ein
Sperma irgendeines Mannes kann
mit dem Ei irgendeiner Frau vereinigt und das neue Leben in die Gebärmutter irgendeiner Frau implantiert werden. Auch ohne die Vorstellung des Rassenwahns im Dritten
Reich fällt die Vorstellung nicht
schwer, daß ein diktatorisches Regime sich dieser reproduktiven
Techniken ohne Menschlichkeit be-
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 7 vom 14. Februar 1980 403
Ethik-Kommissionen
BRIEFE AN DIE REDAKTION
dienen kann. Es ist kein erfreulicher
Gedanke, daß Ethik-Kommissionen
das nicht verhindern können.
ÄRZTEMUSTER
Auch deshalb war die neue Technik
ein Durchbruch, aber—wie ich glaube — für den Menschen ein gefährlicher Durchbruch. Es scheint nicht
absurd, den therapeutischen Erfolg
den Gefahren gegenüberzustellen.
Den Nutzen gegenüber den Gefahren auf der Basis von ethischen
Prinzipien abzuwägen, das ist Aufgabe der Bioethik und von entsprechenden Ethik-Kommissionen.
Schließlich ein Wort zur Zusammensetzung von Ethik-Kommissionen.
Aus den Ausführungen dürfte klar
sein, daß Ärzte allein, sofern sie sich
nicht intensiv mit philosophischethischen Fragen befaßt haben, nur
als Fachpartner mitsprechen können. In der Einbeziehung von Philosophen, Moraltheologen und Juristen sehe ich keine Überdominierung über die Biologie, sondern eine
notwendige Balance. Ihre Hilfe kann
ohne die Ausbildung in der Philosophie auch bei Medizinern, die noch
in weiter Ferne steht, nicht entbehrt
werden.
Literatur
(1) Etzioni, A.: Die zweite Erschaffung des
Menschen. Westdeutscher Verlag, Opladen
1977 — (2) Hellegers, A. E.: Biological origins of
bioethical problems. In: Obstetr. Gynec. Ann.
Ralph Wynn (ed.) Appelton — Century — Crofts
1977, p. 1 — (3) McCormick, R., and P. Ramsey:
Doing evil to achieve good. Loyola Univ. Press
Chicago 1978 — (4) Mitscherlich, A., und F.
Mielke: Medizin ohne Menschlichkeit Fischer
1948 — (5) Purtill, R. L.: Grundfragen der Ethik.
Patmos Verlag Düsseldorf, 1977 — (6) Ross, W.
D.: The Right and the Good. Oxford University
Press, 1930 (7) Schüller, B.: Die Begründung
sittlicher Urteile. Patmos Verlag Düsseldorf,
1973 — (8) Veatch, A. M.: Case studies in Medical Ethics Harvard University Press, Cambridge
Mass., 1977 — (9) Moore, G. E.: Grundprobleme
der Ethik. Becksche Schwarze Reihe Nr. 128
München, 1975 — (10) Research Involving Children. Report and Recommendations of the National Commission for the Protection of Human
Subjects of Biomedical and Behavioral Research. Federal Register Part III, Department of
Health, Education and Welfare. USA Jan. 13,
1978.
Anschrift des Verfassers:
Professor Dr. med. Fritz K. Beller
Westring 11
4400 Münster
404
Heft 7 vom 14. Februar 1980
Zu Meldungen, die Apotheker setzten
sich dafür ein, die Ärztemuster zu verbieten:
Wer ist sachkundig?
Dem Arzt einfach die Sachkunde für
den Umgang mit Arzneimitteln abzusprechen betrachte ich als eine
Frechheit gegenüber der Ärzteschaft. Welche Sachkunde braucht
man denn überhaupt, um eine Pakkung Tabletten mit deutlicher Aufschrift des Verfalldatums dem Patienten zu überreichen? Könnten
das nicht auch, aber viel billiger,
Drogisten mit abgeschlossener Lehre, wie in anderen Ländern üblich?
