Zur Diskussion gestellt Der glykämische Index und die glykämische Last der optimierten Mischkost optimiX® Anette Buyken, Andrea Wendt, Mathilde Kersting und Anja Kroke, Forschungsinstitut für Kinderernährung, Dortmund Seitdem sich die Hinweise häufen, dass eine Kost mit niedrigem glykämischen Index (GI) bzw. niedriger glykämischer Last (GL) das Risiko für Diabetes mellitus Typ 2 und koronare Herzkrankheiten senken kann und möglicherweise einen viel versprechenden Ansatz zur Behandlung von Übergewicht darstellt, ist eine Diskussion um praxisnahe Konzepte für die Umsetzung einer derartigen Kost entbrannt. Inwieweit sich bereits bestehende lebensmittelbezogene Ernährungsempfehlungen auch durch einen niedrigen GI und eine niedrige GL auszeichnen, soll hier am Beispiel des für Kinder und Jugendliche entwickelten Präventionskonzeptes der optimierten Mischkost optimiX® untersucht werden. Hintergrund Der glykämische Index (GI) wurde bereits in den 1980er Jahren entwickelt und unterscheidet kohlenhydrathaltige Lebensmittel nach ihrer Wirksamkeit auf den Blutzuckerspiegel [17]. Zur Ermittlung des GI werden Dauer und Höhe des Blutzuckeranstieges nach Verzehr von 50 g verwertbaren Kohlenhydraten aus einem Lebensmittel mit dem Blutzuckeranstieg nach Aufnahme von 50 g Glukose verglichen. Die Angabe erfolgt in Prozent bezogen auf die Fläche unter der Blutglukosekurve [6]. Kohlenhydrathaltige Lebensmittel, die einen schnellen und/oder hohen Blutzuckeranstieg auslösen, haben einen hohen glykämischen Index. Um auch die Menge des verzehrten kohlenhydrathaltigen Lebensmittels zu berücksichtigen, wurde zudem der Begriff der glykämischen Last (GL) eingeführt [25], der sich auf die glykämische Gesamtbelastung der tatsächlich verzehrten Portion bezieht (Bsp.: 1 Scheibe Weißbrot (GI: 73) enthält 14 g Kohlenhydrate, d. h. ihre GL ist 73/100 14 g = 10,2 g). In den letzten Jahren haben zahlreiche Kurzzeitstudien an Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen einen Zusammenhang zwischen einer hohen GL einer Mahlzeit und geringerer Sättigung bzw. gesteigerter Nahrungsaufnahme in der Folgemahlzeit gezeigt [21]. Erste Interventionsstudien 140 sprechen auch bei Kindern und Jugendlichen für den Erfolg einer Kost mit niedrigem GI oder niedriger GL in der Behandlung von Übergewicht [8, 27, 28]. Darüber hinaus zeigten eine Reihe aktueller epidemiologischer Studien an Frauen und Männern mittleren Alters, dass eine Kost mit hohem GI bzw. hoher GL das Risiko für einen Diabetes mellitus Typ 2 und koronare Herzkrankheiten erhöht [13, 19, 24–26], auch unabhängig von der Höhe der Ballaststoffzufuhr. Obwohl diese Zusammenhänge nicht von allen Studien bestätigt werden [23, 29], gibt es bereits vielfältige Vorschläge für die Berücksichtigung des GI und der GL in der Nahrungsauswahl [20, 30, 32]. Andererseits existieren bislang kaum Daten über den GI bzw. die GL gängiger Ernährungsempfehlungen. Um dies zu überprüfen, bedarf es beispielhafter Speisepläne mit genauen Lebensmittelangaben, anhand derer der GI und die GL ermittelt werden können. Für die praktische Umsetzung der bestehenden Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr (D-A-C-H) [7] hat das Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE) Dortmund das Konzept der „optimierten Mischkost“ optimiX® [10] für Kinder und Jugendliche entwickelt. Ausgehend von einem Kohlenhydratanteil von 55 % an der Gesamtenergie (En%), bei Anteilen von 30 En% aus Fett und 15 En% aus Protein, ist die Kost so optimiert worden, dass der Bedarf aller für Wachstum, Entwicklung und Gesundheit wichtigen Nährstoffe gedeckt ist und auch Empfehlungen für die Prävention späterer ernährungsbeeinflusster Krankheiten Rechnung getragen wird. OptimiX® basiert auf drei einfachen Regeln für die Lebensmittelauswahl: 1. reichlich pflanzliche Lebensmittel und reichlich Getränke, 2. mäßig tierische Lebensmittel, 3. sparsam fett- und zuckerreiche Lebensmittel. OptimiX®-Speisepläne für 7 Tage verdeutlichen die Zusammenstellung der empfohlenen Lebensmittel in täglich 5 verschiedenen Mahlzeiten. Im Rahmen der vorliegenden Auswertung wurde überprüft, ob sich die fettmoderate, kohlenhydratreiche optimiX®-Kost auch durch einen niedrigen glykämischen Index (GI) bzw. eine niedrige glykämische Last (GL) auszeichnet. Methoden GI-Zuordnung Allen kohlenhydrathaltigen Lebensmitteln der optimiX®-Speisepläne wurde ein GI-Wert zugeordnet (vgl. Tab. 1). Bislang liegen für etwa 750 Lebensmittel publizierte GI-Werte vor, die meisten Daten beziehen sich jedoch auf Lebensmittel aus Kanada, Australien oder den USA. Daher konnten nur 25 % der Lebensmittel direkt Ernährungs-Umschau 52 (2005) Heft 4 Zur Diskussion gestellt ten Mandarinen in Zuckersirup den GI von Früchtecocktail in Zuckersirup). Für Gemüse sind nur wenige GI-Werte verfügbar, da man große Mengen dieser Lebensmittel verzehren müsste, um 50 g Kohlenhydrate aufzunehmen. Daher erhielten alle Gemüse, für die kein GI vorlag, den Mittelwert aus den verfügbaren GI-Werten für Möhren, Erbsen, Kürbis und rote Beete (mittlerer GI: 59). Für verbleibende Lebensmittel wurden die GI-Werte anhand von Rezepten, die in der Nährstoffdatenbank LEBTAB des FKE vorhanden sind, berechnet (s. u.). Die übrigen Lebensmittel (8 %), die hauptsächlich Fett oder Protein und nur einen relativ geringen Kohlenhydratanteil von unter 5 g/100 g enthalten, erhielten einen GI von 0. ein publizierter GI-Wert zugeordnet werden. Den anderen Lebensmitteln wurde entweder der GI eines ähnlichen Lebensmittels zugeordnet (48 %) oder der GI wurde berechnet (19 %). Als ähnlich galten Lebensmittel der selben Lebensmittelgruppe (z. B. erhielten Walnüsse den aus Cashewkernen und Erdnüssen gemittelten GI), Lebensmittel aus der selben Region (z. B. erhielten tropische Früchte den GI anderer verwandter tropischer Früchte), Lebensmittel, die vergleichbar zubereitet werden (z. B. erhielten Kartoffelkroketten den GI von Pommes frites), Lebensmittel mit vergleichbaren Zutaten (z. B. erhielten „honey loops“ den GI von „honey smacks“) und Lebensmittel mit vergleichbarem Zuckergehalt (z. B. erhiel- Tab. 1: Beispiel einer Tageskost von optimiX® für 4- bis 6-jährige Kinder1 Mahlzeit Lebensmittel pro Lebensmittel GI g KH GL g Frühstück 70 g Roggenvollkornbrot 10 g Sonnenblumenmargarine Wurstbrot 30 g Brühwurst-Aufschnitt u. Bananen- 80 g Joghurt, 1,5 % Fett Joghurt 50 g Bananen 50 g Milch, teilentrahmt, 1,5 % Fett 58 0 0 27 52 30 29 <1 <1 4 10 2 17 0 0 1 5 1 2. Frühstück 150 g Obst 10 g Haferflocken Obstsalat 10 g Weizenkeime 200 ml Kräutertee 40 55 41 0 16 6 3 <1 6 3 1 0 Mittagessen 