Wenn man nach Jahren als erwachsener Mensch wieder an den Ort seiner Kindheit zurückkehrt, dann ist dies wie eine Reise in die Vergangenheit. Aber doch ist nicht mehr alles, wie es einmal war, man kehrt nämlich als anderer Mensch, obwohl natürlich bestimmte Grundstrukturen in einem noch vorhanden sind. Besonders krass ist der Unterschied zu früher, wenn man inzwischen den größten Teil seines Lebens in einer anderen Kultur verbracht hat. Dies ist die Situation von Waris Dirie, die sie in diesem Buch beschreibt. Das ehemalige Model Waris Dirie ist ein Vorbild für einen modernen islamischen Glauben. Für sie zählt an der Religion die Dankbarkeit und das Gottvertrauen. Die starre Einhaltung von Regeln, die eher der Gängelung eines Menschen als seinem Wohl dienen, ist nicht ihre Sache. Der Beruf eines Models ist schon etwas Außergewöhnliches für eine Muslimin. Auch trinkt sie Alkohol und hat sich nicht an die Regel gehalten, dass der erste Sohn nach dem Propheten Mohammed benannt wird. Letzteres kann aber am amerikanischen Vater gelegen haben, von dem sie sich jedoch getrennt hat. Waris Dirie erweist sich als emanzipierte Frau, die sich gegen die von den Religionsführern verkündete Unterordnung der Frau unter den Mann wehrt und aufzeigt, dass sich die Beschneidung der Frau nicht aus dem Koran ergibt. Den Glauben an Allah hat die kleine Waris von ihrer Mutter übernommen, die eine strenggläubige Muslimin ist. Dass mit dem real existierenden Islam etwas nicht passt, musste Waris in Abu Dhabi erleben, wo sie als Frau äußerst schlecht behandelt wurde. Aber auch in Somalia ist eine patriarchalische Gesellschaft vorherrschend, in der sich die Frau unterordnen müssen. Der Besuch bei den Eltern in Somalia ist für Waris eine Art Kulturschock, kommt sie doch von einer amerikanischen Großstadt in ein Entwicklungsland. Die medizinische Versorgung in Somalia ist katastrophal und manche Leute geben sich in die Hände von Kurpfuschern, die mehr Schaden anrichten, als sie Menschen heilen. Aber obwohl die Menschen in diesem afrikanischen Land in dem ärmsten Verhältnissen leben, sind sie trotzdem glücklich. Immer stößt sie in ihrem Vaterland auf die Grenzen, die für Frau errichtet wurden, z. B. dürfen Frauen keine Banken betreten, weshalb Waris sich Geld abheben lassen muss. Doch durch das Leben in New York wurde Waris anders sozialisiert und lässt sich von Männern nichts mehr so leicht vorschreiben. Hat sie sich doch von den Vertretern des männlichen Geschlechts schon lange emanzipiert und sogar den Vater ihres Sohnes aus der gemeinsamen Wohnung geworfen – ein in Somalia ungeheuerlicher Vorgang. Mit ihrer westlichen Einstellung, vor allem zur Emanzipation der Frauen, stieß Waris Dirie auf Unverständnis, doch ihr Vater sah sie mit den Augen des Herzens und bewunderte sie. Sie ließ es sich ferner nicht nehmen, andere Frauen auf die Fehler ihrer Männer hinzuweisen. Trotz der negativen Begleiterscheinungen des Islams ist Waris Dirie eine überzeugte Muslimin. Ihre natürliche Beziehung zu Allah als einem liebenden Gott macht Hoffnung, dass auch im Islam eine Reformation durch derart geprägte afrikanische Frauen möglich ist. (ks)