PDF: Interview J.v.Gottberg mit C.Stenger in tv diskurs 60

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tv diskurs 60
TITEL
Informationen werden
zu Bildern
Wie wir unser Gedächtnis trainieren, besser zu werden
Unser Gedächtnis scheint nicht dafür geeignet
zu sein, so wie ein Computer Zeichen, Daten und
Informationen ohne Sinnzusammenhang zu speichern. Wenn wir Daten aber mit starken Gefühlen
oder bekannten Bildern verbinden, fällt es unserem
Gehirn leicht, sich eine unglaubliche Fülle von Informationen zu merken. Auch wenn die Gedächtnisse von Menschen unterschiedliche Fähigkeiten
und Schwächen aufweisen, so lässt sich durch ein
entsprechendes Training die Merkfähigkeit erheblich verbessern. Christiane Stenger hat sich seit
ihrem 10. Lebensjahr damit beschäftigt, Strategien
auszudenken oder zu erlernen, die ihre Gedächtnisleistung optimieren. Sie ist Gedächtisweltmeisterin
und trainiert Menschen, die ihr Gedächtnis verbessern wollen. tv diskurs sprach mit ihr.
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Studium hatte, konnte ich es mir erlauben,
Wie kommt man auf die Idee, Gedächtnis-
nebenbei Vorträge zu halten und später
künstlerin oder -trainerin zu werden?
als Gedächtnistrainerin zu arbeiten. Meine
Eltern hatten wahnsinnig viel Geld für mein
Eigentlich ist es mehr durch einen Zufall
Internat ausgegeben. Deshalb war es mir
dazu gekommen. Alles begann, als ich in
wichtig, zu arbeiten, um ihnen ein bisschen
der 2. Klasse damit anfing, mir komische
Geld zurückgeben zu können. Das Traumziel
Krankheiten einzubilden, um nicht in die
meiner Jugend war es sicherlich nicht, mit
Schule zu müssen. Ich hatte alles Mögliche:
gerade 18 Jahren durch Deutschland zu
Fußschmerzen, Knieschmerzen, Finger-
reisen und Vorträge zu halten, aber es ist
schmerzen … Nachdem meine Eltern mit
mir doch sehr leichtgefallen, mein Wissen
mir bei verschiedenen Ärzten gewesen
weiterzugeben, weil ich immer so tolles
waren, wussten sie nicht mehr weiter. Sie
Feedback bekommen habe.
bekamen dann den Tipp, mit mir zum Psychologen zu gehen. Der meinte, ich sei
Haben Sie das Gefühl, ein besonders
hochbegabt. Mit viel Kampf durfte ich in der
gutes Gedächtnis zu haben – oder ist das
Schule eine Klassenstufe überspringen und
mehr eine Frage des Trainings?
bin zudem in eine Hochbegabtenförderung
hineingekommen, in der ein Kurs ange-
Ich habe ganz sicher kein richtig schlechtes
boten wurde, der „Gedächtnistraining und
Gedächtnis, und es gehört vermutlich auch
Naturphänomene“ hieß. Für eine 10-Jäh-
ein gewisses Talent dazu. Aber ich denke,
rige hört sich das nicht gerade spannend an,
dass es tatsächlich nur ein Grundtalent ist.
und wahrscheinlich wäre ich gar nicht hin-
Viel wichtiger ist das Training. Das Tolle an
gegangen, wenn der Kurs nicht in meiner
diesen Techniken ist, dass sie wirklich jeder
Nachbarschaft stattgefunden hätte. Wir
erlernen kann. Ich habe noch niemanden
haben uns dort eine Technik ausgedacht,
erlebt, bei dem es nicht funktioniert hat.
ein Mastersystem, mit dem man sich leicht
An einer Hauptschule in Berlin habe ich z. B.
Zahlen merken kann: 90 war der Bus, 10 die
ein 60-minütiges Training gemacht, und da-
Tasse, 93 der Baum, 94 das Bier, 95 der Ball.
nach schrieben mir die Schüler, dass sie in
Solche Bilder haben wir systematisch fest-
dem nachfolgenden Test alle so gute Noten
gelegt und uns dazu Geschichten ausge-
hatten, dass die Lehrer dachten, sie hätten
dacht. Wir fanden das unglaublich lustig
alle kollegial gespickt. Stattdessen hatten
und hatten jede Menge Spaß. Wenig später
sie sich gemeinschaftlich Geschichten
haben wir von Gedächtnismeisterschaften
und Techniken zum Lernen ausgedacht.
gehört, bei denen wir das erste Mal außer
Gedächtnistraining ist aber nicht nur zum
Konkurrenz teilgenommen haben, weil wir
Lernen eine tolle Sache, sondern es hilft
noch zu jung waren. Dort war auch der
auch, das Gehirn fit zu halten.
