tv diskurs 60 TITEL Informationen werden zu Bildern Wie wir unser Gedächtnis trainieren, besser zu werden Unser Gedächtnis scheint nicht dafür geeignet zu sein, so wie ein Computer Zeichen, Daten und Informationen ohne Sinnzusammenhang zu speichern. Wenn wir Daten aber mit starken Gefühlen oder bekannten Bildern verbinden, fällt es unserem Gehirn leicht, sich eine unglaubliche Fülle von Informationen zu merken. Auch wenn die Gedächtnisse von Menschen unterschiedliche Fähigkeiten und Schwächen aufweisen, so lässt sich durch ein entsprechendes Training die Merkfähigkeit erheblich verbessern. Christiane Stenger hat sich seit ihrem 10. Lebensjahr damit beschäftigt, Strategien auszudenken oder zu erlernen, die ihre Gedächtnisleistung optimieren. Sie ist Gedächtisweltmeisterin und trainiert Menschen, die ihr Gedächtnis verbessern wollen. tv diskurs sprach mit ihr. 44 2 | 2012 | 16. Jg. tv diskurs 60 TITEL Studium hatte, konnte ich es mir erlauben, Wie kommt man auf die Idee, Gedächtnis- nebenbei Vorträge zu halten und später künstlerin oder -trainerin zu werden? als Gedächtnistrainerin zu arbeiten. Meine Eltern hatten wahnsinnig viel Geld für mein Eigentlich ist es mehr durch einen Zufall Internat ausgegeben. Deshalb war es mir dazu gekommen. Alles begann, als ich in wichtig, zu arbeiten, um ihnen ein bisschen der 2. Klasse damit anfing, mir komische Geld zurückgeben zu können. Das Traumziel Krankheiten einzubilden, um nicht in die meiner Jugend war es sicherlich nicht, mit Schule zu müssen. Ich hatte alles Mögliche: gerade 18 Jahren durch Deutschland zu Fußschmerzen, Knieschmerzen, Finger- reisen und Vorträge zu halten, aber es ist schmerzen … Nachdem meine Eltern mit mir doch sehr leichtgefallen, mein Wissen mir bei verschiedenen Ärzten gewesen weiterzugeben, weil ich immer so tolles waren, wussten sie nicht mehr weiter. Sie Feedback bekommen habe. bekamen dann den Tipp, mit mir zum Psychologen zu gehen. Der meinte, ich sei Haben Sie das Gefühl, ein besonders hochbegabt. Mit viel Kampf durfte ich in der gutes Gedächtnis zu haben – oder ist das Schule eine Klassenstufe überspringen und mehr eine Frage des Trainings? bin zudem in eine Hochbegabtenförderung hineingekommen, in der ein Kurs ange- Ich habe ganz sicher kein richtig schlechtes boten wurde, der „Gedächtnistraining und Gedächtnis, und es gehört vermutlich auch Naturphänomene“ hieß. Für eine 10-Jäh- ein gewisses Talent dazu. Aber ich denke, rige hört sich das nicht gerade spannend an, dass es tatsächlich nur ein Grundtalent ist. und wahrscheinlich wäre ich gar nicht hin- Viel wichtiger ist das Training. Das Tolle an gegangen, wenn der Kurs nicht in meiner diesen Techniken ist, dass sie wirklich jeder Nachbarschaft stattgefunden hätte. Wir erlernen kann. Ich habe noch niemanden haben uns dort eine Technik ausgedacht, erlebt, bei dem es nicht funktioniert hat. ein Mastersystem, mit dem man sich leicht An einer Hauptschule in Berlin habe ich z. B. Zahlen merken kann: 90 war der Bus, 10 die ein 60-minütiges Training gemacht, und da- Tasse, 93 der Baum, 94 das Bier, 95 der Ball. nach schrieben mir die Schüler, dass sie in Solche Bilder haben wir systematisch fest- dem nachfolgenden Test alle so gute Noten gelegt und uns dazu Geschichten ausge- hatten, dass die Lehrer dachten, sie hätten dacht. Wir fanden das unglaublich lustig alle kollegial gespickt. Stattdessen hatten und hatten jede Menge Spaß. Wenig später sie sich gemeinschaftlich Geschichten haben wir von Gedächtnismeisterschaften und Techniken zum Lernen ausgedacht. gehört, bei denen wir das erste Mal außer Gedächtnistraining ist aber nicht nur zum Konkurrenz teilgenommen haben, weil wir Lernen eine tolle Sache, sondern es hilft noch zu jung waren. Dort