Wenn die Abgabe und Lagerhaltung
von Medikamenten in den Apotheken größtenteils durch Helferinnen
besorgt wird, warum sollen approbierte Ärzte dazu nicht in der Lage
sein? (Fehler passieren überall!
Neulich verwechselte eine „Apothekenangestellte" Perspiran und Paspertin.) Wie steht es eigentlich mit
der „Sachkunde" und "Verantwortung" der Apotheker bei der umfangreichen Entgegennahme von
Heilpraktikerrezepten? Die Ärzte haben sich um die Ärztemuster nicht
gerissen. Ich halte sie aber in der
jetzigen, reduzierten Form für notwendig .. .
Dr. med. Hartmut Ziehm
Herdestraße 4
2943 Esens/Ostfriesland
Liebe Apothekerkollegen!
Eure Aversion gegen Ärztemuster ist
seit langem bekannt. Es wurde ja
auch inzwischen in Euerm Sinne
einiges erreicht. Wie ich bestätigen
kann, nimmt es die Industrie mit der
zahlenmäßigen Begrenzung der Muster sehr genau. Das von Euch geforderte Verbot in Bausch und Bogen trägt aber zu sehr den Stempel
des vordergründig Materiellen. Wir
Ärzte sind manchmal ganz froh,
wenn wir Ärztemuster haben. Wir erhalten sie nur auf persönliche Anforderung, womit sichergestellt ist, daß
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
keine Muster mehr bei uns landen,
mit denen wir nichts anfangen können. Eure Begründung, man habe
ärztlicherseits gelegentlich Muster
verabfolgt, die verfallen oder gar
verdorben waren, mag stimmen.
Aber — Hand aufs Herz: Gibt es nicht
solche Ausrutscher auch bei den
Apothekerkollegen? Kommt es nicht
da auch manchmal zu Verwechslungen und zur Abgabe von verfallenen
Medikamenten? Hier ist doch nicht
nur das Pochen auf der speziellen
Fachkunde, sondern die Erziehung
zu Verantwortlichkeit und Zuverlässigkeit maßgebend. Ich als Doppelberufler, der beide Studiengänge
absolviert hat, kann bestätigen, daß
auch der Mediziner in der Lage ist,
verantwortlich zu handeln und zuverlässig zu agieren. Entscheidend
ist beim Zustandekommen von Mißgriffen immer, ob man fahrlässig gehandelt hat oder ob man sich einfach einmal geirrt hat. Daß Irren
menschlich ist, gilt nicht nur für Ärzte, sondern auch für alle übrigen Berufe — auch für die Apotheker. Man
sollte auch nicht immer sofort nach
dem Gesetzgeber rufen. Wir alle wissen aus Erfahrung, daß der Kadi,
wenn er leichtfertig gerufen wird,
manchmal nicht nur den Beklagten,
sondern auch den Kläger ganz
schön belästigen kann. Ich fürchte
hier besonders den ausgeprägten
Hang der Deutschen zum Gesetzesperfektionismus, der oftmals unerträglich ist. Man sollte schlafende
Hunde nicht wecken! Wir alle müssen finanziell das akademische
Überangebot — und damit die über
alle Maßen expandierende Niederlassung sowohl von Ärzten als auch
von Apothekern — ebenso wie die
uns verordnete Billigmedi2in schlukken. Diese Kröte rutscht nicht nur
den Apothekern, sondern auch den
Ärzten wenig wohlschmeckend
durch den Hals. Wir sitzen wirklich
in einem Boot: Lassen Sie uns, liebe
Apothekerkollegen — doch unsere
paar Arzneimuster. Sie würden den
Bankrott ohnehin nicht aufhalten.
Dr. E. Krüger
Facharzt für innere Medizin
und Apotheker
Koblenzer Straße 121
5440 Mayen
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