120 g Backofen-Pommes 30 g Ketchup Pommes 70 g Hackfleischteig frites, 15 g Rapsöl Frikadellen 5 ml Essig und Salat 50 g Paprika, grün, roh 50 g Tomaten, roh 2 g frische Kräuter 200 ml Mineralwasser 75 68 46 0 0 59 59 59 0 29 8 4 0 <1 2 1 <1 0 22 6 2 0 0 1 1 <1 0 Nachmittags-100 ml Apfelsaft mahlzeit 100 ml Mineralwasser 30 g Fruchtgummi 40 0 78 11 0 24 4 0 19 Abendessen 70 g Weizenvollkornbrot 10 g Sonnenblumenmargarine 80 g Tomaten, roh Gemüsebrot 40 g Paprika, grün, roh und Frucht- 40 g Paprika, rot, roh Buttermilch 150 g Buttermilch 70 g Bananen 5 g Zucker Getränk (energiearm) nach Belieben 71 0 59 59 59 35 52 68 28 <1 2 1 1 6 14 5 20 0 1 1 1 2 7 3 Gesamt pro Tag 206 Spannbreite aller 7 Tage 172–211 1 123 89–123 pro Mahlzeit GI GL (g pro 1000 kcal) 52 58 43 76 70 62 66 155 61 95 1 60 791 52–60 66–79 Dieser hinsichtlich des GI und der GL relativ ungünstigste Tagesplan wurde ausgewählt, um Details für die später diskutierten Mahlzeiten (Mittagessen, 2. Frühstück) zu liefern. Ernährungs-Umschau 52 (2005) Heft 4 Auswertung Grundlage der Auswertung bildeten die 7-Tages-Speisepläne, die beispielhaft für 4- bis 6-jährige Kinder, 13- bis 14-jährige Mädchen bzw. Jungen entwickelt wurden (Beispielplan s. Tab. 1). Für die Errechnung der mittleren GI- und GL-Werte wurde die in klinischen und epidemiologischen Studien übliche Vorgehensweise herangezogen [25]. Die mittlere GL für die 7-Tage-optimiX®-Speisepläne, jeden einzelnen Tagesspeiseplan und alle einzelnen 35 (5 7) Mahlzeiten ergab sich aus der Multiplikation der Menge an verwertbaren Kohlenhydraten (g) der entsprechenden empfohlenen Lebensmittel mit dem zugehörigen GI und der Aufsummierung dieser Produkte (GL-Werte). Durch anschließende Division der Summe dieser Produkte durch die Summe der Kohlenhydratmengen erhielt man den mittleren GI. Die mittlere GL soll über den glykämischen Effekt der tatsächlich verzehrten Kohlenhydratmengen Aufschluss geben. Bei Kindern und Jugendlichen variiert die Höhe des absoluten Kohlenhydratverzehrs jedoch mit Alter und Geschlecht in Abhängigkeit von der Energiezufuhr, d. h., Unterschiede in der GL spiegeln wesentlich die unterschiedlich hohe Energiezufuhr wider. Um für die drei beispielhaften Alters- bzw. Geschlechtsgruppen der optimiX®-Speisepläne vergleichbare GL-Werte zu erhalten, folgten wir dem Vorschlag von EBBELING et al. [8] und bezogen alle GL-Daten in Gramm auf die Gesamtenergie, also auf 1 000 kcal. Die Bewertung der berechneten GIWerte basiert auf Richtwerten, die von BRAND-MILLER et al. postuliert werden: niedriger GI ≤55, hoher GI ≥70 [3]. Diese Autoren haben auch Richtwerte für die Bewertung der GL einer Tageskost insgesamt (niedrige GL <80 g, hohe GL >120 g) bzw. einer Portion (niedrige GL <10 g, hohe GL >20 g) vorgeschlagen, ohne jedoch zu erläutern, für welchen Gesamtenergiebedarf sie gelten sollen. Für die hier vorgestellten Berechnungen für Kinder und Jugendliche mit deutlich unterschiedlichem Gesamtenergiebedarf wurde eine Kohlenhydratzufuhr von 55 En% (134 g/1 000 kcal) als gegeben angenommen und aus den Richtwerten für den GI bei dieser Höhe der Kohlenhydrataufnahme folgende Richtwerte für die GL abgeleitet: niedrige GL ≤74 g pro 1 000 kcal; hohe GL ≥95 g pro 1 000 kcal. 141 Zur Diskussion gestellt Tab. 2: Mittlere