war auch der auch, das Gehirn fit zu halten. Veranstalter der Gedächtnisweltmeisterschaft, der ein paar von uns Kindern zur Eine grundlegende Erinnerungstechnik Weltmeisterschaft nach London eingeladen beruht darauf, dass man sich zu den hat. Von da an war ich auf mehreren Meis- Begriffen oder Dingen, die man sich terschaften. Mit 16 Jahren habe ich mein merken will, Geschichten ausdenkt. Abitur gemacht. Als man mich bei stern TV Hängt das damit zusammen, dass diese fragte, was ich denn nach meinem Abi ma- Geschichten stärker mit Emotionen chen wolle, habe ich geantwortet, dass ich zusammenhängen als Kognitionen? gern ein Buch schreiben will. Am nächsten Tag hat dann tatsächlich der Campus Verlag Emotionen und Bilder sind auf jeden Fall bei mir angerufen und mich gefragt, ob ich sehr wichtig. Entscheidend ist, dass man das ernst meine. So bin ich nach Frankfurt Dinge miteinander verknüpft, sie in Zusam- gefahren, um mich vorzustellen und habe menhang bringt und damit neues Wissen in dann zwei Wochen lang Probeseiten ge- sein bereits bekanntes Wissen einordnet schrieben, die auf großen Anklang ge- oder eben die Verknüpfung herstellt, indem stoßen sind. Da ich ein recht entspanntes man sich kleine Geschichten ausdenkt. 2 | 2012 | 16. Jg. 45 tv diskurs 60 TITEL Es scheint sehr große Unterschiede in der Das heißt, wir merken uns Geschichten Fähigkeit von Menschen zu geben, sich viel besser als Zahlen. Nehmen wir an, Sie Dinge zu merken. Ich bin kein Zahlentyp, müssten Ihre Kontonummer auswendig kann sie mir aber ganz gut merken, indem lernen. Wie würden Sie vorgehen? ich daraus einen Rhythmus mache. Allerdings kann ich sie mir auch nur dann ver- Wenn ich mir eine Konto- oder Telefonnum- gegenwärtigen, wenn sie in genau diesem mer merken will, gehe ich so vor, dass ich je- Rhythmus aufgesagt werden. In dem weils zwei Ziffern zusammen nehme, weil ich Rhythmus merke ich mir die einzelnen mit dem System von 0 bis 99 arbeite. Das Ziffern. Wenn mich jemand fragt, ob er heißt, eine achtstellige Zahl wären nur vier von mir die richtige Telefonnummer hat, Bilder für mich. Für jede Zahl habe ich mir und dann statt 2 und 3 23 sagt, erkenne damals als 10-Jährige in meinem Gedächt- ich meine eigene Nummer nicht mehr. niskurs einen bestimmten Buchstaben und Gibt es so etwas wie unterschiedliche damit ein bestimmtes Bild gemerkt. So steht Gedächtnisbegabungen? z. B., wie schon erwähnt, eine Tasse für die Zahl 10. Die 0 steht immer für ein „S“ und Auf jeden Fall. Wir unterscheiden uns be- die 1 für ein „T“. Doppelkonsonanten reits darin, wie wir Dinge aufnehmen: ob es zählen als eine Ziffer. Die 2 ist ein „N“, uns besser gelingt, wenn wir etwas hören, weil es unten zwei Beinchen hat. Die 3 ist sehen, anfassen oder aufschreiben. Wir ver- ein „M“, weil es drei Beinchen hat. Mithilfe fügen bei der Informationsaufnahme über von Konsonanten forme ich für die zwei- unterschiedliche Kanäle, ebenso wie beim stelligen Zahlen Wörter. 20 ist dann z. B. Abspeichern. Ich glaube grundsätzlich, Nase, 30 Moos und 23 Name. wenn man sich wirklich etwas merken will und das auf die herkömmliche Art und Gehen wir nicht auch so oder so ähnlich im Weise nicht funktioniert, dass man mit die- täglichen Leben vor, wenn wir bestimmte sen Gedächtnistechniken eine 99,9-prozen- Dinge mit etwas verbinden? tige Chance hat, dass es hängen bleibt. Das Tolle an den Techniken ist, dass man eben Genau. Man kann dafür natürlich auch seine nicht nur die Konzentrationsfähigkeit trai- eigenen Assoziationen nutzen. Wenn ich in niert, sondern auch viele andere Soft Skills der Hausnummer 18 wohne, dann kann ich wie Fantasie, Kreativität und Wahrneh- mir mein Haus vorstellen oder bei der 10 ei- mungsfähigkeit. Es