Veranstalter der Gedächtnisweltmeisterschaft, der ein paar von uns Kindern zur
Eine grundlegende Erinnerungstechnik
Weltmeisterschaft nach London eingeladen
beruht darauf, dass man sich zu den
hat. Von da an war ich auf mehreren Meis-
Begriffen oder Dingen, die man sich
terschaften. Mit 16 Jahren habe ich mein
merken will, Geschichten ausdenkt.
Abitur gemacht. Als man mich bei stern TV
Hängt das damit zusammen, dass diese
fragte, was ich denn nach meinem Abi ma-
Geschichten stärker mit Emotionen
chen wolle, habe ich geantwortet, dass ich
zusammenhängen als Kognitionen?
gern ein Buch schreiben will. Am nächsten
Tag hat dann tatsächlich der Campus Verlag
Emotionen und Bilder sind auf jeden Fall
bei mir angerufen und mich gefragt, ob ich
sehr wichtig. Entscheidend ist, dass man
das ernst meine. So bin ich nach Frankfurt
Dinge miteinander verknüpft, sie in Zusam-
gefahren, um mich vorzustellen und habe
menhang bringt und damit neues Wissen in
dann zwei Wochen lang Probeseiten ge-
sein bereits bekanntes Wissen einordnet
schrieben, die auf großen Anklang ge-
oder eben die Verknüpfung herstellt, indem
stoßen sind. Da ich ein recht entspanntes
man sich kleine Geschichten ausdenkt.
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Es scheint sehr große Unterschiede in der
Das heißt, wir merken uns Geschichten
Fähigkeit von Menschen zu geben, sich
viel besser als Zahlen. Nehmen wir an, Sie
Dinge zu merken. Ich bin kein Zahlentyp,
müssten Ihre Kontonummer auswendig
kann sie mir aber ganz gut merken, indem
lernen. Wie würden Sie vorgehen?
ich daraus einen Rhythmus mache. Allerdings kann ich sie mir auch nur dann ver-
Wenn ich mir eine Konto- oder Telefonnum-
gegenwärtigen, wenn sie in genau diesem
mer merken will, gehe ich so vor, dass ich je-
Rhythmus aufgesagt werden. In dem
weils zwei Ziffern zusammen nehme, weil ich
Rhythmus merke ich mir die einzelnen
mit dem System von 0 bis 99 arbeite. Das
Ziffern. Wenn mich jemand fragt, ob er
heißt, eine achtstellige Zahl wären nur vier
von mir die richtige Telefonnummer hat,
Bilder für mich. Für jede Zahl habe ich mir
und dann statt 2 und 3 23 sagt, erkenne
damals als 10-Jährige in meinem Gedächt-
ich meine eigene Nummer nicht mehr.
niskurs einen bestimmten Buchstaben und
Gibt es so etwas wie unterschiedliche
damit ein bestimmtes Bild gemerkt. So steht
Gedächtnisbegabungen?
z. B., wie schon erwähnt, eine Tasse für die
Zahl 10. Die 0 steht immer für ein „S“ und
Auf jeden Fall. Wir unterscheiden uns be-
die 1 für ein „T“. Doppelkonsonanten
reits darin, wie wir Dinge aufnehmen: ob es
zählen als eine Ziffer. Die 2 ist ein „N“,
uns besser gelingt, wenn wir etwas hören,
weil es unten zwei Beinchen hat. Die 3 ist
sehen, anfassen oder aufschreiben. Wir ver-
ein „M“, weil es drei Beinchen hat. Mithilfe
fügen bei der Informationsaufnahme über
von Konsonanten forme ich für die zwei-
unterschiedliche Kanäle, ebenso wie beim
stelligen Zahlen Wörter. 20 ist dann z. B.