Nährstoffzufuhr (±SD) des 7-Tage-Speiseplanes optimiX® nach Altersgruppen 4- bis 6-jährige Kinder 13- bis 14-jährige Mädchen 55 ± 4 74 ± 8 105 ± 12 55 ± 4 75 ± 8 155 ± 12 55 ± 4 74 ± 7 184 ± 15 193 ± 14 22 ± 9 28 ± 4 49 ± 9 52 ± 11 1 419 ± 141 284 ± 8 34 ± 13 41 ± 5 72 ± 16 79 ± 16 2 100 ± 199 334 ± 8 39 ± 12 49 ± 7 87 ± 18 90 ± 14 2 481 ± 201 55 ± 4 6±2 31 ± 4 10 ± 1 55 ± 4 6±2 31 ± 4 10 ± 1 54 ± 4 6±2 31 ± 4 11 ± 1 7±2 15 ± 2 7±2 15 ± 3 7±2 15 ± 2 GI GL (g pro 1 000 kcal) GL (g pro Tag) Kohlenhydrate (g/Tag) Zucker (g/Tag) Ballaststoffe (g/Tag) Fett (g/Tag) Eiweiß (g/Tag) Energie (kcal/Tag) Kohlenhydrate (En%) Zucker (En%) Fett (En%) Gesättigte Fettsäuren (En%) Mehrfach ungesättigte Fettsäuren (En%) Eiweiß (En%) 13- bis 14-jährige Jungen En%: Prozent der Gesamtenergie Ergebnisse Von den 35 Mahlzeiten für 4- bis 6-jährige Kinder hatten 23 Mahlzeiten einen niedrigen GI (≤55) und 18 Mahlzeiten eine niedrige GL pro 1 000 kcal (≤74). Der Speiseplan für 13- bis 14-jährige Mädchen (Jungen) enthielt 21 (22) Mahlzeiten mit einem niedrigen GI und 17 (21) Im Mittel aller 7 Tage lag der GI der optimiX®-Speisepläne für 4- bis 6-jährige Kinder, 13- bis 14-jährige Jungen und 13- bis 14-jährige Mädchen bei 55 und die GL, bezogen auf 1 000 kcal, bei 74–75 g (Tab. 2). Tab. 3: GI- und GL-Werte1 ausgewählter Mahlzeiten der optimiX®-Speisepläne vor und nach dem Austausch der Lebensmittel mit hohem GI gegen ähnliche Lebensmittel mit niedrigerem GI2 beispielhaft für 4- bis 6-jährige Kinder Mahlzeit Lebensmittel Zwischenmahlzeit (5. Tag vgl. Tab. 1) 100 ml Apfelsaft 100 ml Mineralwasser 30 g3 Fruchtgummi 4 Frühstück (2. Tag) Zwischenmahlzeit (1. Tag) pro Lebensmittel GI g KH GL g 40 0 78 25 g Doppelkeks mit Kakaocremefüllung 52 80 g Apfel, roh 200 ml Kräutertee 100 ml Milch, 1,5% Fett 50 g Cornflakes 38 0 30 81 50 g Cornflakes Vollkorn mit Früchten 56 60 g Karotten, roh 200 ml Kräutertee 10 g Kalbsleberwurst 40 g Weizenbrot aus Vollkornmehl 47 0 0 71 40 g Weizenvollkornbrot aus ganzen Körnern 52 11 0 24 15 9 <1 5 39 32 3 <1 0 16 15 pro Mahlzeit GI GL (g pro 1 000 kcal) 4 0 19 66 155 47 80 68 141 49 90 65 99 54 81 8 4 0 1 32 18 1 0 0 11 8 1 Kriterien für GI und GL: niedriger GI ≤55%, hoher GI ≥70%; niedrige GL ≤74 g pro1 000 kcal, hohe GL ≥95 g pro1 000 kcal; 2auszutauschende Lebensmittel mit hohem GI sind fett gedruckt. Alternativvorschläge mit niedrigerem GI sind grün umrandet. Die Austauschvorschläge sind nicht hinsichtlich der Nährstoff- und Energiezufuhr optimiert; 330 g Fruchtgummi entsprechen z. B. 30 kleinen bzw. 10 großen Gummibärchen; 425 g entsprechen einem Doppelkeks mit Kakaocremefüllung 142 Mahlzeiten mit niedriger GL pro 1 000 kcal. Für 3 der 35 einzelnen Mahlzeiten des Beispielspeiseplans ergaben sich in jeder Altersstufe sehr hohe GL-Werte (Tab. 3). So führten Cornflakes (GI: 81) im Frühstück zu berechneten GLWerte pro 1 000 kcal von 140–144 g; Fruchtgummi (GI: 78) in einer Zwischenmahlzeit bewirkte je nach Altersstufe GL-Werte pro 1000 kcal von 155–157 g. In einer weiteren Zwischenmahlzeit führte der relativ hohe GI von Weizenvollkornbrot zu hohen GL-Werten der Mahlzeit von 88 bis 99 g/1 000 kcal. Exemplarisch für 4bis 6-jährige Kinder zeigt Tabelle 3, wie die GL-Werte durch den Austausch der Lebensmittel mit hohem GI gegen ähnliche