gibt einfach ganz viele nen 10-Euro-Schein. Das wird nur dann Dinge, die man dadurch auffrischen oder schwierig, wenn einem zu Gegenständen neu lernen kann, und unser Gehirn ist ein einmal nichts einfällt. Möglich sind außer- Meister darin, neue Sachen zu lernen. Es dem Daten von geschichtlichen Ereignissen, eignet sich dabei am besten jene Informati- wenn man in diesem Bereich gut ist und onen an, die wir häufig benutzen. Das heißt, Jahreszahlen präsent hat. Wir sind hier also wenn wir lernen, ist das Wiederholen ent- gar nicht festgelegt, wichtig ist nur, sich eine scheidend, da wir so unserem Gehirn signa- gute Verknüpfung zu suchen. Man kann für lisieren, dass diese Sache wichtig ist. Telefonnummern natürlich auch jede einzelne Zahl benutzen, aber dann wird die Geschichte länger, weil es schon acht Bilder sind, die man sich merken muss. Aber grundsätzlich ist es nie verkehrt, etwas Neues zu machen, auch wenn es anstrengend ist. Alles Neue ist super für unser Gehirn und hält unsere grauen Zellen fit. 46 2 | 2012 | 16. Jg. tv diskurs 60 Ich persönlich konnte mir schon immer Aber kann es nicht auch so sein, dass es Gesichter sehr gut merken. Andere kön- Menschen gibt, die, z. B. was das Merken nen das nicht. Wie kommt das? von Gesichtern angeht, eine spezifische TITEL Leistungsschwäche haben? Eine gute Voraussetzung für das Merken ist, dass man ein Interesse an den Personen hat, Ja, das kann sein. So, wie wir alle besondere die einem gegenüberstehen und man sich Talente und Fähigkeiten haben, ist auch unser Gesicht und Name auch merken will. Aber Gedächtnis unterschiedlich. Bei vielen Men- selbst, wenn jemand von sich sagt, dass er schen ist das Wiedererkennen von Gesichtern sich Gesichter nicht gut merken kann, lässt einfach nicht richtig ausgeprägt. Das kann mit sich auch das tatsächlich trainieren, denn vielen Faktoren zusammenhängen. Wichtig ist unser Gehirn befindet sich die ganze Zeit im das Interesse. Wenn mich andere Menschen Wandel. Es verändert sich durch alles, was nicht sehr interessieren, gibt sich mein Gehirn wir tun. Damit es aktiv bleibt, ist es ganz keine große Mühe, Gesichter in ihrer Komplexi- wichtig, immer wieder etwas Neues zu ma- tät aufzunehmen. Einen anderen Punkt kenne chen. Wenn wir z. B. eine neue Sportart er- ich aus eigener Erfahrung: Früher hatte ich ein lernen, dann funktionieren die Bewegungs- in vielerlei Hinsicht perfektes Gedächtnis. Aller- abläufe am Anfang häufig überhaupt nicht, dings bin ich seit meinem 12. Lebensjahr kurz- aber wenn wir längere Zeit intensiv trainiert sichtig, und weil ich so eitel war, habe ich zehn haben, dann klappt es besser, ohne dass Jahre lang keine Brille getragen. Ich habe ge- wir überhaupt noch darüber nachdenken merkt, dass meine Fähigkeit, Gesichter wieder- müssen. Genauso ist es auch mit mentalen zuerkennen, darunter sehr gelitten hat, weil ich Herausforderungen. Früher habe ich in Se- Menschen einfach nicht richtig gesehen habe. minaren häufig gehört, dass alle die Tele- Mit Brille und Kontaktlinsen ist es dann wieder fonnummern ihrer Freunde auswendig kann- besser geworden, aber daran kann man erken- ten. Heute kann das fast niemand mehr, weil nen, wie eine Fähigkeit verkümmert, wenn man wir Telefonnummern auf unseren Handys sie vernachlässigt. speichern. Damals ging es schneller, da man die Nummern auswendig konnte und nicht Aus der Psychologie habe ich gehört, dass erst nach ihnen suchen musste. Aber auch es Menschen gibt, die eine Art Defekt das ist nur eine Trainingssache. Zurück haben, sodass sie sich einfach keine zum Merken von Namen: Man muss dieser Gesichter merken können … Fähigkeit, wenn sie einem wichtig ist, Aufmerksamkeit zuwenden. So könnte man Das gibt es sicherlich, aber dennoch denke ich, etwa am Abend, nachdem man eine Person dass es vielfach ein gesellschaftlich geprägtes getroffen hat, noch mal ihren Namen wie- Thema ist, zu sagen: „Gesichter merken kann derholen und sich überlegen, aus welchen ich eh nicht.