Abspeichern. Ich glaube grundsätzlich,
Nase, 30 Moos und 23 Name.
wenn man sich wirklich etwas merken will
und das auf die herkömmliche Art und
Gehen wir nicht auch so oder so ähnlich im
Weise nicht funktioniert, dass man mit die-
täglichen Leben vor, wenn wir bestimmte
sen Gedächtnistechniken eine 99,9-prozen-
Dinge mit etwas verbinden?
tige Chance hat, dass es hängen bleibt. Das
Tolle an den Techniken ist, dass man eben
Genau. Man kann dafür natürlich auch seine
nicht nur die Konzentrationsfähigkeit trai-
eigenen Assoziationen nutzen. Wenn ich in
niert, sondern auch viele andere Soft Skills
der Hausnummer 18 wohne, dann kann ich
wie Fantasie, Kreativität und Wahrneh-
mir mein Haus vorstellen oder bei der 10 ei-
mungsfähigkeit. Es gibt einfach ganz viele
nen 10-Euro-Schein. Das wird nur dann
Dinge, die man dadurch auffrischen oder
schwierig, wenn einem zu Gegenständen
neu lernen kann, und unser Gehirn ist ein
einmal nichts einfällt. Möglich sind außer-
Meister darin, neue Sachen zu lernen. Es
dem Daten von geschichtlichen Ereignissen,
eignet sich dabei am besten jene Informati-
wenn man in diesem Bereich gut ist und
onen an, die wir häufig benutzen. Das heißt,
Jahreszahlen präsent hat. Wir sind hier also
wenn wir lernen, ist das Wiederholen ent-
gar nicht festgelegt, wichtig ist nur, sich eine
scheidend, da wir so unserem Gehirn signa-
gute Verknüpfung zu suchen. Man kann für
lisieren, dass diese Sache wichtig ist.
Telefonnummern natürlich auch jede einzelne Zahl benutzen, aber dann wird die Geschichte länger, weil es schon acht Bilder
sind, die man sich merken muss. Aber
grundsätzlich ist es nie verkehrt, etwas
Neues zu machen, auch wenn es anstrengend ist. Alles Neue ist super für unser Gehirn und hält unsere grauen Zellen fit.
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Ich persönlich konnte mir schon immer
Aber kann es nicht auch so sein, dass es
Gesichter sehr gut merken. Andere kön-
Menschen gibt, die, z. B. was das Merken
nen das nicht. Wie kommt das?
von Gesichtern angeht, eine spezifische
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Leistungsschwäche haben?
Eine gute Voraussetzung für das Merken ist,
dass man ein Interesse an den Personen hat,
Ja, das kann sein. So, wie wir alle besondere
die einem gegenüberstehen und man sich
Talente und Fähigkeiten haben, ist auch unser
Gesicht und Name auch merken will. Aber
Gedächtnis unterschiedlich. Bei vielen Men-
selbst, wenn jemand von sich sagt, dass er
schen ist das Wiedererkennen von Gesichtern
sich Gesichter nicht gut merken kann, lässt
einfach nicht richtig ausgeprägt. Das kann mit
sich auch das tatsächlich trainieren, denn
vielen Faktoren zusammenhängen. Wichtig ist
unser Gehirn befindet sich die ganze Zeit im
das Interesse. Wenn mich andere Menschen
Wandel. Es verändert sich durch alles, was
nicht sehr interessieren, gibt sich mein Gehirn
wir tun. Damit es aktiv bleibt, ist es ganz
keine große Mühe, Gesichter in ihrer Komplexi-
wichtig, immer wieder etwas Neues zu ma-
tät aufzunehmen. Einen anderen Punkt kenne
chen. Wenn wir z. B. eine neue Sportart er-
ich aus eigener Erfahrung: Früher hatte ich ein
lernen, dann funktionieren die Bewegungs-
in vielerlei Hinsicht perfektes Gedächtnis. Aller-
abläufe am Anfang häufig überhaupt nicht,
dings bin ich seit meinem 12. Lebensjahr kurz-
aber wenn wir längere Zeit intensiv trainiert
sichtig, und weil ich so eitel war, habe ich zehn
haben, dann klappt es besser, ohne dass
Jahre lang keine Brille getragen. Ich habe ge-
wir überhaupt noch darüber nachdenken
merkt, dass meine Fähigkeit, Gesichter wieder-
müssen. Genauso ist es auch mit mentalen
zuerkennen, darunter sehr gelitten hat, weil ich
Herausforderungen. Früher habe ich in Se-
Menschen einfach nicht richtig gesehen habe.
minaren häufig gehört, dass alle die Tele-
Mit Brille und Kontaktlinsen ist es dann wieder
fonnummern ihrer Freunde auswendig kann-
besser geworden, aber daran kann man erken-
ten. Heute kann das fast niemand mehr, weil
nen, wie eine Fähigkeit verkümmert, wenn man
wir Telefonnummern auf unseren Handys
sie vernachlässigt.