Lebensmittel mit niedrigerem GI gesenkt werden könnten. Diese Austauschvorschläge dienen nur als Diskussionsgrundlage und sind – anders als die optimiX®-Beispielpläne – nicht hinsichtlich der Nährstoff- und Energiezufuhr optimiert. Bei zwei weiteren Mahlzeiten erreichten die GI-Werte in allen Altersgruppen den oberen Richtwert von 70. Verantwortliche Lebensmittel waren hier eine mit Salami belegte Scheibe Vollkornbrot aus Weizenvollkornmehl (ohne Körner) (GI: 71) und BackofenPommes frites (GI: 75, vgl. Tab. 1). Diskussion Praxisnahe Ansätze zur Senkung des GI und der GL in der Kost erfreuen sich derzeit hoher Aufmerksamkeit unter manchen Ernährungswissenschaftlern und der interessierten Öffentlichkeit. Diese Konzepte reichen von Lebensmittelpyramiden, die sich ausschließlich am GI der Lebensmittel orientieren [20, 32], über die Kombination einer bevorzugten Auswahl von Lebensmitteln mit niedrigem GI mit einer fettmodifizierten, kohlenhydratärmeren Kost [30], bis hin zur Senkung der GL allein durch eine restriktive Kohlenhydratzufuhr (so genannte „Low-carb“-Diäten). Angesichts der noch nicht ausreichenden Evidenz für die mittel- und langfristigen Gesundheitsvorteile einer Kost mit niedrigem GI bzw. niedriger GL erscheinen diese Konzepte häufig unbegründet drastisch. In der vorliegenden Untersuchung konnte gezeigt werden, dass das kohlenhydratreiche Präventionskonzept optimiX® für Kinder und Jugendliche auch ein Beispiel für eine nährstoffopErnährungs-Umschau 52 (2005) Heft 4 Zur Diskussion gestellt timierte Kost mit niedrigem GI und energiebezogen niedriger GL ist. Gegenüber den oben genannten drastischen Ansätzen bietet dieses Konzept den Vorteil, dass es die Ernährungsgewohnheiten deutscher Kinder und Jugendlicher berücksichtigt, den Nährstoffbedarf in Wachstum, Entwicklung und Gesundheit nachweislich deckt und mit den derzeit gängigen Präventionsempfehlungen konform geht. Bei den vorliegenden GI- und GLWerten für optimiX® handelt es sich um berechnete GI- und GL-Werte, die auf zugeordneten, publizierten Daten basieren (vgl. Methodik). Inwieweit sich der GI einer Mahlzeit aus den GIs der Zutaten prognostizieren lässt, ist jedoch umstritten: Einige Autoren berichten nur einen niedrigen prognostischen Wert [9, 14], andere fanden hingegen eine hohe Korrelation von errechneten und gemessenen Werten und eine gleichbleibende Hierarchie der Blutzuckerwirksamkeit von Lebensmitteln, unabhängig von der Zusammensetzung oder Zubereitung der Kost [1, 5, 31]. Darüber hinaus liegen für viele in Deutschland üblicherweise verzehrte Lebensmittel keine GI-Daten vor (z. B. deutsche Vollkornbrote) [11], so dass hier bei 48 % der Lebensmittel der GI-Wert eines ähnlichen Lebensmittels verwandt und für 19 % der Lebensmittel ein GI errechnet wurde. Insgesamt sollten die errechneten GIDaten daher nur als Orientierungswerte interpretiert werden. Andererseits bietet diese in klinischen und epidemiologischen Studien übliche Vorgehensweise die einzige Möglichkeit zur Schätzung der GI-Werte, da die experimentelle Ermittlung der GIWerte mit wiederholten Bluttests bei Kindern und Jugendlichen ethisch nicht vertretbar wäre. Im Vergleich mit Interventionsstudien zu den Auswirkungen einer Kost mit niedrigem GI auf den Fett- und Zuckerstoffwechsel sowie das Körpergewicht