“ Irgendwann ist es leicht, von sich Gründen sie von Bedeutung ist. Irgend- selbst anzunehmen, dass man zu dieser wann, nicht von heute auf morgen, wird Gruppe gehört, und man hört einen Namen, man gut darin sein, sich Namen zu merken. der zum einen Ohr rein und zum anderen wie- Es ist nie zu spät, irgendetwas zu lernen. der raus geht. Das muss auch gar nicht bewusst Der Spruch „Was Hänschen nicht lernt, passieren. Wir kennen das aus einem ganz an- lernt Hans nimmermehr“ trifft also in dieser deren Feld. Es gibt Untersuchungen, in denen scharfen Form nicht zu. Vermutlich braucht man Frauen vor dem Lösen von Mathematik- man einfach nur mehr Zeit, sich Dinge zu aufgaben Texte zum Lesen gab, in denen ent- merken, und es ist anstrengender, wenn weder stand, dass Jungen und Mädchen gleich man etwas älter ist. gut sind oder dass Mädchen in Naturwissenschaften viel schlechter als Jungen sind. Dementsprechend schnitten sie beim Test dann tatsächlich auch besser oder schlechter ab. Wenn ich nicht an mein Gedächtnis glaube, funktioniert es auch nicht so gut. 2 | 2012 | 16. Jg. 47 tv diskurs 60 TITEL Es gibt sehr viele Beispiele dafür, dass eine bestimmte Erwartung meine Gehirnleistung steuert. Das würde doch für den pädagogischen Kontext bedeuten, dass es Schülern hilft, sie immer wieder zu bestätigen und ihnen das Gefühl zu vermitteln, sie würden das schaffen … Ist Lust nicht auch ein ganz wichtiger Faktor beim Lernen? Noch immer ist es ein großes Manko in unserem Bildungssystem, dass Motivation eine so geringe Rolle spielt. Statt das Positive Definitiv. Jedes Kind kommt mit einer herauszustellen, werden die Fehler rot mar- unglaublichen Neugier auf die Welt. Alle kiert. Zudem gilt es unter den Schülern als Kinder stellen Fragen und wollen die Welt uncool, wenn man richtig gut in der Schule entdecken. Dann kommen sie in die Schule ist. Ich selbst wollte nie eine 1,0-Schülerin und müssen alle zur gleichen Zeit das Glei- sein. Die Ansätze müssten neu gewählt wer- che lernen. Das funktioniert einfach nicht. den. In dem Internat, das ich besucht habe, Bei mir ist dadurch die Neugier wirklich ge- hat es mir beispielsweise sehr geholfen, killt worden. Deswegen ist es ganz wichtig, dass es feste Hausaufgabenzeiten gab. dass man bei Kindern den Spaß am Lernen Wenn das an allen Schulen so wäre, dann erhält, was man auch mit den Techniken wäre der Hintergrund des Kindes nicht so bewirken kann. In den Schulen werden entscheidend, also ob da jemand ist, der bisher wenig Lerntechniken oder Arbeits- sich darum kümmert, dass die Hausaufga- weisen vermittelt, dabei wäre es so wichtig, ben gemacht werden oder nicht. Zudem zu lernen, wie man sich Wissen aneignet. sollten Anreize gesetzt werden, um richtig Wenn ein Kind merkt, dass es sich innerhalb gut sein zu wollen. Bei mir war es so, dass von ein paar Minuten 15 Wörter merken all diejenigen, die einen gewissen Noten- kann, dann ist es auch in der Lage, sich ei- durchschnitt hatten, ihre Hausaufgaben auf nen zweiseitigen Text zu erarbeiten. Die dem Zimmer machen durften. Es ist ganz Mnemotechniken sind nicht einfach nur ein essenziell, dass ein Kind Erfolgserlebnisse Instrument zum Auswendiglernen, sondern hat. Wenn die Zensuren erst mal schlecht auch eine Technik, um Dinge besser zu ver- sind, ist es um das Selbstvertrauen und die stehen. Man macht sich aktiv Gedanken, Erfolgserlebnisse nicht gut bestellt. Zudem benutzt die eigene Fantasie und denkt sich denke ich, dass Kinder