speichern. Damals ging es schneller, da man
die Nummern auswendig konnte und nicht
Aus der Psychologie habe ich gehört, dass
erst nach ihnen suchen musste. Aber auch
es Menschen gibt, die eine Art Defekt
das ist nur eine Trainingssache. Zurück
haben, sodass sie sich einfach keine
zum Merken von Namen: Man muss dieser
Gesichter merken können …
Fähigkeit, wenn sie einem wichtig ist, Aufmerksamkeit zuwenden. So könnte man
Das gibt es sicherlich, aber dennoch denke ich,
etwa am Abend, nachdem man eine Person
dass es vielfach ein gesellschaftlich geprägtes
getroffen hat, noch mal ihren Namen wie-
Thema ist, zu sagen: „Gesichter merken kann
derholen und sich überlegen, aus welchen
ich eh nicht.“ Irgendwann ist es leicht, von sich
Gründen sie von Bedeutung ist. Irgend-
selbst anzunehmen, dass man zu dieser
wann, nicht von heute auf morgen, wird
Gruppe gehört, und man hört einen Namen,
man gut darin sein, sich Namen zu merken.
der zum einen Ohr rein und zum anderen wie-
Es ist nie zu spät, irgendetwas zu lernen.
der raus geht. Das muss auch gar nicht bewusst
Der Spruch „Was Hänschen nicht lernt,
passieren. Wir kennen das aus einem ganz an-
lernt Hans nimmermehr“ trifft also in dieser
deren Feld. Es gibt Untersuchungen, in denen
scharfen Form nicht zu. Vermutlich braucht
man Frauen vor dem Lösen von Mathematik-
man einfach nur mehr Zeit, sich Dinge zu
aufgaben Texte zum Lesen gab, in denen ent-
merken, und es ist anstrengender, wenn
weder stand, dass Jungen und Mädchen gleich
man etwas älter ist.
gut sind oder dass Mädchen in Naturwissenschaften viel schlechter als Jungen sind. Dementsprechend schnitten sie beim Test dann
tatsächlich auch besser oder schlechter ab.
Wenn ich nicht an mein Gedächtnis glaube,
funktioniert es auch nicht so gut.
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Es gibt sehr viele Beispiele dafür, dass
eine bestimmte Erwartung meine Gehirnleistung steuert. Das würde doch für den
pädagogischen Kontext bedeuten, dass
es Schülern hilft, sie immer wieder zu
bestätigen und ihnen das Gefühl zu vermitteln, sie würden das schaffen …
Ist Lust nicht auch ein ganz wichtiger
Faktor beim Lernen?
Noch immer ist es ein großes Manko in unserem Bildungssystem, dass Motivation eine
so geringe Rolle spielt. Statt das Positive
Definitiv. Jedes Kind kommt mit einer
herauszustellen, werden die Fehler rot mar-
unglaublichen Neugier auf die Welt. Alle
kiert. Zudem gilt es unter den Schülern als
Kinder stellen Fragen und wollen die Welt
uncool, wenn man richtig gut in der Schule
entdecken. Dann kommen sie in die Schule
ist. Ich selbst wollte nie eine 1,0-Schülerin
und müssen alle zur gleichen Zeit das Glei-
sein. Die Ansätze müssten neu gewählt wer-
che lernen. Das funktioniert einfach nicht.
den. In dem Internat, das ich besucht habe,
Bei mir ist dadurch die Neugier wirklich ge-
hat es mir beispielsweise sehr geholfen,
killt worden. Deswegen ist es ganz wichtig,
dass es feste Hausaufgabenzeiten gab.
dass man bei Kindern den Spaß am Lernen
Wenn das an allen Schulen so wäre, dann
erhält, was man auch mit den Techniken
wäre der Hintergrund des Kindes nicht so
bewirken kann. In den Schulen werden
entscheidend, also ob da jemand ist, der
bisher wenig Lerntechniken oder Arbeits-
sich darum kümmert, dass die Hausaufga-
weisen vermittelt, dabei wäre es so wichtig,
ben gemacht werden oder nicht. Zudem
zu lernen, wie man sich Wissen aneignet.
sollten Anreize gesetzt werden, um richtig
Wenn ein Kind merkt, dass es sich innerhalb
gut sein zu wollen. Bei mir war es so, dass
von ein paar Minuten 15 Wörter merken
all diejenigen, die einen gewissen Noten-
kann, dann ist es auch in der Lage, sich ei-
durchschnitt hatten, ihre Hausaufgaben auf
nen zweiseitigen Text zu erarbeiten. Die
dem Zimmer machen durften. Es ist ganz
Mnemotechniken sind nicht einfach nur ein
essenziell, dass ein Kind Erfolgserlebnisse
Instrument zum Auswendiglernen, sondern
hat. Wenn die Zensuren erst mal schlecht
auch eine Technik, um Dinge besser zu ver-
sind, ist es um das Selbstvertrauen und die
stehen. Man macht sich aktiv Gedanken,
Erfolgserlebnisse nicht gut bestellt. Zudem
benutzt die eigene Fantasie und denkt sich
denke ich, dass Kinder viel mehr lernen soll-
möglichst lustige Sachen aus.
ten, sich Dinge selbstständig zu erarbeiten
und selbstständig Probleme zu lösen. Denn
Sie haben auf unserer medien-impuls-
diese Fähigkeiten wird man im späteren
Tagung eine praktische Einführung in
Leben dringend brauchen.
zwei verschiedene Routentechniken
gegeben. Könnten Sie die Vorgehensweisen kurz zusammenfassen?