erscheinen die mit optimiX® erzielten Werte durchaus günstig. Zwar liegen für stoffwechselgesunde Kinder und Jugendliche keine Interventionsstudien vor, die in optimiX® erreichten GI- und GL-Werte fallen jedoch bereits in den Bereich von Studiendiäten für Stoffwechselkranke, die hinsichtlich des GI optimiert sind. Dies zeigt sowohl der Vergleich mit einer Reduktionskost mit niedrigem GI für adipöse Jugendliche (Interventionskost GI: 53, GL: 69 g pro 1 000 kcal vs. Kontrollkost GI: 56, GL: 79 g pro 1 000 kcal) [8] als auch der Vergleich mit 7 Interventionsstudien an zumeist übergewichtigen Frauen und Männern mittleren Alters (n = 11–55, Interventionskost GI: 40–54, GL: 40–74 g pro 1 000 kcal vs. Kontrollkost GI: 56–75, Zusammenfassung Der Glykämische Index und die Glykämische Last der optimierten Mischkost optimiX® A. Buyken, A. Wendt, M. Kersting, A. Kroke, Dortmund Die vorliegende Studie ermittelte den glykämischen Index (GI) und die glykämische Last (GL) der optimierten Mischkost optimiX®. optimiX® wurde vom Forschungsinstitut für Kinderernährung für Kinder und Jugendliche entwickelt und beinhaltet einen beispielhaften 7-Tages-Speiseplan. Anhand publizierter GI-Werte wurden für alle Mahlzeiten die GI- und GL-Werte errechnet. Deren Bewertung basierte auf folgenden Richtwerten: niedriger GI ≤55, hoher GI ≥70, niedrige GL ≤74 g, hohe GL ≥95 g pro 1000 kcal. Im Mittel aller 7 Tage lag der GI der optimiX®-Kost sowohl für 4- bis 6-jährige Kinder als auch für 13- bis 14-jährige Jungen und 13- bis 14-jährige Mädchen bei 55 und die GL lag bei 74 g pro 1 000 kcal. Für 5 der 35 einzelnen Mahlzeiten des Beispielspeiseplans ergaben sich hohe GI- oder GL-Werte. Cornflakes (GI: 81) und Fruchtgummi (GI: 78) führten dabei zu GL-Werten von bis zu 144 und 157 g pro 1 000 kcal für ein Frühstück bzw. eine Zwischenmahlzeit. Durch den Austausch dieser Lebensmittel gegen ähnliche Lebensmittel mit niedrigerem GI (z. B. Cornflakes gegen Vollkorncornflakes mit Früchten) lassen sich die Werte jedoch senken. Bei drei weiteren Mahlzeiten wurden die oberen Richtwerte für den GI bzw. die GL erreicht. Verantwortliche Lebensmittel waren hier Vollkornbrot aus Weizenvollkornmehl (ohne Körner) (GI: 71) und Pommes Frites (GI: 75). optimiX® stellt eine praktische Umsetzung der aktuellen Referenzwerte der Deutschen Gesellschaft für Ernährung dar, die sich auch durch einen niedrigen GI und eine niedrige GL auszeichnet. Ernährungs-Umschau 52 (2004), pp. 140–144 Ernährungs-Umschau 52 (2005) Heft 4 GL: 72–114 g pro 1 000 kcal) [2, 4, 12, 15, 16, 18, 22]. Um die Akzeptanz von optimiX® zu gewährleisten, enthalten die Beispielpläne auch „geduldete“ Lebensmittel mit geringer Nährstoffdichte, die bis zu 10 % der Gesamtenergiezufuhr liefern. Interessanterweise war gerade die GL zweier Mahlzeiten mit diesen „geduldeten“ Lebensmitteln deutlich erhöht. Aufmerksamkeit verdient hier insbesondere die Frühstücksmahlzeit mit Cornflakes (GI: 81). Das GI-/GLKonzept postuliert, der Verzehr von Mahlzeiten mit hohem GI erhöhe die Insulinausschüttung stark und hemme die Glukagonfreisetzung deutlich, eine Stoffwechsellage, die auch 2 bis 4 Stunden nach einer Mahlzeit mit hohem GI noch anhalte, obwohl keine weiteren Nährstoffe angeliefert werden. In der Folge könne der Blutzuckerspiegel