viel mehr lernen soll- möglichst lustige Sachen aus. ten, sich Dinge selbstständig zu erarbeiten und selbstständig Probleme zu lösen. Denn Sie haben auf unserer medien-impuls- diese Fähigkeiten wird man im späteren Tagung eine praktische Einführung in Leben dringend brauchen. zwei verschiedene Routentechniken gegeben. Könnten Sie die Vorgehensweisen kurz zusammenfassen? Es handelt sich bei der ersten Technik um die Körper-Routenmethode, bei der Begriffe, die man sich merken will, mit bestimmten Punkten des Körpers verknüpft werden: Fuß, Knie, Hosentasche, Rücken, Bauch, Brust, Schulter, Hals, Gesicht und Haare. Die zweite Technik ist die RaumRoutenmethode, bei der man sich eine Route entlang einzelner im Raum befindlicher Gegenstände ausdenkt, die man dann wiederum mit Begriffen und Bildern verknüpft. 48 2 | 2012 | 16. Jg. tv diskurs 60 TITEL Wir unterscheiden ein Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis. Manchmal ist es jedoch so, dass Dinge, die ich mir eigentlich merken will, nicht einmal in mein Kurzzeitgedächtnis kommen, weil ich Wie entscheidet Ihr Gehirn darüber, unkonzentriert oder emotional bei was aus dem Kurzzeitgedächtnis ins einem anderen Thema bin. Passiert Langzeitgedächtnis übergeht? Ihnen das auch? Das ist vor allem die Wiederholungsdichte Ja, Konzentration ist ein ganz wichtiger oder -anzahl, es kann aber auch etwas sein, Punkt, vor allem in dem Augenblick, in was mich emotional sehr bewegt hat oder dem ich mir etwas merken will. Ich bin ge- besonders aufregend oder seltsam war. gen diese Ablenkungen mittlerweile fast Deswegen können sich z. B. die meisten resistent, was natürlich auch durch die Menschen auch daran erinnern, was sie am Meisterschaften kommt, bei denen ich 11. September 2001 gemacht haben. Wenn schon sehr früh gelernt habe, auf den Punkt man an dem Tag einen bestimmten Men- fokussiert zu sein. In diesen Momenten schen auf der Straße getroffen hat, dann blende ich alles andere aus. Egal, wie es mir wird man sich an diese Begegnung länger geht, ich funktioniere sozusagen. Ich habe erinnern, auch wenn er einen eigentlich gar nicht so viel trainiert, aber an zwölf nicht interessiert. Auch hier spielen die Meisterschaften mit jeweils zehn Disziplinen Emotionen wieder eine ganz zentrale Rolle. teilgenommen, bei denen ich den Zustand Je emotional stärker eine Situation ist, desto „Konzentration“ gelernt habe. Diesen größer ist die Chance, dass etwas im Lang- Zustand kann ich auch auf alle anderen zeitgedächtnis gespeichert wird. Ähnlich ist Momente übertragen. Ein weiterer toller es auch bei der Rezeption von Filmen: Je Nebeneffekt, den man beim Gedächtnis- mehr mich ein Stoff inhaltlich berührt oder training lernt, ist, dass man die 100-prozen- je näher er an meiner eigenen Lebenswelt tige Kontrolle darüber hat, ob man sich ist, desto länger bleibt er mir in Erinnerung. eben gerade konzentriert hat oder nicht. Als kleines Mädchen dachte ich, dass ich Wenn man diesen Zustand einmal kennen- Horrorfilme toll fände. Ich war noch keine gelernt hat, weiß man auch, was man tun 10 Jahre alt, als ich Stephen Kings Es gese- muss, um ihn abzurufen. hen habe. Irgendwann habe ich gemerkt, dass Horrorfilme nicht gut für mich sind, da ich die Sequenzen noch alle in meinem Kopf habe. Neben den Dingen und Themen, die emotional stark besetzt sind, merkt sich unser Gehirn aber auch sehr leicht Informationen und Ereignisse, die sich komplett von der Normalität abheben. Das Ungewöhnliche, Besondere stimuliert mein Gedächtnis sehr viel stärker als das Alltägliche, Normale. Wenn etwas komplett anders ist, als wir es erwarten, dann werden wir uns das sehr lange merken. Das Interview führte Prof. Joachim von Gottberg. 2 | 2012 | 16. Jg. 49