Es handelt sich bei der ersten Technik um
die Körper-Routenmethode, bei der Begriffe, die man sich merken will, mit bestimmten Punkten des Körpers verknüpft
werden: Fuß, Knie, Hosentasche, Rücken,
Bauch, Brust, Schulter, Hals, Gesicht und
Haare. Die zweite Technik ist die RaumRoutenmethode, bei der man sich eine
Route entlang einzelner im Raum befindlicher Gegenstände ausdenkt, die man
dann wiederum mit Begriffen und Bildern
verknüpft.
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Wir unterscheiden ein Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis. Manchmal ist es jedoch
so, dass Dinge, die ich mir eigentlich
merken will, nicht einmal in mein Kurzzeitgedächtnis kommen, weil ich
Wie entscheidet Ihr Gehirn darüber,
unkonzentriert oder emotional bei
was aus dem Kurzzeitgedächtnis ins
einem anderen Thema bin. Passiert
Langzeitgedächtnis übergeht?
Ihnen das auch?
Das ist vor allem die Wiederholungsdichte
Ja, Konzentration ist ein ganz wichtiger
oder -anzahl, es kann aber auch etwas sein,
Punkt, vor allem in dem Augenblick, in
was mich emotional sehr bewegt hat oder
dem ich mir etwas merken will. Ich bin ge-
besonders aufregend oder seltsam war.
gen diese Ablenkungen mittlerweile fast
Deswegen können sich z. B. die meisten
resistent, was natürlich auch durch die
Menschen auch daran erinnern, was sie am
Meisterschaften kommt, bei denen ich
11. September 2001 gemacht haben. Wenn
schon sehr früh gelernt habe, auf den Punkt
man an dem Tag einen bestimmten Men-
fokussiert zu sein. In diesen Momenten
schen auf der Straße getroffen hat, dann
blende ich alles andere aus. Egal, wie es mir
wird man sich an diese Begegnung länger
geht, ich funktioniere sozusagen. Ich habe
erinnern, auch wenn er einen eigentlich
gar nicht so viel trainiert, aber an zwölf
nicht interessiert. Auch hier spielen die
Meisterschaften mit jeweils zehn Disziplinen
Emotionen wieder eine ganz zentrale Rolle.
teilgenommen, bei denen ich den Zustand
Je emotional stärker eine Situation ist, desto
„Konzentration“ gelernt habe. Diesen
größer ist die Chance, dass etwas im Lang-
Zustand kann ich auch auf alle anderen
zeitgedächtnis gespeichert wird. Ähnlich ist
Momente übertragen. Ein weiterer toller
es auch bei der Rezeption von Filmen: Je
Nebeneffekt, den man beim Gedächtnis-
mehr mich ein Stoff inhaltlich berührt oder
training lernt, ist, dass man die 100-prozen-
je näher er an meiner eigenen Lebenswelt
tige Kontrolle darüber hat, ob man sich
ist, desto länger bleibt er mir in Erinnerung.
eben gerade konzentriert hat oder nicht.
Als kleines Mädchen dachte ich, dass ich
Wenn man diesen Zustand einmal kennen-
Horrorfilme toll fände. Ich war noch keine
gelernt hat, weiß man auch, was man tun
10 Jahre alt, als ich Stephen Kings Es gese-
muss, um ihn abzurufen.
hen habe. Irgendwann habe ich gemerkt,
dass Horrorfilme nicht gut für mich sind, da
ich die Sequenzen noch alle in meinem Kopf
habe. Neben den Dingen und Themen, die
emotional stark besetzt sind, merkt sich unser Gehirn aber auch sehr leicht Informationen und Ereignisse, die sich komplett von
der Normalität abheben. Das Ungewöhnliche, Besondere stimuliert mein Gedächtnis
sehr viel stärker als das Alltägliche, Normale. Wenn etwas komplett anders ist, als
wir es erwarten, dann werden wir uns das
sehr lange merken.
Das Interview führte Prof. Joachim von Gottberg.
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