bis hin zur Unterzuckerung absinken, was zu Hunger und vermehrten Nahrungsverzehr führe [21]. Gemäß dem Modell wäre auf Grund eines möglichen Dominoeffektes insbesondere ein hoher GI bzw. eine hohe GL in der 1. Hauptmahlzeit des Tages bedenklich, die sich jedoch durch einen Austausch der „einfachen“ Cornflakes gegen andere Frühstückszerealien mit niedrigerem GI deutlich senken lassen. Kritische Anmerkungen erfordert zudem der Verzehr von Fruchtgummis (basierend auf Glukosesirup, GI: 78). Aus Sicht des GI-/GL-Konzeptes ist die häufige Bevorzugung von Fruchtgummis gegenüber fettreichen Süßigkeiten wie z. B. Schokolade nicht gerechtfertigt. Bei seltenem maßvollem Verzehr – wie in optimiX® vorgesehen – dürften sich zudem die hohe Energiedichte und der hohe Fettgehalt einer fettreichen Süßigkeit kaum auf die mittleren 7-Tages-Nährstoffdaten auswirken. Insgesamt scheint es daher nicht sinnvoll, innerhalb der Gruppe der Süßigkeiten zwischen „günstigen“ und „ungünstigen“ zu unterscheiden; von Bedeutung ist letztlich lediglich deren geringer Anteil an einer gesunden Kost. Neben diesen nachvollziehbar kritischen Punkten hinsichtlich des GI bzw. der GL ergab die Auswertung der einzelnen Mahlzeiten auch Hinweise darauf, dass der Verzehr von Weizenbrot aus Vollkornmehl zu einer hohen GL führen kann, die sich durch den Austausch gegen Weizenvollkornbrot aus ganzen Körnern senken ließe. Da die zu Grunde liegenden GI-Daten jedoch nicht auf Analysen von Lebens- 143 Zur Diskussion gestellt mitteln aus Europa beruhen, kann hierzu keine abschließende Aussage getroffen werden. In der Ernährung von Kindern und Jugendlichen ist ein regelmäßiger Verzehr von Vollkornbrot auf Grund des hohen Ballaststoffgehaltes und der höheren Nährstoffdichte insgesamt bereits als Erfolg zu werten. Der Verzehr von Kartoffeln war in optimiX® aus Sicht des GI-/GL-Konzeptes weit weniger kritisch zu beurteilen als häufig angenommen. So führte der Verzehr von Backofen-Pommes frites (GI: 75) und gekochten Kartoffeln (GI: 54) zu GI-Werten von 70 bzw. 69 in den entsprechenden Mahlzeiten, was gerade dem Grenzwert für einen hohen GI entspricht. Allerdings wäre ein regelmäßiger Verzehr von Kartoffelzubereitungen mit hohem GI (Pommes frites, Kartoffelpüree, Backofenkartoffel) für den GI und die GL der Kost von Kindern und Jugendlichen eher ungünstig. Abschließend legen die Daten den generellen Schluss nahe, dass sich praktische Umsetzungen der aktuellen Referenzwerte der Deutschen Gesellschaft für Ernährung für Kinder und Jugendliche, wie sie durch optimiX® vorgeschlagen werden, in der Regel auch durch einen niedrigen GI und eine niedrige GL auszeichnen. Literatur: 1. Bornet, F. R.; Costagliola, D.; Rizkalla, S. W.; Blayo, A.; Fontvieille, A. M.; Haardt, M. J.; Letanoux, M.; Tchobroutsky, G.; Slama, G.: Insulinemic and glycemic indexes of six starchrich foods taken alone and in a mixed meal by type 2 diabetics. Am J Clin Nutr 45: 588595 (1987). 2. Bouche, C.; Rizkalla, S. W.; Luo, J.; Vidal, H.; Veronese, A.; Pacher, N.; Fouquet, C.; Lang, V.; Slama, G.: Five-week, low-glycemic index diet decreases total fat mass and improves plasma lipid profile in moderately overweight nondiabetic men. Diabetes Care 25: 822-828 (2002). 3. 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